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Die Vollstreckerin Amaranthe Lokdon ist wirklich gut in ihrem Job. Ihr Revier liegt in der Hauptstadt des Reichs, in der dampfbetriebene Straßenbahnen und Maschinen das Straßenbild prägen. Hier ist das Verbrechen allgegenwärtig. Diebe rauben fleißige Geschäftsfrauen aus und Unbekannte setzen Gebäude am Seeufer in Brand. Amaranthes Aufklärungsrate ist exzellent und ihre Führung tadellos. Trotzdem wird sie immer wieder übergangen, wenn es um eine Beförderung geht. Als weibliche Gesetzeshüterin ist sie die Ausnahme im Kaiserreich Turgonia. Amaranthes Ehrgeiz und Gerechtigkeitssinn werden eher belächelt als belohnt. Doch dann erlebt der junge Kaiser Amaranthe bei einem beherzten Einsatz. Kurz darauf betraut Armeeoberkommandeur Hollowcrest sie mit einem geheimen und haarsträubenden Auftrag: Sie soll Sicarius, den meistgesuchten Auftragsmörder des Reichs, unschädlich machen. Weder Amaranthes Geltungsdrang noch ihre Neugierde lassen es zu, diesen Auftrag abzulehnen, obwohl sie ahnt, dass Hollowcrest sie nicht befördern, sondern erledigen will. Warum das so ist, wird ihr erst durch die Begegnung mit Sicarius klar. Und allmählich begreift sie auch, dass das Leben von Kaiser Sespian in Gefahr ist. Wird Amaranthe den Hintermännern der Verschwörung gegen den Kaiser auf die Spur kommen? Welche Rolle spielt die geheimnisvolle Schmiede-Gruppe, die im Reich agiert? Und kann Amaranthe – gemeinsam mit den vier Mitstreitern, die sie angeworben hat – das magische unverletzliche Raubtier bezwingen, das nachts auf Beutezug geht und seine Opfer auf grausame Art verstümmelt? „Die Klinge des Kaisers“ ist der erste Band der 7-bändigen Emperor's-Edge-Reihe von Lindsay Buroker und erscheint erstmals in deutscher Übersetzung (Cordula Hubert) im Original E-Book beim Verlag BestSelectBook.
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Seitenzahl: 569
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Lindsay Buroker
Die Klinge des Kaisers
Aus dem Amerikanischen
von
Cordula Hubert
The Emperor’s Edge
Band 1
© by the Author
war Rettungsschwimmerin, Soldatin bei der U.S. Army und hat als IT-Administratorin gearbeitet. Sie hat eine Menge Geschichten zu erzählen. Seit 2011 tut sie das hauptberuflich und veröffentlicht ihre Steampunk-Fantasy-Romane im Self-Publishing. Die erfolgreiche Indie-Autorin und begeisterte Bloggerin lebt in Arizona und hat inzwischen zahlreiche Romanserien und Kurzgeschichten geschrieben. Der erste Band der Emperor’s-Edge-Serie „Die Klinge des Kaisers“ ist jetzt ins Deutsche übersetzt.
Cordula Hubert
hat Amerikanistik und Geschichte studiert und arbeitet als Lektorin und Übersetzerin im Bereich Sach- und Fachbuch. Wenn sie jetzt mit „Die Klinge des Kaisers“ ihre erste literarische Übersetzung vorlegt, ist das die logische Folge ihrer Liebe zur englischen Sprache und zu allen fantastischen Genres, ob Fantasy, Science Fiction oder Steampunk. Sie hat Lindsay Burokers Bücher, die alle diese Genres vereinen, für den deutschsprachigen Markt entdeckt. Cordula Hubert lebt mit Mann und drei Kindern in Olching bei München.
Martina Tacasz
ist Lektorin und Übersetzerin. Sie hat die Übersetzung lektoriert, denn sie weiss: „Eigenheiten des englischen Sprachgebrauchs stellen besondere Anforderungen an eine Übersetzung, die sich oft erst im Lektorat offenbaren.“
Die Vollstreckerin Amaranthe Lokdon ist wirklich gut in ihrem Job. Ihr Revier liegt in der Hauptstadt des Reichs, in der dampfbetriebene Straßenbahnen und Maschinen das Straßenbild prägen. Hier ist das Verbrechen allgegenwärtig. Diebe rauben fleißige Geschäftsfrauen aus und Unbekannte setzen Gebäude am Seeufer in Brand. Amaranthes Aufklärungsrate ist exzellent und ihre Führung tadellos. Trotzdem wird sie immer wieder übergangen, wenn es um eine Beförderung geht. Als weibliche Gesetzeshüterin ist sie die Ausnahme im Kaiserreich Turgonia. Amaranthes Ehrgeiz und Gerechtigkeitssinn werden eher belächelt als belohnt. Doch dann erlebt der junge Kaiser Amaranthe bei einem beherzten Einsatz. Kurz darauf betraut Armeeoberkommandeur Hollowcrest sie mit einem geheimen und haarsträubenden Auftrag: Sie soll Sicarius, den meistgesuchten Auftragsmörder des Reichs, unschädlich machen. Weder Amaranthes Geltungsdrang noch ihre Neugierde lassen es zu, diesen Auftrag abzulehnen, obwohl sie ahnt, dass Hollowcrest sie nicht befördern, sondern erledigen will. Warum das so ist, wird ihr erst durch die Begegnung mit Sicarius klar. Und allmählich begreift sie auch, dass das Leben von Kaiser Sespian in Gefahr ist.
Wird Amaranthe den Hintermännern der Verschwörung gegen den Kaiser auf die Spur kommen? Welche Rolle spielt die geheimnisvolle Schmiede-Gruppe, die im Reich agiert? Und kann Amaranthe – gemeinsam mit den vier Mitstreitern, die sie angeworben hat – das magische unverletzliche Raubtier bezwingen, das nachts auf Beutezug geht und seine Opfer auf grausame Art verstümmelt?
„Die Klinge des Kaisers“ ist der erste Band der 7-bändigen Emperor's-Edge-Reihe von Lindsay Buroker und erscheint erstmals in deutscher Übersetzung (Cordula Hubert) im Original E-Book beim Verlag BestSelectBook.
Korporal Amaranthe Lokdon ging ungeduldig auf und ab. Bei jedem Schritt schlugen ihr Kurzschwert, Schlagstock und Handschellen gegen die Oberschenkel und klapperten. Düster ragte das Gebäude des Vollstreckerhauptquartiers über ihr auf wie eine bedrohliche Felswand. Es schien die Umgebung misstrauisch zu beobachten, fast wie ein Geier, aber mit weniger Charisma.
Amaranthe zog zum wiederholten Mal ihre Taschenuhr hervor und schaute darauf. Wobliebihr Partner nur?
Sie hörte das leise Knirschen von Stiefeln auf Schnee und blickte auf. In einer engen Seitenstraße tauchte ein gedrungener, stämmiger Mann in Vollstreckergrau auf. Die ersten Sonnenstrahlen brachten das Messing der großen Rangabzeichen, die sich auf seinem Kragen drängten, zum Glänzen: vier Balken, darüber zwei gekreuzte Schwerter – das Abzeichen eines Bezirkskommandeurs.
Amaranthe unterdrückte eine Grimasse, nahm Haltung an und schlug zackig die Hacken zusammen. Der Mann warf ihr einen grimmigen Blick zu. Immer, wenn der Bezirkskommandeur schlechte Laune hatte, trafen sich seine grauen, buschigen Augenbrauen in der Mitte, so wie jetzt.
Sie schluckte. „Guten Morgen, Bezirkskommandeur Gunarth.“
„Lokdon“, knurrte er, „werden Sie von der Stadt dafür bezahlt, vor dem Hauptquartier herumzulungern? Denn falls die Hauptstadt des Kaiserreichs Turgonia, des mächtigsten Landes der Welt, ihre Vollstrecker für deren unnützes Herumlungern vormeinemHauptquartier bezahlen sollte, wäre ich wohl davon in Kenntnis gesetzt worden.“
Amarante wollte gehorsam „Ja, Sir“ antworten, oder war „Nein, Sir“ besser? Sie hatte über seiner Tirade die Frage völlig vergessen. „Ich warte auf meinen Kameraden, Sir“, erklärte sie stattdessen.
„Ihre Schicht hat vor fünf Minuten angefangen. Also, wo ist er?“
„Er …“ist verkatert, schläft noch, sucht verzweifelt eine nicht zerknitterte Uniform„…geht verdächtigen Machenschaften in Curis Bäckerei nach.“
Die Brauen des Bezirkskommandeurs schoben sich förmlich übereinander. „Ich will Ihnen mal etwas erklären, Lokdon.“
„Sir?“ Amaranthe hoffte, aufmerksam zu wirken.
„Ihre oberste Loyalität gilt dem Kaiser.“ Er hob die Hand über seinen Kopf, um eine luftig hohe Position anzudeuten. „Die zweite gilt der Stadt. Die dritte all jenen, die in der Befehlskette über Ihnen stehen.“ Seine Hand hatte sich beim Sprechen stufenweise abwärts bewegt. Er zeigte auf ihre Füße. „Ganz da unten bei Ihren Stiefeln ist der Platz für die Loyalität gegenüber Ihrem Dienstkameraden. Verstanden?“
„Kaiser, Stadt, Sie, Stiefel. Verstanden, Sir.“
„Soll das ein Witz sein, Lokdon?“ Seinem Ton nach war es besser keiner.
Sie seufzte. „Nein, Sir.“
„Wenn Sie nicht begreifen können, wem Sie verpflichtet sind, machen Sie es lieber wie die übrigen Frauen in Turgonia und eröffnen einen Laden.“
Amaranthe bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck und schob jeden Gedanken an ihre heißen Wangen beiseite. „Ja, Sir.“
„Also …“ Der Ton des Kommandeurs wurde gefährlich sanft. „Ich frage Sie noch einmal: Wo ist Ihr Kollege?“
Sie hob das Kinn. „Untersucht verdächtige Aktivitäten bei Curi.“
Der Kommandeur zuckte kaum merkbar zusammen, sagte aber nur: „Verstehe. Ich werde daran denken, wenn ich den Dienstplan für die Sonderschichten mache.“
„Ja, Sir.“
„Fangen Sie Ihre Streife ohne ihn an. Und wenn er Sie eingeholt hat, sagen Sie ihm: Wenn er es nicht schafft, pünktlich zur Arbeit zu kommen, dann schlafen Sie eben beide hier. In einer der Zellen.“
„Wird gemacht, Sir.“
Amaranthe trabte davon, bevor der Kommandeur weitere Drohungen ausstoßen konnte. Sie überquerte den breiten Boulevard vor dem Hauptquartier und joggte um einen schwerfälligen Dampftraktor herum, der gerade das Eis auf der Straße mit einer Schicht Salz bedeckte. Sie bog in eine von Schneehaufen gerahmte, kopfsteingepflasterte Gasse ein, die so eng war, dass man die Wände rechts und links mit ausgestreckten Armen berühren konnte. Fast hätte sie einen Mann und eine Frau angerempelt, die aus dem zu einem Buchladen umfunktionierten Tempel kamen. Die beiden waren in Pelzkappen und Anoraks eingepackt und wichen angesichts ihrer Uniform hastig in den Schatten einer kopflosen Statue in einer Wandnische zurück. Zur letzten Jahrhundertwende hatte Kaiser Motasch der Verrückte den Atheismus zur Staatsreligion erklärt und verfügt, dass alle Götterstatuen geköpft werden sollten. Selbst hundert Jahre später nannten die Einheimischen den Sitz des Kaiserreichs immer noch „Stumpf“.
Die köstlichen Düfte aus Curis Bäckerei stiegen Amaranthe in die Nase, als sie auf den nächsten Boulevard heraustrat, und sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Gebäude. Bilder von Apfeltaschen, glasierten Früchten und Gewürzbroten schmückten die Fenster und informierten diejenigen, die das Schild nicht lesen konnten. Ein schlaksiger Student stopfte sich beim Herauskommen einen Plunder in den Mund. Warmer Zuckerguss tropfte über sein Kinn.
Jemand tippte Amaranthe auf die Schulter. „Kauf dir was. Die Stadt wird schon nicht in Flammen aufgehen, nur weil du dir hin und wieder etwas gönnst.“
„Kann nicht.“ Sie warf ihrem Partner, Korporal Wholt, der jetzt neben ihr herging, einen Blick zu. Sie wollte ihn anschreien, weil er wieder zu spät gewesen war, aber es hätte sowieso keinen Sinn. Und welcher Mann legte schon Wert auf ungebetene Kritik? „Vollstrecker sollen sich fit halten. Nach so einem Plunder müsste ich heute Abend die ganze Seerunde laufen.“
„Das machst du garantiert sowieso, schon um dich dafür zu bestrafen, dass du nur in Versuchung geraten bist.“
Amaranthe hielt nicht viel von Wholts Ernährungstipps. Er war zwar deutlich größer als sie mit ihren ein Meter fünfundsechzig, aber seine krumme Haltung machte den Unterschied wieder wett. Der deutliche Ansatz eines Bierbauches wölbte sich über den Gürtel seiner unordentlichen, grauen Uniform. Das Rangabzeichen aus Doppelbalken auf der linken Kragenseite war in einem anderen Winkel festgesteckt als das auf der rechten. Sie griff nach einem, löste es und befestigte es so, dass beide Abzeichen zueinanderpassten.
„Danke“, sagte Wholt trocken. „Du weißt schon, dass du die großmütterlichste Fünfundzwanzigjährige bist, die ich je getroffen habe, oder?“
„Das liegt daran, dass die meisten Frauen, die du kennst, in Bordellen arbeiten.“
„Die sind die besten. Sehr zugängliche Damen.“
„Du hast beim Rasieren eine Stelle übersehen.“ Amaranthes Hand bewegte sich zu ihrem Taschenmesser. „Soll ich …?“
„Nein!“ Wholt duckte sich weg. „Wirst du es denn nie satt, das Musterbeispiel einer Vollstreckerin zu repräsentieren? Du mit deiner perfekt gebügelten Uniform, den allzeit glänzenden Waffen, und den festgezurrten Haaren. Kein einziges deiner schönen dunklen Haare entkommt je diesem unvorteilhaften Knoten.“
Mit einem Stirnrunzeln fasste Amaranthe nach ihren Haaren. Sie saßen ordentlich und störten sie nicht. Das war wichtiger als Schönheit.
„Du kommst überpünktlich zur Arbeit“, fuhr Wholt fort, „bleibst länger, beachtest jede Vorschrift punktgenau, und was hat es dir gebracht? Nach sechs Jahren bist du immer noch Korporal.“
„Du bist doch auch nach sechs Jahren immer noch Korporal“, erinnerte sie ihn.
„Na ja …“, sagte er mit selbstgefälligem Ausdruck, „wie es aussieht, bin ich auf die Beförderungsliste gekommen. Ich werde nächsten Monat Sergeant.“
„Was?Duwirst Sergeant? Du kennst noch nicht mal die Hälfte der Vorschriften und kommst jeden zweiten Tag zu spät zur Arbeit!“
Wholt schaute weg. „Du bist meine Partnerin, Amaranthe. Ich dachte, du freust dich für mich.“
Sie starrte auf den festgetretenen Schnee in den Gehwegritzen. Er hatte recht. Sie sollte sich für ihn freuen, aber dazu erschien ihr das alles zu ungerecht. „Glückwunsch“, brachte sie immerhin heraus, aber sie bezweifelte, dass es sich ehrlich anhörte.
„Sicher kommst du nächsten Monat auch dran“, sagte Wholt.
Amaranthe war eher vom Gegenteil überzeugt, selbst wenn der Distriktkommandeur wegen der Lüge von heute Morgen keine Rüge in ihrer Akte vermerkte. Sie kannte keinen einzigen weiblichen Sergeant in den Einheiten von Stumpf. In die Armeen des Kaiserreichs wurden Frauen nicht aufgenommen, und nur widerwillig hatte man ihnen erst in der vorigen Generation gestattet, als Gesetzesvollstreckerinnen in der Stadt zu arbeiten.
„Wholt.“ Amaranthe sah ihm in die Augen und berührte seinen Arm. „Versuch … ein guter Sergeant zu sein. Du repräsentierst das Kaiserreich, wenn du diese Uniform trägst, und du repräsentierst dich selbst. Das sollte dir etwas wert sein.“
Er richtete sich tatsächlich höher auf. „Das werde ich. Ich weiß. Es ist mir etwas wert.“
„Gut.“
Sein Blick ging über ihre Schulter. „Ist das Rauch?“ Er zeigte auf die klobigen Gebäude, die sich am Seeufer entlangduckten. „Oder nur Fabrikdunst?“
Unterhalb des Hügels arbeiteten Dutzende von Männern und Maschinen auf der gefrorenen Wasserfläche daran, Eisblöcke frei zu hacken, um sie für den Sommer einzulagern, aber Rauch behinderte die Sicht.
Amaranthe entdeckte die Quelle. „Da gibt es überhaupt keine Fabrik.“ Sie packte Wholt am Arm und zog ihn mit. „Feuer!“
Sie nahmen die Straßenbahn in Richtung Seeufer und stiegen an der nächstgelegenen Station aus. Dichte Rauchschwaden hingen in der Luft, und die beiden rutschten und schlidderten auf dem glatten Gehweg. Sie rannten um eine Ecke und wären beinahe in die hinteren Reihen einer Menschenmenge hineingerannt, die sich schon gebildet hatte.
In einem Wohngebiet mit mehr Holzhäusern wären die Leute wahrscheinlich mit Eimern hin und her gelaufen, um zu löschen, aber dieses verfallene Holzgebäude lag da wie eine Insel, umgeben von Backstein, Stein und Beton. Die Zuschauer schienen eher von dem Anblick fasziniert zu sein, als sich vor einer Ausbreitung des Feuers zu fürchten. Die Kaiserliche Feuerwehr war schon mit einer der selbstfahrenden Feuerspritzen der Stadt angerückt. Schwarzer Qualm stieg aus dem Auspuffrohr und vermischte sich mit den Rauchschwaden, die aus dem Gebäude herausquollen. Ein dicker Schlauch führte von der Pumpe zu einem Hydranten weiter oben an der Straße. Wasser spritzte auf die Flammen, die durch die zerborstenen Fenster des alten Gebäudes schlugen. Nur eine Ecke, in der ein mehrstöckiger Backsteinbrennofen stand, brannte nicht.
„Du sagtest vorhin etwas darüber, dass die Stadt nicht in Flammen aufgehen würde?“, fragte Amaranthe, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnten.
„Hab ich das gesagt?“
Hitze wallte über sie, trocken und drückend. Verkohlte Holz- und Papierflocken schwebten durch die Luft.
„Wir sollten besser helfen, die Leute im Zaum zu halten“, sagte Amaranthe, aber als sie sich weiter nach vorn drängten, sah sie aus den Augenwinkeln eine Kauffrau, die hinter der Theke ihres Importgeschäfts für Tee und Kaffee stand, während die anderen Ladenbesitzer sich draußen zu den Schaulustigen gesellt hatten. Zwei Männer rückten der Frau ziemlich nahe. Kunden? Angesichts der Nähe des Feuers wohl kaum. „Oder wir könnten dieser Dame helfen. Ich glaube, sie wird gerade ausgeraubt.“
„Was?“ Wholt blickte sich um. „Oh, diesen Geschäften schadet es nicht, hin und wieder ausgeplündert zu werden. Die Kaufleute führen sich in dieser Gegend sowieso schon wie Alleinherrscher auf.“ Aber er zog trotzdem sein Schwert.
„Ich gehe vorne rein“, sagte Amaranthe. „Komm du von hinten.“
„Sei vorsichtig.“ Wholt lief die Straße hinunter, um die Abkürzung durch eine Gasse zu nehmen.
Amaranthe schritt durch die Vordertür. Überall standen Fässer und Kanister herum und an jeder Wand reichten vollgestopfte Regale vom Boden bis zur Decke. Der Duft von Teeblättern und Kaffeebohnen aus fernen Gegenden der Welt überlagerte den durchdringenden Rauchgeruch. Die Kauffrau stand vor der geöffneten Geldkassette und hielt ein Bündel Geldscheine in der Hand. Ihr Blick hellte sich auf, als sie Amaranthe in ihrer Uniform sah.
Amaranthe konzentrierte sich auf die zwei Männer, die sich vor der Händlerin aufgebaut hatten. Ein deckenhoher Stapel Kaffeedosen hinter den beiden Schlägertypen überragte diese um einen guten halben Meter.
„Sieh da“, sagte der eine Mann und stupste seinen Kumpan an, „sieht aus wie ein Vollstreckermädchen. Was sollen wir jetzt bloß machen?“
Sein Komplize kicherte. Die Gesichter beider Männer waren von Narben gezeichnet. Schwerter hingen an ihren Gürteln und das schweißbefleckte Leder der Griffe zeugte von häufigem Gebrauch. Einer der Banditen bewegte sich zur Seite und gab den Blick auf eine Steinschlosspistole frei, die auf die Ladenbesitzerin gerichtet war. Offenbar hielt er Amaranthe nicht für eine so ernsthafte Bedrohung, dass er jetzt lieber sie aufs Korn genommen hätte.
Entrüstung flammte in ihr auf und ihre Hand zuckte ans Schwert, aber sie bremste sich, bevor sie etwas Unüberlegtes tun konnte. Schließlich war es besser, wenn keine Waffe auf ihre Brust gerichtet war.
„Meine Herren“, sagte Amaranthe, „dieser Überfall ist zu Ende. Wenn Sie Ihre Waffen niederlegen und sich ruhig festnehmen lassen, kann ich vielleicht beim Magistrat ein gutes Wort für Sie einlegen. Dass Sie Feuerwaffen besitzen, die laut Vorschrift Nummer sieben-vier-drei Schrägstrich A der Kaiserstadt dem Militär vorbehalten sind, hebt Ihr Verbrechen von der Ebene eines einfachen Diebstahls auf die der räuberischen Erpressung.“
„Ach Quatsch!“ Der Bandit winkte ab und grinste die Händlerin an. „Gib uns das Geld, Lady.“
Amaranthe zog ihr Schwert. Die Banditen zeigten sich in etwa so beeindruckt, als hätte sie ein junges Kätzchen angefaucht. Wahrscheinlich hatten sie recht. Sie waren in der Überzahl und sahen aus wie Ex-Soldaten. Auf der Vollstreckerakademie hatte Amaranthe zwar Schießen und unbewaffneten Kampf trainiert, aber das war gar nichts im Vergleich zu dem ständigen Drill der Soldaten. Und das wussten die beiden auch. Einer der Räuber nahm abfällig grinsend eine halbherzige Verteidigungsstellung ein.
Ein Blick auf den Hintereingang bestätigte Amaranthe, dass ihre Verstärkung ausblieb. Was war mit Wholt?
Der Bandit verlagerte das Gewicht, um sie anzugreifen.
Amaranthe ging in die Knie, zog ihre Schulter zurück und schleuderte mit aller Kraft ihr Schwert. Beide Männer hoben reflexartig ihre Klingen zur Abwehr, aber als sie merkten, dass das Schwert sie ohnehin verfehlen würde, prusteten sie los.
Die Männer waren nicht ihr Ziel.
Das Schwert krachte in die deckenhohe Ansammlung von Kaffeedosen hinter den beiden. Der Stapel explodierte förmlich und die gefüllten Behälter purzelten auf die Räuber hinab. Metall schlug gegen Haut und Knochen, und die Männer fluchten, während sie mit den Armen ruderten, stolperten und schließlich umfielen. Einer schlug im Fallen mit dem Kopf an die Theke und bewegte sich nicht mehr. Der andere stürzte, beeilte sich wieder hochzukommen, rutschte auf einer Dose aus und krachte mit dem Kinn auf den gefliesten Boden.
Amaranthe bahnte sich einen Weg mitten in das Durcheinander, trat einem der Männer auf den Rücken und sammelte alle Waffen ein. Sie gab die Pistole an die Ladenbesitzerin weiter, die sie voller Schadenfreude auf die liegenden Räuber richtete. Amaranthe legte indes dem einen Handschellen an und fesselte den anderen mit einem Stück Schnur.
„Gut gemacht, Korporal“, sagte jemand ganz ruhig von der Eingangstür her.
„Danke.“ Sie wollte sich eben umwenden, um den Sprecher anzusehen, als Wholt durch die Hintertür hereinstürmte. „Wo bist du gewesen?“, empfing sie ihn. „Hast du dich verirrt?“
„Da war ein dritter Kerl an der Hintertür. Ich musste … äh … ähm …“ Wholts Kinnlade klappte nach unten. Er starrte an Amaranthe vorbei. „Guten Morgen, Hoheit“, brachte er schließlich heraus.
Hoheit? Amaranthe richtete sich langsam auf und drehte sich um. Am Eingang standen sechs hochgewachsene, breitschultrige Männer in schwarzen, goldbesetzten Uniformen – den Farben der Elitegarde des Kaisers – mit einem kleineren Mann von etwa achtzehn oder neunzehn Jahren in ihrer Mitte. Er hatte hellbraunes Haar, sanfte, braune Augen und – ja, daswardasselbe Gesicht, das auch das Geld in der Kassette der Ladenbesitzerin schmückte. Kaiser Sespian Savarsin, der seit dem vorigen Jahr, als er volljährig wurde, an der Macht war.
„Guten Morgen“, antwortete der Kaiser.
Amaranthe stammelte einen Gruß.Was macht der Kaiser in dieser Gegend? Sollte er nicht irgendwo in Sicherheit sein und kaiserliche Dinge tun?Sie durchforstete ihr Gedächtnis nach geeigneten Benimmregeln und fand – nichts. Kaiser tauchten traditionsgemäß nicht einfach in den Läden am Seeufer auf. Ganz sicher hatten sie keinen Umgang mit Menschen aus der Arbeiterklasse.
Die Kauffrau, die genauso nervös war, sank in einen tiefen Knicks und sagte: „Hoheit, ich muss mich für das Durcheinander in meinem Geschäft entschuldigen.“
Der Kaiser hob die Augenbrauen. „Ich sollte mich bei Ihnen entschuldigen, meine Dame. Dafür, dass es so etwas“, er deutete auf die Banditen „in der Stadt gibt. Glücklicherweise sind unsere Vollstrecker gut dafür ausgebildet.“ Er federte dabei etwas auf und ab und lächelte Amaranthe an, als wäre er einfach ein junger Mann, der Freunde suchte, und nicht jemand, der über Millionen Menschen herrschte.Schnapp nicht über, Amaranthe.
„Ja, Hoheit“, sagte sie. Das schien eine ungefährliche Antwort zu sein.
„Wie heißen Sie?“, fragte er. „Sie beide?“ Seine Geste schloss Wholt mit ein.
„Korporal Lokdon“, sagte Amaranthe. „Und das ist Wholt, Sergeant in spe“, fügte sie hinzu, weil Wholt nichts Brauchbares herausbrachte.
Zur Tür herein hetzte ein schwerfälliger Mann mit Hängebacken. Schweißtropfen glänzten auf seinem Gesicht. Der Kaiser seufzte wie ein Junge, der von seinem Erzieher erwischt worden war.
„Hoheit, da sind Sie ja. Das Feuer ist jetzt unter Kontrolle. Möchten Sie Ihre Inspektion jetzt fortsetzen?“
„Eigentlich nicht.“ Der Kaiser lächelte wehmütig.
„Armeeoberkommandeur Hollowcrest wird uns pünktlich zurückerwarten.“
„Wahrscheinlich.“ Der Kaiser warf einen kummervollen Blick auf Amaranthe, bevor er mit seiner Garde im Gefolge den Laden verließ.
Nachdem das Gefolge verschwunden war, schob sich Wholt durch die Dosen und stieß Amaranthe seinen Ellenbogen in die Rippen. „Ich glaub, er mag dich.“
Sie schnaubte. „Ja, ich bin sicher dafür bestimmt, die nächste Kaiserin zu werden.“
„Das ist vielleicht ein bisschen zu ehrgeizig, aber du hättest ihn um eine Beförderung bitten können.“
Für einen Moment erschien ihr der Gedanke verlockend. Wenn der Kaiser dem Bezirkskommandeur sagte, er solle jemanden befördern, würde das doch sicher geschehen. Und sie hatte es schließlich verdient, oder? Sie arbeitete viel mehr als Wholt. Aber nein. „Wenn ich befördert werde, dann, weil ich es mir verdient habe, so wie alle anderen auch, und nicht, weil ich um einen Gefallen gebeten habe.“
„Duhastes verdient!“
Die Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und schwelten noch. Amaranthe zählte acht, während sie um den Haufen herumging. Die durchweichten Dielenbretter knarzten verdächtig. Es war eine gefährliche Stelle, weil die Flammen auch die Stützpfeiler und Balken im Keller versengt hatten. Mehrere Bretter hatten bereits nachgegeben und waren eingefallen. Im Boden klaffte ein großes Loch, wo vorher ein Arbeitstisch gestanden hatte. Trotzdem blieb sie, atmete die Luft, die stark nach Feuer und Tod roch, und suchte nach Antworten.
Die ersten Feuerwehrleute hatten beim Betreten des Gebäudes die Leichen so aufgeschichtet vorgefunden und sie nicht angetastet. Gesichtszüge, Kleidung, Haut- und Haarfarbe waren durch die Flammen, die alles zu schwarzen Klumpen verbrannt hatten, unkenntlich geworden. Amaranthe konnte noch nicht einmal das Geschlecht der Toten bestimmen.
„Ganz sicher Brandstiftung, Sir“, richtete sich ein Vollstreckungsrekrut an Wholt, der an einem Fenster stand, weil der Boden in Wandnähe stabiler war. „Wir haben unten leere Petroleumdosen gefunden.“
„Danke, äh …“
„Quets“, ergänzte Amaranthe den Namen. Sie sah von den Leichen auf und schaute den jüngeren Vollstrecker an. Er und sein Partner waren in der Nähe gewesen und frühzeitig bei dem Brand angekommen. „Was ist noch da unten?“
„Nur ein paar Werkzeuge, einige Töpfe in Regalen und der größte Brennofen, den ich je gesehen habe“, erwiderte Quets.
„Es ist seltsam, dass sie die Leichen nicht einfach im Ofen verbrannt haben“, überlegte Amaranthe laut. „Warum das ganze Gebäude anzünden?“
„Sie?“, fragte Wholt.
Amaranthe konnte nur mit den Achseln zucken, weil sie jetzt noch keine Ahnung hatte, wer „sie“ wohl waren oder warum jemand einen Massenmord in einer Töpferei begehen würde. Natürlich konnten die Toten auch von irgendwo hergebracht und hier abgelegt worden sein, um – ja, was? Sie schüttelte den Kopf.
„Quets“, sagte Amaranthe, „fahren Sie mit der Straßenbahn zurück zum Hauptquartier und berichten Sie dem Chef, was wir hier gefunden haben und dass wir einen Dampfwagen brauchen. Die Knochensäger werden sich die Leichen ansehen wollen.“
Ihr wurde übel von dem Geruch nach versengtem Fleisch und sie suchte sich einen Weg zwischen den Pfützen hinüber zu dem Fenster, an dem Wholt stand. Die Scheiben, die nicht zerbrochen waren, waren rußverschmiert. Schneeflocken trudelten durch die Brandlöcher in der Decke und vermischten sich mit dem Wasser, das von den Balken tropfte.
„Was meinst du?“, fragte sie.
„Eine Sauerei ist das.“
„Sehr aufmerksam beobachtet. Danke.“
„Es ist offensichtlich, oder?“, fragte Wholt. „Jemand hat eine Gruppe von Leuten umgebracht und wollte Hinweise verschwinden lassen, indem er die Leichen unkenntlich macht. Sie haben wahrscheinlich gedacht, dass sie zusammen mit dem Fußboden komplett verbrennen. Die Feuerwehr war einfach zu gut.“
„Hm“, machte Amaranthe. „Ich möchte mir mal den Keller ansehen. Dann müssen wir die Künstler befragen, die hier arbeiten, und rausfinden, ob jemand – oder acht Jemande vermisst werden und ob hier vorher irgendetwas Auffälliges im Gange war. Wir sollten auch herausfinden, wem das Gebäude gehört.“
„Wir?“ Wholt hob fragend die Augenbrauen. „Wir gehen Streife und sind keine Ermittler. Der Chef wird einen Leutnant hierher schicken, der die Ermittlungen leitet.“
Amaranthe rollte mit den Augen. Er hatte natürlich recht. Aber dieser Fall würde in die Zeitung kommen, wahrscheinlich sogar auf die erste Seite. Wenn sie daran arbeitete, konnte das genau die Gelegenheit sein, die sie brauchte, um aufzufallen und sich ihre Beförderung zu verdienen. Vielleicht würde sie es schaffen, in das Ermittlungsteam aufgenommen zu werden.
„Ich wette, es war Sicarius“, sagte Wholt.
Amaranthe stutzte. „Was?“
Wholt schaute auf die verkohlten Leichen. „Du weißt schon, Sicarius, der Auftragsmörder. Der einzige Verbrecher, auf den ein Kopfgeld von einer Million Ranmya ausgesetzt ist. Der einzige Verbrecher, dessen Kopfgeld von Kaiser Sespian selbst ausgesetzt wurde.“
„Ich weiß, wer Sicarius ist“, sagte Amaranthe. Durch dieses Kopfgeld kannte jeder im Reich seinen Namen. „Aber warum meinst du, dass er hierfür verantwortlich ist?“
„Er ist wieder in der Stadt. Ich hab’s gestern Abend gehört. Einer dieser Taschendiebe, die auf Sporthallen spezialisiert sind, und hinter denen wir schon den ganzen Winter her sind, hat sich gestellt. Anscheinend war er auf seiner Plünderrunde in einem der öffentlichen Bäder und hat Sicarius′ Handtuch angefasst, als ihm klar wurde, wessen Sachen er da gerade durchwühlte. Den ganzen Tag lang hat sich der Langfinger verfolgt gefühlt und kam dann ins Hauptquartier. Wollte verhaftet werden, damit er sich in einer Zelle verstecken kann.“
„Hat der Chef ein paar Leute zu der Sporthalle geschickt?“, fragte Amaranthe. Es ärgerte sie, dass ein Verbrecher es wagte, in öffentlichen Anlagen Sport zu treiben und zu baden.
„Er glaubt dem Taschendieb nicht. Zumindest behauptet er das“, sagte Wholt. „Ich kann’s verstehen. Als Sicarius das letzte Mal in Stumpf war, haben wir bei dem Versuch, ihn zu fassen, dreißig Männer verloren.“
„Ich erinnere mich.“ Zwei Männer aus Amaranthes Akademiejahrgang waren unter den Toten gewesen. Aber es machte sie krank, wenn bei einem Verbrecher in der Stadt einfach weggeschaut wurde. Vielleicht war es falsch, Männer im offenen Kampf gegen einen so gefährlichen Gegner zu schicken, aber es gab doch sicher noch andere Wege. Wenn sie Distriktkommandeur wäre, würde sie vieles anders machen. Amaranthe seufzte. „Ich sehe mir den Keller an.“
Mehrere der geschwärzten Holzstufen waren unter den großen Füßen des Neulings zerbrochen. Dieses eine Mal war es von Nutzen, kleiner zu sein als die Männer, denn sie kam unbeschadet unten an.
Der Betonboden war mit herabgefallenen Brettern, zerbrochenen Tischen und anderen Trümmern übersät. Als sie einen mit Ruß bedeckten Besen in einer Ecke entdeckte, wäre sie fast hingegangen und hätte ihn sich geholt. Allerdings würde der offizielle Ermittler es nicht zu schätzen wissen, wenn sie vor seinem Eintreffen den Tatort sauber machte.
Unter ihren Füßen knirschte Keramik, als sie auf die Öffnung des Brennofens zuging. Keiner der Töpfe auf den hinteren Regalen war zerbrochen. Warum waren dann überall Scherben auf dem Boden?
Sie kniete sich hin, um besser sehen zu können.
Das erste Stück, das sie aufhob, sah überhaupt nicht wie ein Teil eines Tontopfs aus. Es war kegelförmig und erinnerte sie an eine Tasse, aber es konnte nicht gerade hingestellt werden, sodass es dafür wohl reichlich unnütz wäre. Sie drehte es zur Seite und auf den Kopf. So sah es ein bisschen wie ein aufgestelltes Hunde- oder Katzenohr aus, aber für beides war es viel zu groß.
Andere Scherben, die sie aufhob, waren noch rätselhafter. Nur jemand mit viel Zeit und Hingabe würde es schaffen, dieses Puzzle zusammenzusetzen.
„Hier ist frische Asche!“, rief Amaranthe, als sie den Feuerraum des Ofens erreichte.
Wholt wagte sich auf der unsicheren Treppe ein paar Stufen nach unten. „Vielleicht hast du es noch nicht bemerkt, aber hier istüberallfrische Asche.“
„Diese stammt aus dem Brennofen, nicht vom Hausbrand.“ Amaranthe hielt die Hand über das Glutnest. „Sie ist noch warm.“
„Ich wiederhole mich. Du hast es vielleicht nicht bemerkt, aberalleshier drin ist noch warm.“
„Du bist nicht gerade eine Hilfe, Wholt. Was ich sagen will, ist, dass der Brennofen noch vor Kurzem in Betrieb war.“
„Ich nehme an, die Leute brennen hier jeden Tag Töpfe.“
Sie nahm einen Schürhaken und stocherte in den grauen Kohlen. Darunter fand sie noch glühend rote Stücke. „Aber mitten in der Nacht?“
Auf diese Frage hatte Wholt keine sarkastische Antwort.
„Was wäre, wenn …“ Amaranthe kaute auf ihrer Lippe und besah sich die zerbrochenen Keramikstücke auf dem Fußboden. „Was wäre, wenn das Feuer doch nicht dazu da war, die Leichen zu verbergen? Oder das war nur ein vorteilhafter Nebeneffekt. Was, wenn jemand hier unten gewesen wäre, um etwas im Ofen zu zerstören, aber da war nicht genug Platz?“ Angesichts der beachtlichen Höhe des zweistöckigen Ofens war das eher unwahrscheinlich. „Oder sie wollten etwas da drinherstellen, was nicht jeder sehen sollte. Oder sie …“
„Bei den Eiern des Kaisers, Amaranthe, was für schändliche Dinge könnte man wohl in einem Brennofen herstellen?“
„Ich ... Na ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich hab nur laut gedacht.“
„Dann lass es einfach. Der Dampfwagen ist hier und das heißt, auch ein Leutnant vom NoDoc-Bezirk. Komm besser rauf, sonst staucht er dich noch zusammen, weil du ihm alles durcheinanderbringst.“
Amaranthe stieg seufzend die Treppe hoch. Sie sah noch einmal zu dem Leichenstapel hin, während sie auf die Gruppe von Vollstreckern zuging, die sich an der Eingangstür versammelt hatten. Wer waren diese Leutegewesen? Opfer? Komplizen? Unschuldige? Verschwörer?
Als sie den Leutnant sah, lief sie zu ihm und stand vor ihm stramm. „Korporal Lokdon, Sir. Ich habe mich hier umgesehen. Suchen Sie Leute für Ihr Ermittlungsteam?“
„Ich habe von Ihnen gehört, Korporal“, sagte der hochgewachsene, grauhaarige Mann.
Hatte er? Sie zögerte irritiert. Gutes?
„Sie stehen in dem Ruf, sehr penibel zu sein“, sagte er.
Verfaulte Ahnen!Daswar der Eindruck, den Vollstrecker in anderen Bezirken von ihr hatten?
„Sie und Ihr Partner können das Aufräumteam anführen. Der ganze Straßenzug sieht katastrophal aus.“
Amaranthe starrte ihn ungläubig an. Das war eine Aufgabe für zwei Rekruten! Wenn sie sich ihre Beförderung verdienen wollte, musste sie Kriminelle festnehmen und Fälle lösen. Damit konnte man sich hervortun und nicht damit, dass man auf der Straße mit Besen und Kehrschaufel hantierte.
„Gibt es ein Problem, Korporal?“, fragte der Leutnant.
Sie verkniff sich die Antwort, die ihr durch den Kopf schoss und die ihr nur Ärger eingebracht hätte. „Das Aufräumteam, Sir?“, fragte sie stattdessen. „Ich habe ein gutes Auge für Details. Ich glaube, ich könnte …“
„Ja, das Aufräumteam“, wiederholte der Leutnant mit einem warnenden Blick. „Das ist eine angemessene Aufgabe. Junge Damen sollten sich nicht mit blutigen Leichen abgeben.“ Er ging auf die Treppe zu und klopfte ihr im Vorbeigehen auf die Schulter. „Sie schaffen das schon.“
Amaranthe schaffte es gerade noch nach draußen, bevor sie ihr Schwert aus der Scheide riss und es gegen die nächste Wand schleuderte. Die Menschenmenge hatte sich inzwischen verlaufen. Anstatt mit einem satten Ton einzusinken, prallte die Spitze ab, und die Waffe klirrte auf den frostigen Gehweg. Sie stakste hin, hob sie auf und wollte sie noch einmal werfen. Sie lechzte danach, etwas aufzuspießen.
Wholt, der gerade nach draußen kam, hob die Arme, trat zurück und hielt klugerweise den Mund.
Amaranthe stopfte das Schwert zurück in die Scheide und schnitt sich dabei in die Hand. „Na wunderbar“, murmelte sie, als sie den Schmerz spürte.
Sie würde die Reinigung der Straße beaufsichtigen, aber dann würde sie es ins Ermittlerteam schaffen. So oder so.
Als Amaranthe an diesem Abend im Vollstreckerhauptquartier ankam, hatte sie sich eine Liste von Gründen im Kopf zurechtgelegt, warum sie an der Ermittlung beteiligt werden müsste. Sie stieß die Eingangstür auf und lief mit hochgerecktem Kinn fast Bezirkskommandeur Gunarth über den Haufen, der im Gang hin und her schritt.
„Was haben Sie gemacht, Korporal?“, fuhr er sie an, bevor sie überhaupt die Brandstiftung oder ihre Liste ansprechen konnte.
„Sir?“
„Armeeoberkommandeur Hollowcrest will Sie sehen“, sagte der Bezirkskommandeur.
Die Liste verpuffte in Amaranthes Kopf und sie musste sich an der kühlen Kalksteinwand des Gangs abstützen. Armeeoberkommandeur Hollowcrest war der höchste Militäroffizier des Reichs. Alle acht Generalkommandeure der Satrapien waren ihm persönlich unterstellt. Außerdem war er vierzig Jahre lang der engste Berater von Kaiser Raumesys und drei Jahre lang Sespians Regent gewesen. Weil Sespian noch so jung war, wurde Hollowcrest von vielen immer noch als die höchste Macht im Kaiserreich angesehen.
„Er willmichsehen?“ Amaranthe räusperte sich, um das Kieksen in ihrer Stimme zu verbergen.
„Sie“, bestätigte Bezirkskommandeur Gunarth. „Namentlich angefordert. Sie sollen sofort zum Kaiserlichen Stützpunkt kommen. Eigentlich kam der Bote schon vor zwei Stunden, aber Sie waren ja nicht auf Ihrer zugewiesenen Streife.“ Er blickte sie kühl an.
Das war nicht fair. „Sir, Wholt und ich waren bei einem Feuer im Einsatz, das…“
„Geben Sie mir Ihren Bericht später. Es ist schon dunkel. Sie bewegen Ihren Hintern besser hoch zum Stützpunkt, bevor Hollowcrest noch Ihretwegen sein Abendessen verschieben muss.“
„Ja, Sir.“
Schneidend kalte Luft wirbelte um ihre Wangen, als Amaranthe in die Straßenbahn stieg. Sie zitterte und stellte sich näher an den zischenden Boiler, der durch seine Wände Hitze verströmte.
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