Die Katze, die auf die grüne Insel fährt - Elke Seidel - E-Book

Die Katze, die auf die grüne Insel fährt E-Book

Elke Seidel

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Beschreibung

Fritzi Kullerkopfs elfter Roman ist eine autofiktionale Biographie mit vielen neuen Geschichten. Es ist ein nachdenkliches und witziges Buch über das, was sie im vergangenen Jahr alles erlebt und unternommen hat. Mit bestechender Klarheit erzählt die rotgetigerte Protagonistin zwischendurch auch Privates aus der ärmlichen Kindheit ihrer Dosenöffnerin. Ihre weiteren Themen sind kätzische Familienbande und Wahlverwandtschaften, Einsamkeit trotz Nähe, Sehnsucht nach Aufbruch und Freiheit, Finden und Loslassen, Suche nach dem ultimativem Glück und dem Ringen nach einem erfüllten Leben. Fritzis Storys handeln von ihrem Wunsch aus dem Alltag auszubrechen und von der Neugier bisher unbekannte Orte aufzusuchen, die ihr anschließend für immer unvergesslich bleiben. Das Erfolgsgeheimnis der Autorin besteht in der faszinierenden Schilderung der Normalität, die sie mit ihren eigenen Worten in ein Feuerwerk aus irren Gags verwandelt, die nichts beschönigen, aber unbändige Lust am Leben verströmen. Es sind Erinnerungen an absurde Situationen und hinreißend-schräge Typen mit sympathischen Charakteren, die man nicht so einfach erfinden kann. Die Geschichtenerzählerin Fritzi und ihre Ghostwriterin Elke sind ein kongeniales Duo mit großer Lust am Fabulieren, mit dem Charme von Pech und Schwefel, von Nitro und Glycerin. Zusammen bilden sie ein unschlagbares Team. Dank brillanter Erzählkunst und der Fülle der liebevoll gezeichneten Illustrationen ist Fritzis elfter Band eine inspirierende Erkenntnisquelle und ein großes Lesevergnügen. Es ist ein Buch, das man sich selbst schenken sollte und das zum Verschenken schön ist. Katzen-, Tier- und Menschenfreunde jeden Alters werden sich gern wieder von Fritzi Kullerkopfs neuen Geschichten fesseln und begeistern lassen.

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Für Anja Etessam

Inhaltsverzeichnis

Teil I Die Katze, die erzählt, was inzwischen alles passiert ist

Was zuvor geschah

Statt zu pilgern kann man auch verreisen oder auf die Walz gehen

Home, sweet home

Fritzi überlegt

Glück im Unglück

Warum Fritzi Spaß daran hat Romane zu schreiben

Was in Fritzis Kopf vor sich geht

Was Fritzi über ihre Vorfahren bekannt ist

Katzen versus Hunde

Wie es Katzen in der Antike erging

Was man Katzen im Mittelalter angetan hat

Was während und nach der letzten Pandemie mit unsereins geschah

Der schöne Mingo

Elkes neues Smartphone

Fritzi und der attraktive Bruno

Karoline will heim

Joseph und der geschenkte Salatkopf

Die Premiere von

Barock am Main

Fritzi und Elke besuchen Inge im Krankenhaus

Neulich, am Kuchenbuffet

Elke dreht (ohne Schlittschuhe) einen

Doppelten Rittberger

Die Krux mit Elkes EC-Bankkarte

Teil II Die Katze, die mit ihrer Dosine aus ihren Büchern vorliest

Fritzi und Elke besuchen Seniorinnen und Senioren

Was Fritzi im Seniorenzentrum Phoenix erlebt hat

In der Sankt Marien Residenz

Fritzis Erinnerungen an die netten Damen im Margarethenhof

Ein Besuch in einem Altenpflegeheim am

Frankfurter Bogen

Erinnerung an eine Residenz am Holzhausenplatz

Im Lebenshaus St. Norbert

Fritzis Resümee

Teil III Die Katze, die mit ihrem Lieblingsmenschen nach

Eire

fliegt

Fritzis und Elkes Urlaubspläne konkretisieren sich

Vor dem Abflug nach Dublin

Fritzi denkt an Udo, einen Mechaniker von American Eagle Airways

Nach der Landung

Fritzis und Elkes erste Nacht im Clayton Airport-Hotel

Mit Susan und Donnell auf der Stadtrundfahrt durch Dublin

Im Phoenix Park

Susan erzählt Interessantes über Irland und seine Bewohner

Efeu, Mistel, keltische Harfe,

Shamrock

und

Leprechauns

Fritzis Erinnerungen an Nordirland

In den Marble Arch Caves

Bei Bauer Patsi und seinen Bordercollies Moira und Scott

Fritzi möchte sich eine kleine Spielgefährtin aussuchen

Fritzis Gedanken über die vielen Lämmer

Was mit den zahlreichen Schafen und deren Nachwuchs passiert

Fritzis erste Übernachtung in Dorians Imperial Hotel

Nachts trifft Fritzi ihre irischen Verwandten Eimear, Rian und Cillian

Auf dem Weg nach Donegal

Von Killybags zu den Slieve League-Cliffs

Elke erwirbt zwei Brigids-Kreuze

Binsen, Torf und

longhorned Ladies

In einer Spinnerei in Ardara

Ein unvergesslicher Lunch

Am Megalitengrab von Creevykeel

Im Glenveagh-Nationalpark

Fritzis zweite Übernachtung in Ballyshannon

Auf dem Weg nach Rossnowlagh Beach, dem irischen

Westerland

Susan berichtet über die sozialen Leistungen unseres Gastlandes

Fritzi freut sich auf ihre Übernachtung in einem richtigen Schloss

In dem aristokratischen Gemäuer ist nicht alles königlich

Am Grab von William Butler Yates

Mit Petra im Lokal

The white Gorillas

Fritzi bewundert Steinkreise und die Statue des

Celtic Warrior

Eine Bootsfahrt, ein Fjord und ein

Lost Valley

Auf dem Weg nach Galway

Ein Claddaghring für Petra

Woher das Wort Lynchmord seinen Ursprung hat

Mit Mandy im Restaurant

Fat Freddy’s

Wie es kam, dass die Mitreisenden auf Fritzi und Elke warten mussten

Elke verpasst ihre Vermittlungschancen in der Bar

The Matchmaker

Burren-Nationalpark, Creevagh Wedge Tomb und Doolin

An den weltberühmten Cliffs of Moher

Fritzi macht einen Spaziergang durch Ennis

Auf dem Weg zu dem Bunratty Castle

Fritzi und Elke besichtigen die Burg

Im

Folk Park

Auf dem Weg nach Tralee

Fion, der Hotel-Kater

Auf dem Weg nach Dingle

Sowohl der Tümmler Fungi als auch die Selkies sind verschwunden

Die Mörderkrähen von Muckross House

Auf dem Weg zum Ring of Kerry

Ein Ziegenkönig namens Puck

Mittagspause in Waterville

Ein Bauer, der in Sneem mit seinem Ziegenbock spazieren geht

Eine Kirchturmuhr, die vier unterschiedliche Zeiten anzeigt

In Cobh erinnert sich Elke an eine Tragödie

In Midleton besichtigt Fritzi eine

Whiskey Distillery

Im architektonisch

kreativen

Dooley’s Hotel in Waterford

Fritzi besichtigt das ehemalige Auswandererschiff

Dunbrody

Zwei angeblich mitreisende Damen aus der Ersten Klasse

Weitere Highlights auf der Rückfahrt nach Dublin

Am Denkmal der Molly Malone

Worte des Abschieds

Was am Ostersonntag geschah

Der misslungene Geburtstagskaffee am Dubliner Flughafen

Fritzis träumt auf dem Heimflug

Teil IV Die Katze, die sich an Key West erinnert

Ein Wochenende an der Südspitze von Florida

Fritzi fragt sich, wo ein Regenbogen wohl enden mag

Fritzi schläft im

Enchanted Crab Inn

in einem Kingsize Bett

Die Bewohner von Key West sind ganz besondere Zweifüßer

Eine Spezialität der Keys ist die Limettentorte

An Hemingway-Doubles mangelt es nicht

Zum Lunch gibt es

Conch fritters

Fritzi trifft im Garten der Hemingway Villa den Kater Handsome

Am südlichsten Punkt Floridas

Elke bewundert die prächtigen Herrenhäuser der

Ship wrecker

Fritzi und Elke zelebrieren den Sonnenuntergang am Mallory Square

Erinnerungen an den Friedhof von Key West

Mit dem Greyhound zurück in Richtung Orlando

Fritzi sieht am Straßenrand klitzekleine Bambis

Teil V Die Katze, die berichtet, was sonst noch geschehen ist

Zwei Mittagessen für das Sankt Katharinen Krankenhaus

Fritzi besucht ein Konzert in der Alten Oper

There is a crack in everything

Fritzi und Elke bekommen Besuch von Titi aus Hundstadt

Elkes erster Termin beim Reha-Sport

Was Elke ihrer Kommilitonin Ursula über ihre Kindheit berichtet

Blumen zum Muttertag

Elke erzählt Fritzi, was es mit dem

guten Willen

auf sich hat

Was Träume bedeuten mögen

Ein Ausflug nach Fulda

Auf der Loggia sitzt ein neuer Mitbewohner

Fritzi und Tom Jupiter treffen sich bei IKEA

Elke erzählt von ihrem Besuch beim HNO

Fritzis Gedanken kreisen um den schönen Franky

Auf der Suche nach einer Zugverbindung ins Ösiland

Auf Umwegen zu unserem Lieblingsrestaurant

Elke trifft sich mit einem ihrer ehemaligen Azubis

Unterschiedliche Ansichten über gesunde Ernährung

Fritzi folgt interessiert einer Dokumentation im Fernsehen

Fritzis Gedanken über Künstliche Intelligenz

Zimmerbillard kann man auch allein spielen

Fritzi besucht eine Aufführung im

Circus-Theater Roncalli

Selbst ist die Katz

Vorwort

Es ist wieder soweit, ein Jahr ist vergangen und mein neues Buch ist fertig. Abermals ist es prall gefüllt mit vielen neuen Geschichten und zahlreichen Illustrationen, die dich hoffentlich gut unterhalten werden. Ich kann es fast selbst nicht glauben, aber es ist bereits mein elfter Fritzi Kullerkopf-Roman. Vielleicht schreibe ich noch ein weiteres Buch, damit das Dutzend voll wird. Höchstwahrscheinlich werde ich mir anschließend ein neues Hobby suchen, eines, das nicht so einsam ist und auch weniger zeitaufwändig.

*

Vielleicht wirst du dich fragen, ob wirklich alles wahr und authentisch ist, was du hier liest. Ich versichere dir, dass ich autofiktionale Geschichten schreibe – nicht autobiografische. Mit anderen Worten, ich erzähle semi-dokumentarische Fiktionen. Natürlich könnte ich darauf bestehen, dass meine Storys im Grunde alle wahr sind, denn sie haben sich so oder sehr ähnlich zugetragen, jedenfalls in meinen Erinnerungen.

Ich behaupte jetzt mal keck, wenn du dir die Zeit nimmst, in die Welt meiner neuen Geschichten einzutauchen, findest du rasch heraus, dass sie dein Seelenleben auf positive Weise beeinflussen und das ganz ohne gemütsaufhellende Pillen oder Promille(n)! Du wirst dir nämlich ganz einfach den Stress weg lesen.

Während deine Augen über die von mir getippten Zeilen gleiten, entfliehst du der Gegenwart und wirst neue (nämlich meine) Perspektiven erblicken. Das kannst du ganz nach Belieben tun, egal wo du dich gerade aufhältst: auf dem heimischen Sofa, im Urlaub am Strand oder in der S-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit.

Du kannst mein Buch auch jederzeit wieder zuklappen; dann haben dich Realität und Stress wieder.

*

Von meiner Mama bekam ich jede Menge Herzensbildung mit, aber nur eine kleine Portion Allgemeinbildung, und davon auch nicht wirklich viel. Einen Schulabschluss mit fundierten theoretischen Kenntnissen kann ich nicht vorweisen; über erlernte Fertigkeiten und geprüfte Fähigkeiten besitze ich weder ein Universitätsdiplom noch eine Urkunde der IHK (Industrie- und Handelskammer). Ich bin eine Self-made Woman.

Du kannst mir glauben, mein Erfolg fiel mir nicht automatisch in den Schoß. Ich habe ihn auch nicht geerbt, sondern mir durch langes Nachdenken, extreme Geduld und sehr viel Fleiß selbst erarbeitet. Theoretisch weiß ich fast alles, aber praktisch nicht allzu viel.

Wie man erfolgreich Kleinwild fängt, das weiß ich und kann es auch. Zuerst muss man sich anpirschen, dann geduldig auf eine günstige Gelegenheit lauern und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann Hoppi Galoppi!

Jagen liegt mir in den Genen. Dazu sage ich nur: Attacke Kanake!

Übrigens, das Wort stammt vom hawaiianischen Kanaka und bedeutet Mensch.

*

Zahlreiche Schnurrbacken wurden von einer liebevollen Mutter geboren, waren aber eine kurze Zeit später auf sich selbst gestellt. Sie mussten (wie auch ich) rasch und ohne Bezugspersonen erwachsen werden.

Durch den Mangel an Bestätigung und Liebe in meiner Jugend stille ich jetzt meinen Nachholbedarf durch die Anerkennung und Zuneigung meiner Fans.

*

Manchmal ist es mir peinlich, wenn jemand klug daherredet und ich nicht verstehe worüber eigentlich gesprochen wird. Dann mache ich es wie die clevere Daniela Katzenberger, die einmal im Fernsehen in einer Homestory empfahl: Sei schlau und stell dich dumm!

Seit ich den Wahlspruch der Wasserstoffblondine vernahm nicke auch ich jetzt öfters mit meinem Kopf, wenn eine mir unbekannte Person etwas neunmalklug erläutert und mit vielen Fremdwörtern um sich schmeißt, aber ich halte meinen Mund. Allerdings muss ich zugeben, dass mir das nicht immer leichtfällt und mir auch nicht jedes Mal gelingt.

*

Wenn ich in unserem Arbeitszimmer vor unserem Äppel sitze und meine zahlreichen Erlebnisse und Erinnerungen in den PC eintippe, durchlebe ich sie fast alle noch einmal. Beim Schreiben bemühe ich mich um Wahrhaftigkeit und Akkuratesse, denn ich möchte alles ganz genau schildern, so wie es war, einfach und unverfälscht. Mit zeitlichem Abstand denke ich dann noch einmal darüber nach, was mir in der Vergangenheit passiert ist. Richtig zufrieden, mit dem was ich geschrieben habe, bin ich selten. Meine Ansprüche an mich sind hoch. Selbst wenn ich mich förmlich in Selbstkritik zerfleische und mir Selbstoptimierung vornehme, statt mir Faulheit, Trivialität und mangelnde Klarheit vorzuwerfen, bin ich doch eine ausdauernde Geschichtenerzählerin. Ich hoffe, dass ich manchmal auch witzig und unterhaltsam bin.

*

Ich finde, Bücher sollte es wie Medizin auf Rezept geben, denn Geschichten können inspirierend und anregend sein, das Wohlbefinden steigern und viel in uns auslösen.

Meine Storys mögen teilweise meine überbordende Phantasie spiegeln, aber die Gefühle, die du bei ihrem Lesen empfindest, sind echt. Wenn sie etwas in dir auslösen und sie dich berühren, ist das ein sehr gutes Zeichen, denn erlebte Emotionen beeinflussen körperliche Empfindungen. In der heutigen schnelllebigen Zeit werden Gefühle immer weniger wahrgenommen, sondern durch unzählige äußere Reize überdeckt.

Aber irgendwann kommt jedes verdrängte Bedürfnis wieder an die Oberfläche. Und dann ist es gut, wenn man/frau ein Fritzi Kullerkopf-Buch zur Hand hat.

Frankfurt, im Frühjahr 2024

Teil 1

Die Katze, die erzählt, was inzwischen alles passiert ist

Was zuvor geschah

Kaum hatte die Corona-Seuche ihren größten Schrecken verloren, besann sich meine Dosine darauf, erneut mit mir zu verreisen. Fast drei Jahre lang durften wir es nur mit großen Einschränkungen tun. Die Gründe dafür waren recht unterschiedlich.

Noch gut kann ich mich daran erinnern, dass Äinschi (unsere damalige Kanzlerin) alle Bürger per Radio und Fernsehen dazu aufrief, daheim in ihren Wohnungen zu bleiben. Anfangs war mir nicht klar, warum wir es tun sollten.

Zur Auswahl standen:

Um uns nicht mit der Seuche anzustecken oder sollten wir uns bereits infiziert haben, aber bislang noch symptomfrei sein, um nicht gesunde Personen anzustecken oder weil weder freie Krankenhausbetten noch ausreichend ausgebildetes Personal zur Verfügung standen, um (zusätzlich zu den anderen Kranken) die aufwändige Pflege der mit Covid-19 Verseuchten auf den Intensivstationen leisten zu können.

Die zuvor in China ausgebrochene Pandemie hatte Europa im Eiltempo erreicht. In unserem Land war die Angst vor einer Ansteckung bei vielen Zweifüßern riesengroß. Impfungen wurden von den Behörden dringend angeraten und für einige Berufsgruppen sogar zwingend vorgeschrieben. Trotzdem weigerten sich jede Menge Pflegekräfte, die in Seniorenheimen und Krankenhäusern arbeiteten, sich immunisieren zu lassen.

*

Im ersten Seuchenjahr stand keine ausreichende Menge an Impfstoffen zur Verfügung, für alle in unserem Land lebenden Menschen, die sich impfen lassen wollten.

Allerdings gab es bei uns auch zahlreiche Leute, die nicht in der Gesundheitsbranche arbeiteten, die strikt gegen eine Impfung waren und sich Querdenker nannten. Sie weigerten sich schlicht und einfach sich immunisieren zu lassen. Ihre größten Bedenken und Ängste ursachten wohl darin, weil die Vakzine aus Zeitgründen noch nicht an Menschen (vorzugsweise an Personengruppen wie Gefängnisinsassen und Prostituierten, Queeren und Homosexuellen, Alkoholikern und Drogensüchtigen, Geisteskranken, Asylanten und Wohnsitzlosen) und/oder an Labor-Tieren getestet wurden.

*

Zusätzlich befürchteten sie, durch die neuartigen mRNA-Vakzine magnetisch aufgeladen zu werden, und dass durch eine vollzogene Impfung ein Eingriff in ihre DNA erfolgt. Außerdem wurde gemunkelt, dass spontan sowohl Potenz als auch Fortpflanzungsfähigkeit erlöschen würden. Noch viel größer wurde ihre Ablehnung, da sie davon überzeugt waren, durch eine Wiederholungsimpfung (auf Geheiß der Regierung) einen Mikrochip in den Oberarmmuskel implantiert bekämen, der sie wie Marionetten fernsteuerbar macht. Es herrschte Verfolgungswahn wohin man auch blickte. Sobald die vielen Corona-Leugner und Impfverweigerer ihre Wohnungen verließen, trugen sie (statt FFP2-Masken) selbstgebastelte Hütchen aus Aluminiumfolie. Die sollten sie ausreichend vor den Krankheitserregern, den Machenschaften der korrupten Politiker, den verlogenen Presseleuten, den betrügerischen Ärzten und dem Bösen Blick der missgünstigen Nachbarn schützen.

Fast alle Airlines stornierten die meisten Flüge und kündigten ihren Angestellten die Jobs. Durch politische und wirtschaftliche Entscheidungen wurden Ländergrenzen und Flughafenterminals für eine unbestimmte Zeit geschlossen. Wegen der Korrosionsgefahr parkten die Fluggesellschaften ihre derzeit nicht benutzten Flugzeuge in den trockenen Wüsten Arizonas und im fernen Outback Australiens.

*

Mitte April 2021, unmittelbar nach ihrer zweiten Covid-19 Impfung, erkrankte mein liebster Mensch schwer, weil ihr Immunsystem Amok lief. Das hatte zur Folge, dass sie ein halbes Jahr lang außer Gefecht war. Auch anschließend litt sie noch monatelang unter dem PostVac-Syndrom, denn sie hatte sich einen ernstzunehmenden Impfschaden zugezogen, der anfangs (durch Unwissenheit) von allen Ärzten abgestritten und auch geleugnet wurde.

Inzwischen ist das anders; zumindest in Deutschland.

*

„Fritzi, wenn mein Knöchelbruch endlich geheilt ist, sich vor meinen Augen nicht mehr alles im Kreis herumdreht, die Venenentzündungen in meinen Beinen abgeklungen sind, sich die verschiedenen Thrombosen aufgelöst haben, sich meine Gedächtnislücken endlich schließen und ich wieder einigermaßen laufen kann, dann werden wir zusammen pilgern gehen“, sagte Elke in der Adventszeit zuversichtlich zu mir. Wie sie das anstellen wollte war mir schleierhaft, denn seinerzeit glich noch jeder ihrer staksigen Gänge ins Hygienezentrum einer Expedition. Die musste sie jeweils im Voraus planen, um den Porzellanthron noch rechtzeitig zu erreichen.

*

„Es ist bewiesen, dass Menschen nach überstandenen Krisenzeiten auf bewährte Strategien zurückgreifen und sich etwas gönnen wollen“, fuhr Elke anschließend optimistisch fort. „Dich nehme ich natürlich mit! Sobald ich wieder halbwegs fit bin pilgern wir, sozusagen um uns selbst zu belohnen. Dann entschädigen wir uns für all das, was wir in der schrecklich langen Zeit erleiden mussten und erduldet haben. Durch die uns selbst gewährte Gratifikation (unserer Reise) schöpfen wir zeitgleich zusätzlich neue Kraft. Die werden wir für die demnächst zu erwartenden neuen Dramen vermutlich auch brauchen.“

„In meinem zukünftigen Leben brauche ich keine weiteren Tragödien mehr“, erwiderte ich rasch und winkte ab. „Danke, von denen hatte ich schon mehr als genug! Aber wenn du demnächst wieder ohne Krücken laufen kannst und wir dann auf Reisen gehen, freue ich mich wie Bolle! Auch ich bin auf der Suche nach neuen Entdeckungen und nach frischem Input.“ Mit meinem rechten Pfötchen zeigte ich auf meine Stirn.

„Fritzi, mit dir will ich nicht verreisen“, erwiderte meine Dosine nachsichtig. „Ich möchte mit dir zusammen pilgern. Das ist etwas gaaanz anderes.“

*

Auf der kleinen Festplatte in meinem Kopf gerieten meine Gedanken plötzlich durcheinander, wie auf dem Rummelplatz in einem sich immer schneller drehenden Kettenkarussell. Bisher hatte ich geglaubt, das Motiv einer Pilgerreise sei der beschwerliche Weg zu dem Wirkungsort eines verstorbenen Heiligen (m/w/d), mit dem einzigen Zweck, Selbstverbesserung für die eigene Persönlichkeit zu erlangen. Ich ging davon aus, dass man nicht etwa pilgert, um von einem Heiligen etwas zu erbitten oder sich bei ihm für ein Wunder zu bedanken, das bereits in der Vergangenheit stattgefunden hatte.

„Legitimiert unsere zukünftige Pilgerei etwa unser touristisches Unterwegssein?“, fragte ich zögerlich. Statt mir etwas Geistreiches oder auch Sinnbefreites zu erwidern, kratzte sich meine Perle am Kopf, erwiderte aber nichts. Vermutlich war ihr Denkvermögen durch ihren Impfschaden noch immer stark eingeschränkt.

*

Wie jeder weiß gehöre ich weder zu den Katholen noch zu den Evangelen. Auch der mosaische und der moslemische Glaube sind mir fremd, sowie die der zahlreichen anderen Religionsgemeinschaften unterschiedlicher Völker. Ich glaube an die Große Katzenfee, genauso wie es meine Felidae-Schwestern und Brüder schon immer getan haben.

Eben fragte mich mein liebster Mensch: „Fritzi, bist du dir eigentlich darüber im Klaren, dass du vor Corona bereits mehrmals gepilgert bist?“

„Das müsste ich aber wissen!“, entgegnete ich rasch. Skeptisch sah ich sie an. Insgeheim dachte ich: ‚Bei dem Sturz im April hat wohl dein Kopf mehr abbekommen als wir zuerst vermutet haben, wenn sein Inhalt nach so langer Zeit noch immer harkt und sich verklemmt!‘

„Sicher weißt du noch, dass wir vor der Pandemie zusammen in Polen waren.“ Ich nickte. Daran erinnere ich mich recht gut. Schließlich war ich weder auf den Schädel gefallen, noch war mein Erinnerungsvermögen eingerostet, getrübt oder verkalkt. „In Thüringen kamen wir bei Eisenach an der Wartburg vorbei, einem gaaanz wichtigen Pilgerort“, fuhr sie fort. „Als Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Kirchentür von Wittenberg anschlug, begann im ganzen Land die Reformation.“

„Aha. Das ist mir neu. Muss ich mir das merken?“

Elke schüttelte ihren Kopf. „Aber an Krakau erinnerst du dich bestimmt noch?“ Ich nickte. „Dort pilgerten wir zur Bischofskirche auf dem Burgberg.“ Deutlich erinnerte ich mich an den schmalen holperigen Pfad. Während des steilen Aufstiegs befürchtete ich anfangs, dass meine Sherpa ausrutschen und bei dem unweigerlich darauf folgenden Sturz auf mich drauf fallen würde und ich anschließend so platt wie eine Flunder wäre. „Weißt du noch, in der Wawel-Kathedrale bewahrt man die Reliquien des Heiligen Stanislaw auf, dem Schutzheiligen aller Polen.“ Neugierig sah sie mich an.

„War das die riesige Kirche, in der sich jede Menge Sarkophage und unzählige Grabplatten befanden?“

„Das ist richtig.“ Sie nickte. „Auf der Rückfahrt zur Grenze stoppten wir auch in der riesigen Klosteranlage von Tschenstochau. An dem bewussten Tag waren außer uns noch ein paar Tausend weitere Pilger dort, die alle bei der Schwarzen Madonna beten wollten!“

„Ja, das stimmt!“, miaute ich erfreut. „Auf die Schwarze Madonna ist Verlass! Die Heilige Maria ist super-duper-intergalaktisch-mega-toll! Obwohl ich ihr gar nichts spenden konnte, ich besitze ja weder Schmuck noch Geld, erfüllte sie mir umgehend meinen allergrößten Wunsch, den Kater Icke wiederzusehen!“ Es entstand eine kleine Pause, in der ich wehmütig an den bildschönen Mohren dachte, der mit Berliner Akzent miaut. Auf seinen Wunsch hin verließ ich sogar meinen Lieblingsmenschen und zog zu ihm nach Sachsen. (Nachzulesen ist die herzzerreißende Liebesgeschichte in meinem 8ten Roman.)

„Vor dem Corona-Ausbruch waren wir auch schon einmal zusammen in Fulda“, fuhr meine Dosine fort. „Es war an einem Sonntag, als wir im Dom zum Grab des Heiligen Bonifatius in die Krypta pilgerten.“ Ratlos sah ich sie an. Daran konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Höchstwahrscheinlich verschlief ich auch die fromme Predigt des Pfaffen.

„Sobald ich wieder laufen kann, fahren wir noch einmal zusammen hin!“

Irgendwie haben es meiner Sozialpartnerin Kathedralen und Kirchhöfe angetan. Wenn wir an einem Friedhof vorbeikommen, setzt sie sich dort immer unter einem Baum auf eine Bank, streckt alle Viere von sich und denkt nach. Ich finde Begräbnisstätten auch super, denn dort gibt es weder kreischende Kinder noch laute Musik, aber reichlich Piepmätze und anderes jagdbares Kleinwild.

„In einem Urlaub war ich vor vielen Jahren schon einmal in Selçuk bei Ephesos“, fuhr meine Perle fort. „In dem Pilgerort verehrt man den Heiligen Johannes. Anschließend fuhr ich weiter in die antike Stadt Myra in Lykien. Das ist der in der Nähe von Antalya gelegene Sterbeort des Heiligen Nikolaus. Auch bei uns verehrt man jedes Jahr am 6ten Dezember den Schutzpatron der Kinder und der Seefahrer.“

„Am Nikolaustag bekommen alle Kinder Geschenke!“, miaute ich.

„Wenn ich es nicht vergesse, bekommst auch du an dem Tag ein Schenki!“

„Warum hast du mich nicht mit in die Türkei genommen? Die hätte mich bestimmt auch interessiert. In dem Land war ich noch nicht.“

„Ach, Fritzi-Schatz! Damals konnte ich dich nicht mitnehmen, weil du noch gar nicht geboren warst!“ Sie lachte. Ich überlegte, ob es sich dabei wohl um die Wahrheit handelte oder ob Elke geschummelt hatte. Einen momentlang herrschte Stille bis sie fortfuhr: „Fritzi, mir fällt noch eine weitere Heilige ein, zu der wir gepilgert sind.“

„Da bin ich aber neugierig!“ Eigentlich stimmte das nicht, aber ich wollte meinem Lieblingsmenschen nicht den Spaß verderben.

„Da waren wir bei der Jungfrau von Guadalupe!“ Sie rollte mit den Augen und verzog die Mundwinkel nach unten.

„An den Vorort von Mexiko-City erinnere ich mich noch ganz genau. Dort war der reinste Zweifüßer-Massenauftrieb!“, erwiderte ich rasch. „Als gäbe es etwas geschenkt! Ich würde es nicht glauben, wenn ich das Spektakel nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte! Tausende von Gläubigen, die in der riesigen Kathedrale auf einem der beiden automatischen Rollbänder stehend in beide Richtungen am Altar vorbeigezogen wurden! An jedem einzelnen Tag im Jahr!“ (Nachzulesen in meinem 7ten Roman.)

„Das ist wahr“, erwiderte sie. „Zur Heiligen Guadalupe pilgern jedes Jahr mehr Christen als auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien, nach Lourdes in Frankreich, dem Vatikan in Rom und der Geburtskirche Jesu in Bethlehem!“ Beeindruckt hörte ich zu.

„Gibt es noch weitere Pilgerorte?“

„Aber ja doch! In jeder Religion gibt es eigene heilige Pilgerstätten, zu denen die Gläubigen wallfahren. Zusammen sind es bestimmt zehntausend Orte, vielleicht aber auch mehr.“

„Planst du nun mit mir zusammen in Urlaub zu fahren, zu pilgern oder zu wallfahren?“

Unschlüssig kratzte sich meine Dosine am Kopf. Dann sah sie zur Zimmerdecke, als würde dort die Antwort auf meine simpel formulierte Frage gepostet werden. „Vermutlich versprechen sich die Gläubigen von einer Wallfahrt, dass sie bei der Ankunft an dem Zielort spirituelle Erlebnisse haben. Bei einer Pilgerreise sind zusätzlich noch die eigenen Einsichten und Erfahrungen auf dem Weg zum Pilgerort wichtig.“

„Aha. Den Unterschied verstehe ich nicht so richtig.“

„Kein Stress, ich auch nicht. Für uns wird es auch nicht allzu wichtig sein, denn der Weg ist unser Ziel.“

Es entstand eine kleine Pause. Dann fuhr sie fort: „Jeder muslimische Gläubige muss einmal in seinem Leben zum Hadsch in die saudischen Städte Mekka und Medina pilgern, zum Geburts- und Sterbeort ihres Propheten Mohammed.“

„Und dorthin führt uns unsere nächste Pilgerreise?“, fragte ich hoffnungsvoll.

„Nein, das klappt nicht“, erwiderte mein Lieblingsmensch und guckte sparsam.

„Warum nicht? Was spricht dagegen?“

„Weil wir zuvor zum Islam konvertieren müssten.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Weder Falschgläubige noch Ungläubige wie wir dürfen die für Mohammedaner heiligen Städte betreten. Sollten wir im Konsulat von Saudi-Arabien ein Visum beantragen, würde man uns keine Einreisegenehmigung erteilen, weder für die große Hadsch-Saison noch außerhalb derer, die Umra genannt wird.“

„Das ist diskriminierend!“ Mehr fiel mir zu dem Thema nicht ein.

„Wir könnten aber zusammen nach Jerusalem reisen“, fuhr meine Dosine fort. „Das ist eine Stadt, in die unzählige Menschen der drei größten Weltreligionen pilgern. Dort besichtigen wir dann – neben den vielen anderen Sehenswürdigkeiten – auch die Grabeskirche Jesu, die Anna-Kirche und den Berg Zion.“ Vor spontaner Aufregung bekam sie hektische rote Flecken im Gesicht. „Lass mich mal unseren bevorzugten Reiseveranstalter anrufen, ob in seinem Vertragshotel über die Weihnachtsfeiertage noch ein Einzelzimmer frei ist.“ Sie suchte nach ihrem Telefonverzeichnis und griff dann zum Telefon.

„Christmas in the Holy Land (Weihnachten im Heiligen Land)“, durchzuckte es mich erfreut. Beschwingt stand ich auf und schlenderte in die Küche. Bevor ich einen Schluck Wasser aus meinem Näpfchen trank schnurrte ich laut: ‚Oh du fröhliche….‘

Statt zu pilgern kann man auch verreisen oder auf die Walz gehen

Nach dem Abendessen knüpfte meine Dosine an unser Gespräch vom Nachmittag an: „Fritzi, schon immer sind junge Erwachsene aufgebrochen, um daheim ihre Wurzeln für eine Zeitlang zu kappen und sich temporär von den Einflüssen ihrer Eltern zu lösen. Schon im Mittelalter zog es kaum erwachsene Ritter aus den Burgen ihrer Vorfahren heraus. Später unternahmen adlige Jünglinge ausgedehnte Bildungsreisen in das Land, in dem die Zitronen blühen und noch weiter in andere Gefilde.“ Sie überlegte einen Moment und fuhr dann fort: „Heutzutage funktioniert es etwas einfacher, wenn die (wohlhabenden) Eltern ihrem Nachwuchs einen Schüleraustausch, einen Aufenthalt als Au-pair mit Sprachunterricht oder ein Auslandssemester finanzieren. Bei der Gelegenheit stellen die jungen Leute Facetten und Interessen an sich fest, von denen sie zuvor selbst noch nichts wussten.

Alles was nicht zu einem zeitlich begrenzten glücklichen Auslandsaufenthalt passt, lassen sie im Nachhinein bei ihren Erzählungen einfach weg. Fazit: Die Zeit im Ausland war viel zu kurz, aber mega-geil und außerdem rattenscharf!“

*

Da ich nichts darauf antworten konnte, fuhr Elke fort: „Seit über 500 Jahren gehört es auch heute noch in mehreren Branchen zur Tradition, dass Handwerksgesellen (Zimmerleute, Steinmetze und Metallarbeiter) nach Abschluss ihrer Gesellenprüfung auf die Walz gehen. Dabei gehen sie ausschließlich zu Fuß oder fahren höchstens per Anhalter von Ort zu Ort, um sich bei verschiedenen Meistern Arbeit auf Zeit zu suchen. So erweitern sie ihre Kenntnisse und lernen Neues dazu.

Jeder Wandergeselle besitzt ein wichtiges Wandertagebuch, in das er alles Wissenswerte hineinschreibt und in dem er sich von seinem jeweiligen Arbeitgeber die von ihm ausgeübten Tätigkeiten bestätigen lässt. Vielleicht entstanden so die ersten Reiseführer.“

„Das wäre möglich“, miaute ich höflich.

„Reisebeschreibungen gibt es schon seit über einem halben Jahrtausend“, fuhr Elke fort. „Nur wer unterwegs etwas Ungeplantes erlebt, kann anschließend darüber berichten. Nicht jede Person hat eine so überschäumende Phantasie wie seinerzeit der Autor Karl May. Reiseerinnerungen lassen sich nicht vorab organisieren, denn man muss selbst dabei gewesen sein. Die Unkontrollierbarkeit der Abwesenheit von daheim, mit all dem Unerwarteten, macht den Reiz des Verreisens aus.“

„Wenn wir anschließend wieder daheim sind, tippe ich meine neuen Reiseerinnerungen in unserem Äppel ein. Sobald ich damit fertig bin und genug Geschichten zusammengekommen sind, lasse ich ein neues Buch drucken, in dem dann auch meine Abenteuer aus dem Heiligen Land stehen.“

Meine Dosine überlegte einen Moment. Dann sagte sie lachend: „Travellers lie by authority (Reisende lügen aus Überzeugung). Schatz, so lautet ein altes englisches Sprichwort.“

*

„Fritzi, an unserem ersten Urlaubstag, bei der Abfahrt von daheim, haben wir immer eine ungefähre Vorstellung davon, was uns an dem von uns zuvor gebuchten Urlaubsziel erwarten wird. Sobald wir angekommen sind vergleichen wir sogleich, ob das was wir laut Katalog gebucht haben, tatsächlich mit dem übereinstimmt, was man uns vor Ort bietet.“

„So ist es, aber nicht immer stimmt es genau überein!“

„Heutzutage posten Reisende und Influencer bei Facebook und Instagram ihre mit Fotoshop bearbeiteten Bilder von sich und ihren Accessoires. Rank und schlank protzen die It-girls im Bikini am Pool oder mit Pucci-Trutschi-Schmuck behangen, den sie auf gebräunter faltenfreier Haut präsentieren. Außerdem prahlen sie mit den am Vorabend von ihnen besuchten Locations (5*plus-Hotelbars an Palmenhainen, Must-go-Nachtclubs der reichen und schönen Schickeria-Nichtstuer und an Bord von luxuriösen Yachten der Oligarchen) und mit sorgsam arrangierten Profi-Fotos ihrer angeblichen Gourmet-Mahlzeiten (Hummer, Kaviar, exotische Früchte und Champagner).

So definieren sie ihren Followern, wie ein wirklich gelungener Urlaub auszusehen hat, auch wenn alles nur ein grober Schwindel und Bluff ist.

Fritzi, kaum jemand gibt ehrlich zu, dass seine Urlaubsbutze in Wirklichkeit neben einer Großbaustelle liegt oder sich direkt an einer sechsspurigen Autobahn unweit des Airports befindet, es am Strand nur so von Unrat, toten Fischen und mit Fliegen übersäten Quallen wimmelt, sich am Hotelbuffet dominante russische Familien (mitsamt ihrem vielköpfigen Nachwuchs) rigoros vordrängeln, sie auf den Platten und in den Schüsseln ein Massaker der Verwüstung hinterlassen, und dass ihr Zimmer (ohne Klimaanlage und mit fehlendem Meerblick) direkt über der Hoteldisco liegt.“

„Dort will ich nicht hin“, miaute ich und fauchte. „Da bleibe ich lieber daheim bei dir im Hasenpfad (Name der Straße in der wir wohnen) oder begleite dich beim Pilgern zu frommen Orten.“

Home, sweet home

Neulich guckte ich im Fernsehen den Anfang einer Dokumentation, in der ein Archäologe berichtete, dass schon vor über 500-tausend Jahren kleine Gruppen einer Art Homo erectus in Hütten lebten, den Vorläufern der jetzigen Wohnungen. Später dienten Pfahlbauten als Behausungen, die auf hölzernen Stelzen errichtet wurden. Diese Art zu bauen schützte sie vor Hochwasser, Stürmen, wilden Tieren und feindlich gesinnten Zweifüßern.

Wenn ich mich richtig erinnere, baute man bis vor kurzem in der Lagune von Venedig auf diese Weise die allerprächtigsten Palazzi.

Eigene vier Wände mit einem Dach über dem Kopf gleichen einem schützenden Wall, in dem sich nicht nur Zweifüßer geborgen fühlen. Auch alle Schnurrbacken lieben es sich regelmäßig daheim zum Cocooning (im Kokon) zurückzuziehen und abwartend zu meditieren. Besonders gern tun wir das bei Regen, Hagel und Schnee.

Jede Person, die während der vergangenen Covid-Seuche ein privates Nest besaß, zog sich in ihr eigenes Heim zurück, in der Hoffnung, dass sowohl Krankheiten als auch alle anderen Probleme draußen vor der eigenen Türe bleiben würden.

Genauso wie Regen außen an den Fensterscheiben herunterrinnt, sollten (symbolisch gesehen) die Probleme innerhalb der Partnerschaft abperlen, außerdem Stress mit der buckligen Verwandtschaft, Erziehungs- und Schulstrapazen mit dem aufmüpfigen Nachwuchs, Streit mit den zänkischen Nachbarn, Auftragsmangel und daraus resultierende Job-Kündigungen, Geldknappheit mit seinen Folgen, Krieg und alle anderen negativen Nachrichten und Probleme.

Dies alles war – nicht nur für Zweifüßer – eine Abwärtsspirale ohne einen sichtbaren Ausweg oder ein voraussehbares Ende.

Der Großen Katzenfee sei gedankt, dass mein liebster Mensch und ich diese schwere Zeit gut überstanden haben, auch wenn wir dabei die eine oder andere Schramme und Blessur davontrugen.

Fritzi überlegt

Ich weiß nicht was ich falsch gemacht habe, dass mein Ruhm als umjubelte Nachwuchs-Bestsellerautorin bisher ausblieb. So richtig entdeckt und von der Mehrheit der inzwischen stark schrumpfenden Anzahl lesender Katzenfreunde (m/w/d) wurde ich bisher noch nicht wahrgenommen.

Obwohl ich versuche mir alles zu merken, was mir an mehr oder weniger interessanten Begebenheiten passiert, damit ich sie später einmal als neue Geschichte in unserem heimischen Äppel eintippen kann, scheine ich nicht immer den Geschmack meiner Leserschaft zu treffen. Mehr als einmal fragte ich mich nach dem Warum.

Des Rätsels Lösung habe ich bisher noch nicht gefunden.

Möglicherweise passiert in meinen Storys nicht genug Äktschen. Vielleicht sollte ich mehr über große Gefühle schreiben. Aber was sich des Öfteren zwischen zwei Partnern an miesen Gemeinheiten abspielt, darüber möchte ich nicht berichten. Das liegt mir nicht. Etwas über Horror oder Science-Fiction zu tippen mag ich auch nicht. Dazu bin ich einesteils zu ängstlich und andererseits fehlt mir dazu die Vorstellungskraft. Etwas über Sex & Crime zu Papier zu bringen wäre eine weitere Option. Aber mit dem Einen möchte ich nichts zu tun haben und mit dem Anderen nur dann, wenn ich rollig bin und meine Hormone Purzelbäume schlagen. Fakt ist, dass ich des Rätsels Lösung bisher (noch) nicht gefunden habe. Meine Geschichten sind ein Mix aus akribischen Vorbereitungen und Disziplin einerseits und aus spontanem Spaß am Erinnern und aus nocheinmal-durchleben-wollen andererseits. Ich sage mir immer: ‚Fritzi, notiere es jetzt und nicht erst in 10 Jahren, denn dann bist du vielleicht schon tot und möglicherweise ein Teil deiner Fans auch.‘

Wenn mir das Aufschreiben einer Story, die zuvor im richtigen Leben urkomisch und mächtig amüsant war, so gar nicht gelingen mag, denke ich: Dem Himmel sei gedankt für die Erfindung der Delete-Taste (Lösch-Knopf am PC).

Inzwischen erkannte ich, dass nicht immer alles so klappt, wie ich es gern hätte und wie ich es mir zuvor vorstellt habe. Allerdings drängte sich mir dabei die Einsicht auf, dass – wenn ich etwas beizeiten loslasse – ich anschließend wieder beide Pfötchen frei habe für neue Abenteuer. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen benötigte ich eine Weile.

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Wahr ist, dass ich einen überschaubaren Fanclub habe. Das sind Leserinnen und Leser, die treu zu mir halten und die mich mit Lob verwöhnen, wenn sie endlich ihr mit großer Geduld erwartetes neuestes Fritzi-Exemplar – nebst einer Widmung meiner Dosine und meinem eigenen Pfotigramm – in den Händen halten.

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Als ich noch jung war dauerte es ziemlich lange, bis es mir (trotz allerlei Widrigkeiten) gelang, meinen größten Herzenswunsch zu verwirklichen: mein erstes Buch zu schreiben und es anschließend zu veröffentlichen. Ich war damals sowohl froh als auch überglücklich, fühlte mich aber gleichzeitig innerlich leer und ausgehöhlt. Im wahrsten Sinne des Wortes war ich leergeschrieben, denn ich hatte alles was mir bis dahin passiert war und an das ich mich erinnerte, aufgeschrieben.

Meine Hoffnung, das Glück zu finden, sobald ich mein Ziel erreicht hatte, entpuppte sich als trügerische Illusion. Inmitten des äußerlichen Erfolgs fühlte ich mich zunehmend niedergeschlagen. Woher meine Stimmungsschwankungen und Tiefs kamen, konnte ich mir nicht erklären. Wenn ich nachts schlaflos im Bett lag, wälzte ich imaginäre Probleme und grübelte über berechtigte und kompetente Kritik nach. Manchmal verzerrten sich dabei meine Sorgen ins Gigantische. Dass ich dabei weit übers Ziel hinausschoss, war mir eigentlich klar, schließlich befand ich mich nicht in einem sich blitzschnell drehenden Kettenkarussell, das abzustürzen drohte, aber meine Gedankenachterbahn ließ sich nicht einfach abstellen.

An manchen Tagen war ich mental so erschöpft und ausgelaugt, dass ich wegen meiner depressiven Verstimmungen nicht aufstehen mochte und kaum aus dem Bett herauskam. Wenn ich darauf angesprochen wurde, erklärte ich meinen Zustand mit Hyäne mit Muräne, dem Kopf-Aua, das allmonatlich die meisten Frauen im gebärfähigen Alter befällt.

Wenn ich anschließend wieder klar denken konnte, fragte ich mich: ‚Fritzi, wo sind eigentlich all deine Energie, Ausgeglichenheit und Lebensfreude geblieben?‘ Eine Antwort wusste ich nicht. Meine Batterien schienen leer zu sein; gleichzeitig war ich ahnungslos, wie und wo ich meine Akkus wieder neu aufladen sollte. Vielleicht hatte es etwas mit den Hormonen zu tun; schließlich befand ich mich in einer mehr oder mindern gut funktionierenden Partnerschaft mit Rüdiger. Seine Welt war beneidenswert einfach.

Später wurden wir Eltern von vier entzückenden Kitten, denen ich folgende Namen gab: Murmelkopf, Klickerkopf, Leroy und Marlon. Durch den alltäglichen Stress mit unserem Nachwuchs (gepaart mit gelegentlicher häuslicher Gewalt) und allerlei anderer Widrigkeiten, verlor ich einen großen Teil meiner Souveränität. Äußerlich funktionierte ich nur noch.

Zusätzlich überlastete mich die Aufzucht meines teilweise hypermotorisch-überaktiv veranlagten Nachwuchses. Kurzfristig befürchtete ich sogar, dass die beiden Buben an ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit) litten, dem Zappelphilipp-Syndrom, so mobil waren sie und impulsiv. Die beiden Mädels waren ganz anders, eher verspielt, verträumt und schüchtern. Vielleicht hatten sie ADS. Das wurde aber nicht von Frau Doktor Grobiana diagnostiziert, unserer Hausärztin. Sie fand, meine Kinder wären gesund und mir überaus gut gelungen.

Nicht zu vergessen waren die mir fehlenden nächtlichen Streifzüge durch meinen Kiez, die früher einmal für meine seelisch-körperliche Ausgeglichenheit gesorgt hatten. Stattdessen lag ich stundenlang untätig herum, war deprimiert und machte mir Gedanken.

Außer Pflichten und Sorgen war mir nicht allzu viel Positives geblieben. Dafür gab es konkrete Auslöser: den Weggang meiner Kinder von daheim, Rüdis angegriffene Gesundheit und meine spätere Angst um seinen Verlust.

Trotz alledem gelang es mir alljährlich ein neues Buch auf den Markt zu bringen. Wenn ich im Schreib-flow war, war ich euphorisch gestimmt, wusste aber oft nicht, mit welcher Geschichte ich anfangen sollte.

So verzettelte ich mich manchmal.

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Niemand verstand mich und meine Probleme. Der eigentlich im Oberstübchen recht schlichte Rüdiger meinte in einer seiner wenigen hellen Stunden lapidar: ‚Fritzi, du darfst nicht versuchen etwas zu bekommen, was sich deiner Kontrolle entzieht. Sonst erreichst du nur eine Quelle von Frust und Trauer. Statt ständig zu jammern solltest du dich darauf konzentrieren, was dir das Leben an Gutem bietet, mich zum Beispiel; zur Not auch deinen quirligen Nachwuchs. Außerdem hast du ein Dach über dem Kopf. Du solltest auch nicht vergessen, dass dir unser Lieblingsmensch zweimal täglich ein volles Näpfchen mit leckerem Happa serviert.‘

‚Wer jammert denn hier?‘, entgegnete ich daraufhin unglücklich. ‚Ich doch nicht!‘

‚Fritzi, dein Glück findest du nur auf einem gemeinsamen Weg mit mir‘, sagte er eines Abends voller Inbrunst und Überzeugung. ‚Überrasche mich einmal damit, dass du spontan das machst, was ich dir vorschlage. Es nutzt deinem Wohlbefinden auch nichts, wenn du mich ständig verbessern und optimieren willst. Außerdem solltest du dich nicht mit mir überwerfen; schließlich bin ich dir in fast allem überlegen. Nur mit mir hast du die beruhigende Gewissheit, nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag allein durchs Leben tappern zu müssen.‘

Als wäre er in einer Klosterschule von buddhistischen Mönchen aufgezogen worden, fuhr er kurz darauf fort: ‚Du musst Geduld haben und deine ungefragten Gedanken aus einer gewissen Distanz heraus betrachten, ohne dass du dich mit ihnen identifizierst! Mache es so wie ich. Lege dich hin und schließe deine Augen. Dann denkst du an etwas Schönes und meditierst ein bisschen oder chillst ein Stündchen. Die Reihenfolge ist unwichtig. Das hilft bestimmt auch dir!‘

Meinem Partner schien es jedenfalls dienlich zu sein. Entspannt auf dem Rücken liegend lächelte er frei von jeglichen Sorgen. Ich sah es genau, bei beiden Pfötchen berührten sich seine leicht ausgefahrenen Krallen der Daumen- und Zeigefinger. Zufrieden mit sich und der Welt schnurrte er ziemlich laut: ‚Ommm‘, und immer wieder: ‚Ommm, Ommm.‘

Spontan kam ich zu der Erkenntnis, dass mein Partner zu dumm dazu war, unglücklich zu sein.

Glück im Unglück

„Jeder von uns hat ein unsichtbares Sorgenpäckchen mit sich herum zu tragen“, sagte meine Mama zu uns, als ich noch ein Kitten war und mein Bruder Attila bitterlich über etwas Unabänderliches weinte. „Wenn jedermann einmal seine Last abstreifen könnte, um es mit den Päckchen der anderen Katzen zu vergleichen oder gar um es zu tauschen, würden viele von uns rasch wieder nach ihrem eigenen Päckchen greifen und damit zufrieden sein, dass es nur so klein ist, verglichen mit den Sorgen der anderen“, meinte sie. „Seinem Schicksal kann man nicht entrinnen, aber seinen Problemen kann man sich stellen und sich um Lösungen bemühen.“

Meine Mutter heißt Viola und ist eine dreifarbige Glückskatze. Wie alle Mütter ist auch sie eine sehr kluge Person.

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Aus meiner großen Liebe zu Rüdiger, die – wenn es nach mir gegangen wäre – mein ganzes Leben lang hätte andauern können, wurde eine schmerzhafte On-off-Beziehung. Wir fetzten uns oft, schrien dabei beide Zeder und Mordio, trennten uns und kamen erneut wieder zusammen, denn wir wohnten in derselben Wohnung. Es war eine unendliche Geschichte mit immer dem gleichen Procedere.

Bei jeder Versöhnung gestand mir Rüdi überschwänglich seine niemals endende Liebe. Bezüglich seiner unbegründeten Eifersucht gelobte er Besserung. Er versprach mir unseren gemeinsamen Nachwuchs Leroy (den mit dem schwarzen Pelz) als seinen eigenen Sohn anzuerkennen, und ich war selig vor Glück.

Es dauerte nicht allzu lange bis es zum nächsten Streit kam, mit wieder den alten Vorwürfen. Erneut wollten wir uns trennen. Ich fühlte mich wertlos. Durch den ständigen krassen Wechsel, zwischen mich geliebt und angekommen fühlend und kurz darauf wegen angeblichem Ehebruch wieder fallengelassen zu werden, spielte meine Psyche irgendwann nicht mehr mit. Meine Stimmung kippte immer öfter zwischen euphorisch himmelhoch-jauchzend zu sein, wenn ich mich mit Rüdi verstand und wechselte dann ins Gegenteil, wenn er mich unbegründet der Untreue beschuldigte. Wenn es mir schlecht ging, weil Rüdi sich erneut hintergangen fühlte, war ich hilflos und verzweifelt einer Ohnmacht nahe. Ich war energielos und wie gelähmt. Zu einem Großteil lag es wohl an einer fehlgeleiteten Wenn-Dann-Glücksvorstellung, die ich seit meiner Kindheit verinnerlicht hatte. Was damals keiner erkannte, war, dass ich auf direktem Weg drohte in eine Depression zu driften. Die Situation änderte sich als mein Mann unheilbar an Diabetes erkrankte. Plötzlich war er nicht mehr eifersüchtig. Er wollte mich nicht mehr verlassen, sondern klammerte sich fest an mich und ich mich an ihn.

Ein halbes Jahr später wurde ich etwas, was ich zuvor noch nie gewesen war. Ich wurde Witwe.

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Inzwischen habe ich 11 Bücher veröffentlicht (mit dem, das du gerade in der Hand hältst) und tippe, je nach Lust und Laune, an den ersten Geschichten für meinen zwölften Roman. Beim Niederschreiben meiner selbst erlebten Storys finde ich manchmal auch Lösungen für bisher noch nicht erledigte kleine und große Probleme; jedenfalls gewinne ich gelegentlich dabei an Klarheit.

Beim Nachdenken kommen manchmal auch Dinge an die Oberfläche, die unterbewusst in mir schlummern, weil noch eine Rechnung offen ist. Mit einem Quäntchen Glück fällt mir dann eine Lösung ein, ein zeitnaher Ausweg oder eine Alternative.

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Wie jede andere Katze mag auch ich in meinem Alltag keine allzu großen Erneuerungen oder Veränderungen. Andererseits liebe ich Abenteuer, die ich nur dann erleben kann, wenn ich offen und angstfrei auf neue Situationen zugehe. In Bewegung bleiben (mit den Füßen und im Kopf), Pläne schmieden und neue Ziele aushecken, das macht mir Spaß. Durch intensive Kopfarbeit und am eigenen Körper durchgemachte Erfahrungen wurde mir klar, dass mir das Leben nur durch Veränderungen neue Möglichkeiten und Chancen bietet.

Der Märchenprinz kommt halt nicht auf seinem Rappen in den Hasenpfad 10 geritten, um mich aus meinem goldenen Gefängnis im ersten Stock zu erlösen. Dies zu erkennen war schmerzhaft und hat auch lange gedauert.

Trotz der schlechten Erfahrungen in meiner Kindheit, schließlich wurde ich von meiner Familie und meinen ersten Menschen bei ihrem Umzug im Garten zurückgelassen und musste anschließend ein langes halbes Jahr auf der Straße leben, entwickelte ich mich zu einer recht zufriedenen Kätzin. Das kam daher, weil ich mich mit meiner Vergangenheit auseinandergesetzt habe und mich dabei von allerlei gedanklichem Ballast befreite. Mir wurde klar, dass man im Nachhinein nichts mehr an der Vergangenheit ändern kann, sondern sie so akzeptieren muss, wie sie stattfand.

Wenn ich jetzt einmal traurig oder deprimiert bin (weil ich allein durchs Leben laufe, mir nichts zum Tippen einfällt oder ich bei meiner Dosine meinen Willen nicht durchsetzen konnte), dann denke ich: ‚Fritzi, nichts ist unendlich, alles geht vorbei. Nichts bleibt so wie es heute scheint. Morgen früh beginnt ein neuer Tag. Dann ist bestimmt alles wieder okay.‘

Darauf freue ich mich dann.

Warum Fritzi Spaß daran hat Romane zu schreiben

Du möchtest bestimmt wissen, warum ich vor einigen Jahren mit dem Schreiben meiner Bücher angefangen habe. Was sollte ich denn deiner Meinung nach sonst tun? In unserer Wohnung gibt es inzwischen weder Fliegen, Silberfischchen, Ameisen, Spinnen, Motten noch irgendwelche Käfer. Dafür habe ich gesorgt. Nur aus den Blattläusen, die an einigen unserer Balkonpflanzen hausen, mache ich mir nichts, denn sobald ich sie zwischen meinen Pfötchen zerdrücke, bekomme ich klebrige Fingerbeeren. Als reinliche Katze mag ich so etwas nicht. Außerdem schmeckt Läuseblut bitter.

Da ich seit geraumer Zeit in meinem Kiez nicht mehr auf die nächtliche Jagd nach Kleinwild gehen darf, blieb mir gar nichts anderes übrig, als mir ein neues Hobby zu suchen. Seitdem versuche ich andere Personen mit meinen Storys zu erreichen. Für mich ist es ebenso wichtig mit Meinesgleichen als auch mit Zweifüßern zu kommunizieren. Die Personen in meinen Geschichten liegen mir alle am Herzen. Sie sind sozusagen meine erweiterte Familie.

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Mit meinen Büchern will ich nicht nur unterhalten, sondern auch Hoffnungen schenken. Aus diesem Grund endet keiner meiner Romane schlecht. Auch wenn eine Geschichte derzeit nicht gut ausgehen mag, zeigt das nur, dass sie noch nicht zu Ende erzählt ist, sondern später noch fortgesetzt wird.

Meine Kraft ziehe ich aus dem Rückblick auf das, was in meinem Leben bisher alles passiert ist. Meine Bücher sind quasi eine Zusammenfassung von dem, was ich zuvor erlebt habe.

Wenn ich heute zurückblicke, ist alles okay gewesen, auch wenn es sich damals - im Moment des Schreckens - anders angefühlt hat. Manchmal erkannte ich erst eine lange Zeit später, dass sich ein vermeintliches Unglück doch noch zum Guten gewandelt hat.

Ich glaube nicht daran, dass alles im Leben eine Fügung des Universums ist und man nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss. Aber ich vertraue der Großen Katzenfee, die es gut mit mir meint und die mir die unerschütterliche Kraft dazu gibt zu hoffen, dass letztendlich alles gut werden wird.

Was in Fritzis Kopf vor sich geht

Ohne die Festplatte in meinem Hirn wäre ich nicht die Fritzi, die du kennst. Dort ist meine Identität gespeichert. Alles Wichtige was ich jemals erlebt habe, ist in meinem Kopf in klitzekleinen Kammern gesammelt. Dort bunkere ich meine Erinnerungen an die seltenen Augenblicke von gleißendem Glück und auch die von nicht enden wollender Trauer.

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Rückblickend sage ich, dass all die Dinge, die mir passiert sind und die mir angetan wurden, mich zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Sie machten mich auch empfindsam und empathisch für Diejenigen unter uns, die gerade ihre schwärzesten Augenblicke durchleben.

Leider konnte mich die Fern-Universität in Hagen nicht als Studierende aufnehmen, da sie den von mir angestrebten Studiengang nicht anbietet.

Trotz meiner zahlreichen Erfahrungen und vielen Interessen wurde mir nicht vergönnt, dass ich als ausgebildete Therapeutin meinen Leserinnen und Lesern bei der Lösung ihrer Probleme behilflich sein kann.

Deshalb beschränkt sich mein derzeitiger Wunsch darauf, all denjenigen Hoffnung zu schenken, die sie dringend brauchen. Weiterhin versuche ich mit meinen Geschichten ihr Herz zu berühren. Du kannst mir wirklich glauben, aus dem was ich bisher alles erlebt habe weiß ich, dass es immer einen Ausweg gibt; auch wenn man ihn gerade nicht sieht, weil er sich versteckt hat.

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Was mich an meinem Umfeld irritiert, ist das negative Wahrnehmen von psychischen Erkrankungen. Als meine Dosine nach ihrer zweiten Covid-19 Impfung kollabierte und sich bei dem Sturz den Knöchel brach, erhielt sie mehr Empathie und Mitleid als andere Personen, die beispielsweise an schweren Depressionen oder Angsterkrankungen leiden.

In einer Gesundheitssendung im Fernsehen erfuhr ich neulich von einer Spezialistin für Kopf-Krankheiten, dass der Auslöser einer seelischen Erkrankung oft (nur) ein durcheinander geratener Hirnstoffwechsel wäre. Die Professorin im weißen Kittel versicherte, entweder sei im Kopf zu viel von dem Botenstoff Dopamin vorhanden oder zu wenig von einem anderen, dessen Namen ich dummerweise vergessen habe. Das durcheinandergeratene Quantum dieser Stoffe herauszufinden und in der richtigen Dosis zu therapieren, wäre das Kunststück eines kompetenten Neurologen.

Was Fritzi über ihre Vorfahren bekannt ist

Neulich sagte meine Dosine am Telefon zu unserer Freundin Anja, sie wäre besonders von der Magie verzaubert, die von Katzen wie mir ausgeht.

‚Die tickt doch wohl nicht richtig‘, dachte ich sogleich entsetzt. ‚Jetzt vermutet meine Olle bestimmt, ich wäre Azubi in David Copperfields magischem Zirkel gewesen, dem größten Magier des vergangenen Jahrhunderts.‘

Nein, von Schwarzer Kunst habe ich keine Ahnung; bezaubern würde ich gerne, aber zaubern kann ich nicht und verzaubern noch viel weniger. Soviel ich weiß, ist oder war kein einziger Mensch bisher dazu in der Lage.

Als Jesus vor über zweitausend Jahren über den See Genezareth wandelte, ohne dass seine Füße dabei nass wurden, lagen dort bestimmt überall verborgene Trittsteine herum. Vermutlich hat man sie inzwischen weggeräumt, weil sie in der Zwischenzeit von Algen überwachsen und glitschig wurden. Oder sie verschwanden bei einem Seebeben. Also, nichts als ein überliefertes Märchen, eine alte Sage oder schlichtweg Hokuspokus!

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„In Deutschland lebt derzeit in fast der Hälfte aller Haushalte ein Haustier“, sagte neulich der Hundetrainer Martin Rütter in einer Sendung bei VOX. „Insgesamt sind es geschätzte 35 Millionen.“

Später erfuhr ich, dass mehr als 15 Millionen von ihnen Samtpfoten sind. Außerdem gibt es noch zahllose verwilderte Freigänger, um deren Anzahl sich niemand kümmert. Diese bedauernswerten Verwandten besitzen für ihre Grundsicherung kein eigenes Personal. Damit meine ich Zweifüßer, die ihnen zweimal am Tag ein gefülltes Tröglein mit gesundem und schmackhaftem Inhalt servieren. Ganz besonders traurig ist, dass die Wilden kein Dach über dem Kopf haben und keine eigenen weichen Bettchen zum Schlafen und Meditieren.

Außerdem bringt sie niemand alljährlich zu einer Prophylaxe-Behandlung zu Frau Doktor Grobiana, meiner Hausärztin. Deren Assistentinnen, die auf die aussagekräftigen Namen Resoluta und Brutala hören, halten mich dann immer mit geballten Kräften fest, während mich Grobiana mit dem Impfschwert ins dicke Bein piekst, damit ich nicht krank werde.

Katzen versus Hunde

Es entspricht der Wahrheit, dass Kätzinnen und Kater die allerbesten Freunde der Zweifüßer sind. Fälschlicherweise behauptete unlängst im Fernsehen ein Verhaltensforscher, es wären Caniden!

In der Beliebtheitsskala schaffen es Wolfsnachfahren nur auf den zweiten Platz. Das hat verschiedene Gründe, die für mich total logisch sind:

1. Wir Felidae kosten unseren Dosinen keine Steuern.

2. Wir müssen nicht mehrmals am Tag zum Gassi-gehen nach draußen begleitet werden, damit uns niemand klaut, während wir uns erleichtern. Im Gegensatz zu domestizierten Wölfen sind wir damit zufrieden, wenn uns unsere Sozialpartner im Hygienedepartement ein sauberes Klo anbieten, das wir bestimmungsgemäß und regelmäßig frequentieren.

3. Wir können uns daheim allein beschäftigen und brauchen keine Betreuung in einer KaTa (Katzen-Tagesstätte), in der wir uns aufhalten, während unser Personal an seinem Arbeitsplatz unser Kitzikatzi verdient.

4. Wir brauchen nicht regelmäßig von unseren Zweifüßern zu einem Hunde-Coiffeur kutschiert zu werden. Dabei handelt es sich um eine Person, die gezähmten Wölfen während ihres Fellwechsels die lockeren Haare auskämmt, die nachgewachsene Borsten trimmt und die Kläffer so lange badet und föhnt, bis sie nicht mehr allzu sehr stinken. Spezialisten der Branche vollziehen bei ihnen auch Kralleküre und drücken ihnen irgendwelche Analdrüsen aus. Vermutlich handelt es sich dabei um Akne oder Pickel am Po.

5. Wir benötigen keine teuren Halsbänder, Brustgeschirre und unterschiedlich lange Leinen.

6. Wir besuchen keine kostspielige Hundeschule, in der uns ein despotischer Trainer (wahrscheinlich ein ausgemusterter Schleifer der Bundeswehr-Grundausbildung) zu Gehorsamkeit abrichten will, nebst uns eine Art Verhaltenskodex einzutrichtern versucht, wie man mit seinem Personal und seinen tierischen Nachbarn in Zukunft umzugehen hat.

Zu den Schnurrbacken kommen noch gut 10 Millionen Hunde, 5 Millionen Kaninchen, Hamster, Nacktschwanzhörnchen (Ratten), Tanzmäuse und anderes Kleingetier. Nicht zu vergessen sind all die Bewohner von Aquarien und Terrarien.

Beschämend ist, dass jährlich in Deutschland 350.000 Tiere in Tierheimen landen, weil sie niemand mehr haben will. Das ist eine Schande!

Unsagbar tragisch ist das Schicksal der zahllosen Labortiere, die in ihrem kurzen qualvollen Leben alljährlich (nicht nur bei uns im Land) für die Wissenschaft als Test- und Versuchsobjekte verbraucht werden.

Zum Weinen ist die schreckliche Tatsache, dass unzählbar viele Haustiere jedes Jahr von ihren Besitzern vor deren Urlaub entsorgt werden.

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Findige Forscher fanden heraus, dass wir Hauskatzen alle genetisch von den nordafrikanischen Falbkatzen (Felis silvestris lybica) abstammen. Inzwischen gibt es etwa 40 verschiedene anerkannte Rassen, aber gewissenlose Züchter versuchen unermüdlich neue und kurios aussehende Katzen zu kreieren. Unlängst sah ich bei Facebook in einem Reel einen Wurf Kätzchen mit extrem kurzen Beinen, deren Rasse Munschkin genannt wird. Irgendwie irre finde ich, dass weit über 5-tausend FB-Nutzer (m/w/d) die durch Genfehler (Mutationen) und Inzucht entstandenen und beim Laufen stark gehandicapten Kitten als süß und entzückend bezeichneten.

In den Köpfen der Zweifüßer ist bestimmt eine Schraube locker!

Ob sich die Leute, die die Munchkin-Babys tausendfach mit herzigen Emojis bedacht haben, sich auch über das Aussehen ihrer eigenen Kinder amüsieren würden, wenn sie - statt mit gesunden langen Beinen – nur mit einer Art Laufwarzen geboren werden? Das bezweifele ich.

*

Obwohl wir Schmusebacken uns optisch nur recht wenig voneinander unterscheiden, sind wir doch kleine und ziemlich eigensinnige Raubtiere mit geheimnisvollen Fähigkeiten. Während der Evolution, die sich über mehrere Jahrtausende hinweg zog, veränderte sich unser Körperbau kaum. Wir sind noch immer schmusig und knuffig, schnurren viel und gern, sind manchmal ein bisschen wild und fauchen auch gelegentlich.

Aber so mögen uns unsere Sozialpartner.

Nur wenn wir daheim unsere Krallen an den Polstersofas und Weichholzschränken schärfen, schreit unser Personal sogleich, als würde es sich bei den ollen Gelsenkirchener-Gebrauchsgegenständen vom Flohmarkt und dem Sperrmüll um Antiquitäten aus der Zeit von Kaiser Frommhold dem Garstigen handeln.

Unsereins ist nicht stur, das ist üble Nachrede, wir Felidae sind alle mehr oder weniger intelligent und schlau. Ziemlich rasch begreifen wir die Prinzipien von Ursache und Wirkung. Natürlich kennen wir auch unseren Rufnamen und die Stimme unseres Lieblingsmenschen, der Person, die uns täglich unser Näpfchen mit Leckerlis kredenzt. Ganz besondere Aufmerksamkeit schenken wir dem melodischen Dingdong, der immer dann erklingt, wenn unsere Zweifüßer die Kühlschranktür öffnen.

Ein weiteres Merkmal für unsere Intelligenz ist, dass wir neugierig, wissbegierig und unternehmungslustig sind, auch wenn wir bei einem sogenannten Tiervermehrer (Züchter) in seinem Keller oder in seinem Stall geboren wurden.

Wir alle spielen gern, aber nur wenn wir es möchten.

Wie es Katzen in der Antike erging

Durch Unterhaltungen meiner Dosine mit ihren Freundinnen hörte ich, dass sie bereits mehrmals in Ägypten war. Das muss sich aber schon vor langer Zeit abgespielt haben, noch bevor ich bei ihr einzog. So erfuhr ich auch, dass Archäologen in Ägypten im sogenannten Tal der Könige auf zahlreiche Grabkammern stießen, die sie ausgruben. Diese unterirdischen Begräbnisstätten wurden bereits vor 7-tausend Jahren angelegt. Elke versicherte mir glaubhaft, dass auf einigen der kunstvoll bemalten Wände noch immer Katzenmotive zu sehen sind.

In der Antike legte man den verstorbenen Pharaonen und ihren Frauen, außer wertvollem Schmuck und prächtigem Goldgeschmeide, auch Statuen in Katzengestalt in ihre Särge, die man Sarkophage nennt. Die Figuren symbolisierten die Göttin Bastet, die als Vertreterin der Liebe und der Fruchtbarkeit vom ägyptischen Volk verehrt wurde. In den Gräbern fand man zusätzlich auch noch jede Menge kunstfertig in schmale Stoffstreifen gewickelte mumifizierte Katzen.

Offensichtlich wurden damals Schnurrbacken besonders wertgeschätzt, da sie den Bauern (durch ihre aktive Mitarbeit) ermöglichten, Vorratslager und Getreidekammern anzulegen. Es war eine Win-win-Situation für beide Seiten, denn die Katzen waren geschickte Schädlingsbekämpfer. Sie ernährten sich und ihren Nachwuchs, indem sie fleißig auf Mäuse- und Rattenjagd gingen. Gefangene machten sie keine. Zuerst spielten sie ein bisschen mit dem erlegten Kleinwild und wenn es müde wurde und nicht mehr mitspielen wollte, wurden die kleinen Leckerbissen verzehrt.

Später nahmen Seeleute einige Katzen mit an Bord. So schützten sie während der Überfahrt ihre Nahrungsmittelvorräte vor mitreisenden Nagern. In Europa angekommen, verkauften oder tauschten die Matrosen die arbeitsamen Nagerfänger. In ihrer neuen Heimat gefiel es den anpassungsfähigen Katzen gleich sehr gut. Um dies zu demonstrieren, vermehrten sie sich fleißig.

Was man Katzen im Mittelalter angetan hat

Dies änderte sich, als der Klerus von der Kanzel herab ausnahmslos alle Katzen verteufelte und sie als Dämonen des Teufels beschuldigte. Schon damals wütete in der katholischen Kirche der unverhohlene Frauenhass, der auch heute noch zu spüren ist. Für eine unbescholtene Frau reichte es seinerzeit bereits aus, wenn sie dabei beobachtet wurde, dass sie einer Katze Unterschlupf gewährte oder ihr etwas zu essen gab. Sobald ein missgünstiger Nachbar dies dem Pfaffen verriet, war ihr baldiges Ende eine beschlossene Sache. Bei seiner nächsten Predigt klagte er die Frau kurzerhand als Hexe an und beschuldigte sie, Tod und Verderben über den gesamten Ort zu bringen. Zur allgemeinen Volksbelustigung und zur Gaudi der blutrünstigen Bürgerschaft wurden die Frau und die Katze als Ketzerinnen auf einem Scheiterhaufen hingerichtet.

Für mich ist es schier unglaublich, dass 300 Jahre lang studierte und angeblich gebildete Päpste, Bischöfe, Kardinäle und Priester die Macht besaßen, von der Kanzel herunter die Unwahrheit zu predigen, nämlich dass die Pest durch Katzen verbreitet würde. Das war nicht nur gelogen, sondern hatte auch fatale Folgen für die ganze Menschheit.

Je weniger Katzen das Martyrium ihrer Verfolgung überlebten, desto zahlreicher vermehrten sich die Ratten. So kam es, dass in den ersten sechs Jahren nach dem Auftreten der Pest ein Drittel der Bewohner Europas an der damaligen Pandemie verstarb. Erst weitere 100 Jahre später fanden Forscher (Alexander Yersin, Robert Koch) heraus, dass die Seuche von infizierten Ratten und deren Flöhe durch Bisse übertragen und verbreitet wurde.

Was während und nach der letzten Pandemie mit unsereins geschah

Als vor wenigen Jahren die Covid-19 Seuche bei uns das Sozialleben förmlich einfror, boomte der Trend zum eigenen Haustier, denn während des Lockdowns mochte kaum jemand allein zu Hause sein. Das änderte sich rapide ins Gegenteil, als die Geschäfte, Büros und Schulen wieder öffnen durften und Urlaubsreisen erneut möglich waren. Da wurden die zuvor heißgeliebten neuen Familienmitglieder in die Tierheime retourniert, an der Autobahn an einem kurzen Strick am Mülleimer angebunden, im Internet als Schnäppchen angeboten, im Wald ausgesetzt oder anderweitig entsorgt.

Wie jeder weiß, der gelegentlich seinen Kopf nicht nur für seine Frisur benutzt, ist das Verhältnis von Menschen zu Tieren ambivalent und wechselvoll. Zweifüßer unterscheiden dabei in unterschiedliche Sparten: allerliebste pelzige oder fedrige Hausgenossen, Arbeitstiere, Luxus-Accessoires und Schlachtvieh.

Die menschliche Perspektive auf Tiere variiert beträchtlich. Viele Geschöpfe werden zuhause als Ersatz für ein Kind oder einen Partner gehalten. Von anderen werden ihre Haut (Schuhe, Handtaschen, Sitzbezüge) und ihr Fell (Pelzmantel) mit Stolz getragen. Viele Unglückliche sind chancenlos, denn man testet sie in Forschungslabors zu Tode (offiziell werden sie verbraucht!) und wieder andere werden als Frikadellen oder Sauerbraten verzehrt.

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Heute blicken meine Verwandten und ich auf eine lange und wechselvolle Beziehung zu unseren Sozialpartnern zurück, von der sowohl sie als auch wir profitieren. Wir Schnurrbacken lassen uns umsorgen und verhätscheln, aber nur wenn es uns in unseren Zeitplan passt.

Unbestritten ist, dass ich in der Dämmerung mindestens sechsmal besser sehe als meine Dosine, auch wenn sie ihre Brille auf der Nase trägt. Dabei weiten sich meine Pupillen so stark, dass sie kugelrund werden, je weniger Restlicht auf die Netzhaut fällt. Zusätzlich wird dabei das Licht reflektiert und auch verstärkt. Im Dunklen scheinen meine Augen wie zwei Kerzen am Christbaum zu leuchten.

Im Gegensatz zu mir verliert mein Lieblingsmensch im Dunklen sofort ihre optische Orientierung. Während sie dabei über jeden Grashalm stolpert, bin ich aufmerksam und spitze meine großen Ohren. Sobald ich einen vorbeihuschenden Nager wahrnehme, verdoppelt sich mein Herzschlag vor Aufregung. Ohne einen Mucks von mir zu geben, lege ich den ersten Gang ein, trete dann mein inneres Gaspedal durch, spurte los und schnappe mir den Leckerbissen.

Nachwachsendes Kleinwild nannte meine Mutter früher die schmackhaften mausgrauen Happen.

Ich kann nichts dafür, dass ich nicht nur schärfer sehen kann als meine Dosine, sondern auch Geräusche sehr viel differenzierter wahrnehme als sie.

Natürlich ist mein Olfaktus (Geruchssinn) auch besser ausgeprägt als ihrer. Wenn mein Lieblingsmensch eine Dose aus dem Küchenschrank nimmt und umständlich das Etikett entziffert, kann ich schon fast riechen, was sich darin befindet.

Du kannst es mir glauben, von mir könnte Elke noch sehr viel lernen. Sie müsste sich nur ein kleines bisschen mehr bemühen.

Der schöne Mingo

Bevor meine Dosine heute im Morgengrauen zum Flughafen aufgebrochen war, stellte sie mir in der Küche mein blaues Schüsselchen mit einer Portion Geflügelleber in Morchel-Rahm hin. Ich leckte die würzige Soße ab und den streng riechenden Rest ließ ich für später liegen. Anschließend schlenderte ich ins Arbeitszimmer hinüber, sprang auf den Schreibtisch und drückte mit meiner Nase auf den on/off-Knopf des Äppels, um mich in den sozialen Medien über Neuigkeiten zu informieren. In meinem Postkästchen fand ich eine noch nicht gelesene Mail. Vermutlich lag sie dort schon mehrere Tage. In letzter Zeit erhalte ich nur noch selten elektronische Post; stattdessen whatsAppe ich jetzt öfters. Die Nachricht stammte von einem mir nicht persönlich bekannten Kater, der ein Ganzkörperfoto von sich beigelegt hatte, das ich mir ausdruckte. Ich las:

Verehrte Fritzi! Bereits seit geraumer Zeit möchte ich mit Ihnen befreundet sein. Ich finde Sie toll und huldige Ihnen schon lange aus der Ferne! Mein Herz in beide Pfoten nehmend frage ich Sie jetzt: Ist dies möglich? Bitte stimmen Sie zu! Hochachtungsvoll Ihr glühender Verehrer aus Eßbach Mingo

Rasch tippte ich meine Antwort. Sie lautete: „Lieber Mingo, ja, ich möchte gern deine Freundin sein!“ Jetzt warte ich gespannt darauf, ob sich mein Thüringer Fan erneut bei mir melden wird. Ich werde berichten. Versprochen!

Elkes neues Smartphone

Nach unserem oft gemeinsam eingenommenen Nachtmahl legen sich mein liebster Mensch und ich meistens auf das Sofa im Wohnzimmer und freuen uns auf das Abendprogramm im Fernsehen. Bis das beginnt schmusen wir miteinander. Dabei streichelt und liebkost meine Dosine mich und ich drücke mich so fest an sie wie ich kann. Vor lauter Liebe sabbere ich manchmal dabei ein bisschen, aber nicht absichtlich. Zwischendurch versichern wir uns gegenseitig, dass wir uns unheimlich gern mögen und auch liebhaben. Schon mehrmals kam es dabei vor, dass sich Elke so in meinem Pelz festkrallte, als würde sie mir bei lebendigem Leibe das Fell über die Ohren ziehen wollen. Alarmiert denke ich dann jedes Mal: Morgen melde ich dich bei Tinder an!

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Unlängst kam meine Dosine vom Einkaufen mit einem neuen Handy zurück. Beim anschließenden Telefonieren mit unserer Freundin Gabi hörte ich, dass es ein Sonderangebot der Firma Saturn war. Später fand ich heraus, dass das brandneue Teil beim Kauf zwar noch originalverpackt war, aber bereits veraltet, denn inzwischen gab es schon mehrere neue Modelle von Samsung.