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»Ich hatte einfach keine Ahnung, was so ein Katzenbiss bedeuten kann.« Aus reiner Tierliebe hat die Autorin eine räudige Katze aus dem Straßengraben gerettet und aufgenommen. Wäre da nicht Bonnie, die Hündin, könnte das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. So aber kommt es zum handgreiflichen Eifersuchtsdrama zwischen den beiden Tieren, das der Schriftstellerin einen üblen Katzenbiss auf dem Arm beschert. Der wird zwar gleich desinfiziert, aber am nächsten Tag beginnt die Hand bedrohlich anzuschwellen und lässt sich nicht mehr bewegen. Da befindet sich die pflichtbewusste Schriftstellerin aber schon im Flieger nach Budapest zu einer Lesung. Was folgt, ist eine Sightseeingtour durch die Notaufnahmen Budapests – und nicht zuletzt ein dramatischer Kampf um Leben, Tod und die Autorenhand.
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Seitenzahl: 38
Monika Maron
Erzählung
Später habe ich darüber nachgedacht, ob die ganze Geschichte vielleicht nicht passiert wäre, wenn sie nicht ausgerechnet an einem Ostersonntag angefangen hätte, ob uns der Ostersonntag zu besonderer Herzensgüte verpflichtet, jedenfalls jede Hartherzigkeit verboten hätte. Aber ich glaube, es wäre auch an jedem anderen Tag so gekommen, wie es dann gekommen ist.
An diesem Ostersonntag ging ich mit Bonnie auf unserer Dorfstraße spazieren. Eigentlich ist es keine richtige Dorfstraße, sondern der Zufahrtsweg von der Chaussee zu unserem Dorf, das auch kein richtiges Dorf ist, sondern nur eine Ansammlung von vierzehn Häusern. Auf dieser Straße, auf der man selten Menschen trifft, sondern nur Autos, sah ich schon von weitem eine Gruppe von Erwachsenen und Kindern, die mitten auf der Straße um etwas herumstand, das zwischen ihnen zu liegen schien. Als ich näher kam, erkannte ich Doreen mit Pepe, Mia und Doreens Mutter, die ratlos auf eine Katze starrten, die zusammengerollt zwischen ihren Füßen lag und sich nicht rührte, nicht einmal, als Bonnie sie mit empörtem Bellen umkreiste. Niemand wagte es, die Katze zu berühren, weil ihr seltsames Verhalten darauf schließen ließ, dass sie krank war, vielleicht sogar gefährlich. Erst als ein Auto kam und wir alle laut und dringlich auf die Katze einredeten, vielleicht berührte sie jemand sogar mit der Fußspitze, stand sie auf, schlich kraftlos auf den Grasstreifen neben der Straße und ließ sich in das hohe Gras fallen wie in ein Nest. Nachdem wir die Katze davor bewahrt hatten, überfahren zu werden, hatten wir wohl das Gefühl, unser Möglichstes getan zu haben. Doreen, ihre Mutter und die Kinder setzten ihren Spaziergang fort, ich lief mit Bonnie zurück zum Haus und erzählte Jonas, meinem Sohn, der als Kind einige Katzen von der Straße ins Haus gebracht hatte, von dem unglücklichen Tier. Wenn sie schon sterben muss, soll sie es wenigstens gut dabei haben, sagte mein Sohn.
Wir fuhren gemeinsam, ausgestattet mit einem Topf Wasser und ein paar Wurstscheiben, dahin, wo wir die Katze zurückgelassen hatten. Sie lag gottergeben an derselben Stelle im Gras, als hätte sie sich zum Sterben niedergelegt. Erst als wir die Wurstscheibe vor ihrer Nase schwenkten, erwachte der Rest von Leben in ihr. Sie fraß gierig eine Scheibe nach der anderen, trank von dem Wasser, was in uns Zweifel an ihrer Sterbenskrankheit aufkommen ließ.
Jonas nahm sie auf den Arm und gab einen erschrockenen Laut von sich. Die ist ja nur Fell und Knochen, sagte er.
Wir nahmen sie mit, stellten eine ausgepolsterte Gemüsekiste, Schüsseln mit Futter und Wasser auf die Wiese neben unserem Garten, legten die Katze in die Kiste und widmeten uns wieder Bonnie, die aufgeregt und argwöhnisch unsere Sorge um das fremde Tier beobachtet hatte. In ihrem Revier duldet Bonnie keine Katzen, und da sie unser ganzes Dorf samt den angrenzenden Feldern für ihr eigenes Einzugsgebiet hält, bringen sich die ortsansässigen Katzen in Sicherheit, sobald meine Rufe und Pfiffe ihnen Bonnies Nähe signalisieren. Nur Klara und Joey, die Katzen meiner Berliner Nachbarn, liebt Bonnie. Wenn meine Nachbarn und ich uns zufällig im Treppenhaus treffen und unsere Wohnungstüren offen stehen, rennt Bonnie sofort in die Nachbarswohnung, um fiepend und buhlend vor Joey und Klara herumzutänzeln, was die Katzen nur stumm und misstrauisch beobachten. Manchmal schleicht Klara auch neugierig in meine Wohnung, was Bonnie widerspruchslos geschehen lässt. Die Eigentumsverhältnisse waren geklärt, jeder hatte seine Wohnung, was ein friedliches Miteinander über Gattungsgrenzen hinweg offenbar ermöglicht. Eine andere Erklärung habe ich nicht gefunden, denn an äußeren Merkmalen konnte es nicht liegen, Klara ist schwarz wie Lakritz aus unserem Dorf, und Joey ist getigert wie unsere halb verhungerte Fundkatze.
Nachdem wir Bonnie ausgiebig gefüttert und gestreichelt hatten, beruhigte sie sich, und wenn wir nach der Katze sehen wollten, die erschöpft in der Gemüsekiste lag, lockten wir Bonnie vorher ins Haus.