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In diesem Buch widmet sich Monika Maron den Krähen – erstaunlichen Tieren, anhand derer eine große Schriftstellerin von Eleganz und Eigensinn, Kühnheit und Kraft nicht zuletzt von der Freiheit erzählt. »Aber als ich las, dass die Krähen den Menschen seit Anbeginn begleiten, dass seine ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen, seine ersten artikulierten Laute gehört haben, alle seine Kriege erlebt und von seinen Leichenfeldern gelebt haben, dass sie Toten- und Galgenvögel genannt wurden, weil sie überall auftauchten, wo die Menschen ihre Opfer hinterlassen hatten, erst als ich mir das vorstellte, begannen die Krähen aus meiner Straße sich in mein nächstes Buch zu drängen.«
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Seitenzahl: 41
Monika Maron
Krähengekrächz
Erzählung
Hoffmann und Campe
»Keine Tiergruppe haben Vorurteile und Wahnvorstellungen so sehr getroffen wie die Rabenvögel, zumal die ›Schwarzen‹ unter ihnen. Einzig die Ratten kamen zu einem ähnlich schlechten Ruf wie die Krähen. Die Geschichte der Einschätzung von Rabenvögeln ist ein dunkles Kapitel der Kulturgeschichte.«
Josef H. Reichholf in Rabenschwarze Intelligenz
Es ist schon länger her, dass ich in der Zeitung gelesen habe, Krähen könnten menschliche Gesichter erkennen. Später las ich, dass sie sich selbst im Spiegel erkennen und einen roten Fleck, den man ihnen aufs Gefieder geklebt hatte, als Fremdkörper identifizieren können und obendrein entfernen, und zwar an sich selbst, ohne auch nur den irrigen Versuch zu unternehmen, das Spiegelbild zu säubern. Noch später las ich, dass sie Nüsse auf die Fahrbahn legen, um sie von Autos knacken zu lassen. Außerdem habe ich selbst beobachtet, wie mein Hund nach einigen Versuchen, die Krähen, von denen es in unseren Straßen unzählige gibt, aufzuscheuchen, als wären sie schreckhafte Spatzenschwärme, von ihnen so demütigend gefoppt wurde, dass er seitdem ihre Nähe respektvoll ignoriert, auch wenn eine von ihnen dicht vor ihm herumhüpft. Er weiß, dass sie, würde er losspringen, auf den kleinen Zaun vom Spielplatz fliegen würde und von da, versuchte er, ihr zu folgen, auf den unteren Ast der Kastanie und ihm dann, während er, um wenigstens einen kleinen Sieg zu erringen, den Stamm der Kastanie anpinkelt, mit höhnischem Krächzen scharf über den Kopf fliegen würde.
Aber erst als ich las, dass die Krähen den Menschen seit Anbeginn begleiten, dass sie seine ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen, seine ersten artikulierten Laute gehört haben, alle seine Kriege erlebt und von seinen Leichenfeldern gelebt haben, dass sie Toten- und Galgenvögel genannt wurden, weil sie überall auftauchten, wo die Menschen ihre Opfer hinterlassen hatten, erst als ich mir das vorstellte, begannen sich die Krähen aus meiner Straße in mein nächstes Buch zu drängen.
Natürlich hätte ich mich auch für die Krähen interessieren können, ohne gleich ihren literarischen Nutzen zu bedenken. Aber aus Gründen, die genau zu benennen mir fast unmöglich ist, komme ich beim Nachdenken über die Menschen ohne die Tiere nicht mehr aus. Vielleicht liegt es am Alter, am allmählichen Verfall und an dem nahenden Sterben, das mich das Tier im Menschen so deutlich erkennen lässt. Mein kindlicher Blick hat die Tiere vermenschlicht, unser Hund war mein Bruder, mein Freund. Dass auch ich ein Tier bin, kam mir damals nicht in den Sinn, aber vielleicht habe ich es ja empfunden. Inzwischen sehe ich den Menschen als Sonderfall der großen Tierfamilie und kann mich nicht einmal entscheiden, ob die menschliche Besonderheit eher ein Glück oder ein Unglück ist.
Wenn ich einen Film sehe, in dem ein Tier leidet oder stirbt, muss ich weinen.
Ich weine nicht, wenn im gleichen Film Menschen sterben. Ich weine fast nie im Kino, nur wenn Tiere sterben. Als Kind habe ich einen sowjetischen Film gesehen über den russischen Bürgerkrieg der zwanziger Jahre, in dem massenhaft Menschen starben und ein weißes Kutschpferd. Der Film hieß, glaube ich, Flammende Herzen und lief oft mittags, wenn ich aus der Schule kam, im Fernseh-Testprogramm. Ich habe ihn wenigstens fünfmal gesehen auf dem postkartengroßen Bildschirm und habe jedes Mal um das Pferd geweint und um keinen Menschen.
Was ist das, was mich nur um die Tiere weinen lässt, da mich Qual und Tod von Menschen doch nicht weniger erschüttern, nur anders, härter, Intellekt und Logik ausgeliefert. Die Unschuld und das duldsame Leiden der in menschliches Handeln verstrickten Tiere aber treffen auf etwas bodenlos Weiches in mir.
Dann weinst du um das Tier in dir, sagte mein Freund Michael, mein zuverlässigster Gesprächspartner, wenn es um Mensch und Tier geht.
So wird es wohl sein, da wir mit jedem Tod, den wir betrauern, immer auch den eigenen meinen. Und ich, wenn mein Freund recht hat, beweine dann den Tod meines unschuldigsten und wehrlosesten Teils.
Nun also die Krähen.
Nachdem ich auch noch drei Bücher über die ungeheure Intelligenz der Krähen, die der von Schimpansen gleichkommt, gelesen hatte, nahm ich mir vor, die Krähe für mein nächstes Buch zu einer historischen und moralischen Instanz zu ernennen. Und um das frisch erkorene Objekt meiner Tierliebe besser zu verstehen, beschloss ich, mich mit einem Exemplar dieser Spezies zu befreunden. Schon dieses Vorhaben beweist, wie wenig ich von Krähen verstand.
Da es Winter war, begnügte ich mich zunächst damit, Futter in den leeren Balkonkästen auszulegen. Dass Krähen Walnüsse lieben, hatte ich gelesen. Und da sie Aasfresser sind, müssen sie auch Wurst mögen, dachte ich und kaufte eine lange Geflügelfleischwurst für 1,49 Euro, schnitt sie in kleine Würfel und schüttete sie zwischen die Nüsse. Ich weiß nicht, ob sie mein Angebot gesehen oder gerochen oder mich auf dem Balkon nur beobachtet hatten, jedenfalls landeten nach kurzer Zeit zwei Krähen auf meinem Balkon, saßen