Die Kreuzfahrer - milites diaboli - Jens - Uwe Nebauer - E-Book

Die Kreuzfahrer - milites diaboli E-Book

Jens - Uwe Nebauer

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Beschreibung

Im ausgehenden 11. Jahrhundert wird der junge Ritter Gerold von Falkenburg tief in die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Urban II. und in die Fehden der sächsischen und thüringischen Adeligen verstrickt. Durch seinen Sieg über den Markgrafen von Meißen in einem tödlichen Zweikampf erweist Gerold der kaiserlichen Sache einen großen Dienst, doch ungeachtet seines dadurch errungenen Ruhmes bleibt seine, gegen alle Vernunft begonnene Liaison, mit der bereits einem anderen Mann versprochenen Mathilde von Konradsburg ohne Erfüllung. Nachdem Gerolds Brüder einem heimtückischen Mordanschlag zum Opfer gefallen sind, dem er selbst nur durch eine glückliche Fügung entgeht, folgt der letzte Falkenburger mit den wenigen ihm noch verbliebenen Getreuen dem Aufruf des Papstes zur Befreiung des Heiligen Grabes in Jerusalem. Mit dem Heer Gottfrieds von Bouillon erreichen die Falkenburger nach monatelangen Märschen die Kaiserstadt Konstantinopel, wo sie im Frühjahr 1097 von der byzantinischen Flotte nach Kleinasien übergesetzt werden. Voller Siegeszuversicht ziehen die Kreuzfahrer einem ungewissen Schicksal entgegen.

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Der Autor

Jens - Uwe Nebauer wurde am 5. Juni, dem Pfingstsonntag des Jahres 1960, in Magdeburg geboren.

Nach erfolgreich bestandenem Abitur studierte er an der Technischen Hochschule „Otto von Guericke“ Magdeburg. Als Diplomingenieurökonom arbeitete er dann jahrelang im Anlagenbau und in anderen Berufen.

Der Autor interessiert sich seit seiner Kindheit für Geschichte. Der Besuch von Burgen, Schlössern und Museen mit seinen ebenfalls geschichtsinteressierten Eltern weckte in ihm schon früh diese Vorliebe. Später spezialisierte er sich auf das europäische Mittelalter und die Zeit der römischen Antike.

Seine Kreativität hat er bereits im Kindergarten entdeckt, denn da er während des verordneten Mittagsschlafes nie müde genug war, um einschlafen zu können, begann er damit sich die Langeweile durch das fantasievolle Erfinden und „Sich-selbst-erzählen“ von kleinen oder größeren Geschichten zu vertreiben.

Später ging er dann dazu über seine Interessen beim Schreiben zu verarbeiten und verfasste u. a. die historische Romane „Der Ritter von Falkenfels“, „Der Burgwart von Bodfeld“ und „Der Paladin“.

Die Kreuzfahrer

milites diaboli

von

Jens – Uwe Nebauer

Meinen Enkeln Lena und Ole Frederik gewidmet

© 2019 Jens – Uwe Nebauer

Umschlaggestaltung: Nebauer

ISBN

 

Paperback

978-3-347-11708-2

Hardcover

978-3-347-11709-9

e-Book

978-3-347-11710-5

Druck und Verlag:

tredition GmbH, Halenreie 40 - 44, 22359 Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Weihnachtsnacht

Jungfrau im Verließ

Fallendes Messer

Ein Wort, ist ein Wort

Hunde, die bellen

Hoffen und Harren

Wie die Hühner im Stall

Deus le volt

Krieger Christi

Goldene Stadt, so reich, so schön

Verzeichnis der wichtigsten Personen

Worterklärungen

Weihnachtsnacht

Julmond 1089

Der stürmisch von Westen wehende Wind heulte wie tausend aus der Hölle entwichene Verdammte. Schneeschwere Wolken eilten über den nachtschwarzen Himmel und verdunkelten das silberne Rund des Mondes.

Der auf dem südlichen Wehrgang der Burg Gleichen stehende, hünenhafte Mann zog den Mantel aus grob zusammengenähten Schaffellen enger um seine Schultern. Die heftigen Böen, mit denen ihn der Sturm in kurzen Abständen überfiel, trafen sein ungeschütztes Gesicht wie mit Peitschenschlägen und zerrten an seinen tiefschwarzen Haaren, die lediglich von einem fleckigen Lederstirnband zusammengehalten wurden.

Die Kleidung, die der einsame Wächter unter seinem Umhang trug war ebenso anspruchslos wie sein Mantel. Sie bestand aus einem abgeschabten, ledernen Wams, Hosen aus brauner Wolle und derben Schuhen, deren lange Riemen kreuzweise um die Waden geschlungen waren. In seiner unbehandschuhten Rechten hielt er den Schaft eines kräftigen, mit breiter, eiserner Spitze versehenen Spießes fest umschlossen. Eine Streitaxt mit langem Stiel und ungefügem Blatt steckte in seinem Gürtel.

Der Hüne beugte sich über die Mauer und schaute nach unten, wo rings um den Fuß des Burgberges herum Dutzende von winzigen Lichtpunkten glimmten - die Lagerfeuer der Kaiserlichen.

Seit vier Monaten wurden die Veste nun schon von den Anhängern des gebannten Königs Heinrich belagert. Ungeachtet der unwirtlichen Jahreszeit hatte der gottlose, mit vielfältigen Sünden beladene Salier seine Heerscharen zur Eroberung der Burg Gleichen ausgesandt, um den stärksten Stützpunkt seines Widersachers Ekbert von Meißen in die Hand zu bekommen, solange dieser noch im Norden, zwischen Saale und Harz, den Grafen Wiprecht von Groitzsch, für dessen Treue zum König zu züchtigen suchte.

Aus der Dunkelheit die über dem Wehrgang lag trat ein Mann in einem, mit eisernen Schuppen besetzten Lederpanzer, zu dem Wächter im Schafspelz.

„Na Aribo, alles ruhig?“

„Alles ruhig, Herr Kastellan.“

„Wird nicht so bleiben“, brummte der Gepanzerte und rieb sich gedankenvoll das stoppelbärtige Kinn. „Spätestens in zwei, drei Tagen werden sie stürmen.“

„Sollen sie kommen!“ Der Großgewachsene lachte dröhnend. „Wir werden ihnen schon tüchtig auf die hohlen Nussschalen hauen!“

Der Kastellan schaute zu dem links von ihm in den Nachthimmel aufragenden, viereckigen Burgturm hinüber, dessen schmale Scharten von einem matten Lichtschein erhellt wurden. „Das werden wir“, erwiderte er ruhig, „aber wir wollen dabei niemals vergessen, dass es Christenmenschen sind, gegen die wir die Waffen erheben.“

Der Hüne Aribo antwortete nicht. Für ihn war es nichts Neues, das er seine Waffen gegen Christen erhob. Im Gegenteil. Von einem kurzen Geplänkel gegen die Wenden abgesehen, gegen die er mit dem alten Grafen von Stade gezogen war, hatte er sein Lebtag lang nur gegen Christen gekämpft und nicht wenige von ihnen niedergestreckt. Das war vielleicht nicht wahrhaft christlich gehandelt, jedoch - so wie die Dinge in dieser Welt nun einmal lagen - unumgänglich. Solange ein Anhänger Jesu nach getaner Arbeit nicht vergaß zur Beichte zu gehen und seine Taten zu bereuen, war auch das Seelenheil nicht in Gefahr. So jedenfalls behaupteten es die Pfaffen, und die mussten es ja schließlich wissen.

Und was nun die Männer dort am Fuße des Burgberges anging, von deren Christlichkeit hatte Aribo ohnehin keine besonders hohe Meinung. Schließlich folgten sie einem gebannten König, dessen Ungehorsam gegenüber der heiligen Mutter Kirche, der Christenheit ebenso zur Schande gereichte wie seine Lüsternheit und seine abgrundtiefe Verderbtheit.

Heriman, der Kastellan, blieb noch einige Augenblicke stehen, dann nickte er dem Großgewachsenen zu, verließ den Wehrgang und schritt quer über den grasbewachsenen Burghof zu dem auf der Ostseite der Burg erbauten Torturm, der auf beiden Seiten von Wohngebäuden flankiert wurde. Dort verschwand er im Dunkel des Torganges.

„Viel zu weich, Ihr seid viel zu weich, Herr Kastellan“, brummte der Hüne. „Ein guter Mann, zweifellos, und ein großer Krieger, aber viel zu weich und viel zu fromm.“ Er schüttelte den Kopf und richtete seinen Blick wieder auf den westlich der Burg emporsteigenden Kaffberg, an dessen südlicher Flanke sich die Zelte der Belagerer wie eine Herde von Schafen drängten. „Diese da, diese dreimal verfluchten Salierknechte, die haben keine solchen Gewissensbisse. Die denken keinen Wimpernschlag lang an ein gutchristliches Schaftum, wenn sie dir ihre Schwerter in die Eingeweide bohren.“ Wütend stieß er den Schaft seines Spießes auf den steinernen Boden des Wehrgangs, dass es laut widerhallte. „Möge Allvater sie dafür strafen!“

*

Zur selben Stunde saßen in einem der Zelte der Kaiserlichen sechs Männer an einem wackligen Tisch und gaben sich - der feuchten Kälte, die in den Planen nistete, zum Trotz - mit Leidenschaft dem Würfelspiel hin.

Zwischen dem Tisch und den mit Fellen bedeckten Strohsäcken der Brüder Gottfried und Gunthard von Falkenburg, die im hinteren Teil der zugigen, klammen Feldunterkunft lagen, hing an einem eisernen Dreibein ein rußgeschwärzter Kupferkessel über einem knisternden Feuer, dem der verführerische Duft von heißem, mit Honig und würzigen Kräutern versetztem Wein entstieg.

Ein immerhin noch zu beinahe Dreivierteln gefülltes Fass des zwar sauren, aber doch trinkbaren Tropfens hatten die Brüder bei ihrem letzten Beutezug aus dem Keller eines Pfarrhauses mitgehen lassen, ungeachtet der heftigen Proteste seines früheren Besitzers. Da die Gegend um die Burg Gleichen von dem unersättlichen Heer der Belagerer bereits bis zur Gänze ausgesogen worden war, hatten sie für diesen seltenen Fang schon bis an den Rand des im Süden emporwachsenden Waldgebirges reiten müssen, was aber ihrer Freude über die gewonnene Beute keinen Abbruch tat.

„Was denkt ihr? Wann wird der Kaiser stürmen lassen?“, warf ein kleingewachsener Mann mit zotteligem Bart und kleinen, in Fettpolstern schwimmenden Kugelaugen in die Runde, während er den Würfelbecher schüttelte.

„Hast wohl Angst, Rudolf, dass du es die Leiter nicht hinauf schaffst“, spöttelte Gunthard von Falkenburg, ein drahtiger Aschblonder, der seinem noch spärlichen Bartwuchs zufolge, bestenfalls Anfang der Zwanzig sein mochte und schon etwas angetrunken war. „So eine Mauer besteigt sich viel weniger einfach als das fette Trossweib, hinter dem du seit Beginn der Belagerung her schnüffelst.“

Mit einer heftigen Bewegung knallte der Rudolf genannte Mann den Becher auf den Tisch. „Was weißt du Naseweis schon vom Besteigen einer Burgmauer, geschweige denn von dem eines lüsternen Weibes! Riech du erst mal überall dahin, wo ich schon hingefurzt habe, bevor du dich mit Erwachsenen anlegst, kleiner Falkenburger.“

Er hob den Becher und seine Augen funkelten in hämischer Freude. „Einmal die Fünf, einmal die Sechs! Macht zusammen elf“, lachte er und strich die auf dem Tisch liegenden Münzen mit einer schnellen Handbewegung ein.

Sie spielten „Doppelte Sechs mit Glück“, eine vereinfachte Abart der bekannten Zwölferjagd, ein Spiel, bei dem man der hohen Einsätze wegen, schnell eine beachtliche Summe verlieren konnte, wenn man nicht höllisch aufpasste.

Gunthard ärgerte der erneute Verlust des Geldes sichtlich und er legte nach: „Wie viel musst du deinem schwabbligem Trampel eigentlich dafür bezahlen, dass sie dich auf sich erträgt und dich nicht so abwirft, wie neulich dein alter Klappergaul!“

„Das „neulich“ ist bereits mehr als zwei Jahre her und lag nur daran, dass den Braunen eine Bremse gestochen hat“, entgegnete Rudolf, der seiner geringen Größe wegen von den anderen meist „Winzling“ oder auch „Winzel“ genannt wurde. „Und was die Bertha, meine kleine, griffige Metze angeht, so kann ich dir flüstern, dass du froh sein könntest, wenn dich so ein richtiges Weib wie sie, mal ordentlich rannehmen würde, du Milchbart!“

„Seid friedlich, ihr beiden“, erklang es von der hinteren Längsseite des Tisches, an dem Heinrich von Spatenburg, ein Kriegsmann mit blonden, glatten Haaren und grauen Augen, auf einem Schemel hockte. „Unter Nachbarn sollte man sich nicht streiten. Habt ihr übrigens schon gehört, dass man uns in Franken und Schwaben jetzt Ritter nennt?!“

„So so, Ritter also“, wiederholte Gottfried, der ältere Bruder Gunthards, gedehnt. „Ich meine …“

„Uns?“, fiel ihm da der erfolglose Würfelspieler mit schwerer Zunge ins Wort. „Wen meinst du damit, Heinrich?“

„Na uns eben“, entgegnete der Gefragte mit einer alle Insassen des Zeltes umfassenden Geste. „Alle Miles wie mich und Rudolf, dich und Gottfried und wie unsere Vettern Lothar und Dietmar.“ Er wies auf die beiden anderen noch mit am Tisch sitzenden Männer, die sowohl durch ihre roten Haare als auch durch ihre Schweigsamkeit auffielen. „Wir alle, die wir freigeborene, zu Pferde streitende Kriegsleute sind, tragen seid Neuesten die ehrenvolle Bezeichnung „Ritter“.“

„Was Ritter?“, schnauzte Gunthard. „Was wir alle? Wir, die Falkenburger, sind edelfreie, auf unserem eigenen Besitz hausende Herren, und ihr seid nichts weiter als Ministerialen; Dienstleute des Bischofs von Mainz, die eine seiner vielen Burgen verwalten. Ihr seid uns - Ritter hin oder her - niemals ebenbürtig!“

„Und ihr“, fuhr Rudolf von Spatenburg auf, „seid nichts weiter als törichte Schwätzer und Eselsficker!“

Wie von einer Natter gebissen schnellte Gunthard in die Höhe und riss sein Kurzschwert aus der Scheide. „Na warte, du fettes Schwein, dich will ich Mores lehren!“

„Schluss!“, brüllte Gottfried und stieß seinen jüngeren Bruder unsanft auf die Bank zurück. „Seid ihr verrückt geworden? Was soll dieser Unfug! Wenn euch der Wein oder das Würfelspiel zu Kopfe steigen, dann lasst gefälligst die Finger von beidem!“

Die Spatenburger standen auf und sofort erhoben sich auch ihre rothaarigen Vettern Lothar und Dietmar. „Wir gehen“, erklärte Heinrich in eiskaltem Ton. „Aber das lasst euch gesagt sein, die heute ausgesprochenen Beleidigungen werden wir euch niemals vergessen.“

„Dann geht doch“, rief Gunthard den Hinausgehenden mit holpriger Zunge hinterher, „ihr könnt sowieso nichts anderes, als beim Würfeln bescheißen.“

„War das nötig?“, fuhr Gottfried seinen Bruder an, nachdem die anderen Vier das Zelt verlassen hatten „Musstest du uns die Spatenburger mit Macht zu Feinden machen!“

„Ach, die kriegen sich schon wieder ein“, brummte Gunthard und ging schwankend zu seinem Lager. „Und wenn nicht - was schert es mich.“

Er ließ sich schwer auf sein Bärenfell fallen und nur wenig später zeugte ein lautes Schnarchen davon, dass er eingeschlafen war.

*

Der kommende Vormittag fand das Lager der Kaiserlichen in emsiger Bewegung. Bewaffnet und in voller Rüstung kamen die Krieger aus ihren Zelten und sammelten sich am Fuße des Burgberges in mehreren Haufen. Hörner gellten und hell schmetterten Trompeten.

Über den von eisernen Helmen und ledernen Hauben bedeckten Köpfen der Männer schwankten lange Leitern und mit Fellen bezogene Schutzdächer. Speerspitzen blitzten und die metallischen Beschläge an den Schilden und Schwertscheiden flimmerten. Farbige Wimpel hingen träge an den Lanzenschäften herab.

Eine Gruppe von zwanzig Fußknechten schleppte einen dicken, grob angespitzten Baumstamm heran, der als Rammbock zum Eindrücken des Burgtores verwendet werden sollte.

Da der Burgberg im Süden und Westen vom Wasser eines großen Sees umspült wurde, ordneten der Kaiser und seine Bischöfe das Heer auf dem freien Feld nördlich der Veste. Sobald die erste Kolonne bereit war, setzte sie sich in Marsch und stieg den schmalen Burgstieg hinauf. Ein zweiter Haufen von wenigstens vierhundert Kriegern, der sich wie der Erste aus Bogenschützen, Fußkriegern und abgesessenen Reitern zusammensetzte, folgte in geringem Abstand, ein Dritter blieb am Fuße des Burgbergs als Reserve zurück. Eine Truppe von Leichtbewaffneten kletterte unterdessen den abschüssigen Berghang im Osten hinauf.

Gottfried und Gunthard von Falkenburg waren dem Banner des Bischofs Liemar von Bremen zugeteilt, das an der Spitze der zweiten Sturmkolonne mit dem Aufstieg begann. Die Brüder trugen spitzkeglige Helme mit breiter Nasenschiene und mit eisernen Plättchen und großen Nieten verstärkte Rindslederpanzer. An ihren Gürteln hing neben dem langen - „Spatha“ genannten - Schlachtschwert, auch der kurze Sax, die berüchtigte Waffe, die dem Stamm der Sachsen seinen Namen gegeben hatte. Über den linken Arm gezogen, trugen sie die blattförmigen, normannischen Schilde, die mit einem Geflecht aus breiten Lederriemen bespannt waren.

Nur wenige Schritte hinter den beiden liefen die Spatenburger, die ihre Nachbarn mit verächtlichen Blicken und eisigem Schweigen bedachten, als diese ihnen die Tageszeit boten.

Der Aufstieg brachte die gerüsteten Männer trotz der kalten Novemberluft ordentlich ins Schwitzen. Rudolf, der dicke Winzel, keuchte und schnaufte wie ein Schmiedeblasebalg und auch der Bischof von Bremen, der den Haufen anführte, rang schwer nach Luft und musste einige Male erschöpft innehalten.

Als sie sich den Mauern der Burg bis auf Bogenschussweite näherten, ließ der Kirchenfürst die Männer nach links ausschwärmen und sich in langen Reihen auf der abschüssigen Bergflanke verteilen.

Mit in den Nacken gelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen betrachtete Gottfried von Falkenburg die dicht besetzten Wehrgänge über ihnen. Auch die Mienen seines Bruders und der ihnen folgenden Knechte, die eine Sturmleiter trugen, sahen bedenklich aus.

Doch zum Glück ließen ihnen die Anführer keine lange Zeit zum Überlegen. Ein dumpfer, an den Wutschrei eines urzeitlichen Tieres gemahnender Hornruf gellte auf.

„Vorwärts, zum Angriff! Mit Gott und für unseren Kaiser Heinrich“, rief Liemar, der Bischof, mit Donnerstimme und schwang kampfeslustig seine Streitaxt.

Die Kaiserlichen stürmten mit lautem Geschrei, ihre Wimpel und Banner hoch erhoben, vorwärts. Als die Spitze der ersten Sturmschar den Rand des Halsgrabens vor dem Burgtor erreichte, ließen die Verteidiger ihre Bogensehnen sirren und warfen die ersten Speere.

Unbeirrt von dem heftigen Geschosshagel warfen die Angreifer eine Behelfsbrücke über den Graben und von zwei großen Schutzdächern beschirmt, schleppten die dafür ausgewählten Männer den Rammbaum heran und begannen, ihn gegen das Tor donnern zu lassen.

In dem Augenblick, in dem das Angriffssignal gegeben wurde, hatte Gottfried von Falkenburg sein Schwert aus der Scheide gezogen und es hoch über den Kopf erhoben. „Also dann, Männer, auf geht’s. Für den Kaiser, für das Reich! Mir nach!“

Mit klopfenden Herzen hasteten die Männer den kahlen Berghang hinauf. Tief unter ihre Schilde geduckt, den Blick auf die Spitzen ihrer Stiefel und den rötlichbraunen Boden gerichtet, unterliefen die Kaiserlichen den dichten, von der Mauer herabstürzenden Pfeilregen der Burgmannen. Einer der Pfeile zischte links an Gottfried vorbei, ein anderer schlug mit dumpfem Knall in seinen Schild ein. Neben ihm stieß ein Fußknecht einen kurzen Schmerzensschrei aus, richtete sich auf, drehte sich um die eigene Achse und rollte den Hang hinab.

Dann hatten sie den Fuß der Mauer erreicht.

„Die Leiter her!“, schrie Gottfried und winkte den Knechten, die sich unter der Last des klobigen Steiggeräts mühselig den steilen Burgberg herauf kämpften, mit der blanken Klinge ungeduldig zu. Sobald die Männer nahe genug herangekommen waren, ließen sie die Sturmleiter mit dem vorderen Ende gegen die Mauer fallen und schoben sie ruckweise höher. Zwei besonders kräftige Burschen standen unter der Leiter und griffen mit einer Stange, an deren Spitze eine zweizinkige Gabel saß, in die Sprossen, um sie im Takt der Schübe nach oben zu drücken. Einige Schritte zurück hatte eine Handvoll Bogenschützen Aufstellung genommen, die versuchten, die Verteidiger auf dem Wehrgang mit ihren Pfeilen in Deckung zu zwingen.

Als das obere Ende der Sturmleiter die Mauerkrone erreicht hatte, stießen die Männer ein wildes Triumphgeheul aus. Mit einem Satz sprang Gottfried auf die Leiter, doch er hatte seinen Fuß kaum auf die erste Sprosse gesetzt, als ein Stein von der Größe eines kleinen Kürbisses seinen über den Kopf gehobenen Schild traf und ihn zurücktaumeln ließ. Sofort wurde seine Stelle von einem der Knechte eingenommen, der es immerhin bis zur halben Höhe der Mauer schaffte, ehe er, von einem Schwall kochend heißen Wassers verbrüht, wieder zur Erde fiel.

Inzwischen setzten die Kaiserlichen überall an der Mauer die Sturmleitern an und begannen, sie zu erklettern. Die Verteidiger warfen Steine und mit eisernen Spitzen gespickte Balken auf sie herab, und als die Köpfe der ersten Angreifer über dem Mauerkranz auftauchten, wurden sie mit heftigen Hieben von Schwertern, Äxten und Keulen empfangen.

Schon bald krümmten sich Dutzende von Getroffenen am Fuße der Mauern. Der Tag war von wildem Kampfgeschrei, von gellenden Schmerzensrufen und leisem Wimmern, vom Lärm der Waffen und dem Klang der Hörner und Trompeten erfüllt.

Nachdem sich Gottfried von Falkenburg von dem Treffer erholt hatte, stieg er zornig wieder auf die Leiter; unmittelbar gefolgt von seinem Bruder Gunthard. Diesmal kam der Miles fast unbehelligt bis unter den Rand des Wehrganges.

Der Blick seiner leicht zusammengekniffenen Augen war fest auf den über ihm lauernden Burgmann gerichtet, der seine mit eisernen Stacheln gespickte Keule über dem Kopf schwang. Als die gefährliche Waffe auf ihn niederzuckte, bog sich Gottfried zur Seite und entging dem verheerenden Hieb um Haaresbreite. Noch im selben Augenblick schnellte er vor und stieß dem Gegner die Spitze seines Schwertes in den Bauch.

Während der Getroffene seine Keule fallenließ und sich laut schreiend seine Hände auf die heftig blutende Wunde presste, erfasste der Falkenburger mit einem Gefühl des Triumphes den Rand der Mauerkrone, um sich mit einem Satz auf den Wehrgang zu schwingen.

Ein wilder Urschrei drang an Gottfrieds Ohren, noch ehe er den von rechts wie ein Sturmwind heranstürmenden, hünenhaften Krieger sah. Mit einer Streitaxt - die ihrem Aussehen nach auch die Waffe eines Riesen hätte sein können - drosch der wild ausschauende Recke auf den erbleichenden Falkenburger ein. Obwohl Gottfried den Hieb mit seinem Schild auffangen konnte, war die Gewalt des Schlages so groß, dass seine Fußspitzen von der Sprosse glitten und er bäuchlings an der Leiter hinabzurutschen begann. Sein unter ihm ausharrender Bruder konnte den plötzlichen Fall nicht aufhalten, und wie zwei Hafersäcke auf einer Rutsche sausten die beiden abwärts.

Zu ihrem Glück bewahrten die am Fuße der Leiter stehenden Männer ihre Geistesgegenwart und bremsten den Sturz der beiden Gewappneten mit ihren hochgehaltenen Schilden, doch der Aufprall war so stark, dass alle gemeinsam in einem Knäuel von Menschenleibern den Berghang hinunter kollerten.

Aribo, der Hüne, schickte ihnen ein dröhnendes Lachen hinterher und unbekümmert um die an ihm vorbei zischenden Pfeile, beugte er sich weit über den Mauerrand und zerschlug die Leiter der Falkenburger mit zermalmenden Hieben. Dann setzte er seinen Weg entlang des Wehrganges fort und überall dort, wo sein starker Arm benötigt wurde, fegte er die Kaiserlichen mit scheinbarer Leichtigkeit von den Leitern.

Mit schweren Prellungen und Beulen versehen, aber ohne ernsthaftere Verletzungen, traten die Falkenburger den Rückzug an. Als sie eine gute Stunde später vor ihrem Zelt saßen und sich von Hademar, ihrem Heilkundigen, die blauen Flecken mit übelriechenden Salben einstreichen ließen, kam der zwar noch gerüstete, aber offensichtlich völlig unversehrt aus dem Kampf zurückgekehrte Rudolf von Spatenburg lässig und wie von ungefähr herangeschlendert. Er pfiff ein munteres Liedchen und auf seinem runden Gesicht lag ein hämisches Grinsen. Als der Spatenburger, ohne sie eines Blickes zu würdigen, an den Sitzenden vorüberging, brummte er leise, aber doch hörbar: „Hochmut kommt vor dem Fall, ihr Gimpel. Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden!“

Die Hand Gunthards zuckte zur linken Hüfte, doch da er sein Wehrgehänge nach seiner Rückkehr ins Lager - gemeinsam mit dem Helm und der Rüstung - abgelegt hatte, musste er sich zähneknirschend damit begnügen, dem Frechling ein paar deftige Beschimpfungen nachzurufen.

*

Nach dem gescheiterten Angriff gab Kaiser Heinrich die Hoffnung, die Burg im Sturm nehmen zu können, auf und verlegte sich wieder auf die Belagerung.

Die Stimmung seiner Krieger verschlechterte sich mit jedem Tag, der in der tristen Herbstwitterung versank, was zu einer spürbaren Zunahme von Zuchtlosigkeiten und Gehorsamsverweigerungen, führte. Auch die Fälle von Fahnenflucht, begannen besorgniserregende Ausmaße anzunehmen. Unter dem Eindruck der abfallenden Moral und in der Gewissheit, dass sich der Widersacher Ekbert weit im Norden befand, entließ der Salier zur Adventszeit einen Teil seines Heeres in einen auf drei Wochen bemessenen Urlaub. Sollten die Männer das Weihnachtsfest ruhig daheim auf ihren Burgen und in ihren Höfen feiern und neue Kräfte sammeln.

Um die Dagebliebenen - zu denen auch die Falkenburger und die Spatenburger gehörten - bei Laune zu halten, wurden auf Befehl des Kaisers aus den letzten noch vorhandenen Vorräten größere Mengen an Fleisch, Brot und Wein an das ausharrende Kriegsvolk ausgeteilt.

Am Nachmittag vor der Heiligen Nacht versammelte sich das Heer auf dem freien Feld bei Wandersleben, und die Bischöfe hielten die Vorabendmesse ab, die diesmal kürzer ausfiel als üblich. Danach verkrochen sich die Kaiserlichen wieder in ihren Zelten und trösteten sich mit warmem Gewürzwein.

Der Wein und das am Bratspieß brutzelnde Fleisch bereiteten Gottfried von Falkenburg weit weniger Freude als seinem jüngeren Bruder und den noch treu und ohne zu murren bei ihnen ausharrenden Gefolgsleuten. Die Knechte ließen sich nach dem Festmahl in atemberaubender Schnelligkeit volllaufen und schliefen nun, unter ihren Decken und Fellen versteckt, den Schlaf der Gerechten.

Dabei war auch der Erstgeborene der drei Söhne des vor zwei Jahren an den Folgen einer Jagdverletzung dahingeschiedenen Gernots von Falkenburg kein Kostverächter, wenngleich er zumeist deutlich weniger trank als sein Bruder Gunthard, der selten maßhalten konnte. Doch heute wollte dem Älteren weder der Trunk noch das Mahl schmecken.

Während Gunthard geräuschvoll schnarchte, saß Gottfried noch kurz vor Mitternacht auf seinem Klappstuhl und wälzte schwere Gedanken. Schon längst war ihm die Lust an dem mit so viel Vorfreude begonnenen Kriegszug vergangen. Unter dem Eindruck der allgemeinen Stimmung wäre der älteste Spross der Falkenburger am liebsten schon am kommenden Morgen den bereits Abgezogenen Richtung Heimat gefolgt, denn er war sich mittlerweile sicher, dass aus diesem Unternehmen nichts Gutes mehr für sie erwachsen konnte.

Mit gefurchter Stirn stand er auf und begann im Zelt hin und her zu wandern, wobei er sich mit der rechten Hand seinen Schildarm massierte, der nach dem fürchterlichen Axthieb des hünenhaften Burgverteidigers immer noch schmerzte.

Von Zeit zu Zeit drangen die Geräusche der Außenwelt bruchstückhaft durch die feuchten Wände des Zeltes. Ein Kauz schrie, ein Hund kläffte, bis er von seinem Herrn zur Ruhe gebracht wurde, eine weibliche Stimme verlangte keifend nach ihrem Lohn.

Plötzlich hob Gottfried den Kopf und lauschte. Ein leises, unbestimmtes Grummeln war an seine Ohren gedrungen, das schnell lauter und lauter wurde und sich mit dem Näherkommen zu einem hundertfachen Stampfen und Trommeln wandelte.

Wie von einer Ratte gebissen schnellte Gottfried in die Höhe. „Gunthard“, schrie er mit sich überschlagender Stimme, „hoch mit dir! Ein Nachtangriff der Meißner!“

Der erste schrille Alarmschrei eines der kaiserlichen Wachposten gellte durch die Nacht, unmittelbar gefolgt von einem aus Hunderten Kehlen geschmetterten Schlachtruf der nächtlichen Angreifer: „Hie Meißen!“

Die Brüder warfen sich in aller Eile die Schuppenpanzer über und setzten die Helme auf, dann rissen sie die Schwerter aus den Scheiden und liefen aus dem Zelt.

Die Lagergassen waren vom Licht dutzender Fackeln erfüllt, die von dunklen, an Kentauren erinnernden Wesen geschwungen wurden. Stahl von Schwertern und Speerspitzen blinkte.

Von einem Augenblick zum anderen erwachte in den Zelten und Hütten der Kaiserlichen das Leben. Ungerüstet, oft nur im Hemd und der Bruch, stürzten die Überraschten ins Freie, wo sie bereits von gnadenlos dreinschlagenden Reitern erwartet wurden.

Ein wüstes Gemetzel hob an.

Schreie ertönten, Pferdehufe trommelten, Trompetenrufe und Hörnergeschmetter vermischen sich mit den Flüchen und dem Wutgeheul der Überfallenen.

In wilder Hast rannte, eilte, sprang alles durcheinander; Schatten ballten sich zu dunklen Klumpen, fuhren wieder auseinander.

„Schlagt drein“, erscholl eine dröhnende Stimme, „tötet die Hunde!“

„Reißt die Zelte nieder, steckt sie in Brand!“, schrie es an anderer Stelle.

Zeltstangen krachten und brachen, Leinwand zerriss und fing, wenn auch nur mühsam, Feuer, ätzender Brandgeruch breitete sich aus.

„Die machen uns nieder“, schrie Gottfried und wich mit Mühe dem Speerstoß eines vorbei sprengenden Meißners aus. „Wir müssen hier weg!“

„Und alles hier lassen?“, versetzte sein Bruder zweifelnd.

„Wir haben keine Zeit zum Packen“, zischte der Ältere heftig. „Jetzt geht’s ums nackte Leben!“

„Ihr Herren, was sollen wir tun?“

Ruodlieb, der älteste der Falkenburger Knechte, ungerüstet und mit den gleichen Anzeichen des Entsetzens im Gesicht, wie Hunderte andere Kaiserliche zu dieser Stunde auch, drängte sich zu den Brüdern.

„Abhauen! Jeder für sich“, befahl Gottfried. „Wer’s kann, der schlägt sich nach Hause durch.“

Die Brüder liefen zur Rückseite ihres Zeltes, wo die Pferde, die unter einem aus Stangen und Zweigen behelfsmäßig errichteten Dach standen, unruhig mit den Hufen stampften und die Köpfe warfen. Ohne sie zu satteln oder zu zäumen schwangen sich die beiden auf die Rücken der Tiere, durchtrennten die Halteseile mit ihren Schwertern und schlugen ihnen die Fersen in die Weichen.

„Gebe Gott, dass wir irgendwie durchschlüpfen“, rief Gottfried, während er sich mit der Linken an der Mähne seines braunen Hengstes festkrallte, „die Hunde wollen uns nicht ungeschoren davonkommen lassen.“

Wie zur unwillkommenen Bestätigung seiner Worte fiel, kaum dass sie die Lagergasse erreicht hatten, eine Schar von fünf Reitern über sie her. Die Falkenburger konnten von Glück reden, dass sie ihre Panzer und Helme angelegt hatten, sonst wären sie dem Hagel der auf sie niederprasselnden Schläge innerhalb weniger Augenblicke zum Opfer gefallen. So blieben die meisten der Hiebe ihrer Gegner wirkungslos und die beiden konnten sich der heftigen Angriffe der Meißner nicht nur erfolgreich erwehren, sondern Gottfried gelang es sogar, einen der Angreifer aus dem Sattel zu hauen.

Als er die dadurch entstandene, winzige Atempause nutzte, um sich nach einem Fluchtweg umzusehen, bemerkte er, dass die Spatenburger nur wenige Klafter von ihnen entfernt auf ihren Gäulen saßen und sich von ihren Knechten ihre prall gefüllten Mantelsäcke hinaufreichen ließen.

„Helft uns“, brüllte Gottfried, zwischen zwei parierten Schlägen, doch die Spatenburger und ihre Vettern wandten sich kaltblütig ab und gaben Fersengeld. Schnell waren sie in der Dunkelheit verschwunden.

„Diese Schweine“, röchelte Gunthard mit zugeschnürter Kehle, „diese dreckigen, feigen Schweine!“

Von einer fürchterlichen Wut beseelt, hieb er einem der markgräflichen Reiter die Klinge so heftig über den Kopf, dass sie tief in die Stirn drang und den Schädel bis zur Nasenwurzel spaltete.

Dieser Schlag entschied den Kampf zugunsten der Falkenburger. Die drei übriggebliebenen Meißner sahen wenig Sinn darin, sich noch weiter mit den beiden Gewappneten herumzuschlagen und ließen von ihnen ab, um sich leichtere Gegner zu suchen oder um sich an der nun einsetzenden Plünderung des eroberten Lagers zu beteiligen.

„Und jetzt nichts wie weg hier“, stieß Gottfried erleichtert hervor, nachdem sich die Meißner davongemacht hatten. Er hieb seinem Braunen die flache Klinge über den Oberschenkel und in wildem Galopp gelangten die Brüder unbehelligt bis zum Rand des Lagers und weiter hinaus aufs freie Feld, wo sie im Schutze der Nacht und des plötzlich einsetzenden Schneefalls untertauchten.

*

Kaiser Heinrich entrann seinen Feinden nur dank der schnellen Beine seines Rosses und der Unerschrockenheit seiner Leibwache, die ihm den Fluchtweg freikämpfte. Die Bischöfe, die ihm in diesem Kampf treu zur Seite gestanden hatten, waren weniger vom Glück gesegnet. Erzbischof Siegwin von Köln zerschmetterte vor seinem Zelt die Streitaxt eines Reiters den Schädel, die Bischöfe Burkhard von Lausanne und Otto von Regensburg gerieten auf ihrer Flucht in Richtung des Dorfes Mühlberg in einen Haufen feindlicher Spießknechte und wurden, da man sie ihrer unvollständigen Kleidung halber nicht erkannte, von den Pferden gestochen. Nur Liemar, der Bischof von Bremen, konnte sein Leben retten. Er fiel den Markgräflichen leicht verwundet in die Hände und durfte hoffen, gegen ein erkleckliches Lösegeld schon bald wieder freigelassen zu werden.

Das Belagerungsheer des Saliers hatte sich in alle Winde zerstreut. Mehr als zweihundert Gefallene und Verwundete blieben am Fuße der Burg Gleichen zurück, und der größte Teil der im Schlaf Überfallenen war in die Gefangenschaft der Meißner geraten.

Markgraf Ekbert, der strahlende Sieger, der schöne, blonde, reckenhafte Abgott der Weiber und Jungfrauen, hielt triumphierend vor dem leeren Zelt des geflohenen Kaisers inne. In diesem Augenblick wähnte sich der ehrgeizige Mann dem Ziel seiner Träume zum Greifen nahe, und sah die Krone des deutschen Königs - für die er seinen, dem Kaiser geschworenen Eid gebrochen hatte - schon über seinem Haupte schweben. Eine kleine Anstrengung noch und er würde endlich den Thron des von Gott verfluchten Saliers einnehmen können!

Und dann würden die Großen des Reiches ihre Knie vor ihm, dem Markgrafen, beugen müssen.

*

Der wolkenverhangene Himmel und der dichte Schneefall ließen die Dunkelheit für Menschenaugen so undurchdringlich erscheinen, dass es fast ausschließlich dem Instinkt ihrer Pferde zu verdankten war, dass Gottfried und Gunthard bei Anbruch des Tages schon einige Meilen zwischen sich und die Stätte des Unglücks gelegt hatten.

Sobald es hell genug wurde, um Weg und Steg zu erkennen, schlichen sich die Falkenburger - alle Ortschaften meidend - auf holprigen Wegen und schmalen Pfaden verstohlen in Richtung Norden.

Eine gute Stunde nach Sonnenuntergang trafen sie bei einer einsam gelegenen Wassermühle auf eine kleine Schar von versprengten Kriegern des geschlagenen kaiserlichen Heeres. Die fünf Männer stammten von der Burg Osterode am Harzgebirge und da es in diesen Zeiten besser war in einer größeren Gruppe zu reiten, beschlossen die Flüchtigen nach kurzer Beratung, ihren Weg in die Heimat gemeinsam fortzusetzen.

Nachdem sie am Nachmittag die mit dichtem Laubwald bedeckte Fahnersche Höhe überquert hatten, erreichten die sieben Männer gegen Abend die im flachen Land liegende Ortschaft Tennstedt. Da ihnen der Hunger spürbar in den Gedärmen wühlte, drangen sie kurz entschlossen in einen am Rande des Dorfes gelegenen Bauernhof ein und erzwangen sich mit blanker Klinge Abendmahl und Nachtlager.

Am nächsten Morgen brachen sie schon früh wieder auf und so tauchten bereits zur Mittagszeit die sanft aus der Ebene emporsteigenden Höhen der Hainleite vor ihnen auf.

Nur einen Bogenschuss voraus zweigte von der zum Sonders-hausener Pass führenden Straße, auf der die Flüchtigen die letzten Meilen geritten waren, ein schmalerer Seitenweg ab, auf dem man zu dem tief in die Berge der Hainleite eingekerbten Schneidtal und weiter zum Dorf Haselbusch und zur Falkenburg gelangte.

Gleich hinter der Weggabelung lag ein kleines Gehölz in der kraftlosen Wintersonne, dessen Äste und Zweige von einer Schicht matschigen Schnees bedeckt waren. Als die Falkenburger und ihre Begleiter näher kamen, erblickten sie am Rande des Wäldchens eine Gruppe von vier Berittenen, die sich dort zur Rast niedergelassen hatten.

Sobald er der Rastenden ansichtig wurde, packte Gunthard seinen neben ihm reitenden Bruder am Arm und stieß mit mühsam beherrschter Stimme hervor: „Das sind sie, die Hunde, die Spatenburger!“

Ohne eine Antwort Gottfrieds abzuwarten, trieb der Jüngere sein Pferd an und sprengte auf die Vier zu. Erst kurz vor den Überraschten brachte er seinen Hengst zum Stehen und ließ sich von dessen ungesatteltem Rücken gleiten. Mit einem maskenhaft verzogenen Gesicht, hinter dem ein unbezähmbarer Jähzorn kochte, trat er unter die Spatenburger, und musterte sie mit verächtlichen Blicken.

„Da seid ihr ja, ihr feigen Lumpen“, knirschte er zwischen den heftig mahlenden Zähnen hindurch, „ihr ehrlosen, hundsgemeinen …“

Die Spatenburger standen auf und langten unentschlossen nach ihren Schwertern.

„Was willst du?“, murrte Rudolf von Spatenburg. „Wir haben mit euch nichts zu schaffen, ihr eitlen Gecken.“

Da sprang Gunthard plötzlich vor und streckte den Winzel mit einem krachenden Faustschlag nieder. Die Nase des Ministerialen brach unter dem heftigen Schlag, sein Blut stürzte auf das lederne Wams nieder.

Augenblicklich zog der Bruder des Geschlagenen blank, doch inzwischen hatten Gottfried und die Osteröder den Lagerplatz erreicht und richteten ihre Schwerter auf die zahlenmäßig unterlegenen Spatenburger.

„Dafür werdet ihr bezahlen, ihr selbstgefälliges Pack“, stöhnte Rudolf, die Hand auf die Nase gepresst.

„Von jetzt an herrscht Fehde zwischen uns“, zischte Heinrich von Spatenburg, „und ich sage euch, dass euch diese Stunde noch gereuen wird.“

„Ich zittere schon vor Angst“, höhnte Gunthard und machte eine obszöne Gebärde in Richtung der Spatenburger.

„Lass sie“, meinte sein Bruder, „sie sind es nicht wert.“

Ohne die von nun an mit ihnen verfeindeten Nachbarn noch eines Blickes zu würdigen, wandte er sich an die Osteröder und bat sie, zum Dank für ihren Beistand, für den Abend und die Nacht seine Gäste auf der Falkenburg zu sein.

Die fünf Männer bedankten sich und nahmen die Einladung gern an. Dann kehrten sie den Spatenburgern den Rücken, gaben ihren Pferden die Zügel frei und trabten gemächlich von dannen.

Jungfrau im Verließ

Frühjahr 1090

Gerold von Falkenburg verlangsamte den Lauf seines dunkelbraunen Pferdes und ließ seinen Blick über das vor ihm liegende Gelände schweifen.

Er hatte die kleine, auf einem hell schimmernden Kalkfelsen errichtete Veste Blankenburg hinter sich gelassen und den Fuß des von den Bewohnern der Umgebung noch immer Wotansfelsen genannten Berges erreicht, an den sich die aus einer langen Kette von zackigen Sandsteinklippen bestehende, mit dichtem Strauchwerk bewachsene Teufelsmauer anschloss.

Gleich unterhalb des Wotansfelsens nahm eine von nur wenigen Büschen und vereinzelt stehenden Bäumen bewachsene Heide ihren Anfang, an die sich nach etwas mehr als zwei Meilen eine sumpfige Bruchlandschaft anschloss, die den direkten Weg nach Quedlinburg verstellte. Um die unpassierbaren Sümpfe zu umgehen, schwenkte die sandige, ausgefahrene Straße hier nach links auf ein vorwiegend aus Kiefern und Fichten bestehendes Wäldchen zu, über deren Wipfel sich das dunkle Massiv des Regensteins erhob.

Allerdings hatte der Reiter nicht vor, der Straße bis nach Quedlinburg zu folgen. Er beabsichtigte vielmehr auf einem schmalen Pfad, der sich hart am Fuße der sich über etliche Meilen hinziehenden Teufelsmauer entlang schlängelte, bis zu dem Dorfe Am Tale zu reiten, das in der Nähe des Klosters Wendhusen und am Eingang zum wilden Tal der Bode lag. Von dort aus wollte der junge Mann den Weg einschlagen, der - dem Bodetal aufwärts folgend - zum alten königlichen Jagdhof Siptenfelde führte, wo der Bruder seines verstorbenen Vaters als Vogt amtete, und er sich eines Nachtlagers sicher sein durfte.

Der jüngste der drei Falkenburger Brüder war ein mittelgroßer, schlanker und drahtiger Bursche. Sein schwarzes, in der Mitte gescheiteltes Haar fiel ihm bis zu den breiten Schultern herab. Er hatte ein längliches, noch jungenhaft wirkendes Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer schmalen, leicht gebogenen Nase und hellbraunen Augen, über denen sich ein Paar kräftiger Augenbrauen wölbte.

Die Kleidung des Reiters bestand aus einer hüftlangen Tunika in der Farbe blühenden Rapses, die an den Ärmeln und am Kragen mit schwarzen Aufschlägen abgesetzt war, kastanienbraunen Hosen und Reitstiefeln mit eisernen Sporen.

Am Gürtel trug er ein Schwert mit schmucklosem, scheibenförmigen Knauf und einen drei Spannen langen Dolch, am Sattel waren eine doppelseitige Wurfaxt und ein spitzkegliger Helm mit Nasenschiene befestigt. Über dem Rücken des etwas knochigen Pferdes lag ein nur mäßig gefüllter, mehrfach geflickter Reisesack.

Der Falkenburger war am frühen Morgen von Halberstadt aufgebrochen und zu der unweit der kaiserlichen Jagdpfalz Bodfeld gelegenen - dem Erzengel Michael geweihten - Höhlenkirche geritten, die einst dem frommen Einsiedler Volkmar als Klause gedient hatte. Heuer lebte dort eine kleine Schar von gottesfürchtigen Männern, bei denen Gerold im Auftrage seines ältesten Bruders Gottfried eine Messe für den verstorbenen Vater bestellt hatte.

Ein sanfter Wind strich über die still in der Frühlingssonne daliegende Heide und kühlte das Gesicht des Jünglings. Er berührte mit seinen Sporen die Flanken seines Pferdes, um den Braunen auf den zur Teufelsmauer führenden Pfad zu lenken, als aus dem Saum des links von ihm stehenden Waldes plötzlich ein Reiter hervorbrach, der seinen Schimmel zu schnellstem Galopp anspornte.

An dem langen Kleid und den wehenden, dunkelblonden Haaren erkannte Gerold erstaunt dass im Sattel des kräftig ausgreifenden Pferdes eine Frau saß. Doch noch während er sich darüber wunderte, was die Dame derart zur Eile trieb, brachen aus dem Dickicht drei weitere Reiter hervor, die der Reiterin hinterher jagten.

Die Männer waren bewaffnet und gerüstet wie die Gefolgschaft eines adligen Herrn auf einem Kriegszug und auch wenn Gerold nicht wusste, was die Kerle bewog, die Flüchtende zu verfolgen, so war ihm doch klar, dass sich die Dame in Bedrängnis befand und sein Empfinden als Edelmann verlangte von ihm, dass er ihr Beistand leistete, auch wenn er es dafür mit drei bewaffneten Kerlen aufnehmen mußte.

Nach einem kurzen Zögern, gab Gerold seinem Gaul entschlossen die Sporen und sprengte quer über die Heide auf die blonde Dame und ihre gewappneten Verfolger zu, so dass er ihren Weg kreuzen mußte.

Als er sich der Frau bis auf einige Galoppsprünge genähert hatte, wandte sie ihm ihr Gesicht zu, und in ihrer Miene las Gerold die flehentliche Bitte um Hilfe. Nun sah er auch, dass die Reiterin noch recht jung war, jünger vermutlich als er selbst, der doch auch gerade erst siebzehn Sommer gesehen hatte.

Mit einem kurzen Blick stellte er fest, dass die Entschlossenheit der drei Bewaffneten durch sein Erscheinen nicht im Mindesten erschüttert worden war. Darauf hatte er auch nicht ernsthaft gehofft, denn die Verfolger waren in der Überzahl, bewaffnet und sicher kampferprobt. So blieb ihm, wenn er dem Fräulein helfen wollte, keine andere Wahl, als sich ihren Verfolgern zum Kampf zu stellen.

In dem Augenblick, in dem er dies erkannte, wurde der junge Falkenburger ganz ruhig. Zwar besaß er keine Erfahrung im ernsthaften Kampf, doch die harte Ausbildung, die er durchlaufen hatte, hatte ihn zu einem beachtlichen Streiter gemacht. Bei fast allen der vielfältigen, alltäglich durchgeführten Übungen mit den verschiedenartigsten Waffen konnte er es mit jedem der Knechte auf der heimischen Burg und selbst mit seinen Brüdern aufnehmen. Erst am Tag zuvor hatte er in einen Kampf mit den Übungsschwertern seinen älteren Bruder Gottfried tüchtig in die Enge getrieben. Er war schnell und gewandt wie kein Zweiter und in seinen Hieben lag die Kraft eines Bären.

Doch trotz der recht guten Meinung, die Gerold von seiner Waffengewandtheit hatte, wusste er, dass er einen Kampf mit drei erfahrenen Kriegern gleichzeitig, nur schwerlich bestehen konnte. Er musste also danach trachten, die Zahl seiner Gegner schon vor dem Nahkampf zu verringern. Da er keinen Bogen mit sich führte, griff er nach der Wurfaxt, die an seinem Sattel hing, und zog sie aus der Halterung.

Mit einem energischen Zug an den Zügeln brachte er seinen Hengst zum Stehen, richtete sich auf, holte weit aus und ließ die Wurfaxt fliegen. Die blitzende Waffe beschrieb einen eleganten Bogen, flog auf den Vordersten der Verfolger zu und senkte sich auf ihn herab, noch ehe der Überraschte sich schirmen oder ausweichen konnte. Begleitet von einem lauten Dröhnen schmetterte die Axt zwei Fingerbreit über der Nasenwurzel auf den spitzkegligen Helm des Mannes. Der Getroffene stieß einen Schmerzensschrei aus, dann sackte er in sich zusammen und fiel vom Pferd.

Mit einem Jubelschrei riss Gerold sein Schwert aus der Scheide, gab seinem Hengst die Sporen und sprengte mit hochgeschwungener Klinge auf die beiden übrig gebliebenen Reisigen zu. Die hatten gerade noch so viel Zeit ihre Schwerter zu zücken, bevor der so unerwartet aufgetauchte Angreifer über sie kam.

Dann ging alles sehr schnell.

Gleich mit dem ersten Schlag traf der junge Falkenburger den einen seiner Gegner in der Mitte des Halses und schlitzte ihm die Kehle in voller Breite auf. Noch während der Waffenknecht blutüberströmt aus dem Sattel rutschte, wandte sich Gerold dem letzten Verfolger zu und traktierte ihn mit einem Hagel von Hieben, deren sich dieser nur mit größter Mühe erwehren konnte. Schon nach wenigen Augenblicken erkannte der Mann seine Unterlegenheit, und da er gegen einen Streiter - der bereits zwei seiner Gefährten niedergestreckt hatte - allein nichts ausrichten konnte, riss er seinen Gaul herum und machte sich eiligst davon.

Gerold verfolgte ihn nicht. Er ließ das Schwert sinken und atmete tief durch. Ein Gefühl des Triumphs, gemischt mit einem Schwall nachträglicher Angst, überkam ihn und machte ihn für kurze Zeit zu jeder Bewegung unfähig. Erst als er hinter seinem Rücken das leise Stampfen eines sich langsam nähernden Pferdes hörte, löste sich seine Erstarrung. Er wandte sich um und begegnete einem Blick aus den vor Aufregung funkelnden, Augen der dunkelblonden Reiterin.

Nachdem ihn das adlige Fräulein einige Atemzüge lang neugierig gemustert hatte, verzogen sich ihre vollen, sinnlichen Lippen zu einem schüchternen Lächeln.

„Mein Herr“, sagte sie, während sie sich die schweißnassen Haare aus der Stirn strich, „wer auch immer Ihr seid, Euch hat mir der Himmel geschickt!“

Sie war nicht sehr groß, nur etwas mehr als fünf Fuß, doch von stattlichem Körperbau. Schon nach dem ersten Blick befand Gerold, dass sie eine sehr ansehnliche Person war. Ihre großen, braunen Augen, die kurze, gerade Nase und die hohe Stirn, fügten sich mit der sanft geschwungenen Rundung von Wangen und Kinn in ein harmonisches Ganzes, welches von den lang gewachsenen Haaren trefflich eingerahmt wurde.

Gerold neigte artig das Haupt. „Mein Fräulein, was wollten die Kerle von euch?“

„Wir sind überfallen worden“, sprudelte die Jungfrau hervor. „Ich heiße Mathilde von Konradsburg und war mit Mechthild, der künftigen Gemahlin meines Bruders Otto, von der Heimburg unterwegs nach Quedlinburg, um dort ein paar Sachen für die Hochzeit einzukaufen. Eine gute Meile von hier, auf der Straße nach Westerhusen, überfiel uns eine Schar dieser Männer. Sie haben …“, schluchzte sie auf, „die Mechthild entführt und ich weiß nicht … ich weiß nicht wohin … ich konnte ihnen entkommen, aber wenn Ihr mir nicht geholfen hättet …“ Sie verstummte für die Zeit, die sie brauchte, um tief Luft zu holen. Dann fragte sie ihren Helfer in der Not: „Darf ich wissen, welchem erprobten Miles ich meine Rettung zu verdanken habe?“

„Ich heiße Gerold, Gerold von Falkenburg“, antwortete der Gefragte und fügte nach einem kurzen, ungläubigem Kopfschütteln hinzu: „und dies war mein erster Kampf auf Leben und Tod.“

„Aber jetzt“, befand er dann, „sollten wir besser von hier verschwinden, denn wenn der dritte Kerl, der geflohen ist, Verstärkung holt, dann bringen sie euch doch noch in ihre Gewalt. Ich hole nur noch meine Franziska, wer weiß, ob ich sie nicht bald noch einmal brauche.“ Er ließ seinen Braunen zu dem von seiner Wurfaxt getroffenen Reisigen laufen und sprang aus dem Sattel. Als er sich bückte, um die Franziska genannte Waffe aufzuheben, bemerkte er, dass der niedergestreckte Mann plötzlich die Augen öffnete und sich unsicher umsah. Schnell zog er seinen Dolch und setzte ihn dem Liegenden an die Gurgel.

„Gnade“, stöhnte der Waffenknecht. „Tötet mich nicht, seid ein Christenmensch.“

„Was sind das für Christen, die eine wehrlose Jungfrau verfolgen?“, versetzte der Falkenburger und drücke die Schneide des Dolches gegen die heftig pochende Halsschlagader des Mannes. Zwei, drei Atemzüge lang gab er dem Entsetzen in dem Liegenden Zeit, sich zu entfalten, dann besann er sich scheinbar. „Hör zu, du Lump, sag mir, wessen Mann du bist und ich lasse dich leben!“

Das Zögern des Knechtes währte nur kurz, dann stieß er keuchend hervor: „Mein Herr ist der edle Poppo von Regenstein. Wir führten nur seine Befehle aus.“

„Warum ließ er die Jungfrauen überfallen? Was ist mit dem anderen Fräulein geschehen?“, herrschte ihn Gerold an.

„Wir sollten sie auf den Regenstein bringen, mehr weiß ich nicht, edler Herr, wirklich nicht, ich schwör’s beim Leben meiner Mutter!“

An der Miene des Verängstigten erkannte Gerold, dass er die Wahrheit sprach. Er ließ von dem Regensteiner ab, steckte seinen Dolch ein, nahm seine Wurfaxt an sich und stieg wieder in den Sattel.

„Dann weiß ich Bescheid“, sprudelte Mathilde hervor, nachdem ihr Gerold von dem Geständnis des Regensteiner Knechtes berichtet hatte, „der Poppo hatte auch um die Hand Mechthilds angehalten, doch sie wies ihn ab. Mit dem Einverständnis ihres Vaters wandte sie sich meinem Bruder zu.“

„Dann hat er sich jetzt also mit Gewalt geholt, was er nicht bekommen sollte“, warf Gerold ein. „Und wenn sie erst mal auf dem Regenstein ist, dann wird es sehr schwer, sie von dort wieder zu befreien.“

„Ich muss sofort meine Brüder benachrichtigen!“, rief die kleine Konradsburgerin. „Sie und die Heimburger werden bestimmt Abhilfe zu schaffen wissen.“

„Ich begleite Euch“, erklärte Gerold entschieden. „Ich kann Euch jetzt nicht allein weiterziehen lassen, nicht in der Gefahr, in der Ihr noch immer schwebt. Und darum lasst uns jetzt reiten, bevor die Kerle kommen, um ihre beiden Gefallenen zu holen.“

Der Schimmel Mathildes und der Braune Gerolds fielen schnell in Galopp. Sie nahmen den Pfad, der sich am Fuße der eng aneinandergereihten, merkwürdig geformten Felsen der Teufelsmauer entlang schlängelte, und jagten auf ihm in einem halsbrecherischen Tempo dahin. Von Zeit zu Zeit sah Gerold sich um, ob ihnen jemand folgte, doch er konnte niemanden entdecken.

Nach einer Viertelstunde angestrengten Galoppierens hatten sie das Ende des Heidelberges, des westlichsten und bizarrsten Teils der Teufelsmauer, erreicht. Hier lief der langgestreckte Bergzug in eine von offenem Wald beschattete Hochfläche aus, um erst ein gehöriges Stück weiter östlich wieder mit steilen Felsgebilden hervorzutreten.

Gerold, der die Spitze übernommen hatte, ließ seinen Hengst in Trab fallen, und bedeutete seiner Begleiterin das Gleiche zu tun. Nachdem er noch einmal nach möglichen Verfolgern Ausschau gehalten hatte, schwenkte er gleich darauf nach rechts und ritt durch einen schmalen Waldgürtel in ein flaches, quer zur Richtung des Bergzuges liegendes Tal, das die Form eines nach Süden zeigenden Flaschenkürbisses aufwies. Der Boden des Tales war mit hochgewachsenem Gras bedeckt, welches an einigen Stellen einen sehr hellen, fast weißen Sand durchschimmern ließ. Unterholz gab es, von einigen noch jungen Kiefern abgesehen, keines.

„Die Pferde, vor allem Eures, brauchen dringend eine Pause“, erklärte Gerold, nachdem er bis zum Ende des Talkessels geritten war, „sonst halten sie nicht mehr lange durch.“

Er stieg ab und half Mathilde artig aus ihrem Damensattel. „Hier können wir allerdings nicht bleiben. Falls sie uns noch verfolgen, könnten sie uns hier leicht überraschen. Da oben …“, Der Falkenburger wies auf eine Felsformation die rechts von ihnen in die Höhe wuchs, „ … bei den „Drei Zinnen“ kenne ich einen versteckten Platz zum Lagern.“

Sie nahmen die dampfenden Pferde am Zügel und stiegen den schmalen, zwischen eng zusammengerückten Bäumen kräftig bergan führenden Pfad hinauf. Der Anstieg endete schon nach wenigen Klaftern vor einer welligen, von dichtem Gesträuch und einigen Obstbäumen bestandenen Weide. Hier wandte sich der Weg nach rechts und führte wieder in den Wald hinein, doch schon nach einigen Dutzend Schritten öffnete sich auf der linken Seite eine schmale, vom Wind geschlagene Schneise und gab den Blick auf den hohen Wall, der von dunklen, wilden Forsten bedeckten Harzberge frei. Vor den Augen Gerolds und Mathildes breitete sich eine große, nach frischem Gras und Frühlingsblumen duftende Wiese aus, die sanft zu einem in einer langgezogenen Senke versteckten Dorf mit niedrigen Häusern abfiel.

„Hier irgendwo sollen meine Vorfahren vor langer Zeit einmal einen großen Hof besessen haben“, sagte Gerold versonnen, „doch heute weiß niemand von uns mehr genau, an welcher Stelle er einst stand.“

Der Jungherr und das Fräulein ließen sich einige Augenblicke Zeit, um den schönen Anblick zu genießen, dann setzten sie den Weg entlang des Waldrandes fort.

Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel und ein frischer Wind ließ die Wipfel der Birken und Kiefern rauschen. Vögel zirpen munter im Geäst.

„Wir halten eine kurze Rast“, bemerkte Gerold, „dann reiten wir hinüber nach Am Tale und nehmen von dort aus den kürzesten Weg zur Konradsburg. Wenn wir uns sputen, können wir es bis heute Abend schaffen.“

„Der kürzeste Weg führt durch das Gebiet der Ballenstedter“, meinte Mathilde zögernd.

„Ja gewiss … “, entgegnete Gerold.

„Die Ballenstedter sind uns nicht wohlgesonnen“, sagte die Jungfrau und runzelte die Stirn.

„Ihr meint“, erwiderte Gerold mit einiger Verzögerung, „weil Egino von Konradsburg den Adalbert von Ballenstedt erschlug.“

Mathilde nickte.

„Ich habe davon gehört. Ist Egino Euer Vater?“

„Ja, aber er weilt nicht mehr unter den Lebenden. Im vorigen Jahr ist er zu Gott gegangen.“

„Das tut mir leid. Ich hörte nur, dass er vor zehn Jahren in einer Fehde den Ballenstedter in der Nähe von Aschersleben erschlagen hat. Was ist damals eigentlich geschehen?“

Mathilde strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und dachte einen Augenblick nach, bevor sie zu erzählen anhob: „Graf Adalbert und mein Vater gerieten in Streit über die Jagdrechte im Meisdorfer Forst. Der Ballenstedter hatte zu den sächsischen Fürsten gehört, die gegen König Heinrich aufbegehrten, und musste sich, nach der Niederlage der Sachsen, dem siegreichen Salier unterwerfen. Er wurde in Haft genommen und erst nach einem Jahr wieder freigelassen. Inzwischen hatte sich mein Vater, wie all die anderen Herren, die treu zum König hielten, das eine oder andere Besitztum der Besiegten angeeignet; schließlich war ihnen Herr Heinrich ja Dank für die geleistete Hilfe schuldig. Als Adalbert davon erfuhr, raste er vor Zorn und sagte uns die Fehde an.

Mein Vater allerdings wartete nicht, bis er mit überlegener Macht über uns kam, sondern legte ihm stattdessen nahe bei Aschersleben einen Hinterhalt. Während die Begleiter des Ballenstedters schnell niedergemacht waren, versuchte dieser in die Kirche von Westdorf zu entkommen, doch mein Vater hatte vorsorglich einen Mann in den Glockenturm des Gotteshauses geschickt, der alles von oben beobachtete. Als er sah, dass Adalbert auf die Kirche zugeritten kam, läutete er die Glocken und wies unseren Mannen durch Zeichen den Fluchtweg des Ballenstedters. Dann verschloss er die Kirchentür vor dem Grafen und ließ ihn nicht ein.

So konnte mein Vater den Flüchtenden schließlich einholen und stellen, und er erschlug ihn in ehrlichem Zweikampf.“

Was die Umstände dieses Duells betraf, so hatte Gerold allerdings etwas anderes gehört, denn wenn ein ungerüsteter Mann gegen einen Gerüsteten streiten muss, so konnte es mit der Ehrlichkeit des Schwertgangs nicht so weit her sein. Aber er enthielt sich wohlweislich einer diesbezüglichen Äußerung und sagte stattdessen: „Wenn Ihr meint, dass es zu gefährlich ist, durch das Land der Askanier zu reiten, dann können wir auch einen Bogen über Hoym schlagen oder einen Weg durch die Berge suchen.“

Doch Mathilde schüttelte heftig den Kopf. „Dazu haben wir keine Zeit. Wir müssen uns beeilen. Wer weiß, was der Poppo mit der Mechthild alles anstellt, da oben auf dem Regenstein. Wir müssen sie so schnell wie möglich befreien. Dieser Haderlump ist zu allem fähig.“

Inwieweit die Befürchtungen berechtigt waren oder nicht, konnte Gerold nur mutmaßen, da er den Herrn des Regensteins nicht kannte. Aber ganz auszuschließen waren sie wohl nicht.

Doch was konnte man tun?

Der Regenstein war keine leicht zu knackende Nuss, das wussten auch der noch unerfahrene Jüngling und die Tochter des Egino von Konradsburg. Mit einer Handvoll Männern war da nichts zu erreichen.

Tief in Gedanken versunken setzten die beiden ihren Weg auf dem verwachsenen, immer einige Klafter Abstand vom Waldrand haltenden Pfad fort, bis sie nach wenig mehr als zwanzig Schritten zu einer kleinen, im vollen Sonnenschein liegenden Lichtung kamen.

Der Ort war von einer seltenen, urwüchsigen Schönheit. Am hinteren Ende des zerklüfteten, von grauen Sandsteinfelsen geprägten Platzes, wuchsen aus einem schmalen Bergrücken drei kräftige Felsnadeln in die Höhe, die an eng beieinanderstehende Türme erinnerten. Zwischen diesem und einem nach Osten gerichteten Bergsporn lag ein kleines, kesselartig abgesenktes Plateau, dessen Boden aus Fels und sandiger Erde bestand. An der linken Flanke des vorderen Bergrückens gähnte der Schlund einer kleinen Höhle.

„Hier rasten wir“, entschied Gerold. „Wenn sie uns noch nachstellen sollten, sehen wir sie dort unten rechtzeitig kommen.“

Sie banden die Pferde an den tief herabhängenden Ast einer knorrigen Kiefer und kletterten auf die abgeflachte Kuppe des vorderen Bergsporns, von dem sich ihnen ein herrlicher Blick auf die zu ihren Füßen liegende Landschaft bot. Seite an Seite ließen sie sich auf dem von der Sonne angenehm angewärmten Sandstein nieder und labten ihre durstigen Kehlen mit dem säuerlich schmeckenden, aber noch angenehm kühlen Dünnbier aus Gerolds Wasserschlauch. Begleitet von einem wohligen Stöhnen zog Mathilde ihre Schuhe aus und massierte sich die schmerzenden Füße.

„Sie sehen ja recht schön aus“, erklärte sie mit Blick auf die bis zu den Knöcheln reichenden, mit Silberstickereien reich verzierten Schuhe, „und zum Reiten sind sie auch ganz gut geeignet, aber wenn du mit ihnen laufen musst, bringen sie dich um.“ Sie lachte und bewegte spielerisch die langen, geraden Zehen. „Wenn mich niemand sieht, laufe ich immer barfuß herum, auch wenn sich das für ein Fräulein wie mich eigentlich nicht schickt.“

Nach diesem Bekenntnis legte sie sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf den Rücken und schaute hinauf in den strahlendblauen Himmel.

„Wo liegt eigentlich Eure Burg, die Falkenburg?“

Gerold wickelte einen langen Grashalm um seinen Zeigefinger und riss ihn mit einem kurzen Ruck aus der Erde. „Auf dem Falkenberg vor der Hainleite in der Nähe von Sondershausen.“

„Das ist ein ganzes Stück weit weg“, stellte Mathilde fest. „Und was macht Ihr dann soweit im Norden?“

„Ich war in Halberstadt bei Gerhard dem Waffenschmied“, gab Gerold Auskunft, „und habe dort einen Helm abgeholt, den der Meister für mich angefertigt hat.“

Dass ein Teil der ritterlichen Ausrüstung eigens für ihn angefertigt wurde, war ein ganz besonderes Ereignis für den Jungherrn, hatte er doch bisher immer die alten Rüstungsteile seiner Brüder auftragen müssen.

Mathilde drehte sich zu ihm um und schaute ihn lächelnd an. „Seid …“, begann sie, doch dann unterbrach sie sich und setzte mit gewechselter Anredeform fort, „bist du nicht eigentlich noch ein wenig zu jung für Helm und Schwert?“

Gerold zuckte mit den Schultern. „Nachdem ich den vierzehnten Sommer gesehen hatte, schickte mich mein ältester Bruder Gottfried zur Äbtissin von Quedlinburg, damit ich bei deren Gefolgschaftsführer Hageno eine ritterliche Ausbildung erhalte. Als dann aber der falsche König Hermann starb und Ekbert von Meißen nach der Krone griff, gürtete man alle Jungmänner mit dem Schwert, weil man glaubte, sogleich gegen den verräterischen Markgrafen ziehen zu müssen und dafür schnell eine Mannschaft brauchte. Doch dann geschah erst mal gar nichts, und so wurden die meisten von uns schließlich wieder nach Hause geschickt.“ Er zuckte bedauernd mit den Schultern.

„Welch ein Glück für mich, dass du gerade heute deinen Helm geholt hast“, bemerkte Mathilde und sah ihren Retter lange und eindringlich an, wobei eine leichte Röte ihre Wangen färbte. Gerold hielt ihrem Blick stand und spürte, wie eine sonderbare Wärme in ihm aufzusteigen begann. Ein schnell wachsender Teil seines Innern fühlte sich so machtvoll zu der kleinen, ansehnlichen Weibsperson hingezogen, dass er sie am liebsten fest an sich gedrückt, über ihr schimmerndes Haar gestrichen, ihre Wangen und ihren Nacken gestreichelt und ihren Mund mit dem seinen berührt hätte.

Schließlich - nachdem die beiden jungen Menschen den Spielraum des gegenseitigen In-die-Augenschauens bis zur Gänze ausgereizt hatten - verzogen sich ihre Lippen zu einem fröhlichen und zugleich innigen Lächeln.

Einem Lächeln, das Begreifen und Annehmen kundtat, und das Billigung versprach.

*

Eine halbe Stunde später brachen sie wieder auf. Sie ritten bis zur Siedlung Am Tale und von dort aus auf dem kürzesten Wege nach Ballenstedt, dem Ort, in dem einst die Grafen von Askanien gehaust hatten, bevor Graf Esiko seine Burg zum Sitz eines Stiftes bestimmte und seinen Wohnsitz auf der neu errichteten Burg Anhalt über dem schönen Selketal nahm. Die Befürchtungen, die Mathilde wegen der Feindschaft, die zwischen den Askaniern und den Konradsburgern herrschte, hegte, erwiesen sich als unbegründet; niemand behelligte sie, als sie die Siedlung in schnellem Trab durchquerten. Da die beiden auch auf dem letzten Teil ihres Weges weder sich noch ihre Pferde schonten, erreichten sie schon kurz nach dem Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel.

Die Konradsburg lag auf einem sich unvermittelt aus dem flachen Land erhebenden Bergrücken und war weithin sichtbar. Die geräumige Kuppe des Berges fiel nach drei Seiten steil ab, nur im Osten war sie durch einen gemächlich ansteigenden, breiten Hang mit einer sich weit ausdehnenden Hochebene verbunden. Die Burg war von zwei Umfriedungen umgeben, einer äußeren, die aus angespitzten Palisaden und einer inneren, die zumindest zum Teil aus Mauerwerk bestand. Von den Gebäuden im Inneren der wehrhaften Anlage war vom Fuß des Berges wenig zu sehen, nur die massige Silhouette eines Wohnturms zeichnete sich wuchtig über der Umwallung ab.

Der Burgstieg, der breit genug für drei nebeneinander laufende Pferde war, lag im Licht des fast vollständig gerundeten Mondes. Mit der letzten Kraft ihrer abgetriebenen Rosse sprengten Mathilde und Gerold auf dem sich wie eine Schlange um den Berg windenden Weg bis zum gemauerten Burgtor hinauf.

„Heda, Hermann“, rief Mathilde zu dem zinnenbewehrten Wehrgang hinauf, „öffne das Tor, du Nachtwächter, ich bin’s Mathilde!“

Es dauerte einige Zeit, bis sich hinter der Brustwehr der dunkle Schatten eines Mannes sehen ließ. Er beugte sich vor und musterte die vor dem Tor haltenden Reiter.

„Wer ist euer Begleiter?“, rief er dann mit einer krächzenden Stimme, die Gerold an einen Raben denken ließ.

„Das geht dich einen Rossapfel an, du Schwachkopf“, fauchte die kleine Konradsburgerin. „Mach auf oder ich lasse dich verprügeln!“

Von oben kam ein beleidigt klingendes Gebrummel, dem schließlich ein: „Wartet, ich öffne Euch das Tor“, folgte.

Der Wachhabende ließ Mathilde und ihren Begleiter in den Burghof und obwohl er sich wegen seines Diensteifers zu Unrecht gescholten sah, schickte er einen Mann in den Pferdestall und ließ den Stallburschen, der sich schon zur Nachtruhe begeben hatte, wecken.

Mathilde warf dem gähnenden, sich mürrisch einen Strohhalm aus den zerzausten Haaren streifenden Knecht ihren Zügel zu, dann forderte sie Gerold auf, ihr zu folgen und stürmte zu dem an der Ostseite der Burg aufragenden Wohnturm. Hinter einigen der Fenster des gedrungenen Gebäudes war noch ein matter Lichtschein zu erkennen.

Während Gerold der vorauseilenden Mathilde über den holprigen, zumeist nur aus festgestampfter Erde bestehenden Boden hinterher stolperte, sah er sich neugierig um.

Auf dem ausgedehnten Geviert des Burghofes erhoben sich mehrere Gebäude von verschiedener Größe. Der Wohnturm und eine rechts davon stehende kleine Kapelle waren aus Stein, die sich am westlichen und nördlichen Rand der Burgumwallung befindlichen Häuser bestanden aus mit Lehmziegeln ausgefülltem Fachwerk und waren mit Riet gedeckt.

Inzwischen hatte Mathilde bereits die hölzerne Treppe, die zum Eingang des Burgos führte, erreicht und stieg sie schnellen Fußes hinauf.

„Komm, komm“, drängte sie Gerold zur Eile.

Sie öffnete die laut knarrende, aus schweren Eichenbohlen gezimmerte Pforte und führte ihren Begleiter über eine steile Stiege in eine große, den ganzen zwischen den Mauern vorhandenen Platz einnehmende Halle. Ein Feuer im Kamin, einige an den Wänden in eisernen Halterungen steckende Kienspäne und eine auf einem großen Tisch stehende Bronzelampe verbreiteten ein diffuses Licht. Von den Kienspänen und den knisternden Kloben im Kamin stieg ein angenehmer, harziger Geruch auf.

In der Mitte des Raumes saßen mehrere Gestalten um einen Tisch, von denen sich eine bei ihrem Eintreten von ihrem Sitz erhob.

„Mathilde, bist du das?“, erklang eine kräftige Frauenstimme.

„Mutter, Brüder! Otto!“ stieß die kleine Konradsburgerin, mit sich überschlagender Stimme hervor. „Wir sind überfallen worden vom Regensteiner! Der Poppo hat Mechthild geraubt und wohl auf seine Burg geführt. Ich konnte ihnen mit Mühe entkommen und dieser Jungherr“, Mathilde wandte sich um und zeigte auf den schweigend dastehenden Gerold, „hat mich gerettet und drei Knechte, die mich verfolgten, niedergemacht!“

„Was sagst du da?!“, fuhr ein kräftig gebauter Mann mit blonden Haaren und bartlosen Wangen heftig auf. „Das kann nicht wahr sein!“ Sein Stuhl stürzte mit lautem Krachen um, als er wie von einer Wespe gestochen in die Höhe schnellte.

„Doch, Otto, doch“, bekräftigte Mathilde, „es ist wahr! Wir müssen der Mechthild helfen, müssen sie befreien, müssen sofort etwas unternehmen!“

Auch die anderen am Tisch Sitzenden, es waren zwei Männer und eine Frau, sprangen jetzt auf und umringten Mathilde.

„Dann müssen wir …“, stieß Otto, dem Mechthild von Heimburg anverlobt war, hervor, „müssen wir sofort …“ Er verstummte und ballte in ohnmächtiger Wut die Fäuste. „Wir müssen … die Pferde … meine Waffen …“

„Wartet, wartet“, rief ein ebenfalls blonder, aber bärtiger junger Mann, „sinnloses Tun nützt weder uns, noch hilft es der entführten Jungfrau. Wir müssen uns besinnen und vernünftigen Rat halten.“

Dann fiel sein Blick auf den etwas abseits stehenden Gerold. „Und ihr, mein Herr, kommt her und setzt Euch zu uns. Doch zuvor lasst euch dafür danken, dass ihr unserer Schwester beigestanden habt.“ Er reichte dem Falkenburger die Hand und drückte sie kräftig.

Sie setzten sich alle an den Tisch und Egino - der älteste Sohn jenes Egino, der den Adalbert von Ballenstedt erschlug - ließ sich von Mathilde und Gerold noch einmal das Erlebte berichten.

„Dann gibt es also keinen Zweifel, dass die Regensteiner hinter dem Anschlag stecken …“, bemerkte er sinnend, nachdem die beiden verstummten. „Das ist eine üble Geschichte … eine sehr üble …“ Er schaute in die Runde. „Nun denn, was meint ihr, was sollen wir tun?“

„Zuerst müssen wir die Heimburger benachrichtigen“, warf Otto hitzig ein. „Gemeinsam müssen wir vor den Regenstein ziehen und die Burg erstürmen!“

„Erstürmen? Was glaubst du, wie viele Männer der Regensteiner auf seiner Burg hält?“ Egino schüttelte den Kopf.