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Nachdem Fritzi Kullerkopfs Lebensgefährte Rüdiger spurlos aus ihrem Leben verschwand, hat die Protagonistin einen Gefühlsüberschuss an unausgelebter Sehnsucht nach einem neuen vierbeinigen Partner. Die in Fritzis Hirn aus der Balance geratenen Neurotransmitter jagen heftige Impulse durch ihre Nervenbahnen und lassen sie mit allen 18 Krallen in den Pfoten scharren, so ungeduldig ist sie, ihren gegenwärtigen Zustand zu verändern. Manchmal gelingt es ihr, von daheim zu entwischen. Dann prasseln von allen Seiten Sinneseindrücke auf sie ein und richten sowohl in ihrem Kopf, als auch in ihrem Herzen, ein Chaos an. Wenn Fritzi anschließend wieder daheim bei ihrer Dosine ist, transformiert sie das Gesehene, Geschehene und Erlebte in eine literarische Form. Mit präziser Treffgenauigkeit, ihrer geschärften Wahrnehmung und ihrem guten Gedächtnis beschreibt sie, was ihr widerfahren ist. Ihr Chirurgenbesteck zur Sprachsezierung ist allzeit poliert. In ereignislosen Phasen, in denen Fritzi für viele Stunden allein ist und nicht vor die Tür darf, werden für sie die Tage trübe und unansehnlich wie Milchglas. Wenn sie dann ihren Gedanken nachhängt, da in ihrem Leben anscheinend nichts Aufregendes und Interessantes passiert, dann, so wünscht sie sich, möge ihr die große Katzenfee aus medizinisch-therapeutischen Gründen ein halbes Dutzend verspielte Bio-Mäuse in die Pfoten drücken. Lassen Sie sich von den vielen amüsanten und tragischen, die Herzen berührenden Geschichten, die Fritzi Kullerkopf in ihrem neuen Roman erzählt, fesseln und verzaubern!
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Seitenzahl: 582
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für Anna Jasperneite
Teil I
Die Katze, die auf dem Dachboden vergessene Schätze findet
Fritzi verbringt eine Nacht auf dem Speicher
Erinnerungen an ein grünes Halsband oder High Noon
Sind Trüffel aus dem Périgord vegan oder tierischen Ursprungs?
Das kurze Leben des Schmutz-Teufels
Das unrühmliche Ende des Dampfreinigers
Fritzi wird Zeugin bei einem Überfall in einer Bank
Fritzi findet Johannas Wanderstiefel und erinnert sich
Elkes schreckliche Geburtstagsüberraschung in der Alten Oper
Fritzi kommt ins Grübeln
Ein Schelm, der Böses dabei denkt
Fritzi und Elke fahren nach Stuttgart
Das lang ersehnte Wiedersehen mit Klickerkopf und Murmelkopf
Mit Trixi, Bärbel und Manfred in der Wilhelma
Leander, genannt Susi
Nachts, daheim bei Trixi
Felix und sein Referat
Fritzi, Elke und die Schwäne
Herr Dingelskirchen-Bodenstein und die Reise zu den Maskarenen
Fritzi möchte mit Pokémon GO auf Monsterjagd gehen
Fritzi bekommt Besuch
Max und Moritz
Die Ananas-Killer aus dem Hasenpfad
Die Schweinchen sorgen für einen Technik-Totalausfall
Ein prickelndes Vergnügen oder Unterwegs mit Garnet
Franky findet einen Schrumpfkopf
Franky und der fliegende Buddha
Teil II
Die Katze, die eine Audienz bei Kaiserin Sisi bekommen möchte
Wie es kam, dass Fritzi mit nach Wien fuhr
Vor den Ferien
Wien, ich komme!
Im Star Inn Hotel am Hauptbahnhof
Auf der braunen Donau
Im Aussichtsrestaurant des Donauturms
Mit Walter durch die Altstadt
Im Stephansdom
Fritzi besucht das Burgtheater und sieht König Lear
Beim Training der Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule
In der Silberkammer
Auf Kaiserin Sisis Spuren
Zu Besuch im Café Neko
Fritzi besichtigt den Schlossgarten Belvedere
Im Art Brut-Museum von Maria Gugging
Fritzi und Elke besuchen das Ernst Fuchs Museum
Im Schloss Schönbrunn
Fritzi besucht das Burgtheater und sieht Der Diener zweier Herren
Fritzi besichtigt in der Secession den Beethovenfries
Auf dem Naschmarkt
Mit Walter auf dem Zentralfriedhof
Beim Heurigen auf dem Kahlenberg
Das Otto-Wagner-Spital und die Kirche zum Heiligen Leopold
Der vergebliche Versuch, das Sigmund Freud Museum zu besichtigen
Fritzi und Elke fahren in den Prater
Die Heimfahrt oder Der schöne Max
Fritzi macht sich Gedanken über das Verreisen
Wenn die große Katzenfee Fritzi nach ihren Wünschen fragen würde
Was sich Fritzi
nicht
ausdrücklich wünscht
Teil III
Die Katze, die nach Kreta eingeladen wird
Marlis möchte wissen, was Elke im Unterricht erlebt
Heute am Flughafen
Elke geht zum Arzt
Sanierungsarbeiten bei den Nachbarn
Fritzi läuft von daheim weg
Im Grethenweg, hinter der Balustrade einer Hotelterrasse
Sir Henry von der Schimmersheide
Henry erzählt aus seinem Leben
Henry berichtet über seine zahlreichen Mitbewohner
Im Tatz-In in Aptera
Fritzi gewinnt Henrys Freundschaft und verliert sie kurz darauf
Fritzi hilft beim Kuchenbacken
Post von Anna aus Kreta
Fritzi und Elke kaufen einen Fahrschein
Waldschrat taucht wieder aus der Versenkung auf
Hummel Hummel, mors mors
Mit David auf der Reeperbahn
Fritzi, Elke und Sari besuchen eine Kunstausstellung
Eine Hafenrundfahrt, die ist lustig
Das
Elbe
vom Ei
Joachim geht mit Fritzi und Elke auf den Fischmarkt
Im Miniatur Wunderland
Der verhinderte Besuch im St. Pauli-Musical
Im Tierpark Hagenbeck
Die Heimfahrt
Fritzi träumt von Franky, der Drohne und der Taube
Das Käsetörtchen oder Mucki … verzweifelt gesucht
Nachwort
Du wirst es kaum glauben, was mir jetzt schon wieder passiert ist! Empörend und unerhört sind die Fakten, die du gleich lesen wirst, aber sie entsprechen der reinen Wahrheit, genau so wie allabends die Nachrichten in der Tagesschau!
Meine zerstreute Dosine, abwechselnd von mir auch liebster Mensch, Perle, Chefin, Sherpa, Hygienestation-Reinigungsfee, Dosilla oder Elke genannt, vergaß mich gestern nämlich am späten Nachmittag auf dem Speicher. Dies wurde ihr aber erst viele Stunden später bewusst, als sie, wie so oft mitten in der Nacht, mit trockenem Mund, steifem Hals und schmerzenden Gliedern im Wohnzimmer auf dem Sofa aus dem Tiefschlaf hochschreckte und ich nicht wie immer neben ihr lag. Stöhnend rappelte sie sich auf, schaltete die Glotze aus und schlurfte, ihre juckenden Augen reibend, durch den Flur in Richtung unseres Schlafzimmers, um dort in dem großen Bett ihren jäh unterbrochenen Nachtschlaf fortzusetzen. Zuvor machte sie noch einen Abstecher in die Küche, um ihre ausgetrocknete Mundschleimhaut mit einem Schluck Wasser zu befeuchten. Bei der Gelegenheit fiel ihr auf, dass mein Tröglein mit meinem Nachtmahl noch unberührt auf den Kacheln stand. Endlich dämmerte es ihr, dass zwischenzeitlich etwas gravierend Falsches passiert war. Ihr fiel sozusagen wie Schuppen von den Augen, dass ich mich derzeit nicht in unserer Wohnung befand. Endlich vermisste sie mich!
*
Solltest du bereits eines oder mehrere meiner anderen Bücher gelesen haben, dann erinnerst du dich sicher daran, dass ich ohne fremde Hilfe Türen aufmachen kann. Selbst ist die clevere Katze, ist einer meiner Wahlsprüche. Hilf dir selbst, dann zeigt dir die große Katzenfee einen Ausweg aus deinem Dilemma, ein anderer.
Schließlich bin ich keine fragile Prinzessin, die von einem Prinzen gerettet werden muss; nein, ich bin eine Königin, die den Mist selbst hinkriegt!
Anstatt zu lamentieren und endlos lange oder vielleicht gar vergeblich auf menschliche Hilfe zu hoffen, die mich aus meinem Gefängnis auf dem Dachboden befreit, agiere ich lieber selbst. Im gestrigen Fall fixierte ich einen Moment lang die Tür zum Treppenhaus. Dann sprang ich, ohne auch nur einen Schritt Anlauf zu nehmen, mit Schmackes auf die Klinke und hielt mich an ihr fest. Im Gegensatz zu Zweifüßern kann ich mich problemlos durch reine Willensanstrengung und Anspannung meiner Muskeln und Sehnen und ohne Zuhilfenahme eines Trampolins ein Mehrfaches meiner Körperlänge in die Luft katapultieren. Am Türgriff angekommen, hielt ich mich, wie Kinder beim Turnen in der Schule an einem Reck, mit meinen Pfötchen fest. Dann spannte ich die Bizeps- und Trizeps-Muskeln beider Oberarme an, machte winzige Klimmzüge und ruckelte dabei ein wenig mit den Tatzen hin und her, immer abwechselnd, links, rechts, links. Gleichzeitig verlagerte ich mein Körpergewicht ans äußere Ende der Klinke in Richtung der Türblattmitte. Um mehr Halt zu bekommen, strampelte ich gleichzeitig mit den Füßen und stützte mich dort ab. Nichts passierte. Die Tür blieb zu. Irgendwann ermüdeten meine Muskeln. Ich rutschte von dem Griff herunter und plumpste in Richtung Erdmittelpunkt. Normalerweise springt die Tür zeitgleich und wie von Geisterhand mit einem leisen Plopp auf, sobald ich mit allen vier Pfoten wieder den Boden berühre. Aber nicht so gestern. Die Türe blieb zu, denn meine dösige Dosilla hatte das Türschloss, als sie den Dachboden verließ, mit dem Speicherschlüssel von außen abgesperrt.
*
Damit ich nicht ständig alle Türen selbst aufmachen muss, ließ meine Perle bei einer zurückliegenden Renovierung drei Zimmertüren innerhalb unserer Wohnung aushängen und in unser Kämmerchen auf den Dachboden tragen. Jetzt steht in unserer Wohnung nur noch die Türe zum Schlafzimmer auf. In unserem Hygienedepartment, einem rundum weiß gekachelten kleinen Zimmer, fanden unter dem Waschbecken meine Toiletten mit der meist sauberen Einstreu ihren Platz. Damit ich meine Klos allzeit frequentieren kann und beim eigenmächtigen Öffnen der Tür nicht unabsichtlich deren Lackfarbe mit meinen Finger- und Fußnägeln zerkratze, ließ mein liebster Mensch vom Schreiner unten einen kleinen viereckigen Katzendurchschlupf sägen. Seitdem kann ich jederzeit ungestört auf die Toilette gehen, ohne Leibesertüchtigungen nach Turnvater Jahn machen zu müssen.
*
Offensichtlich saß mein liebster Mensch, wie fast an jedem anderen Abend, an dem sie nicht am Flughafen ist und arbeitet, auch gestern wieder mit geschlossenen Augen vor der laufenden Glotze und zersägte dabei den Frankfurter Stadtwald in handliche Frühstücksbrettchen.
Ich schätze, sie schaltete bei ihrer Heimarbeit ihre Ohren ab oder zog den betreffenden Stecker heraus. Vielleicht waren aber auch die integrierten und aufladbaren Hör-Akkus in ihrem Gehirnkasten leer.
Jedenfalls miaute ich mir in der Zwischenzeit, hinter der abgeschlossenen Dachbodentüre und drei Stockwerke über unserer Wohnung, schier die Seele aus dem Leib. Mein Hals wurde von der erfolglosen Ruferei ganz rau. Nach einer Weile konnte ich nur noch heiser krächzen. Meine Stimme klang fast so wie die von Joe Cocker, dem Sänger; so laut und so lange rief ich erfolglos um Hilfe.
*
Fast immer chillen meine Perle und ich zusammen. Nicht, dass mich ihre Schlafgeräusche dabei irritieren würden. Ganz im Gegenteil, sie ermuntern mich, es ihr gleichzutun, genüsslich ein wenig die Augen zu schließen, die Ereignisse der vergangenen Stunden noch einmal an der Innenseite der Oberlider Revue passieren zu lassen und dann in das Stadium der Meditation hinüberzugleiten. Im Gegensatz zu ihr schnurre ich, so viel mir bekannt ist, ausschließlich, wenn ich wach bin. Dabei entstehen einige Dezibel weniger Lärm als bei ihr. Außerdem tue ich dies viel melodiöser und zumeist nur, wenn ich entspannt bin und mich pudelwohl fühle.
Im Schlaf zucken mir zwar gelegentlich die Pfötchen und ich flüstere ganz leise dabei Mimimimi. Dicke Baumstämme wie meine Dosine säge ich aber nicht durch. Da bin mir ganz sicher, denn von dem Krach und Heidenlärm würde ich ganz sicher aufwachen.
*
Für die, die mich noch nicht kennen, will ich nur schnell hier einfügen, dass ich bereits mehrere Jahre bei meinem liebsten Menschen, der Elke, wohne. Nachdem ich anfangs eine glückliche Zeit bei meiner Mama und meinen Geschwistern verlebt hatte, zogen eines Tages meine damaligen Menschen aus ihrem Haus aus. Sie nahmen meine Verwandten in zwei mobilen Reisezellen mit. Mich ließen sie einfach im Garten sitzen, unter den Blättern einer weit ausladenden Pfingstrose. Zuvor hatte ich dort allein gespielt und mich dann versteckt. Ich unterstelle meinem ehemaligen Personal nicht, dass sie mich absichtlich zurückließen, sondern höchstwahrscheinlich nur aus Versehen. Anscheinend zählten sie nicht durch, und so fanden sie nicht heraus, dass ich fehlte. Zum ersten Mal in meinem Leben erschien mir in der darauf folgenden Nacht im Traum die große Katzenfee, die mich aufforderte, von jetzt an mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
‚Hihi, was für ein komisches Bild’, dachte ich anfangs. ‚Wie soll ich mein zukünftiges Leben in meine eigene kleine Pfote legen?’, aber es klappte irgendwie.
Aus dem Stadium eines Katzenbabys heraus, das von seiner Mama abhängig war und von ihr noch weiterhin erzogen, geprägt und angeleitet werden musste, war ich auf einmal ein selbstständiger Teenager geworden, der um sein tägliches Überleben kämpfte. Irgendwie war mir über Nacht meine eigene Kindheit abhanden gekommen. Entweder hatte sie nicht stattgefunden, oder ich erinnerte mich nicht mehr an sie.
Partielle Amnesie heißt es in den lehrreichen Gesundheitssendungen in der Glotze, die Elke mit Vorliebe guckt, bei einem so merkwürdigen Syndrom wie dem, von dem ich befallen wurde. Nein, direkt darunter leiden tue ich nicht; genauso wenig wie die vielen Leute, denen meine Dosine mit ihrer pathologischen Hilfsbereitschaft mit Rat und Tat zur Seite steht und die sie in derselben Minute vergessen und ad acta (lateinisch: zu den Akten) legen, sobald sie ihren moralischen Beistand und ihre pekuniäre Unterstützung nicht mehr benötigen. Aber das ist eine andere Geschichte, und die gehört nicht hierher.
Um eine lange Story kurz zu machen, sei hier nur so viel gesagt: Als ich schon bei Elke und deren Kater Rüdiger eingezogen war, traf ich eines Tages, höchstwahrscheinlich durch die Vermittlung der großen Katzenfee, meine Mama und zwei meiner damals noch nicht verheirateten Geschwister wieder. Diese Geschichte ist gleichzeitig das Happy End meines ersten Buches.
Anfangs mochte mich Elkes Mitbewohner Rüdiger nicht besonders gut leiden. Ehrlich gesagt, er schikanierte und mobbte mich und nahm mir auch oft mein Essen weg. Außerdem mochte er nicht, dass ich bei ihm und unserer Dosine im Bett schlief. Erst ganz langsam begriff Rüdi, dass ich ihn nicht vertreiben wollte und sein Neid und seine Eifersucht unbegründet waren. Von da an begann er mich zu mögen, jeden Tag ein kleines bisschen mehr. Irgendwann liebte er mich so sehr wie bis zum heutigen Zeitpunkt kein anderer Kater. Problematisch wurde es in unserem Eheleben, als ich meine Kinder Murmelkopf, Klickerkopf, Marlon und Leroy bekam. Rüdiger fühlte sich nicht nur von mir vernachlässigt, er bezweifelte auch, dass er der Erzeuger unseres Nachwuchses war. So ein Quatsch, denn drei unserer Kinder sahen aus wie wir, nur Leroy hatte die angeblich falsche Haarfarbe, nämlich rabenschwarz. Aber auch dafür gibt es sicher eine logische Erklärung, wenn wir nur etwas mehr Genealogie betrieben hätten. Mit der Ahnenforschung war es aber bei uns recht schwierig, denn weder mein Partner noch ich hatten unsere Väter jemals gesehen. So besaßen wir auch keine Ahnentafel; weder Stammbaum noch Pedigree.
Als später mein Rüdiger krank wurde und nicht wieder aus Frau Doktor Grobianas Tierspital zurückkam, nahm mein Leben eine Wendung, aber das musst du selbst in meinen anderen Büchern nachlesen. Dafür ist hier nicht genug Platz.
*
Als gestern mein liebster Mensch von der Arbeit nach Hause kam, fragte sie mich gleich: „Fritzi-Schatz, willst du mit auf den Dachboden gehen? Magst du nachgucken, ob sich dort inzwischen Tauben, Nager oder Fledermäuse angesiedelt und eingenistet haben?“
Eigentlich ist es unwichtig, hier zu erwähnen, dass eine so unintelligent formulierte Frage nach dem eventuell unberechtigten Aufenthalt von Kleinwild auf unserem Grundbesitz jedes kleine Raubtier wie mich bis aufs Blut reizt, dies umgehend vor Ort auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.
„Flattermänner, Haus- und Flugmäuse? Bei uns auf dem Speicher?“, miaute ich entsetzt und riss ungläubig meine Augenlider bis zum Anschlag auf. „Das kann ich mir nicht vorstellen! So rotzfrech und todesmutig kann doch niemand sein. Chefin, lass uns das umgehend checken und nachprüfen!“
Als meine Dosine daraufhin nach ihrem Schlüsselbund griff und sich bückte, um mich hochzuheben, miaute ich rasch: „Lass das. Laufen kann ich selbst! Treppensteigen ist gut gegen Ermüdungserscheinungen der Beckenbodenmuskulatur, wirkt Orangenhaut an den Schenkeln und Oberarmen entgegen und festigt die rückwärtigen Faszien.“
Was immer das sein mag, war mir nicht ganz klar. Aber ich erinnere mich genau daran, dass unlängst in der Glotze, in einer Gesundheitssendung, eine streng blickende Frau im weißen Kittel dies gesagt hatte. Sicher wirst du mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass regelmäßiges abendliches Fernsehen bildet, zum Nachdenken anregt und so der Verdummung entgegenwirkt. Aber leider schlafe ich schon oft ein, bevor es richtig interessant oder spannend wird. Daran muss ich zukünftig noch arbeiten.
Ich guckte meine Perle misstrauisch an. „Du willst doch nicht etwa auf den Speicher gehen, um meine Transportzelle zu holen?“ Wie Lots Weib, in der Bibel zu einer Salzsäule erstarrt, blieb ich auf der ersten Treppenstufe stehen. „Soll ich etwa schon wieder geimpft werden? Ich war doch erst kurz vor unserem letzten Urlaub bei Frau Doktor Grobiana.“
Meine Hausärztin beschäftigt die beiden Gehilfinnen Resoluta und Brutala. Diese Frauen könnten als Ringerinnen bei den Olympischen Spielen ihr Geld verdienen. Beide haben einen Griff wie Schraubzwingen. Aus ihren Händen gibt es kein Entrinnen, so sehr ich mich auch immer versuche zu winden. Wehren ist zwecklos.
„Nee, nee, Fritzi, kein Stress! Wir fahren nicht schon wieder weg. Ich will nur die Balkonstühle und den Sonnenschirm vom Speicher holen. Bei der Gelegenheit kann ich auch gleich noch die Auflagen und Kissen mit runter in die Wohnung nehmen, um sie zu waschen. Laut Kalender fängt nächste Woche der Frühling an.“
Zusammen gingen wir auf den großen Dachboden, auf dem uns ein mit Latten abgeteiltes Kabuff gehört. Auch zu den anderen sieben Wohnungen unseres Hauses gehört je eine meist vollgestellte Kemenate.
‚Sollte ich die Chance haben, dann unterziehe ich heute jede dieser Räumlichkeiten einer genauen Investigation’, dachte ich als jugendliche deutsche Reinkarnation von Miss Marple. ‚Wer weiß, wann sich wieder einmal eine Möglichkeit dazu bietet.’ Ein weiterer Wahlspruch von mir lautet Carpe diem, nutze den Tag!
*
Nein, ich bin nicht wirklich neugierig, nur wissbegierig. Eine Voyeurin bin ich auch nicht, die durch das Schlüsselloch anderer Leute guckt, um deren schlüpfrige Geheimnisse zu ergründen. Das habe ich nicht nötig. Ich erfahre eh alles, nur nicht immer sofort, sondern manchmal zeitlich ein wenig verzögert. Gelegentlich dauert es eine Weile, bis sich Neuigkeiten zu mir herumsprechen, aber egal.
Seit meiner Kindheit bin ich wissensdurstig und wachsam. An mir ist eine Forscherin verloren gegangen oder zumindest eine Detektivin. Den Beruf einer Kriminalkommissarin finde ich spannend. Deshalb gucken meine Dosine und ich in der Glotze besonders gern Krimis, in denen Frauen ermitteln. Immer sind ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt, denn sie fangen die Verbrecher in nur wenig länger als einer Stunde. Noch nie sah ich einen Film, der zu Ende ging, bevor die Kommissarinnen Ellen Lucas, Winnie Heller, Henriette Frey, Marie Brandt, Dr. Eva-Maria Prohacek, Anna Springer, Bella Block, Charlotte Lindholm und Lena Odenthal die Bösewichte verhafteten.
Ich finde, nur wenn man investigativ ein beliebiges Ding genau unter die Lupe nimmt und in seine interessanten Bestandteile auseinandergenommen hat, weiß man sicher, was es alles enthält. Bei dieser Gelegenheit erklären sich meist auch die Funktionen. „Versuch macht klug“, sagte früher meine schlaue Mama immer zu uns Kindern und ermunterte uns, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Nein, richtig kaputt mache ich eigentlich nichts. Schließlich hat meine Dosine genug Zeit und kann die Einzelteile anschließend wieder zusammensetzen oder mit Pattex-Alleskleber und Ponal-Holzleim kleben, sollte ihr Herz wie eine Klette an diesem bestimmten Stück hängen. Aber manchmal holt sie auch gleich den Besen und das Kehrblech aus dem Schrank. Dann schmeißt sie die Teile, nachdem ich sie zuvor sorgsam auseinandergefriemelt, in seine Einzelteile zerlegt und sie akribisch erforscht habe, einfach in den Müll.
Gelegentlich holt sie allerdings auch eine Tube mit Alleskleber. Dann setzt sie sich hin und stöhnt ein bisschen. Wahrscheinlich will sie Aufmerksamkeit erhaschen oder bei mir ein schlechtes Gewissen erzeugen. Dabei greift sie sich theatralisch an die Stirn, als würde ihr dort ein Horn wachsen. Vielleicht hat sie auch nur ein Kopf-Aua von den Lösungsmitteln, die dem Kleber entströmen.
Manchmal stößt sie auch böse Verwünschungen aus. Fakt ist, sie macht sich dann daran, die Einzelteile wie ein 3D-Puzzle wieder zusammenzufügen, von innen nach außen. Dabei gucke ich ihr dann zu, stoppe die Zeit, die sie nutzlos vergeudet und kommentiere, wie ungeschickt sie sich wieder anstellt.
„Besitz belastet“, sagte ich schon öfters zu ihr. Dabei beginne ich immer laut und beruhigend zu schnurren, speziell, wenn sie beginnt, sich wieder künstlich aufzuregen. „Liebe Elke, glaube mir, es lebt sich leichter ohne all den unnötigen Ballast!“ Manchmal schnauft sie dann wie unser elektrischer Wasserkessel, kurz bevor er sich von selbst ausschaltet. Bereits mehrmals nähte sie auch die von mir mühsam aufgetrennte lange Seitennaht unseres alten blauen Sessels wieder mit doppeltem Zwirn und winzigen Stichen zusammen. Zuvor steckte sie auch die Polsterwatte zurück in die von mir gegrabene Höhlung.
„Chefin, lass das doch bitte sein!“, kommentiere ich jedes Mal ärgerlich ihr unnützes Tun. „Elke, es kostet mich wieder viele Stunden Lebenszeit, bis ich die Naht erneut aufgetrennt habe. Dosilla, ich vermute, dass sich auch in unserem Ohrensessel ein glitzerndes Teil befindet. So ein Brilli-Ring, ähnlich dem, den ich vor Jahren im Sessel von Andrea fand. Sollte ich noch einmal fündig werden, schenke ich dir das Teil zum Muttertag!“
Höchstwahrscheinlich ist dein Gedächtnis besser als das meiner Perle, die offensichtlich vergessen hat, dass ich als Schatzgräberin bereits einmal erfolgreich war. Das war vor einigen Jahren, als wir bei Martin und Andrea, meinen früheren Menschen, eingeladen waren. In meinem ersten Buch berichte ich über meine erfolgreiche Schatzsuche und den glitzernden Fund. Dort kannst du die wahre Geschichte nachlesen, solltest du sie noch nicht kennen oder sie vergessen haben.
*
Für mich ergibt sich nicht jeden Tag die Möglichkeit, auf den Speicher zu gehen und dort ein bisschen zu stöbern. Ich finde es höchst interessant und auch mächtig spannend, herauszufinden, was nicht nur mein liebster Mensch, sondern auch unsere Nachbarn so alles horten. Vermutlich heben sie hinter den Verschlägen, für einen Zeitpunkt irgendwann später in ihrem Leben, Sachen auf, die sie derzeit nicht brauchen, die für die Mülltonne oder den Sperrmüll aber viel zu schade sind.
Sollten ihnen Jahre danach die inzwischen längst vergessenen Teile bei einer Suche nach etwas ganz anderem wieder in die Hände fallen, dann benötigen sie die Schätze von früher möglicherweise noch viel weniger als heutzutage.
Ich kann mir vorstellen, dass sich eines Tages ihre Erben naserümpfend über den verstaubten Plunder wundern werden, sie ungläubig ihren Kopf schütteln und die beauftragte Profi-Entrümpelungs-Crew gut zu tun hat. Sicher werden diese Personen nicht alles unbesehen in den großen Container werfen. Sie fischen den einen oder anderen Fund aus dem Krempel heraus und legen das gefundene Kuriosum, die kitschige Scheußlichkeit oder die hübsch-hässliche Antiquität für ihren Laden oder den Flohmarkt zur Seite.
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Als Elke unser Kabuff aufschloss, sah ich mich rasch um und verschaffte mir einen Überblick. Auf der linken Seite standen außer zwei zusammengeklappten Tapeziertischen noch vier kleine Campingtische, allerlei Bretter und ein in seine Einzelteile zerlegter rollbarer Kleiderständer. Daneben befanden sich das staubdicht verpackte Oberteil einer Schneiderpuppe und ein Metallgestell mit den Umrissen eines Christbaums, das man auf den Tisch stellen kann. An dessen Stangen hängt mein liebster Mensch den Ohrschmuck, den sie gefertigt hat und verkaufen möchte. Außerdem lagern dort noch weitere Teile zum Hängen und Aufstellen, die Elke für ihre jeden Herbst wiederkehrende Schmuck-Vernissage als Ablagen benötigt und die sie mit den von ihr gefertigten Must-haves für die nächste Saison dekoriert. Außerdem stapeln sich links an der Seitenwand stabile Kartons mit den Aufschriften Wandteller, Wanderstiefel, Sandalen, Ostern, Verpackungsmaterial, Papierwaren, Weihnachtsgirlande und Weihnachtsdeko. Außerdem hängen dort während des Sommers, an einem Querbalken auf Kleiderbügeln und in Plastiksäcken mit Reißverschlüssen verpackt, ihre Wintermäntel und dicken Jacken.
Hier lagert auch meine mobile Reisezelle. Das ist ein Korb aus Weide mit einem großen Drahttürchen an der Vorderseite und einem herausnehmbaren Reiseklo. Als ich daneben den rosa Transportknast aus Kunststoff erblickte, der meinem verschollenen Lebensgefährten Rüdiger gehörte, wurde mir ganz wehmütig ums Herz. Rüdi war meine erste große Liebe, mein treuer Lebensabschnittsgefährte und der Vater meiner vier Kinder.
Klickerkopf, Murmelkopf, Leroy und Marlon sind seit geraumer Zeit erwachsen und zogen schon von daheim aus, um ihr eigenes Leben zu führen. Das war noch bevor Rüdiger krank wurde. Elke fuhr mehrmals mit meinem Schatz zu unserer Hausärztin, aber er wurde immer dünner und schwächer. Tragisch und irgendwie auch paradox finde ich, dass er zuckerkrank war, obwohl er nie in seinem ganzen Leben freiwillig etwas Süßes gegessen hatte. Da Rüdi sich kein Blut abnehmen ließ und sich auch beharrlich weigerte, seine Anti-Diabetes-Tabletten einzunehmen, wurde er stationär in Frau Doktor Grobianas Tierklinik eingeliefert, aus der er nicht wieder zurück nach Hause kam.
Das war noch bevor mein liebster Mensch und ich von einem unserer Vorfahren eine Erbschaft machten und deshalb nach Amerika fliegen mussten.
*
Als ich jetzt die beiden mobilen Gefängniszellen sah, legte ich meine Ohren hinten am Kopf flach an und drückte mein Missfallen durch energisches Fauchen aus.
„Willst du mich etwa hereinlegen, du böse Dosilla?“, rief ich mit Panik in der Stimme.
„Nein, Fritzilein, wir fahren leider nicht schon wieder in Urlaub!“, erwiderte meine Dosine beschwichtigend. „Kein Stress! Wir sind doch erst Anfang März aus Florida zurückgekommen. Jetzt richten wir uns erst einmal unsere beiden Balkons für den Sommer her und machen es uns daheim schön gemütlich.“
„Ich fühle mich nicht angesprochen“, murmelte ich leise und zunehmend verdrossen. Dann schaute ich ihr fest in die Augen und sagte: „Elke, eigentlich bist du mein Personal. Ich hab nichts dagegen, wenn du dich gelegentlich zum Frühstücken auf unserem Küchenbalkon in die Sonne setzten möchtest. Meinetwegen stell dir dort einen Stuhl hin und auch noch einen zweiten für deine Füße. Ich vermute, der an unser Wohnzimmer grenzende andere Balkon fällt ja zum Chillen wieder aus, solltest du dort, wie in den vergangenen Sommern, auch in diesem Jahr deine Kakteensammlung und das andere unverdauliche Grünzeugs deponieren.“ Ich machte eine kleine Pause und fügte dann hinzu: „Schließlich bin ich jung, dynamisch, flexibel und anpassungsfähig. Im Kontrast zu dir brauche ich auch ganz wenig Platz, denn ich kann überall sitzen und fast überall liegen. Auch kann ich gaaaanz schnell wieder aufstehen und fix wegrennen, im Gegensatz zu dir!“ Das war vielleicht nicht gerade extrem diplomatisch, entsprach aber zu einhundert Prozent der Wahrheit.
Mein liebster Mensch erwiderte nichts, sondern stöhnte nur laut auf, als sie sich langsam aus ihrer gebückten Haltung aufrichtete, nachdem sie die Plastikfolie von den im Winter hier im Kabuff geparkten Balkonsesseln abgestreift hatte. Gleich darauf griff sie mit einer Hand an ihre Stirn und murmelte etwas von Drehschwindel. Mit der anderen Hand griff sie an ihre Wirbelsäule und klagte: „Fritzi, ich hab’s schon wieder im Rücken.“
Darauf ging ich erst gar nicht ein, denn fast jeden Tag hat sie ein anderes Wanderzipperlein. „Elke, dann guck dir halt in der Glotze nicht immer die zahllosen Gesundheitssendungen bis zum Schluss an!“, riet ich ihr. „Die bringen dich nur auf abstruse Ideen. Zuerst horchst du in dich hinein, und am nächsten Tag leidest du an denselben Symptomen, die am Abend zuvor von den Weißkitteln geschildert wurden.“ Da meine Dosine nichts erwiderte, miaute ich weiter: „Eines nicht allzu fernen Tages wirst du vielleicht trächtig, bekommst jungfräuliche Wehen und gebierst Drillinge. Oder du kriegst eine vergrößerte Prostata und kommst ins Guinnessbuch der Rekorde. Verlass dich darauf, was von selbst kommt, das vergeht auch von selber wieder!“
„Plapper doch nicht immer so viel!“, sagt meine Dosine jetzt genervt zu mir. „Ich krieg noch Ohrensausen von deinem ständigen Miauen.“ Dabei hob sie ihre Hände, als wolle sie sich gleich ihre Ohren zuhalten.
„Du solltest froh sein, dass sich noch irgend jemand mit dir unterhält“, kontere ich schnell. „Schließlich muss ich dich doch gelegentlich etwas fragen können oder dir etwas Wichtiges erzählen dürfen. Außerdem kannst du dich bei der großen Katzenfee bedanken, dass ich keine Siamesin bin, keine schielende Plärr-Trulla aus Thailand. Die schwätzen pausenlos in einer schrillen Tonlage, ganz ohne Punkt und Komma, den ganzen Tag und auch in der Nacht, so viel und so laut, dass du weder zum Schlafen noch zu Worte kommen würdest!“
*
Mein Gesagtes schien Elke beeindruckt zu haben. Offensichtlich hatte ich direkt ins Schwarze getroffen. Sie drehte sich nämlich schweigend um und beachtete mich nicht mehr. Kurz darauf holte sie eine Kollektion gelber Sitzkissen aus einer großen Plastiktüte und schüttelte sie auf. Anschließend wickelte sie einen pseudo-persischen, in Pakistan wahrscheinlich von flinken Kinderfingern geknüpften Läufer aus seiner Verpackung und untersuchte ihn akribisch auf eventuellen Mottenbefall. Hier im Kabuff hatte auch unser gestreifter Sonnenschirm überwintert, nebst einem ovalen Tisch aus weißgestrichenem Gusseisen. Auch die Drehstange zum manuellen Kurbeln der gelben Wohnzimmer-Markise stand in einer Ecke.
Mehrmals lief meine Dosine mit unseren Balkonsachen die Treppen hinunter und brachte sie in unsere Wohnung im ersten Stock.
Als sie die letzten Teile holte, klapperte sie demonstrativ mit dem Schlüsselbund und rief ganz außer Atem: „Fritzi, wenn du hier noch irgendwo bist und dich versteckst, dann komm jetzt gefälligst mit! Wir wollen nach unten gehen. Gleich fängt der Tatort-Krimi an. Den will ich angucken!“
*
Da ich das wichtige Wort Bitte nicht vernommen hatte, antwortete ich ihr nicht. Dies tat ich ausschließlich aus pädagogischen Gründen, nicht weil ich meine Dosine verärgern oder mich verstecken wollte. Das lag mir total fern. Ich verspürte nur noch keine Lust dazu, den gerade wieder neu entdeckten Abenteuerspielplatz, bestehend aus acht Kämmerchen und einem großen Trockenboden, auf dem zusätzlich noch allerlei interessantes Gerümpel stand, zu verlassen.
Früher, als ich noch klein war, sagte meine Mama eindringlich, als sie meine Geschwister und mich prägte und erzog: ‚Kinder, eines müsst ihr euch für euer späteres Leben merken: Anstand und Wohlerzogenheit werden euch immer die Türen öffnen und das Zusammenleben mit anderen Personen erleichtern. Beste Umgangsformen sind eine Art soziales Schmiermittel, das euch zudem nichts kostet. Ausreichend Zeit für gutes Benehmen und für Höflichkeit müsst ihr euch immer nehmen!’
Einmal zuvor hatte ich zufällig gehört, dass Elke zu einer ihrer Freundinnen am Telefon sagte, aus reinen Zeitgründen unterrichte sie im Schulungszentrum am Flughafen nach der sokratischen Methode (nach Sokrates), indem sie von ihr vermitteltes Wissen, bereitgestellte Informationen und Problemlösungsstrategien abfragend fordere.
Mit mir kann meine Perle solche Mätzchen nicht machen. Ich bin nicht eine ihrer Auszubildenden und auch keine Praktikantin; ich bin ich, die Katze Fritzi Kullerkopf und Schluss!
*
Meine Dosine muss irgendwann einmal begreifen und sich auch merken, dass der Ton die Musik macht. Dauernd labert sie am Telefon mit ihrer Kollegin Gabi von angeblichen Ziel- und Zeitvorgaben hinsichtlich kontinuierlicher Verbesserungsprozesse im Passagierservice. Von denen habe ich in der Praxis noch nichts bemerkt.
„Worthülsen!“, sage ich dazu immer. „Nichts als wattewolkenweiche, aufgeblasene leere Worthülsen.“
Ich frage dich: was ist so schwer daran, regelmäßig Bitte und Danke zu sagen? Ich will nicht jammern, aber du kannst es mir getrost glauben, besonders leicht habe ich es nicht mit meiner Perle. Aber gutes Personal ist heutzutage knapp und nicht einfach zu rekrutieren; das ist ein Problem. Zu beneiden bin ich wirklich nicht, besonders, seit mein Lebensgefährte Rüdiger vermutlich in das Land hinter dem Regenbogen umsiedelte. Als Rüdi noch bei uns wohnte und wenn es nicht regnete, ließ mich meine Dosine des Nachts öfters nach draußen in die süße Freiheit. Wenn es dunkel wurde, ging ich dann in meinem Kiez auf Patrouille. Anschließend traf ich mich mit den anderen Schnurrbacken meines Reviers zum Austauschen von Gedanken und mehr. Bei diesen Gelegenheiten sorgte ich auch dafür, dass die Population der kleinen und großen Nager nicht überhand nahm und sie in meinem Viertel keine Chance hatten, sich explosionsartig zu vermehren.
Selektive Ausdünnung durch Eliminierung der Dummen, Naiven, Kranken und Schwachen, nannte das meine schlaue Mama, damit sich nur die Starken und Intelligenten vermehren.
Dein Mitgefühl und deine Empathie in allen Ehren, aber hast du schon einmal eine Maus mit Unterarmkrücken gesehen, oder Rattennachwuchs, der seine Urgroßmutter im Rollstuhl von Mülltonne zu Mülltonne schob?
Eine reelle Chance, heute auf unserem Speicher Kleinwild zu fangen, hatte ich noch nicht gehabt, denn meine Dosine trampelte so laut herum, als gehöre sie zu den Landstreitkräften und würde die Kavallerie anführen.
Bis es auf dem Dachboden wieder schön leise war und sich die Nager aus ihren Verstecken heraus trauten, kuschelte ich mich in einem kleinen Spankorb zusammen und begann meine Gedanken zu sortieren.
Unbeschwerte Freizeit, in Form von unbegleitetem mehrstündigem Ausgang bis zum Morgengrauen, wurde seit Rüdigers Verschwinden für mich ersatzlos gestrichen. Da konnte ich machen, was ich wollte. Goldene Berge versprach ich zwischenzeitlich meiner Dosine, damit sie mich ein bisschen unbeaufsichtigt weggehen lässt. Aber sie tut dann immer so, als ob sie mich nicht versteht, da ich angeblich auf Suaheli miaue, oder als ob sie spontan mit Taubheit geschlagen sei.
Stattdessen legte sie mir mehrmals mein grünes Lederhalsband um, das mit dem kleinen Stückchen Gummilitze dazwischen. Unlängst fand sie es in einer Schublade wieder. Das bewusste Teil hatte ich schon vor zwei Jahren getragen, als ich in einem Kinofilm mitspielte. An ihm befand sich außer einem Glöckchen und meinem Namensschild auch noch ein Ring für eine Leine. Nach mehreren, aber nur wenige Minuten dauernden Ausflügen in den hinter unserem Haus liegenden Garten befestigte sie letzte Woche ein abgeschnittenes Stück Wäscheleine aus unserer Waschküche an dem besagten Ring.
„Komm, Fritzi, lass uns einmal dein Fell und deine Lungenflügel lüften!“, sagte sie lachend zu mir. „Wir gehen für ein paar Minuten in den Garten. Dort lass ich dich ein bisschen schnuppern. Vielleicht machst du auch ein Bächlein.“ Mir gefiel es eigentlich nicht, wie ein Hund ausgeführt zu werden. Auch rief sie sogleich mit dominanter Stimme: „Fritzi, nein!“, als ich mich, unten angekommen, nach einem Ausweg aus dem Garten umsah. „Neeeein, meine Liebe! Du gehst jetzt nicht schon wieder strunzen! Ich hab wirklich nicht vor, so lange schlaflos zu warten, bis die Dame geruht, im Morgengrauen müde, hungrig und abgekämpft wieder nach Hause zu kommen.“
„Das werden wir erst noch sehen!“, widersprach ich leise. „Zu dem Thema ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“
Eine Weile lief ich innen am Gartenzaun hin und her und hielt erfolglos Ausschau nach einer Möglichkeit, ihn ungesehen zu überwinden. Es fand sich nirgendwo ein Loch in der Umzäunung, durch das ich mich hätte zwängen können. Auch der Holzstapel war verschwunden, von dem ich früher in den Nachbargarten gesprungen war. Offensichtlich hatte der neue Hauswart gute Arbeit geleistet, denn unser Garten war jetzt so ausbruchsicher verdrahtet wie der Innenhof einer Correctional Facility (Strafanstalt) in den Vereinigten Staaten. Vielleicht würde meine Dosine hier demnächst eine Filiale von Guantánamo errichten. Zuzutrauen wäre es ihr.
*
Nachdem ich mich um ein Haar mit Hilfe des Halsband-Foltergerätes stranguliert hatte, stellte meine Dosilla das unwürdige und gefährliche Vorhaben mit der Leine ersatzlos wieder ein.
Der großen Katzenfee sei Dank, dass sich Elke noch im Garten und nicht schon in der Waschküche oder im Treppenhaus befand. Gerade noch rechtzeitig sah und hörte sie, dass ich mich versehentlich fast selbst erhängte.
Fast eine Woche lang ging mir anschließend der Soundtrack des Western Spiel mir das Lied vom Tod von Sergio Leone nicht aus dem Kopf. Ganz so dramatisch war es bei mir nicht gewesen, denn es liefen keine Kameras, keine Töne wurden aufgenommen und auch keine Mundharmonika erklang.
Ich war am Stamm der großen Linde bis zum ersten großen Ast hinaufgeklettert. Von dort wollte ich mir einen besseren Überblick über die sich bietenden Fluchtwege verschaffen.
„Fritzi, du bist doch nicht Reinhold Messner!“, rief mein liebster Mensch belustigt. „Komm sofort wieder zurück auf den Boden, sonst muss ich die Feuerwehr holen.“ Leise fügte sie noch hinzu: „Und das wird richtig teuer!“
‚Schon wieder hat sie vergessen Bitte zu sagen’, schoss es mir durch den Kopf. Ich achte halt auf solch wichtige Versäumnisse.
Als mich die Wäscheleine am weiteren Hinaufklettern hinderte, denn sie war an einem dünneren geknickten Ast hängen geblieben, wollte ich zurück auf den Boden. Statt am Stamm mühsam wieder hinunterzuklettern, was mir äußerst beschwerlich und nur rückwärts kletternd möglich gewesen wäre, fixierte ich einen Landeplatz unter mir. Dann stieß ich mich mit den Füßen kräftig vom Stamm ab und ließ mich fallen. Da sich die Wäscheleine aber nicht von dem Ast losriss, sondern weiterhin daran festhing, kam ich beim Landen nicht gleichzeitig auf allen vier Pfoten auf. Es ruckte und zog ganz furchtbar hinten an meinem Nacken und vorn am Hals drückte es ganz doll, sodass ich kaum Luft bekam. Nur mit allergrößter Mühe konnte ich auf den Zehenspitzen meiner Hinterfüße stehen. Unfreiwillig machte ich Männchen und ruderte mit den Armen hilflos in der Luft herum. In Todesangst schrie ich gellend laut um Hilfe. Sicher konnte man es bis zum Südbahnhof hin hören.
„Oh, mein Gott! Fritzi, was machst du denn jetzt schon wieder?!“, rief meine Dosine. Überraschend flott sprang sie her zu mir. Urplötzlich hatte sie auch einen knallroten Kopf vor Aufregung und begann aus jeder Pore zu schwitzen.
„Das könnte ich dich auch fragen!“, erwiderte ich ungehalten, nachdem sie mich vom Boden hochgerissen hatte. Mit einer Hand presste sie mich an ihre üppige Milchleiste, und mit der anderen nestelte sie mir zitternd an dem Halsband herum, bis sie endlich die Schnalle aufhatte. Abwechselnd streichelte und massierte sie dann meinen Kehlkopf und meinen Hals.
„Willst du mich jetzt nachträglich auch noch erdrosseln oder erwürgen?“, rief ich empört aus, stieß ihre Hand weg und versuchte mich freizustrampeln. „Lass mich los! Wenn du so fest drückst, brichst du mir das Zungenbein! Eine Verletzung der Halswirbelsäule habe ich mir bereits unfreiwillig zugezogen. Für die kommenden Tage brauche ich jetzt eine weich gepolsterte Halsmanschette, einen Kragen der Schande, damit mein Kopf nicht abknickt und abbricht!“
Als Elke meine wichtigen Worte ignorierte und mich weiterhin wie ein Streichel-Roboter tätschelte, biss ich in die Luft neben ihrer Hand und fuhr meine Krallen ein wenig aus, um sie abzuwehren.
„Fritzi, man kann dich nicht einen Augenblick unbeaufsichtigt lassen!“, rief meine Perle und überzog mein Gesicht mit klebrigen Küssen.
„Das könnte ich auch von dir sagen!“, erwiderte ich. Leise fügte ich dann noch hinzu: „Du solltest der großen Katzenfee dankbar sein, dass ich nicht just gerade eben alle meine sieben Leben nacheinander ausgehaucht habe.“
Ich weiß nicht, ob du es mitgekriegt hast, aber im letzten Winter machten mein liebster Mensch und ich eine Erbschaft. Dazu mussten wir nach Nashville in Tennessee reisen, einen Ort, der ungefähr in der Mitte der USA liegt. Viele Wochen ließ man uns auf die Auszahlung unseres Vermögens warten. Anstatt gleich wieder mit dem nächsten Flugzeug retour nach Frankfurt zu fliegen, vertrieben wir uns die Wartezeit in den Vereinigten Staaten, indem wir im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hin und her reisten. Nicht nur, dass wir jede Menge Sehenswürdigkeiten besichtigten und viele Attraktionen bestaunten, wir überlebten auch einen Schwelbrand auf dem Flug nach Kona, einer Stadt auf Big Island (Hawaii).
Dort war ich das erste Mal nach Rüdigers Verschwinden wieder einmal richtig glücklich und ausgelassen. Aber leider nur ganz kurz. Sein Name war Kenoah. Der charmante weiße Kater strahlte mich an wie ein AKW (Atomkraftwerk). Aber er war auch ein Mega-Flop, mein persönliches Fukushima, mein Waterloo, ein Giga-Gau, wenn du weißt, was ich meine. Die kurze Zeit mit ihm war für mich eine romantische Tragödie. Alles, was ich von meinem Ex noch habe, ist hoher Blutdruck, wenn ich an ihn denke.
Auf dieser Reise traf ich viele andere liebenswerte Personen, die ich gern erneut besuchen würde, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte. Aber Hope, die mich mit „I hate you, bitch (Ich hasse dich, du Schlampe)!“, angeschrien hatte und ihr untreuer Partner Kenoah, die gehören nicht dazu.
Allerdings machte ich in den Staaten auch Erfahrungen, die man nicht als lukullische Entdeckungen, sondern als versuchte Körperverletzungen bezeichnen konnte. Ich sage dazu nur veganes Katzen- und Hundefutter mit Geflügel-, Wild-, Rind- und Fisch-Geschmack. Wer seinen Schnurrbacken so einen furchtbaren Mist vorsetzt, sollte auf Lebenszeit ein Haltungsverbot für Caniden (Hunde) und Felidae (Katzen) kriegen. Es muss ja nicht immer Barf (Rohfleisch) sein, aber tierisches Eiweiß in angemessener Portion und Güte muss unsere Nahrung enthalten, damit wir nicht krank werden.
Unser Aufenthalt in Amiland war für mich eine Reise mit meinem liebsten Menschen; wir zwei ganz allein, ohne meinen verschollenen Rüdiger. Mit dem war ich zuvor schon an der Nordsee gewesen, an der Ostsee und am Mittelmeer. Ja, Urlaub ist schön, wenn man erst einmal seine innere Lahmarschigkeit überwindet, die aufregende Fahrt hinter sich hat und man endlich an seinem Ferienziel angekommen ist.
Eigentlich bin ich eher standorttreu, aber ich liebe es auch, nachts allein meine neue Umgebung zu erkunden, tagsüber dort in der Sonne zu chillen, die lokalen eiweißreichen Speisen zu kosten, mit den Ortsansässigen zu fraternisieren und mir von ihnen ihre Lebensgeschichten erzählen zu lassen.
*
Unlängst schlug ich meiner Dosine vor, in unserem nächsten Urlaub nach Frankreich in das Land der Feinschmecker und Genießer zu fahren. Am Abend zuvor sah ich einen Bericht auf Phoenix, in dem gezeigt wurde, dass im Périgord jeden Herbst dressierte Säue und Eber die Böden der Eichenwälder nach Trüffeln absuchen. Das ist sicher eine sehr interessante und unterhaltsame Tätigkeit. Ich könnte den Borstentieren behilflich sein, denn riechen kann ich mindestens ebenso gut wie sie. Ich stelle mir vor, dass mein liebster Mensch und ich nach erfolgreicher Suche hungrig und ein bisschen fröstelnd in einer urigen Auberge (französisch: Herberge) einkehren werden. Dort lässt sich mein liebster Mensch in dem angegliederten Gourmettempel auf ihre gebutterten Nudeln die am Nachmittag von mir gefundenen edlen Trüffel hobeln.
Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob ein Pilz eigentlich ein Gemüse oder ein Tier ist? Eigentlich kann er kein Gemüse sein, denn er enthält kein Blattgrün. Stattdessen vermehren sich Pilze durch Sporen, was auf ein tierisches Lebewesen hindeutet und sie für meinen Gaumen interessant macht. Das muss ich gelegentlich einmal bei den schlauen Googles nachlesen, oder noch besser selbst ausprobieren.
Bei den Schweinen im Périgord unterscheidet man verschiedene Sorten: Die erste interessiert sich für alles Essbare, aber nicht für die edlen Pilze. Die zweite Sorte will die von ihr erschnüffelten Trüffel nicht dem Bauern abgeben, sondern verputzt sie lieber ratzfatz gleich selbst am Fundort, und die dritte Sorte ist dem Bauern die liebste, denn sie zeigt ihrem Besitzer an, unter welchem Baum die schmackhaften Knollen wachsen und ist dann so deppert, sich mit einer Kartoffel als Tauschobjekt abspeisen zu lassen.
Egal, um ganz auf Nummer sicher zu gehen, labe ich mich, wenn ich Elke dazu überreden kann, mit mir ins Périgord zu fahren, anstatt an nicht veganen Pilzen an ausgesucht leckeren Teilen der olfaktorisch (nasentechnisch) nicht so erfolgreichen Schweine.
Ich vermute, dass diejenigen Säue, die sich für die Trüffelsuche als ungeeignet erweisen, zu leckeren Koteletts, Rippchen und Schinken modifiziert werden.
Ups, offensichtlich war ich während meines Dachboden-Arrests kurz eingenickt und hatte im Schlaf geträumt. Zum Dachfenster schien jetzt der Vollmond herein. Irritiert rieb ich mir die Augen und knipste meinen Restlichtverstärker an. Erstaunt guckte ich mich dann um, was in unserem Kabuff noch so alles an Interessantem gelandet war und hier von meinem liebsten Menschen zwischengelagert wurde.
Jetzt fand ich ihn wieder, meinen mobilen ungehorsamen Lieblingsfeind mit Namen Schmutz-Teufel, einen Saugroboter mit Hepa-Filter. Richtig vermisst hatte ich ihn nicht wirklich. Er war nur eine unbedeutende und zeitlich begrenzte Episode in meinem Leben gewesen. Mit ihm ging es mir wie mit manchen Personen. Es hat schon gute Gründe, wenn sie es aus meiner Vergangenheit nicht in meine Gegenwart schaffen. Und in meiner Zukunft ist bestimmt kein Platz für sie. Ich versuche nämlich, keine alten Fehler zu wiederholen. Wenn überhaupt, dann mache ich neue.
Ideal und hilfreich mag so ein Saugroboter sein, wenn eine Person im Haushalt ein Pollenallergiker ist, der Asthma bekommt, wenn er Blüten- und Gräserpollen einatmet. Gegen Pollen ist bei uns daheim keiner allergisch, auch nicht gegen Hausstaub. Unsere Kakteen blühen allenfalls im Hochsommer und dann draußen auf dem Wohnzimmer-Balkon. Blühende Gräser gibt es auch nur in unserem Garten, wenn der Hausmeister es verbummelt hat, rechtzeitig den Rasen zu mähen.
Irgendwann störten meine Dosilla (und nur sie) die zahlreichen, überall herumliegenden Härchen von mir so sehr, dass sie in einer Kurzschlusshandlung für viel Geld im Media-Markt das runde, fünfundsiebzig Watt starke Teufelsteil erstand.
Ich kann nichts dafür, dass mir tagtäglich viele Haare ausgehen. Sie verschönern und veredeln Elkes meist schwarze Anziehsachen und ihre dunkelblaue Uniform. Wenn mir meine abgestoßenen Haare nicht von selbst ausfallen, juckt es mich an den unterschiedlichsten Stellen meines Leibes ganz dolle. Dann muss ich selbst zur Tat schreiten und mich um Abhilfe bemühen. Ich kratze und schubbere mich dann so kräftig und ausdauernd, damit sie ausgehen und nicht die Poren meiner Haut verstopfen, in denen bereits die neu nachwachsenden Haare meines Pelzes auf der Lauer nach freiem Platz, Luft und Sonnenschein liegen.
„Fritzi, hast du dir etwa beim letzten Streunen einen Floh eingefangen?“, ruft Elke dann jedes Mal entsetzt aus, wenn ich mich exzessiv und ausdauernd mit meinen Spikes kratze. Dann schnappt sie mich, legt mich auf ihrem Schoß auf den Rücken und untersucht akribisch, aber bisher erfolglos, jeden Quadratzentimeter meines Körpers. Bei dieser Gelegenheit guckt sie mir auch neugierig und indiskret in alle Körperöffnungen, was für mich äußerst erniedrigend und sehr beschämend ist. Nichts nutzt es mir, wenn ich dann den Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes zitiere und laut rufe: „Die Würde der Frauen ist unantastbar!“
„Fritzi, da hast du aber wieder richtig Glück, dass ich keinen Parasiten entdeckt habe!“, sagt meine Dosilla irgendwann zufrieden und lässt mich aus ihrer Umklammerung los.
„Kümmer du dich lieber um du dich!“, rief ich einmal entsetzt in Frankfurter Slang aus, als sie es mit der Sucherei übertrieb. Zur Abschreckung biss ich auch mehrfach neben ihrer Hand in die Luft. „Wer von uns beiden kratzt sich denn immer, wenn es im Krimi spannend wird? Du oder ich?“
Sicher hast du es erraten, denn ich bin es gewiss nicht. Wenn im Film der Gärtner mit dem Hackebeil auf dem Bildschirm erscheint, mache ich ganz schnell die Augen zu und meditiere. Ich kratze mich nur, wenn es mich wirklich juckt und nicht, wenn ich aufgeregt bin.
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Bevor ich meinen Pelz groome (wasche, lege und pflege), schüttele ich mich ausgiebig, damit die lockeren Haare aus meinem Fell herausfallen. Dann kannst du die einzelnen, bis zu drei Zentimeter langen seidenweichen Härchen meiner Grannen- oder Deckhaare und die kürzeren meines Unterfells sekundenlang in der Luft schweben sehen, bis sie in Zeitlupe und aller Seelenruhe zu Boden sinken und dort, von mir unbeachtet, liegenbleiben. Wenn ich die lockeren Haare nicht regelmäßig selbst entferne oder meine Perle beauftrage, sie mit Hilfe einer Bürste oder eines Kammes auszukämmen, besteht die Gefahr, dass mein Pelz verfilzt und sich meine Haare verknoten. Unter den sich dann sicher rasch bildenden Filzmatten würde sich ein ideales Klima für sechsbeinige Untermieter, Pilze und allerlei Hautkrankheiten bilden.
Leider muss ich sagen, meine Dosine ist selbst schuld daran, dass sich in den Ecken unserer Wohnung, unter den Schränken und Sofas meine ausgefallenen Haare zu Büscheln, den sogenannten Wollmäusen, ansammeln. Ich würde daheim viel weniger Haare verlieren, wenn sie mich regelmäßig draußen auf Streife gehen ließe. Dann käme ich auch nur zum Schlafen, Schmusen, Glotze-Gucken und Essen nach Hause. Aber das will sie nicht. Ich vermute, dass sie an Verlustangst leidet. Nach Rüdigers mysteriösem Verschwinden befürchtet meine Perle nämlich völlig grundlos, dass ich ihr eines Tages beim Gassi-Gehen auch abhanden komme. Dann würde sie mutterseelenallein, ganz einsam übrig bleiben.
Außerdem tut Elke immer so, als gäbe es bei ihr keinen Haarwechsel. Wenn sie sich aber die Mühe machen würde, ihre Brille zu putzen und sich anschließend in unserem Hygienezentrum einmal zu bücken, dann würde sie auf den Kacheln am Boden viele ihrer roten Zeppeln (das sind die mit den friedhofsblonden Wurzeln) liegen sehen. Sie haben klaglos Platz gemacht für neue Haare, die auch bei ihr regelmäßig, aber seit geraumer Zeit in der falschen Farbe nachwachsen.
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In einem Technikmarkt hatte meine Perle also den runden Schmutz-Teufel erstanden, der anfangs arbeitseifrig mit über einer Stunde Betriebsdauer und mit Höllenlärm (zumindest für meine Ohren) zwar nicht sauber machte, aber überall in unserer Wohnung herumwuselte und Staub aufwirbelte, anstatt ihn einzusammeln. Meine kleinen und zum Teil abgeschmusten Spielmäuse saugte das dumme Ding eifrig auf und vertilgte sie. Außerdem verschluckte es jede Menge von Elkes Perlen, die ihr beim nächtlichen Kettenmachen auf den Boden gefallen waren oder die ich von unserem großen Tisch im Arbeitszimmer in Richtung der verschiedenen Fußleisten geschmettert hatte. Immer öfter würgte der Staubroboter auch dabei. Zuerst begann er vereinzelt, dann aber ständig zu husten, und irgendwann drohte er zu ersticken. Elke schickte ihn zurück an die Herstellerfirma, in der man ihn aber nicht wieder gesund reparierte. Zwei Monate später kam er, weiterhin schwer lungenkrank, zurück zu uns. Anschließend keuchte er nur noch gelegentlich durch unsere Wohnung. Elke schonte seine angegriffene Gesundheit, in der Hoffnung auf allmähliche Genesung oder eine Spontangesundung. Leider vergeblich. Seinen letzten Schnaufer keuchte der Schmutz-Teufel drei Wochen nach Ablauf seiner Garantiezeit. Er hauchte sein junges Leben aus und verschied nach einem finalen qualvollen Röcheln, das mir fast das Blut in den Adern agglutinieren (klumpen) ließ. Mitten im Arbeitszimmer blieb er plötzlich stehen, obwohl meine Dosine seine Batterien zuvor an der Steckdose frisch aufgeladen hatte.
Schön ordentlich in seinem Originalkarton zur letzten Ruhe gebettet und wie eine Mumie mit Klebestreifen staubsicher verpackt, sah ich ihn jetzt wieder, hier in unserem Kabuff auf dem Speicher.
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Um mir den Schmutz-Teufel schmackhaft zu machen, hatte Elke am Tag seiner Anschaffung einen geräumigen Brotkorb auf sein Flachdach gestellt, ein gelbes Sofakissen hineingelegt und mich mittig daraufgesetzt.
„Fritzi, jetzt residierst du als Prinzessin auf der Erbse auf deinem eigenen Teufel und kannst dich wie eine Pilotin von deinem neuen Cockpit aus nützlich machen. Du musst dem Sauger nur sagen, in welche Richtung er fahren soll, damit er dort sauber macht. Den Teufel habe ich extra für dich gekauft. Bitte vertragt euch miteinander. Er ist dein neues Spielzeug!“
„Das ist der falsche Teufel!“, erwiderte ich rasch, nachdem Elke ihn ausgepackt und auf den Boden gestellt hatte. „Ich wünsche mir einen kleinen Tasmanischen Teufel, den ich erziehen und an Kindesstatt annehmen kann!“
Dummerweise vergaß ich das meiner Dosine explizit zu erklären, als wir uns unlängst zusammen in 3Sat eine Dokumentation über die australische Insel Tasmanien und deren Tierwelt ansahen. Dort zeigte man uns, wie freiwillige Helfer in einer Aufzuchtstation kleinen putzmunteren Teufelchen alle zwei Stunden mit einer winzigen Nuckelflasche etwas Katzenmilch zu trinken gaben und ihnen anschließend ihre prallen Bäuche rieben, damit sie Pipi machten. Die Menschen hätschelten und päppelten die kleinen Teufel, da ihre Mutter ein Opfer des Straßenverkehrs geworden war. Leider interpretierte Elke meine Gedanken und Wünsche falsch und besorgte im Media-Markt einen motorbetriebenen Teufel anstatt eines lebendigen aus Australien.
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„Würdest du bitte versuchen, ihn rasch umzutauschen?“, fragte ich sie, aber vergebens. Meine Erziehungsversuche mit dem neuen Familienmitglied waren unbefriedigend. Sie klappten nicht allzu gut, denn der Schmutz-Teufel hatte seinen eigenen Willen oder ein Problem mit den Ohren. Sicher waren sie voller Dreck. Immer wieder übte ich mit ihm, aber er war schwer erziehbar und bockig, genauso wie ein Teenager in der Pubertät. Wenn ich ihm in der Mitte des Wohnzimmers befahl: „Biege jetzt in einem Winkel von neunzig Grad ab und fahre nach Südwesten“, dann raffte er es nicht, sondern rollte stur geradeaus weiter bis kurz vor die Wand. Dort bog er abwechselnd links oder rechts ab und gondelte genau in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren, wieder zurück. Auch als ich ihm befahl: „Parke jetzt sofort rückwärts ein und stelle deinen Motor ab!“, ignorierte er meinen Befehl. Mit anderen Worten, er war ungehorsam wie ein Dackel. Und unnütz wie ein Dachshund war er außerdem!
Jetzt fand ich auch den Dampfreiniger wieder. Er stand direkt neben dem Schmutz-Teufel, den meine Dosine etwa zur gleichen Zeit bei Penny erstanden hatte. Auch dieses Teil war ein Fehlkauf gewesen. Eine französische Arbeitskollegin mit Namen Ghislaine hatte ihr zuvor begeistert berichtet, dass es ihr gelungen war, mit einem baugleichen Gerät die Kotze-Flecken ihres Enkels restlos aus ihrem mit Cord bezogenen Sofa zu entfernen. Sie schwärmte auch davon, die Hochglanz-Fliesen in ihrem Hygienezentrum ohne zusätzliche Chemie streifenfrei zu reinigen und das Waschbecken und die Toilette in Turbo-Schnelle fleckenlos sauber zu bekommen.
„Super!“, sagte meine Dosine am Telefon. „Danke, liebe Schissläng (sie verballhornte leicht den Namen), dass du mich auf das Sonderangebot aufmerksam gemacht hast. So ein Teil brauche ich wirklich, damit auch ich endlich die Verfärbungen aus meinen Teppichen rauskriege, die Mottennester ausräuchere und Fritzis Klos desinfizieren kann! Morgen früh hole ich mir so einen Dampfreiniger und am Wochenende, wenn ich frei habe, wende ich ihn gleich überall in der Wohnung an!“
Offensichtlich war die dem Gerät beiliegende japanische Gebrauchsanweisung zuerst ins Koreanische gedolmetscht und dann von einem moldawischen Übersetzungscomputer in andere Sprachen übersetzt worden.
Bereits an ihrer Körperhaltung konnte ich erkennen, dass meine Dosine nichts raffte und heillos überfordert war. Nachdem sie die deutsche Anleitung gelesen und nicht begriffen hatte, las sie die englische Gebrauchsanweisung How to use laut vor und dann die spanische Instalación y vista general. Anschließend kratzte sie sich ratlos am Kopf. Hektisch begann sie dann in unserem Vorratsschrank nach einer Großpackung bitterer Schokolade zu suchen, die von ihr nicht als unnütze und ungesunde Süßigkeit, sondern als therapeutisch indizierte Nervennahrung deklariert wird. Ich denke dann immer: ‚Jetzt füllt sie ihre innere Leere erneut mit adipös machenden Kalorien.’
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Vor Inbetriebnahme des Dampfreinigers wies ich Elke lautstark darauf hin, dass aus dem Rohr demnächst höchstwahrscheinlich keine weißen Wolken in Form von kühlen November-Nebelschwaden aufsteigen würden, sondern extrem heißer Dampf, mit dem man in einem Motor ein Schwungrad zum Drehen bringen könnte. Aber wie so oft ignorierte meine Dosine meine Warnungen und Prophezeiungen.
„Wer nicht hören will, muss fühlen“, hatte meine schlaue Mama früher immer zu uns Kindern gesagt, und wie alle Mütter war auch unsere allwissend und hatte Recht.
Genau so war es jetzt auch bei uns daheim. Nach einem kurzen Test, auf der Innenseite ihres Unterarms, ließ Elke das zu dem Gerät gehörende verchromte Rohr zu Boden fallen. Gleichzeitig schrie sie laut gellend vor Schmerz auf. Anschließend kühlte sie mehrere Minuten lang ihre verbrühte Haut unter dem laufenden Kaltwasserstrahl des Spülbeckens.
Aus dem anschließenden Telefonat mit Ghislaine verstand ich, dass ihrer Kollegin am selben Morgen bei der gründlichen Reinigung der Fliesen und der Silikonfugen in ihrem Badezimmer zwei der Kacheln von der intensiven Hitze des Dampfstrahls geplatzt waren. Als sie anschließend ungläubig mit einem Putzlappen an den Rissen herum rieb, fielen die Fliesen mit Getöse als Puzzle von der Wand in die Wanne. Bei der Gelegenheit platzte ein daumennagelgroßes Stück Emaille ab.
Das erklärt vielleicht, warum meine Klos noch immer nicht mit Dampf desinfiziert wurden, sondern mein Personal sie nur ab und zu mit lauwarmem Wasser und einem Spritzer Shampoo ausspült.
Als ich den Karton mit den Aktenordnern sah, in dem Elke ihre Bankauszüge der vergangenen Jahre hortet und hier auf dem Speicher zwischenlagert, fiel mir eine wahre Geschichte wieder ein, die im vergangenen Sommer passiert ist.
Habe ich dir eigentlich schon davon erzählt, dass meine Dosine und ich bei einem Raubüberfall zugegen waren? Ich glaube nicht.
Es war an einem Samstag gegen Mittag, als mein liebster Mensch ihre Einkaufstasche nahm und lachend fragte: „Fritzi, kann ich dich mal für eine halbe Stunde unbesorgt allein lassen, ohne dass du die Funktionen des Telefons neu programmierst, den Wecker verstellst und die Waschmaschine mit meinen Uniformen aus synthetischen Fasern zum Kochen bringst?“ Meine Antwort wartete sie erst gar nicht ab, sondern fuhr fort: „Ich will nur mal schnell am Lokalbahnhof ins Aldi gehen und ein paar Lebensmittel einkaufen.“
„Nimmst du mich bitte mit?“, fragte ich einschmeichelnd und klimperte dabei mit meinen Wimpern. Laut schnurrend strich ich immerzu um ihre Beine herum. So fest ich konnte, drückte ich mich an sie und stellte mich mit meinen Pfötchen auf ihre Schuhe, um sie am Weggehen zu hindern.
„Chefin, wenn du mich jetzt nicht mit nach draußen nimmst, dann komm ich heut den ganzen Tag wieder nicht vor die Tür!“, miaute ich kläglich.
„Okay, Fritzi, willst du mitkommen?“
„Hast du mir denn nicht zugehört?“, fragte ich entrüstet und stampfte mit dem Fuß auf.
„Auch gut. Wie die Dame es möchte“, sagte meine Perle ungeduldig. „Dann spring halt rasch in deinen Känguru-Beutel.“ Sie hielt mir das Säckchen zum Einsteigen hin und hing ihn sich anschließend über die Schulter. „Fritzi, fang bitte heut keine Diskussionen an, sollten wir unterwegs einem Hund begegnen, der dir nicht zusagt!“
„Das mach ich doch nie“, behauptete ich glatt, wohl wissend, dass das nicht hundertprozentig der Wahrheit entspricht. Kleine Ungenauigkeiten gehören zum Leben. Sie sind das Salz in der Suppe, denn alles ist nur eine Sache der Perspektive.
*
Als wir an die Kreuzung Textorstraße, Ecke Darmstädter Landstraße kamen, überquerten wir bei der Ampel die Straße. Elke wollte in der Filiale der Deutschen Bank, bei der sie ihre Kontoführung hat, zuerst noch Geld zum Einkaufen abheben. Mehrere Leute befanden sich bereits im Vorraum. Der Schalterbereich auf der rechten Seite war mit einer Glastür und faltbaren Glaswänden versperrt. Es war Samstag, genau zwölf Uhr mittags, High Noon.
Bevor sich meine Dosine aus einem der beiden Geldausgabeautomaten vor Kopf des Raumes bediente, druckte sie an einem links an der Seitenwand stehenden anderen Gerät ihre Kontoauszüge aus. Etwas schien nicht zu stimmen, denn Elke überlegte krampfhaft, warum eine ihr nicht namentlich bekannte Person einen Betrag von ihrem Konto eingezogen hatte. Dies nahm ihre Aufmerksamkeit so in Anspruch, dass sie neben dem Auszugsdrucker zur Seite trat und dort stehen blieb. Sie starrte weiter gebannt auf das Papier, anstatt zu einem der beiden Geldausgabeterminals zu gehen, die inzwischen frei geworden waren.
Später stellte sich dann heraus, dass es sich bei der Kontoabbuchung um den Rechnungsbetrag des Schornsteinfegers handelte, dessen Namen ihr nicht geläufig war.
In der Zwischenzeit verließen mehrere Kunden den Vorraum der Bank und neue kamen hinzu. Elke und ich wurden erst aufmerksam, als die Frau, die jetzt an dem rechten Geldausgabegerät stand, laut rief: „Drängeln Sie sich doch nicht vor! Warten Sie gefälligst, bis ich fertig bin!“ Gefolgt von: „Lassen Sie mich in Ruhe! Jetzt bin ich an dem Gerät!“
Zwei junge Männer mit südländischem Aussehen, bräunlicher Haut und kurzgeschnittenen schwarzbraunen Haaren schoben die Frau einfach zur Seite. Dann hielt einer von ihnen einen DIN-A4 Schnellhefter aus Pappe vor das Tastenfeld des Terminals, bevor sich der andere kurz an dem Gerät zu schaffen machte. Dabei verdeckte er mit seinem Rücken die Sicht auf den Geldautomaten.
Die Frau drehte sich jetzt zu den anderen Leuten in dem Vorraum um und sagte laut: „Bitte helfen Sie mir doch! Die beiden Männer überfallen und berauben mich gerade!“
Rasch trat meine Dosine zur Seite, versperrte die beiden nebeneinander liegenden Türen zur Straße und hielt die Türgriffe mit ihren Händen fest. Ein gut angezogener Mann mittleren Alters drängte sich mit einem halbwüchsigen und einem kleineren Jungen in die Ecke neben dem Kontoauszugsdrucker. Sonst tat er nichts, sondern beobachtete nur mit weit aufgerissenen Augen stumm die Vorgänge.
Zwei weitere Frauen im besten Alter standen in der Mitte des Raumes und glotzten tatenlos von einem zum anderen.
„Helfen Sie uns doch bitte! Rufen Sie rasch die Polizei an!“, bat Elke mehrfach laut. Als nichts passierte, sprach sie den Mann direkt an: „Hallo, Sie! Hören Sie mich nicht? Hallo! Ich spreche mit Ihnen!“ Dann schaute sie zwischen dem Mann und den beiden Frauen hin und her. Nichts Sichtbares passierte. Gar nichts. Es war mucksmäushenstill.
Dann drehten sich die beiden Diebe um und gingen mit großen Schritten zu den Türen, die Elke zuhielt und mit ihrem und meinem Körper blockierte. Als einer der Männer mit der Hand ausholte, um Elke an den Kopf zu schlagen, duckte ich mich in meinem Beutel. Meine Dosine trat zur Seite und gab die Türen frei.
Zügig, aber ohne zu rennen, verließen die beiden Männer die Bank und gingen quer über die Kreuzung. An der Straßenbahnhaltestelle in der Textorstraße mischten sie sich unter die Ein- und Aussteiger der gerade haltenden Linie 16.
*
Ärgerlich fragte Elke die drei Erwachsenen, die immer noch wie die Ölgötzen dastanden: „Warum haben Sie uns denn nicht geholfen? Das hätte Ihnen doch auch passieren können!“
Unisono antworteten sie: „Ei, was ist denn übberhaupt passiiiert? Isch habb gar nix gsehe un aach nix gerafft!“
Sowohl der Mann als auch die beiden Frauen fragten aber gleich neugierig die Bestohlene: „Ei, wie viel Geld hat man Ihne dann gestoohle?“
„Das weiß ich nicht“, weinte diese. „Ich habe gerade Mittagspause und wollte mir nur schnell fürs Wochenende einen Hunni von meinem Konto holen. Da drüben arbeite ich.“ Sie zeigte zu einem Haus auf der anderen Straßenseite. „Außer meiner Bankkarte und dem Schlüssel fürs Büro hab ich gar nichts mitgenommen.“ Beides hielt sie uns hin. „Meine Handtasche und mein Smartphone liegen auf meinem Schreibtisch. Bevor ich eben den Betrag eingeben konnte, wurde ich von den Männern weggestoßen.“
„Ich habe leider kein Handy dabei“, sagte Elke. „Sonst hätte ich sofort die Polizei gerufen.“
Erst als die nächste Frau die Bank betrat und hilfsbereit sofort ihr Handy zückte, wurde die Polizei alarmiert. Es dauerte dann noch weitere zwanzig Minuten, bis zwei Polizisten mit Blaulicht vorfuhren.
Zuvor war der Mann mit den Kindern gegangen. „Bitte bleiben Sie noch hier!“, bat ihn meine Perle. „Sie sind doch Zeuge des Überfalls gewesen und haben alles miterlebt. Vielleicht können Sie der Polizei wichtige Hinweise zur Ergreifung der Täter geben.“
Der Mann winkte ab. In Frankfurter Mundart erwiderte er: „Isch habb gar nix gsehe. Nur des könnt isch mit gute Gewisse bezeuje.“
„Papa, Papa! Was is denn da ebbe passiert?“, fragte ihn neugierig einer seiner Söhne.
„Nix is passiert. Des siehste doch!“ Mit diesen Worten verschwand er mitsamt seiner Brut.
Elke rief ihm noch nach: „Das werde ich auch behaupten, sollte ich einmal dabei sein, wenn Sie überfallen werden!“
Die beiden Frauen, die mit offenen Augen den Überfall mitangesehen hatten, verließen auch rasch die Bank, da sie sich angeblich an nichts erinnern konnten und in nichts hineingezogen werden wollten.
„Das sind alles hirntote Amöben“, flüsterte ich meinem liebsten Menschen zu.
„Dumm wie zwei Meter Feldweg“, echote sie leise.
Plötzlich bewegten sich die senkrechten Jalousien hinter der Glaswand zur Schalterhalle. Eine Bankangestellte spähte von innen durch die geschlossenen Scheiben. Als die drei Frauen mit den Armen gestikulierten, schloss sie die Glastür zum Vorraum der Bank auf, in dem sich noch die Bestohlene, die Frau mit dem Handy, Elke und ich befanden.
Sie fragte: „Was ist denn hier los? Warum machen Sie denn solch einen Lärm?“