Die kosmische Leitplanke - Hans-Joachim Bauer - E-Book

Die kosmische Leitplanke E-Book

Hans-Joachim Bauer

4,8

Beschreibung

Die Reise eines Künstlers durch die Geschichte der Menschheit, zwischen Island und Feuerland, durch Wüsten und Gletscher, auf der Erde und im Weltall. Ein großes Kunstabenteuer

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Der Mensch ist vom Bewohner [der Erde] zum Gestalter geworden, zur geophysischen Einflussgröße, und wird noch einflussreicher werden. Dafür gibt es jetzt einen Namen: Anthropozän, die Erdepoche der Menschen.

Jan Willmroth (Süddeutsche Zeitung 2./3.1.2016)

Die 2-Grad-Leitplanke

Koordinate globaler Klimapolitik

(Potsdam-Institut für Klimaforschung)

INHALTSVERZEICHNIS

Kapitel eins:

Im Tanzsaal

Kapitel zwei:

Die Idee

„DIE KOSMISCHE LEITPLANKE“

Kapitel drei:

Genesis

„GOTT – VOM HIMMEL AUS GESEHEN“

Kapitel vier:

Der erste Mensch

„ERDGEBOREN“

Kapitel fünf:

Urmenschen

„COMPOSED SONGLINES“ (Traumpfade)

„CICAK“ (Eidechse)

Kapitel sechs:

Wahrsagerei und Religion

„DER GANG ZUM ORAKEL“

„JAHWEGODALLAH“

Kapitel sieben:

Das neue Bewusstsein

„MENSCH“

„DIE BLAUE KIRCHE AUF EIS“

Kapitel acht:

Die Aneignung der Natur

„HASENJAGD AUF DER AUTOBAHN“

„DER AUSFLUG VON HERRN STEFANSSON UND SEINER GELIEBTEN AUF DEN GLETSCHER VATNAJÖKULL“

Kapitel neun:

Der Kampf des Menschen gegen den Menschen

„KAMPF UM MATTIUM“

„EL BARRANCO“ (die Schlucht)

„SULAMITH“

Kapitel zehn:

Versöhnung

„HISTORIA POLSKI“

„POWRÓT DYWANO“ (die Rückkehr des Teppichs)

Kapitel elf:

Rückschläge und Katastrophen

„TITANIC“

„HIRNWEIDE“

„KLIMAKONFERENZ 2.0“

„EN EL CEMETERIO DE LOS TEMPANOS“ (Im Friedhof des Eises)

„ CONFERENCIA DE CLIMA“

Kapitel zwölf:

Die Zukunft

„EVOLUTION ZIVILISATION DIGITALISATION“

„KRYONISCHER TANGO“

„EWIG ON“ (ein Selbstversuch)

„ERDRUF“

„DIE HIMMELFAHRT DES DENKENDEN TIERES“

Kapitel eins: Im Tanzsaal

Im Tanzsaal

Gebaut 1819.

Früher: Schauplatz dörflicher Tanzereien, Hochzeiten, Theateraufführungen. Ein Ort des Vergnügens, aber auch der Tränen: Pflegestation für Kriegsopfer, Schlafstätte von Zwangsarbeitern und Soldaten.

Ab Januar 1993 Atelier, Heimat für mich und meinen Hund; mit Bett, Sofa und Kochplatte, Wasserkocher; zwei Tischen noch mit den Abdrücken von Biergläsern, Kritzeleien und Einritzungen (H + G 1922, Jean 19.. unleserlich), ein eiserner Ofen für Holz und Kohlen, Bücherregale, Fotos von Kunstprojekten an den Wänden, Entwürfe, Modelle.

Drei Fenster nach Norden, vier nach Osten, vor den drei Südfenstern wachsen Kiwis, in warmen Sommern werden sie walnussgroß und schmecken zuckersüß. Zugang über eine siebenstufige Sandsteintreppe mit einem handgeschmiedeten Geländer.

Kein Bad, die Toilette im Hof neben dem ehemaligen Schweinestall, im Winter – wenn es sehr kalt ist – zeitweise eingefroren, dann gibt’s ein Plumpsklo in der alten Hofscheune.

Die Nachbarn: eine freundliche, hilfsbereite Witwe mit kräftigen Oberarmen, von meinem Schreibtisch aus kann ich sie beim Holzhacken beobachten, Gustav mit seiner Sonnenblumenparade (Rekordhöhe 4,10 m), Landwirte mal freundlich, mal knurrig; Dorfköter/innen als Spielgesellen und Fortpflanzungsalternativen für Bodo.

Bodo 1998

Einzug in den Tanzsaal Mitte Januar, Außentemperatur minus 10 Grad, ich friere in meinem gletschertauglichen Schlafsack, der Ofen brennt nicht richtig, raucht.

Warum bin ich hier? Weil mich die Zufriedenheit langweilte, weil ich nicht mehr wusste, wer ich war, Sehnsucht nach Wirklichkeit, Echtheit? In nächtelangen Selbstgesprächen Auseinandersetzungen mit meinem Argwohn, mit meiner Angst. Das sich Ausliefern an eine unbestimmte Zukunft mit dem Anspruch kreativ zu leben, wirklich zu existieren.

Der Tanzsaal im Jahr 2015

Tagsüber Spaziergänge mit Bodo durch die verschneiten Felder, er tollte durch den Schnee, war glücklich, ich nicht.

Was tun? Was hatte ich bisher getan: Verkaufsleiter, Lehrer; schriftstellerische Bemühungen, eine wissenschaftliche Arbeit über Geschichtsideologien, Artikel über Geschichte, Philosophie und Religion.

Mit der täglichen Routine des Feueranzündens, dem Runtertragen der Asche, Ausschütten in einen Metalleimer im ehemaligen Schweinestall, Hochtragen von Holz und Kohlen, Einkäufe im Dorfladen, Gespräche mit den Dorfbewohnern bei meinen Rundgängen mit Bodo stabilisierte sich meine Psyche.

Der Tanzsaal erwärmte sich spürbar unter den Strahlen der Frühlingssonne, und die ersten Schwalben bezogen ihre Nester an der Südseite. Noch keine Idee.

Ortswechsel: New York, in YMCA für einige Tage untergekommen. Inspirationspirsch: Ausstellungen, Theater, Konzerte … und dann in der Olympia-Buchhandlung, „Sculptering the Earth“, die Erde gestalten, Bücher über Landart. Eindrucksvolle Bilder, neue Namen wie Heizer, Smithson und Walter de Maria; Kunst mit Hilfe von Dynamit erschaffen, ein spiralförmiger Schotterdamm im Großen Salzsee. Ich dachte an die Felderlandschaft zuhause, an Bodo, den Tanzsaal und fühlte eine wage Empfindung von Zukunft.

Der entscheidende Impuls beim Spaziergang mit Bodo in der Nähe von Kroeschels Feldscheune. Wir treffen den Landwirt Schröder sen. auf seinem alten Schlepper. Er stoppt: „Wer sind Sie dann?“ Es folgt eine wortreiche Erklärung meinerseits …. Er unterbricht mich: „Was wollen se machen?“ Meine Antwort unsicher, zögernd: „Vielleicht etwas mit Natur, Pflanzen, Erde.“ Er: „Dann schreiben sie doch Gott aufs Feld“, sprachs und fuhr weiter.

Anfang mit „GOTT“ (1994): eine Feldplastik gestaltet aus Sonnenblumen auf einem Acker von Landwirt Schröder. Sein Sohn Erhard fuhr den Traktor mit Sämaschine, mein Freund Detlef Paasch vermaß die Konturen des Wortes.

Dieses erste Projekt setzte einen heftigen Reflexionsprozess in Gang. Die folgenden Arbeiten „Mensch“ (1995), „Die Blaue Kirche“ (1997) und „Hasenjagd“ (1998) realisieren die Visualisierung zivilisatorischer Prozesse und Ereignisse, wobei ich mich immer in einem Spannungszustand zwischen Euphorie und Schuldbewusstsein in Bezug auf die Aneignung der Natur durch den Menschen befinde. Die Aneignung von Zeit, Raum, Erkenntnis und Herrschaft wird in die Natur zurückprojiziert, in eine Natur „als globaler Innenraum“ (T. Assheuer, „Die Zeit“).

In der Arbeitsbiographie: Hans-Joachim Bauer, Land Art Projekte 1994 – 2012, Marburg 2013, schreibt der Kunstwissenschaftler Harald Kimpel: „Er entwickelt seinen Kunstbegriff im Spannungsfeld brisanter gesellschaftspolitischer Fragestellungen und ironischer Reflexionen. So gehören zu den Grundthemen seiner künstlerischen Kommentierung von Landschaft im Wechsel von lokalspezifischem und globalem Ansatz unter anderem: die Kommentierung politischer Ereignisse der jüngeren deutschen Vergangenheit als Teil der Erinnerungskultur (z. B. „Sulamith“, 2000), die Bearbeitung akuter ökologischer Problemlagen an Punkten ihrer Virulenz (z. B. „Conferencia de Clima“, 2000) … Damit verknüpft Hans-Joachim Bauer seine temporären ästhetischen Umgestaltungen der Erde vom Natur- zum Kulturprodukt mit einer science-fiction-haften Vision von der Zukunft der Menschheit im All.“

Kapitel zwei: Die Idee

Projekt

„DIE KOSMISCHE LEITPLANKE“

„DIE KOSMISCHE LEITPLANKE“ (Überlegungen)

Eintrag im Tagebuch vom 3.9.2014 (4 Jahre nach der Fertigstellung des Projekts):

Neue Idee “Kosmische Leitplanke” als Leitfaden/Menschheitsgeschichte, wie?

Eintrag im Tagebuch vom 6.9.2014:

„Leitplanke“ eigene Projekte verwenden?

Eintrag im Tagebuch vom 13.9.2014:

Frage: Wäre es möglich, meine Arbeiten in einen historischen Zusammenhang einzuordnen, mich selbst als Individuum der Menschheitsgeschichte zu begreifen? Ein kreativer Gang durch die Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: der Schöpfungsmythos, die Geburt des Menschen, seine Entwicklung, seine Kämpfe, Zivilisation als Naturaneignung, Siege und Niederlagen, Katastrophen, der Homo digitalis und seine Himmelfahrt?

Projekt

„DIE KOSMISCHE LEITPLANKE“

Projektart:Skulptur (Stahl)Ort:Deutschland (Homberg/Efze)Zeit:Juli 2010

Zusammen mit Sebastian Severin wird die 33 m lange Leitplanke vor dem Eingang zur Hohenburg mit verschiedenen Farben, Begriffen, Zeiten und graphischen Zeichen besprayt.

Dieses Projekt bildet den Rahmen für die folgenden Episoden.

PENG am Anfang von „DIE KOSMISCHE LEITPLANKE“ ist kein Pop-Art Zitat, sondern steht für den Urknall, die Entstehung des Kosmos. In den folgenden Episoden hat PENG Leit motivcharakter und taucht immer dort auf, wo plötzlich ein neuer Einfall, eine neue Idee entsteht.

Der menschliche Lebensbereich auf der LEITPLANKE

Zuordnung der Farben, Begriffe und Zeichen (von links nach rechts)

dunkelrot orange

PENG – 15 Milliarden GALAXIEN GLÜHEN

(Urknall) (Der Kosmos entsteht)

orange/gelb grün

ERDE – 5 Milliarden /\/\/\/\/\ DNA MENSCHENAFFEN GAFFEN BLA BLA BLA COGITO ERGO SUM

(ägyptische Hieroglyphe Wasser) (Entstehen der Sprache) (Ich denke, also bin ich)

für

GUAPA (die Schöne)

SONNENBAD BEI 15 GRAD

(derzeitige Durchschnittstemperatur der Erde)

grün/gelb

SONNENBRAND

gelb

+ 43 GRAD ROBOTERMENSCH UP UP AND AWAY

dunkelrot

FINIS

Das Ende der Erde

Kapitel drei: Genesis

Projekt

„GOTT - VOM HIMMEL AUS GESEHEN“

„GOTT – VOM HIMMEL AUS GESEHEN“

„Von den Alten und den Vätern aus uralter Zeit ist in mystischer Form den Späteren überliefert, dass die Gestirne Götter sind und das Göttliche die ganze Natur umfasst. (Aristoteles, Metaphysik, 1074b)

Projekt

„GOTT - VOM HIMMEL AUS GESEHEN“

Projektart:Landart, FeldplastikTeam:D. Paasch (Vermessung), E. Schröder (Technik)Ort:Deutschland (Homberg-Mardorf)Zeit:März bis August 1994

Vor der Erschaffung von „GOTT“ sind bürokratische Hürden zu überwinden.

Antrag an das Hessische Ministerium für Landentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz in Wiesbaden: Anlage eines Kunstwerkes auf einer stillgelegten Fläche.

Antwort: „… wie Ihnen bereits fernmündlich mitgeteilt, kann ihrem Anliegen … unter bestimmten Voraussetzungen stattgegeben werden:

Die Verpflichtung in Nr. 4.4 der

Richtlinien zur Förderung der Stilllegung von Ackerflächen

müssen eingehalten werden. Insbesondere die Verpflichtung laut Buchstabe g) ist in Ihrem Fall von Bedeutung, wonach die vorhandene Begrünung nicht nachhaltig beeinflusst werden darf.

Es ist lediglich eine leichte Bodenbearbeitung auf den Stilllegungsflächen zugelassen. Darunter ist ein auf die obere Bodenschicht beschränkter Eingriff in den Boden zu verstehen mit einer Bearbeitungstiefe von max. 10 cm …“ (Schreiben des Ministeriums vom 8. April 1994, Unterstreichungen durch das Ministerium).

Tagebuch 5. März 1994: „GOTT“ vermessen, Regen, Wind

G:

Schrifthöhe

70 m,

Breite

40 m,

Schriftstärke

9 m

O:

Schrifthöhe

70 m,

Breite

40 m,

Schriftstärke

9 m

T:

Schrifthöhe

70 m,

Breite

40 m,

Schriftstärke

9 m

T:

Schrifthöhe

70 m,

Breite

40 m,

Schriftstärke

9 m

Gesamte Länge 163 m (11.410 m2)

Finanzierung durch den „Nordhessischen Kultursommer 1994“

Am 20. April 1994 wird der Ackerboden vorbereitet und „GOTT“ gesät.

PENG! der Urknall: Im Sommer blühen tausende Sonnen, zwischen denen Vogelschwärme flattern. In warmen Nächten lege ich mich mit meinem Schlafsack in „GOTT“es O, Bodo bewacht mich. Es raschelt, Bodo knurrt, Rehe treten aus dem Schatten ins Mondlicht.

„GOTT“ vom Flugzeug aus gesehen

Ein Leserbrief:

„Was sollte eigentlich diese Feldplastik, aus Sonnenblumen den

Namen „GOTT“ zur konstruieren?

Für mich ist „GOTT“ ein Sack mit heißer Luft …“

(Infotip Kassel, 07/94, S. 6)

Einladung zu einem Informationsflug über „GOTT“ an den Erzbischof von Fulda und den evangelischen Bischof von Hessen.

Die Antwort aus Fulda: „… Ihr Schreiben vom 12. Juli 1994 hat Herr Erzbischof zur Kenntnis genommen und lässt Sie grüßen. Ein Informationsflug im Rahmen der Feldaktion, Gott vom Himmel aus gesehen„ – kommt für Herrn Erzbischof nicht in