Die Legenden von Karinth (Band 2) - C. M. Spoerri - E-Book

Die Legenden von Karinth (Band 2) E-Book

C.M. Spoerri

4,5

Beschreibung

Die Suche nach der Elfenprinzessin hat Maryo Vadorís nach Karinth gebracht. In ein Land, das voller Geheimnisse und Mythen ist und dessen Kultur sich stark von Maryos Heimat unterscheidet. Eigentlich will der selbstbewusste Elf nur seine Aufgabe erfüllen und so rasch wie möglich die Rückreise antreten. Aber die Prinzessin ist schwer zu finden, da sie in die Hände eines legendären Sklavenhändlers gefallen ist. Außerdem stößt Maryo auf eine uralte Prophezeiung, die sein Schicksal besiegeln könnte. Und dann lassen die Götter seinen Weg auch noch ausgerechnet mit einem Volk kreuzen, das Elfen abgrundtief hasst: den Amazonen von Karinth.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte Karinth

Landkarte Nordkarinth

Kapitel 1 - Amyéna

Kapitel 2 - Amyéna

Kapitel 3 - Roter Tarkar

Kapitel 4 - Amyéna

Kapitel 5 - Thesalis

Kapitel 6 - Thesalis

Kapitel 7 - Maryo

Kapitel 8 - Edana

Kapitel 9 - Maryo

Kapitel 10 - Thesalis

Kapitel 11 - Maryo

Kapitel 12 - Thesalis

Kapitel 13 - Maryo

Kapitel 14 - Edana

Kapitel 15 - Edana

Kapitel 16 - Maryo

Kapitel 17 - Amyéna

Kapitel 18 - Amyéna

Kapitel 19 - Amyéna

Kapitel 20 - Amyéna

Kapitel 21 - Amyéna

Kapitel 22 - Edana

Kapitel 23 - Maryo

Kapitel 24 - Thesalis

Kapitel 25 - Maryo

Kapitel 26 - Roter Tarkar

Kapitel 27 - Roter Tarkar

Kapitel 28 - Amyéna

Kapitel 29 - Maryo

Kapitel 30 - Maryo

Kapitel 31 - Edana

Kapitel 32 - Amyéna

Kapitel 33 - Amyéna

Kapitel 34 - Thesalis

Kapitel 35 - Maryo

Kapitel 36 - Thesalis

Kapitel 37 - Maryo

Kapitel 38 - Edana

Kapitel 39 - Maryo

Epilog

Nachwort der Autorin

Glossar

Dank

Über die Autorin

Buchempfehlungen

 

C. M. SPOERRI

 

 

Die Legenden von Karinth

Band 2

 

 

Fantasy

 

Die Legenden von Karinth (Band 2)

Die Suche nach der Elfenprinzessin hat Maryo Vadorís nach Karinth gebracht. In ein Land, das voller Geheimnisse und Mythen ist und dessen Kultur sich stark von Maryos Heimat unterscheidet. Eigentlich will der selbstbewusste Elf nur seine Aufgabe erfüllen und so rasch wie möglich die Rückreise antreten. Aber die Prinzessin ist schwer zu finden, da sie in die Hände eines legendären Sklavenhändlers gefallen ist. Außerdem stößt Maryo auf eine uralte Prophezeiung, die sein Schicksal besiegeln könnte. Und dann lassen die Götter seinen Weg auch noch ausgerechnet mit einem Volk kreuzen, das Elfen abgrundtief hasst: den Amazonen von Karinth.

 

 

Die Autorin

C. M. Spoerri lebt in der Schweiz und schreibt in erster Linie Jugendromane im Fantasy-Genre. Ihre vierteilige Debüt-Reihe ›Alia‹ eroberte bereits die Herzen vieler Leser, ebenso wie ›Die Greifen-Saga‹, die zweite Reihe, die in derselben Fantasy-Welt Altra spielt.

 

›Legenden von Karinth‹ ist eine neue Reihe, die unabhängig von den bisher erschienenen Büchern gelesen werden kann.

 

Bei den anderen Büchern wird folgende Reihenfolge empfohlen:

 

Die Alia-Saga:

Band 1 – Der magische Zirkel

Band 2 – Der schwarze Stern

Band 3 – Das Land der Sonne

Band 4 – Das Auge des Drachen

Spin-Off – Die Magier von Altra

 

Die Greifen Saga:

Band 1 – Die Ratten von Chakas

Band 2 – Die Träne der Wüste

Band 3 – Die Stadt des Meeres

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, August 2017

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2016

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | alexanderkopainski.de

Landkarten: C. M. Spoerri 2016

Illustrationen: Shutterstock.com | fotolia.de

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-62-3

ISBN (epub): 978-3-906829-61-6

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für meinen treusten Leser:

Andi, ich liebe dich

Landkarte Karinth

 

Landkarte Nordkarinth

 

 

Kapitel 1 - Amyéna

 

»Seid Ihr sicher, dass es das Schiff Eures Freundes ist?« Prinzessin Amyéna sah skeptisch zum Rumpf, der sich schwarz gegen den Nachthimmel abhob. Die Elfin war aufgestanden und versuchte, das Gleichgewicht in dem kleinen Fischerboot zu halten – was gar nicht so einfach war.

»Ja, ich erkenne sein Schiff«, antwortete Kapitän Aderan, der die Ruder in der Hand hielt. »Habt Vertrauen, bald sind wir an Bord und unterwegs nach Karinth.«

Amyéna seufzte leise. Sie konnte immer noch nicht fassen, was sie gerade getan hatte: Sie hatte zum zweiten Mal ihren Leibwächter Maryo Vadorís überlistet. Hatte ihn mit einem Schlaftrunk überwältigt und in der kleinen Hütte auf den Steininseln zurückgelassen. Die Felsformation, die aus dem Wasser ragte und dem trostlosen Eiland seinen Namen gegeben hatte, war von hier aus nicht mehr zu sehen. Kapitän Aderan hatte seinen Freund gebeten, außer Sichtweite der Inseln zu ankern.

Eine Gänsehaut rann über Amyénas Rücken, als sie daran dachte, wie Maryo toben würde, wenn er erwachte. Sie hatte ihn hintergangen … schon wieder. Und sie hatte ihr Volk im Stich gelassen … erneut.

Aber die Elfenprinzessin wusste auch, dass sie ihrer Vision folgen musste. Sie musste wissen, was es bedeutete, dass sie seit Monaten immer und immer wieder von dieser Frau träumte … dieser Frau, die sich irgendwo in Karinth befand und mit großer Sicherheit eine Amazone war.

Jetzt betrachtete sie das Schiff, von dem das Fischerboot nur noch ein paar Bootslängen entfernt war. Der Rumpf ragte erhaben in den dunklen Himmel und Amyéna musste den Kopf in den Nacken legen, um die Reling zu erkennen. Dort erschien soeben eine kleine Lichtkugel, ohne dass die Elfin eine Laterne oder Ähnliches ausmachen konnte.

Es befanden sich also Magier an Bord …

»Wer ist da?«, donnerte eine tiefe Männerstimme zu ihnen herunter.

»Kapitän Aderan mit der angekündigten Passagierin«, antwortete ihr Begleiter mit den dunkelbraunen Locken. »Dürfen wir an Bord?«

Zur Antwort wurde eine Strickleiter heruntergelassen.

»Das heißt wohl ›Ja‹«, meinte Aderan mit einem Schmunzeln, das Amyéna nur wahrnahm, weil ihre Elfenaugen auch bei Dunkelheit hervorragend sehen konnten. Der Himmel war mit Wolken verhangen, die den Mond und die Sterne verbargen und alles um sie herum in Schwarz tauchten.

»Nach Euch, Prinzessin«, raunte Aderan, als er das Boot an den Schiffsrumpf herangerudert hatte und die Strickleiter ergriff.

»Sagt niemandem, dass ich eine Prinzessin bin«, flüsterte Amyéna, während sie die Leiter ergriff. »Das soll unser Geheimnis bleiben.«

»Ich mag Geheimnisse.«

Wieder entdeckte die Elfin ein Schmunzeln auf Aderans Lippen und sah sogar das Zwinkern, das er ihr aus seinen dunklen Augen zuwarf.

»Keine Sorge, ich werde niemandem ein Sterbenswort über Eure Herkunft verraten. Ihr seid eine Elfin, die ihr Volk in Karinth besuchen möchte – nicht mehr und nicht weniger.«

»Danke«, nickte Amyéna und begann mit dem Aufstieg.

Da sie für die Flucht aus Westend auf ihre üblichen langen Kleider verzichtet hatte und stattdessen weiche Jagdkleidung trug, fiel ihr das Erklimmen der Strickleiter nicht weiter schwer. In den sündhaft teuren Roben, die sie bei Hofe stets anziehen musste, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Als sie oben ankam, griffen mehrere Hände nach ihren Armen und halfen ihr, über die Reling zu klettern. Der Schein einer Lichtkugel erhellte das Deck und beleuchtete die Männergruppe, die sich um sie geschart hatte.

Einen Augenblick lang wurde Amyéna mulmig zumute.

Sie wurde von Dutzenden Augenpaaren angestarrt, als sei sie eine seltene Kostbarkeit. Aber nicht nur Bewunderung und Neugier lagen in den Blicken der Männer, sondern teilweise auch unverhohlene Abneigung. Sie konnte es ihnen nicht verdenken – schließlich war sie eine Elfin und in Zeiten wie diesen waren Elfen bei Menschen nicht willkommen. Was auch im gegensätzlichen Fall zutraf.

Amyéna war froh, als Aderan ebenfalls das Deck erklommen hatte und sich vor sie stellte, während er die Hände in die Hüften stemmte.

»Wo ist er?«, fragte er in die Runde. Seine Stimme klang ruhig und passte zu seiner selbstsicheren Haltung.

Die Männer, die allesamt kräftig gebaut und kahlköpfig waren, runzelten die Stirn, ohne ihm zu antworten.

»Ich sehe seine Magie, aber ihn kann ich nicht entdecken«, fuhr Aderan fort und deutete auf die Lichtkugel, die immer noch über ihnen schwebte. Er sah sich suchend um.

In dem Moment flimmerte die Luft neben Amyéna und sie stieß unwillkürlich einen erschrockenen Laut aus, als mit einem Mal ein Mann neben ihr stand, der sie mit breitem Lächeln musterte.

Er hatte dunkelrotes Haar, das ihm in weichen Wellen über die Schultern fiel. Sein Gesicht war braun gebrannt, die grünen Augen funkelten wie Smaragde. Der Mann war ungefähr in Aderans Alter, vielleicht ein paar Jahre älter. Er trug weite Stiefel, die er oben umgekrempelt hatte, eng anliegende schwarze Hosen sowie ein schwarzes Hemd. Darüber einen Umhang aus dunkelgrauem Fell – welchem Tier es gehört haben mochte, konnte Amyéna nicht festmachen. Es schien so weich wie Federn zu sein und den kühlen Wind hervorragend abzuhalten. Sie hatte noch nie einen solchen Pelz gesehen.

Der Blick der Elfin glitt zu den Händen des Mannes, die dieser wie ein Händler, der einen guten Kauf witterte, aneinander rieb. Viele goldene Ringe waren daran zu erkennen, aber kein Magierring. Das war befremdlich, da in Altra alle Magier einen schwarzen Ring trugen. Womöglich stammte dieser Mann aus einem Land, wo das nicht von magiebegabten Menschen verlangt wurde …

Der Fremde ließ seinerseits den Blick über ihren Körper wandern und wenn sein Grinsen noch breiter werden konnte, dann tat es das, als er ihr wieder in die Augen sah.

»Willkommen auf der ›Meeresbrise‹, fremde Schönheit«, sagte er mit einem Akzent, den Amyéna nicht zuordnen konnte. Seine erstaunlich tiefe Stimme rollte das ›R‹ ein wenig und er sprach die Silben so samtweich aus, dass es wie ein Gesang anmutete. Begleitet wurden seine Worte von einer formvollendeten Verbeugung, die in Amyéna einen Moment lang die Befürchtung aufkommen ließ, er könne doch wissen, wer sie war.

Ehe sie etwas antworten konnte, war Aderan neben den Fremden getreten und klopfte ihm auf die Schulter. »Der ›rote Tarkar‹«, sprach er in leicht zynischem Tonfall. »Wie er leibt und lebt … immer für eine Überraschung gut. Du hast wohl deine Vorliebe für theatralische Auftritte noch nicht abgelegt?«

Der rothaarige Mann verzog seine Lippen, sodass sein Lächeln schief wurde. »Kapitän Aderan – ohne sein Schiff …« Sein Tonfall war nicht minder zynisch. Dann glitt sein Blick zu Amyéna und er schob Aderan zur Seite. »Mit wem habe ich denn das Vergnügen?« Seine grünen Augen sahen sie voll unverhohlener Neugier an.

»Das ist Amyéna aus Altra«, stellte Aderan sie vor. »Amyéna, das ist mein Freund, der ›rote Tarkar‹.«

»Es ist mir eine Ehre, eine solch wunderschöne Frau – und gar eine Elfin – an Bord meines Schiffes begrüßen zu dürfen«, säuselte der ›rote Tarkar‹.

Sein Blick hätte bestimmt viele Frauenherzen höherschlagen lassen – aber Amyéna verbarg ihre Befangenheit hinter einer hoheitsvollen Miene, die sie am Hofe von Westend perfektioniert hatte.

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits«, antwortete sie mit einem freundlichen Nicken und hielt der Musterung des rothaarigen Mannes stand. »Kapitän Aderan hat mir gesagt, Ihr könnt mich nach Karinth bringen?«

Ein amüsiertes Schmunzeln spielte um den Mund des Fremden. »Ich mag Frauen, die direkt zur Sache kommen«, bemerkte er und ließ seine Augen erneut blitzen. »Aber ja, ich bringe Euch überall hin, wo Ihr wollt, Schätzchen.«

Eine solche Anzüglichkeit hätte Amyéna sich normalerweise in Westend von niemandem gefallen lassen. Doch sie war nicht mehr am Hofe, sondern auf See … als einfache Frau. Daher schluckte sie ihren Stolz herunter und sah den ›roten Tarkar‹ stattdessen fest an.

»Das freut mich, zu hören. Aber vorerst wäre mir Karinth ganz recht«, sagte sie in gefasstem Tonfall.

Der ›rote Tarkar‹ stieß ein dunkles Lachen aus und bot ihr seinen Arm an. »Kommt mit, meine Teure. Ich bringe Euch in meine Kabine, wo wir den lästigen Blicken meiner Männer nicht weiter ausgeliefert sind. Ich habe noch nie gern schöne Dinge mit anderen geteilt.«

Amyéna zögerte, dann ergriff sie jedoch seinen Arm und hakte sich bei ihm ein. Ihr entging nicht, dass Aderan seinem Freund ein wütendes Funkeln zuwarf, das dieser jedoch nicht sah, weil er sich bereits von ihm abgewandt hatte.

Über die Schulter hinweg sagte der Rothaarige: »Bringt den Kapitän ohne Schiff in seine übliche Kabine.«

Ehe Aderan es sich versah, wurde er von vier Männern flankiert, die allesamt größer und massiger waren als er selbst. So blieb ihm nichts anderes übrig, als mit ihnen mitzugehen – es hätte nichts gebracht, sich zu wehren.

Amyéna fühlte sich zusehends unwohl, als die restliche Mannschaft sich vor dem ›roten Tarkar‹ teilte und eine Gasse freigab, durch die sie in Richtung Vorderdeck schritten.

»Warum wollt Ihr Euren Freund nicht dabeihaben?«, fragte Amyéna in beiläufigem Tonfall. Sie musste sich zusammenreißen, um ihr Unbehagen nicht ihre Stimme färben zu lassen. Dieser ›rote Tarkar‹ war ihr alles andere als geheuer.

»Hängt Ihr denn so sehr an ihm?«, fragte der rothaarige Mann, ohne sie anzusehen.

»Ich … Nein, aber er ist Euer Freund«, erwiderte Amyéna.

»Und Euer Begleiter – daher möchte ich gern mit Euch allein reden«, war die knappe Erklärung.

Amyéna runzelte die Stirn und unterdrückte ein Seufzen. Dieser Mann schien es zu lieben, in Rätseln zu sprechen – sie hätte zwar seine Gedanken lesen können, aber dazu musste sie seinen Kopf berühren. Etwas, das sich in diesem Moment nicht schickte, ohne das Misstrauen des Fremden zu schüren.

Einen kurzen Augenblick lang überlegte sie, dass es wohl doch ein Fehler gewesen sein könnte, Maryo Vadorís nicht mitzunehmen. Er hätte sie niemals mit diesem Menschen allein gelassen. Oder zumindest die Gedanken gelesen, um sicher zu sein, dass er nichts Böses vorhatte. Aber Maryo war nicht hier …

Wieder fühlte Amyéna die Erschöpfung in sich, die sie in den vergangenen Tagen geglaubt hatte, langsam überwunden zu haben. Das Schiffsunglück und die Vision hatten viel von ihrer Kraft geraubt. Vielleicht hätte sie doch länger warten sollen, ehe sie erneut die Flucht antrat?

Sie versuchte, sich ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen, und streckte den Rücken durch, während sie sich vom ›roten Tarkar‹ in dessen Kabine geleiten ließ.

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel und der Kapitän ihren Arm freigab, hielt sie unwillkürlich die Luft an und sah sich um. Der Raum war äußerst geschmackvoll, wenn auch gleichzeitig sehr protzig eingerichtet. Selbst für eine Elfin, die ihr ganzes Leben in Reichtum verbracht hatte, war der Anblick der vielen Kostbarkeiten, die sich hier befanden, gewöhnungsbedürftig.

Am Boden konnte sie ein riesiges Fell eines weißen Bären erkennen. Der Tisch und die Stühle, die mitten im Raum standen, waren aus teuerstem Mahagoniholz und wiesen kostbare Verzierungen an den Lehnen auf. Darüber hing ein gewaltiger Kerzenleuchter, der das Zimmer in warmes Licht tauchte. Kristalle verteilten es in die hintersten Winkel der Kabine. Die breite Fensterfront war mit roten Samtvorhängen verborgen – wahrscheinlich, damit das Licht nicht nach draußen dringen konnte.

An der rechten Wand konnte sie ein breites Bett erkennen, dessen Bettwäsche beinahe denselben Farbton wie das Haar des Kapitäns hatte. Auch hier war ein Fell darübergelegt – wenn auch ein schwarzes, das wohl von einem Panther stammen musste. Darauf räkelte sich eine große schneeweiße Katze mit ungewöhnlich langem Fell. Sie hob den Kopf und schlug mit dem buschigen Schwanz hin und her, als sie die Elfin erblickte. Das war jedoch der einzige Hinweis darauf, dass sie die fremde Frau wahrgenommen hatte. Dann rollte sich das Tier wieder ein und legte den beachtlich langen Schwanz über sein Gesicht.

Amyénas Blick fiel auf zwei Krummschwerter, die an der Wand über dem Bett angebracht worden waren. Anscheinend handelte es sich um Waffen, die kaum gebraucht wurden, denn die Klingen glänzten so stark, als seien sie neu geschmiedet worden. Oder sie wurden einfach nur hervorragend instand gehalten. Beides hätte die Elfin dem fremden Kapitän zugetraut.

Ihre Augen glitten weiter durch den Raum. Auf der linken Seite standen zwei Kommoden und ein Schrank, zu dem der ›rote Tarkar‹ nun schritt. Amyéna konnte hinter den gläsernen Türen vergoldete Kelche und Flaschen entdecken.

»Wein?« Er sah sie fragend an.

Die Elfin verschränkte die Hände ineinander und nickte knapp, was der Kapitän mit einem zufriedenen Lächeln quittierte.

»Setzt Euch doch«, meinte er und deutete mit der ringbesetzten Hand zum Tisch.

Darauf war nichts zu sehen außer einem Strauß getrockneter Blumen und einer Schale mit Nüssen.

Zögernd trat Amyéna näher und setzte sich auf einen der weich gepolsterten Stühle.

Der ›rote Tarkar‹ kam mit zwei Gläsern und einer Weinflasche zu ihr und stellte einen der Kelche vor sie hin, während er zu ihrer Rechten Platz nahm. »Einer meiner besten Jahrgänge.« Er deutete mit dem Kinn auf die Flasche, die er geschickt mit einem Messer entkorkte. »Aber für Euch ist mir nichts zu schade – schöne Frauen mögen schöne Dinge, wie ich sehr wohl weiß.« Wieder zwinkerte er ihr zu und Amyéna konnte nicht umhin, sich unwohl zu fühlen.

Sie war froh, als er seine Aufmerksamkeit aufs Einschenken des Weines lenkte und sie ihn einen Moment lang unbeobachtet mustern konnte.

Jetzt, im Licht der Kabine, konnte sie erkennen, dass er tatsächlich nicht viel älter als Aderan war, wenn auch sein Gesichtsausdruck erwachsener wirkte. Aber seine gebräunte Haut war glatt und nur an den Augenwinkeln konnte man ein paar Falten erkennen, die sich vertieften, wenn er lächelte – was er oft zu tun schien. Seine Nase war gerade, wies allerdings einen kleinen Knick auf, als sei sie schon einmal gebrochen worden. Die Augenbrauen wirkten gepflegt und die Wimpern waren für einen Mann ungewöhnlich lang. Ein Kinnbart betonte seinen markanten Kiefer.

Alles in allem war er eine sehr charismatische Erscheinung und zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie wohl Neugier verspürt, was er alles zu erzählen hatte. Er schien zu der Sorte Menschen zu gehören, die nie lange an einem Ort blieben, weil das Abenteuer sie zu sehr lockte.

Nun aber fühlte sie sich eher bedroht durch seine Gegenwart. Sie konnte nicht genau sagen, warum – dieser Kapitän kam ihr wie ein Fuchs vor, der gerade um den Bau eines Hasen herumstreifte, um die richtige Gelegenheit abzuwarten, zuzuschlagen. Wer in dieser Situation der Hase war, musste sie nicht erst hinterfragen.

»Darf ich den Grund für Eure Schweigsamkeit erfahren, meine Teure?«, fragte der ›rote Tarkar‹ in diesem Moment und hob sein inzwischen gefülltes Glas in die Höhe, um ihr zuzuprosten. Der Wein darin war von einem dunklen Violett und verströmte ein betörendes Aroma nach Holunder und Brombeeren.

Die smaragdfarbenen Augen des Mannes waren wieder auf sie gerichtet und Amyéna wich seinem forschenden Blick aus, indem sie ihm ebenfalls zuprostete und einen kleinen Schluck des Weines probierte. Er war wirklich vorzüglich und wäre am Hofe von Westend auf jeden Fall in ihren Weinkellern gelandet.

»Ich fühle mich in Gegenwart von Menschen nicht sehr wohl«, beantwortete sie seine Frage.

Der ›rote Tarkar‹ zog die Stirn kraus und musterte sie nachdenklich. Er hielt seinen Weinkelch immer noch in der Luft, als könne er sich nicht entscheiden, ob er von dem Getränk trinken wollte. »Das kann ich gut verstehen«, meinte er und nickte zur Unterstreichung seiner Worte. »Eine Elfin weitab von ihrer Heimat … auf dem Weg ins Unbekannte. Ihr müsst eine mutige Frau sein.« Er stellte den Wein unangetastet auf den Tisch zurück und beugte sich ein wenig zu ihr, aber nicht so nah, dass es unangemessen gewesen wäre. »Erzählt mir, was Euch in die Arme von Aderan getrieben hat.«

Amyéna sah ihn verblüfft an, dann schüttelte sie vehement den Kopf. »Aderan und ich sind nicht … Wir haben nicht …« Leider schoss ihr die Röte ins Gesicht und sie konnte ihre Wangen brennen fühlen.

Wie konnte dieser Fremde bloß annehmen, dass sie und Aderan mehr als eine Schifffahrt zusammen erlebt hatten?

»Täubchen, Ihr müsst Euch vor mir nicht schämen«, sagte der ›rote Tarkar‹ in verständnisvollem Tonfall. »Ich bin wahrlich selbst kein Kostverächter und … ich kenne meinen Freund und weiß, dass er noch weniger anbrennen lässt als ich.«

»Ihr irrt.« Jetzt sah Amyéna ihn fest an. »Euer Freund hat sich mir gegenüber äußerst anständig verhalten. Und ich hoffe, ich kann dasselbe von Euch erwarten.«

»Oh, das könnt Ihr«, schmunzelte der ›rote Tarkar‹. »Seid versichert, dass ich es weder nötig habe, Frauen gegen ihren Willen zu mir zu holen, noch, ihnen meinen Willen aufzuzwingen.«

»Warum habt Ihr dann Aderan wegführen lassen?«, wollte Amyéna wissen. »Er ist Euer Freund, kein Gefangener.«

»Mal so, mal so«, grinste der ›rote Tarkar‹. »Heute sehe ich ihn als Störenfried, morgen trinke ich vielleicht eine gute Flasche Wein mit ihm. Nicht umsonst sagt man mir nach, ich hätte mehr Launen als die See.« Wieder zwinkerte er. Anscheinend war das eine Art Marotte von ihm. »Aber um zu Euch zurückzukommen: Warum wollt Ihr nach Karinth?«

Amyéna hatte sich die Antwort auf diese Frage bereits zurechtgelegt, daher kam sie ihr nun flüssig über die Lippen. »Ich möchte meine Verwandten im Hochwald von Nordkarinth suchen.« Sie war froh darüber, dass ihr Tonfall fest klang. So würde der Kapitän ihre Lüge hoffentlich nicht entlarven. »Wir wurden im Krieg getrennt und ich habe vor einigen Wochen erfahren, dass sie nach Karinth gesegelt sind. Ich bin die Einzige, die von meiner Familie noch übrig geblieben ist.«

»Soso … Eure Familie also. Hm …« Der ›rote Tarkar‹ strich sich gedankenverloren mit dem Daumen über sein behaartes Kinn, ohne Amyéna aus den Augen zu lassen. »Ihr sprecht fließend Lormisch – stammt also entweder aus den Wäldern von Westend oder Zakatas.« Seine Augen funkelten. »Warum sucht Ihr nicht in Euren Elfenstädten nach Unterstützung? Warum nehmt Ihr eine derart gefährliche Reise allein auf Euch? Mit einem Kapitän, dessen Name eigentlich ›Grünschnabel‹ sein sollte? Ganz abgesehen davon, dass er ein Mensch ist und Ihr Elfen Euch normalerweise von Menschen so fernhaltet wie Katzen vom Wasser.«

Amyéna fluchte leise in sich hinein. Dieser ›rote Tarkar‹ stellte Fragen, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Sie hatte angenommen, dass er ihre Erklärung genauso wie Aderan akzeptieren würde. Aber der Kapitän, der sie nun wieder aufmerksam beobachtete, schien aus einem anderen Holz geschnitzt zu sein. Er war nicht so leicht um den Finger zu wickeln wie Aderan …

»Interpretiere ich Euer Zögern richtig, dass Ihr vor etwas oder jemandem flieht und daher nach der erstbesten helfenden Hand gegriffen habt, die Euch gereicht wurde?«, hakte er nach.

Amyéna wich seinem Blick aus und wusste im selben Moment, dass ihm allein diese Geste als Antwort genügte. Sie trank einen weiteren Schluck des Weines, dessen Aroma mit einem Mal einen bitteren Nachgeschmack auf ihrer Zunge hinterließ.

Bei Ferys, an wen war sie da geraten? Wer war dieser ›rote Tarkar‹?

Kapitel 2 - Amyéna

 

»Nun gut, ich kann verstehen, dass Ihr mir nicht direkt bei unserem ersten Gespräch Euer Herz ausschütten möchtet.« Der rothaarige Mann strich sich erneut über sein Kinn und sah Amyéna über den Rand seines Kelches hinweg an, während er einen Schluck trank. »Obwohl ich Euch versichern könnte, dass Eure Geheimnisse bei mir gut aufgehoben sind. Aber wer vertraut schon grundlos? Das ist eine sehr kluge Einstellung von Euch.«

Wieder lehnte er sich etwas nach vorn und seine Augen blickten sie so eindringlich an, dass Amyéna für einen kurzen Moment befürchtete, er könne ihre Gedanken lesen. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum.

So unwohl und hilflos hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Das letzte Mal war gewesen, als ihr Leibwächter Maryo Vadorís sich bei einem Schwertkampftraining über sie gebeugt hatte, nachdem sie unter einem heftigen Schlag zu Boden gegangen war. Damals hatte sie eine Beule am Kopf davongetragen – und ihre Schwindelgefühle darauf zurückgeführt, als Maryos Gesicht so nah über ihr geschwebt hatte.

Jetzt aber war ihr nicht schwindlig. Nur schlecht. Sie spürte, wie ihr mit jeder Sekunde, die sie in Gegenwart dieses Menschen verbrachte, die Kontrolle über die Situation entglitt. Und das fühlte sich ganz und gar nicht gut an. Dass sie sich aufgrund des Schiffbruchs und der darauf gefolgten verstörenden Vision körperlich noch nicht so stark fühlte, trug dazu bei, dass sie die aufkommende Schwäche kaum mehr verbergen konnte.

»Ihr seid blass«, stellte der ›rote Tarkar‹ in ebendiesem Moment fest. »Trinkt noch ein wenig Wein, das wird Euren Kreislauf anregen.«

Amyéna schob den Kelch demonstrativ von sich und sah den Kapitän mit schmalen Augen an. »Ich brauche keinen Wein, damit es mir besser geht. Ich muss mich bloß ein paar Stunden von den Strapazen erholen, die hinter mir liegen. Zeigt mir, wo ich nächtigen kann.«

Ein Schmunzeln glitt über die fein geschwungenen Lippen des Mannes. »Ihr sprecht nicht wie eine normale Elfin. Ihr müsst von hoher Geburt sein, so wie Ihr Euch bewegt und ausdrückt.« Er lehnte sich etwas zurück. »Wisst Ihr, ich habe lange Zeit mit Adeligen und anderen reichen Leuten verbracht. Zeit, an die ich heute nicht gern zurückdenke. Und dennoch habe ich viel gelernt.« Er strich mit dem Zeigefinger den Rand seines Kelches entlang. »Zum Beispiel, dass Frauen wie Ihr schwer zu erobern sind. Ihr schlagt mit hoheitsvoller Gleichgültigkeit um Euch. Euer Lächeln ist Eure Waffe, Eure Augen Euer Freibrief. Ihr macht Euch jeden zu Willen. Eure Wünsche werden umgehend erfüllt, wenn Ihr sie aussprecht. Ihr habt nie gelernt, um etwas zu bitten. Musstet noch nie hart arbeiten, um etwas zu erreichen. Ihr seid es gewohnt, dass die anderen zu Euch aufsehen. Euch helfen. Euch bewundern. Euch verehren.«

Er machte eine kurze Pause und sein Mund verzog sich zu einem wissenden Lächeln, als Amyéna nichts anderes tun konnte, als ihn fassungslos anzustarren.

Was erlaubte sich dieser Fremde eigentlich? Wie sprach er mit ihr? Das war eine bodenlose Frechheit! Er war ein einfacher kleiner Mensch – und sie eine Prinzessin! Eine Elfenprinzessin!

In derselben Sekunde merkte sie, dass sie gerade alles, was er gesagt hatte, mit ihren Gedanken bestätigte. Ertappt senkte sie den Blick, da sie befürchtete, dass der ›rote Tarkar‹ in ihren Augen dieses Eingeständnis lesen könnte.

»Nun gut, mein Täubchen«, fuhr der Kapitän fort und sie hörte, wie er seinen Kelch zurück auf den Tisch stellte. »Ich akzeptiere, dass Ihr Eure Geheimnisse vorerst für Euch behalten möchtet. Aber seid gewiss, dass ich sie erfahren werde. Wenn wir nach Karinth segeln, werden wir mehrere Wochen zusammen unterwegs sein. Zeit, in der Ihr mich näher kennenlernt – und ich Euch. Ich dulde es nicht, dass sich Fremde auf meinem Schiff frei bewegen. Und nur der Vermutung, dass Ihr mehr seid, als Ihr zugeben möchtet, ist es zu verdanken, dass ich Euch nicht gleich behandle, wie ich es mit anderen Lügnern tun würde.« Seine Stimme war mit dem letzten Satz härter geworden. Gefühlsloser. Ebenso wie seine Miene, als die Elfin den Blick hob und ihn ansah.

Amyéna schauderte ob dieser Wandlung. Vor dem Kerl musste man sich wahrlich in Acht nehmen …

»Wer seid Ihr?«, fragte sie und räusperte sich unauffällig, weil ihre Stimme etwas klang.

»Aderan hat Euch wohl nicht alles über mich erzählt.« Jetzt glitt wieder dieses sanfte Lächeln über das Gesicht des Kapitäns, das ihn freundlicher erscheinen ließ, und er verschränkte die Arme vor der Brust. »Nun, dem kann nachgeholfen werden. Mein Handwerk mag in Altra verpönt sein, in Karinth werde ich dafür jedoch reich entlohnt. Ich bin ein Händler wie viele, die hier auf den Meeren herumsegeln. Aber meine Ware ist exquisiter als die der meisten. Ich handle mit Arbeitskräften. Menschen, Elfen, Gorkas, Zwerge, Trolle … Alles, was zwei kräftige Hände und einen einigermaßen vorhandenen Verstand hat, kann ich vermitteln. An vermögende Menschen, die diese Hände zu schätzen wissen.«

Amyéna holte hörbar Luft. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr ein Sklavenhändler seid?«

Der ›rote Tarkar‹ verzog die Lippen, als habe er in einen sauren Apfel gebissen. »›Sklavenhändler‹ … welch schreckliches Wort. Ich nenne es lieber ›Arbeitsvermittler‹. Ich sorge dafür, dass Leute, die keine Arbeit haben, welche bekommen. Dass sie eine Zukunft erhalten. Eine Chance, wie sie auf dieser Welt leider selten genug jemandem vergönnt ist.«

Amyéna schloss kurz die Augen und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Sie war also auf einem Sklavenschiff gelandet … Warum bloß hatte Aderan ihr nicht gesagt, dass dieser Freund, den er kannte, mit Sklaven handelte? Wahrscheinlich, weil sie dann nicht mitgegangen wäre … oder doch?

Sie konnte die Frage nicht beantworten. Nicht jetzt.

»Werdet …« Sie räusperte sich erneut. »Werdet Ihr auch mich versklaven?« Die Frage wirkte vielleicht naiv, aber sie musste eine Antwort darauf wissen. Musste wissen, ob sie gerade ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt hatte, nur um einem Traum nachzujagen.

Der ›rote Tarkar‹ musterte sie ein paar Lidschläge lang, dann schüttelte er den Kopf. »Nicht doch, meine Teure.«

Amyéna atmete erleichtert auf.

»Ich versklave niemanden. Ich vermittle bloß.«

Jetzt hielt Amyéna doch wieder die Luft an und ihre Augen klebten förmlich am fein geschwungenen Mund des Kapitäns, während dieser weitersprach.

»Die Leute, die sich auf meinem Schiff befinden, tun das aus freien Stücken. Sie wollen in die Sklaverei – die Gründe dafür sind vielfältig: keine Zukunft, keine Vergangenheit, keine Gegenwart … von allem ist etwas dabei. Das unterscheidet mich von vielen anderen in diesem Geschäftsbereich. Ich zwinge niemanden dazu, reichen Herrschaften zu dienen. Leute, die gezwungen werden, verrichten keine gute Arbeit. Nein.« Er schüttelte erneut den Kopf. »Deswegen ist meine Ware auch so beliebt. Denn die Kunden wissen, dass sie von mir arbeitswillige Sklaven erhalten, die ihren zukünftigen Herrschaften treu ergeben sind.«

Amyéna schnaubte leise. »Klingt, als würdet Ihr Euch etwas schönreden müssen.«

Jetzt begannen die Augen des ›roten Tarkar‹ wieder zu funkeln und er lehnte sich zu ihr herüber. »Klingt, als hättet Ihr mehr Erfahrung mit Dienern als mit Sklaven«, erwiderte er.

Amyéna kaute auf ihrer Unterlippe herum und wich seinem Blick aus. »Woher kennt Ihr Kapitän Aderan?«, fragte sie, um von sich abzulenken.

Der ›rote Tarkar‹ atmete tief ein und stieß die Luft dann mit einem leisen Lachen wieder aus. »Ihr seid faszinierend, ja, das seid Ihr wirklich.« Seine Stimme hatte einen samtweichen Klang angenommen, der in Amyéna alles zusammenzog. Es mutete ihr an, als würde ein Löwe gerade schnurrend mit einer Maus spielen – sie war die Maus. »Nun gut, ich gehe auf Euer Spiel ein«, fuhr er passenderweise fort. »Gern erzähle ich Euch, wie Kapitän Grünschnabel und ich uns kennengelernt haben – auch wenn die Geschichte wahrscheinlich weniger abenteuerlich ist, als Ihr erhofft.«

Amyéna griff nun doch wieder zum Weinkelch und nippte daran, während der Kapitän sich ein paar Nüsse aus der Schale nahm und eine davon in die Luft warf, um sie mit dem Mund aufzufangen.

»Kapitän Grünschnabel hat sein Schiff von seinem Vater geerbt, wie Ihr vielleicht wisst«, begann er.

Amyéna schüttelte den Kopf. Aderan hatte ihr nichts darüber erzählt, wie er zu seinem Schiff gekommen war. Aber es verwunderte sie nicht, dass er es nicht selbst gekauft hatte. Wenn sie jetzt diesen ›roten Tarkar‹ vor sich sah, bemerkte sie erst, wie jung und unerfahren Aderan neben ihm wirkte.

»Aderans Vater ist ein berühmter Seefahrer gewesen«, fuhr der rothaarige Kapitän fort. »Ich selbst bin ihm einige Male begegnet und kann nur Gutes über ihn berichten – was bei Männern, die mit der See verheiratet sind, selten ist. Jedenfalls«, er fing eine weitere Nuss auf und kaute sie, »hat der Hundertjährige Krieg in Altra leider viele Opfer gefordert – wie Euch bestimmt bekannt ist. Die Zeiten waren rau und Aderans Vater zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Just in dem Moment, als eines der Magierschiffe an der Küste nahe Merita anlegte, segelte er vorbei – und wurde von einer verirrten Kanonenkugel der Zwerge getroffen. Bum! Aus und vorbei, das Seemannsleben. Die Ironie an der Sache ist, dass er gerade in dem Moment seinem Sohn, der zum ersten Mal auf See war, das Steuer überlassen hatte und an die Reling getreten war. Hätte er nicht dort gestanden, hätte die Kanonenkugel vielleicht seinen Sohn getroffen. So aber … Nun ja, so erzählt man es sich zumindest. Wie auch immer.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Zurück blieben ein Schiff und eine mehr oder weniger motivierte Mannschaft. Sie wählten Aderan zu ihrem neuen Kapitän. Ein Junge, der keine Ahnung von der Seefahrt hatte. Wahrscheinlich hat die Mannschaft einfach denjenigen gewählt, der die größte Klappe besitzt – wo Aderan ganz weit vorn liegen dürfte. So kam es, dass wir uns eines Tages auf hoher See begegnet sind. Ich habe nach seinem Vater gefragt, Aderan sagte, er sei tot, und wir erlebten ein paar wilde Seefahrten zusammen. Das war’s. Nicht sehr spektakulär.« Der ›rote Tarkar‹ bleckte seine Zähne zu einem verschlagenen Grinsen. »Im Vertrauen, meine Teure: Ich hätte nicht geglaubt, dass Aderan die ›Seerose‹ überhaupt so lange befehligen würde. Hätte jemand mit mir gewettet, hätte ich all mein Gold darauf gesetzt, dass er früher oder später das Schiff seines Vaters versenkt, verhökert oder verliert. Wie ist das eigentlich passiert, dass er die ›Seerose‹ nicht mehr besitzt?«

Amyéna schluckte, als sie sich an die Bilder des Sturms und des untergehenden Schiffes erinnerte. »Ein … Unwetter. Wir sind in ein Unwetter geraten«, murmelte sie und versuchte, die Bilder zu verdrängen. »Und die ›Seerose‹ ist gesunken.«

Bei diesen Worten konnte sie den Sturm wieder hören. Sein Heulen, das dem eines wütenden Wolfes glich, welcher seine Beute zu sich holen wollte. Sie konnte den Regen auf ihrer Haut fühlen. Den Wind, der die Tropfen regelrecht in ihr Gesicht peitschte. Das Salz in ihrem Mund schmecken, als sie Wasser geschluckt hatte.

Amyéna schauderte bei der Erinnerung und schob sie in den hintersten Winkel ihres Verstandes. Weit weg von hier und der Wirklichkeit.

Einen Moment lang runzelte der ›rote Tarkar‹ die Stirn, dann nickte er knapp. »Ein Sturm also … So etwas habe ich mir schon gedacht. Nur weil ein Hahn Federn hat und herumstolziert, heißt das noch lange nicht, dass er auch krähen kann.«

Amyéna schüttelte auch die letzten beklemmenden Gefühle ab und sah den Kapitän erstaunt an. Hatte er sich gerade indirekt als ›Hahn‹ bezeichnet? Falls er wirklich einen Scherz gemacht hatte, so ließ er sich nichts anmerken. Seine Miene war undurchdringlich und in seinen Augen keinerlei Regung zu erkennen. Dieser Mensch war ein Mann mit sieben Siegeln. Und sie wusste nicht, ob sie auch nur eines davon brechen wollte, aus Angst, was dahinter zum Vorschein käme.

»Was bedeutet eigentlich Euer Name?«, fragte sie übergangslos. »Ich denke kaum, dass Eure Eltern ihn Euch gegeben haben. ›Roter Tarkar‹ … so nennt keine liebende Mutter ihr Neugeborenes.«

Die Mimik des Kapitäns wurde noch eine Spur verschlossener und er lachte leise – aber es klang nicht amüsiert. Er aß die restlichen Nüsse, die er noch in der Hand hatte, mit einem Mal auf und spülte sie mit Wein herunter. Dann richteten sich die unwirklich grünen Augen wieder auf die Elfin. Sein Blick war hart und kalt. »Meine Mutter hat mich nicht geliebt. Und mein Vater war immer mehr der Materialist als ein Mann, der Emotionen zeigt.«

Diese Offenbarung kam so unerwartet, dass Amyéna unwillkürlich die Luft anhielt. Warum sprach er so unbefangen mit ihr, als sei sie eine langjährige Freundin? War es eine List? Damit sie selbst mehr von sich preisgab?

Sie musste zugeben, sie war neugierig, was ihr dieser fremde Mann sonst noch alles verraten würde, daher sagte sie nichts, sondern wartete ab.

Der ›rote Tarkar‹ seufzte und ein leichtes Lächeln erschien um seinen Mund, ließ das Eis, das seine Augen für einen kurzen Moment hatte erstarren lassen, schmelzen, sodass sie wieder warm funkelten. Er betrachtete den Kelch, der schon beinahe leer war, und schien sich ein paar Sekunden lang im Rot der Flüssigkeit zu verlieren.

»Wein macht mich immer gesprächiger, als gut für mein Gegenüber ist«, murmelte er gedankenverloren. Dann hob er den Blick und schaute Amyéna fest an. »Ihr habt nach der Bedeutung meines Namens gefragt. Ich kann es Euch gern verraten: Er stammt aus den Tiefen der Desora-Wüste. Aus Südkarinth. Es ist eine alte Sprache der Nomaden und die Worte bedeuten ›roter Drache‹. Warum, muss ich Euch wohl kaum erklären.« Er hob einen Mundwinkel an, sodass sein Lächeln sarkastisch wurde.

Amyénas Blick fiel auf sein rotes Haar und sie nickte wissend. »Ich kann es mir vorstellen. Aber dann ist ›roter Tarkar‹ nur ein Übername. Wie heißt Ihr richtig?«

Das Schnauben des Kapitäns klang belustigt. »Ihr wollt meinen richtigen Namen erfahren?« Er hob eine Augenbraue und wartete darauf, dass die Elfin nickte. »Nun … Nur eine Handvoll Personen kennen ihn überhaupt. Vielleicht verrate ich ihn Euch, wenn Ihr im Gegenzug mir verratet, wer Ihr seid. Ich bin Händler mit Leib und Seele. Ein Geheimnis für ein anderes.«

Amyéna senkte den Blick und sah auf ihre Finger, die sie auf dem Rand der Tischplatte abgelegt hatte. Hatte sie also richtiggelegen: Der Kapitän verriet ihr nur deswegen so bereitwillig Dinge aus seiner Vergangenheit, weil er selbst mehr über sie erfahren wollte. Aber … Wenn sie diesem fremden Mann verraten würde, wer sie wirklich war, hätte er etwas gegen sie in der Hand. Er könnte seinen Vorteil aus diesem Wissen ziehen – sie an Menschen verraten, die ihr schaden wollten. Oder an Elfen … Womöglich würde er sie sogar zurück nach Westend bringen, nur weil er eine Belohnung witterte.

Nein. Das durfte sie nicht riskieren.

Sie kannte ihn nicht. Wusste nicht, wozu er fähig war.

Und so wie sie ihn bisher kennengelernt hatte, fühlte sie, dass sie ihn nicht unterschätzen durfte.

»Ich deute Eure Stummheit als Zeichen, dass Ihr mir Euer Geheimnis nicht anvertrauen möchtet«, bemerkte der Kapitän und erhob sich. »Nun, das macht nichts, ich werde es noch früh genug erfahren. Kommt.«

Amyéna sah unwillkürlich zu ihm auf und zuckte zusammen, als er sich zu ihr herunterbeugte. »Wohin?«, fragte sie verwirrt, während sie auf die offene Handfläche starrte, die er ihr entgegenhielt.

»Ihr wolltet doch Euer Schlafgemach bestaunen«, schmunzelte der ›rote Tarkar‹. »Kommt mit, ich zeige Euch, wo es ist … Prinzessin.«

Kapitel 3 - Roter Tarkar

 

»Komm rein, Chahur, ich weiß, dass du vor der Tür stehst.« Der ›rote Tarkar‹ stopfte sich eine Pfeife, während er die Füße auf den Tisch legte.

Es gab viel nachzudenken – und das gelang ihm nun mal besser, wenn er dabei einigen Rauchwolken zuschauen konnte. Oder wenn er seine Krummsäbel schliff. Aber seine Lieblingswaffen hingen bereits glänzend an der Wand, da er sich die Zeit damit vertrieben hatte, sie zu schärfen und zu polieren, während er auf Aderan hatte warten müssen.

Also war jetzt die Pfeife an der Reihe, um ihn beim Nachdenken zu unterstützen.

Die Tür seiner Kabine öffnete sich und eine schlanke, groß gewachsene Frau trat ein. Ihre dunklen Locken standen wie immer wild von ihrem Kopf ab. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein junger Matrose – sie war auch gleich gekleidet wie seine Männer, hatte ihre wenigen weiblichen Vorzüge unter einem weiten Hemd verborgen. Meist trug sie schwarze Kleidung, so auch jetzt.

Manch einer hätte ihr Aussehen wohl als zu männlich bezeichnet, aber für den ›roten Tarkar‹ spielte das keine Rolle. Er kannte sie seit vielen Jahren und wusste, dass in dieser Frau viel mehr steckte, als ihre kantigen Gesichtszüge und ihr jungenhafter Körper vermuten ließen. Sie war ein bisschen älter, doch das war ihm nur recht. Er mochte keine allzu jungen Frauen, die hatten immer so viele Wünsche und Ansprüche, denen man kaum gerecht werden konnte. Ganz zu schweigen von den realitätsfernen Träumen, die ihm bloß den letzten Nerv raubten. Er war pragmatisch und idealistisch veranlagt. So war er immer schon gewesen.

Als Chahur die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb sie kurz stehen und verschränkte die Arme vor der Brust, ehe sie sich in Bewegung setzte und knapp vor dem Tisch anhielt. Ihre Wangenknochen waren hoch und wahrscheinlich das einzig wirklich Schöne an ihr. Aber auch hier hatte der ›rote Tarkar‹ andere Maßstäbe als die meisten Männer.

»Und, wer ist sie?«, fragte sie mit ihrer tiefen, melodischen Stimme.

Der Kapitän wusste, wie laut diese werden konnte, wenn sie Befehle über das Deck brüllte – was sie oft tat, schließlich war sie sein Erster Maat. Und dennoch konnte sie auch schnurren wie eine Katze, wenn er mit ihr …

»Ich weiß es noch nicht.« Er hob den Blick von seiner Pfeife, die er mit einem Funken Magie und einer Handbewegung entzündet hatte, und sog den Tabak ein, um ihn dann in kleinen Rauchwolken wieder auszustoßen.

Die Frau legte den Kopf schief und ein abschätziges Lächeln glitt über ihren schmalen Mund. »Hat sie deinen Verführungskünsten etwa widerstanden? Dann ist sie mir ja fast schon sympathisch, obwohl sie eine Elfin ist.«

Der Kapitän schloss kurz die Augen, ehe er die Frau wieder ansah. »Eifersucht steht dir nicht, meine Teure. Komm, setz dich. Es gibt noch Wein.« Er deutete auf die Flasche, von der nicht mal ein Viertel getrunken war. Die Elfin hatte ihr Glas kaum angerührt und allein trank es sich weit weniger gut – zudem war Wein nicht sein Lieblingsgetränk.

»Du weißt, ich sollte nicht …«, begann sie, setzte sich dann aber dennoch und schenkte von der roten Flüssigkeit in das Glas ein, das vorhin noch die Elfin in den Händen gehabt hatte.

»Ich werde aufpassen, dass du nicht zu viel davon trinkst.«

Der ›rote Tarkar‹ beobachtete, wie sie einen großen Schluck nahm und sich dann genüsslich über die Lippen leckte. Er sah gern zu, wenn jemand etwas genoss. Denn ihm selbst war es leider verwehrt, den Geschmack von Speisen oder Getränken wahrzunehmen – und durch das Beobachten hatte er das Gefühl, dennoch wie ein normaler Mensch zu leben.

Vor allem, wenn es sich dabei um Chahur handelte. Sie tat ihm gut. Sehr gut. Und … sie wusste über ihn Bescheid. Sie wusste alles. Vor ihr musste er nicht so tun, als würde er Wein trinken wollen. Als würde er Essen genießen. Vor ihr konnte er sich so verhalten, wie es ihm sein Wesen vorschrieb. Ein weiterer Grund, warum er gern mit ihr zusammen war.

»Ich werde noch herausfinden, welches Geheimnis sie umgibt«, meinte er, während er einer Rauchwolke hinterher sah.

Sie nickte und folgte seinem Blick. »Da bin ich mir sicher.« Ihre Stimme klang wieder verbitterter.

Leise seufzend legte der Kapitän die Pfeife auf den Tisch und lehnte sich zu ihr rüber. »Chahur, sieh mich an.«

Die Frau wandte ihm ihr Gesicht zu und er konnte erkennen, wie ihre Kiefer sich bei dieser Bewegung zusammenpressten. Ihre dunklen Augen wirkten wie schwarze Steine. Hart und emotionslos. Das war ihre Art, Dinge nicht zu nah an sich heranzulassen. Ihre Art, dem Schmerz aus dem Weg zu gehen. Und Schmerz mussten die Menschen um ihn herum nun mal erdulden. Das war sein Schicksal – jedoch nicht ihres. Denn sie war freiwillig bei ihm.

Langsam hob er die Hand, legte sie an ihr Kinn und zeichnete ihre Unterlippe mit dem Daumen nach. »Du solltest nicht eifersüchtig auf andere Frauen sein«, murmelte er.

»Dann gib mir keinen Grund dazu«, stieß sie leise hervor und entzog sich ihm, um einen weiteren Schluck Wein zu trinken.

Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es außer Reichweite von ihr ab. »Genug für heute. Ich habe noch etwas anderes mit dir vor und dazu brauche ich dich bei Verstand – und ohne zu viel Alkohol im Blut.«

Er rückte noch näher zu ihr, ergriff den Kragen ihres Hemdes und sah ihr fest in die Augen.

So lebendig. So rein …

Langsam öffnete er die Knöpfe ihres Oberteils und beugte sich vor, um ihre Haut darunter zu küssen. Sie hatte sich vor Jahren ein großes Segelschiff auf ihren gesamten Oberkörper tätowieren lassen – meist sah man nur die Spitze des Hauptmastes, wenn sie ihr Hemd etwas offener trug. Die wenigsten wussten, dass die Galionsfigur einen Kranich darstellte. So sollte es auch bleiben.

Er sah, wie sie die Augen schloss, und spürte, wie sich ihre Atmung unter seiner Berührung beschleunigte. Er konnte ihr Herz fest und gleichmäßig in ihrem Brustkorb schlagen fühlen. Die Menschen nahmen Herzschläge für selbstverständlich … er nicht. Er wusste wie es war, ohne ein Herz zu leben – und wie sehr er diese Lebendigkeit in sich vermisste.

Er presste die Lippen auf die Stelle, unter der er das regelmäßige Pulsieren hören konnte.

Wie sehr er Chahur darum beneidete, ein Herz zu haben …

»Versprichst du mir, dass du dich von ihr fernhältst?«, hauchte sie, während sie seine Zärtlichkeit genoss.

»Ich verspreche, dass ich mich heute von ihr fernhalten werde«, murmelte er an ihrer Haut. »Ich will nur dich. Nur dich …« Dann erhob er sich und griff nach ihrer Hand, um sie zu seinem Bett zu ziehen. Der nachdenkliche Ausdruck auf ihrem Gesicht entging ihm dabei.

 

»Wir reisen also nach Karinth?«, fragte Chahur etwas später, als sie nebeneinander im Himmelbett lagen.

Der Kapitän streichelte seine weiße Langhaarkatze, die sich schnurrend auf seiner nackten Brust eingerollt hatte. Das Tier war fast genauso eifersüchtig wie Chahur und kletterte öfters mal auf seinen Schoß, sobald sich eine Frau in seiner Kabine aufhielt – was nicht selten geschah. Der ›rote Tarkar‹ schmunzelte, als ihm wieder einmal auffiel, wie ähnlich Chahur seiner Katze war.

Sein Körper war bis zur Hüfte von dem weichen roten Laken verhüllt. Im Licht der Kerzen konnte man erkennen, dass die Haut des Kapitäns braun gebrannt war wie die eines Normalsterblichen, der viele Jahre auf See verbracht hatte. Mit dem Unterschied, dass sich keine einzige Narbe darauf finden ließ. Äxte, Schwerter, Streitkolben, Speere, Messer, Dolche … alles hatte ihn schon zu verletzen versucht. Doch das Einzige, was auf seiner Haut Spuren hinterlassen konnte, waren die Sonnenstrahlen, die täglich auf ihn herunterschienen. Sie bräunten seinen Körper und sorgten dafür, dass er sich nicht allzu sehr von seiner Mannschaft unterschied. Gaben ihm das Gefühl, dazuzugehören, auch wenn es im Grunde nicht so war. Die Sonne war schon immer seine Verbündete gewesen.

Jetzt sah der ›rote Tarkar‹ Chahur neben sich an und nickte. »Ja, wir werden nach Karinth reisen«, beantwortete er ihre Frage. »Ich habe den Männern bereits die notwendigen Befehle erteilt. Wir hatten ja ohnehin vor, diese Route einzuschlagen. Unser Laderaum ist voll und die Sklaven brennen darauf, ihre Arbeit bei ihren neuen Herrschaften aufzunehmen. Ich habe zudem das Gefühl, dass diese Elfin dort etwas vorhat, das uns interessieren könnte.«

Chahur richtete sich ein wenig auf und zog die Laken über ihre Blöße, ehe sie sich ihm zuwandte. »Bisher hat dich dein Gefühl noch nie getäuscht«, meinte sie. »Dennoch sagt mir mein Gefühl, dass wir auf der Hut sein sollten.«

Der Kapitän warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Du weißt, wie gut ich auf uns aufpassen kann.«

Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, aber wenn das, was auch immer diese Elfin in Karinth vorhat, unsere Arbeit gefährdet, dann denke ich …«

Er hob die Hand und unterbrach sie, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte. »Du denkst zu viel, meine Teure«, murmelte er. »Geh nach draußen und schau nach dem Rechten. Die Männer waren schon lange genug ohne deine Aufsicht – und du weißt, dass ich dich als meine Augen und Ohren an Deck brauche. Wir haben zwar Fahrt aufgenommen, aber ich spüre, dass die Mannschaft nicht ganz bei der Sache ist. Mach ihnen Feuer unter dem Hintern.«

Chahur nickte widerwillig und schälte sich aus dem Bett, um ihre Kleidung wieder anzuziehen. Ehe sie das Hemd anlegte, öffnete sie die Schublade des Beistelltischs und holte einen Wundverband hervor, den sie um ihren Oberarm wickelte, um die frische Wunde zu verdecken.

Der ›rote Tarkar‹ beobachtete sie, ohne eine Miene zu verziehen. Erst als sie sich zu ihm beugte, um ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen zu hauchen, hielt er ihr Kinn fest und sah ihr tief in die Augen. »Danke.«

»Mhm.« Sie nickte und verließ die Kabine ohne ein weiteres Wort.

Ein paar Sekunden lang starrte der Kapitän auf die Tür, die hinter ihr ins Schloss gefallen war, dann entspannte er sich und kraulte wieder die weiße Katze, die sich gerade auf ihm streckte und dabei ihre Krallen über seine Haut gleiten ließ. Auch sie hinterließen keinerlei Spuren.

»Jetzt gibt es wieder nur uns zwei, was, Sodal?«, murmelte der Kapitän.

Der Kater hatte den Namen seiner Augenfarbe zu verdanken, die blau und geheimnisvoll funkelte wie das Gestein, das ähnlich hieß. Jetzt sahen ihn diese Augen träge an, ehe sie sich wieder genüsslich unter seinen Streicheleinheiten zusammenkniffen und das Schnurren lauter wurde.

»Na dann werden wir mal das Beste aus dieser Reise machen.«

Der ›rote Tarkar‹ sah zur Decke seines Himmelbettes und schloss die Augen, um zu meditieren. Er brauchte keinen Schlaf, nicht mehr … Nicht mehr seit jenem verhängnisvollen Abend in der Hauptstadt von Karinth. Eine Nacht, die sein Leben für immer verändert hatte.

Kapitel 4 - Amyéna

 

Als Amyéna am nächsten Morgen erwachte, war sie erstaunt, wie ausgeruht sie sich fühlte. Sie reckte ihre Glieder in der Hängematte, welche an zwei der Kabinenwänden befestigt war. Die Sonne schien durch das Bullauge und verriet der Elfin, dass sie sehr lange geschlafen haben musste. Kein Wunder, sie war immer noch nicht ganz gesund und ihr Körper verlangte nach Ruhe.

Wo ihr Begleiter Aderan war, wusste sie nicht – der ›rote Tarkar‹ hatte es ihr nicht verraten wollen, als er sie in ihre Kabine brachte. Er hatte sich sowieso derart komisch verhalten, dass Amyéna froh gewesen war, als er sie endlich allein gelassen hatte. Dieser Kerl war ihr suspekt. Er schien sie zu durchschauen, gleichgültig, wie sehr sie sich bemühte, ihre wahre Identität zu verbergen.

Ihr Magen gab mit leisem Knurren zu verstehen, dass sie etwas essen sollte. Also schwang sie sich aus der Hängematte und goss Meerwasser, das in einem Krug bereitstand, in die Wasserschale auf dem Schemel neben der Tür. Es wäre Verschwendung gewesen, fürs Waschen Trinkwasser zu gebrauchen – Meerwasser tat es auch.

Sorgfältig rieb sie sich den restlichen Schlaf aus dem Gesicht. Dann kramte sie in dem Beutel, den sie in Windeseile auf den Steininseln gepackt hatte, nahm einen Kamm daraus hervor und versuchte, die Knoten aus ihrem dunklen Haar zu lösen, die sich über Nacht dort hineingeschlichen hatten. Sie flocht einen Zopf und strich ihre Kleidung glatt. Auch wenn sie sich nicht als Prinzessin ausgab, so wollte sie dennoch ein Mindestmaß an Würde ausstrahlen.

Während sie ihre Kabine verließ und den Niedergang zum Deck emporkletterte, hielt sie Ausschau nach Aderan. Aber immer noch war keine Spur von ihm zu sehen. Sie würde den ›roten Tarkar‹ wirklich fragen müssen, wo er ihren Begleiter versteckt hatte.

Oben angekommen, wurde sie von Sonnenstrahlen begrüßt. Der Himmel über ihr war wolkenlos. Eine sanfte Brise stieß in die Segel und trieb das Schiff stetig über das Meer. Sie hatten noch in der Nacht Fahrt aufgenommen und inzwischen mussten sie weit weg von den Steininseln sein.

Die Elfin schloss die Augen und atmete die frische Luft ein, schmeckte das Salz auf ihren Lippen. Dann sah sie sich um.

Ein paar der glatzköpfigen Matrosen hatten sie bereits entdeckt und tuschelten hinter vorgehaltener Hand, während ihre Blicke immer wieder zum Bug des Schiffes schweiften, zur Kabine des Kapitäns.

Amyéna schloss daraus, dass sich der ›rote Tarkar‹ dort befand, und schritt über das Deck auf die Tür zu, die der Kapitän ihr gestern so bereitwillig geöffnet hatte. Doch ehe sie bei ihrem Ziel ankam, stellte sich ein junger, schlanker Mann in ihren Weg.

Die Prinzessin hob eine Augenbraue und musterte den Fremden, der jetzt die Hände in die Hüften stemmte und sie mit dunklen Augen seinerseits begutachtete. Seine braunen Locken standen wild von seinem Kopf ab. Die Gesichtszüge waren etwas zu hart, aber durch die hohen Wangenknochen für einen Menschen nicht unattraktiv, wäre seine Miene nicht so argwöhnisch und abweisend gewesen.

»Wohin wollt Ihr?«, fragte er mit derart weiblicher Stimme, dass Amyéna einen Moment lang stutzte, ehe sie begriff, dass es sich bei ihrem Gegenüber nicht um einen Mann, sondern um eine Frau handelte.

»Ich will zum Kapitän«, antwortete die Elfin, ohne sich ihre Überraschung anmerken zu lassen. »Lasst mich vorbei.«

Jetzt legte die Frau den Kopf schief und ihr schmaler Mund verzog sich zu einem herablassenden Lächeln. »Ihr habt mir gar nichts zu befehlen«, sagte sie mit unterkühltem Tonfall. »Wenn hier jemand Befehle erteilt, dann bin ich das. Und ich weise Euch darauf hin, dass Ihr Eure Reise bezahlen müsst. Mit guter alter Handarbeit.«

Amyéna wusste nicht, was sie auf diese Dreistigkeit erwidern sollte. Wie sprach diese Menschenfrau mit ihr? Sie war eine Prinzessin, keine Dienerin und schon gar keine Sklavin, wie es hier auf dem Schiff anscheinend eine Menge gab!

Doch sie schluckte die empörte Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, herunter und senkte stattdessen den Blick. »Ich werde bezahlen, keine Sorge. Aber erst möchte ich etwas essen.«

Sie konnte der Fremden nicht in die Augen sehen, da sie dann wohl oder übel die Fassung verloren hätte. Noch nie hatte sie so demütig mit jemandem sprechen müssen. Dass diese Menschenfrau von ihr Unterwürfigkeit verlangte, nagte an ihrem Selbstbewusstsein. Aber es war dennoch notwendig, der Fremden das zu geben, was sie wollte, wenn ihre Tarnung nicht auffliegen sollte.

»Ihr bekommt etwas zu essen, wenn Ihr es Euch verdient habt«, meinte die Frau ungerührt. »Los, an die Arbeit. Ihr konntet bereits ausschlafen, das heißt, Ihr habt viel nachzuholen. Ich nehme an, Ihr wisst, wie man Netze flickt?«

Jetzt hob Amyéna doch den Blick und sah die Frau fassungslos an. »Netze flicken?«

»Euer Elfengehör scheint doch nicht so gut zu sein, wie Euer Volk sich immer rühmt«, meinte die Frau mit missbilligendem Blick. »Genau: Netze flicken. Schon mal gemacht?«

Die Elfin schüttelte wortlos den Kopf.

»Na wunderbar«, seufzte die Frau und verdrehte die Augen. »Pal!«

Amyéna zuckte unter dem plötzlichen Ruf zusammen und drehte sich in die Richtung, in welche die Frau sah. Von dort kam gerade ein kleiner, dünner Junge zu ihnen gerannt. Er hatte das Mannesalter noch nicht erreicht, trug keine Schuhe und nur kurze Hosen, die ihm bis knapp zu den Knien reichten. Wie bei den anderen Matrosen war auch sein Haar abrasiert. Die Glatze wirkte jedoch grotesk an ihm und ließ seinen Kopf im Vergleich zu seiner dünnen Statur unnatürlich groß erscheinen.

»Was gibt’s, Chahur?«, fragte er atemlos, als er vor ihnen zum Stehen kam. Seine Stimme überschlug sich, womöglich war er gerade dabei, zum Mann zu werden.

»Zeig dieser Elfin, wie man Netze ausbessert.« Die Frau, die nun wenigstens einen Namen besaß, deutete auf Amyéna.

»Aye!«, rief der Junge und ergriff ohne ein weiteres Wort die Hand der Prinzessin, um sie mit sich zu ziehen. Anscheinend kannte er keine Scheu vor Elfen. Oder aber ihm war Chahurs Befehl so wichtig, dass er seine Abneigung, ohne mit der Wimper zu zucken, zurückstellte.

»Wartet.« Amyéna wandte sich wieder der kurzhaarigen Frau zu und ergriff ihren Oberarm, was diese mit einem leisen Zischen kommentierte. Sofort ließ die Elfin sie los. »Tut mir leid«, murmelte sie. »Aber ich muss wissen, wo mein Begleiter Aderan ist. Geht es ihm gut?«

Jetzt verzogen sich Chahurs Lippen zu einem Lächeln, das beinahe ein Grinsen war. Ein süffisantes Grinsen. »Aderan macht sich im Gegensatz zu Euch gerade nützlich. Ihr werdet ihn spätestens beim Abendessen sehen. Und jetzt ab an die Arbeit!« Damit drehte sie sich um und ging übers Deck davon, um einem Matrosen das Leben schwer zu machen, der gerade erfolglos versuchte, ein Seil aus der Takelung festzuzurren. Er wurde sichtlich nervös, als er bemerkte, dass Chahur auf dem Weg zu ihm war.

Amyéna ließ sich von Pal zu einem Haufen mit Netzen ziehen und hörte mit halbem Ohr zu, wie er ihr die Arbeit erklärte. Ihre Augen glitten jedoch unentwegt über das Deck, auf der Suche nach dem ›roten Tarkar‹ oder Aderan, wobei sie, so gut es ging, ihren Hunger ignorierte.

Wo war sie da nur hineingeraten? Diese Chahur mochte sie nicht, das war offensichtlich. Und der Kapitän war ein einziges Rätsel auf zwei Beinen. Sie vertraute keinem von beiden und fühlte sich mehr denn je allein.

Vielleicht hätte sie doch noch stärker versuchen sollen, ihren Leibwächter Maryo Vadorís zu überreden, mit ihr zusammen nach Karinth zu reisen? Womöglich hätte er irgendwann eingelenkt.

Jetzt vermisste sie den hochgewachsenen Elf zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus der Elfenstadt und sie hätte viel dafür gegeben, seine selbstbewussten Sprüche zu hören oder sein einnehmendes Lächeln zu sehen.

Warum bloß hatte der Elfengott Ferys so einen steinigen Weg für sie ausgewählt?

 

Erst als die Sonne bereits dabei war, über dem Horizont unterzugehen, und den Himmel in ein wahres Lichtermeer verwandelte, wurde Amyéna von ihrer Arbeit erlöst. Und zwar von niemand Geringerem als dem Kapitän persönlich.

»Ihr habt Euch für einen ersten Tag an Bord wacker geschlagen«, meinte er, als er plötzlich neben ihr auftauchte.