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Eine Macht, die nicht länger verborgen bleiben kann ... Trip befindet sich auf der wichtigsten Mission seines Lebens. In Begleitung von Captain Kaika, der sprechenden Seelenklinge Jaxi und Rysha Ravenwood, der adligen Gelehrten und Offizierin, für die er definitiv keine Gefühle entwickeln sollte, muss er ein Portal schließen, das immer mehr Drachen in die Welt lässt. Wenn er versagt, könnte die gesamte Menschheit den mächtigen Kreaturen zum Opfer fallen. Als ob das nicht schon Grund genug zur Sorge wäre, droht das Geheimnis, das Trip sein ganzes Leben lang verborgen gehalten hat, aufgedeckt zu werden. Was werden seine Vorgesetzten denken, wenn sie herausfinden, dass er Magie besitzt? Was wird Rysha denken? Doch was Trip über sich selbst zu wissen glaubte, ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Die Realität ist weitaus unglaublicher, als er es sich je hätte vorstellen können. Atemlose Abenteuer, eine Liebe zwischen Feinden und ein sprechendes Schwert halten in Lindsay Burokers fulminanter Fantasy Serie die Spannung bis zur letzten Seite. Für alle, die epische Fantasy für Erwachsene mit Romantik und einer Prise Humor lieben! Lindsay Buroker stürmte mit ihrer Vorgänger-Serie "Drachenblut Saga" die Bestsellerlisten. Nun kehrt sie mit "Drachen erwachen" zurück in die Welt, die ihre Fans lieben. Beide Serien können jedoch unabhängig voneinander gelesen werden. Epische Fantasy mit Humor Sprechendes Schwert Found Family Drachen und Steam Punk
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Seitenzahl: 481
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LINDSAY BUROKER
Band 2: Offenbarung
Von Morgen Verlag
Zuerst 2018 erschienen unter dem Titel Heritage of Power 2 – Revelations
Autorin: Lindsay Buroker
Übersetzung: Julian Kiefer
Cover: Maria Spada
Deutsche Erstveröffentlichung: Berlin 2024
ISBN: 978-3-910990-50-0
Originalausgabe © 2018 Lindsay Buroker
Deutsche Übersetzung © 2024 Von Morgen Verlag, Stettiner Straße 20
13357 Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
EPILOG
Nachwort des Verlags
Lindsay Buroker
Die Sonne brannte am westlichen Himmel, während der Wind Captain Telryn „Sidetrip“ Yerts Schal umherpeitschte. Tausende von Metern unter seinem Flieger schimmerte der Ozean dunkel und blau. Die südliche Polkappe, eine mehr als tausend Quadratmeilen große Eisfläche, war noch nicht in Sichtweite, aber Eisberge dümpelten weit unten im Wasser und versprachen, dass das Team sein Ziel bald erreichen würde.
Trip war noch nie in der Antarktis gewesen und freute sich darauf, einen neuen Ort zu sehen. Noch mehr freute er sich darauf, ihre schwierige Mission zu erfüllen und das Portal zu zerstören, das wieder geöffnet war und feindlichen Drachen den Zugang zur Welt ermöglichte. Er und die anderen würden als Helden gefeiert werden. Es würde Zeitungsartikel geben. Fotografen. Bilder von ihm, wie er vor seinem Flieger steht und–
„Kannst du nicht aufpassen, dass mir dein alberner Schal nicht ins Gesicht schlägt?“, schimpfte Dreyak vom Rücksitz aus.
Es war die jüngste von mehreren Beschwerden des kahlköpfigen Cofah-Kriegers. Davor hatte er sich über das Fehlen einer Toilette in den dachlosen Fliegern beklagt. Trip konnte verstehen, dass eine Frau von der einfachen Schlauchanlage nicht so begeistert war, denn sie war mehr für Notfälle als für den Komfort gedacht. Aber von Männern erwartete man, dass sie weniger Skrupel hatten, wohinein sie urinierten.
„Ich dachte, du willst das Ende vielleicht benutzen, um deinen haarlosen Kopf warm zu halten“, rief Trip über den Wind hinweg zurück. „Die Luft wird langsam frostig.“
Er war froh, dass er bei ihrem letzten Halt seinen Parka und die iskandische Winteruniform angezogen hatte. Sie waren drei Tage zuvor von den Pirateninseln südlich des Äquators gestartet und hatten unterwegs nur kurze Pausen eingelegt, manchmal auf unbewohnten Inseln, die kaum mehr waren als kahle Felsen, die aus dem Meer ragten. Erst an diesem Morgen war die Luft wirklich kalt geworden.
„Cofah-Krieger brauchen keine so lächerliche Kleidung“, verkündete Dreyak. Auch ohne sich umzudrehen war sich Trip sicher, dass sein Kinn arrogant gehoben war. „Wir sind ein robustes Volk.“
„Habt ihr keine Schals mit verspielten kleinen Fransen an den Enden?“
„Nein.“
„Was ist mit Ohrenschützern?“
„Nein.“
„Pelzmützen mit büscheligen Kugeln an der Spitze? Bei eurem Trend zu kahlgeschorenen Köpfen müsst ihr doch das Bedürfnis haben, diese glänzenden Kuppeln vor Schneefall zu schützen.“
„Für extreme Winterbedingungen haben wir Pelzmäntel und Mützen. Nichts ist büschelig. Oder mit Fransen.“
„Das ist wohl der Grund, warum Iskandia dafür bekannt ist, die Modetrends der Welt zu setzen.“
„Wie erbärmlich, dafür bekannt zu sein.“
„Wir können nicht alle als Eroberer und Kriegstreiber bekannt sein, die nicht aufhören können, andere Länder zu überfallen. Einige von uns ziehen den Frieden vor.“
„Mir ist nicht aufgefallen, dass eure Vorliebe für den Frieden“ – Dreyak sprach es aus, als wäre es das schmutzigste Wort im Wörterbuch – „euer Land vor Gewalt bewahrt hätte. Es wäre besser, stark und kriegerisch zu sein, damit Feinde gar nicht erst auf die Idee kommen, eure Küsten anzugreifen.“
„Ja? Und wie funktioniert das bei den Cofah, wenn es um Drachen geht?“
Sie waren gemeinsam auf dieser Mission, weil beide ihrer Länder ein Drachenproblem hatten.
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Drachen, die erkennen, wie furchterregend die Krieger von Cofahre sind, bald müde werden, unsere Städte anzugreifen. Stattdessen werden sie sich leichtere Ziele wählen. Iskandia hat genug Städte, die nur von mickrigen Soldaten verteidigt werden.“
Trip weigerte sich, sich über den Spott zu ärgern. So viel hatte sein Passagier auf der ganzen Reise nicht mit ihm gesprochen, und nach dem langen eisigen Schweigen machte es Trip nichts aus, über irgendetwas zu reden. Außerdem hatte er immer das Gefühl, dass Dreyak ihn – sie alle – absichtlich stichelte mit seinen lächerlichen Lobgesängen über den Ruhm des Krieges und das Cofah-Imperium. Zum ersten Mal fragte er sich, ob er damit ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem ablenken wollte, vielleicht von Fragen über ihn selbst. Und warum genau er für diese Mission ausgewählt worden war.
Das ist eine überraschend scharfsinnige Beobachtung, sprach Jaxi, seine geliehene Seelenklinge, in seinen Geist. Die Waffe hing in ihrer Scheide am Gürtel an seiner linken Hüfte, eingekeilt zwischen seinem Sitz und dem Rumpf. Spürten empfindungsfähige Schwerter Unbehagen?
Überraschend für dich, weil du nicht auf die Idee gekommen bist?, antwortete Trip schweigend, obwohl er immer noch nicht herausgefunden hatte, ob er seine Gedanken willentlich übertragen konnte, so wie es ein echter Magier tat. War ‚übertragen‘ überhaupt das richtige Wort? Er kannte kaum Begriffe aus dem Bereich des Magischen und des Arkanen. Oder überraschend, wer eben darauf gekommen ist?
Letzteres. In der Zeit, in der ich dich kenne, hast du mir wenig Anlass gegeben, Scharfsinn zu erwarten.
Du kennst mich seit weniger als einer Woche.
Genug Zeit, um Scharfsinn zu erkennen. Es fällt mir schwer, dich für etwas anderes als begriffsstutzig zu halten, wenn man bedenkt, wie gut du deine eigenen Fähigkeiten in Sachen Magie kennst.
Danke.
„Pass auf, wen du mickrig nennst“, sagte Trip über die Schulter, denn er wusste, dass er bei dem Cofah eher die Oberhand behalten würde als in einer Diskussion mit Jaxi. „Ich habe jetzt zwei Schwerter bei mir.“
Eine zweite Seelenklinge, die er angenommen hatte, nachdem Rysha eine Piraten-Magierin im Kampf besiegt hatte, steckte in seinem Gürtel an der rechten Hüfte. Er hatte festgestellt, dass er mit all den Anhängseln, die an seinem Körper baumelten, sehr vorsichtig sein musste, wenn er in seinen Flieger ein- und ausstieg.
„Das zweite sollte in meinen Händen sein“, sagte Dreyak. „Es ist eine Cofah-Seelenklinge, und ich bin Cofah.“
„Ja, ich weiß. Die untergehende Sonne, die sich auf deinem glänzenden Kopf spiegelt, erinnert mich immer wieder daran.“
Ein Glucksen ertönte über den Kommunikationskristall im Cockpit.
„Der war gut, Trip“, sagte Leftie. Er, Duck und Blazer flogen in ihrer gemeinsamen Viererformation vor Trip her.
„Danke, Leftie.“
Trip blickte zurück und fragte sich, wie sein Passagier reagierte. Sein Schal versuchte gerade, Dreyak an der Nase zu kitzeln, weswegen dieser seine Augen gen Himmel gerichtet hatte.
„Ich würde dir das Schwert gerne übergeben, wenn das Schwert es verlangt“, sagte Trip, „aber es hat noch kein Wort zu mir gesagt. Jaxi sagte, dass es nach dem Tod seiner Besitzerin in einen Ruhezustand versetzt wurde.“
Jaxi hatte auch gesagt, dass es das Richtige wäre, es Dreyak zu geben, damit er es mit nach Hause zu seinem Volk nehmen konnte. Trip hatte vor, genau das zu tun, wenn sich ihre Wege am Ende der Mission trennten, vorausgesetzt, die Klinge verlangte nicht schon früher danach. Aber für den Augenblick schien es eine gute Idee zu sein, das Cofah-Schwert in der Nähe von Jaxi zu haben, wo sie es im Auge behalten konnte.
Ihn im Auge behalten, sagte sie trocken. Wir haben das besprochen. Sein Name ist Azarwrath, und er ist ganz sicher ein Junge.
Er spricht nicht mit dir, oder?
Nicht jetzt, nein. Aber er hat sich mir vorgestellt, bevor wir in den Kampf zogen.
Das war höflich.
Nicht wirklich. Er hat mich über seine Überlegenheit informiert und behauptet, ich sei nicht ehrerbietig genug, um eine Magierin zu sein. Gefolgt von dem Versprechen, mich in geschmolzenes Erz zu verwandeln.
Ich verstehe. Trip sah auf seine rechte Hüfte hinunter und überlegte, ob es klug war, die Klinge so nah an sich zu haben. Er wollte nicht, dass dort unten etwas geschmolzen wurde. Wenn Azzy möchte, dass ihn jemand anderes herumträgt, muss er es mir nur sagen.
Trip wollte dem Krieger Dreyak nicht unbedingt eine Waffe geben, die seinem Kampfrepertoire auch noch Magie hinzufügte. Aber Trip wollte Azzy auch nicht gegen seinen Willen festhalten.
Es gibt Zeiten, in denen du Grat nicht unähnlich bist, sagte Jaxi in demselben trockenen Ton.
Du vergleichst mich mit General Zirkander? Ich nehme das als Kompliment.
Auch er hat einen Hang zur Leichtfertigkeit. Das muss eine Eigenschaft sein, die allen iskandischen Piloten anerzogen wird.
Mir ist aufgefallen, dass dies auch bei iskandischen Seelenklingen der Fall zu sein scheint.
Wirklich. Jaxi schniefte gekünstelt, und das Geräusch drang so effektiv in seine Gedanken ein, als hätte sie wirklich eine Nase.
„Der Schal, Captain“, knurrte Dreyak und zog ein Messer hervor, das so lang wie sein Unterarm war. „Kümmere dich darum, oder ich werde mich für dich darum kümmern.“
Trip steckte das Ende seines Schals zurück in seine lederne Flugjacke. Es wollte sich immer wieder herauswinden, zu Dreyaks offensichtlicher Verärgerung. Rysha hatte sich nicht darüber beschwert, als sie mit ihm geflogen war.
Er schaute zu Lefties Flieger, in dem Leutnant Rysha Ravenwood auf dem Rücksitz saß. Ergötzte er sie mit Geschichten über das Fliegen? Oder mit Geschichten über seine beeindruckende Athletik auf dem Hookball-Feld?
Trip erinnerte sich noch gut an den langen anerkennenden Blick, den Leftie Rysha zugeworfen hatte, als sie in diesem äußerst freizügigen Piratenkostüm aus dem Frachtraum des Luftschiffs gekommen war. Seitdem hatte er viel mehr Interesse an ihr gezeigt. Trip konnte nicht so tun, als wäre er überrascht, aber er mochte Rysha, seit sie sich in dieser schrecklichen Hauptstadt-Bar für ihn eingesetzt hatte. Gab es nicht eine Regel, dass Mädchen die Zuneigung desjenigen Jungen erwidern mussten, der sie zuerst mochte?
Jetzt klingst du eher wie ein Zwölfjähriger als wie Grat, sagte Jaxi. Was soll das überhaupt bedeuten?
Ich weiß es nicht. Ich kann nicht gut mit Mädchen umgehen. Mit Frauen. Da er nur noch wenige Monate bis zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag hatte, sollte er sich wahrscheinlich als Mann betrachten, und potentielle weibliche Interessenten als Frauen.
Stell dir meinen Schock vor, sagte Jaxi. Ich schlage vor, du zügelst dein romantisches Interesse an dem Leutnant, zumindest bis die Mission vorbei ist und sie das Drachentöterschwert jemand anderem übergibt. Ein Drachentöterschwert, das gerne auch Magier tötet.
Es scheint kaum fair, wenn ich nicht wirklich ein …
Oder solche, die das Potenzial haben, Magier zu werden, unterbrach Jaxi.
Trip seufzte und starrte zum Horizont. Er hatte aufgegeben zu leugnen, dass er das war. Auch wenn er einfach nur fliegen und seine Heimat gegen Piraten, kaiserliche Invasoren und Drachen verteidigen wollte.
„Major Blazer?“, fragte Captain Duck über den Kristall. „Meine Passagierin fragt, wie weit wir heute noch fliegen werden. Sie ist unbeeindruckt von den Toilettenanlagen und möchte ihre Beine ausstrecken.“
„Ich wusste, dass ich nicht der Einzige bin“, knurrte Dreyak, die Worte verhallten fast im Wind.
„Vorzugsweise nicht, indem ich ihre Beine wieder auf meine Schultern stütze“, fügte Duck hinzu. „Das gibt mir das Gefühl, sie ist die Gottesanbeterin und ich die, äh, Beute.“
„Manche Männer begeistert die Aussicht, von Captain Kaika erbeutet zu werden“, sagte Blazer.
„Ich bin sicher, es wäre begeisternd, Ma’am“, sagte Duck. „Aber ich bin mir nichtsicher, dass ich diese Erfahrung überleben würde. Vorhin hat sie auf meinem Rücksitz an ihrem Sprengstoff herumgefummelt.“
Irgendetwas rüttelte an Trips Sinnen, und er suchte den Horizont ab, anstatt nur mit glasigen Augen ins Leere zu starren. War da draußen noch jemand? Oder noch etwas? Drachen waren schneller als Flieger und konnten angeblich ganze Ozeane mit Leichtigkeit überqueren.
Kaika lehnte sich über Ducks Schulter, um zu sprechen – die Rücksitze waren nicht mit Kommunikationskristallen ausgestattet. „Ich habe nur die Sicherungen überprüft. Captain Duck ist melodramatisch.“
„Es ist nur so, dass ich von Ihrem Ruf gehört habe, Männer zu verschlingen, Ma’am.“ Obwohl sie den gleichen Rang hatten, schien Duck überzeugt, dass er sie im Augenblick mit „Ma’am“ und nicht mit Namen anreden sollte.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Duck.“ Kaika klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist nicht in Gefahr, mein Interesse zu bekommen.“
„Das ist eine Erleichterung.“ Er schien einen Moment lang darüber nachzudenken. „Warte, heißt das, dass du mich nicht attraktiv findest? Warum nicht?“
„Willst du eine Liste?“
Ducks Schultern sackten in sich zusammen. „Nein, ich denke nicht.“
„Ein weiser Mann.“
Trip hörte das Gespräch, aber er ignorierte es. Er spürte definitiv etwas da draußen vor ihnen, etwas mit einer bedeutenden Aura. Bislang waren die einzigen Wesen, denen er begegnet war und die eine solche Macht und Präsenz ausstrahlten, Drachen gewesen. Er nahm an, dass ein magisches Artefakt – wie das Portal, das sie suchten – dies ebenfalls tun könnte. Aber er glaubte nicht, gerade ein Artefakt wahrzunehmen.
Jaxi?, fragte er. Spürst du da draußen einen Drachen?
Noch nicht, aber ich habe auch nicht versucht, etwas zu spüren. Ich habe über das Bild von Captain Kaika als Gottesanbeterin nachgedacht.
Trip, der gerade lernte, seine Sinne zu erweitern, um nach Leben zu suchen und ein Gefühl für das Gelände zu bekommen, versuchte, weiter hinauszugreifen, als seine Augen sehen konnten. Ein seltsamer Gedanke, wenn der Himmel klar war und die Sicht mehr als zehn Meilen betrug.
Er stellte sich vor, wie er an der Spitze des Fliegers stand, weit vor ihrer winzigen Formation segelte und von oben herabschaute. Beim letzten Mal hatte diese mentale Übung viel besser funktioniert als Jaxis Vorschlag, sich vorzustellen, dass sich sein Geist wie eine Blumenknospe entfaltete.
Jeder ist ein Kritiker, sagte Jaxi.
Trip gab sein Bestes, sich zu konzentrieren, und antwortete nicht. Während sich sein Geist – seine Sinne – nach außen verlagerte, verschwammen die Anzeigen im Cockpit, und etwas anderes wurde sichtbar. Der Ozean lag immer noch dunkel und blau unter ihm, aber er sah auch eine weiße Küstenlinie, eine Küstenlinie aus massivem gezacktem Eis. Ringsherum trieben Eisberge im Wasser, einige so klein wie Flieger, andere so groß wie Städte.
Am äußersten Rand seiner Sicht schwebte ein bronzener Drache über der weißen Landschaft. Er konnte nicht sagen, ob er irgendwohin unterwegs war oder einfach nur herumflog und vielleicht die Gegend patrouillierte.
Vielleicht jagt sie, sagte Jaxi. Ich sehe sie jetzt auch. Ich weiß nicht, wo sie patrouillieren würde oder warum ein Drache hier unten verweilen würde, es sei denn, sie ist gerade aus dem Portal gekommen. Drachen mögen kein kaltes Wetter.
Ein weiterer Drache flog in die Reichweite von Trips Sinnen, diesmal ein silberner. Er flog parallel zum Kurs des Weibchens.
Er bewegte sich unruhig auf seinem Sitz. Trotz dessen, was Jaxi gesagt hatte, hatte er den deutlichen Eindruck, dass die Drachen an der Küste patrouillierten.
Was, wenn einige hiergeblieben sind, um das Portal zu bewachen?, schlug Trip vor, obwohl er inständig hoffte, dass das nicht der Fall war. Der Plan war, sich einzuschleichen und das Portal zu zerstören, ohne auf Drachen zu treffen. War das eine wahnhafte Idee gewesen? Ist es möglich, dass die Drachen wissen, dass die Menschen es darauf abgesehen haben?
Drachen können leicht die Gedanken von Menschen lesen, es ist also durchaus möglich. Aber soweit ich weiß, sind wir das einzige Team, das geschickt wurde, um es zu zerstören.
Aber du würdest es nicht wissen, wenn die Cofah oder eine andere Nation ein Team geschickt hätten, oder?
Das ist richtig, aber die Cofah haben uns deinen mürrischen Freund mitgegeben, weil ihre Leute angeblich nicht wussten, wo das Portal ist. Wir kennen den Ort auch nicht, aber dank unseres vermissten Verbündeten Bhrava Saruth wussten wir zumindest, dass wir in den Polarregionen beginnen mussten.
Was, wenn Dreyak mitgeschickt wurde, um uns auszuspionieren und seiner Regierung Bericht zu erstatten, sobald er den Standort des Portals erfährt? Trip wusste nicht, ob Rysha die Koordinaten, die sie und Ardelle auf der Grundlage von Drachenruinen bestimmt hatten, irgendjemandem außer den Piloten mitgeteilt hatte. Aber wenn Dreyak gefragt hätte, hätte sie vielleicht unschuldig auf seine Frage geantwortet. Sie sprach gerne über ihre Leidenschaften, und da sie einen Abschluss in Drachengeschichte hatte, gehörte diese Mission wohl dazu. Du sagtest, du kannst Dreyaks Gedanken nicht lesen, richtig? Weil er Drachenblut hat?
Weil er darauf trainiert wurde, andere Leute aus seinem Kopf herauszuhalten, sagte Jaxi. Du hast Drachenblut, und ich kann dich lesen wie einen Liebesroman.
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.
Keine Antwort nötig. Frag einfach Ardelle, wie du deine Gedanken vor anderen Telepathen abschirmen kannst, wenn du dich für ihre Kurse anmeldest.
Für ihre Kurse anmeldest? Trip stellte sich vor, in einem Katalog zu blättern, wie man es an einer Universität tun würde. In welchem Fachbereich befanden sich die Magiekurse?
So begriffsstutzig. Es ist ein Wunder, dass du die beiden Drachen vor mir gespürt hast.
Drei.
Drei?
Weiter östlich gibt es noch einen. Ich werde es den anderen sagen. Die Drachen werden uns genauso leicht spüren wie ich sie, nehme ich an.
Oh, viel leichter als du. Zugegeben, wir haben nicht die Auren, die sie haben, aber ihre Kräfte und Fähigkeiten, ihre Umgebung wahrzunehmen, sind viel größer als die eines Menschen. Ich werde mein Bestes tun, um uns zu verhüllen, aber das funktioniert normalerweise nur gegen andere Magier.
Werden sie die Chapaharii-Schwerter spüren?, fragte Trip und benutzte den Begriff, den Rysha für die Drachentöterklingen benutzte, obwohl er nicht wusste, was er bedeutete.
Das scheint wahrscheinlich.
Besteht die Chance, dass sie unsere Flieger in Ruhe lassen und uns ungestört das Eis absuchen lassen?
Jaxi schnaubte noch effektiver, als sie schniefte. Sie besaß einen erstaunlichen Ausdrucksreichtum für ein Schwert.
Wenn überhaupt, dann wird es sie eher dazu bringen, nachzuforschen und vielleicht zu versuchen, uns zu vernichten. Sie werden uns als Bedrohung ansehen und wahrscheinlich glauben, dass wir die Waffen mitgebracht haben, weil wir hoffen, sie zu jagen und zu töten.
Nein, wir wollen nur das Portal jagen und töten, das sie benutzt haben, um in unsere Welt einzudringen.
Strenggenommen sind sie keine Eindringlinge. Du musst deinen archäologiebegeisterten Leutnant fragen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Drachen hier auf Linora entwickelt haben. Dann wurden sie mit einem Trick dazu gebracht, zu verschwinden, etwas, das wir wahrscheinlich nicht noch einmal schaffen werden. Laut Bhrava Saruth waren beim letzten Mal nicht die Menschen dafür verantwortlich.
Trip fragte sich, ob er jemals diesen Bhrava Saruth oder den anderen Drachen kennenlernen würde, mit dem sich die Iskandier verbündet hatten – Drachen, die auffällig abwesend waren, seit sich das Portal geöffnet und all die unfreundlichen Drachen in die Welt gespuckt hatte.
Da Jaxi sich nicht dazu äußerte, wandte sich Trip an den Rest seines Teams. „Wir haben ein Problem.“
„Dass Captain Kaika meine Schultern wieder als Beinstütze benutzt?“, fragte Duck.
„Nein. Vor uns sind Drachen, etwa dreißig Meilen entfernt. Sie fliegen direkt an der Küste entlang, wo wir ins Landesinnere vorstoßen wollten.“
„Hat Jaxi das gemeldet?“, fragte Major Blazer.
Trip zögerte. Bis jetzt glaubte er nicht, dass irgendjemand im Team herausgefunden hatte, dass er einen sechsten Sinn hatte – mehr als einen sechsten Sinn – und dass irgendwo in der fernen Vergangenheit offenbar ein Drache mit einem seiner Vorfahren horizontal getobt hatte, wie Jaxi es genannt hatte. Es würde ihn nicht überraschen, wenn Rysha etwas geahnt hätte, aber er glaubte, dass Blazer, Kaika und die anderen dachten, die Chapaharii-Klingen reagierten ungünstig auf ihn, weil er magische Seelenklingen trug.
„Ja, Ma’am“, sagte Trip.
Es war nicht wirklich eine Lüge.
Klar, Held, sag dir das.
Jaxi, du weißt, wie Magie in Iskandia angesehen wird. Ich weiß, dass Ardelle die Meinung ihrer Freunde und vielleicht einiger anderer in der Hauptstadt geändert hat, aber meine Mutter wurde gehängt, weil die Leute in unserem Dorf sie für eine Hexe hielten. Du musst verstehen, warum ich nicht will, dass die Leute wissen, dass ich … anders bin.
Er erwartete, Jaxi würde eine sarkastische Bemerkung darüber machen, dass ‚anders‘ eine Untertreibung sei, aber stattdessen seufzte sie in seinen Gedanken und sagte: Ich weiß, und ich verstehe es. Aber du kannst es nicht vor allen verbergen. Das kannst du mir glauben. Ardelle hat es schnell herausgefunden. Wenn man die Macht hat, Gutes zu tun, Leben zu retten, dann muss mansie auch nutzen. Und dann finden es die Leute um dich herum heraus. Wenn du ihnen vertraust, und sie dir vertrauen können sollen, ist es dann nicht besser, du sagst es ihnen von selbst?
Trip warf einen Blick auf Leftie, der nicht nur seit sechs Jahren sein Freund war, sondern auch ziemlich abergläubisch, und sich in der Nähe von Magie unwohl fühlte. Als die sehr unbedrohliche und hochschwangere Ardelle offen zugegeben hatte, dass sie eine Magierin war, hatte er so ausgesehen, als sei er hin- und hergerissen gewesen zwischen dem Wunsch, sie anzugreifen, und dem Wunsch, aus dem Fenster im zweiten Stock zu springen.
Blazer fluchte und stellte eine eigene Frage, bevor Trip auf Jaxis Frage antworten konnte – was ihm ganz recht war.
„Kann sie uns an ihnen vorbeiführen? Nach meinen Berechnungen sind wir siebenundzwanzig Meilen von der Küste entfernt, aber dann müssen wir noch vierhundert Meilen landeinwärts fliegen, um das erste Ziel zu erreichen, das wir überprüfen.“
„Wir können es versuchen“, sagte Trip, „aber sie können Dinge über extrem große Entfernungen wahrnehmen, sogar über Jaxis Reichweite hinaus.“
Oder deine Reichweite, mischte sich Jaxi ein.
„Und sie sagte, dass sie vielleicht die Chapaharii-Schwerter spüren können“, fügte Trip hinzu, „und dass sie uns deswegen vielleicht angreifen wollen könnten.“
„Sie können es versuchen“, sagte Rysha entschlossen, über Lefties Schulter gebeugt.
Ihre Hand ruhte auf dieser Schulter. Trip wandte den Blick ab und redete sich ein, dass es nur daran lag, dass sie sich unbeholfen nach vorne lehnen musste, um über den Kommunikationskristall gehört zu werden.
„Wir wollen keinen Kampf mit ihnen anfangen“, sagte Trip. „Es ist nicht so, als würden wir auf dem Boden stehen und gegen eine Magierin kämpfen.“
„Dessen bin ich mir bewusst“, sagte Rysha und sah zu ihm hinüber. „Darf ich dich daran erinnern, dass ich zahlreiche Geschichtsbücher gelesen habe und mich mit den Fähigkeiten von Drachen recht gut auskenne?“
Sie klang kühler und distanzierter als sonst, und Trip fragte sich, ob ihr neues Chapaharii-Schwert, Dorfindral, sie beeinflusste und Ranken der Magie in sie sandte, um sie daran zu erinnern, dass Trip ein verhasster Feind und kein Freund war. Es schmerzte ihn jedes Mal, wenn er sich an den hasserfüllten Blick erinnerte, den sie ihm am Strand zugeworfen hatte, nachdem sie mit Hilfe des magischen Schwertes die Piraten-Magierin besiegt hatte. Es war so anders als das freundliche Lächeln gewesen, das sie ihm zuvor geschenkt hatte, oder die Art und Weise, wie sie sich für ihn eingesetzt hatte, bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hatte.
„Du kannst mich gerne jederzeit an deine Kenntnisse erinnern, Leutnant“, sagte Trip und entschied sich für eine freundliche statt für eine verärgerte Antwort. „Du weißt, dass Piloten nicht so klug sind. Manchmal musst du uns dein Wissen ein paar Mal auf den Kopf hauen, bevor wir es uns merken.“
„Sprich für dich selbst, Langsamer“, sagte Blazer, obwohl Duck aus seinem Cockpit zustimmend nickte.
Es war auf die Entfernung schwer zu erkennen, aber Trip hatte den Eindruck, dass Rysha ein wenig verlegen aussah, entweder wegen ihrer eigenen Bemerkung, oder weil sie durch seine Antwort gemerkt hatte, dass sie schnippisch gewesen war.
„Du bist nicht dumm, Trip“, sagte Rysha. „Ich habe gesehen, wie du Dinge reparierst. Du bist ein Ass im Umgang mit wackeligen Tischen.“
„Ja, ja“, sagte Leftie, „er ist ein Genie. Könnten wir jetzt unser dringenderes Problem besprechen?“
„Dreiundzwanzig Meilen“, informierte Blazer sie. „Wir werden bald die Küste sehen.“
„Dreht nach Osten“, sagte Trip. „Lasst uns etwa zwanzig Meilen die Küste entlangfliegen, und ich sage euch Bescheid, wenn Jaxi mir sagt, dass keine Drachen in der Nähe sind. Vielleicht können wir dann ins Landesinnere abbiegen und wieder auf Kurs kommen.“
„Gibt es keinen Ort, an dem wir landen und für ein paar Stunden aus diesen fliegenden Gefängniszellen herauskommen können?“, rief Kaika über Ducks Schulter. „Vielleicht haben wir sowieso mehr Glück, wenn wir nachts ins Landesinnere fliegen. Jagen Drachen bei Tag oder bei Nacht?“
„Beides“, sagte Rysha, bevor Trip Jaxi zu Rate ziehen konnte.
„Es gibt einen Cofah-Forschungsaußenposten, der meines Wissens nur etwa hundert Meilen entfernt ist“, sagte Dreyak.
„Ich bin sicher, sie würden uns mit offenen Armen empfangen“, sagte Blazer.
„Sie würden mich empfangen“, sagte Dreyak.
„Sind rasierte Köpfe für den Eintritt erforderlich?“, fragte Blazer.
„Meine Anwesenheit würde eure Sicherheit gewährleisten. Wenn ihr euch Sorgen wegen ein paar Wissenschaftlern macht.“
„Da der einzige Cofah-Wissenschaftler, den wir kennen, den Spitznamen ‚Todbringer‘ trägt“, sagte Blazer, „habe ich Grund, mir Sorgen ihretwegen zu machen.“
„Todbringer ist ein Verräter“, knurrte Dreyak mit einer Vehemenz, die er normalerweise nur Feinden gegenüber an den Tag legte, die er gleich töten wollte.
Trip?, fragte Jaxi. Beobachtest du den Silbernen?
Er hatte dem Gespräch aufmerksam zugehört, aber er lenkte seine Aufmerksamkeit nach außen. Das tue ich jetzt.
Er ist auf dem Weg zu uns.
Das sehe ich.
„Wir bekommen gleich Gesellschaft“, sagte Trip zu seinen Kameraden.
Leutnant Rysha Ravenwood löste die Gurte, mit denen Dorfindrals alter hölzerner Schwertkasten neben ihrem Sitz gesichert war, öffnete den Deckel und zog das Schwert heraus. Der Drache, vor dem Trip sie gewarnt hatte, war noch nicht am Himmel aufgetaucht, aber die Klinge leuchtete hellgrün auf, sobald sie es in der Hand hatte.
Jagen!
Oh, sie hörte das Wort nicht wirklich, Dorfindral sprach nicht zu ihr, aber als sie den Griff in der Hand hielt, spürte sie, was die Klinge wollte: Drachen töten und alle, die Drachenblut in sich trugen. Außerdem hasste sie Artefakte, die von Magiern hergestellt wurden. Das hatte Rysha festgestellt, als sie von der Klinge gezwungen worden war, ein magisches Konstrukt zu pulverisieren.
Sie hatte – fast zu spät – erfahren, dass es auch Trip hasste. Etwas, das sie sehr traurig machte. Aus diesem Grund hatte sie sogar versucht, sich vor dem Tragen der Klinge zu drücken. Aber Kaika hatte sie darauf hingewiesen, dass es drei Chapaharii-Klingen gab und nur fünf Leute auf der Mission dabei waren, die in der Lage waren, sie zu führen. Rysha, Kaika und Blazer trugen jetzt allesamt Schwerter, Kaika und Blazer, weil sie viel Erfahrung im Kampf ohne Schusswaffen hatten, und Rysha, weil sie alle magischen Befehlsworte auswendig kannte und mehr als jeder andere hier über die Chapaharii-Waffen wusste.
Das für sie wichtigste Befehlswort war meyusha, was so viel wie „bleib zurück“ bedeutete. Es gab auch ein Wort, das den Klingen befahl, Wache zu halten, vermutlich wenn der Träger schlief oder aus anderen Gründen nicht in der Lage war, aufmerksam zu sein. Eine andere Phrase, antyonla masahrati, befahl den Schwertern, zu „übernehmen“, eine Vorstellung, die Rysha alarmierend fand. Dorfindral hatte bereits ihre Bewegungen gelenkt, als sie gegen die Magierin gekämpft hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, was es tun würde, wenn man ihm diesen Befehl erteilte, und sie hatte nicht die Absicht, es zu versuchen.
„Kann es sein, dass er Angst vor uns hat, weil wir ihn verletzen können?“, fragte Blazer und blickte auf Trips Flieger.
Sie flogen jetzt parallel zur Küstenlinie, zumindest nahm Rysha das an – nachdem Trip es vorgeschlagen hatte, hatten alle Flieger umgedreht, sodass die untergehende Sonne nun in ihrem Rücken war. Sie konnten das Eis der Polkappe noch nicht sehen.
„Jaxi schnaubte, als ich sie das fragte“, sagte Trip. „Die gute Nachricht ist, dass alle Flieger mit den Drachentöterklingen einen gewissen Schutz vor den Angriffen des Drachen haben sollten. Die schlechte Nachricht ist, dass meiner nicht dazuzählt.“
„Scheiße, wir hätten das Versteck des Piraten durchwühlen und eine vierte Klinge finden sollen“, sagte Blazer.
„Ich glaube nicht, dass mehr da waren“, sagte Rysha. Sie stellte sich vor, wie sehr Trips Schulterblätter jucken würden, wenn jemand mit einem Chapaharii-Schwert hinter ihm sitzen würde.
„Gib mir das Cofah-Seelenschwert“, sagte Dreyak, wobei seine Stimme weit entfernt klang, da er von Trips Rücksitz aus sprach. „Du kannst nicht zwei Schwerter führen, während du fliegst.“
„Ich bezweifle, dass ich beim Fliegen ein Schwert führen kann“, sagte Trip.
„Du solltest dir diese Fähigkeit schnell aneignen.“
Ohne Kommentar zog Trip eine Scheide ins Blickfeld und streckte sie mit einer Hand über seine Schulter. Soweit Rysha erkennen konnte, leuchtete sie nicht und zeigte auch sonst kein Lebenszeichen. Würde die Seelenklinge es in Erwägung ziehen, aus dem Ruhezustand zu kommen, um ihnen im Kampf gegen einen Drachen zu helfen? Wenn nicht, und wenn Trips Flieger abstürzte, könnte es auf den Grund des Ozeans sinken und für immer verloren sein.
Dreyak legte eine Hand um die Scheide, aber sobald er sie berührte, schrie er auf und riss die Hand weg.
Trip blickte zurück.
„Es hatmir einen Schlag versetzt“, knurrte Dreyak. „Oder warst du das?“ Er starrte Trip an.
„Ich? Ich habe zugestimmt. Es ist besser, wenn jeder von uns eine hat, die er benutzen kann. Es ist ja nicht so, dass unsere Pistolen etwas gegen einen Drachen ausrichten könnten.“
Rysha bezweifelte auch, dass die Seelenklingen etwas gegen ihren Feind ausrichten konnten. Die roten Blitze, die die Klinge der Magierin verschossen hatte, waren zwar wirksam gewesen, um Flieger zu beschädigen, aber die Verteidigung eines Drachen zu durchdringen, war eine andere Sache. Dennoch konnte eine Seelenklinge Trips Flieger für eine Weile abschirmen. Vielleicht eine ganze Weile, wenn zwei von ihnen zusammenarbeiteten.
„Jaxi sagt, sie hat auch nichts getan“, fügte Trip hinzu. „Genau genommen sagt sie, du kannst Azzy gerne nehmen und ihn über die Bordwand werfen, weil sie keine Hilfe braucht.“
„Sie klingt jung und arrogant“, sagte Dreyak und schnaubte.
Trip warf ihm einen langen Blick über die Schulter zu, den Rysha selbst aus der Entfernung problemlos lesen konnte. Er dachte, Dreyak hätte sich damit genauso gut selbst beschreiben können. Rysha vermutete, dass Dreyak einfach nur verärgert – im Stolz verletzt – war, weil eine Cofah-Seelenklinge mehr daran interessiert war, bei Trip zu bleiben, als sich von ihm führen zu lassen.
„Ich sehe ihn“, platzte Duck heraus und zeigte nach Süden.
Der Silberdrache war am Horizont aufgetaucht, kräftige Flügelschläge trugen ihn mühelos gegen den Wind. Er flog direkt auf sie zu. Es gab keinen Zweifel an seinem Ziel.
Trip steckte die Seelenklinge zurück in seinen Gürtel oder wo auch immer er sie aufbewahrte. An einem sicheren Ort, darauf vertraute Rysha. Sie hatte Trip bereits kopfüber fliegen sehen und wusste, dass er dies regelmäßig tat.
„Haltet eure Gedanken von unserer Mission fern“, warnte Trip alle. „Drachen können Gedanken lesen.“
„Fantastisch“, knurrte Blazer. Sie hörte sich an, als hätte sie eine ihrer Zigarren im Mund, obwohl Rysha sich nicht vorstellen konnte, wie sie bei dem Wind brennen sollte.
„Worüber sollen wir nachdenken?“, fragte Duck.
„Gottesanbeterinnen?“ schlug Leftie vor.
„Überleben“, sagte Trip.
„Wir können einem Drachen nicht entkommen, stimmt’s?“, fragte Leftie.
„Nein, sie sind schneller als unsere Flieger“, sagte Blazer. „Glaub mir. Ich weiß das aus Erfahrung.“
Leftie zog etwas aus seiner Tasche, seinen Glücksball an einer Kette, und küsste ihn, bevor er ihn wieder in seine Tasche steckte.
Die Gruppe beäugte das Silberwesen, als es näher flog und die untergehende Sonne sich auf seinen schimmernden Schuppen spiegelte. Der Drache flog mit teilweise geöffnetem Maul, seine Reißzähne waren sichtbar. Jeder von ihnen musste so lang wie eine Seelenklinge sein, wenn nicht sogar länger. Seine kräftigen Muskeln wurden sichtbar und zeichneten sich unter den Schuppen ab. Silberne Augen mit reptilienartigen Schlitzen bohrten sich in Ryshas Seele.
Sie legte ihre Hand um Dorfindrals Griff und ließ den Eifer des Schwertes in sich einfließen. Seine Lust auf den Kampf verdrängte einen Teil ihrer Angst. Sie vergewisserte sich, dass ihr Gewehr neben ihrem Sitz verkeilt und fest angeschnallt war. Nur weil das Schwert ihre Waffe für diesen Kampf sein würde, wollte sie nicht auf ihre Schusswaffe verzichten.
„Rautenformation“, sagte Blazer. „Drei Ecken mit Trip in der Mitte. Vorausgesetzt, diese Schwerter funktionieren wie angekündigt, werden wir unser Bestes tun, um seinen Flieger zu schützen.“
„Das wird nicht ausreichen, Major“, sagte Trip. „Sie müssen versuchen, nahe genug an ihn heranzukommen, um mit einer der Klingen seine Verteidigungsbarriere zu berühren. Wenn Ihnen das gelingt, können Jaxi und Azzy ihn mit Magie angreifen. Ich glaube nicht, dass sie ihn töten können, aber vielleicht können sie ihn vertreiben.“
„Wie nah müssen wir heran?“, rief Rysha über Lefties Schulter. „Um die Barriere zu erreichen? Wie weit reicht sie von ihm weg?“
„Wir sind uns nicht sicher“, sagte Trip, und sie stellte sich vor, wie Jaxi in seinen Kopf sprach. Könnte die Cofah-Seelenklinge auch zu ihm sprechen? Azzy? War das ihr Name?
„Du glaubst nicht, dass der Drache einfach verschwindet, wenn er es nicht schafft, zu uns zu gelangen?“ Blazer klang nicht so, als wollte sie sich in den Kampf stürzen.
Das überraschte Rysha zunächst. Aber sie erkannte, dass dies nicht ihre Mission war. Wahllose Drachen in ganz Linora zu bekämpfen, würde ihre Zahl nicht unbedingt verringern, selbst wenn sie erfolgreich wären. Jedes Mal, wenn sie kämpften, riskierten sie den Tod oder Schäden an ihren Fliegern, die nicht behoben werden konnten, jedenfalls nicht hier draußen. Diese Polarregion war keine sehr gastfreundliche Umgebung für eine Notlandung. Noch schlimmer wäre es, wenn jemand in den eisigen Ozean stürzen würde.
„Davon würde ich nicht ausgehen, Ma’am“, sagte Trip. „Drachen sind so schlau wie wir. Ich denke, er wird uns so lange belästigen, bis er einen Weg gefunden hat, die Verteidigung der Schwerter zu umgehen. Jaxi sagt, dass ein Silberdrache mächtig genug sein könnte, um auch das Wetter zu manipulieren. Und Magie ist das Einzige, gegen das uns diese Schwerter immun machen werden. Wir …“
Der Drache schoss vorwärts, und Trip brach ab.
Ein Windstoß pfiff den Fliegern von der Seite entgegen. Rysha spürte es nicht, aber die Flügel des Fliegers wackelten, und der Rahmen zitterte. Trips Flieger reagierte viel stärker, wie er es vorausgesagt hatte.
Er ruckte in der Luft, als würde er auf einer Welle reiten. Konzentration zeichnete sich in Trips Gesicht ab. Sein Flieger wurde nicht zur Seite geschleudert – Rysha hatte das bei der Schlacht in der Woche zuvor bei vielen Fliegern, die die Stadt schützten, erlebt –, also mussten die Seelenklingen ihn irgendwie geschützt haben. Aber wie viele Angriffe konnten sie abwehren?
Eine weitere Windböe schlug in ihre Formation ein. Lefties Flieger ächzte und zitterte. Rysha klammerte sich fest an den Sitz und wünschte sich, der Drache würde nahe genug herankommen, um zuzuschlagen.
Die Augen des Drachen verengten sich nachdenklich. Er wirkte nicht besorgt, aber vielleicht fragte er sich, warum seine Angriffe nicht mehr Schaden anrichteten. Oder er tastete sie einfach nur nach Schwachstellen ab.
Trip sah den Silberdrachen an, während er flog, und hob Jaxi hoch. Aber es war die andere Seelenklinge, die den ersten Angriff ausführte. Der vertraute rote Blitz schoss aus Trips Cockpit, verzweigte sich um den Propeller und zischte durch die Luft auf den Drachen zu.
Wie vorhergesagt berührte er nicht einmal annähernd seine Schuppen. Auch die kalten Reptilienaugen des Drachen zeigten keinerlei Anzeichen von Besorgnis.
„Das ist die Reichweite der Barriere“, sagte Trip.
Rysha brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, was er meinte, aber es fiel ihr auf, als der Blitz verblasste. Er hatte sich um den Drachen herum verzweigt und die unsichtbare Barriere abgegrenzt. Etwa drei Meter in alle Richtungen.
„Bring uns auf drei Meter heran, Leftie.“ Rysha klopfte ihm auf die Schulter, während sie ihr Schwert über seine andere Schulter richtete. Es flackerte mit hungrigem grünem Licht.
„Scheiße, Ravenwood. Hack mir mit dem Ding nicht das Ohr ab. Die Damen mögen meine Ohren.“
„Bring mich auch nah ran“, bellte Kaika Duck an.
„Heißt das, wir versuchen nicht, Trip zu beschützen?“, fragte Duck.
Trip antwortete, bevor Blazer es tat. „Nein. Schaltet seinen Schutzschild aus.“
Menschen sind saftig, sprach eine Stimme in Ryshas Kopf – in all ihren Köpfen, wie sie an den erschrockenen Blicken der Menschen auf die Kreatur erkennen konnte. Meine Gefährtin hat mir aufgetragen, euch zum Abendessen einzuladen. Unser Abendessen zu sein. Der Drache gluckste.
Wenn das ein Beispiel für Drachenhumor war, fand Rysha es haarsträubend.
Trip machte eine Kurve und flog geradewegs auf den Silberdrachen zu, wobei ein feurig-oranger Flammenball von seiner linken Seite und weitere rote Blitze von seiner rechten Seite auf ihn zuschossen. Er sah aus wie ein uralter Gott, der seine magischen Kräfte leichter durch die Gegend schleuderte als ein Kind, das mit Steinen warf, aber die Angriffe prallten lediglich an der Verteidigungsbarriere des Drachen ab. Trip war gezwungen, wieder abzudrehen, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.
Er achtete darauf, nicht so nahe heranzukommen, dass er in die Reichweite der Reißzähne oder Krallen der Kreatur kam, aber als er vorbeiflog, holte der Drache mit seinem Schwanz aus. Das lange, sehnige Anhängsel schnappte wie eine Peitsche nach ihm. Die Spitze krachte in die Barriere, die die Schwerter errichtet hatten, und drang nicht hindurch, aber sein Flieger zitterte erneut, beeinflusst von der magischen Kraft, die den Angriff begleitete.
„Leftie, los!“, befahl Rysha.
Leftie bewegte sich bereits auf die andere Seite der Kreatur zu, also hätte sie ihm nicht ins Ohr bellen müssen, aber sie konnte nicht anders. Dorfindral lechzte nach Drachenblut, und Rysha wollte Trip beschützen.
Zu ihrer Überraschung löste Dorfindral bei diesem Gedanken keine Welle der Empörung in ihr aus. Wahrscheinlich, weil das Schwert im Moment zu sehr auf sein Ziel konzentriert war.
Leftie führte sie auf die Seite des Drachen gegenüber von Trip und feuerte dabei seine Maschinengewehre ab. So viel zu einem Überraschungsangriff. Nicht, dass einer funktioniert hätte.
Als sie sich in ihrem Sitz so weit erhob, wie es ihr Gurt erlaubte, sah Rysha, wie Duck von oben heranflog und versuchte, Kaika und ihr Schwert an den Drachen heranzubringen. Blazer jagte dem Schwanz des Drachen hinterher. Sie hatte keinen Passagier in ihrem Flieger – wenn man nicht die Ausrüstung der Gruppe und Kaikas Bombensammlung mitzählen wollte –, also würde sie fliegen und gleichzeitig die dritte Klinge schwingen müssen. Vielleicht hatte sie Glück und blieb unbemerkt, bis sie die Spitze des Schwanzes erwischte.
Eine weitere Explosion strahlte von dem Drachen in alle Richtungen aus. Wieder hörte Rysha, wie der Wind an ihnen vorbeizog, und der Flieger zitterte, aber Dorfindral schien sie und alles um sie herum zumindest ein Stück weit zu schützen.
Leftie neigte sie zur Seite, ihre Köpfe in Richtung des Drachen, um den auf und ab schlagenden Flügeln auszuweichen. Die Schwerkraft ließ Rysha seitlich gegen den Sitz kippen. Obwohl der Gurt ihre Reichweite einschränkte, war sie froh, dass sie ihn nicht gelöst hatte. Sie streckte sich, so weit sie konnte, und schlug mit dem Schwert über ihren Kopf hinweg zu.
Aber sie schlug durch leere Luft. Sie erinnerte sich an den Energiestoß, der ihren Arm hinaufgezogen hatte, als die Klinge den Schutzschild der Magierin berührt hatte, und jetzt fühlte sie nichts dergleichen.
„Das war nicht nah genug“, rief Rysha. „Dreh dich um und versuch es noch einmal!“
„Du bist ein anspruchsvoller Fahrgast“, rief Leftie zurück, obwohl er sich bereits in einem Looping befand, um wieder hinzufliegen.
Nachdem er die Spitze des Drachen mit nutzlosen Kugeln beschossen hatte, flog Duck tiefer, um Kaika angreifen zu lassen.
„Nicht schießen“, befahl Blazer, „sonst treffen wir uns noch gegenseitig. Bleibt bei den Schwertern, und – pass auf, Duck!“
Der Drache tauchte ab, um Trips Flieger zu verfolgen. Sein Schwanz peitschte im Sturzflug nach oben und die Spitze traf Ducks Flieger.
Rysha staunte nicht schlecht, als Duck und Kaika sich um die eigene Achse drehten und Flügelspitzen über Flügelspitzen rollten.
„Ich dachte, wir wären immun gegen Angriffe“, schnauzte Blazer und schwang ihr Schwert über ihrem Kopf, während ihr Flieger gemeinsam mit dem Drachen abtauchte.
„Magische Angriffe“, sagte Trip nach ein paar Sekunden. Nachdem er sich von Jaxi Klarheit verschafft hatte? „Anscheinend kann ein physischer Angriff durchkommen.“
„Hab etwas Schaden genommen“, sagte Duck grimmig.
Er hatte seinen Flieger wieder aufgerichtet, aber als er sich wieder dem Kampf zuwandte, flog das Flugzeug mit einem ausgeprägten Ruckeln.
Glücklicherweise schien der Drache kaum bemerkt zu haben, dass er ihn getroffen hatte. Oder vielleicht war das ein Unglück. Der Silberdrache sauste auf Trips Flieger zu, seine Absicht war klar. Diese magischen Angriffe der Seelenklingen könnten ihn nerven.
Trip drehte ab, ging in den Sturzflug und wich seinem Verfolger mit einem Korkenzieher aus. Mechanische Flieger kamen Rysha immer klobig vor, vor allem im Vergleich zu Drachen, aber er ließ seinen anmutig erscheinen. Und der Drache hatte wirklich Mühe, sich auf seine verrückten Bewegungen einzustellen. Er schlug wiederholt mit seinem Schwanz zu, kam aber nicht nahe genug heran, um die Barriere der Seelenklingen auf die Probe zu stellen.
Bis er einen mentalen Angriff auf den Flieger schleuderte, der auch durchkam. Der Drache musste die Abwehr der Seelenklingen schließlich zermürbt haben. Trips Flieger schlingerte zur Seite und geriet ins Trudeln, direkt auf den Ozean zu. Schwarzer Rauch strömte aus dem Heck.
„Nein“, rief Rysha und packte Leftie an der Schulter. „Los, los! Wir müssen ihm helfen!“
Leftie verfolgte den Drachen nach unten. „Wage es nicht, dich umzubringen, Trip“, knurrte er, die Hand fest um seinen Steuerknüppel geschlungen, während ihre Nase auf den dunklen Ozean zeigte.
Sie schossen viel schneller nach unten, als die Schwerkraft allein sie getragen hätte. Der Wind zerrte an dem Flieger, und Tränen stiegen Rysha in die Augen. Der Rumpf vibrierte, und etwas bewegte sich an ihrer Seite. Ihr Gewehr hatte sich fast losgerissen.
Fluchend stopfte sie es tiefer hinein und drückte ihre Hüfte dagegen, damit es an Ort und Stelle blieb.
„Beeilt euch“, drängte Blazer. „Wir werden hier draußen keine Leute verlieren.“
Ihr Flieger war direkt neben Lefties, und sie feuerte auf den Drachen, obwohl sie die anderen ermahnt hatte, es nicht zu tun. Rysha winkte mit Dorfindral und wünschte sich, es hätte die Kraft, so wie Seelenklingen zu schießen.
Der Drache gewann an Geschwindigkeit, als er sich Trips Flieger näherte, und beide stürzten in Richtung Meer. So schnell Leftie auch hinter ihnen herflog, Rysha wusste, dass sie sie nicht rechtzeitig einholen würden. Aber vielleicht konnte sie einen Hieb landen, wenn der Drache hochzog, um nicht auf das Wasser zu treffen. Im Moment schien er darauf aus zu sein, Trip einzuholen und den Flieger zwischen seinen Krallen zu zerquetschen.
Rysha glaubte nicht, dass der Drache ihn erreichen würde, bevor der Flieger in den Ozean stürzte. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Trip würde so oder so sterben.
Sie empfand nichts als Entsetzen bei diesem Gedanken, aber wenn er sterben musste, fand sie Trost in der Gewissheit, dass der Drache ihn nicht seiner Gefährtin zum Abendessen vorsetzen konnte.
In letzter Sekunde, als es so aussah, als würde Trip ins Meer stürzen, zog er hoch. Sein Flieger glitt so nah an den Wellen vorbei, dass das Wasser zu beiden Seiten aufspritzte.
So schnell und wendig, wie Drachen waren, hätte die Kreatur eigentlich darauf reagieren müssen, aber sie stürzte sich kopfüber in die Wellen.
„Seid darauf gefasst, dass er herauskommt“, sagte Trip mit völlig ruhiger Stimme.
Hatte er das arrangiert? Den Beinahe-Absturz vorgetäuscht? Den Rauch, der ihm nach unten folgte? Vielleicht hatten die Seelenklingen eine Illusion erzeugt.
„Jaxi wird die Stelle beleuchten, an der er herauskommt“, fügte er hinzu. „Seid bereit zuzuschlagen. Da, jetzt!“
Eine rote Kugel schien auf der Wasseroberfläche zu schweben, wie die Mitte einer Zielscheibe auf einem Schießstand. Leftie und Blazer flogen auf sie zu.
Rysha riskierte es, ihren Gurt zu öffnen. Sie könnte den zusätzlichen halben Meter Reichweite brauchen. Sie hoffte nur, dass Leftie, wenn sie schwimmen ging, zu ihr zurückkommen würde, bevor die Haie sich auf sie stürzten.
Wie ein Geysir brach der Drache aus dem Wasser hervor.
Es blieb keine Zeit zum Nachdenken, nur zum Reagieren. Als Leftie auf ihn zuflog und sich neigte, um Rysha den nötigen Winkel zu verschaffen, erhob sie sich von ihrem Sitz und schlug über Kopf zu. Wieder einmal schnitt sie durch die Luft. Aber sie war so nah dran. Drei Meter entfernt? Vier?
Sein silberner Körper raste an ihr vorbei, und sie dachte, sie wären zu spät für einen weiteren Angriff, aber da war der Schwanz, der hinter ihm herflog.
Töten!, schien Dorfindral ihr in den Kopf zu schreien.
Sie war sich nicht sicher, ob es ihre Idee oder die des Schwertes war, aber sie hüpfte auf ihren Sitz und sprang auf den Schwanz zu. Anstatt wild um sich zu schlagen, führte Dorfindral ihren Arm zu einem sauberen Stich. Die Spitze stieß auf Widerstand, und es fühlte sich an, als würde eine Blase platzen.
Ein elektrischer Rückstoß schoss ihren Arm hinauf, und sie schrie vor Schreck auf, fast vor Schmerz. Aber bald wurde er durch den Schock ersetzt, auf Wasser zu treffen. Absolut eiskaltes Wasser.
Sie rauschte nach unten, während das Meer sie einhüllte und ihren Körper mit seiner Eiseskälte erstarren ließ. Zuerst konnte sie sich nicht bewegen, und ihr Körper versank in der Dunkelheit, aber die Angst schickte einen neuen Energieschub durch sie, und sie trat wild um sich.
Ihre Stiefel und ihre Kleidung zerrten an ihr, und Dorfindral war ein zusätzliches Gewicht, aber ihr Schlagen und Treten brachte sie an die Oberfläche. Sie versuchte, nach Luft zu schnappen, aber es war, als hätte die Kälte ihre Lungen blockiert wie ein scharfer Schlag auf den Solarplexus. Sie schienen nicht zu funktionieren.
In der Luft über ihm zuckten rote Blitze in den Körper des Drachen, gleichzeitig wurde er von einem Strahl weißer Energie umhüllt. Zum ersten Mal erreichten diese Angriffe seine Schuppen. Auch Maschinengewehre wurden abgefeuert, und einer der Flieger sauste direkt über ihrem Kopf vorbei.
Leftie. Er warf einen Blick über die Seite und hob einen Finger in ihre Richtung, wendete aber und verfolgte den Drachen.
Ryshas Lunge kam endlich in Bewegung, und sie schaffte es, nach Luft zu schnappen. Sie trat so kräftig auf das Wasser, wie sie konnte, mehr als nötig, um sich über Wasser zu halten, und sie hoffte, dass der Energieaufwand ihren Körper erwärmen würde. Sie war noch nie in ihrem Leben in so kaltem Wasser gewesen.
Der Drache musste genug vom Kampf gehabt haben, denn er flog davon. Rysha hatte jeglichen Orientierungssinn verloren und wusste nicht, ob er aufs Meer hinaus oder zurück zum Landeis flog.
Drei der Flieger versuchten, ihm den Weg abzuschneiden, aber er überholte sie bald und entfernte sich von ihnen, obwohl seine Flügel nicht so schnell zu schlagen schienen. Der vierte Flieger – Ducks beschädigtes Exemplar – hatte jetzt ein größeres Problem, und es sah so aus, als müsste er direkt auf einen sicheren Landeplatz zusteuern. Wo auch immer das sein würde.
Zwei der Flieger drehten um. Rysha hob Dorfindral aus dem Wasser und winkte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Konnten sie sie noch sehen? Sie musste der winzigste Fleck im dunklen Ozean sein, vor allem, wenn die Wellen um sie herum auf und ab schwappten.
Sie wollte, dass Dorfindral grün leuchtete, denn das Tageslicht schwand, und das Leuchten würde es ihren Kameraden erleichtern, sie zu sehen. Aber es leuchtete nicht. Was zum Teufel? Weil keine Magie in der Nähe war?
Sieben Götter, sie war eiskalt. Wie lange konnte sie in diesem Wasser überleben? Selbst wenn sie herauskäme, würden sie sie rechtzeitig irgendwo hinbringen können, um sie aufzuwärmen?
Sie war so sehr damit beschäftigt, über Unterkühlung nachzudenken, dass sie nicht auf ihre Umgebung achtete. Ihr Arm stieß gegen etwas, und sie schrie auf, wobei ihr Bilder von Haien durch den Kopf schossen.
Rysha wirbelte herum und hackte mit dem Schwert zu, bevor sie registrierte, was sie berührt hatte. Ein Eisberg trieb dort. Ihr Stiefel stieß gegen den Unterwasserteil, als Dorfindral im sichtbaren Eis versank und sich dort festsetzte.
Sie grunzte, weil sie sich dumm vorkam, und überlegte dann, ob sie darauf klettern könnte, um sich besser sichtbar zu machen.
Aber das Dröhnen der Propeller der Flieger drang an ihre Ohren, und sie wusste, dass sie nahe waren. Leftie und Trip kamen über den Wellen in Sicht und kreisten tief über dem Wasser. Trip hatte Dreyak hinter sich, aber ihr Platz hinter Leftie wartete auf sie.
Rysha riss ihr Schwert los und stieß sich vom Eisberg ab. Sie streckte ihre freie Hand nach oben. Sie konnte sehen, wie Leftie und Trip sich gegenseitig anschrien, aber sie konnte ihre Worte nicht hören, weil sich das eiskalte Wasser in ihre Gehörgänge bohrte. Ihre Zähne klapperten so heftig, dass es wehtat.
Trip zeigte auf Leftie und dann auf Rysha. Als sie ihre Flieger von unten betrachtete, erkannte sie das Problem. Sie konnten nicht im Wasser landen, und mit den Triebwerken, die an der Unterseite angebracht waren, würden sie sie nicht erreichen können, wenn sie sich einfach über die Seite lehnten und eine Hand hinunterstreckten. Die Seelenklingen würden auch nicht in der Lage sein, sie herausschweben zu lassen, selbst wenn das in ihrer Macht stand. Nicht, solange sie Dorfindral trug.
Leftie flog auf sie zu und lehnte sich über die Seite seines Fliegers. Er wollte nach ihr greifen.
Obwohl sie nicht glaubte, dass es funktionieren würde, hob Rysha ihre Hand und versuchte, sie ruhig zu halten, während sie mit den Beinen strampelte und sich so weit wie möglich aufrichtete.
Der Propeller dröhnte, als Leftie ihr nahekam, sich weit aus dem Cockpit lehnte und seine Finger nach ihr ausstreckte. Er verfehlte sie um einen halben Meter.
Verdammt nochmal.
Mit zusammengebissenen Zähnen sank Rysha zurück ins Wasser. Sie konnte ihre Zehen nicht mehr spüren, und in ihre Beine schlich sich ein Gefühl der Taubheit, obwohl sie sich bemühte, sich durch Anstrengung zu wärmen. Dies war nicht der See im Tal ihrer Familie zu Hause.
Sie dachte darüber nach, Dorfindral in den Eisberg zu stoßen und es dort zu lassen, damit sie sie mit Magie herausholen konnten. Sicherlich würden sie einen Weg finden, das Schwert zu bergen, sobald sie wieder in einem der Flieger saß. Aber was, wenn sie es nicht tief genug hineingesteckt hatte und es herausfiel? Sie könnten es niemals vom Meeresgrund holen.
Von der Klinge ging die Welle der Empörung aus, die sie vorhin zu spüren erwartet hatte.
Wieder flog ein Flieger auf sie zu, diesmal Trip. Dreyak hatte kurz zuvor noch auf dem Rücksitz gesessen, aber jetzt war er leer. Vielleicht hatten die Seelenklingen ihn zu Lefties Flieger hinüberschweben lassen?
Rysha war es egal, solange sie nur jemand aus dem Wasser zog.
Dorfindral flackerte grün auf, als Trip sich näherte.
„Hör auf damit“, sagte sie, kaum hörbar, weil sie mit den Zähnen klapperte.
Trip drehte sich kopfüber, seine Augen verließen die ihren nicht. Ihre Intensität verursachte ein Kribbeln in ihr. Oder vielleicht lag das daran, dass ihr Körper völlig taub wurde.
Sie stöhnte und hob ihren bleiernen Arm so hoch wie möglich in die Luft, als er sich näherte, und betete, dass er sie erreichen würde.
Der Propeller dröhnte, und sie fürchtete, er würde ihr den Kopf abreißen – seine oberen Flügel waren bloß zwei Zentimeter über dem Wasser. Aber sie hielt den Arm hoch und widerstand dem Drang, sich wegzuducken.
Finger schlossen sich um ihr Handgelenk, und sie wurde so schnell herausgezogen, dass sie fast Dorfindral fallen ließ. Obwohl ihre Hand so gefühllos war, dass sie sie kaum noch wahrnehmen konnte, zwang sie sich, das Heft des Schwertes so fest zu packen, dass es wehtat. Das Schwert durfte sie aufkeinen Fall verlieren. Ihr Land brauchte es.
Trip rollte seinen Flieger auf die Seite, und kurz darauf lag sie auf dem Rumpf, ihr Handgelenk noch immer mit seiner Hand umklammert. Er blickte sie an – erwartete er, dass sie auf den Rücksitz kletterte? Normalerweise könnte sie das, aber ihr Körper war so gefühllos, dass sie sich nicht bewegen konnte, nichts tun konnte, außer sich darauf zu konzentrieren, das Schwert festzuhalten.
Trip drehte den Flieger aufrecht, brachte sie über die Wellen nach oben, drehte sich dann und packte sie auch mit der anderen Hand. Schmerz blitzte in seinen Augen auf, und Dorfindral flackerte mit intensivem grünem Licht. Als Trip sie auf den Sitz hinter sich manövrierte, wurde Rysha klar, dass das Schwert ihm wehtun musste, um ihn dafür zu bestrafen, dass er so nahe war.
Ihr Mund funktionierte nicht, als sie versuchte, der Klinge das Befehlswort „Bleib zurück“ zuzurufen, also rief sie es in Gedanken. Es schien zu funktionieren, irgendwie. Das Glühen verblasste teilweise.
Mit Trips Hilfe ließ sich Rysha in die Sitzmulde fallen. Sie zitterte am ganzen Körper und das Schwert fiel ihr aus den schlaffen Fingern.
Sie griff danach, weil sie fürchtete, es würde herausfallen, wenn sie es nicht festhielt, aber Trip rief über seine Schulter: „Nicht. Fass es ein paar Minuten lang nicht an, und Jaxi wird dich aufwärmen. Ich fliege aufrecht, damit es nicht rausfällt.“
Rysha ließ sich tiefer in den Sitz sinken, froh, zu gehorchen, froh, alles zu tun, was dazu führte, dass ihr wärmer wurde.
Gleich nachdem Trip gesprochen hatte, strömte eine langsame, subtile Wärme in sie ein. Sie zitterte und bebte weiter, und sie wusste, dass es eine Weile dauern würde, bis ihr wirklich warm wurde. Sie hoffte nur, dass Trip sie schnell genug rausgeholt hatte, dass sie keine bleibenden Schäden davontrug. Obwohl die Soldaten alle eine kampfmedizinische Ausbildung absolviert hatten, gab es keine Ärzte oder Heiler unter ihnen, und sie wollte in Zukunft keine Last sein.
Trip blickte zu ihr zurück. Sie waren über die Wellen aufgestiegen, und Rysha konnte die drei anderen Flieger sehen, die vor ihnen segelten, Blazer und Leftie, die sich ans langsame Tempo von Ducks beschädigtem Flieger angepasst hatten. Aber sie sah nur kurz hin. Sie begegnete Trips Blick, wollte ihm sagen, wie dankbar sie war, aber ihre Zähne hatten nicht aufgehört zu klappern. Obwohl die Wärme, die sie erfüllte, die enorme Kälte vertrieb, glaubte sie nicht, dass sie schon würde reden können.
Seine Lippen öffneten sich, als ob er eine Frage stellen wollte, aber nicht wusste, wie er sie formulieren sollte. Wahrscheinlich fragte er sich, ob es ihr gut ging, oder ob sie es schaffen würde.
Sie hob ihre tauben Arme und beugte sich vor, um ihn zu umarmen. Sie war klatschnass und musste wie etwas aussehen, das eine Eule ausgehustet hatte, aber er wich nicht zurück. Er griff nach hinten, legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie so eng an sich, wie es der Sitz zwischen ihnen erlaubte.
„Das beantwortet wohl meine Frage“, sagte er mit warmem Humor in der Stimme, seine Wange an ihrer.
„Wa–as?“, fragte sie, stolz darauf, dass sie ein Wort herausgebracht hatte. Mehr oder weniger.
„Ich habe mich gefragt, ob das Schwert dich dazu bringen wird, mir den Kopf einzuschlagen, wenn du hinter mir sitzt.“ Er sagte es leichthin, aber sie wusste, dass seine Sorge echt sein musste. Es war der Grund, warum sie nicht hinter ihm geflogen war, wie sie es zu Beginn der Mission getan hatte.
Sie drückte ihn fest an sich. Fast verzweifelt. Sie hatte Angst. Angst wovor, sie war sich nicht sicher. Dass das Schwert versuchen würde, sie dazu zu bringen, ihn zu töten? Wie in dem Traum, in dem sie ihn durch einen dunklen Wald verfolgt hatte?
„Ich w–werde mich um das Schwert kü-kü-mmern“, sagte sie und wünschte, die Worte kämen deutlicher heraus, als ob sie dadurch wahrer werden könnten. Nein, sie würden wahr sein. Sie schwor es sich.
„Gut.“
Er wich zurück und hielt die Umarmung nicht annähernd so lange, wie sie es sich gewünscht hätte, aber sie sagte sich, dass er den Flieger steuern musste. Bevor er sich ganz zurückzog, lächelte er und küsste sie auf die Wange. Es war ein vollkommen keuscher „Ich bin froh, dass du nicht gestorben bist“-Kuss, aber er verursachte ein warmes Kribbeln in Rysha. Noch lange nachdem Trip sich umgedreht hatte und sie nur noch seinen Hinterkopf sah, musste sie an die Intensität seiner dunkelgrünen Augen denken, als er auf sie zugeflogen war.
Ein Gefühl der Verstimmung schien von Dorfindral aufzusteigen, obwohl sie das Schwert nicht berührte, aber sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und tat ihr Bestes, es zu ignorieren. Stattdessen schloss sie die Augen, während die Seelenklinge weiter ihre gefühllosen Glieder wärmte, und dachte an Trips entschlossenen Gesichtsausdruck, als er ihr zu Hilfe gekommen war. Entschlossen und zuversichtlich. Er hatte nie daran gezweifelt, dass er sie hochziehen konnte. Und warum sollte er auch? Er schien sich in der Luft heimischer zu fühlen als auf dem Land. Vielleicht war er das auch.
Während der Vollmond am Nachthimmel schimmerte und silbriges Licht auf die Eisfelder unter ihm warf, blickte Trip misstrauisch auf den Cofah-Forschungsaußenposten hinunter. Sie waren fast eine Meile entfernt, aber das Umgebungslicht reichte aus, um zwei stehende Wellblechgebäude zu erkennen und ein Dutzend weitere, die einmal welche gewesen waren.
Wrackteile lagen überall auf dem Eis verstreut, und der dunkle, leere Ballon eines Luftschiffs lag wie eine Decke neben einem der verbliebenen Gebäude. Er konnte nicht erkennen, ob das Schiff selbst beschädigt war. Es wurde gerade von dem schlaffen Ballon erdrückt.
In den Gebäuden brannte kein Licht, und er konnte auch keinen Rauch sehen oder riechen. In Anbetracht der Kälte, die er selbst mit seinem Parka empfand, konnte er sich nicht vorstellen, dort unten zu sitzen, ohne dass ein Feuer brannte. Obwohl er nicht glaubte, dass seine Sinne ihm etwas sagen würden, was seine Augen nicht taten, gab er sein Bestes, sie hinauszustrecken und herauszufinden, ob dort unten noch jemand lebte.
Er entdeckte ein paar kleine Tiere, aber keine Menschen.
„Es ist niemand da, Major“, sagte Trip.
„Bist du sicher? Hat Jaxi es dir gesagt?“
Jaxi?, fragte Trip, mehr weil er nicht lügen wollte, als weil er seinen Sinnen nicht traute.
Sicher, lass uns deine List nur beibehalten. Du kannst ihr wahrheitsgemäß sagen, dass ich keine Menschen entdeckt habe.
„Ja“, sagte Trip.
„Ich schätze, meine Sorge, dass wir von Cofah-Wissenschaftlern abgeschossen werden, wird sich nicht bewahrheiten“, sagte Blazer.
„Wir müssen nach meinen Leuten sehen“, sagte Dreyak von Lefties Rücksitz aus.
„Wir landen, weil du gesagt hast, wir könnten hier unsere Schäden reparieren“, sagte Blazer, „aber du kannst gerne nach Leuten suchen, die nicht da sind.“
Es löste einen Streit aus, den Trip ignorierte. Stattdessen sagte er zu Jaxi: Danke.
Sie hätte ihn zwingen können, Blazer anzulügen.
Ja, du solltest dich freuen, dass Ardelle mich gebeten hat, dir zu helfen, ohne genau zu sagen, wie. Drachenportale, Lügen, wer weiß?