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"Diese meisterhafte Erzählung über einen Hund sagt alles über uns Menschen." - Ulrich Wickert "Ich saß verloren in meiner Wohnung und fragte mich, was ich hier eigentlich sollte. Mein Hund war gestorben und hatte mich in die Einsamkeit entlassen. Ich brauchte einen neuen Hund." Die unvergessliche Geschichte von Bonnie Propeller, dem Hund mit den zwei Namen, handelt von unerfüllbaren Erwartungen und unverhofftem Glück; von Freude, Liebe – und von der selbstverordneten Notwendigkeit, dreimal am Tag das Haus zu verlassen.
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Seitenzahl: 46
Monika Maron
Bonnie Propeller
Erzählung
Hoffmann und Campe
Momo starb ein paar Tage vor Weihnachten. Im Frühjahr hatten wir gehofft, er würde noch zwei Jahre leben, dann wäre er fünfzehn geworden. Im Sommer, als er mit dem rechten Hinterbein schon leicht hinkte, dachten wir, er könnte es noch bis zum nächsten Sommer schaffen. Aber dann ging alles sehr schnell. Am Ende stolperte er fast bei jedem Schritt, auf dem Parkett rutschten ihm die Beine weg, und das Leid in seinem Hundegesicht war herzzerreißend. Ich ahnte, dass ich den richtigen Tag für Momos Tod nicht finden würde. Nur nicht zu früh, aber als ich es endlich entschieden hatte, dachte ich, es war vielleicht schon zu spät.
Ich litt mit ihm, ich trauerte um ihn, und gleichzeitig suchte ich nach einem neuen Hund. Manche Menschen finden es herzlos, einen Hund gleich durch einen anderen zu ersetzen, weil sie in dem Hund vor allem ein Objekt ihrer Liebe sehen wie in einem geliebten Menschen, den man schließlich auch nicht innerhalb von Wochen oder sogar Tagen durch die Anschaffung eines anderen Menschen ersetzen kann. Natürlich habe auch ich Momo geliebt als den einzigartigen, ganz besonderen Hund, der er war. Gleichzeitig war er aber ein Vertreter aller Hunde, auch aller Tiere, eine Art Institution. Und wenn der Vertreter einer Institution stirbt, der Papst oder ein Staatspräsident oder ein Parteivorsitzender, dann muss er auch sofort ersetzt werden, weil sonst ein ganzes Gefüge in Unordnung geraten kann. In diesem Fall war das Gefüge, das in Unordnung geraten konnte, mein eigenes Leben. Ich brauche ein Wesen um mich herum, das nichts anderes ist als Leben, das nichts weiß vom Aufstieg und Niedergang Roms, vom Dreißigjährigen Krieg und von der Shoah, nichts von Platon, Joyce und Kafka, nicht einmal von Konrad Lorenz; ein Lebewesen, das sich nicht für die neuesten Nachrichten interessiert und dem das Wort Zukunft nichts bedeutet. Zwischen dem Hund und mir geht es nur um das Elementare, um die Nahrung, die Gemeinsamkeit und um Liebe. Es ist das Bündnis von zwei Kreaturen mit dem einzigen Zweck, einander Freude und Beistand zu sein. Den Hund verstehen bedeutet auch, das Tier in mir zu verstehen. Und abgesehen von diesem ideellen Aspekt des Zusammenlebens gab es auch noch den ganz profanen, die vom Hund bestimmte Ordnung eines Tages. Momo war tot, niemand zwang mich, auf die Straße zu gehen, niemand stand pünktlich um halb eins vor mir mit forderndem Blick, weil es Essenszeit war, kein Momo stupste mich, weil er gestreichelt werden wollte. Ich saß verloren in meiner Wohnung und fragte mich, was ich hier eigentlich soll. Mein Hund war gestorben und hatte mich in die Einsamkeit entlassen. Ich brauchte einen neuen Hund.
Als Bruno, mein Hund vor Momo, gerade gestorben war, habe ich auch mit verheulten Augen im Internet unter dem Stichwort Riesenschnauzermischling nach einem Nachfolger gesucht. Damals hatte ich Glück. »Sieht aus wie ein Riesenschnauzer, ist aber keiner« stand da über einen Hund, der schon auf einer Berliner Pflegestelle auf mich wartete und fünf Tage nach Brunos Tod bei mir einzog.
Auf einen ähnlich glücklichen Zufall hoffte ich auch diesmal. Ein bisschen kleiner als seine beiden Vorgänger sollte der neue Hund sein, und diesmal kein Rüde, ein Tribut an mein Alter und die vermutlich irgendwann schwindende Kraft. Ich suchte wie immer unter dem Stichwort »Schnauzermischling«, keinen Welpen, aber auch nicht zu alt, nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Zwei, die mir gefielen, waren schon vergeben. Ich verbrachte die Tage im Internet und suchte meinen neuen Hund., während Momo noch wie ein Schatten durch die Wohnung geisterte. Irgendwann muss ich auf eine Hündin mit dem seltsamen Namen Propeller gestoßen sein und wohl auch eine Anfrage an den vermittelnden Verein geschrieben haben. Und dann habe ich Propeller wieder vergessen, bis eines Morgens das Telefon klingelte und eine freundliche Stimme erwartungsfroh sagte, ich hätte mich doch für die Hündin Propeller interessiert. Ich wusste nicht mehr, wer unter den vielen Hunden, deren Fotos, Videos und Charakterbeschreibungen ich inzwischen gesehen und gelesen hatte, nun Propeller war, sagte, ich wolle noch einmal darüber nachdenken und mich dann melden. Ich suchte auf der Website des Vereins nach Propeller, fand eine schwarze, grau gefleckte Hündin, die ihrer Begleiterin bis ans untere Knie reichte, deren Schulterhöhe mit fünfundvierzig Zentimetern angegeben war und ihr Charakter als liebenswürdig und mit jedermann verträglich. Sie ähnelte auch entfernt einem Schnauzermischling. Natürlich war sie kein Momo, so wie Momo ja auch kein Bruno war, aber eigentlich war sie das, was ich suchte. Ich schickte Propellers Internetauftritt an meine Freunde, und wir entschieden gemeinsam, dass sie der richtige Hund für mich sei. Ich sagte zu, was noch nichts bedeutete, denn so, wie Propeller sich vor mir zu bewähren hatte, wurde ich nun von dem Verein geprüft. Ob ich genug Platz, Zeit und Geld für einen Hund hätte, ob ich hundeerfahren sei und mit ihm eine Hundeschule besuchen würde, ob ich notfalls eine Operation bezahlen könnte. Alle Fragen konnte ich guten Gewissens zur Zufriedenheit eines jeden Tierschützers beantworten, bis ich zu der Frage nach meinem Geburtsdatum kam. Es war wohl eine höhere Fügung, dass ich mich tatsächlich verschrieb und statt auf die vier auf die fünf tippte, Geburtsjahr 1951 statt 1941