Die Kristallelemente (Band 4): Die blaue Unendlichkeit der Berge - B. E. Peiffer - E-Book

Die Kristallelemente (Band 4): Die blaue Unendlichkeit der Berge E-Book

B. E. Peiffer

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Beschreibung

Erde, dem Hass entrissen, erweckt neu das Kristallherz … Vor Jahren schwor Roya ihrem Lebensretter einen nicht brechbaren Eid: Sie wird mit allen Mitteln versuchen, die Piraten der ›Crimson Conch‹ aufzuhalten. Dafür nimmt sie sogar einen Fluch in Kauf, der ihr besondere Kräfte verleiht. Als ihr jedoch die Besatzung des purpurnen Schiffs die Geborgenheit schenkt, nach der sie sich immer schon gesehnt hat, gerät Royas Willenskraft ins Wanken. Gefangen zwischen ihrem Pflichtgefühl und dem Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ahnt Roya nicht, dass ihre Entscheidung nicht nur ihr Leben verändern wird, sondern auch das Schicksal der Welt Callisto …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Logbuch von Callisto

Abschließende Worte

 

B. E. Pfeiffer

 

 

Die Kristallelemente

Band 4: Die blaue Unendlichkeit der Berge

 

 

Fantasy

 

 

 

Die Kristallelemente (Band 4): Die blaue Unendlichkeit der Berge

Erde, dem Hass entrissen, erweckt neu das Kristallherz … Vor Jahren schwor Roya ihrem Lebensretter einen nicht brechbaren Eid: Sie wird mit allen Mitteln versuchen, die Piraten der ›Crimson Conch‹ aufzuhalten. Dafür nimmt sie sogar einen Fluch in Kauf, der ihr besondere Kräfte verleiht. Als ihr jedoch die Besatzung des purpurnen Schiffs die Geborgenheit schenkt, nach der sie sich immer schon gesehnt hat, gerät Royas Willenskraft ins Wanken. Gefangen zwischen ihrem Pflichtgefühl und dem Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ahnt Roya nicht, dass ihre Entscheidung nicht nur ihr Leben verändern wird, sondern auch das Schicksal der Welt Callisto …

 

 

Die Autorin

Bettina Pfeiffer wurde 1984 in Graz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Baden bei Wien.

Seit ihrer Kindheit liebt sie es, sich Geschichten auszudenken. Besonders als Ausgleich zu ihrem zahlenorientierten Hauptjob taucht sie gern in magische Welten ab und begann schließlich, diese aufzuschreiben. So entstand recht schnell die Idee für die ›Weltportale‹ und andere magische Geschichten im Genre Fan-tasy/Romantasy.

Inspiration dafür findet sie immer wieder durch ihre Kinder, mit denen sie gern auf abenteuerliche Entdeckungsreisen geht.

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, September 2021

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-205-2

ISBN (epub): 978-3-03896-206-9

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für meine Familie. Weil ich ohne euch nie so weit gekommen wäre.

Prolog

 

Die größte Gefahr aber barg die Unendlichkeit, welche das Kristallelement Erde in sich trug. Mit dieser Kraft in ihren Händen wäre die schwarze Seele fähig, die Mächte des Landes zu entfesseln. Das letzte Element wies den anderen den Weg zu Sieg oder Niederlage. Denn ohne diese vierte Kraft waren die Stärke, die Hoffnung und der Mut nicht in der Lage, die schwarze Seele zu bezwingen.

Ein Wettlauf gegen die Zeit hatte begonnen. Um das Schicksal der Welt und die Leben der vier Kristallelemente.

 

 

Erde, dem Hass entrissen,

Erweckt neu das Kristallherz.

Kapitel 1

 

Ich sah die weißen Segel schon von Weitem, als ich auf der Klippe stand. Das Schiff kam genau an jenem Tag, den er mir vorhergesagt hatte, und es entsprach dem, was ich mir nach seinen Erzählungen darunter vorstellte. Ein Dreimaster aus purpurrotem Holz, der unter keiner Flagge fuhr. Wie ein Gemenge aus Blut und Federn pflügte das Schiff durch das blaue Meer und ließ einen tiefen Groll in mir wach werden.

Obwohl sie keine Flagge gehisst hatten, wusste ich, dass sich Piraten der Küste näherten. Und Piraten waren es, vor denen er mich gerettet hatte.

»Roya«, erklang eine zischende Stimme. »Wir müssen hier weg.«

Ich konnte den Blick nicht von dem Schiff abwenden, das sich der Bucht näherte.

»Roya!«, zischte es erneut.

»Ich habe dich schon beim ersten Mal gehört«, erklärte ich, wandte den Kopf zu meiner rechten Schulter und betrachtete den blauen Gecko, der darauf saß. »Livian, weswegen bist du so nervös?«

Sein Schwanz zuckte unkontrolliert, was er immer tat, wenn Livian sich vor etwas fürchtete. Ich kannte ihn schon fast mein ganzes Leben. Er war mit mir in Gefangenschaft geraten, die ich ohne ihn nicht überlebt hätte. Seitdem war er mir nicht von der Seite gewichen und ich hätte ihn niemals missen wollen.

»Dieses Schiff verströmt eine seltsame Magie«, murmelte der Gecko und schüttelte sich. »Wir müssen den Ältesten sagen, dass es sich nähert.«

Mit einem tiefen Seufzen wandte ich mich noch einmal der Bucht zu und betrachtete die Segel, die sich im Wind blähten. »Ich denke, sie wissen es bereits.«

 

Der Abstieg von dem Berg, auf dem ich trotz der Vorankündigung von ihm seit vielen Tagen Ausschau nach dem Schiff mit dem blutenden Holz gehalten hatte, dauerte ein wenig. Die schmalen Wege waren steil und die Felsen scharf. Ein falscher Schritt könnte einen schmerzhaften Absturz bedeuten und ich war nicht sicher, ob jemand nach mir suchen würde, wenn ich in der Dämmerung nicht zu unserem Stamm zurückkehrte.

Denn seit meiner Rettung lebte ich zwar in einem Dorf, wirklich zur Gemeinschaft gehörte ich allerdings nicht. Livian hätte vermutlich Hilfe holen können, aber außer mir schien niemand die Worte des Geckos zu verstehen.

Ob mich jemand vermisst hätte? Bestimmt nicht. Dazu war ich zu … sonderbar. Höchstens Damian, der Älteste, der sich für mich zuständig fühlte, hätte vielleicht irgendwann nach mir gefragt.

Was kümmerte es mich? Ich würde irgendwann sowieso diesen Ort verlassen, um zu meinem Retter zurückzukehren, wie er es versprochen hatte. Nur dieses Schiff lag zwischen mir und dem sicheren Zuhause, nach dem ich mich sehnte. Doch bald würde ich dieses letzte Hindernis überwunden haben.

Als ich den Fuß des Berges erreicht hatte, hörte ich bereits die Signaltrommeln, die eindeutig die Ankunft des Schiffes verkündeten. Ich rannte zu dem Baum, hinter dem ich meinen Speer und den großen Holzschild, den ich als Mitglied der Kriegerinnen stets bei mir haben musste, versteckte, bevor ich den Felsen erklommen hatte.

Hastig legte ich den Lederriemen an und schnallte mir den Schild auf den Rücken. Danach packte ich den Speer und lief hinter Livian, der bereits zwischen den Blättern hindurchrannte, her.

Der Boden bebte unter meinen Schritten und ich wusste, dass die Kräfte, die in mir flossen, bald unkontrolliert ausbrechen würden. Viel zu lange hatte ich sie zurückgehalten, tief in mir vergraben, um mächtig genug zu sein, mich diesen Leuten zu stellen. Vielleicht würde mir das jetzt zum Verhängnis werden.

Deswegen mäßigte ich meine Schritte und brachte meinen Atem zur Ruhe. Wenn es stimmte, was er mir gesagt hatte, würden die Piraten mich erkennen und mit auf ihr Schiff nehmen. Ich musste also nur noch ein paar Stunden die Kräfte in mir verschließen. Und anschließend würde ich die Piraten vernichten, wie ich es ihm versprochen hatte.

Die ersten Hütten aus Stroh und Kokosblatt kamen bereits in Sichtweite und ich erkannte das aufgeregte Treiben im Dorf. Denn es geschah nicht besonders oft, dass uns jemand aufsuchte, und wenn, dann nicht in friedlicher Absicht. Hier schienen die anderen auch nicht zu wissen, was sie von den Ankömmlingen halten sollten, aber sie wirkten eher fröhlich anstatt ängstlich.

Sie würden ihre Meinung schon noch ändern. Menschen von außerhalb durfte man nie trauen, das sollte jedes Kind wissen.

Das Reich, in dem wir lebten, hieß Katschis und war von Eroberern besiedelt worden, die vor vielen Generationen hergekommen waren. Eroberer waren machthungrig und gierig und zerstörten Dörfer wie meines, um die Menschen als Sklaven zu halten. Diese Ausbeuter nannten sich selbst Kaufleute, in Wahrheit waren sie nichts anderes als Piraten, die fremde Schiffe versenkten, nachdem sie ihre Schätze geraubt hatten.

Ich umfasste den Schaft des Speers fester und presste die Kiefer zusammen. Die Leute des Dorfes mochten mich nicht richtig in ihrer Gemeinschaft aufgenommen haben, dennoch würde ich nicht zulassen, dass es einem der Mädchen hier erging wie einst mir.

Als Sklavin auf einem Schiff gehalten zu werden, bedeutete, dem Willen eines Herren ausgesetzt zu sein. Was man mir angetan hatte, um mich zu brechen, suchte mich noch heute in meinen Albträumen heim. Wäre Livian nicht an meiner Seite gewesen, hätte ich den Verstand verloren.

Nein, so ein Schicksal verdiente niemand und ich hätte mein Leben gegeben, um die Kinder dieses Dorfes davor zu beschützen.

Ich hastete an die Seite der Ältesten, die sich beim Eingang des Dorfs versammelt hatten.

»Roya, da bist du ja«, sagte Damian, als er mich entdeckte.

Sein gütiges Lächeln ließ mich einen Atemzug zögern, ehe ich zu ihm trat. Seit meiner Ankunft hatte er in gewisser Weise die Vormundschaft für mich übernommen. Allerdings schien er das für alle Waisen, die zu dem Stamm stießen, zu tun, weswegen wir uns nicht besonders nahestanden. Er hatte einfach zu viele Anliegen, um die er sich kümmern musste, und ich war längst kein Kind mehr. Deswegen entfernten wir uns mit jedem Tag mehr voneinander. Trotzdem mochte ich den alten Mann, er war gut zu mir gewesen.

»Ich habe die Segel gesehen.« Neben ihm nahm ich mit Schild und Speer in Händen Aufstellung. »Werden wir angegriffen?«

Natürlich wusste ich, dass diese Piraten uns nicht bedrohten. Vorläufig zumindest. Denn er hatte mir erklärt, dass sie der Grund für all das Schlechte in meinem Leben waren. Früher oder später würden sie den Frieden, den wir durch unsere Zurückgezogenheit auf dieser Insel bewahrt hatten, zerstören, wenn ich sie nicht aufhielt.

Damian schüttelte den Kopf. »Zwei Hexen begleiten sie«, raunte er mir zu und Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit.

Mein Volk glaubte an Magie und verehrte die heiligen Frauen, die eine besondere Begabung besaßen. Und wären die Kräfte, die jetzt in mir brodelten, nicht nur geliehen gewesen, hätte ich vielleicht zu einer dieser Frauen werden können. Das hieß … wenn ich nicht diesen Schatten und all die Narben auf meiner Seele getragen hätte.

Ich straffte die Schultern, als Karani, die oberste Kriegerin des Stammes, aus dem Dickicht des Dschungels trat. Hohe Bäume und dichte Sträucher verbargen das Dorf für all jene Augen, die es nicht sehen sollten. Nur wer den Weg kannte, konnte uns finden. Das schützte uns zusätzlich davor, von den Kaufleuten von Katschis, den Senai, wie wir sie nannten, gefangen genommen zu werden.

Hinter der Kriegerin in ihrer kurzen Rüstung erschien eine Frau in einem lächerlichen Aufzug. Sie trug Hosen wie ein Senai und eine Korsage über einer schulterfreien Tunika, außerdem einen Dreispitz. Auf ihrer Schulter saß ein silberner Papagei mit bunten Schwanz- und Kopffedern. Dicht hinter ihr erschien ein hochgewachsener blonder Mann in blauem Gehrock und mit grimmigem Blick. Magie ging von den beiden aus und verstärkte sich, als noch mehr Frauen und Männer auftauchten. Die meisten von ihnen trugen ähnliche Kleidung wie die erste Frau. Nur eine von ihnen erschien in einem unpassenden Kleid aus weißem Stoff, das für den Urwald der Insel besonders ungeeignet war. Als dann noch zwei ältere Frauen mit weißen Haaren aus dem Dickicht traten, hielt ich den Atem an. Denn die Magie in meinem Inneren drängte nach außen und ließ meine Brust viel zu eng werden.

Trotzdem musterte ich die Eindringlinge genau. Von einigen Männern abgesehen wirkten sie nicht wie die Piraten, die ich aus meiner Kindheit kannte. Aber das bedeutete nichts. Ich wusste, was sie wirklich waren. Die Magie an ihnen verriet es mir und auch die zwei Hexen, die sie begleiteten, änderten nichts an meiner Meinung.

Immer mehr von diesen Leuten betraten unser Dorf, und mit jeder Person wuchs meine Unruhe. Ich umfasste den Speer mittlerweile so fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten und das Holz bedenklich knackte. Zumindest befand sich niemand von den Inseln als Gefangener bei ihnen.

Die Piraten sahen wie ein bunter Haufen aus. Menschen aus den unterschiedlichsten Gegenden Callistos hatten sich zusammengefunden. Magie loderte in den meisten von ihnen, in manchen stärker, in anderen schwächer.

Neben dem Papagei entdeckte ich ein Eichhörnchen, das auf der Schulter einer Frau mit türkisen Haaren saß, sowie eine schwarze Katze bei der Frau in ihrem unpraktischen Kleid. Ich keuchte, als das Tier um sie herumschwebte.

»Ein Geistertier«, murmelte Livian, der auf meinem Kopf saß und die Fremden neugierig zu beobachten schien.

»Er hat gesagt, sie würden mit magischen Begleitern erscheinen und ich sollte mich besonders vor den Tieren in Acht nehmen«, erwiderte ich kaum hörbar.

Aber ich wusste, dass Livian es dennoch verstand, auch wenn er nicht antwortete.

Die Piraten stellten sich in einer Reihe vor uns auf. Keiner von ihnen trug eine Waffe, doch da sie augenscheinlich Magie in sich trugen, waren sie alles andere als wehrlos.

Meine Finger begannen zu kribbeln, als mein Blick an einem Mann hängen blieb, der mich unverhohlen anstarrte. Seine Haut war sonnengebräunt und sein Haar so schwarz wie die tiefste Nacht. Er besaß ein schmales, kantiges Gesicht mit einer scharf geschnittenen Nase. Vermutlich sah er nicht unattraktiv aus, aber das war es nicht, was mich bei ihm innehalten und ihn betrachten ließ. Dieser Mann verströmte eine Magie, die ich kannte. Weil auch ich sie von meinem Retter verliehen bekommen hatte.

Einen Moment sahen wir uns in die Augen und ich wusste, dass er meine Kräfte erkannte. Das Atmen fiel mir schwer und mein Herz raste.

Dieser Mann und ich … wir waren uns ebenbürtig. Und obwohl ich es nicht wollte, lächelte ich, denn ich war sicher, dass er mir helfen würde, meine Schuld meinem Retter gegenüber einzulösen.

Kapitel 2

 

Damian musterte die Ankömmlinge einen Moment und breitete die Arme aus. »Mein Herz quillt über vor Freude, euch in unserem Dorf begrüßen zu dürfen«, verkündete er.

Als hätte jemand ein Signal dazu gegeben, schlugen wir Kriegerinnen mit den Speeren auf unseren Schild und stießen einen Schrei aus. Dies war die höchste Form der Ehrerbietung, die wir Besuchern erweisen konnten, und in mir sträubte sich alles dagegen, sie den Piraten zuteilwerden zu lassen. Aber unsere Ältesten wünschten es, also beugte ich mich.

»Doch die Freude wird getrübt, weil ich nur zwei der großen Meerhexen erblicke«, fuhr Damian fort.

Ich betrachtete die zwei Frauen mit ihren weißen Haaren. Sie beide trugen ein weißes Kleid aus rauem Stoff und sahen sich ziemlich ähnlich. Nur die Umhänge, die sie trotz der feuchten Hitze, die hier herrschte, angelegt hatten, ließ eine Unterscheidung zu. Und jetzt, da ich genauer hinsah, schien die mit dem purpurnen Umhang älter zu sein als die mit dem türkisen.

Die Legenden um die Meerhexen wurden in diesem Dorf jedem Kind erzählt. Auch ich hatte immer wieder Bruchstücke davon gehört, konnte jedoch nicht wirklich etwas damit anfangen. Es hieß, sie bewachten drei von vier magischen Inseln, die einem Element zugeordnet waren. Aber warum es nur drei Hexen bei vier Elementen gab oder was diese Inseln für eine Bedeutung hatten, wurde nicht erzählt. Nur dass diese Hexen mächtig waren, und offensichtlich dachte Damian, dass sie uns in Form dieser alten Frauen gegenüberstanden.

Die Piratin mit dem Papagei trat vor und räusperte sich. »Ältester, leider ist die dritte Meerhexe beim Kampf gegen die schwarze Seele ums Leben gekommen«, erklärte sie.

Der Papagei auf ihrer Schulter gab ein leises Krächzen von sich und es wirkte, als würde er seufzen.

Damian nickte und ließ den Kopf sinken. »Dieses schreckliche Monster hat so viele Opfer gefordert«, erwiderte er.

Von einer schwarzen Seele hörte ich zum ersten Mal, aber wenn ich mir die anderen Dorfbewohner ansah und den Ausdruck auf ihren Gesichtern las, wusste ich, dass sie dieses Wesen fürchteten. Dabei sollten sie sich viel eher vor diesen Piraten in unserer Mitte in Acht nehmen. Denn die Magie, die ihnen anhaftete, war roh und mein Retter hatte mir genug über ihre Taten berichtet, damit ich sie verabscheuen musste.

Er hatte erzählt, dass sie jahrelang umhergefahren waren, um Städte zu zerstören und Frauen zu entführen. Ich wusste nicht, ob ein paar der Sklaven, mit denen ich eingesperrt war, von ihnen geraubt worden waren, aber ich nahm es an. Und wenn ich mir den blonden Mann ansah, der vermutlich ihr Captain war, kochte Wut in mir hoch.

Sein arroganter Blick und die stolze Haltung passten zu der Art Mann, die sich nahm, was immer gerade interessant war, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welchen Schaden sie anrichtete. Deswegen würde ich mich um ihn als Erstes kümmern, so wie er es mir erklärt hatte.

»Dennoch haben wir eure Ankunft viel früher erwartet«, riss Damian mich aus meinen düsteren Grübeleien.

Die Hexe mit dem purpurnen Umhang trat vor. »Es hat ein wenig länger gedauert, die drei ersten Elemente zu vereinen und eine Gemeinschaft entstehen zu lassen«, antwortete sie. »Das vierte Element ist das schwierigste und es sollte nicht in eine unruhige Verbindung eingegliedert werden.«

Damian nickte, als verstünde er, was die Hexe meinte. Mir jedoch war schleierhaft, worauf sie hinauswollte. Meinte sie, dass sie in diesem Dorf etwas finden würden? Ein Element etwa? Hier gab es nur Steine und Bäume, keine Erze, die für die Senai so wichtig zu sein schienen.

»Habt ihr denn ein Mädchen, das ein Kristallelement in sich tragen könnte?«, wollte die Piratin wissen.

Ich verkrampfte mich und hatte keine Ahnung, weswegen. Aber das Wort ›Kristallelement‹ kam mir vertraut vor, obwohl ich es noch nie gehört hatte.

Noch während ich das dachte, vibrierte der Boden unter meinen Füßen, und die kleinen Steine, die auf der trockenen Erde lagen, wippten auf und ab. Ich richtete den Blick nach vorne, doch außer mir schien niemand diese Kraft wahrzunehmen.

»Es sind fünf junge Frauen unter unseren Kriegerinnen, welche die Gabe des Kristallelements in sich tragen könnten«, erwiderte Damian. »Ob eine von ihnen dieser Aufgabe gewachsen ist, kann nur die Blaue Hexe herausfinden.« Er hielt inne und schluckte. »Wie soll die Auswahl jetzt also erfolgen?«

»Wir werden uns mit den Mädchen unterhalten«, entgegnete die Piratin mit dem Papagei. »Und die anderen Hexen werden ihre Fähigkeiten überprüfen. Ich bin sicher, so können wir das Kristallelement erwecken.«

Mein Kopf schwirrte und ich hielt mich an dem Speer, den ich in den Boden gerammt hatte, fest. Die Magie der Fremden und die Hitze des Tages setzten mir mehr zu, als gut für mich war. Die Kräfte, die ich so lange gesammelt hatte, drängten danach, auszubrechen.

Ich biss die Zähne zusammen und brachte meinen Atem unter Kontrolle, während das Gespräch zwischen Damian und den Ankömmlingen weiterging und kein Ende zu nehmen schien.

»Roya, was hast du?«, fragte Livian alarmiert.

Als würde eine Trommel in meinem Inneren geschlagen, vibrierte mein Körper. Einen Moment lang wurde mir schwarz vor Augen und ich verlor jegliches Gefühl. Ich fiel und wusste, ich würde gleich auf der Erde landen, doch der Aufprall kam nicht.

»Bring sie in den Schatten«, sagte eine männliche Stimme, die ich nicht kannte.

Gleich darauf fühlte ich mich schwerelos, als würde ich auf einer Wolke sitzen und in den Schlaf geschaukelt werden. Kühle legte sich auf meine Haut und ich atmete tief ein.

Blinzelnd öffnete ich die Lider und schaute in das Gesicht des Mannes, der über dieselbe Magie zu verfügen schien wie ich. Seine dunklen Iriden strahlten etwas Beruhigendes aus und einen Moment lang vergaß ich, dass er ein Fremder war.

Sein Blick wirkte besorgt oder beunruhigt und ich hatte das Gefühl, dass er nach etwas suchte. Wollte er wissen, ob wir dieselbe Kraft in uns trugen?

Ich hatte noch nie einem Menschen vertraut, noch nie jemandem erlaubt, mich so zu berühren, wie er es tat. Er saß neben mir auf dem Boden und hielt mich an sich gelehnt, als hätte er Angst, dass ich sonst umfiele.

Unter uns bebte die Erde von der Macht, die ich zu unterdrücken versuchte, und in seinen geweiteten Pupillen erkannte ich, dass er wusste, was ich war.

Ich hatte keine Ahnung, wieso, aber ich legte eine Hand an seine Wange und rang mir ein Lächeln ab.

Er sog scharf den Atem ein, wich jedoch nicht zurück, sondern musterte mich nur. Etwas in seinem Blick wurde weicher.

»Ich helfe dir«, flüsterte er, als seine Finger meine umfassten.

Ein Schrei drang aus meinem Mund, während sich Hitze wie glühende Klingen in meine Haut bohrte. Ich wand mich in seinem Arm, der mich unerbittlich festhielt und an die Brust des Fremden drückte.

Der Mann stieß einen Fluch aus und ich entdeckte Livian, der ihm ins Ohr gebissen hatte. Dennoch lockerte sich sein Griff nicht und niemand kam mir zu Hilfe.

Als ich meinen Kopf herumriss, um nach den anderen zu sehen, stellte ich fest, dass sie sich nicht bewegten. Fast so, als wären sie von einem Moment auf den anderen erstarrt.

»Lass mich los«, zischte ich und war erschrocken, dass meine Stimme nur wie ein heiseres Flüstern klang.

»Wenn ich das tue«, presste er zwischen den Zähnen hervor, »wird man dich vielleicht töten.«

Ich keuchte und hörte auf, mich gegen ihn zu wehren. Noch einmal sah ich zu den Piraten, die angekommen waren. Ob sie mich wirklich töten würden, wenn sie erkannten, welche Macht ich in mir trug?

»Wieso hilfst du mir?«, fragte ich und starrte ihm in die Augen.

Diese verwirrenden Augen, in denen ich Wärme, Kälte, unbändige Magie und Dunkelheit wahrnahm.

»Weil …«, setzte er an und röchelte mit einem Mal.

Der Schmerz in meinem Inneren löste sich auf, aber so, wie er die Hände jetzt verkrampfte, wusste ich, dass er fürchterliche Qualen leiden musste. Er krümmte sich, atmete stoßweise und ich entdeckte schwarze Schlieren, die sich über seine Hand zogen.

Hastig griff ich danach und betrachtete die Farbe, die über die Fingerspitzen bis zum Handrücken zog und dann, als wäre es Regenwasser, das auf trockenen Boden fiel, einfach verschwand.

»Was war das?«, fragte ich und riss den Blick von seinen rauen Händen los, um sein Gesicht zu mustern.

Er pflückte Livian von seinem Ohr und reichte ihn mir. Als ich den Gecko an mich nahm, stellte ich fest, dass er sich ebenso wenig rührte wie die Menschen um uns.

Bevor ich fragen konnte, wie er das anstellte, umfasste er meine Hände und drückte sie fest.

»Sag niemandem, welche Kräfte du besitzt, und sorg dafür, dass du sie regelmäßig entlädst«, wies er mich streng an. »Du weißt nicht, wie man mit ihnen umgeht.« Er zögerte einen Moment und fügte so leise, dass ich ihn selbst kaum hören konnte, hinzu: »Woher hast du sie?«

Ich straffte die Schultern und richtete mich zu voller Größe auf. Wie es aussah, hatte ich mich geirrt, denn wenn mein Retter diesen Mann geschickt hätte, würde er die Antwort auf diese Frage kennen.

»Und du? Woher hast du deine?«, fragte ich deswegen trotzig.

Erst musterte er mich nur, dann hob er die Mundwinkel und gab einen Laut von sich, der an ein Schnarchen erinnerte, bevor er lautstark lachte.

»Was ist daran so lustig?«, brummte ich und entzog ihm meine Hände.

»Eigentlich nichts«, erwiderte er und konnte dennoch nicht aufhören zu lachen.

Ich schnaubte und deutete mit dem Kinn auf die regungslosen Menschen hinter uns. »Erlöst du sie aus ihrer Starre?«

»Oh, es ist nicht mein Zauber, der sie lähmt«, meinte er und wurde ernst. »Wirst du zu den Prüfungen des Kristallelements antreten?«

Blinzelnd ließ ich seine Worte in mein Bewusstsein dringen. Wenn nicht er uns in eine Art Blase eingehüllt hatte und dafür verantwortlich war, dass die anderen erstarrt waren … wer dann? Und hatte er etwas von Kristallelementen gesagt?

»Ich habe keine Ahnung, was du meinst«, verkündete ich.

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, schrie Livian auf und wurde ganz schlaff in meinen Händen. Er sah zu mir auf und zuckte mit dem Kopf, als würde er ihn schütteln. Danach starrte er zu dem Mann, der mir immer noch viel zu nahe saß. Auch die anderen Menschen bewegten sich wieder, meine Aufmerksamkeit galt jedoch dem Gecko und dem fremden Mann.

»Hat er dir wehgetan?«, fragte Livian und kletterte auf meine Schulter. »Dann fresse ich ihn Stück für Stück auf.«

»Da wirst du dir den Magen verderben«, meinte der Mann und grinste wieder.

Ich riss die Augen auf. »Du … du hörst ihn?«

»Laut und deutlich«, entgegnete er und wirkte verwirrt. »Wieso?«

»Roya, geht es dir gut?«, fragte Damian, der sich von der Gruppe gelöst hatte. Noch immer befand ich mich in den Armen des Fremden, sodass keiner von ihnen gemerkt zu haben schien, dass die Zeit für einen kurzen Moment stillgestanden hatte.

»Ja, Ältester«, murmelte ich, weil mir mein Schwächeanfall unangenehm war.

Kriegerinnen fielen nicht um, ganz gleich, was sie erdulden mussten. Ich hatte mich von der aufgestauten Magie, die ich eigentlich hatte nutzen wollen, um die Piraten zu zerstören, überwältigen lassen. Aber das konnte ich ihm nicht sagen.

Mein Blick wanderte zu dem Mann zurück, der den Kopf schief gelegt hatte und mich musterte, als wäre ich ein seltenes Tier.

»Ist sie eine der Kandidatinnen für das Kristallelement?«, wollte er von Damian wissen.

Der verneinte. »Roya ist nicht im Dorf geboren worden, sie kam erst mit etwa dreizehn Jahren zu uns.« Wehmut huschte über sein Gesicht, vermutlich weil er sich daran erinnerte, wie ich ausgesehen hatte, als ich hier ankam, und wegen der vielen Nächte, in denen ich geweint hatte. »Deswegen kann sie das Element nicht in sich tragen.«

»Hmm«, machte der Mann und erhob sich. Er klopfte sich den Staub von den dunklen Hosen und hielt mir seine Hand hin.

Ich ergriff sie nicht, sondern stand ohne seine Hilfe auf und richtete meine Rüstung. Nie hatte ich mich dafür geschämt, wie einfach sie aussah und wie viel meiner dunklen Haut sie zeigte. Doch unter dem Blick dieses Fremden fühlte ich mich fast nackt. Deswegen strich ich meine langen, dunklen Locken über meine Schultern nach vorne, als könnte ich so meinen Körper besser verstecken.

»Es tut mir leid, dass ich die Unterredung unterbrochen habe«, sagte ich und nahm Haltung an.

»Du hast dich zu sehr verausgabt, Kind«, meinte Damian ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. »Ruh dich aus, bevor du deine Wache antrittst. Heute Nacht sollte alles ruhig sein, denn die Kristallelemente und die Meerhexen werden uns beschützen.«

Ich konnte nur hoffen, dass er mit den Kristallelementen nicht die Piraten meinte. Weil es von mir erwartet wurde, nickte ich und wartete, bis der Älteste zu den Ankömmlingen zurückkehrte. Ich wollte gehen, aber der Mann hielt mich am Ellbogen fest.

»Ich hoffe, ich sehe dich bald wieder, Roya«, flüsterte er. »Und dann würde ich mich gerne mit dir unterhalten. Allein.«

Ruckartig riss ich mich von ihm los. »Ich spreche nicht mit Piraten«, verkündete ich und stapfte, ohne auf seine Antwort zu warten, davon.

Kapitel 3

 

»Du hättest dich zumindest bedanken müssen«, meinte Livian, als wir meine Hütte betraten.

Angenehme Kühle umfing mich und ich seufzte tief, nachdem ich meinen Schild und den Speer abgelegt hatte.

»Er scheint dir geholfen zu haben«, fügte der Gecko hinzu.

»Er hat mir die Magie weggenommen, die ich so lange gesammelt habe«, erwiderte ich und stieß scharf den Atem aus. »Ich fühle mich, als würde nicht mehr der geringste Funke Kraft in mir darauf warten, diese Piraten zu vernichten.«

»Denkst du, er hat es getan, um dich daran zu hindern?«, wollte mein Freund wissen.

Livian kletterte über das Tischbein hoch und setzte sich auf das sauber geputzte Holz des Möbelstücks, um mich besser betrachten zu können.

»Ich habe zuerst gedacht, er wäre hier, um mir zu helfen«, murmelte ich und musste an den Moment denken, als ich diese Verbindung zwischen uns gespürt hatte.

Meine Fingerspitzen prickelten immer noch dort, wo wir uns berührt hatten.

»Aber irgendwie hat er dir geholfen«, riss Livian mich aus meinen Gedanken.

»Wie kommst du darauf?«, brummte ich und wandte mich von ihm ab, um zu dem Lager aus Palmenblättern zu gehen.

»Die Magie in dir war viel zu stark«, antwortete der Gecko, der zu mir gelaufen kam. »Du hast sie tatsächlich zu lange nicht mehr benutzt, dich zu lange nicht verwandelt …«

»Um genug Kraft zu haben, wenn ich sie benötige«, fiel ich ihm ins Wort. »Und jetzt habe ich gar keine Kraft mehr. Wegen diesem Mann.« Ich trat nach einem Stein auf dem Lehmboden meiner Hütte und knurrte. »Dabei besitzt er dieselbe Magie wie ich.«

Livian legte den Kopf schief und betrachtete mich aus seinen dunklen Knopfaugen mit dem hellblauen Rand. »Wirklich? Dann … dann muss er den Retter kennen.«

»Das dachte ich eben auch«, gestand ich und ignorierte das Brennen in meiner Brust.

Einen Moment lang hatte ich gedacht, ich müsste mich den Piraten nicht allein stellen. Denn selbst jetzt, da ich erwachsen und eine Kriegerin war, zitterten meine Finger bei den Erinnerungen an das, was Menschen wie sie mir einst angetan hatten. Ich hatte gehofft, einen Verbündeten unter ihnen zu finden, der von meinem Retter geschickt worden war. Doch das war nicht der Fall.

»Es ist aber auch gleichgültig, wer er wirklich ist«, sagte ich mehr zu mir als zu Livian. »Er hat mir meine Magie genommen. Ich kann nur hoffen, dass er mich nicht bei seinen Begleitern verrät.«

»Denkst du nicht, er hätte das längst getan, wenn er es gewollt hätte?«, hakte Livian nach.

»Was weiß ich.« Ich vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Er wird seine eigenen Geheimnisse haben. Und vielleicht benötigt er mich ja als Quelle seiner Macht.«

Livians Schwanz zuckte wieder nervös. »Wie meinst du das?«

»Er hat meine Magie in sich aufgenommen, als wäre es …« Ich hielt inne. Dass dieser Mann Schmerzen erlitten hatte, war unübersehbar gewesen. Warum also hatte er es getan, wenn nicht, um sich trotz der Qualen, die er erdulden musste, selbst zu stärken?

Wenn ich eines über Menschen wusste, dann, dass sie nichts taten, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Was wollte dieser Mann also von mir?

»Roya?« Livians Stimme klang besorgt.

Ich seufzte, schüttelte den Kopf und legte mich auf das Lager. »Ich habe vergessen, was ich sagen wollte«, log ich leise. »Vielleicht habe ich mich doch überanstrengt und in den letzten Tagen zu wenig gegessen.«

Livian kam zu mir und rollte sich in der Mulde meiner Knie ein. »Das wird es sein. Ein wenig Schlaf, ein reichhaltiges Essen, und du bist wieder stark wie eh und je.«

Ich nickte und schloss die Lider. Schlaf fand ich allerdings nicht, denn auf meiner Haut prickelte immer noch das Gefühl, das dieser Mann hinterlassen hatte. Seine Magie und die Art, wie er mich ansah, ließen mich schaudern.

Vielleicht sollte ich doch mit ihm reden, und wenn es nur war, um sicherzustellen, dass er mich nicht verraten würde.

 

Silbernes Licht brach sich auf den Wellen, als ich meinen Posten am Eingang des Waldes bezog und eine andere Kriegerin ablöste.

»Du musst ziemlich traurig sein, dass du heute Wache hältst«, meinte sie mit Bedauern in der Stimme.

»Wieso?«, fragte ich.

Sie kniff die Augen zusammen. »Nun, weil du jetzt das Fest verpasst und nicht weißt, wer die Auserwählten für das Kristallelement sind.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist nicht so wichtig.«

»Wenn du meinst«, murmelte sie und machte sich auf den Weg zurück zum Dorf.

Als ihre Schritte nicht mehr zu hören waren, atmete ich gedehnt aus und setzte mich auf den Platz, von dem aus ich die Lichtung überblicken konnte. Es gab nur diesen einen Weg ins Dorf, auf allen anderen Seiten hätte man steile Klippen erklimmen müssen. Allein hätte ich den Eingang dennoch nicht sichern können, aber da man bis zum Meer hinabzusehen vermochte, hatte ich genug Zeit, Alarm zu schlagen, falls wir angegriffen wurden.

Allerdings war das nicht der Fall gewesen, seitdem ich in diesem Dorf lebte. Von den Piraten, die heute angekommen waren, abgesehen, schienen die Menschen diese Insel vergessen zu haben. Vermutlich weil es hier keine Schätze gab, die es zu plündern lohnte.

Ein Knacken im Unterholz ließ mich erstarren und aufhorchen. Livian hatte es auch gehört, denn er richtete sich auf meinem Oberschenkel auf und starrte in den Wald hinein.

Als ich aufstand, kroch er auf meine Schulter und hielt sich daran fest, während ich den Speer stärker umklammerte und mich kampfbereit hinstellte.

Niemand aus dem Dorf würde die Feier verpassen wollen. Wer schlich sich also hier durch den dichten Urwald?

Da fühlte ich es. Eine vertraute Magie, dunkel und rau und zugleich beruhigend. Aber der Mann, zu dem sie gehörte, gab sich nicht zu erkennen. Noch nicht.

»Wenn du nicht von meinem Speer aufgespießt werden willst«, sagte ich laut und hob die Spitze in die Richtung, in der ich ihn vermutete, »solltest du dich zeigen.«

Er gab keinen Laut von sich und ich presste meine Finger so fest auf das Holz, dass sie knackten.

»Ich zähle bis drei und dann werfe ich«, verkündete ich. »Eins … zwei …«

»Drei«, hauchte er mir ins Ohr und umfasste meine Schultern mit den Händen.

Fluchend wirbelte ich herum, doch mit einem gezielten Tritt entwaffnete er mich und schob den Speer, der krachend zu Boden fiel, mit dem Fuß fort.

»Deine Reflexe sind gut, deine Wahrnehmung lässt sich allerdings ziemlich leicht beeinflussen.« Er grinste.

»Was erlaubst du dir?«, fuhr ich ihn an und schüttelte seine Hände von mir. »Und wieso bist du nicht bei den anderen Piraten?«

Er gab einen Laut von sich, der ein Lachen hätte sein können, allerdings klang er rau und ziemlich tief. »Ich habe doch gesagt, ich würde gerne mit dir reden. Und da du heute nicht zu dem Fest erscheinen wirst, weil du andere Verpflichtungen hast …«

»Richtig, ich habe eine Verpflichtung«, unterbrach ich ihn und verschränkte die Arme. »Sie lautet, das Dorf zu beschützen. Was ich nicht kann, wenn du mich ablenkst.«

Mit einem schiefen Lächeln beugte er sich vor, bis unsere Köpfe auf selber Höhe waren. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«, fragte er leise.

»Wenn ich Nein sage, wirst du dennoch weitersprechen, oder?«, stellte ich die Gegenfrage.

Das Lächeln vertiefte sich und irgendwie wurde mir dabei warm. Das musste eindeutig an meinem Schwächeanfall oder dem Essen liegen, das ich zu hastig hinuntergeschlungen hatte.

»Diese Insel wird seit einigen Jahren von Magie geschützt. Nur wenige können sie finden, seit die Blaue Hexe im Kampf gegen die schwarze Seele umgekommen ist«, erklärte er.

»Was soll das sein, die schwarze Seele?«, hakte ich nach.

Er richtete sich auf und das Lächeln erstarb. »Du weißt es wirklich nicht, oder?«, murmelte er.

Dann fiel sein Blick auf Livian, der ihn zischend anstarrte.

»Wie lange begleitet dich diese Echse bereits?«

»Gecko, du Seeräuber«, erwiderte Livian. »Und ich bin schon ziemlich lange an ihrer Seite.«

»Bevor oder nachdem sie die Magie bekommen hat, die sie nicht kontrollieren kann?«, hakte er nach.

»Livian ist an meiner Seite, seit Piraten wie du mein Dorf zerstört und mich als Sklavin gehalten haben«, zischte ich.

Etwas in seinen Augen veränderte sich und er atmete gedehnt aus. »Das tut mir leid zu hören«, sagte er. »Aber ich kann dir versichern, dass die Piraten, die dir das angetan haben, nichts mit den Menschen zu tun haben, die heute in deinem Dorf angekommen sind, und du ihnen vertrauen kannst.«

Ich presste die Kiefer so fest aufeinander, dass es wehtat, während ich ihn mit meinem Blick durchbohrte. »So wie dir, meinst du?« Schnaubend schüttelte ich den Kopf. »Du hast mir die Magie abgenommen, die ich so lange gesammelt habe …«

»Um zu verhindern, dass du dich selbst damit auslöschst«, unterbrach er mich. »Ich sagte doch, du kannst das nicht kontrollieren.«

»Ich bin lange ohne deine Einmischung ausgekommen!« Meine Stimme überschlug sich und ich ballte die Hände zu Fäusten. »Hast du eine Ahnung, was du angerichtet hast? Ich habe mich jahrelang auf diesen Moment vorbereitet, und jetzt …«

»Du hast sie also bewusst nicht entladen«, fiel er mir ins Wort. »Warum? Weil du gehofft hast, ein Kristallelement zu sein?«

Seine Worte ließen mich innehalten. Wie kam er auf die absurde Idee?

»Was kümmert es mich, ob ich so etwas werde?«, stieß ich aus.

»Wieso hast du sie dennoch anschwellen lassen, bis sie dich fast zerrissen hätte?«, fragte er und klang mit einem Mal viel sanfter.

Wut loderte wie ein Inferno in mir und ich zitterte bei dem Versuch, sie zu unterdrücken. Trotzdem bebte der Boden unter meinen Füßen, obwohl ich gedacht hatte, dass er mir alle Magie weggenommen hatte. Wie war das möglich?

»Das geht dich nichts an«, sagte ich und hoffte, er bemerkte meine Unsicherheit nicht.

Er machte einen Schritt auf mich zu und hielt inne, als ich zurückwich. »Ich verstehe, dass du niemandem vertraust«, meinte er noch sanfter.

Seine Stimme löschte den Brand in meinem Inneren, und die Wut, die eben noch dafür gesorgt hatte, dass die Erde unter uns tobte, flaute ab. Stille legte sich über den Wald und hüllte uns in ihren Mantel, während wir uns gegenüberstanden.

»Du hast viel erdulden müssen«, durchbrach er das Schweigen. »Und vermutlich hast du nie erfahren, wie es ist, wenn man sich jemandem öffnet.« Wieder trat er einen Schritt auf mich zu, diesmal wich ich nicht zurück. »Die Magie, die du in dir trägst, gehört nicht dir.«

Er hatte mich erreicht und legte seine Hände wieder auf meine Schultern. Wärme drang in meine Haut und breitete sich von seinen Fingern auf meinem ganzen Körper aus.

»Ich sehe ein Geheimnis in dir, das dich zerstören könnte«, hauchte er. »Eines, das niemand verstehen würde, wenn du es ihm anvertraust. Deswegen behältst du es für dich.«

»Was weißt du schon?«, fragte ich und ärgerte mich darüber, wie schwach meine Stimme klang.

Er sollte mich nicht für wehrlos halten, aber einen solchen Eindruck vermittelte ich ihm wahrscheinlich gerade.

»Ich weiß mehr, als du jetzt vermutlich denkst«, entgegnete er und beugte sich wieder nach vorn. »Erzähl mir dein Geheimnis, Roya.«

Einen Moment versank ich in den fast schwarzen Augen, in denen sich das Licht des Mondes und der Sterne zu verlieren schien. Etwas Verborgenes lag in seiner Seele, doch ich erkannte nicht, was genau es war. Und sosehr ich es wollte, ich konnte mich nicht von ihm lösen, auch wenn ich ihm kein Wort über meinen Retter oder meinen Auftrag sagen würde.

»Wie soll ich dir ein Geheimnis erzählen«, brachte ich hervor und schluckte gegen die Trockenheit in meinem Mund, »wenn du noch nicht einmal die Höflichkeit besitzt, mir deinen Namen zu verraten?«

Er blinzelte und der Zauber, den er über mich gelegt zu haben schien, brach. Dann lachte er leise und schüttelte den Kopf.

»Heron«, sagte er, ließ mich los und verneigte sich. »Stets zu Diensten, meine Dame.«

»Ich bin keine Dame«, erwiderte ich und schaffte es, einen Schritt Abstand zwischen uns zu bringen. »Ich bin eine Kriegerin.«

»Ja, das sehe ich«, meinte er.

Weder Spott noch Ablehnung lag in seiner Stimme. Er schien auf etwas zu warten. Weil ich allerdings nicht wusste, worauf, blieb ich stehen und hielt seinem Blick stand.

»Da du mir wohl dein Geheimnis heute nicht anvertrauen wirst, werde ich ins Dorf zurückkehren«, verkündete er und machte dennoch keine Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. »Aber einen Rat hätte ich noch.«

Erneut verfiel er in Schweigen und mir riss der ohnehin schon kurze Geduldsfaden mit ihm.

»Und der wäre?«, blaffte ich.

»Du solltest mit deinem Ältesten sprechen und ihn bitten, dass du ebenfalls an den Prüfungen für das Kristallelement teilnehmen darfst.«

»Warum sollte ich das tun?«, wollte ich wissen.

Er schob seine Hände in die Hosentaschen und zuckte mit den Schultern. »Ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, du würdest etwas über dich erfahren, das du nicht für möglich gehalten hast.« Er kam auf mich zu und blieb dicht neben mir stehen. »Und vielleicht kannst du die Vergangenheit loslassen, die deine Wut und dein Misstrauen schürt, und herausfinden, dass nicht alle Menschen schlecht sind.«

Heron ging an mir vorbei und ich drehte mich zu ihm um. »Du wirst mein Vertrauen so nicht gewinnen«, rief ich ihm nach.

»Dass du es mir nicht leicht machen wirst, war mir klar«, entgegnete er, ohne stehen zu bleiben.

Dann war er fort und ich blieb allein mit Livian zurück.

»Was für ein seltsamer Mann«, meinte der Gecko und legte seine Hand an meine Wange. »Geht es dir gut?«

»Ja«, erwiderte ich und tätschelte seinen Kopf. »Aber wir werden uns vor ihm in Acht nehmen müssen. Denn er scheint selbst mehr Geheimnisse in sich zu tragen, als er bewältigen kann.«

Kapitel 4

 

Als sich das Meer im Licht des anbrechenden Tages wie Feuer erhob, löste mich eine andere Kriegerin ab und ich trat meinen Weg ins Dorf an. Der dichte Dschungel wirkte verändert, aber ich konnte nicht sicher sagen, worin die Veränderung lag. Vielleicht waren es die Laute der Tiere, die anders klangen als sonst. Oder ich bildete es mir lediglich ein.

Ich hatte das Dorf kaum betreten, als Damian auf mich zukam. Er wirkte angespannt, als hätte er eine schlechte Neuigkeit für mich. Sofort verkrampfte sich mein Magen und ich fragte mich, ob Heron den anderen doch verraten hatte, dass ich eine Gefahr für sie darstellte.

»Roya«, sagte er in vertraulichem Tonfall und bedeutete mir, ihm zu folgen.

Aber er brachte mich nicht zu seiner Hütte, sondern zu einem Pavillon, in dem für gewöhnlich der Rat des Dorfes tagte. Wir hatten die wenigen Stufen, die zum Inneren führten, noch nicht erreicht, da fühlte ich bereits eine seltsame Magie, die tief in meinem Inneren zu vibrieren begann.

»Vorsicht«, flüsterte Livian, der sich um das Holz des Speers geschlungen hatte und jetzt auf meine Hand rutschte. »Hier versucht jemand, deine Magie zu locken.«

Ich wunderte mich längst nicht mehr, dass Livian das Aufflammen meiner Macht ebenso fühlte wie ich. Manchmal hatte ich gedacht, dass der Gecko nicht real wäre. Niemand außer mir schien ihn je zu beachten, geschweige denn zu hören. Außer Heron.

Er war es auch, den ich als Erstes an dem langen Tisch bemerkte, an dem die Piraten sich neben fünf Kriegerinnen unseres Dorfes versammelt hatten. Ich sah zu ihm und meinte, er würde mir ein schwaches Lächeln schenken. Allerdings wusste ich nicht, ob es aufmunternd sein sollte oder eher gehässig.

Dann betrachtete ich die anderen Leute und blieb an dem blonden Mann hängen, der die Piraten vermutlich anführte. Unter seinem durchdringenden Blick schob Damian mich vor und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der anderen zu gewinnen.

Die beiden Hexen musterten mich, ohne ein Wort zu sagen, und ich war froh, dass ich mich an dem Speer in meiner Hand festhalten konnte. Livian legte sich um meinen Hals und betrachtete die Menschen vor uns. Auch er schwieg und zuckte, als die schwarze Katze an uns herangeflogen kam.

Ihr Blick aus goldenen Augen bohrte sich in meinen und es wirkte, als würde sie die Mundwinkel zu einem Grinsen heben.

»Du kannst mich sehen«, gurrte sie und zwinkerte. »Das bleibt aber noch unser Geheimnis. Nur Nyneve erzähle ich es natürlich.«

Ich hatte keine Ahnung, was die Katze von mir wollte, doch da sie einfach fortflog, ersparte ich mir die Frage.

»Ältester, weswegen bringst du diese Kriegerin zu uns?«, wollte die ältere der beiden Hexen wissen.

»Weil ich ihn darum gebeten habe«, verkündete Heron und erhob sich.

»Sie wurde nicht auf der Insel geboren«, warf die andere Hexe mürrisch ein. »Wieso verschwendest du unsere Zeit, Bürschchen?«

Heron sah einen ewig erscheinenden Moment lang mich an, dann wandte er sich der Hexe im türkisen Umhang zu. »Weil ich dachte, auf eine Kandidatin mehr oder weniger kommt es nicht an.«