Die Königs-Chroniken - Ein Reif von Silber und Gold - Stephan M. Rother - E-Book

Die Königs-Chroniken - Ein Reif von Silber und Gold E-Book

Stephan M. Rother

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Beschreibung

Die letzten Tage der der Welt … Die Raunacht hat sich über das Kaiserreich der Esche gebreitet und droht, alles Leben auszulöschen. Das Getreide vergeht auf den Feldern und Bestien aus grauer Vorzeit suchen die schutzlosen Dörfer heim. Nun ist es an Sölva, Erbin des Stammesführers Morwa, die Völker von Ord durch die Dunkelheit zu führen – doch viele zögern, den Befehlen einer Frau zu folgen, und der mächtige Jarl von Thal erhebt schon bald selbst Anspruch auf die Krone … Während der Norden kurz vor einem neuen Krieg steht, wütet in den südlicheren Provinzen das Feuer der Rebellion und so bleibt die heilige Esche der Rabenstadt in den Händen der Südländerin Leyken zurück. Die Töchter des Nordens und des Südens haben nicht mehr viel Zeit, um das Kaiserreich vor seinem endgültigen Untergang zu bewahren … Das fulminante Finale der »Königschroniken« – für alle Fans von »Game of Thrones« und der Bestseller von Patrick Rothfuss.

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Seitenzahl: 492

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Die Raunacht hat sich über das Kaiserreich der Esche gebreitet und droht, alles Leben auszulöschen. Das Getreide vergeht auf den Feldern und Bestien aus grauer Vorzeit suchen die schutzlosen Dörfer heim. Nun ist es an Sölva, Erbin des Stammesführers Morwa, die Völker von Ord durch die Dunkelheit zu führen – doch viele zögern, den Befehlen einer Frau zu folgen, und der mächtige Jarl von Thal erhebt schon bald selbst Anspruch auf die Krone … Während der Norden kurz vor einem neuen Krieg steht, wütet in den südlicheren Provinzen das Feuer der Rebellion und so bleibt die heilige Esche der Rabenstadt in den Händen der Südländerin Leyken zurück. Die Töchter des Nordens und des Südens haben nicht mehr viel Zeit, um das Kaiserreich vor seinem endgültigen Untergang zu bewahren …

Über den Autor:

Stephan M. Rother wurde 1968 im niedersächsischen Wittingen geboren, ist studierter Historiker und war fünfzehn Jahre lang als Kabarettist auf der Bühne unterwegs. Seit dem Jahr 2000 veröffentlicht er u. a. unter seinem Pseudonym Benjamin Monferat erfolgreich Romane für Erwachsene und Jugendliche. Der Autor lebt in einem verwinkelten Haus mit vielen Büchern und Katzen am Rande der Lüneburger Heide.

Stephan M. Rother veröffentlicht bei dotbooks:»Im dunklen Holz«»Sturmwelle«»Die letzte Offenbarung«»Das Babylon-Virus«

»Die Königschroniken: Ein Reif von Eisen – Band 1«

»Die Königschroniken: Ein Reif von Bronze – Band 2«

»Die Königschroniken: Ein Reif von Silber und Gold – Band 3«

Die Website des Autors: magister-rother.de/

Der Autor im Internet: facebook.com/stephan.m.rother/

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eBook-Neuausgabe Februar 2025

Copyright © der Originalausgabe 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Juan, Mark, Dmitro Sinyatinsky

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-520-7

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Stephan M. Rother

Die Königschroniken: Ein Reif von Silber und Gold

Roman

dotbooks.

WIDMUNG

Für Tante Ilse

Ilse Meyer, geb. Rother (1940–2018)

Für Max,

den unsichtbaren Kater

MOTTO

Our revels now are ended. These our actors,

As I foretold you, were all spirits and

Are melted into air, into thin air:

And, like the baseless fabric of this vision,

The cloud-capp’d towers, the gorgeous palaces,

The solemn temples, the great globe itself,

Ye all which it inherit, shall dissolve

And, like this insubstantial pageant faded,

Leave not a rack behind. We are such stuff

As dreams are made on, and our little life

Is rounded with a sleep.

Die Spiele sind vorüber. Uns’re Spieler,

wie ich euch sagte, waren Geister, sind

zerronnen nun in Luft, in dünne Luft:

Wie dieses Bildes Scheingestalt so werden

die Türme, die an Wolken stoßen, Schlösser

und hehren Tempel, selbst das Weltenrund,

ja, was es auch bevölkert, einst vergehen,

und, wie dies leere Schauspiel nun verblasste,

kein Lüftlein hinterlassen. Wir sind Stoff

zum Träume Spinnen, unser kleines Leben

vollendet sich im Schlaf.

William Shakespeare: The Tempest

PROLOG

DAS KAISERREICH DER ESCHE:DIE RABENSTADT

Der Tag war angebrochen.

Gesenkten Hauptes schritten die Frauen durch die Flure ihres Hauses im Hohen Garten der Rabenstadt, ihre Körper verhüllt von schmucklosen mitternachtsblauen Gewändern. Ihr Haar bedeckten Schleier von derselben Farbe, tief in die Stirn gezogen, dass die Gesichter im Schatten lagen.

Ein Summen lag in der Luft, ein Singen, das im Heim der Frauen widerhallte. Doch nicht von ihren Lippen ertönte der Gesang. Da war etwas anderes, etwas Größeres, etwas, das sich erwartungsvoll zu regen schien. Denn der Zauber hatte bereits begonnen.

Die Wände warfen ein Echo zurück, und dieses Echo schien von einer weit gewaltigeren Architektur zu sprechen als von dem freundlichen, niedrigen weißen Haus, das die Frauen bewohnten. Das aber nahmen sie nicht wahr, als sie dem kreisrunden Raum im Zentrum ihrer Behausung entgegenstrebten.

Eine um die andere traten sie ein, ein knappes Dutzend an der Zahl. In fließenden Bewegungen verneigten sie sich in Richtung der zwölf Winde der Welt und nahmen ihre Plätze ein. Einzig die Richtung des Südwinds blieb ausgespart, zur Türöffnung gerichtet. Als wäre da noch eine, die sie erwarteten, um ihre Zahl zu vervollständigen.

Wie zum Reigentanz hatten sie sich um eine tönerne Schale am Boden versammelt, die die Mitte des Raumes einnahm. Wasser war in dem Behältnis zu erkennen, eine besondere Art von Wasser allerdings, das einen silbrigen Schimmer aufwies: Krysios, Morgentau, den eine von ihnen beim ersten Licht der Dämmerung von den Blättern gesammelt hatte, hoch oben in den Wipfeln der Heiligen Esche.

Die Frauen warteten. Zeit verstrich, in der nichts Sichtbares geschah. Dann fassten sie einander stumm an den Händen, ihre Lider schlossen sich, als ihre Blicke sich nach innen richteten. Denn das ist eines der großen Geheimnisse: Dass jene Dinge, die sich im Draußen ereignen, im Großen Ganzen, sich im Drinnen, im Kleinen und Winzigsten, unendliche Male wiederholen für denjenigen, der die Gabe besitzt.

Und jene Frauen besaßen die Gabe. Ihre Welt schwankte. Ein Geringes nur, und sie würde stürzen. Das aber hatte keine Bedeutung für sie. Sie sahen.

Da war die Welt, in einem Bild, wie es sich einem Betrachter aus sehr großer Höhe bieten musste, aus dem Meer der Sterne, das die Welt umgab mit seinen schwarzen Tiefen. Ein Bild, das nicht einheitlich war. Da war etwas wie ein Netz, in dem sich die Dinge ordneten, eine verwirrende Vielzahl von Lichtern, von Farben, von Eindrücken, und all dies schien einen Platz zu besitzen, der sich eindeutig bestimmen ließ. Und doch wollten sich die Dinge nur unter Mühen zusammensetzen zu einem Bild, das einen Sinn ergab: Manches schien sich mehrfach zu wiederholen, vieles wurde ausgelassen, anderes war nicht an jenem Ort zu finden, an dem man es hätte vermuten sollen. Vielleicht war an Reflexionen an der Oberfläche eines vielfach geschliffenen Edelsteins zu denken. Oder an den Blick aus den Facettenaugen eines Insekts. Hätte denn irgendein Insekt zu überleben vermocht in der Kälte des Alls, wo die Sonne selbst zu einem fernen Funkeln verblasste.

Der Blick der Frauen reichte weit. Und doch war er trügerisch, wo ihm die ordnende Hand fehlte. Die ordnende Hand ihrer Obersten, der ßavar, die die einzelnen Fäden des Bildes zu einem einzigen zu spinnen vermochte, bis zuletzt ein Abbild entstand, das jene von außen wahrnehmen konnten.

Die Frauen selbst indes – seit langer Zeit geübt in dieser Art des Zaubers –, diese Frauen sahen. Was sie sahen, hätte sie in Angst versetzen müssen, in Unruhe, doch ihren Körpern in dem kreisrunden Raum im Zentrum ihres weißen Hauses war keine Regung anzumerken.

Da war die Welt, da war das Kaiserreich. Seine Grenzen waren sichtbar durch eine dünne, fluoreszierende Linie gekennzeichnet, wo in der wirklichen Welt nur Wüste in Wüste, Berg in Berg, Sumpf in Sumpf überging. Es handelte sich dabei nicht um jene Grenzen, an denen die Macht des Reiches in dieser Epoche endete. Weit lagen die Zeiten der Alten Kaiser zurück, in denen die Streiter der Rabenstadt die Banner ihres Herrschers an so entfernte Orte getragen hatten: Im Norden hatten sie den Rand der bewohnten Welt erreicht, obgleich die Gebirgsstämme sich nur widerwillig der Macht der Reiches gefügt hatten. Im Süden hatte sich eine mächtige Kette von vorgeschobenen Posten kaiserlicher Macht bis weit in die von Hitze flirrende Wüste hineingezogen, wo das einheimische Volk noch nichts vernommen hatte von den Worten des Propheten und ohne Widerstand bereit gewesen war, sich der kaiserlichen Gewalt zu unterwerfen. Im Osten, in der Steppe, hatte man noch Tagesreisen jenseits der Tore von Borealis das Haupt vor der Macht der Rabenstadt gebeugt, und die Fürsten von Cherson und Shand hatten sich beeilt, in tiefem Respekt ihre Tribute zu entrichten. Und im Westen waren schwere kaiserliche Segler hinausgefahren in die Weiten des Meeres bis an die Gestade jener Lande, die nun vergessen waren.

Lang lagen diese Zeiten zurück. Die Welt hatte sich gewandelt seit jenen Tagen. Aufstände waren aufgeflackert in den Provinzen des Reiches, und mit harter Hand hatte eine lange Reihe von Kaisern, von kaiserlichen Seneschallen und Archonten diese Rebellionen niedergeschlagen. Heere goldgepanzerter Söldner hatten die Meeresenge des Schlundes überschritten, hatten Opsikion durchquert, um den Söhnen des Mardok ihre Grenzen aufzuzeigen, wenn sie es wieder einmal wagten, aus der wasserlosen Wüste heraus dem Kaiserreich die Stirn zu bieten. Reiterscharen hatten die Rabenbanner des Reiches bis in die Weiten der Steppe getragen jenseits von Borealis. Dort aber, in den Gebieten des Khans, wo so wenig auf lange Zeit zu wurzeln vermag, hatten die Ausläufer der Heiligen Esche niemals recht Halt finden können, sodass jene Lande auch nie zu Provinzen des Reiches geworden waren. Und die Aufgebote waren zurückgekehrt in die kaiserliche Rabenstadt, mit Trophäen überhäuft.

Wie weit lag all das nun zurück. Ein bloßer Schatten seiner einstigen Macht war das Reich in diesen Tagen, und doch spielte das nicht die entscheidende Rolle, wo alle Teile der Welt auf eine andere, für die Augen der Menschen unsichtbare Weise miteinander verbunden waren. Alle Reiche der Welt verband das Wurzelwerk der Heiligen Esche. Die Hohen Frauen in ihrer Behausung aus weißem Marmor aber waren in diesem Augenblick die Einzigen, die diese Wurzeln wahrzunehmen vermochten.

Diese Wurzeln waren zerrissen. Es ließ sich als eine Wunde beschreiben, eine grausame Verletzung, die die Bahnen durchtrennt hatte, die den Norden der bewohnten Welt nach wie vor an das Herz des Reiches gefesselt hatten, obwohl das Wort des kaiserlichen Seneschalls dort seit Generationen kein Gewicht mehr besaß. Der schreckliche Schlag konnte eben erst erfolgt sein, doch schon schien das angrenzende Geflecht befallen von dem fauligen Keim, der brandigen Entzündung, die von den bloßliegenden Enden des Wurzelwerks Besitz ergriffen hatte. Und dieser Keim pflanzte sich fort, durch haarfeine Fasern zunächst, in fadendünne Austriebe, schließlich in mächtigere Wurzelbündel hinein. Die Färbung der Wurzelstränge selbst veränderte sich. Zunächst, gewiss, war das Phänomen nur undeutlich zu beobachten, je weiter sich der Blick aber vom Norden entfernte, wurde es stärker und stärker, bis es kaum noch eine Rolle zu spielen schien, wo genau die Quelle der grauenhaften Verletzung lag. Denn alles ist mit allem verbunden, wenn die Säfte in jedem Zweig eines Gewächses pulsieren. Am Ende wird die Krankheit über jeden Teil der Pflanze Gewalt erlangen, und erschiene sie noch so gewaltig und stark und noch so alt und ehrwürdig. Alt wie die Welt, alt wie die Heilige Esche selbst.

Und da war der Baum, die Heilige Esche. Hunderte und Tausende von Manneslängen wuchs sie aus dem Boden des morastigen Landstrichs in die Höhe. Diesem Bild waren die Frauen nahe, es war ihnen vertraut, zeichnete sich deutlich ab in seinen Einzelheiten. Da war die kaiserliche Residenz, die Rabenstadt, die in schwindelerregender Höhe im Geäst des Baumes thronte. Inmitten des Blattwerks aber und alle übrigen Bauten überragend, erhob sich der Turm. Er war aus weiter Ferne sichtbar, über den Dunst der Sümpfe hinweg, die Esche und Rabenstadt schützend umgaben. Wer all das zum ersten Mal erblickte, verharrte für eine lange Zeit staunend, bevor er einen Fuß auf die befestigten Dämme setzte, die das sumpfige Gelände mit den konzentrischen, schwer bewehrten Mauerringen durchschnitten. Voll Staunen und Ehrfurcht glitt dann sein Blick über die scheinbar schwerelos in die Lüfte strebenden Treppen, Brücken und Galerien. Den oberen, in diesen Tagen bewohnten Abschnitten des Heiligen Baumes wanden sie sich entgegen, den Bauten marmornen Blüten gleich, bei denen sich niemals mit Sicherheit sagen ließ, ob sie im eigentlichen Sinne erbaut oder doch eher aus den Ästen der Heiligen Esche gewachsen waren. Immer wieder aber war es jener Turm, der den Blick des Betrachters anzog als eines der größten unter den Wundern der Rabenstadt.

Einer Lanzenspitze aus perlfarbenem Licht glich er, von einer überirdischen Schlankheit und Schönheit, die kostbar und zerbrechlich wirkte, zugleich aber ein Werk darstellte, das für alle Ewigkeit erschaffen schien. Die Kunstfertigkeit seiner Formen stellte alle Meisterschaft menschlicher Hände weit in den Schatten. Der Wille eines längst zu Staub zerfallenen Kaisers hatte diesen Turm aus dem Astwerk der Heiligen Esche wachsen lassen, einstmals, als das Kaiserreich auf dem Höhepunkt seiner Macht stand und das Wort des Kaisers den Menschen Gesetz war von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, vom Eis des Nordens bis in die unerträgliche Glut der Wüste.

Um jene Zeit hatten die Frauen in ihren dunklen Gewändern im Hohen Garten der Esche Wohnung genommen. In ihrem niedrigen Haus aus weißem Marmor, das keinen Schmuck und keinen Zierrat trug, der ihre Aufmerksamkeit hätte ablenken können vom Blick nach innen. Hier scharten sie sich seither um ihre Oberste, die ßavar, in Ruhe und Freundlichkeit. Im Haus der Hohen Frauen wurde keine Stimme laut, ausgenommen die Stimmen der Vögel, die den Hohen Garten bewohnten. Denn das Geschäft dieser Frauen war das Sehen. Die Flüssigkeit in ihrer Schale war auf eine dem menschlichen Verstand nicht zugängliche Weise eins mit dem Wasser im Becken um den kaiserlichen Thron im Leib der Esche. Heiliges Wasser, Blut vom Blute des Baumes, aus dem die ßavar ein Bild zu erschaffen vermochte, wenn sie die Wahrnehmungen aller ihrer Dienerinnen zusammenfasste. Ein Abbild der Welt, das einstmals klarer und präziser gewesen war, als Hunderte von Hohen Frauen, Hunderte von Priesterinnen das niedrige Haus bewohnt hatten. Noch immer aber waren sie es, die dem Seneschall der Heiligen Esche die Gestalt des Baumes, die Gestalt der Welt aufzeigten, wenn er in tiefer Verwirrung ihren Rat begehrte, den Rat der ßavar, der Kaiserin.

So und genau so hatte es sich über Jahrhunderte hinweg verhalten. Bis zu diesem Morgen, an dem etwas zerrissen war, weit im Norden der Welt, mehrere Wochen der Reise entfernt. Dort aber, wo alles mit allem verbunden ist, gelten eigene Gesetze. So lange schon war es nur unter äußersten Mühen noch gelungen, die fragile Balance aufrechtzuerhalten und den rohen Kräften Einhalt zu gebieten, die aus allen Richtungen am fadenscheinig gewordenen Gewebe des Tuches zerrten, mit dem sich die Herrschaft der Rabenstadt über ihr schrumpfendes Herrschaftsgebiet breitete. Und immer weiter schwanden die Kräfte jener, die im Namen des Kaisers über die Geschicke des Reiches walteten. Nicht eigene Kraft hielt das Reich der Esche länger aufrecht. Die Uneinigkeit seiner Gegner war es – unterstützt durch die Gaben silberner Münzen an diesen oder jenen halbwilden Kriegsherrn jenseits der Grenzen. Durch eine verborgene Drohung hier, das vage Versprechen eines Bündnisses dort. Winkelzüge, die sich aus dem Wissen der Hohen Frauen speisten und in Pläne mündeten. Pläne, denen andere Pläne zu widersprechen schienen, die in Wahrheit aber darauf gründeten, dass der eine Plan im eben rechten Moment den rechten Augen offenbar wurde, um auf diese Weise erst die wahren Absichten der Mächtigen der Rabenstadt ins Werk zu setzen. Sie waren geübt in den Mitteln der Verhandlungskunst, der Seneschall und seine Vertrauten aus den Reihen des Kronrats, und ihre Zungen vermochten wirkungsvollere Schläge auszuteilen als die schärfste Klinge.

Und dennoch hatten sie die Worte der Hohen Frauen vernommen. Sie wussten, wie sich das zerschlissene Gewebe der Welt unter den zerstörerischen Kräften spannte. Ein Riss in diesem Gewebe, und entstünde er auch am äußersten entlegenen Rand der Welt, musste zu einer tödlichen Gefahr werden für das Große Ganze.

Jahrhunderte hindurch hatte der perllichtern schimmernde Turm in den Himmel geragt, stolz und ungebeugt wie die Heilige Esche selbst. Bis zu diesem Tag, an dem sich jenes knappe Dutzend in dunkle Gewänder gehüllter Frauen versammelte und das Geschehen aus der Ferne verfolgte, mit den Augen von Fremden.

Der Umriss des Turmes schüttelte sich, bog sich wie im Atem eines tosenden Orkans. Sobald die Gewalt des Windes für Lidschläge nachließ, schien er für Augenblicke zu verharren, nur um im nächsten Moment den zuckenden, ruckenden, bockenden Tanz von neuem zu beginnen. Nein, es war kein Sturm, der seine Grundfesten erzittern ließ. Die Heilige Esche selbst schien erfüllt von tiefer Unruhe, glich einem verwundeten Tier, das von Flammen umzingelt einen Ausweg suchte, sich in blinder Panik hierhin und dorthin warf.

Und da waren Worte. Worte, geflüstert im Wind: So also beginnt es. So also beginnt der Krieg.

EINIGE WOCHEN SPÄTER

POL

DAS KAISERREICH DER ESCHE:DAS SÜDLICHE MEER

Ein Donnern klang in seinen Ohren. Brodelndes Dunkel füllte das Firmament. Über den Himmel im Osten zuckte Wetterleuchten, zu schwach und zu kurz, um die Konturen des Landstrichs preiszugeben.

Nach Westen hin war es heller. Ein fahler Mond war durch das düstere Gewölk gebrochen, geisterhaftes Licht glitzerte auf der schmutzig weißen Gischt der aufgewühlten See. Mit der Urgewalt der göttlichen Schöpfung selbst brandete sie gegen den steil aufragenden Felssockel, schoss an seinen schrundigen Flanken turmhoch empor. Bei jedem Schritt, den sich Pol nach oben kämpfte, wollte sie nach seinen Füßen packen wie ein uraltes, böses Wesen.

Der Junge lief geduckt. Seine Handflächen waren aufgeschürft, die Knie aufgeschlagen. Das Gestein war glitschig vom salzigen Atem des Meeres, die in den Stein gehauenen Stufen kaum noch als solche zu erkennen. Er stolperte, als ein Blitz vom Himmel fuhr und den mächtigen Bergstock in seinen Grundfesten erzittern ließ. Für die Dauer eines Lidschlags tauchten zur Linken wie zur Rechten Umrisse aus der Dunkelheit, Albtraumkreaturen, aus dem Leib des Felsens gehauen. Nur mit Mühe war ihre wahre Gestalt noch auszumachen nach all den Jahrhunderten, in denen Wind und salziges Wasser sich in ihre steinernen Leiber gefressen hatten wie die malmenden Kiefer einer urzeitlichen Bestie. Und dennoch war kein Zweifel möglich. Vor dem Jungen ragten die Skulpturen der beiden Greifen auf, die seit Menschengedenken die Einmündung jener Treppe bewachten, die emporführte aus den Sümpfen und den Elendsquartieren, steil aufwärts mit ihren neunhundertneunundneunzig ausgetretenen Stufen. Vor ihm erhob sich die Oberstadt von Carcosa.

Doch es war keine Stadt mehr. Er wollte nicht darüber nachdenken, seit wie langer Zeit dies keine Stadt mehr sein konnte. Häuser und Türme und Mauern, von menschlichen Händen errichtet, waren im Begriff, wieder zu Teilen des Felsens zu werden. Die gezackte, gesplitterte Silhouette zur Rechten mochte der Mondturm gewesen sein, wo die Gasse ins Viertel der Gerber abzweigte. Eine Schutthalde zur Linken bezeichnete die Stelle, an der sich schmucke Bürgerhäuser erhoben hatten. Unversehrt war einzig die breite Straße selbst, die Straße des Sieges, auf der in fernen Tagen die stolzen Streiter Carcosas in ihrer Heimatstadt Einzug gehalten hatten, vom Hohen Rat mit einem festlichen Triumph geehrt samt Hörnerschall und Fahnenpracht. Über dieses Pflaster waren sie dem Platz der Götter entgegengeritten, Arthos Gil und so viele vor ihm, die findigen Strategen und mutigen Anführer von Carcosas Streitmacht in der langen Geschichte der Stadt, mit Schätzen und Ehre beladen, das Banner des Greifen stolz in die Höhe gereckt.

All das war Vergangenheit. Formlose Ruinen, wo stolze Handelshäuser die Route gesäumt hatten. Staub wirbelte auf, als Pol die freie Fläche erreichte, die einmal der Platz der Götter gewesen war. In diesen Tagen hatte sie sich in den einsamsten Ort der Welt verwandelt. Für Momente verharrte der Junge. Eine zerklüftete Steinformation strebte jenseits der Freifläche in den gewittrigen Himmel. Nur unter Mühen gelang es ihm, den Anblick mit dem Bild in seiner Erinnerung übereinzubringen, mit den mächtigen Bollwerken der Zwingfeste des Hohen Rates, die seine Heimatstadt überragt hatte.

Erneut fand er sich auf einer aufwärts führenden Straße wieder, und erneut war einzig dieser Weg inmitten der Verwüstungen von Trümmern frei. Als hätte all dies, die Kulisse des Verfalls und der Vernichtung, nur aus einem einzigen Grund noch in der Wirklichkeit verharrt, eben noch kenntlich: um seine Ankunft zu erwarten.

Das Geräusch der Brandung war sein Begleiter, als er durch die Tore der Festung trat. Das Donnern lag weiterhin in der Luft, und es schien sich zu verstärken. Wie ein einsames Tier heulte der Wind in den Fensterhöhlen, während Pol zwischen den Trümmern höher und höher stieg. Zugleich aber, auf einer tieferen Ebene der Wirklichkeit, war da Stille. Ein Schweigen, das über die Stille hinausging, die entstand, wenn für Augenblicke weder Mensch noch Tier einen Laut von sich gab. Es war eine Stille, die von einem Ort Besitz ergreift, an dem seit langer, langer Zeit nichts Lebendes und Atmendes mehr verweilt hat. Und sie war gegenwärtig mit jedem einzelnen Schritt.

Aus irgendeinem Grund wusste Pol, welchen Weg er einschlagen musste. Welche Route durch verfallene Korridore, über bröckelnde Brüstungen hinweg ihn zu den Pforten des Saales führen würde, in dem sich einst der Hohe Rat seiner Vaterstadt versammelt hatte, um die Geschicke Carcosas zu lenken. Vor langer, langer Zeit.

Die Halle besaß kein Dach mehr, wie er feststellte. Schutt bedeckte den Boden. Hier wuchsen Überreste eines Säulengangs aus den Trümmern hervor, dort der Ansatz eines Gewölbes. Das Podest mit dem marmornen Thronsitz erhob sich am anderen Ende des Saales, halb im Schatten. Einzig dieser Thronsitz schien die Jahrhunderte unbeschadet überstanden zu haben, aus einem einzigen, gewaltigen Block schneeweißen Marmors geschlagen. Den Rücken- und Armlehnen hatten kundige Steinmetzen das Erscheinungsbild von Haupt und Klauen eines Greifen verliehen. Von hier aus hatte der Domestikos der Freien Stadt Carcosa über die Zusammenkünfte seines Rates gewacht.

Ein glitzernder Reif ruhte auf dem Thronsitz. Ein Reif von Silber und Gold.

Seitlich des Sitzes stand eine Gestalt, die altersfleckigen Finger leicht auf die Lehne gelegt, die Gestalt eines Mannes mit dem breitkrempigen, spitz zulaufenden Hut eines Wissenden auf dem Scheitel, einen zerschlissenen Mantel um die Schultern gebreitet.

Unverwandt blickte Fra Théus dem Jungen entgegen. Du kommst spät.

Die Worte waren nicht eigentlich zu hören. Hatte der greise Prediger überhaupt die Lippen bewegt? Der Satz schien unmittelbar in Pols Kopf widerzuhallen, und vielleicht war es eben das, was die Erkenntnis im Geist des Jungen auslöste. Ich bin überhaupt nicht hier. Der Gedanke, die Erkenntnis, dass dieser Gedanke die Wahrheit war: Pol war nicht hier. Und mit einem Mal war da etwas; etwas wie eine große Dunkelheit, die sein Gesichtsfeld zu verfinstern begann. Fra Théus’ Gestalt schien zurückzuweichen, mit ihr die Ruinen des Saals, das gesamte Bild, immer schneller, in die Schwärze hinein.

Es ... Pol setzte an zu sprechen, brach ab, als ihn ein plötzlicher Schwindel überkam. Hektisch versuchte er es von neuem. Es tut ... Es tut mir ... Doch im selben Moment war Théus verschwunden, war das Bild verschwunden, war alles verschwunden.

»Wasser!« Eine Stimme. Sie knirschte wie Sand.

Pol zuckte hoch. Der Herzschlag jagte in seiner Kehle. Sein Nacken, seine Schultern schmerzten von der unbequemen Haltung, in der er eingenickt sein musste, und durch seinen Schädel dröhnte das Echo des Traums: Es tut mir leid ... tut mir leid ... leid ... leid ...

Die Mittagssonne brannte auf seinen ungeschützten Kopf. Seine Lippen waren aufgesprungen. Wasser! Doch nicht er selbst hatte mit rauer Stimme das Wort hervorgestoßen.

Pol hatte nur den Rücken seines Gefährten Teriq im Blick, konnte beobachten, wie die Schultern des jungen Korsaren sich hoben, wieder niedersanken, die bronzefarbene Haut verbrannt von der Sonne. Pol glaubte, sehen zu können, wie sie im Fieber glühte.

»Wasser!«

»Wenn er nur den Mund halten würde!« Ein Knurren zur Rechten des Jungen, in einem gedämpfteren Tonfall als Teriqs raues Krächzen, die Worte allerdings kaum deutlicher. Pol war noch immer dabei, aus seinem Traum zurück in die Wirklichkeit zu finden, brauchte einen Moment, sich an den Namen des Mannes zu erinnern, der tagelang an seiner Seite geritten war: Aspar. Aspar war ein Bär von einem Mann. Mit dem Unterschied, dass Bären nicht die Bart- und Haartracht der Barbaren aus dem Osten trugen, beides kunstvoll miteinander verflochten. Oder doch so kunstvoll, wie das möglich war für einen Mann, der nicht in der Lage war, seine Hände und Arme weiter als bis auf Schulterhöhe zu heben.

Wie sie alle, Pol eingeschlossen. Schwere Eisen fesselten seine Arme an die Ruderpinne. Andere, noch mächtigere Fesseln schnitten in seine Fußknöchel und hielten ihn auf der Ruderbank nieder. Eine Kette aus fauststarken verrosteten Gliedern war durch diese Fesseln gezogen und verband die Männer einen mit dem anderen: Pols Leibgarde. Das Gefolge des Arthos Gil, das auf ihn hatte achtgeben sollen.

»Wasser«, brummte Aspar. »Ist ja nicht so, als ob nicht genug davon da wär.«

Fast unmerklich schüttelte Pol den Kopf. Er versuchte noch immer, seine Gedanken zu ordnen. Sein Blick ging auf die Dünung des Südlichen Meeres, das gleißend in der Mittagssonne lag. Die Serenissima hatte ihr mächtiges Rahsegel gesetzt und machte gute Fahrt. Für den Augenblick mussten sie sich nicht in die Ruder legen, anders als an den vorangegangenen beiden Tagen. Doch es waren noch Stunden, bis die Dämmerung hereinbrechen und man die kargen Rationen Trinkwasser an die Ruderer ausgeben würde. Sie alle plagte der Durst.

Voll Sorge betrachtete Pol den jungen Mann. Ob Teriq den Abend erleben würde, stand in den Sternen.

»Wasser!«

Im selben Moment ein bösartiger Laut, ein Pfeifen und Zischen, ein widerwärtiges Klatschen, als die mit Knotenschnüren versehene Lederschnur der Peitsche wenige Zoll vor Pols Gesicht auf den Rücken des Korsaren niedersauste. Teriqs dunkelhäutiger Leib bäumte sich auf, ein erstickter Schrei entrang sich ihm, er wurde zurückgerissen, als die Ketten sich spannten. Schwer sackte Pols Gefährte wieder auf die Ruderbank nieder.

»Das Wasser wartet ohnehin auf euch.« Der Aufseher stützte die Peitsche in die Hüfte wie einen Marschallsstab. Eine wulstig verschorfte Narbe entstellte sein Gesicht, als hätte er selbst vor nicht allzu langer Zeit mit dem Instrument der Züchtigung Bekanntschaft gemacht. Seine Stimme war hart und schnarrend. Unangenehm. »Wer nicht mehr rudern kann, geht über Bord.« Einen Augenblick Schweigen. Wie um noch zusätzlich hervorzuheben, dass kein sobald er gestorben ist am Ende des Satzes folgte.

Denn so lange würde der Mann nicht warten. Mit Grauen im Herzen hatten die Gefährten es beobachten können, vor wenigen Tagen erst. Auf den Ruderbänken an der gegenüberliegenden Seite der Galeere war Unruhe entstanden. Die Gehilfen des Aufsehers hatten eine der Gestalten dort losgekettet, einen ausgezehrten Mann, der wie ein Greis gewirkt hatte, ganz unübersehbar aber noch am Leben gewesen war. In Todesangst hatte der Mann geschrien, sich bis zum Letzten gewehrt, hatte sich an seinen Bewachern festgekrallt, ohne dass er etwas an seinem Schicksal hätte ändern können. Die Schergen des Aufsehers hatten ihn an die Reling gezerrt. Sie hatten gelacht, als sie ihn ohne jedes Federlesen vom Deck der Serenissima in die nasse, wirbelnde Tiefe gestürzt hatten.

Was Teriq bevorstand, schien unabwendbar.

»Dieser Ruderer wird morgen wieder bei Kräften sein«, bemerkte eine ruhige Stimme.

Der Aufseher fuhr herum.

Arthos Gil war an der Seite des dunkelhäutigen Korsaren an die Bank gekettet. Mit unbewegter Miene wandte er sich dem Mann mit der wulstigen Narbe zu. »Er wird für Eure Herren noch von Nutzen sein.«

»Du ...« Einen Moment lang baute sich der Aufseher bedrohlich vor dem Söldnerführer auf, beäugte ihn. Natürlich ohne zu wissen, dass er einen Söldnerführer vor sich hatte, geschweige denn den legendären Arthos Gil. Für ihn war der Gefangene nur ein namenloser Rudersklave; allerdings einer, der es nun zum wiederholten Male wagte, die Stimme zu erheben. »Ihr lebt, weil ich will, dass ihr lebt!«, zischte der Mann mit der Narbe. »Und ganz genau so lange, wie ich es will! Jeder Einzelne von euch!«

Pol konnte Gil nur von der Seite sehen, die Linie seines Kinns, als er das Haupt senkte: würdevoll und doch wie zum Einverständnis.

Aber das war Unsinn!, dachte der Junge wütend. Und dem Aufseher musste das doch klar sein! Mit Sicherheit würden seine Herren es nicht zu schätzen wissen, wenn er ohne Not einen Ruderer in den Tod schickte, der noch in der Lage war, seine Arbeit zu verrichten. Und das war Gil ganz eindeutig. Bei der kleinsten Bewegung traten die mächtigen Muskeln seiner Schultern, seines Nackens deutlich hervor. Solche Ruderer konnte sich ein Galeerenkapitän nur wünschen. Und doch erhob der Söldnerführer nicht die Stimme, dachte Pol. Weil er viel zu klug war, um den Unhold unnötig zu reizen, ganz gleich, ob für ihn selbst nun Gefahr bestand. Dass nämlich Teriq nicht länger von Wert war für den Kommandanten des Seglers, das war unübersehbar.

Unbehaglich blickte Pol der ungeschlachten Gestalt des Aufsehers hinterher, der seinen Weg über das schmale Unterdeck fortsetzte, zwischen den Reihen der backbord wie steuerbord an die Ruder Geketteten hindurch.

Es tut mir leid. Pol schloss die Augen. Der Satz wollte nicht aus seinem Kopf verschwinden. Der Satz, den er nicht mehr hatte aussprechen können an jenem unwirtlichen Ort im Traumgeschehen, der, nein, nicht Carcosa gewesen sein konnte, nicht Carcosa gewesen sein durfte. Konnte es Zufall sein, dass dieser Satz sich irgendwie in seine Traumgedanken gestohlen hatte? Es tut mir leid. Eine Bitte um Vergebung.

Hatte es damit nicht begonnen? Waren sie nicht deswegen aufgebrochen, einer solchen Bitte wegen, er selbst und die Männer seiner Leibgarde? Aufgebrochen zu einer Reise, die sie nun, am Ende, auf die Ruderbänke des vendozianischen Seglers geführt hatte. Es tut mir leid.

Und dennoch: Hatte er an irgendeiner Stelle eine Wahl gehabt? Gingen die Ereignisse, an denen er in den vergangenen Monaten Anteil hatte, nicht so unendlich weit über seine eigene Lebenszeit hinaus?

Die Vergessenen Götter zürnten, damit hatte es begonnen. Die Vergessenen Götter, die einmal die Götter des Landes selbst gewesen waren. Eines Landes, das von Menschen bevölkert gewesen war, ebenso aber von vielen anderen Kreaturen, die den eigentlichen Herren dieses Landes ihre Verehrung erwiesen hatten, den Göttern des Feuers, des Windes, der freundlichen kleinen Ströme und der sprießenden Natur. Überall auf der Welt waren sie auf diese Weise verehrt worden, so auch in Pols Heimatstadt Carcosa. Nicht in aufwendigen Zeremonien hatte man ihrer gedacht, nicht in Tempeln aus Stein, wie die Götter sie heute bewohnten – schon weil es solche Gebäude damals noch nicht gegeben hatte. Carcosa war eine Siedlung aus bescheidenen hölzernen Hütten gewesen in jenen Tagen. Unter dem freien Himmel hatten die Menschen ihnen gedankt für ihre Gaben, für den Wind und die fruchtbare Erde, für den Regen und das freundliche Licht der Sonne. Damals.

Damals, vor der Ankunft der Kaufherrenschiffe. Vor jenem Tag, da ihre Segel am Horizont über dem Westlichen Meer erschienen waren. Dem Tag, an dem sie ihre Handelsgüter nach Carcosa gebracht hatten, ihre silbernen Münzen und nicht zuletzt ihre Götter, die neuen Götter, die bald eine so große Rolle spielen sollten im Leben von Pols Heimatstadt: Athane und ihre Geschwister. Von jenem Tag an datierte die offizielle Zeitrechnung Carcosas. Im selben Augenblick, in dem die schweren Segler Anker geworfen hatten im natürlichen Hafenbecken vor der Stadt, geschützt durch die Kette der Singenden Inseln, waren die Beglückten Zeiten angebrochen, das Zeitalter unter dem silbernen Mond der Göttin Athane und dem Greifen von Carcosa, der das Zeichen für das Handelsgeschick war, für die Klugheit und das Glück, mit dem die Kaufleute Carcosas gesegnet waren, die die Göttin mit ihren Gaben begünstigte. Welcher Augenblick wäre passender gewesen für den Beginn einer neuen Zeitrechnung? In ebenjenem Moment hatten die Tage von Carcosas Glück ihren Anfang genommen.

Pols Gedanken wurden abgelenkt. Eine Gruppe vendozianischer Söldner lümmelte nachlässig über der Reling der Serenissima, weit über das Wasser gebeugt. Die Männer waren in stählerne Harnische gekleidet, die jeden von ihnen gnadenlos in die Tiefe ziehen würden, wenn er sich nur noch eine Idee weiter nach vorn beugte oder eine unvermutete Bö in das Rahsegel fuhr und das Schiff ins Schwanken kam. Doch offenbar hatten die Männer Glück. Oder doch eher Mut?, dachte Pol. Denn diese Männer trugen nicht den Greifen Carcosas über ihren Harnischen, sondern das Zeichen des Löwen, das Zeichen Vendosas. Und der Löwe stand nicht für das Glück, sondern er stand für den Wagemut und Unternehmungsgeist der Kaufleute von Vendosa, Carcosas ärgstem Widersacher.

Glück, überlegte Pol. Oder Mut? Mut war im Grunde die sicherere Wahl, wenn man denn gezwungen war, dem einen oder dem anderen den Vorzug zu geben. Ob ein Mann – oder eine Frau – Mut bewies, war mehr oder weniger eine freie Entscheidung. Je nachdem, ob er oder sie diesen Mut eben aufbrachte oder nicht. Das Glück dagegen: Das Glück kam und ging. Am Tag, an dem die Athane ihren göttlichen Fuß in die Mauern Carcosas gesetzt hatte, hatte das Glück in seiner Heimatstadt Einzug gehalten, und in diesen Tagen hatte es sich nun augenscheinlich verabschiedet von den Bürgern Carcosas im allgemeinen und von ihm selbst im besonderen. Wenn man die Sache allerdings bei Lichte betrachtete: Die Ankunft der Göttin lag Jahrhunderte zurück. Selbst wenn es jetzt vorbei war mit dem Glück: Wer eine so flüchtige Sache über Jahrhunderte hinweg hatte genießen können, konnte der sich nicht schon glücklich preisen? Er selbst hatte natürlich nur die vergangenen fünfzehn Jahre miterlebt.

Er hielt inne. Traf das überhaupt zu? Jahrhunderte des Glücks, deren Anfang und Ende sich exakt bestimmen ließen? Jahrhunderte, die mit der Ankunft der Athane begonnen und mit der unerfreulichen Entwicklung, die die Dinge in den vergangenen Monaten genommen hatten, ihr Ende gefunden hatten?

»Wie wollen wir das mit Sicherheit wissen«, murmelte er. So leise, dass niemand die Worte mitbekam.

Wie ließ sich mit Sicherheit sagen, dass die Menschen in den Tagen der Alten, vor der Ankunft der Göttin, unglücklicher gewesen waren als in den Jahrhunderten seitdem?

Seltsame Geschehnisse, die ihm plötzlich in den Kopf kamen: Der edle Eutropos hatte vor einem halben Jahrhundert das hochangesehene Amt des Domestikos der Stadt versehen, die unter seiner Regentschaft eine wahre Blüte erlebt hatte. Vorausgesetzt, man schenkte den Erzählungen der älteren Mitbürger Glauben. Und doch hatte sich der allseits verehrte Domestikos eines Tages vom höchsten Turm der Zwingfeste in die Tiefe gestürzt, in das tosende Westliche Meer hinab. Weil er nämlich keine andere Wahl gehabt hatte, wie gemunkelt wurde. Hatte er doch die Nachricht erhalten, dass der Sturm seine Handelsflotte auf den Grund ebenjenes Meeres geschickt hatte, als sie den Versuch unternommen hatte, den Südlichen Kontinent zu umrunden, auf der Suche nach einem neuen Weg zum kostbaren Korund und Weihrauch von Shand. Ein recht unglückliches Ende, dachte Pol, für das Ratsoberhaupt der Stadt in so besonders Beglückten Zeiten.

Nachdenklich betrachtete er die schweren Eisen, die seine Hände daran hinderten, sich allzu weit von der Ruderpinne zu entfernen. Eine grob geschmiedete Kette verband die Fesseln um seine Handgelenke, sodass ihm die Wahl blieb, entweder die rechte Hand oder aber die linke zu heben. Doch immerhin konnte er sich kratzen, wenn sein Nacken juckte. Und er konnte sich behelfen, wenn die Wächter die hölzernen Schüsseln herumgaben, in denen die Ruderer sich zu erleichtern hatten. Was mehrmals am Tag geschah. Nichts fürchteten die Befehlshaber des Schiffes mehr als eine Krankheit unter den Männern auf dem Ruderdeck, die womöglich auf die Söldner und die Mannschaft oder gar auf sie selbst übergreifen könnte. Es hätte schlimmer kommen können, dachte Pol. Wenn man zum Beispiel seine Hände direkt an die Pinne geschmiedet hätte. Oder wenn man den Ruderern keine Schüsseln reichen würde für ihre Notdurft. Was, wenn man die Dinge nur im rechten Verhältnis sehen musste? Wenn Eutropos glücklich gewesen war – sobald man ihn mit anderen Menschen und ihrem Schicksal verglich? Wenn er vergleichsweise glücklich gewesen war?

Verglichen etwa mit den Menschen in der Epoche vor der Ankunft der Athane. Diese Menschen hatten schließlich noch nicht in den Beglückten Zeiten gelebt, woraus sich von selbst ergab, dass sie zeit ihres Lebens kreuzunglücklich gewesen sein mussten. Rein grundsätzlich, dachte Pol. So wie Eutropos rein grundsätzlich ein glücklicher Mann gewesen sein musste als Oberhaupt Carcosas in den Beglückten Zeiten. Und doch sein Ende in den Wogen des Westlichen Meeres gefunden hatte, sodass sich von selbst die Frage stellte ...

Was, wenn die Menschen vor der Ankunft der Göttin in Wahrheit ein insgesamt recht glückliches und vergnügtes Leben geführt hatten, von dem man heute nur einfach nichts mehr wusste? Schriftliche Aufzeichnungen existierten schließlich nicht aus jener Zeit. Auch die Schrift hatten erst die Handelsschiffe nach Carcosa gebracht, und was hätte man auch mühsam auf dem Pergament verzeichnen sollen, solange es nicht notwendig war, die Summen von Silbermünzen festzuhalten, die von einem Händler an den anderen flossen – oder sich in Wohlgefallen auflösten, wenn die Flotte des Domestikos sich an den Grund des Meeres verabschiedete?

»Aber die Menschen müssen unglücklich gewesen sein«, murmelte Pol, etwas vernehmlicher diesmal.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Aspar sich zu ihm umdrehte, die buschigen Augenbrauen so weit nach oben gezogen, dass sie in seiner wirren Haartracht verschwanden. Er hob seine Rechte, dass die Ketten ein vernehmliches Rasseln von sich gaben. Ein fragender Blick: Unglücklicher als wir?

Pol biss sich auf die Lippen. Wie sollte der Barbar aus dem Osten wissen, worüber er soeben gegrübelt hatte?

»Die Menschen in Carcosa«, erklärte er. »Sie müssen doch unglücklich gewesen sein vor dem Anbruch der Beglückten Zeiten! Vor der Ankunft der Kaufherrenschiffe mit ihren Handelswaren, ihren Silbermünzen und dem Glauben an die neuen Götter. Wenn Ihr Euch die Reliefs anschaut, an den Tempeln, an der Zwingfeste. Wenn Ihr den Geschichten folgt, die die Bilder erzählen: die Geschichte der großen Handelsflotten, denen die Stadt ihre Macht und ihren Reichtum verdankt, die Geschichte vom Bau all dieser Tempel und der marmornen Skulpturen und von der Anlage der schattigen Gärten mit ihren Springbrunnen und Bassins, in denen sich die Würdenträger des Hohen Rates nach ihrem erschöpfenden Tagewerk ergehen. – All das gab es noch nicht, bevor die neuen Götter kamen und die neue Zeitrechnung begann. Carcosa war ein Fischerdorf aus schäbigen Hütten, von dem kein Mensch je gehört hatte.«

Die Stirn des Barbaren legte sich in Falten. »Müssen ziemlich arm gewesen sein damals. Ohne Silbermünzen.«

»Mit Sicherheit«, stimmte Pol ihm zu, doch dann zögerte er. »Aber unglücklich? Wenn Ihr selbst keine Silbermünzen habt, und Euer Nachbar hat auch keine? Stellt Euch vor, niemand in Eurem Dorf hat Silbermünzen, überhaupt niemand, den Ihr kennt! Ihr wisst nicht einmal, dass es so was wie Silbermünzen gibt! Was bedeutet das dann?«

Für Atemzüge verfiel der Barbarin grüblerisches Schweigen. Dann: »Würd ich nicht überfallen, dieses Dorf.«

Pol nickte. Zögerte. Nickte dann noch einmal. Stumm.

Die Bewohner eines Dorfes, das nicht in Gefahr geriet, von Aspar und seinen Stammesgenossen mit Feuer und Schwert überfallen zu werden, hatten sicherlich keinen Grund, sich deswegen unglücklich zu fühlen. Aber das sagte er nicht laut. Er wollte nicht unhöflich sein.

Allerdings hätten die Menschen in diesem Dorf auch keine Waffen, um sich gegen solche Überfälle zu wehren, dachte er. Ohne Silbermünzen, um diese Waffen zu bezahlen. Andererseits würden sie diese Waffen aber eben auch nicht brauchen.

Eine Erinnerung kam ihm in den Sinn, etwas, das Fra Théus zu ihm gesagt hatte, als er schaudernd den ersten Blick auf die unwirtlichen Sümpfe des Verlorenen Landes geworfen hatte. Fra Théus, der Wanderprediger, dem er es am Ende verdankte, dass er überhaupt zu einem Teil der seltsamen Ereignisse geworden war. Erst einige wenige Jahre sei es her, hatte der Prediger gemurmelt, dass Felder goldener Ähren jene Ebene überzogen hätten. Sehr eindeutig also in den Beglückten Zeiten, wie Pol in Gedanken ergänzte. Korn im Überfluss sei auf den Feldern gewachsen. Wie es das Herz nur begehrte. Und doch hatten die Herren des Landes diesen Reichtum nicht teilen wollen. Weder mit den Ratten, die sich im Getreide verbargen, noch mit den Saatkrähen, die sich in großen Scharen auf den Feldern niederließen. Stattdessen hätten sie die Tiere töten und vertreiben lassen, nur um ihre Ernte noch weiter zu steigern, bis sich das Getreide in ihren Schuppen und Scheuern getürmt hatte, so viel mehr, als notwendig gewesen wäre, um sie alle zu sättigen. Das überschüssige Korn hätten sie für silberne Münzen verkauft, um mit diesen Münzen eiserne Pflugscharen zu erwerben für eine noch einmal größere Ernte in den folgenden Jahren. Eiserne Pflugscharen, wärmendes Wollgewebe noch dazu und obendrein ...

»Südwein«, murmelte Pol. »Schweren Wein von jenseits des Südlichen Meeres.« Auf einmal war es da! Aufgeregt drehte er sich zu Aspar. »Sie werden auch keinen Südwein kennen in diesem Fischerdorf! – Also die Leute aus Carcosa werden ihn nicht gekannt haben, bevor die Kaufmannsschiffe kamen mit den Handelsgütern und den Silbermünzen und der Athane und ihren Geschwistern. Aber ob man nun Münzen hat oder nicht: Münzen sind einfach nur hübsch anzusehen. Südwein dagegen ... Südwein ist etwas vollkommen anderes! Südwein macht glücklich!« Er holte Atem. »Also ist man ohne Südwein unglücklicher. Und also waren auch die Menschen in Carcosa unglücklicher, bevor die Beglückten Zeiten begannen. Der Wein, der am Felsen von Carcosa gedeiht, ist sauer wie Essig.«

Aspar verzog das Gesicht, spitzte die Lippen, als wollte er verächtlich ausspucken. Schien sich dann eines Besseren zu besinnen. Noch immer blieben Stunden, bis man den Gefangenen eine Kelle Wasser gewähren würde. »Echte Männer trinken Met«, brummte er. »Honig, dem Ihr Wasser zusetzt und ihn dann für einige Wochen ruhen lasst, bis ihn die Götter mit ihrem Zauber versehen. Bruder Rausch wird Euren Schädel strafen am folgenden Morgen, aber echte Männer ...«

Pol hatte die Schultern bereits sinken lassen. Echte Männer ließen sich von schmerzenden Schädeln nicht schrecken, setzte er den Gedanken im Geiste fort. Von Schmerzen ganz allgemein nicht, wie die zahlreichen Narben am Körper des Barbaren bewiesen. Die Knotenschnüre der Peitsche hatten in den letzten Tagen einige weitere Male hinzugefügt.

Pol sah geradeaus und damit geradewegs auf Teriqs Rücken, der allerdings auch keinen ermunternden Anblick bot. Und doch: Schien Aspar nicht ganz glücklich mit seinem Met? Selbst mit seinem schmerzenden Schädel dann und wann, auf den ein Barbar womöglich denselben Stolz empfand wie auf die Narben an seinem Körper? Was aber bedeutete das für die Menschen der Alten Zeit, bevor die neuen Götter kamen und mit den neuen Göttern der Südwein?

Nein, wie er es auch drehte und wendete: Es gab keinen Beweis, dass sie unglücklicher gewesen waren als die Menschen in seiner eigenen Zeit. Vielleicht hatten sie häufiger Hunger leiden müssen, doch in den Elendsvierteln Carcosas war der Hunger auch heute kein Fremder. Und Gestank und Krankheiten kamen in diesen Tagen eher noch dazu, weil so viele Menschen in einer solchen Enge beieinander lebten. Im dörflichen Carcosa der alten Zeit mussten weit weniger Menschen gelebt haben, damals, als die Bewohner die Athane noch nicht gekannt und sich stattdessen der Gunst der heute Vergessenen erfreut hatten. Bis zu jenem Tag, dachte er. Bis zu jenem Tag, an dem die Schiffe kamen und das Glück Carcosas seinen Anfang genommen hatte.

Doch wenn die Menschen überall so gelebt hatten vor der Ankunft der Schiffe, und wenn ihr Leben sich mit dem Eintreffen der Kaufmannsflotte überall so schlagartig verändert hatte?

»Dann müssten sie auch überall glücklicher geworden sein«, murmelte er. »Wohin die Handelsschiffe auch kamen.«

Aspar nahm einstweilen keine Notiz mehr von ihm. Die Reise auf dem Segler würde er wohl kaum als Glück empfinden als Mann der Steppe. Zumal dann nicht, wenn er persönlich dazu beitragen musste, diesen Segler zu rudern, dachte Pol.

»Glücklicher«, sagte der Junge leise mit einem Blick auf die vendozianischen Söldner in ihren Waffenröcken mit dem Zeichen des Löwen. »Und mutiger ebenso. Schließlich hat man plötzlich überall sein Herz für den Wagemut der Kaufleute entdeckt. Aber wie können es überall Glückliche Zeiten gewesen sein, überall gleichzeitig? Wenn die Flotte Carcosas die vendozianische Flotte in Brand schießt mit dem unauslöschlichen Feuer des Kaiserreichs, dann kann das die Vendozianer nicht glücklich machen. Überall glücklich, im gesamten Reich der Esche, ja, darüber hinaus sogar?«

Selbst in den wasserlosen Weiten des Südlichen Kontinents, von wo der Glaube an die Athane ursprünglich stammte, musste es irgendwann einmal einen Tag gegeben haben, an dem die Menschen begonnen hatten, silberne Münzen zu prägen und mit diesen Münzen Handel zu treiben. Einen Tag, an dem die Beglückten Zeiten begonnen hatten.

Überall war dasselbe geschehen. In ganz unterschiedlichen Teilen der Welt. In Carcosa waren die Menschen bis dahin Fischer gewesen in der Mündung des Lysander unterhalb der Ansiedlung oder Bauern weiter im Landesinnern. Vielleicht noch Jäger an den Hängen der Höhen von Schattenfall oder am Rande des Verbotenen Waldes um die Ruinen von Maltesta. Die meisten aber waren wohl mehr oder minder alles zusammen gewesen.

Erst dann hatte sich alles verändert. Erst als die Beglückten Zeiten angebrochen waren, das Zeitalter der Händler und ihrer Waren, die allein es möglich machten, dass jeder Mensch in den Besitz einiger der begehrten Silbermünzen gelangen konnte – wobei die benötigten Waren zunächst einmal hergestellt werden mussten. Einige Menschen waren daher Weber geworden, andere Schuster und wieder andere Schreiner. Oder Söldner, die die Werkstuben der Weber, Schuster und Schreiner bewachten mitsamt ihren Werkstücken, die sie für Silbermünzen verkaufen wollten, mit denen sie wiederum die Söldner entlohnen würden. Menschen, die ihre Schuhe bisher selbst hergestellt hatten, gingen also zum Schuster ...

Pol runzelte die Stirn. Nein, das war nur in einigen Fällen so. Die meisten Schuhe und die meisten gewebten Tuche wurden von den Schustern und Webern, die sie hergestellt hatten, an Händler veräußert und von den Händlern dann an diejenigen verkauft, die diese Tuche und diese Schuhe tragen würden. Die Händler selbst stellten überhaupt nichts her, sondern kauften Werkstücke – Waren – von den Handwerkern ein, um sie anderswo wieder zu verkaufen. Es ergab sich von selbst, dass sie diese Waren teurer verkaufen mussten, als sie sie einkauften. Wie sonst hätten sie einige der Silberstücke für sich selbst auf die Seite legen können? Nein, nicht einige, verbesserte er sich im Geiste. Sehr, sehr viele von ihnen, wenn er sich die Statur der Kaufherren von Carcosa in Erinnerung rief. Die Händler mussten damit die glücklichsten von allen sein in den Beglückten Zeiten, wenn er den Gedanken zu Ende führte. Niemand sonst nannte so viele Silbermünzen sein Eigen. Und alle anderen mussten zumindest noch einen Teil der anstrengenden Tätigkeiten ausüben, die ihre Vorfahren alle zugleich hatten verrichten müssen, ehe die Beglückten Zeiten angebrochen waren: Sei es die Saat und Ernte auf den Feldern, die Herstellung von Schuhen oder das Fischen in der Mündung des Lysander, während den Kaufherren all das erspart blieb. Sie schienen überhaupt nicht viel zu arbeiten, um sich ihre Silbermünzen zu verdienen. Wenn er etwa an den edlen Bodurnus dachte, den reichsten unter den Kaufleuten Carcosas in diesen Tagen: Bodurnus, der das mächtige Handelskontor im Schatten der Zwingfeste sein Eigen nannte. Bodurnus musste gar nicht mehr arbeiten. Nahezu jeden Tag konnte man ihn beobachten, wie er ... Pol riss die Augen auf. Jeden freien Augenblick pflegte der edle Bodurnus im Freien zu verbringen, bei seiner allerliebsten Zerstreuung: dem Fischen in einem glasklaren Weiher, den er sich in den Gärten seines Anwesens hatte anlegen lassen.

Der Junge schüttelte sich. Es waren seltsame Zeiten, diese Beglückten Zeiten. Auf jeden Fall aber hatten die Menschen die Welt, in der sie lebten, auf eine Weise verwandelt, dass sie kaum noch wiederzuerkennen war. Alle anderen Geschöpfe des Landes hatten sie ausgerottet, machten Jagd auf sie oder hatten sie als Vieh in ihren Dienst gezwungen, um auch auf diese Weise zusätzliche Silbermünzen zu erlangen. Die Rinder aus Carcosas fruchtbarem Hinterland wurden selbst auf dem Südlichen Kontinent geschätzt, wo keine geeigneten saftigen Weiden zur Verfügung standen, um die Tiere zu nähren. Neben den Tuchen aus Leinen und Wolle, aber auch den Kostbarkeiten aus den Werkstätten der Goldschmiede waren sie das wichtigste Handelsgut der Stadt gewesen und hatten das Ihre dazu beigetragen, dass sich der Hafen Carcosas zur wichtigsten Anlegestelle am Westlichen Meer entwickelt hatte, die obendrein Sicherheit versprach vor den Stürmen auf offener See. Sodass es sich von selbst ergeben hatte, dass bald auch Schiffe anlegten, die die Stadt überhaupt nicht zum Ziel hatten, die Hafenzölle aber dennoch entrichten mussten, wenn sie Schutz suchten vor dem Unbill der Witterung. Und daraus hatte sich alles andere entwickelt, der ewig schwelende Zwist mit dem Konkurrenten Vendosa, ein Zwist um Silbermünzen und den Einfluss auf den Märkten im Reich der Esche und darüber hinaus. Bald stellte man den Handelsflotten Kriegsflotten an die Seite, zum Kampf gegen andere aufstrebende Städte, ebenso aber gegen die Überfälle der Korsaren, deren Macht den Horizont zunehmend verdunkelte, im selben Maße, in dem die Macht des Kaiserreichs schwand. Und im Ganzen waren diese Flotten und die Söldnerheere der Stadt auch durchaus erfolgreich gewesen. Die Menschen hatten allen Grund, zufrieden zu sein mit der Göttin Athane, die über ihren Handel wachte. Glücklich? Doch, das mochte sein. Ihre alten Götter jedenfalls hatten die Menschen nach und nach vergessen, in Carcosa wie an so vielen anderen Orten der Welt, die Reiche der Wilden im Norden vielleicht einmal ausgenommen. Die Vergessenen Götter. Weil man ihre Namen nicht mehr kannte.

Beglückte Zeiten. Beim Blick aus der tristen Gegenwart mochte sich das so ausnehmen. Auch dann, wenn man nicht gerade mit eisernen Ketten an die Ruder eines vendozianischen Seglers geschmiedet war. Denn vor wenigen Jahren war es geschehen: Irgendwie musste den Vergessenen Göttern klargeworden sein, dass man sie vergessen hatte, und ihr Zorn war erwacht. Und von diesem Moment an war alles sehr schnell gegangen.

Als Erstes hatte der Zorn der Vergessenen Götter das fruchtbare Hinterland Carcosas getroffen und es in eine sumpfige Öde verwandelt. Die Siedler hatten begonnen, in die Stadt zu strömen, mit ihren Frauen und Kindern und der wenigen Habe, die sie hatten retten können. Fortan drängten sie sich zu Füßen des mächtigen Bergstocks, in den in sämtliche Richtungen wuchernden Elendsvierteln der Unterstadt, hungernd, auf die Gnade des Hohen Rates angewiesen, dem nichts anderes übrigblieb, als die abgerissene Meute mit Brot zu versorgen, wollte er keine Revolte riskieren. Im letzten Herbst aber war der Blick der Unsterblichen auf Carcosa selbst gefallen. Über Wochen hinweg hatten die Regengüsse nicht enden wollen, bis der vierte Teil der Oberstadt den vierten Teil der Elendsquartiere unter sich begraben hatte – was für die Bewohner weder des einen noch des anderen Viertels eine angenehme Erfahrung gewesen war, wussten sie doch zumindest, wem sie den Zorn der Götter zu verdanken hatten: War es nicht ihre Obrigkeit gewesen, der Hohe Rat der Freien Stadt Carcosa, der die Stadt einst unter den Schutz der Göttin Athane gestellt hatte? Athane, die sie jetzt nicht hatte beschützen können. Gewiss, all das war Jahrhunderte her, doch schließlich war es immer noch der Hohe Rat, die Obrigkeit, die über die Geschicke Carcosas gebot. Und war nicht ebendas der Grund, aus dem sich das Volk überhaupt eine Obrigkeit hielt: Damit es im Zweifelsfall jemanden gab, den man für die Misere verantwortlich machen konnte?

Ein Umstand, der den Würdenträgern des Rates sehr schnell bewusst geworden sein musste, als sie sich hinter die Zinnen ihrer Zwingfeste kauerten, während die aufgebrachte Menge Bliden und Katapulte heranschleppte, frisch erbeutet aus den Magazinen oder aber freiwillig ausgeliefert von der Stadtgarde, die mit dem Mob gemeinsame Sache machte. Tonnenschwere Wurfgeschosse waren auf die Zuflucht der Würdenträger herniedergeregnet, die händeringend um einen Ausweg flehten. Es musste eine Möglichkeit geben, den Zorn der Vergessenen Götter zu besänftigen. Und den Zorn der johlenden Menge gleich dazu. Hatte nicht auch die Athane am Ende immer wieder ein Einsehen gehabt, sobald nur eine ausreichende Summe silberner Münzen in die Hände ihrer Priester gewechselt war? Doch rasch nur, rasch! Solange noch ein Stein auf dem anderen lag in Carcosa – speziell auf der Zwingfeste, der Wohnstatt des Rates.

Damit hatte es begonnen. Fra Théus war ein weitgereister Wanderprediger, vertraut mit den Gebräuchen der Alten und ihren Schriftzeichen, die er in Vidin erlernt hatte, an der Akademie der Wissenden. Zugleich aber war er der Einzige gewesen, dem bewusst gewesen war, wie nahe der Zorn der Götter der Stadt schon gekommen war. Was er um ein Haar mit dem Leben gebüßt hätte, als Ketzer verklagt von den Priestern der Athane. Hätte der edle Adorno nicht eingegriffen, Archivar und bald darauf Domestikos des Hohen Rates ... Pol hatte die Vorbereitungen zu Théus’ Hinrichtung aus nächster Nähe verfolgen können.

Im letzten Moment hatte Adorno sich ein Herz gefasst, unter wahrhaft dramatischen Umständen. Mit seiner Hilfe war der Prediger entkommen und hatte Gelegenheit erhalten, in den Archiven des Rates zu forschen. Und ebendort hatte er eine Überlieferung zutage gefördert, die aus den Tagen der Alten stammte, jener weisen Männer, die noch Respekt empfunden hatten für die heute Vergessenen und die offenbar vorhergesehen hatten, was nunmehr eingetreten war: den Zorn der Unsterblichen. Nur einen Weg gäbe es, die Vergessenen Götter wieder versöhnlich zu stimmen: Ein Gesandter müsse sich auf den Weg machen in ihr Heim auf den Höhen von Schattenfall. Im Namen seiner Vaterstadt müsse er sie dort zerknirscht um Verzeihung bitten. Nur dass es mit jenem Gesandten eine besondere Bewandtnis haben musste: Von keinem Vater gezeugt, von keiner Mutter geboren. Eine widersinnige Vorstellung, die dennoch ausgerechnet auf Pol zuzutreffen schien, den man aus dem Leib seiner fiebernden Mutter geschnitten hatte an jenem Tag, da er zur Welt gekommen war. Und dessen Vater jeder Einzelne der Seemänner sein konnte, die an Carcosas Rattensteige verkehrten, inmitten des Elendsviertels am Rande der Sümpfe. Oder keiner von ihnen.

Er war sich sicher, dass mehr als einer unter den braven Bürgern Carcosas die Nase gerümpft haben musste. Der Gesandte an die Vergessenen Götter: ein Dieb von der Rattensteige? Denn anders ließ sich nicht beschreiben, wie Pol sich in den bisherigen fünfzehn Jahren seines Lebens seinen Unterhalt verdient hatte: indem er die Finger in anderer Leute Geldbeutel hatte verschwinden lassen, um mit den erbeuteten Münzen das Leid der Armen zu lindern – mit einem gewissen Schwergewicht auf dem Leid eines speziellen Armen. Seines eigenen.

Doch was war den biederen Bürgern, den würdigen Herrschaften des Hohen Rates am Ende anderes übriggeblieben? Ein anderes vater- und mutterloses Kind hatte schlicht nicht zur Verfügung gestanden. Pol war aufgebrochen, den düsteren Höhen von Schattenfall entgegen, um die ein jeder denkende Mensch einen weiten Bogen machte. Mit aller Wachsamkeit allerdings hatten Gil und seine Ehrengarde von nun an jeden Schritt des Jungen verfolgt. Und ebenso, unter beständigen Ermahnungen, der weise Fra Théus.

Natürlich war Pol nicht ganz freiwillig gegangen, geradewegs der Höhle des Löwen entgegen. Oder doch den Höhlen des Wolfsköpfigen, des Feuergottes, der Herrin der Winde: Bezeichnungen, unter denen man die Vergessenen Götter in diesen Tagen kannte. Und dennoch: Nachdem die einzig andere Wahl ein Ende am Schmerzenspfahl gewesen war, inmitten der Volksmenge auf dem Platz der Götter, hatte die Mission sehr rasch an Anziehungskraft gewonnen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Pol am Ende doch noch schwankend werden sollte, hielt der Hohe Rat im Übrigen den alten Marbo in Gewahrsam, Pols Ziehvater und seines Zeichens Wirt des Drachenfuther – Speyhs unt Tranck, im finstersten Winkel der Rattensteige.

Es tut mir leid.

Pol blickte hinaus auf das Meer. Das Salz, das in seinen Augen brannte, musste von dort stammen.

Unglücklich? Wenn es einen unglücklichen Menschen gab, dann war er es, der Gesandte an die Götter. Er würde seinen Auftrag nicht erfüllen können. Unterwegs waren ihm bereits das Gold und das Geschmeide abhandengekommen, das er den Vergessenen Göttern zur Wiedergutmachung hätte anbieten sollen – wohl wissend, dass sie mit solchen Gaben wenig anzufangen wussten. Doch er hatte keine Wahl gehabt. Auf dem Weg durch die Verlorenen Lande waren sie auf einen Stamm von Sumpfleuten gestoßen, und niemand anders als Teriq, auf dessen von der Peitsche zerfetzten Rücken der Junge nun blickte, hatte in eines der Rituale der Einheimischen eingegriffen und einen Gefangenen getötet, der zum Opfer für die Götter der Sümpfe bestimmt gewesen war, die riesenhaften Molche. Ein Sakrileg, wie es für die Sumpfbewohner schwerer kaum wiegen konnte und das nur auf eine Weise gesühnt werden konnte: mit dem Leben des jungen Korsaren. Sollten Pol und seine Begleiter sich weigern, ihren Gefährten auszuliefern, würde ihre Reise an dieser Stelle enden, in den sumpfigen Wassern eines Flussarms, den die Dorfbewohner angestaut hatten und der unaufhaltsam den Deichen entgegenstieg, um sie alle miteinander zu verschlingen.

Aber Teriq ausliefern? Unmöglich hatte Pol das zulassen können, sosehr der kühne Gil ihn auch bedrängt hatte, im Interesse einer höheren Sache ebendas zu tun. Nein, niemals! Es hatte keine geringe Mühe gekostet, die Sumpfleute davon zu überzeugen, an Stelle des Korsaren das Gold und das Geschmeide anzunehmen. Zumal Pol nicht in der Lage gewesen war, sich überhaupt mit ihnen zu verständigen. Doch am Ende war genau das Fra Théus gelungen, der Schatz hatte seinen Besitzer gewechselt und ... Sollte es Pol und seinen Bewachern doch noch glücken, auf irgendeine Weise nach Schattenfall zu gelangen, würden sie jedenfalls mit leeren Händen dastehen.

Es tut mir leid.

Nein! Das stimmte nicht. Pol biss die Zähne aufeinander, dass es schmerzte. Er war der Gesandte, und in seinen Händen lag die letzte Entscheidung. Und er hatte nicht glauben wollen, dass ein solcher Durst nach Rache die Vergessenen Götter erfüllte. Dass sie den Gesandten auf eine solche Probe stellen würden: Teriqs Leben zu opfern, um die Reise zu ihnen fortsetzen zu dürfen. Doch das machte ohnehin keinen Unterschied mehr.

Denn damit war es nicht vorbei gewesen. Keinen vollen Tag später hatten sie den Rand der Sümpfe erreicht und damit jenes Gebiet, das zwischen Carcosa und seinem Erzfeind Vendosa von jeher umstritten war. Und dort hatten die vendozianischen Söldner ihnen aufgelauert, Pol und seinen Leibwächtern um ein Vielfaches überlegen. Ohne zu wissen, wen genau sie vor sich hatten. Nur dass sie aus Carcosa stammten, war unübersehbar gewesen, und das hatte genügt. Einer von Pols Begleitern hatte das Banner des Greifen, mehrere Fuß in Breite und Länge, stolz in den Kampf geführt. Und dieser Kampf war kurz genug gewesen.

Den weisen Fra Théus musste an jenem Tag der Erdboden verschluckt haben. Oder aber er hatte das Weite gesucht, wie auch immer ihm das gelungen war. Andererseits hatte der Prediger trotz seines sichtbar fortgeschrittenen Alters von Anfang an einen auffallend rüstigen Eindruck gemacht, sodass Pol ohnehin schon vermutet hatte, dass ihm noch ganz andere Kräfte zur Verfügung standen. Kräfte, wie sie dem Vernehmen nach an der Akademie von Vidin gelehrt wurden. Auf jeden Fall war der Alte fort. Pol trug ihm sein Entkommen nicht nach – am Ausgang des Kampfes hätte seine Anwesenheit wohl kaum etwas geändert.

Arthos Gil hatten die Lumpen mit einem Keulenhieb ausgeschaltet, feige aus dem Hinterhalt, doch ansonsten war glücklicherweise niemand von ihnen ernsthaft verletzt worden – ausgenommen Teriq, dessen Leben Pol doch eben erst gerettet hatte und von dem das Fieber seitdem nicht mehr weichen wollte. Gestützt auf seine Gefährten hatte der junge Mann einen Fuß vor den anderen gesetzt, als man sie nach Vendosa verschleppt hatte. Und dort waren sie einem fetten Kerl vorgeführt worden, der mit der einen Hand den Hammer hatte niedersausen lassen, um das Urteil zu verkünden, während die andere Hand ein stattliches Sümmchen vom Magister der vendozianischen Flotte in Empfang genommen hatte. Als man sie schließlich auf die Ruderbänke an Bord der Serenissima gestoßen hatte, des Flaggschiffs jenes mächtigen Geschwaders, war Teriq kaum noch bei Bewusstsein gewesen.

War der Zusammenhang zu übersehen? War der Fluch zu übersehen, den Pol heraufbeschworen hatte, indem er das für die Unsterblichen bestimmte Gold aus der Hand gegeben hatte? Die Vergessenen Götter zürnten. Sie zürnten erbitterter denn je.