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Die Drachenblut-Saga - die Bestseller Fantasy Serie aus den USA geht weiter Band 6 Leutnantin Caslin Ahn ist für den Tod ihres Freundes verantwortlich. Sie verlässt die Armee, gibt das Fliegen auf und zieht sich vor allen Freunden zurück. Doch ein Auftrag des Königs lässt ihr keine andere Wahl, als sich ihren Kameraden wieder anzuschließen. Ein Drache ist zurückgekehrt und bringt Tod und Zerstörung über Iskandia, und Cas und ihre Kameraden sind die einzigen, die eine Chance haben, ihn aufzuhalten. Begleitet im sechsten Band der atemberaubenden Drachenblut-Saga Cas, Tolemek, Grat, Ardelle, Kaika und Tylie sowie ihren Drachen auf ein neues episches Fantasy-Abenteuer! Über die Drachenblut-Saga Tausend Jahre sind vergangen, seit zuletzt ein Drache gesichtet wurde. Wissenschaft und Technologie haben die alte Magie verdrängt. Doch es gibt Menschen, durch deren Adern noch immer Drachenblut fließt, entfernte Nachfahren der mächtigen Kreaturen von einst. Diese Menschen haben die Macht, Magie zu wirken, zu heilen und Waffen herzustellen, die Kriege entscheiden können. Wegen dieser Kräfte sind sie gefürchtet, und in den letzten Jahrhunderten wurden sie fast bis zur Ausrottung gejagt. Die wenigen Überlebenden müssen einen Weg finden, die Magie von einst wieder aufleben zu lassen, oder sie werden für immer aus der Welt verschwinden.
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DRACHENBLUT
Band 6Die Rückkehr des Drachen
von Lindsay Buroker
Zuerst 2015 erschienen unter dem Titel Raptor (Dragon Blood Book 6).
Titel: Drachenblut Band 6 – Die Rückkehr des Drachen
© 2015 Lindsay Buroker
Übersetzung: Julian Kiefer
Cover: Maria Spada
ISBN: 978-3-910990-11-1
Deutsche Übersetzung © 2023 Von Morgen Verlag, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Nachwort des Verlags
Lindsay Buroker
„Hoffentlich schaffen wir es, das Ding abzuliefern, bevor der Regen einsetzt.“ Jort schnalzte mit der Zunge und spornte damit die eingespannten Pferde auf der schlammigen Straße an.
„Das Sofa ist doch unter einer Plane.“ Jorts Kamerad Ox gähnte und kratzte sich. Die Holzbank zitterte, als der große Mann sein Gewicht verlagerte. „Ein paar Regentropfen werden ihm auch nicht schaden.“
„Ich habe an uns gedacht.“ Jort blickte auf die schweren Frühlingswolken am Himmel. „Ich dachte, wir würden das Sofa zum Militärfort bringen und nicht mitten ins Nirgendwo.“
„Wir sind weniger als zwanzig Minuten von den Stadtmauern entfernt.“
„Es fühlt sich an wie mitten im Nirgendwo.“ Jort wies auf die Tannen, die links und rechts der Straße aufragten und deren Äste nur einen Streifen des wolkenverhangenen Himmels über ihnen erkennen ließen. „Außerdem sind zwanzig Minuten eine mächtig lange Zeit, wenn man einem Sturzregen entkommen will.“ Vor ihnen sah er einen von Algen überwucherten Teich, der das Ende der Straße markierte. Seit der Abzweigung waren sie nur an drei Häusern vorbeigefahren und er hatte alle ihre Adressen überprüft. Von 374 war noch nichts zu sehen. „Man würde nicht erwarten, dass ein General so weit draußen wohnt.“
„Ich wette, seine Hexe hat den Ort ausgesucht.“
„Sag nicht so etwas.“ Um böse Magie abzuwehren, umkreiste Jort mit zwei Fingern sein Herz, wobei seine Bewegungen so hastig waren, dass er die Zügel fallen ließ. „So etwas wie Hexen gibt es nicht. Jedenfalls keine echten.“ Er umkreiste erneut sein Herz, bevor er die Zügel wieder aufnahm, nur zur Sicherheit. Man konnte ja nie wissen.
„Wenn du das glaubst, kannst du an die Tür klopfen und mit ihr reden.“
„Du denkst doch nicht, dass sie da sein wird, oder?“ Jort leckte sich über die Lippen, die ihm plötzlich trockener erschienen als die Weiße Sandwüste. Er glaubte nicht an Magie, aber er hatte schon viele Geschichten über die Freundin von General Zirkander gehört. Geschichten, die jeden Mann nervös machen würden. Angeblich besaß sie alle möglichen Zaubertränke und hielt den berühmten Piloten in ihrem Bann. Und sie hatte ein Schwert, mit dem sie einem Mann die Eier wegschmelzen konnte. Kein Wunder, dass der General ihr so ein teures Sofa gekauft hatte.
„Besser, sie ist zu Hause“, sagte Ox unbekümmert. „Jemand muss für das Sofa unterschreiben.“
Jorts Herzschlag war um etwa fünfhundert Prozent gestiegen, als das Pferdegespann vor dem letzten Haus an der Straße anhielt, einer gemütlichen zweistöckigen Hütte mit einem gepflegten, grünen Rasen davor, Picknicktischen und einer Hufeisengrube auf der Rückseite. Das Anwesen sah unschuldig aus, aber die hohen Bäume entlang der Grundstücksgrenze verbargen es vor den Nachbarn, und auf dem Grundstück gegenüber befand sich nichts außer wuchernden Brombeerhecken.
„Es sieht … abgelegen aus.“ Jort betrachtete die Fenster und fragte sich, in welchem Raum die Hexe wohl ihre Tränke braute. Ein Vorhang im oberen Stockwerk bewegte sich und er erstarrte. Er konnte niemanden sehen, aber er war sich sicher, dass jemand sie beobachtete.
„Ja.“ Ox sprang vom Wagen und ging nach hinten, um die Plane abzuspannen.
Ein Regentropfen fiel auf Jorts Nase und er riss seinen Blick von der Hütte los. Er musste seinem Partner helfen, damit sie das Sofa abliefern und zurück in die Sicherheit der Stadt fliehen konnten.
„Wahrscheinlich will der General mit seiner Hexe abgelegen wohnen, damit sie sich austoben können, ohne dass es jemand mitbekommt“, fügte Ox hinzu und ließ die Plane auf die Rückbank des Wagens fallen. „Vielleicht sogar auf diesem Sofa.“
„Ekelhaft.“
„Generäle haben Bedürfnisse wie jeder andere auch. Geh jetzt anklopfen und frag die Hexe, wo sie es hinhaben will.“
„Nenn sie nicht so.“ Jort blickte zum Vorhang auf, der gezittert hatte. „Nicht, wenn sie es hören könnte.“
Ox stieß einen dramatischen Seufzer aus. Jort wischte sich die Hände an seiner Hose ab und ging den gepflasterten Weg zur Haustür. Er holte tief Luft und hob die Hand, um anzuklopfen.
Die Tür öffnete sich, bevor er sie berühren konnte, und er sprang zurück. Beinahe hätte er nach seiner Hüfte gegriffen, an der er während seiner Zeit bei der Infanterie ein Schwert getragen hatte. Aber das barfüßige, braunhaarige Mädchen in dem mit Farbe bekleckerten Kleid wirkte nicht gerade bedrohlich. Sie sah ganz sicher nicht alt genug aus, um die Hexe zu sein, die Jort erwartet hatte. Sie schien nicht einmal alt genug zu sein, um die Freundin von jemandem zu sein, der nicht im Stimmbruch war.
„Es ist da“, platzte sie heraus und klatschte in die Hände. „Ardelle wird so glücklich sein.“
Ardelle. Ja, das war der Name auf dem Klemmbrett.
„Ich glaube, sie hat sich insgeheim gefreut, dass Grats letztes Sofa zusammen mit seinem Haus in die Luft geflogen ist“, fuhr das Mädchen fort. „Haben Sie das Sofa je gesehen? Ich habe es nie gesehen, aber ich habe davon gehört.“ Sie erschauderte.
„Ähm, nein, Miss.“ Als ob der legendäre General Zirkander Jort zu sich nach Hause zum Würfeln und Cocktails trinken einladen würde.
„Das ist es, nicht wahr?“ Das Mädchen zeigte auf den Wagen, aus dem Ox das Sofa bereits ein Stück herausgehebelt hatte. „Das sieht toll aus. Ist das Wildleder?“
„Ja, Miss. Wo sollen wir das Sofa hinstellen?“ Jort entspannte sich ein wenig. Vielleicht war die Hexe nicht hier, und das Mädchen konnte für sie unterschreiben. Er und Ox könnten zurück in der Stadt sein, bevor der Regen stärker wurde.
„Im vorderen Zimmer, hier.“
„Gut, wir bringen es gleich rein, sobald Sie das unterschrieben haben.“ Jort hielt ihr ein Klemmbrett hin.
Das Mädchen warf ihm einen leeren Blick zu. Sie zog einen nassen Pinsel aus ihrer Tasche und hob die Augenbrauen.
Bevor Jort erklären konnte, dass ein Stift besser wäre, kam ein Mann in Sicht und blieb hinter ihr stehen. Er hatte silbernes Haar, das ihm bis zu den Schultern fiel, eine seltsame Farbe für jemanden, der nicht älter als zwanzig zu sein schien. Seine Augen waren von einem unheimlichen Gelbbraun, das an einen Wolf erinnerte, und seine Ausstrahlung ließ Jort einen Schritt zurücktreten. Mehrere Schritte zurück. Zum Glück blieb der intensive Blick nicht auf ihm haften. Der Mann schritt an dem Mädchen vorbei und blickte zum Himmel. Dann legte er eine Hand auf die Schulter des Mädchens, und sie starrten sich gegenseitig an. Sie sprachen nicht. Sie starrten sich nur an, als ob eine Art von Kommunikation stattfand, die keine Worte erforderte.
„Wir werden jetzt das Sofa holen“, sagte Jort und stolperte zurück zur Kutsche. Vielleicht wohnten hier mehrere Hexen. Ein Hexenzirkel. So nannte man doch eine Schar von Hexen, oder?
„Hast du die Unterschrift bekommen?“, fragte Ox.
„Noch nicht. Beeilen wir uns einfach und bringen es rein. Dieser Ort ist unheimlich.“ Jort warf einen Blick zurück zum Haus. Der junge Mann stand jetzt im Garten und winkte dem Mädchen, wieder ins Haus zu gehen, während sein Blick auf den wolkenverhangenen Himmel gerichtet blieb.
„Der Boss wird unsere Eier in eine Apfelpresse werfen, wenn wir sie nicht unterschreiben lassen.“ Ox zog das Sofa weiter heraus.
Jort sprang auf den Wagen, um es anzuschieben. Er und Ox hatten noch nie ein so schweres Möbelstück so schnell vom Wagen geholt. Ox wirkte nicht besorgt – er hatte die unheimlichen Augen des Mannes nicht gesehen –, aber mit seinen kräftigen Armen hatte er keine Mühe, seine Hälfte des Sofas zu tragen und mit Jorts Tempo mitzuhalten.
Sie waren schon fast im Haus, als das Mädchen rief: „Passt auf!“
„Geh ins Haus“, befahl der Mann und hob eine Hand in ihre Richtung.
Das Mädchen taumelte zurück, und die Tür schien sich von selbst zu schließen.
Jort war so gebannt, dass er zusammenzuckte, als Ox sein Ende des Sofas fallen ließ.
„Was machst du da?“, stieß Jort aus. „Wenn es beschädigt wird …“
„Lauf“, sagte Ox. Seine Stimme war ruhig, aber sie schnitt durch Jorts Worte wie ein Schwert durch Butter.
Ein gewaltiger Windstoß traf Jort in den Rücken, und die Pferde wieherten auf. Jort stürzte über das Sofa und wurde dann durch die Luft in Richtung Wagen geschleudert – oder dorthin, wo der Wagen gestanden hatte. Der Wagen rumpelte hinter den fliehenden Pferden die Straße hinauf.
Als Jort auf die Füße kam, packte ihn eine Hand von hinten. Er schrie vor Überraschung auf. Was um Himmels willen war hier los?
„Runter, du Idiot!“ Ox zog ihn durch eine Pfütze. Das Wasser spritzte in alle Richtungen.
Ein unmenschliches Brüllen donnerte vom Himmel. Jort sah auf und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan. Er hatte nur Bilder von Drachen in Geschichtsbüchern gesehen, aber er erkannte die riesige fliegende Kreatur als das, was sie war. Es gab keinen Zweifel. Das Brüllen ertönte erneut, ein ohrenbetäubendes Geräusch, als die Kreatur mit den goldenen Schuppen ihre Flügel an ihren riesigen muskulösen Körper anlegte und auf das Haus herabstürzte.
Jort und Ox rannten so schnell sie konnten die Straße hinauf. Bis Ox stehenblieb und trotzig in den Himmel starrte. Jort konnte nicht anders, auch er warf einen Blick zurück.
Zuerst sah es so aus, als würde der Drache ins Dach krachen, aber wie ein Adler, der nach einem Fisch taucht, entfaltete er seine Flügel im letzten Moment und bremste ab, um elegant im Garten zu landen. Diese Flügel reichten vom Haus bis zur Straße und hatten eine Spannweite von mindestens zwölf Metern. Das riesige, mit Reißzähnen gefüllte Maul des Drachen öffnete sich und ein Feuerstrahl strömte heraus. Die Flammen ergossen sich über das Gras, das Sofa und den Mann, der im Garten stand.
Selbst aus der Distanz konnte Jort die Hitze spüren. Er hob den Arm, um sein Gesicht zu schützen, aber er konnte seinen Blick nicht abwenden. Unglaublicherweise war der Mann nicht verbrannt, obwohl das Gras verkokelte und zu Asche zerfiel. Auch die Steinplatten zerbrachen und Rauch stieg aus der Erde auf.
Die Krallen des Drachen griffen nach dem Mann. Dieser rollte zur Seite. Die Krallen gruben sich in den Boden, wo er gestanden hatte, und rissen ein klaffendes Loch hinein, bevor der Drache mit seinen mächtigen Flügeln schlug und sich wieder in die Luft erhob.
Der enorme Luftzug drückte Jort in die Brombeersträucher am Straßenrand. Der junge Mann, der nicht verbrannt war, sprang auf die Füße. Die Tür öffnete sich leicht, aber er hob eine Hand und sie schloss sich wieder. Als wäre Jort noch nicht geschockt genug, sprang der Mann in die Luft. Bevor er wieder auf dem Boden aufkam, verschwand seine Kleidung und sein Körper verwandelte sich: Silberne Schuppen ersetzten die Haut und Flügel ersetzten die Arme. Er wurde auch größer, und während Jort mit offenem Mund zusah, verwandelte sich der Mann in einen Drachen.
Ohne zu zögern, flog der ehemalige Mann über das Haus und die Bäume dahinter. Die Wipfel zitterten im Luftzug.
Jorts erster Gedanke war, dass der zweite Drache den ersten Drachen verfolgen würde, aber er tauchte nicht im Himmel auf, sondern schien irgendwo im Wald verschwunden zu sein.
Der goldene Drache nahm scheinbar die Verfolgung auf, erhob sich über die Baumkronen und hauchte Flammen in die Äste. Das feuchte Holz schwelte und fing kein Feuer, aber es verkohlte und fiel unter dem Feuerangriff schlaff in sich zusammen.
„Phelistoth“, kam die Stimme des Mädchens aus dem Haus. Sie öffnete die Tür und rannte nach draußen in den Wald. Sie würde die Drachen niemals einholen. Es dauerte nicht lange, bis sie aus dem Blickfeld verschwanden.
Jort blickte auf den Brandfleck im Garten, wo der junge Mann gestanden hatte. Und wo das Sofa gestandenhatte. Es war bis auf den Rahmen niedergebrannt, nur vier verkohlte Stümpfe waren von den Füßen übrig geblieben. Die Kissen und Polster, das Wildleder … weg. Völlig verschwunden.
„Du hättest dir die Unterschrift holen sollen“, sagte Ox.
Caslin Ahn stand vor den doppelten Holztüren des herrschaftlichen Hauses und starrte sie an, ohne auf den Regen zu achten, der auf sie niederprasselte. Sollte sie anklopfen? Oder einfach reingehen?
Sie war hier aufgewachsen, hatte auf den gras- und baumbestandenen Äckern, die sich nach allen Seiten hin erstreckten, das Jagen und Schießen gelernt, und sie hatte auf dem Bett im kleinen Turm an der Nordseite gesessen, auf die Hügel und die Stadt in der Ferne geblickt und sich gefragt, wie es wohl wäre, zur Schule zu gehen und Freunde zu haben wie ein normales Mädchen. Stattdessen hatte sie Privatlehrer und einen Vater gehabt, der darauf bestand, dass sie sich auf das Erbe des ‚Familienunternehmens‘ vorbereitete. Etwas anderes kam nicht in Frage. Aber Caslin hatte rebelliert. Hatte ihren Vater verlassen. Und nun … nun war sie zurückgekehrt. Der Wunsch ihres Vaters würde sich erfüllen. Sofern er sie wieder zu Hause aufnehmen würde.
Nachdem sie noch ein paar Sekunden lang im Regen gestanden hatte, der von den roten Schindeln in die Dachrinnen plätscherte, rang Cas sich endlich dazu durch anzuklopfen. Es waren zu viele Jahre vergangen, um einfach so ins Haus zu gehen. Außerdem hatte Cas das letzte Mal, als sie ihren Vater gesehen hatte, versucht ihn von seiner Mission abzuhalten, während ihr Kommandant auf ihn geschossen hatte.
Einige Augenblicke vergingen, ohne dass eine Antwort kam. Vielleicht hatte der Regen ihr Klopfen übertönt. Sie lehnte sich zur Seite und zog an einem Seil, woraufhin eine Glocke ertönte. Sie hatte das Ding immer gehasst. Sie kam sich damit wie ein Mönch vor, der in einem Tharon-Tempel lebte.
Als der Nachhall verklungen war, fragte sie sich, ob ihr Vater alle Bediensteten entlassen hatte, nun, da er allein lebte. Oder vielleicht war er noch nicht von Owanu Owanus zurückgekehrt. Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Immerhin war er angeschossen worden. Aber er hatte sich entschieden für den Feind zu arbeiten, verdammt noch mal. Es war nicht ihre Schuld. Und wann hätte sie Zeit gehabt, ihn zu besuchen? Sie war in General Zirkanders selbsternannte Mission hineingezogen worden, war von einem alten Schwert besessen gewesen und hatte Apex getötet …
Sie schloss ihre Augen. In den Wochen seither hätte sie vorbeikommen können, aber sie war zu sehr mit ihrer Trauer beschäftigt gewesen. Mit ihrer Schuld. Sie fühlte sich völlig verloren.
Als sich die Tür endlich öffnete, fühlte sich Cas trotz der langen Verzögerung noch nicht bereit für die Begegnung. Sie hob ihr Kinn und tat ihr Bestes, um sich die aufflammenden Gefühle nicht anmerken zu lassen und das rationale Wesen zu sein, das ihr Vater immer aus ihr hatte machen wollen. Eine Scharfschützin, die niemals Gefühle in eine Mission einfließen ließ.
Er stand vor ihr, trug eine schwarze Hose und ein hochgeschlossenes graues Hemd. Sein sandfarbenes Haar war ordentlich zur Seite gekämmt. Er blickte sie ausdruckslos an, seine Wangen waren frisch rasiert und seine blauen Augen kühl und emotionslos wie immer. Die Wochen, die seit dem Schuss auf ihn vergangen waren, hatten wahrscheinlich nicht für eine vollständige Genesung ausgereicht, aber sie konnte keine bleibenden Anzeichen der Verletzung erkennen, außer vielleicht eine Spur von Steifheit in der Art, wie er seine linke Schulter hielt.
„Vater“, sagte sie.
„Caslin“, sagte er.
Sie starrten sich an und warteten darauf, dass der andere das Gespräch fortsetzte. Cas hatte nicht viele Kindheitserinnerungen an lange Gespräche. Sie erinnerte sich daran, dass sie diejenige war, die zu ihm gekommen war, und überlegte, was sie sagen sollte – wie sie fragen könnte, was sie fragen wollte. Es war ihr unangenehm, ihn direkt um einen Job zu bitten, wo sie sich doch zuletzt als Feinde gegenüber gestanden hatten.
„Ist deine Wunde verheilt?“, fragte Cas.
„Ausreichend, ja.“
Sollte sie sich für die Rolle entschuldigen, die sie dabei gespielt hatte? Nein, er hatte seine Entscheidung getroffen, genau wie sie ihre. Nur weil er versucht hatte, sie zu warnen, sich von der alten Pyramide fernzuhalten, hieß das nicht, dass sie ihm etwas schuldig war.
„Hast du schon gehört, dass …“ Cas winkte vage in Richtung von Schloss Harborgard, dessen Türme von ihrem erhöhten Aussichtspunkt über der Stadt zu sehen waren. Soweit sie wusste, war das, was dort wirklich passiert war, nie in den Zeitungen oder in den offiziellen Militärberichten veröffentlicht worden, aber ihr Vater hatte eine Art, Dinge in Erfahrung zu bringen.
„Du hast das Militär verlassen“, stellte er fest.
„Ja.“ Cas wusste nicht, ob das bedeutete, dass er alles wusste. „Ich kann nicht zurückgehen. Bist du … Du wolltest doch mal, dass ich für dich arbeite.“
Aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer, die eigentliche Frage zu stellen, ob er sie jetzt einstellen würde. Sie hatte geglaubt, dass sie das wollte – oder besser gesagt, dass sie dieses Leben nun verdiente. Doch jetzt, wo ihr die Frage auf der Zunge lag, zweifelte sie an ihrer Entscheidung. Ihr Vater ermordete Menschen für den Meistbietenden und fragte nicht, ob die Zielperson dieses Schicksal verdiente oder nicht. Natürlich hatte auch sie nie überlegt, ob die Cofah-Soldaten, die sie erschossen hatte, ihr Schicksal verdient hatten, aber irgendwie ließ die Arbeit für das Militär und den König alles viel edler erscheinen. Sie war sich immer sicher, dass sie ihr Land und ihr Volk verteidigte. Aber das war eine Ehre, die nur denjenigen zuteilwurde, die ihren Kameraden den Rücken freihielten.
„Vater, ich würde gern für dich arbeiten, wenn … du mich noch willst.“ Die Worte klangen seltsam, als wäre sie irgendwo außerhalb ihres Körpers und würde jemand anderen sprechen hören.
„Ist dir das Geld ausgegangen?“, fragte er kühl.
Cas klappte die Kinnlade herunter. Dachte er, er sei ihr letzter Ausweg? Weil sie ohne ihn auf der Straße leben würde? So arm war sie nicht. Sie hatte noch nie verschwenderisch gelebt und sie hatte genug Geld auf der Bank, um das bescheidene Zimmer zu bezahlen, das sie gemietet hatte. Na gut, vielleicht wusste sie nicht, womit sie sonst ihren Lebensunterhalt verdienen sollte. Sie konnte gut schießen. Sie war auch eine gute Pilotin, aber neunzig Prozent der Flieger in diesem Land gehörten dem Militär an, sodass es keine zivilen Jobs gab. Sie hatte keine Fähigkeiten für einen normalen Job.
„Nein“, sagte sie. „Ich bin nicht pleite.“
Sie hatte noch ein paar Monate Zeit, bevor sie sich darüber Gedanken machen musste. Außerdem hatte Tolemek ihr angeboten, bei ihm zu bleiben, obwohl sie ihm in letzter Zeit aus dem Weg gegangen war. Sie hatte das Gefühl, dass sie seine Gesellschaft genauso wenig verdiente wie die ihrer Kameraden im Wolfsgeschwader. Sie mochte auch nicht seine mitleidigen Blicke, wenn sie zusammen waren. Logischerweise wusste sie, dass sie seine Unterstützung schätzen sollte, und das tat sie auch, aber sie wollte nicht bemitleidet werden. Sie wollte getadelt werden. Warum tat das keiner von ihnen? Es machte keinen Sinn. Selbst wenn das Schwert einen magischen Einfluss auf sie ausgeübt hatte, so war es doch ihr schwacher Verstand gewesen, der es dem Schwert ermöglicht hatte, die Kontrolle zu erlangen.
„Im Moment stelle ich keine Leute ein“, sagte ihr Vater. „Ich kann dir Bescheid sagen, wenn sich das ändert.“
Die Zurückweisung überraschte sie nicht, nicht völlig, aber sie schmerzte trotzdem. Sie hatte immer geglaubt, dass, egal was zwischen ihnen passierte, sie immer noch verwandt waren und er sie zurücknehmen würde. War es nicht das, was Eltern tun sollten?
„Weil ich mich auf die Seite meiner Einheit gestellt habe?“, fragte Cas und ihre Wangen wurden heiß. Ihre Gefühle mussten ihr ins Gesicht geschrieben stehen, aber das war ihr egal. „Du hast immer gesagt, dass persönliche Beziehungen einen nicht davon abhalten dürfen, seine Pflicht zu erfüllen. Ich habe meine Pflicht getan.“
„Ich verstehe“, sagte er.
Er fügte nicht hinzu: Und ich vergebe dir dafür. Sie war sich nicht sicher, warum sie gedacht hatte, dass er das tun würde. Sie wusste auch nicht, warum es sie interessierte. Sie hatten seit Jahren kaum miteinander gesprochen. Wenn sie jetzt keine Beziehung hatten, war das genauso ihre Schuld wie seine. Er war nie zu ihr gekommen, aber sie war auch nie zu ihm gegangen. Sie war mit ihrer Armeeausbildung beschäftigt gewesen, dann mit der Flugausbildung und dann mit der Arbeit beim Wolfsgeschwader. Sie hatte keine Zeit gehabt, das Fehlen ihres Vaters zu bemerken oder ihn zu vermissen. Aber jetzt …
Ein Teil von ihr fühlte sich wieder wie ein achtjähriges Mädchen, das vor ihrem Vater stand und hoffte, er würde sie über eine Wunde trösten, die sie sich beim Spielen zugezogen hatte. Als sie noch klein gewesen war, hatte er gelegentlich nachgegeben und sie umarmt. Vielleicht hatte ihre Mutter darauf bestanden. Sie wusste es nicht, aber sie erinnerte sich an ein paar Umarmungen hier und da, auch wenn es schon fünfzehn Jahre her war.
„Caslin.“ Ihr Vater seufzte, ganz leise. „Im Moment kann ich dir nicht zutrauen, dass du dich an meinen Aufträgen beteiligst. Ich glaube, deine Loyalität gilt deiner Einheit und denjenigen, die mit dem König verbündet sind.“
Diejenigen, die mit dem König verbündet sind? Sie konnte sich nicht vorstellen, sich gegen König Angulus zu stellen, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, warum ihr Vater seine Opposition unterstützen würde. Sicherlich musste er mit Konsequenzen rechnen, wenn er einen Auftrag der Königin annahm, vor allem, wenn diese Königin für die Entführung von Angulus verantwortlich war. Oder hatte sich ihr Vater aus den rechtlichen Schwierigkeiten herausgekauft? Vielleicht gab es niemanden mehr, der beweisen konnte, dass er versucht hatte, den Drachen Phelistoth auf Wunsch der Königin zu töten.
„Nein, ich würde nicht gegen den König handeln, aber ich wüsste nicht, warum meine Loyalität gegenüber meinen alten Kameraden eine Rolle spielen sollte.“ Es sei denn, wurde Cas klar, er war angeheuert worden, um einen von ihnen zu töten. Ihr Herz machte einen Sprung, und sie starrte ihm in die Augen und wünschte, sie hätte Ardelles Fähigkeit, Gedanken zu lesen. Leider war sie noch nie gut darin gewesen, die Gedanken ihres Vaters zu erraten.
„Es ist möglich, dass deine Loyalität eines Tages ein Grund für einen Konflikt sein wird“, sagte er, ohne mehr zu verraten.
Eines Tages? Oder hatte er jetzt einen Auftrag für ein Attentat?
Ein Klirren erklang an der Ecke des Hauses, und eine schnittige schwarze Dampfkutsche mit silbernen Rohrleitungen kam in Sicht. Ein Fahrer, den sie nicht erkannte, rollte das Gefährt um teichgroße Pfützen und hielt vor dem Haus an.
Ihr Vater nahm eine schwarze Jacke von der Garderobe, trat vor und schloss die Tür hinter sich. „Es ist schön zu sehen, dass es dir gut geht, Caslin“, sagte er. „Ich habe einen Termin, den ich wahrnehmen muss.“
Er ging an ihr vorbei, hielt dann aber inne und sah auf sie herab.
Sie verkrampfte sich leicht, weil ihr bewusst war, dass sie keine Waffen mitgebracht hatte. Sie hatte ihr Scharfschützengewehr zusammen mit dem Rest ihrer Ausrüstung abgegeben, als sie aus der Armee ausgetreten war, und obwohl sie die Tochter ihres Vaters war, hatte sie kein Waffenregal unter ihrem Bett. Sie glaubte nicht wirklich, dass er sie angreifen würde, nicht hier, aber sie fühlte sich in seiner Nähe nie wohl.
„Vielleicht“, sagte er langsam, „kannst du ein anderes Mal wiederkommen, an einem weniger trüben Tag, und wir könnten auf dem Schießstand schießen.“ Er neigte den Kopf in Richtung des weitläufigen Gartens, in dem es sowohl stationäre Ziele als auch eine automatische Maschine gab, die Wurfscheiben auswarf.
Ein normaler Vater hätte sie gefragt, ob sie ein Bier trinken gehen oder zum Abendessen kommen wollte. Ihr Vater bat sie, mit ihm zum Schießen zu gehen. Trotzdem war es ein Friedensangebot. Nur war es nicht das, wofür sie gekommen war.
„Ich werde darüber nachdenken“, sagte Cas.
„Gut.“
Sie wartete und dachte, er würde ihr vielleicht anbieten, sie zurück in die Stadt zu fahren, zumal es regnete. Er tat es nicht. War er zu spät für seinen Termin? Oder war er besorgt, dass sie erfahren könnte, worum es bei diesem Termin ging? Um wen esging?
Als die Dampfkutsche davonfuhr und schwarzen Rauch hinterließ, schlenderte Cas zurück auf die Straße. Sie verlangsamte ihren Schritt, als er an der nächsten Ecke verschwand, wartete ein paar Minuten, ignorierte den Regen, der ihr in den Nacken rieselte, und vergewisserte sich, dass ihr Vater nichts vergessen hatte und zurückkommen würde. Dann drehte sie sich um und ging zurück zum Haus.
Sie nahm an, dass er noch irgendwelche Angestellte hatte, also klopfte sie nicht und läutete auch nicht wieder an der höllischen Glocke. Stattdessen schaltete sie in den Spionagemodus.
Sie duckte sich unter den Fenstern hindurch, schlich an der Vorderseite des Hauses entlang und um die Ecke zu dem dreistöckigen Turm, in dem sich einst ihr Zimmer befunden hatte. Ob das immer noch der Fall war, wusste sie nicht, aber das Haus war weitläufig, also war es nicht so, dass ihr Vater ihr Zimmer in ein Arbeitszimmer hätte umwandeln müssen, nachdem sie ausgezogen war.
Sie kletterte am Efeu an den Spalieren hoch und lächelte leicht, als sie sich an den Tag erinnerte, an dem ihr zehnjähriges Ich den Gärtner ach so unschuldig gebeten hatte, die Ranken unter ihrem Fenster zu pflanzen. Der Efeu war längst ausgewachsen und bot einen perfekten Weg in und aus ihrem Schlafzimmerfenster. In ihren Teenagerjahren hatte sie nicht viel für Jungs übrig gehabt, aber sie hatte sich ein paar Mal hinausgeschlichen, als sie zur Strafe für irgendwelche Fehler in ihrem Zimmer eingesperrt gewesen war.
Während der Efeu ihr Tropfen ins Gesicht spritzte, kletterte sie in den dritten Stock. Sie rüttelte am Fenster, um das Schloss, das sie so gebaut hatte, dass es sich nicht verriegeln ließ, zu überwinden, und landete ohne ein Geräusch auf dem dicken Teppich im Inneren.
Cas wollte eigentlich gleich zur Tür hinaus, die Treppe hinunter und zum Büro ihres Vaters eilen, aber die vertrauten Gerüche und Anblicke ihres alten Zimmers lenkten sie ab. Nichts hatte sich verändert, weder die Medaillen, die an den Bettpfosten hingen, noch die halb abgebrannten Zitronenverbene-Kerzen auf dem Kaminsims. Diese Medaillen weckten Erinnerungen an all die Schießwettbewerbe, die sie als Jugendliche gewonnen hatte. Sie war eines der wenigen Mädchen unter den Jungen gewesen, die immer älter und größer gewesen waren als sie, und die meisten von ihnen hatten mürrisch gegrinst, wenn sie sie besiegt hatte. In ihrer Kindheit und auch in der Armee war sie immer die Sonderbare gewesen, bis sie zum Wolfsgeschwader gekommen war, wo sie endlich mit Leuten zusammenarbeiten konnte, die genauso sonderbar waren wie sie und die ihre Fähigkeiten zu schätzen wussten.
Cas blinzelte die Feuchtigkeit in ihren Augen weg und knurrte vor sich hin. Sie hatte nicht vor, mitten bei einem Einbruch zu weinen.
„Reiß dich zusammen, Soldat“, murmelte sie und lehnte ihr Ohr an die Tür.
Als sie nichts hörte, machte sie sich auf den Weg in den Flur. Sie schlich die Treppe hinunter. Das Haus war ihr vertraut und doch nicht mehr ihr Zuhause, nachdem sie fast acht Jahre lang keinen Fuß hineingesetzt hatte. Ein paar ungewohnte Gerüche lagen in der Luft, darunter etwas Tomatenartiges, das aus der Küche kam. Das bedeutete, dass zumindest eine Person hier war.
Sie schaffte es in den ersten Stock, ohne jemanden zu sehen, und beeilte sich, als sie sah, dass die Tür zum Büro ihres Vaters offen stand. Beinahe hätte sie den Raum betreten, ohne nachzusehen, aber in letzter Sekunde fiel ihr ein, dass er die Tür immer verschlossen hielt. Wenn sie offen war …
Ein leises Knarren drang an ihr Ohr, und sie reagierte sofort. Sie konnte nicht ins nächste Zimmer rennen, ohne die offene Tür zu überqueren, und sie würde es vielleicht nicht rechtzeitig zur Treppe zurückschaffen, also sprang sie auf einen Beistelltisch, auf dem eine Vase stand. Wenn das jemand Schwereres versucht hätte, hätte der Tisch vielleicht noch mehr gewackelt und die Vase wäre auf den Boden gefallen, aber sie bewegte sich kaum, während Cas die Höhe nutzte, um sich zur gewölbten Decke hochzuziehen. Sie machte ihre Berührung so sanft wie möglich und dankte dem Purzelbaumlehrer, den ihr Vater für sie als Mädchen angestellt hatte, als sie über der Tür landete, mit den Füßen an einer Flurwand und den Händen an der anderen.
Sie hatte keine Zeit, sich zu erheben, bevor ein Dienstmädchen mit einem Staubwedel, einem Eimer und einem Schwamm herauskam. Jartya. Sie arbeitete schon seit Jahren hier. Cas zog den Bauch ein und wünschte sich, sie hätte einen höheren Platz an der Wand gefunden. Jartya hatte Cas nachts einmal Kekse und Milch gebracht, nachdem ihr Vater sie ohne Abendessen ins Bett geschickt hatte. Jartya würde Cas’ Einbruch vielleicht nicht melden, aber das war nach all der Zeit nicht sicher.
Jartya hielt inne, schnippte mit den Fingern und ging wieder hinein. Sie holte eine Sprühflasche mit Reinigungsmittel vom Schreibtisch. Cas nutzte den Moment, um sich etwas höher zu erheben, außer Sichtweite, aber dabei tropfte Wasser vom Saum ihrer Jacke auf den Boden. Sie zuckte zusammen, denn sie war sich sicher, dass Jartya es gehört hatte. Einzubrechen war keine gute Idee, wenn man klatschnass war.
Jartya ging wieder hinaus, und Cas drängte sie im Geiste, sich zu beeilen. Aber das Dienstmädchen bemerkte die Wassertropfen.
Sieh nicht auf, drängte Cas leise. Sieh nicht hoch …
Jartya bückte sich und wischte mit dem Schwamm das Wasser auf. Sie warf einen Blick auf ihren Eimer. Ja, dachte Cas, die Tropfen kommen von deinem Eimer, nicht von der Frau, die sich mit zitternden Unterarmen über der Tür abstützt.
Cas hatte keine Hand frei, um die Tropfen aufzuhalten, die von ihrem Saum fielen. Ein neuer Tropfen fiel auf Jartyas Rücken. Sie schien es nicht zu spüren. Ein weiterer Tropfen fiel. Jartya stand mit einem Seufzer auf. Sie hatte in den vergangenen Jahren an Gewicht und ein paar grauen Haaren zugelegt. Cas wollte nicht, dass ihr auch noch eine Frau auf den Kopf fiel.
Schweiß rann über Cas’ Handflächen, und sie rutschte mit einer ab. Sie spannte die Schultern an und drückte fest gegen die Wand, um sich zu halten. Schließlich ging Jartya den Flur hinunter und verschwand um die Ecke, die zur Küche führte, ohne sich umzudrehen.
Cas ließ sich fallen und zuckte zusammen, als sie die Landung nicht lautlos schaffte. Sie eilte ins Büro.
Der ordentliche Raum mit dem übersichtlichen Schreibtisch machte es leicht, etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Ein einzelner aufgeschnittener Briefumschlag lag auf dem Tisch. Er war an den Landschaftsarchitekten Liebhaber üppiger Hügel adressiert, eine der Scheinfirmen ihres Vaters, die seine wahre Arbeit verschleierten. Cas wischte sich die feuchten Handflächen ab und zog eine einzelne Seite aus dem Umschlag. Sie überflog den kurzen Brief und hielt bei den wichtigsten Begriffen inne. Seine himmlische Hoheit … hat mich ermächtigt, Sie anzuheuern … den Verräter Tolemek Targoson, für fünfzigtausend Nukros oder gutes kaiserliches Gold.
Cas ließ sich gegen den Stuhl sinken. Tolemek.
Ardelle klopfte an die Tür von Grats Büro im zweiten Stock des Brigade-Hauptquartiers im Militärfort. Dank König Angulus hatte sie jetzt einen Ausweis, mit dem sie ohne Schikanen an den Wachen vorbeikam. Trotzdem hatte sie diesmal mit Schwierigkeiten gerechnet, da sie Tylie dabei hatte. Die Wachen hattenArdelle zwar befragt, aber ein Blick auf Tylies fleckiges Kleid und ihre Riemchensandalen hatte sie zu dem Schluss gebracht, dass sie kein Sicherheitsrisiko darstellte. Zum Glück wussten sie nicht, dass sie eines Tages eine mächtige Magierin werden würde und bereits einige Fähigkeiten erlernt hatte.
„Komm rein“, sagte Grat und fügte dann leise hinzu: „Du musst nie anklopfen.“
Ich möchte dich nicht bei etwas Peinlichem erwischen, sagte sie ihm in Gedanken. Sie bemühte sich um einen heiteren Ton, obwohl ihre Stimmung nach dem Vorfall mit dem Drachen alles andere als heiter war. Sie hatte ihm noch nicht davon erzählt, sondern nur, dass es Ärger gab und sie reden mussten.
Generäle machen keine peinlichen Dinge in ihren Büros. Sie sind anständig und gediegen, ließ er sie in Gedanken wissen.
Der Mann auf der anderen Seite des Flurs hat seine Tür verschlossen und schaut angestrengt auf einen Kalender mit nackten Frauen, informierte Jaxi die beiden.
Nun, antwortete Grat, er ist nur ein Oberst.
Angestrengt?,wiederholte Ardelle, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Sie öffnete die Tür und winkte Tylie herein, wobei sie einen Blick auf die geschlossene Tür auf der anderen Seite des Flurs warf.
„Wir müssen nicht ins Detail gehen, Jaxi“, entfuhr es Grat und schaute Jaxi an Ardelles Gürtel an.
Wie eine Seelenklinge schelmisch pulsieren konnte, wusste Ardelle nicht, aber Jaxi schaffte es. Ardelle ging hinüber, umarmte Grat und küsste ihn auf die Wange. Er sah in seiner frisch gebügelten Uniform ziemlich gut aus. General Ort wäre stolz auf ihn gewesen, denn seine Stiefel waren im Moment sogar schlammfrei. Sie hätte ihm gern mehr gegeben als nur einen flüchtigen Kuss, vor allem, weil er in letzter Zeit die meisten Nächte im Fort schlief, seit Phelistoth bei ihrem Haus im Wald aufgetaucht war. Er blieb in der Nähe und half bei Tylies Unterricht mit. Ardelle konnte es Grat nicht verübeln, dass er sich unwohl fühlte, wenn ein Drache zu ungewöhnlichen Tages- und Nachtzeiten im Haus herumlief. Es beunruhigte sie auch. Aber das Ergebnis war, dass sie allein schlief. Sie fand, dass Tylie noch nicht alt genug war, um allein draußen auf dem Land zu bleiben, und Tolemek war auf einer Mission für den König unterwegs, also lag es an Ardelle, auf sie aufzupassen.
Du hast zugestimmt, sie zu unterrichten, sagte Jaxi.
Das war, bevor ich wusste, dass ich mit einem Drachen zusammenwohnen würde.
Genaugenommen ist Phelistoth ihr Drache. Er toleriert dich nur, weil du im Haus wohnst. Für ihn bist du vergleichbar mit Grats Sofa.
Ich bezweifle, dass der Drache jemandem gehört.
Widerwillig ließ Ardelle Grat los und trat einen Schritt zurück. „Wir stecken in Schwierigkeiten.“
„Das hast du gesagt.“ Er zuckte zusammen. „Es geht doch nicht schon wieder um das Haus, oder? Wir sind erst seit einem Monat dort.“
„Das Haus steht noch.“
„Das neue Sofa ist verbrannt“, sagte Tylie und fuchtelte mit den Armen herum. „Und Phel ist verschwunden. Der andere Drache hat ihn verjagt.“
„Der andere Drache?“ Grat stützte sich auf seinen Schreibtisch.
„Der jahrtausendealte Verbrecher, der aus seinem magischen Gefängnis in dieser Höhle entkommen ist.“ Ardelle war nur für die Nachwehen der Mission gekommen, die Grat mit Captain Kaika, General Ort und König Angulus unternommen hatte, aber sie hatte den großen goldenen Drachen in den Sonnenaufgang fliegen sehen und die Macht seiner Aura schon von weitem gespürt.
„Angulus hat befürchtet, dass er ein Problem werden könnte.“ Grat seufzte. „Ich hätte nicht gedacht, dass er meine Hütte im Wald aufsuchen würde. Odermeine brandneue, in Raten bezahlte Couch.“
Ardelle drückte seinen Arm, um ihm mitzuteilen, dass sie den Verlust der Couch noch stärker als er empfand. Sie hatte sich sehr gefreut, als er zugestimmt hatte, mit ihr und seiner Mutter neue Möbel zu kaufen und sein grauenhaftes kariertes Sofa zu ersetzen.
„Ich mache mir Sorgen um ihn“, sagte Tylie, gestikulierte und ging auf und ab. Irgendwie hatten sich ihre Sandalen an der Tür gelöst, und sie lief barfuß über den polierten Holzboden. „Er ist ein Silberling. Und ein Gelehrter! Er ist kein Gegner für einen goldenen Drachen.“
„Phelistoth ist ein Gelehrter?“ Grats Augenbrauen hoben sich.
„Das hat er uns erzählt.“ Ardelle war nicht zu Hause gewesen, als sich der Vorfall ereignet hatte, aber Tylie hatte sie über eine Gedankenverbindung an den Ereignissen teilhaben lassen. Sie überlegte, ob sie Tylie bitten sollte, dasselbe mit Grat zu tun, aber er könnte etwas dagegen haben, mit Tolemeks kleiner Schwester telepathisch zu kommunizieren. Ardelle berührte seinen Arm und erzählte den Vorfall selbst.
„Nun, das wird die Nachbarn beunruhigen.“ Grat warf einen Blick auf Tylie, die um seinen Schreibtisch herumgegangen war und aus dem Fenster starrte, während sie an ihrer Unterlippe kaute. „Ich habe gehört, dass der goldene Drache in den Eisklingen herumfliegt und die Berggemeinden terrorisiert“, fuhr er fort. „Scheinbar wurde Vieh von ihm gerissen. Es gab auch unter den Menschen Tote. Ich bin mir sicher, dass der König darüber nachdenkt, wie er gegen den Drachen vorgehen kann, zumal …“ Er schaute Tylie wieder an und beließ es bei einem Schulterzucken.
Ardelle wusste, es hatte keinen Sinn, Geheimnisse vor Tylie unausgesprochen zu lassen. Tylie spürte, was andere dachten. Ardelle hatte ihr beigebracht, ihren Verstand abzuschotten, damit sie nicht von den Gedanken und Gefühlen ihrer Mitmenschen überflutet wurde, aber da sie so viel Zeit damit verbrachte, mit Phelistoth herumzufliegen, war ihre Ausbildung noch nicht weit gekommen. Tylie wusste bereits, dass der König, wenn auch unabsichtlich, für die Befreiung des goldenen verantwortlich war. Phelistoth wusste es auch. Ardelle hoffte, dass der silberne Drache nicht auf Rache sinnen würde, besonders jetzt, wo der goldene Drache es auf ihn abgesehen hatte.
Ardelle wurde klar, dass sie nicht wusste, warum der goldene Drache hinter Phelistoth her war. „Tylie? Weißt du, warum der Golddrache hinter Phelistoth her war?“
„Morishtomaric“, sagte Tylie und drehte sich vom Fenster weg. „Das ist sein Name.“ Sie blickte stirnrunzelnd auf ihre nackten Füße und hob dann einen Marienkäfer auf, der seinen Weg ins Gebäude gefunden hatte. „Wusstet ihr, dass Marienkäfer einen sehr konzentrierten Verstand haben? Sie sind immer auf der Jagd nach Insekteneiern und sie denken nie an etwas anderes. Hast du irgendwelche Insekteneier hier, General Grat?“
„Tut mir leid, Private Domez hat hier gestern Abend geputzt. Insekteneier sind leider alle.“
„Hat Morishtomaric dir seinen Namen gesagt, Tylie?“ Ardelle hatte den Namen auf der Gedenktafel in der Pyramide und bei Nachforschungen gelesen, aber sie bezweifelte, dass Tylie den Namen aus ihren Gedanken aufgeschnappt hatte. Im Gegensatz zu Grat wusste Ardelle, wie sie ihren Geist abschirmen konnte, sowohl zum Schutz vor schnüffelnden Telepathen als auch aus Höflichkeit gegenüber sensiblen Menschen wie Tylie, denen das ständige Hintergrundrauschen fremder Gedanken unangenehm war.
„Er hat es Phel erzählt.“ Tylie sah sich im Zimmer um und studierte die Ecken der Decke, während der Marienkäfer über ihre Hand spazierte. Sie öffnete das Fenster, steckte den Kopf hinaus und schaute vom zweiten Stock aus in beide Richtungen. „Du solltest hier draußen einen Garten haben, General Grat. Es gibt keinen guten Platz für Käfer.“
Ardelle hatte sich an Tylies Exzentrik und ihren jungen Verstand gewöhnt, zumindest ein bisschen, aber sie machte sich Sorgen, dass Grat sie als seltsam ansehen würde – und dass sie das spüren und verletzt sein würde.
„Vielleicht solltest du den Marienkäfer zurück zur Hütte mitnehmen“, sagte Grat. „Wenn die Bäume nicht von umherziehenden Drachen verbrannt wurden, sollten im Wald überall Insekteneier liegen.“
Tylie überlegte kurz und nickte dann. „Ja.“ Sie steckte den Marienkäfer in eine der losen Taschen ihres Kleides.
„Tylie“, sagte Ardelle. Zeit, es noch einmal zu versuchen. „Hat der Drache mit dir gesprochen?“
„Morishtomaric hat nach Phel gesucht. Er hat ihm gesagt, er solle sein … Assistent sein.“ Tylie breitete die Arme aus. „Das ist nicht der richtige Ausdruck. Sie haben in Drachensprache gesprochen, und ich verstehe nicht alle Wörter. Vielleicht Sklave? Diener?“
„Warte“, sagte Grat. „Verstehst du einige Wörter? In Drachensprache?“
„Ja. Phel spricht auf diese Weise mit mir. Es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe, ihn zu verstehen.“
„Er hat in der Sprache des Königs zu uns gesprochen.“ Grat rieb sich den Kopf. „Eindringlich.“
„Er bevorzugt seine eigene Sprache“, sagte Tylie. „Phel wollte dem anderen Drachen nicht dienen. Weil er sich geweigert hat, ist Morishtomaric gekommen, um ihn zu bestrafen und zu zwingen.“ Sie biss sich auf die Lippe und schaute wieder aus dem Fenster. „Ich kann ihn durch unsere Verbindung spüren und ich glaube, er ist in Schwierigkeiten. Er reagiert nicht auf mich.“ Sie schaute zurück zu ihnen, ihre braunen Augen waren feucht und flehend.
Ardelle wäre fast zu ihr hinübergegangen, um sie zu umarmen, aber bisher hatte Tylie den Körperkontakt mit allen außer Tolemek gescheut. Doch Tylies Bruder war noch auf der Mission des Königs unterwegs.
„Er hat nicht gesagt, was Phelistoth als Diener tun soll, oder?“, fragte Grat.
Tylie schüttelte den Kopf.
„Eine Kreatur zu finden, die ganz Iskandia in ein paar Stunden durchqueren kann, wird nicht einfach sein“, sagte Grat und nickte Ardelle zu. „Und herauszufinden, wie man diese Kreatur tötet oder zumindest dazu bringt, das Land zu verlassen, wird auch nicht einfach sein.“
Ardelle dachte, Tylie könnte etwas dagegen haben, einen Drachen zu töten, aber das Mädchen schob nur ihr Kinn vor und sagte: „Magie kann einen Drachen töten.“
„Aber ist unsere Magie dafür stark genug?“ Grat hob die Augenbrauen.
„Meine jedenfalls nicht“, sagte Tylie. „Jaxis auch nicht.“
In Ardelles Kopf ertönte ein leises „Hmpf“, aber selbst Jaxi war nicht so eingebildet zu denken, dass sie es mit einem Drachen aufnehmen könnte.
„Was ist mit der anderen Magierin, die auf der Seite der Cofah steht?“, fragte Grat. „Sie war vor ein paar Wochen beim Angriff der Cofah hier und wollte neue Herrscherin über Iskandia werden.“ Sein Kiefer verkrampfte sich, aber er holte tief Luft und fuhr fort: „Ist es möglich, dass sie einen Drachen besiegen kann, wenn wir uns mit ihr verbünden?“ An seinem Gesichtsausdruck und seiner Aura konnte Ardelle ablesen, dass es das Letzte war, was er tun wollte, aber er würde es tun, wenn es darum ging, sein Land zu schützen.
„Sie ist mächtiger als ich“, sagte Ardelle, „aber sie wäre trotzdem kein Gegner für einen Golddrachen. Oder einem silbernen oder bronzenen. Kein einzelner Mensch kann es mit einem Drachen aufnehmen. Es gibt alte Fabeln von Magiern, die mit List und Tücke Drachen besiegen, aber man fragt sich, wie oft das tatsächlich passiert ist.“
„Es braucht nur ein einziges Mal, um zum Stoff von Legenden zu werden.“
„Genau. Und zum Nacherzählen und Ausschmücken bis zur Übertreibung. Wie die Heldentaten von Piloten.“
Grats Augenbrauen flogen hoch. „Meine Heldentaten sind alle von felsenfesten Fakten untermauert.“
„Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass du im Alleingang eine ganze Armada von fliegenden Festungen des abscheulichen Cofah-Imperiums zu Fall gebracht hast.“
„Eine Armada? Wer hat so etwas gesagt?“
„Es stand in einem Artikel in einer Zeitschrift aus dem Bezirk Provalia. Ich habe ihn in der Bibliothek gesehen, als ich über Drachen recherchiert habe.“
„Ah, Provalia.“ Grat winkte abweisend mit der Hand. „Eine ländliche, beschauliche Region. Sie kennen wahrscheinlich nicht den Unterschied zwischen einer Armada und einer einzelnen schwebenden Festung. Duck ist in Provalia aufgewachsen, weißt du. Er hat erst lesen gelernt, als er zum Militär gekommen ist.“
„Ich dachte, das liegt daran, dass er von Wölfen aufgezogen wurde.“
„Ja. Ländliche Wölfe aus Provalia.“
„Im Gegensatz zu städtischen Wölfen?“
„General Grat?“, fragte Tylie – sie hatte die korrekten Anreden im Militär noch nicht ganz begriffen. „Wir müssen Phel helfen.“
Grat hob beschwichtigend eine Hand. „Ja, ich weiß. Tut mir leid. Ich habe deine Lehrerin in letzter Zeit nicht oft gesehen und es macht mir Spaß, mich mit ihr über frivole Themen zu unterhalten.“ Er lächelte Ardelle an.
Es machte ihr auch Spaß, mit ihm zu plaudern, aber Tylies besorgter Blick erinnerte sie daran, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür war.
„Ich habe auch Angst“, flüsterte Tylie.
„Um Phelistoth?“, fragte Ardelle.
„Ja. Und um mich. Morishtomaric wollte mich mit sich fortnehmen.“
„Was?“, fragte Grat. „Woher weißt du das?“
„Er hat gesagt, eine Empfängerin wäre nützlich. Und dass er mir zeigen würde, wie ich meine Kraft einsetzen kann. Er sagte, es wäre eine Ehre für mich, aber ich hatte Angst vor ihm. Ich will bei Phel und Toli bleiben.“
Und bei mir, fügte Jaxi hinzu. Sie weiß es noch nicht, aber sie wächst mir ans Herz.
Ich wusste nicht, dass du so oft mit ihr sprichst.
Das tue ich nicht, aber was ich sage, ist klug und faszinierend.
Ardelle schnaubte innerlich. Sie wünschte sich, dass Tylie sich an Jaxi – und an sie – binden würde. Das Einzige, was sie in Iskandia hielt, war ihr Bruder. Es wäre bedauerlich, sie zu unterrichten, nur damit sie eines Tages nach Cofahre zurückgelockt wurde, um für den Kaiser zu arbeiten. Ardelle gefiel es auch nicht, dass dieser andere Drache Tylie haben wollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum eine solche Kreatur einen Menschen mit egal welchem Talent interessant finden sollte. Phelistoth war ein einzigartiger Fall, denn Tylie war die Einzige, mit der er, wenn auch unbewusst, kommuniziert hatte, während er krank in der Pyramide eingesperrt gewesen war. Was auch immer dieser Morishtomaric von ihr wollte, Ardelle bezweifelte, dass es etwas Gutes war.
„Also gut, meine Damen“, sagte Grat, schloss ein schweres Notizbuch auf seinem Schreibtisch und griff nach seiner Mütze und seiner Fliegerjacke. „Ich bin überzeugt, dass etwas getan werden muss. Wir werden sehen, ob der König Zeit hat, mit uns zu reden. Er muss erfahren, dass sich sein Drache so nah an der Stadt herumtollt.“
„Er hat nicht herumgetollt“, sagte Tylie streng.
Ardelle winkte Tylie, ihre Sandalen anzuziehen, und klopfte Grat auf den Arm, weil er sie geärgert hatte. Er nahm ihren Arm und hakte ihn bei sich unter, als sie hinausgingen.
„Wir sollten später herumtollen“, schlug Grat leise vor, während sie Tylie folgten.
„Ich wäre damit einverstanden. In letzter Zeit hatte ich nicht viel Zeit für ein bisschen Spaß.“
„Ich weiß. Trotz Angulus’ Versprechen, mir einen Assistenten für den Papierkram zur Seite zu stellen, war ich von morgens bis abends, wenn nicht sogar bis Mitternacht, beschäftigt.“ Er beugte sich zu ihr herunter, küsste ihre Schläfe und atmete den Duft ihres Shampoos ein.
Ardelle errötete und freute sich über die Aufmerksamkeit.
„Du hättest sein Angebot für ein Zimmer auf der Burg annehmen sollen“, fügte Grat hinzu. „Es ist nur den Hügel hinauf. Ich hätte in meiner Mittagspause vorbeikommen können. Zu Besuch.“
Der Gedanke, näher bei Grat zu sein, war verlockend. Als sie noch in seinem Haus im Militärfort gewohnt hatte, war er mittags nach Hause gekommen, um sie zu besuchen.
„Ich bin mir nicht sicher, ob es angemessen ist, dass Offiziere zur Mittagszeit im Schloss auftauchen, um ihre Geliebten zu besuchen“, sagte sie.
„Warum nicht? Kaika tut es.“
„Ich glaube, es ist etwas anderes, wenn der Geliebte der König ist.“
Draußen hatte der Regen aufgehört und die Luft war feucht. Grat ließ Ardelle los, damit er den Gruß der Offiziere und Soldaten erwidern konnte, die die belebte Straße zwischen dem Hauptquartier, den Verwaltungsgebäuden, dem Fuhrpark und dem Eingangstor entlanggingen. Tylie ließ sich zurückfallen, um neben Ardelle zu gehen, und wich schüchtern den neugierigen Blicken aus, die sich ihr zuwandten.
„Ich soll dich etwas von Phel fragen“, sagte Tylie, als sie sich dem Tor näherten.
„Oh?“ Ardelle legte den Kopf schief. Soweit sie wusste, hatte der Drache nicht angedeutet, dass sie für Tylie von Nutzen sein könnte. Er war nicht unhöflich, aber er war abweisend.
Und arrogant, sagte Jaxi.
Weniger als dieser neue Drache.
Da bin ich mir nicht so sicher. Alle Drachen denken, dass sie jedem und allem anderen auf dem Planeten überlegen sind.
Du bist in dieser Sache sehr überzeugt, wenn man bedenkt, dass es in deiner Zeit genauso wenig Drachen gab wie in meiner, stellte Ardelle fest.
Ich bin sehr belesen. Und nicht, wie Jaxi schnell hinzufügte, nur aus Liebesromanen. Glaub mir: Alle Drachen sind arrogant.
Aha, ich verstehe. Wenigstens hat Phelistoth keine von Grats Möbeln in Brand gesetzt.
Ein fragwürdiges Argument, da Bronze- und Silberdrachen kein Feuer speien können.
„Er sagte, dass du mir vielleicht helfen kannst, eine Seelenklinge zu finden“, sagte Tylie.
Ardelle blinzelte ein paar Mal. Sie erinnerte sich daran, dass Tolemek nach Iskandia gekommen war, um eine für seine Schwester zu finden. Sie selbst hatte nicht daran gedacht.
Weil Seelenklingen nichts für Schülerinnen sind, sagte Jaxi und klang dabei selbst ein wenig arrogant. Sie sind für erfahrene Magier, die sich als würdig erwiesen haben, einen mächtigen Gefährten zu haben. Sie sind ganz sicher nichts für Kinder.
Ich war gar nicht so viel älter als Tylie, als du und ich zusammenkamen.
Du hattest mehr als fünfzehn Jahre lang studiert. Und du hast das Leben von Hochinquisitor Valdon gerettet. Wenn du die richtigen Leute heilst, bekommst du ein Schwert. Das ist eine Regel.
Ardelle schnaubte, und Tylie sah sie an.
„Tut mir leid“, sagte Ardelle. „Ich bespreche das gerade mit Jaxi.“
„Sie findet, ich sollte keine Seelenklinge haben?“
„Das hat sie nicht gesagt.“ Nicht ganz. „Wir haben darüber gesprochen, wo sich andere befinden könnten.“
Du solltest das Mädchen nicht anlügen, wenn du willst, dass sie uns vertraut und bei uns bleibt.
Ich lüge nicht. Wir werden jetzt besprechen, wo es Seelenklingen geben könnte. Ein Dutzend von ihnen sollte in den Trümmern des Galmok-Berges begraben sein, zusammen mit den Überresten des Referatu-Reiches. Du hast nie erwähnt, ob du während meines dreihundertjährigen Schlafs mit einem deiner Geschwister geplaudert hast.
Das liegt daran, dass ich es nie getan habe. Die anderen Klingen sind alle kurz nach dem Tod ihrer Besitzer erloschen. Das passiert, wenn die Verbindung nicht ständig neu hergestellt und durch den Kontakt zwischen zwei magischen Wesen bekräftigt wird.
Ardelle hatte das nicht gewusst.
Kann eine schlafende Klinge geweckt werden? Sie konnte nicht glauben, dass eine Seele verloren gehen konnte, nur weil eine Seelenklinge eine Zeit lang nicht benutzt wurde.
Möglicherweise. Dreihundert Jahre sind eine lange Zeit. Es war nie vorgesehen, dass wir mit Unsterblichkeit ausgestattet werden. Nur die Chance, eine Zeit lang als Berater weiterzuleben.
Kasandral scheint schon seit ein paar Jahrtausenden zu leben und vor Magie zu strotzen, sagte Ardelle und dachte schaudernd an die Drachentöterklinge, die seit Jahrhunderten im Besitz von Oberst Therriks Familie war.
Kasandral ist ein Werkzeug, keine ehemalige reale Person.
Ardelle erinnerte sich an die Klinge in Cas’ Händen. Wie sie versucht hatte, sie zu töten. Wie sie Apex getötet hatte.
„Denkst du, ich sollte eine Seelenklinge haben?“, fragte Tylie und zupfte an dem Stoff ihres Kleides. Es war schwer, geduldig zu warten, während jemand anderes ein telepathisches Gespräch führte.
Ein Major hatte sich an Grats Seite gestellt und sprach mit ihm über etwas. Der Offizier schaute Tylie irritiert an.
Ich ziehe es in Betracht, antwortete Ardelle telepathisch. Auch wenn der König klargestellt hatte, dass Ardelle sich in der Stadt und im Militärfort frei bewegen durfte, hielt der durchschnittliche iskandische Bürger Magie für etwas Böses. Sie fuhr fort: Zu meiner Zeit wurden Seelenklingen nur an Magier vergeben, die sich entweder im Kampf oder auf ihrem Gebiet bewährt hatten. In meinem Fall im Heilen. Aber wir müssen bedenken, dass sich die Zeiten geändert haben. Es gibt kaum noch Magier.
Viel Glück dabei, eine Seelenklinge davon zu überzeugen, sich mit einer unerfahrenen Schülerin zu verbinden, warf Jaxi ein, wobei die Worte eindeutig nur für Ardelle bestimmt waren.
Wenn wir eine Seelenklinge finden könnten, die bereit ist, sich mit dir zu verbinden,fuhr Ardelle an Tylie gewandt fort, könnte die Klinge ein Mentor werden und dir bei deiner Ausbildung helfen.
Ich habe bereits Phel, der mich ausbildet, sagte Tylie, und ihre Stimme hatte einen selbstgefälligen Ton.
Tylie hatte Telepathie von Phelistoth gelernt, lange bevor Ardelle sie kennengelernt hatte. Empfängerinnen wie Tylie, Menschen mit extremer telepathischer Reichweite, waren selbst zu Ardelles Zeit selten gewesen. Ardelle hatte nur einmal eine Empfängerin getroffen, und die Frau hatte eine ähnlich angenehme Aura gehabt, die Menschen anlockte, fast wie eine Flamme Motten. Ardelle fragte sich, ob die Drachen das auch spürten und Phelistoth und jetzt auch Morishtomaric deshalb in ihrer Nähe bleiben wollten. Ardelle würde weitere Nachforschungen anstellen müssen. Leider war in den Aufzeichnungen der Iskandier nur wenig über Magie, Zauberei und Drachen zu finden. So vieles war im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, wenn nicht sogar absichtlich zerstört worden. Ardelle würde den Galmok-Berg nicht nur wegen der Jagd nach Seelenklingen gern wieder besuchen. Sie erinnerte sich an all die Bücher, die die Bergleute ausgegraben hatten. Hoffentlich waren sie aufbewahrt worden, nachdem Grat als Kommandant der Festung gegangen war.
Es gibt keinen Grund, warum du nicht zwei Mentoren haben kannst, Tylie. Oder sogar drei, sagte Ardelle. Als ich studierte, hatte ich für jedes Fach einen Lehrer. Es ist gut, mehrere Lehrer zu haben.
Tylie lächelte zustimmend. „Gut. Phelistoth sagte, eine Seelenklinge würde mir helfen, mich zu schützen, wenn er nicht da ist.“
„Das ist wahr.“
Ardelle erwähnte nicht den anderen Grund, warum eine Referatu-Seelenklinge für Tylie eine gute Idee war. Jedes Schwert, das sie im Galmok-Berg vergraben finden würden, hätte eine iskandische Seele in sich eingebettet. Eine solche Seelenklinge würde sich nicht auf die Seite des Cofah-Imperiums stellen.
Ardelle hatte nach einer Möglichkeit gesucht, Tylie an Iskandia zu binden. Nun könnte sie eine gefunden haben.
Tolemek ließ seinen Rucksack neben der Tür seines Labors fallen und atmete die vertraute, nach Chemikalien riechende Luft ein, die sich mit den schwachen, erdigen Gerüchen der Terrarien vermischte. Er zündete ein paar Laternen an, denn die Dämmerung hatte eingesetzt, und eilte an Schränken und Arbeitstischen vorbei, um nach seinen Tieren zu sehen. Der Laborassistent, den er sich mit dem Biologen auf der anderen Seite des Flurs teilte, hatte versprochen, sie zu füttern und zu tränken. Tolemek war eigentlich auf dem Weg zur Waldhütte von Zirkander, um Tylie zu sehen und Ardelle dafür zu danken, dass sie auf sie aufpasste. Aber er hatte einen Abstecher zum Labor gemacht, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war, und um die mitgenommene Ausrüstung zurückzubringen.
Bevor er die Käfige und Terrarien erreichte, hielt er inne, weil ihn ein ungutes Gefühl überkam. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Jemand war in seinem Labor gewesen, während er weg gewesen war. Er sah sich um und versuchte sich zu erinnern, wie er alles zurückgelassen hatte. Er konnte nicht genau sagen, was fehlte, aber eine unterbewusste Erinnerung sagte ihm, dass etwas anders war.
„Der Laborassistent“, murmelte er. Wer hätte es sonst sein können?
Langsam ging er zu den Reptilien und Spinnen und spähte in alle Nischen und Ecken. Er wurde das Gefühl nicht los, dass jemand hier gewesen war, der nicht hier sein durfte.
Eine Schranktür stand einen Spalt breit offen. Das war merkwürdig. Nach seinen Jahren an Bord von Luftschiffen hatte er die Angewohnheit, Türen und Schubladen sicher zu schließen. Hätte der Laborassistent in einem Chemikalienschrank herumgeschnüffelt? Er bezweifelte es. Solche Chemikalien gab es in allen Laboren des Gebäudes. Außerdem ließen ihn die Leute hier in Ruhe, und sie interessierten sich nicht besonders für seine Arbeit. Als Pirat hatte er den Spitznamen Todbringer getragen, was die meisten seiner Mitmenschen fernhielt.
Tolemek machte einen Umweg, um in den Schrank zu schauen. Es schien nichts zu fehlen und die Gläser waren nicht umgestoßen worden.
„Tolemek?“, kam eine leise Stimme von der Tür.
Er wirbelte herum und stieß dabei fast ein Spinnenterrarium zu Boden. Er hatte nicht gehört, dass jemand sich genähert hatte, aber er erkannte die Stimme und alle Gedanken an Eindringlinge verschwanden aus seinem Kopf.
„Cas!“
Er war nur eine Woche lang weg gewesen, um dem Team des Königs dabei zu helfen, die geheime Waffenmanufaktur an einen neuen Standort zu verlegen, aber sein Herz schlug vor Freude, als er sie in der Tür auftauchen sah. Fast hätte er über seine Reaktion gelacht. Er hatte versucht, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen: dass ihre Distanziertheit in letzter Zeit bedeutete, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte.
„Ich bin gerade zurückgekommen.“ Tolemek hob einen Arm und bot ihr eine Umarmung an, obwohl er befürchtete, dass sie sie nicht annehmen würde. Neuerdings mied sie Umarmungen und jeden Ausdruck von Mitgefühl oder Zärtlichkeit. Seit Apex’ Tod erwiderte sie keine seiner Gesten der Zuneigung mehr.
Zu seiner Überraschung rannte Cas durch das Labor, breitete ihre Arme aus und umarmte ihn. Sie drückte ihn überraschend stark für ihre schlanken Arme. Das war mehr als eine Umarmung aus Zuneigung. Etwas musste passiert sein. Etwas Schlimmes.
„Was ist los?“ Die Sorge hinderte ihn nicht daran, die Umarmung zu erwidern. Er zog sie dicht an sich heran und senkte sein Gesicht in das weiche, kurze Haar auf ihrem Scheitel. Seine eigenen langen Haarzöpfe fielen über ihr Gesicht und schufen einen Vorhang der Privatsphäre, den sie aber nicht brauchten. So spät am Tag brannten in den anderen Laboren nur noch wenige Laternen. Trotzdem konnte er mit ihr nicht abgeschieden genug sein.
„Die Cofah wollen dich tot sehen“, sagte Cas mit gedämpfter Stimme und presste ihr Gesicht an seine Brust.
„Das ist nichts Neues.“ Tolemek wartete auf eine weitere Erklärung.
„Ich bin zu meinem Vater gegangen.“
Tolemek nahm einen tiefen Atemzug. Das war auch keine Überraschung. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sie gehen wollte, aber sie hatte ein paar beiläufige Bemerkungen darüber gemacht, dass sie genauso gut für ihren Vater arbeiten könnte, nachdem sie ihren Kameraden kaltblütig getötet hatte. Er hatte versucht, ihr ihre Schuldgefühle auszureden und Verständnis für ihre Selbstvorwürfe aufzubringen, aber nichts davon wirkte. Er hatte gewusst, dass sie als Auftragsmörderin an der Seite ihres Vaters nicht glücklich sein würde, aber er hatte es für sich behalten. Er war davon ausgegangen, dass sie ohnehin nur redete und nicht ernsthaft zu ihrem Vater gehen würde.
„Er hatte ein Jobangebot auf seinem Schreibtisch“, sagte Cas und neigte ihren Kopf zurück, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Von jemandem, der befugt ist, im Namen deines Kaisers zu unterschreiben.“
„Er ist nicht mein Kaiser. Das ist er schon lange nicht mehr.“ Das hatte er kürzlich König Angulus versprochen.
„Das ist gut, denn er will dich tot sehen. Er bietet meinem Vater viel Geld dafür, dass er dich tötet.“
Tolemek schaute zu der Schranktür, die immer noch angelehnt war. War es möglich, dass Ahnsung derjenige war, der hier herumgeschnüffelt hatte? Seine Schulterblätter kribbelten bei der Vorstellung, dass jemand mit Cas’ Scharfschützenfähigkeiten – und einer Reihe anderer Talente – hinter ihm her war. „Und er hat den Auftrag angenommen?“
„Das weiß ich nicht mit Sicherheit, aber ich weiß …“ Sie biss sich auf die Lippe. Normalerweise zögerte sie nie, zu sagen, was sie dachte. „Er mag dich nicht. Wegen mir. Ich weiß, dass er noch nie mit dir gesprochen hat, aber das kam in einem Gespräch mit General Zirkander heraus.“
„Will dein Vater, dass du einen anderen Mann wählst?“
„Wahrscheinlich nicht, aber er hat nie Attentatsaufträge für einen Freund von mir angenommen.“
Cas hatte nie viel über ehemalige Freunde gesprochen, und er hatte den Eindruck, dass es nicht viele gewesen waren. Er wollte jetzt nicht zu dem Thema abschweifen, also sagte er nur: „Vielleicht hatten sie einen besseren Ruf als ich.“
„Nicht wirklich. Höchstens bessere Frisuren.“ Sie befreite einen Arm und schob ein paar verfilzte Zöpfe hinter seine Schulter.
Dass sie ihn neckte, war in letzter Zeit so selten geworden, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Zudem machte ihm ihre Berührung bewusst, wie nah sie sich waren. Necken war nicht das Einzige, was sie seit Apex’ Tod nicht mehr oft tat. Hatte die Nachricht, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war, Leidenschaft in ihr entfacht? Das war wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt, um sich das zu fragen, aber er hob eine Hand und legte sie an ihr Gesicht.
„Du hast gesagt, dass du meine Haare magst, als wir das letzte Mal zusammen in der Horizontalen waren.“ Er strich mit seinem Daumen über ihre Wange. Ihr Haar war leicht feucht, und sie roch gut, nach Blumen und Frühlingsregen. Er dachte an die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten – viel zu wenig Zeit.
„Ich habe gesagt, es kitzelt“, sagte Cas trocken.
„Und dass es dir gefällt.“ Er senkte seinen Blick auf ihre Brust und erinnerte sie daran, wo es gekitzelt hatte.
Eine verlockende Röte erwärmte ihre Wangen. Die Versuchung, sie zu küssen, schwoll in ihm an. Er beugte sich hinab und sein Blick blieb an ihren Lippen hängen.
Cas wich zurück und ließ ihn los. „Wir sollten diesen Auftrag ernstnehmen.“
„Tun wir das nicht?“ Widerwillig ließ er seine Arme sinken, um sie loszulassen.
„Mein Vater ist ein gefährlicher Mann.“ Sie drehte sich zur Seite und blickte stirnrunzelnd auf ein dunkles Fenster. „Er hat nicht viele Aufträge unerfüllt gelassen. Ich bin gekommen, um dir das zu sagen – Tolemek, vielleicht solltest du gehen.“
„Gehen?“
„Verlasse die Stadt. Wenn jemand anderes hinter dir her wäre, würde ich dir helfen, den Bastard zur Strecke zu bringen, aber …“ Cas drehte sich wieder zu ihm um, und ein selten hilfloser Ausdruck erweichte ihre Augen. „Wie soll ich das tun, wenn der Bastard mein eigener Vater ist?“