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Sind Kirchen und christliche Religion tatsächlich moralisch so kompetent, wie sie immer behaupten? Ist das nicht Wunschdenken? Denn wie kann es sein, dass zu fast jeder moralisch wichtigen Frage durchaus gläubige wie kompetente Christen so gut wie jede mögliche Antwort ernsthaft vertreten und vertreten haben: Christen plädieren für Pazifismus und Kriegsbereitschaft, für Sozialismus und Kapitalismus, für die Gleichberechtigung und die Unterordnung der Frau, für und gegen gleichgeschlechtliche Liebe und homosexuelle Ehe, Empfängnisverhütung und Sterbehilfe. Wie ist diese moralische Orientierungslosigkeit einer Religion zu erklären, die sich hartnäckig immer wieder selbst als Hüterin der Moral versteht? Andreas Edmüller kommt in seinem Buch zu einem überraschenden Ergebnis: Eigentlich verfügt das Christentum über keinerlei ernstzunehmende Morallehre. Denn was man findet, ist lediglich ein in sich unstimmiges und unsystematisches Konglomerat an Geboten und Verboten, Gleichnissen und biblischen Erzählungen, sind Appelle an Autoritäten, antike Präzedenzfälle, Missverständnisse und oft kaum haltbare Interpretationen der angeblich heiligen Schriften. Und selbst wenn da mehr wäre - es ließe sich nicht vernünftig begründen. Das ganze Gebilde der christlichen Moral hängt wie eine esoterische Pseudo-Lehre in der Luft. Edmüllers Fazit: Die moralische Relevanz des Christentums ist im Rahmen verantwortungsvoller und vernünftiger Diskussion vernachlässigbar, ja oft genug sind christliche Positionen sogar schädlich.
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Seitenzahl: 335
Andreas Edmüller
Die Legende von der christlichen Moral
Andreas Edmüller
Die Legende von der christlichen Moral
Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist
Tectum Verlag
Andreas Edmüller
Die Legende von der christlichen Moral Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist
© Tectum Verlag Marburg, 2015ISBN: 978-3-8288-6330-9(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3655-6 im Tectum Verlag erschienen.)
Umschlagabbildung: shutterstock.com © Vadim GeorgievSatz & Umschlaggestaltung: Mareike Gill | Tectum Verlag
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen National¬bibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Zur Erinnerung an meinen Großvater Johann Edmüller
Vorwort
Worum geht es in diesem Buch? Ich möchte zeigen, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, dem Christentum Kompetenz in moralischen Fragen zuzuschreiben. Warum ist diese Debatte wichtig? Kaum jemand glaubt heute noch, die Bibel sei eine brauchbare Quelle für wissenschaftlich relevante Einsichten zu Entstehung und Beschaffenheit unserer Welt. Und kaum jemand glaubt ernsthaft an „harte“ christliche Glaubensinhalte wie die Lehren von der Erbsünde, der Jungfrauengeburt, den ewigen Höllenqualen, der Dreieinigkeit oder der Prädestination – die allermeisten Mitglieder der christlichen Kirchen kennen deren Inhalte nicht einmal genau. Allerdings halten viele Menschen das Christentum auch heute noch für moralisch relevant. Und das angesichts der offensichtlichen Tatsache, dass zu fast jeder moralisch wichtigen Frage gläubige Christen so gut wie jede mögliche Antwort vertreten (und immer schon vertreten haben). Pazifismus oder Kriegsbereitschaft? Sozialismus oder Kapitalismus? Gleichberechtigung der Frau? Gleichgeschlechtliche Liebe? Homosexuelle Ehe? Empfängnisverhütung? Sterbehilfe? Todesstrafe? Das Problem ist nicht, dass man von Christen zu diesen und vielen anderen Themen keine Antwort bekäme. Das Problem ist, dass man von Christen jede mögliche Antwort bekommt – und das auf Basis derselben Grundannahmen, z.B. der Bibel oder der Gewissenserforschung.
Diese Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit in wichtigen moralischen Fragen legt den Verdacht nahe, dass etwas nicht stimmen kann mit der christlichen Moral. Und diesem Verdacht gehe ich in diesem Buch systematisch aus philosophischer Perspektive nach. Das Ergebnis: Das Christentum verfügt über keine ernstzunehmende Morallehre. Mehr als ein in sich unstimmiges Konglomerat an Geboten, Verboten, Gleichnissen und Erzählungen, Appellen an Autoritäten, Präzedenzfällen, Missverständnissen und oft recht schrägen Interpretationen einer angeblich heiligen Schrift ist da nicht. Und selbst wenn da mehr wäre – sie könnten es nicht vernünftig begründen. Das ganze Gebilde hängt wie jede andere esoterische Pseudo-Lehre in der Luft. Kurz: Die moralische Kompetenz des Christentums entspricht seiner naturwissenschaftlichen – sie ist im Rahmen verantwortungsvoller und vernünftiger Diskussion vernachlässigbar.
Aus dieser Einsicht sollten wir dann auch die richtigen Konsequenzen ziehen und die nächsten Schritte hin zur Entflechtung von Staat und Religion bzw. Kirchen entschlossen gehen: Jede Form von staatlicher Subvention religiöser Gemeinschaften oder Kirchen ist einzustellen. Juristische Privilegien für Religionen und deren Organisationen sind abzuschaffen. Und gläubige Christen sollten sich ernsthaft mit Moralphilosophie beschäftigen; vor allem mit deren säkularen Ansätzen. Gerade weil moralische Fragen so wichtig sind, darf man sie nicht der arationalen Beliebigkeit und Zufälligkeit christlicher Meinungsbildung überlassen. Sie müssen systematisch, sorgfältig und vernünftig behandelt werden – und das ist im Rahmen des Christentums nicht möglich.
Dieses Buch hatte seinen Anfang in einer Frage, die mir vor einigen Semestern ein Student im Rahmen eines meiner Seminare zur Moralphilosophie gestellt hat: Welche Antwort würde denn die christliche Morallehre dazu geben? An das Thema und den Fragesteller kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Also bedanke ich mich „bei Unbekannt“ für den Denk-Anstoß, der mich ziemlich schnell ziemlich stutzig gemacht hat und letztlich zu diesem Buch führte. Tatkräftige Unterstützung haben auch meine Testleser geleistet. Ein donnerndes Dankeschön an Sigi Schawe, Elisabeth Maier, Judith Faessler, Inge und Klaus Hofmann-Betlejewski sowie Thomas Wilhelm. Nicht nur die Anmerkungen zu verschiedenen Versionen des Textes waren enorm hilfreich. Auch in unseren zahlreichen Debatten habe ich sehr viel gelernt. Ganz besonders bedanke ich mich bei Pater Hermann Bickel für die akribische Korrektur-Lektüre des Manuskriptes – gerade weil er meine Thesen nicht teilt und vermutlich jede Seite mit gesträubten Haaren gelesen hat.
Inhalt
1. Kapitel:Warum dieses Buch?
2. Kapitel:Die normative Beliebigkeit des Christentums
Politische Gerechtigkeit
Erste Indizien
Politische Gewalt
Wie sieht eine christliche Staatsform aus?
Menschenrechte
Moral
Die christliche Sexualmoral
Du sollst nicht töten!
Die Hölle des Christentums
3. Kapitel:Was ist ein Moralsystem?
Warum brauchen wir moralische Argumente?
Unser Handeln hat Folgen für andere Menschen
Wann benötigen wir ein Moralsystem?
Mindestanforderungen an ein Moralsystem
Berechenbarkeit
Stimmigkeit
Warum sind Berechenbarkeit und Stimmigkeit wichtig?
Sind Berechenbarkeit und Stimmigkeit auch für Christen wichtig?
Wie werden Berechenbarkeit und Stimmigkeit sichergestellt?
Die Grundannahmen
Das Entscheidungsverfahren
Die Begründung
4. Kapitel:Die Grundannahmen der christlichen Moral
Grundsätzliches zur Bibel
Die klassische Minimalbasis: Die Zehn Gebote
Widerspruch zu christlichen Moralvorstellungen
Moral wird unmöglich bzw. unerreichbar
Die etwas erweiterte klassische Basis: Die Zehn Gebote und das Liebesgebot
Der Inhalt der Grundannahmen ist unklar und nicht stimmig
Die klassische Basis: Die Zehn Gebote und die Bergpredigt
Die Lehre Jesu basiert auf einem für uns erfreulichen Irrtum
Umfang und Inhalt der Grundannahmen sind ausgesprochen unklar
Moral bleibt unmöglich bzw. unerreichbar
Der Inhalt der Grundannahmen ist und bleibt nicht stimmig
Die ganze Bibel als Basis
Die Stimmigkeit der Bibel: Konkrete Herausforderungen
Die Bibel lehrt viel Falsches
Homosexualität und christliche Moral
5. Kapitel:Nichtchristliche Grundannahmen der christlichen Moral
Naturrecht und Vernunft als Basis
Naturrecht: Was ist das?
Einwände gegen die Konzeption des Naturrechts
Woher das Gefühl der Gewissheit kommt
Der finale Sargnagel: Das Naturrecht im Christentum
Autorität als Basis
6. Kapitel:Das Entscheidungsverfahren der christlichen Moral
Beispiele für normative Entscheidungsverfahren
Mögliche Elemente eines christlichen Entscheidungsverfahrens
Die Ableitung aus Geboten
Die Ableitung aus Gleichnissen und Erzählungen
Die Ableitung aus Präzedenzfällen
Die Delegation der Entscheidung an eine Autorität
Die Ableitung aus dem Gewissen
7. Kapitel:Die Hindernisse einer Begründung der christlichen Moral
Warum ist eine Begründung überhaupt wichtig?
Warum sind Begründungen für Moralsysteme wichtig?
Wie sieht die Begründung der „christlichen Moral“ aus?
Welches Moralsystem ist das richtige?
Warum soll ich mich an die Normen dieser Moral halten?
Was ist von einer säkularen Moral zu halten?
Wie sollte man mit normativen Dilemmata umgehen?
Die Kernthesen der christlichen Begründung
Die Haupthindernisse für eine christliche Begründungsargumentation
Wer trägt die Beweislast?
Die Argumentation gegen den Atheismus ist eigentlich das kleinste Begründungsproblem des Christentums
Warum sollen wir eigentlich die Gebote Gottes befolgen?
Das Übel in der Welt und das christliche Gottesbild
8. Kapitel:Die Begründungsversuche der christlichen Moral
Der ontologische Gottesbeweisversuch
Der kosmologische Beweisversuch
Was kann der kosmologische Beweisversuch überhaupt leisten?
Das „einfache“ kosmologische Argument
Das „philosophisch ausgefeilte“ kosmologische Argument
Der teleologische Gottesbeweisversuch
Wie weit trägt eigentlich diese Analogie?
Warum nicht auch eine Defizit-Analogie entwickeln?
9. Kapitel:Was nun?
Meine Thesen sind sehr leicht zu widerlegen
Ist das Christentum eine friedliche Religion?
Die historische Frage
Sind die Lehrinhalte des Christentums klar als ein Plädoyer für Frieden, Offenheit und Toleranz zu verstehen?
Welchen Anteil haben die Lehrinhalte des Christentums an seiner geschichtlichen Wirkung?
Der christliche Giftcocktail
Moralische Fragen sind sehr wichtig
Moralische Fragen können im Christentum nicht vernünftig beantwortet werden
Das Christentum beansprucht absolute Gewissheit für seine moralischen Positionen
Das Märchen von den christlichen Grundlagen unserer Gesellschaft
Von welchen christlichen Werten ist eigentlich die Rede?
Welche Werte oder Normen sind für unsere Gesellschaft bzw. unsere politische Kultur tatsächlich prägend?
Handelt es sich dabei um christliche Werte oder entstammen sie anderen Quellen?
Hat sich das Christentum für diese Werte eingesetzt oder war es dagegen?
Weitere Säkularisierungsschritte
Die Säkularisierung unserer Universitäten und Schulen
Die Säkularisierung unseres Rechtssystems
Die Säkularisierung der „christlichen Moral“
1. Kapitel:Warum dieses Buch?
Historisch gesehen besteht Europas größte zivilisatorische Leistung in der Säkularisierung von Staat, Gesellschaft und individueller Lebensführung. Es ist uns im Laufe der letzten Jahrhunderte und vor allem Jahrzehnte gelungen, Religion als dominantes Element unserer Zivilisation weitgehend zu entmachten. Diese Entwicklung war bekanntlich keine sanfte. Sie wurde mit zahlreichen Menschenleben, verheerenden Rückschlägen und unermesslichem Leid erkauft.1 Unsere Generation ist eine der ersten, die die Vorteile dieser umfassenden Säkularisierungsbewegung in erheblichem Umfang genießen kann.
Die Säkularisierung Europas hat enorme Kräfte freigesetzt. Die Wissenschaften haben in relativ kurzer Zeit eine Fülle und Tiefe an Einsichten in unser Universum, dessen Entwicklung und Aufbau erarbeitet, die mittlerweile selbst den gebildetsten Menschen des 19. Jahrhunderts die Sprache verschlagen würde. Neben diesem theoretischen Gewinn hat auch unsere Lebensqualität ganz praktisch davon profitiert. Durchschnittliche Lebenserwartung und Gesundheitszustand waren wahrscheinlich nie höher und besser als in der Gegenwart; auch das Ergebnis einer von religiösen Zwängen befreiten Forschung und Wissenschaft. Im normativen Bereich verdanken wir der Säkularisierung eine grundsätzliche Orientierung an der Vision des liberalen Rechtsstaates mit seinen Grundwerten der persönlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Recht. Diese Ideen wiederum liefern den Rahmen für eine offene und tolerante Gesellschaft. Und in Kombination mit säkularen Moralvorstellungen, vom Christentum über zwei Jahrtausende hinweg erbittert bekämpft, eröffnet sich so der Freiraum für eine selbstbestimmte, an der je eigenen Glücksvorstellung orientierte Lebensführung. Nicht zuletzt ermöglicht diese Konzeption des Rechtsstaats eine relativ freie und effektive Wirtschaftsordnung, die zu bisher unerreichtem Wohlstand für fast alle Bürger geführt hat. Das alles ist Teil unserer Alltagserfahrung – zum Glück! Denn selbstverständlich ist es nicht. Das zeigt ein Blick auf die Weltgegenden und Zeitalter, in denen Politik und Gesellschaft stark oder überwiegend von religiösen Vorstellungen geprägt sind oder waren. Der islamische Kulturkreis liefert zur Zeit das Anschauungsmaterial, das dem Christentum einen so lehrreichen wie heilsamen Blick in seine eigene Vergangenheit ermöglicht.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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