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Neugierig auf alternative Lebenskonzepte
Hermann Detering führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch die Welt der Entsagung und des Verzichts. Sein Blick geht zurück auf die Anfänge, beleuchtet die Ursprünge allen asketischen Lebens und seine modernen Tendenzen, zeigt frühe und moderne Aussteiger, christliche Askese und macht auch vor der Last mit der Lust und der Lust an der Entsagung nicht halt.
All diejenigen, die sich noch nicht ganz im Dschungel unserer heutigen Überflussgesellschaft verloren haben, will der Autor neugierig machen auf Möglichkeiten des Verzichts. Denn wer offen bleibt für alternative Lebensentwürfe, für Selbstfindung durch Weltdistanzierung, für eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas anderem, kann auf diesem Weg das Wertvollste überhaupt finden: seine ganz persönliche Freiheit.
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Seitenzahl: 324
»›Wir haben das Glück erfunden‹ –sagen die letzten Menschen und blinzeln.«
Friedrich Nietzsche1
Nie ging es uns so gut wie heute. Wovon wir als Kinder träumten, scheint endlich Realität. Das Schlaraffenland, es existiert. Zwar gibt es noch keine Bäume aus brauner Schokolade und auch keine Bäche aus gelber Limonade, aber das Leben ist schön. In den Auslagen der Kaufhäuser und Einkaufspassagen, die so einladend drapiert und ausgeleuchtet sind, wird uns nicht nur angeboten, was wir uns wünschen, sondern auch, was wir uns nicht wünschen und trotzdem haben müssen. Charmant lächelnde Verkäuferinnen, die nach »Narciso Rodriguez« duften, zeigen uns ihre perlweißen Zähne und wickeln unsere Ware in buntes Seidenpapier. Man ist gut drauf. Unsere Fernsehprogramme sorgen immer für gute Unterhaltung. Alles ist leicht und locker, eben easy, und auch ein bisschen sexy. Die Werbung informiert uns stündlich über neue Produkte. Über den Tod wird nur noch selten geredet. Es gibt einen Totensonntag, aber dann beginnt eigentlich schon der Weihnachtseinkauf. Und die Schokoladenweihnachtsmänner stehen eh seit September in den Regalen. Warum lange warten? Genuss sofort ist kein Problem. Wozu haben wir Banken? Bei Überschuldung hilft uns Peter Zwegat. Weiche Drogen sind weithin akzeptiert und auch die härteren sind uns nicht ganz unbekannt. Das Schönste aber: Wir dürfen nicht nur, wir müssen konsumieren. Das ist inzwischen sogar eine Art moralischer Verpflichtung, denn: »Konsum tut gut.«2 Wir konsumieren nicht nur für unser Wohlergehen, sondern auch für das unseres Landes, für Europa und für die ganze Welt. Wir haben begriffen: Nur Wachstum zählt. Überhaupt hat sich das Bild des Konsumenten in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Früher sprach man vom »Konsumidioten«. Heute wissen wir, das war ein Irrtum. Der Konsument ist in Wahrheit ein Wohltäter, ein Albert Schweitzer, eine Mutter Theresa der schönen Neuen Welt. Wie Kinder, die brav ihre Hausaufgaben machen, werden wir von unseren Politikern und Wirtschaftsleuten für stets vorhandene Konsumbereitschaft gelobt. Das lassen wir uns gern gefallen.
Wir stopfen uns voll und zappen uns durch alle Kanäle. Manche schaffen es, mehrere Programme gleichzeitig zu sehen. Wir shoppen und ficken, denn auch sexuell ist mittlerweile alles erlaubt. Pornos sind schon lange kein Problem mehr. Wem der Weg in den Sexshop an der nächsten Straßenecke zu weit ist, lädt sich was von seinem Laptop herunter. Tabus gibt’s nicht. Klar, Kinderpornografie ist nicht o.k. – solange man sich nicht erwischen lässt –, aber sonst? Wer wollte den Moralapostel spielen? Die Zeiten haben sich geändert. Wir sind nicht mehr im 19. Jahrhundert. Und weil die Liebe kein endlich limitiertes Gut ist, leben einige von uns in polyamoren Netzwerken, ganz ohne Stress, denn Eifersucht ist ein alter Hut.
Wir sind eine Informationsgesellschaft. Radio, Fernsehen und Internet halten uns jederzeit auf dem Laufenden. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nichts verpassen. Weil wir gut informiert sind, haben wir zu jedem Thema eine Meinung. In den Internetforen können wir unter Pseudonymen wie »Silberstern« und »Wasserfloh« mit »Sartre« und »Ratte« diskutieren und herausbekommen, wer am besten informiert ist.
Was Huxley und Nietzsche kaum zu denken wagten, haben wir geschafft: »Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist: So hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst verdirbt es den Magen. Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht; aber man ehrt die Gesundheit.«3
Die schlimmsten Risse in der schönen Fassade unserer Wohlstands-, Informations- und Überflussgesellschaft sind freilich nicht zu übersehen. Klimaerwärmung und Atomstrom sind seit langem die Dauerbrenner in unseren Medien, mit viel Kontroversen und anschließendem Chat mit Experten. Irgendwo muss ja die Energie zur Produktion unserer Konsumartikel herkommen, die wir so dringend benötigen wie der Junkie den Stoff. Zum Glück gibt es Windräder und Fotovoltaik-Anlagen. Mit denen beruhigen wir unser Gewissen. Dass sich die Rohstoffe verknappen und wir den nachkommenden Generationen einen geplünderten Planeten hinterlassen, können sie auch nicht verhindern. Und was die Landschaft betrifft: In den Urlaub fliegen wir ohnehin nur nach Tansania oder auf die Malediven und überhaupt dorthin, wo uns keine Windräder und Atomreaktoren stören. Dass die idyllischen Plätzchen auch immer rarer werden, schert uns nicht, solange es sie zu unseren Lebzeiten noch gibt.
Unsere Gier wirft lange Schatten. Es geht schon lange nicht mehr um ein paar Pausenbrote im Papierkorb. Ein Projekt zur »Verringerung von Lebensmittelabfällen« will herausgefunden haben, dass ca. 25 % – 50 % unserer Lebensmittel im Abfall landen.4 Nicht etwa deswegen, weil wir uns die längst überfällige Gewichtsdiät verordnet hätten, sondern weil sie nicht mehr unseren hochgeschraubten Qualitätsvorstellungen genügen. Während wir immer älter werden, legen wir besonderen Wert auf Frische.
Geiz ist geil, aber die Gier, so scheint es, ist noch viel geiler. Rating-Agenturen und Börsenspekulanten treiben Staaten und Politiker wie Hasen bei einer Hetzjagd vor sich her. Raffgier ruiniert ganze Länder. Die Verschuldung der Staatshaushalte hat schwindelerregende Höhen erreicht. Eine kinderarme Gesellschaft wälzt ihre Schuldenlast auf die Schultern der nachfolgenden Generationen. Schlimmer noch ist die gefühlte Unzufriedenheit, die doch eigentlich gar nicht sein dürfte, da wir im Prinzip jederzeit gut drauf sind. Aber das ist natürlich auch nur Schein, Strategie, um gegen Leere und Langeweile anzukämpfen, die unter der glatt polierten Oberfläche lauern. Manchmal werden sie in uns übermächtig. Dann greifen wir zum Glas, betäuben unsere Nerven mit Tabletten oder bestäuben unsere Nasenspitzen mit Koks. Nach kurzer Euphorie fühlen wir uns so ausgebrannt wie die Oberfläche des Planeten, den wir hinterlassen. Burn-out.
Zum Drogenkater gesellt sich der sexuelle Frust. Trotz der Vielzahl sexueller Reize und Möglichkeiten will sich keine Befriedigung mehr einstellen. Der ständige Partnerwechsel macht uns unsere eigene Austauschbarkeit bewusst. Weil wir überall Sexualobjekte sehen, sind wir selbst welche geworden. Das kränkt unser Selbstwertgefühl.
Die Möglichkeit, per Netz und Satellit überall dabei sein zu können, hat Folgen für unsere Privatheit. Die Ruh’ ist hin, seitdem unser Herz für die Erdbebenopfer in der Türkei, für die des Hochwassers in Pakistan, des Reaktorunfalls in Fukujima und für den ganzen Erdkreis schlagen muss; seitdem wir durch Laptop, Handy und Smartphone zu jeder Zeit und an jedem Ort für jeden erreichbar sind. Weil wir überall gleichzeitig sein wollen, sehen wir nur noch mit einem Auge hin und hören nur noch mit einem Ohr zu. Das andere Auge verfolgt den Nachrichtenticker des Online-Magazins. Das andere Ohr haben wir für unser Smartphone oder den Kopfhörer unseres MP3-Players reserviert, auf dem wir über tausend Musiktitel speichern können. Unsere Hände sind, wie die des Klavierspielers, auf Unabhängigkeit trainiert. Während die eine den »Coffee-to-go«-Becher umfasst, fliegt die andere über die Tastatur unseres Laptops oder schreibt eine SMS. Man nennt das »double tracking« oder – wo mehr als zwei Beschäftigungen gleichzeitig verrichtet werden – »multitasking«.
Je gieriger wir die Gegenwart ausschlürfen wollen, umso mehr entzieht sie sich unserem Zugriff. Es gibt kein Leben mehr aus einem Guss. Wir sind nur noch halb da. Weil wir nichts verpassen und alles auskosten wollen, zerstückeln wir uns und unsere Tage. Überfordert durch die Anzahl der Möglichkeiten zur Zerstreuung, beginnt unser Leben zu metastasieren. Wir werden krank oder fangen an, uns von unserer Langeweile paralysieren zu lassen. Unser Leben bekommt den faden Geschmack eines verzappten Fernsehabends.
Inzwischen dürfte klar geworden sein: Wer glaubt,
– dass der wahre Charakter einer Sache ihr Warencharakter ist,– dass sich die Probleme seines Lebens mit Beauty, Wellness, Fitness oder einem Frühbucherrabatt lösen lassen,– dass ein »Traumtrip« eine Sache des Geldbeutels ist,– dass sich die Lebensfreude proportional zum Wirtschaftswachstum verhält,– dass die von unserer Gesellschaft entwickelten Lebensformen alternativlos seien,– dass sich durch den Kauf eines neuen Mac, iPhone, iPod oder die Installation des neuesten Software-Pakets irgendetwas Wesentliches in seinem Leben ändern könnte,– dass Steve Jobs auf dem Wasser wandeln konnte,– dass die Medien zu wenig über die Aktienkurse informieren,– dass die Worte »Innovation«, »Leistungsträger«, »Lebensqualität« einen guten Klang haben,– dass uns die Bilanz des Einzelhandels zum diesjährigen Weihnachtsgeschäft den Sinn des Festes erklären kann,– dass Falten hässlich sind,– dass Botox schön macht, wird bei der Lektüre der folgenden Seiten nicht auf seine Kosten kommen.Zur Klarstellung sei allerdings gesagt, dass es in diesem Buch keineswegs nur um eine Kritik an der Konsumgesellschaft oder um eine Einladung zum Konsumverzicht geht. Falls die eine Leserin oder der andere Leser sich dazu anregen lassen sollte, so wäre dies durchaus im Sinne des Autors. Und doch wäre es eine sehr verengte Sicht, den Gegenstand des Buches lediglich vor der dunklen Folie einer drohenden globalen Katastrophe zu betrachten, wie dies heute weithin geschieht. Ein Blick auf die Geschichte des Askesegedankens kann zeigen, dass der bewusst geübte Verzicht schon immer eine wesentlich umfassendere Bedeutung besaß. Er war – als Mittel zur Disziplinierung und Kontrolle menschlicher Bedürfnisse – nicht nur ein Weg zur Erlangung innerer Freiheit, sondern auch zur Selbst- und Gottfindung. Die Aufforderung, »den Gürtel enger zu schnallen« und zugunsten künftiger Generationen zu verzichten, hat heute zweifellos ihre Berechtigung. In der Geschichte des Verzichts handelt es sich dabei um einen recht spät auftauchenden Gesichtspunkt, der erst seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden globalen Krise ins Gespräch gebracht wurde.
Eine umfassend verstandene Askese, die den persönlichen Aspekt einbezieht, schließt den bewussten Konsumverzicht selbstverständlich nicht aus, aber dieser erhält dadurch eine tiefere Dimension. Es geht nicht »nur« um globale Fragen der Zukunft unseres Planeten – die freilich wichtig genug sind –, sondern um das persönliche Verhältnis des Einzelnen zur Welt. Es geht nicht »nur« um die Rettung der Welt, sondern schlicht um unser Menschsein. So richtet sich dieses Buch an all diejenigen, die sich noch nicht ganz im Dschungel unserer heutigen Überflussgesellschaft verloren haben und die sich trotz einer sich endlos drehenden Werbeschleife und trotz Mediendauerberieselung eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas anderem bewahrt haben, von dem sie selbst nicht genau wissen, was das ist oder sein könnte. Die kurz vor dem Einschlafen oder manchmal auch beim Aufwachen das Gefühl überkommt, am Eigentlichen vorbeizuleben, den Jugendträumen ihres Lebens untreu geworden zu sein, die Poesie ihres Lebens verraten zu haben, zu tun, was sie niemals wollten und preisgegeben zu haben, was ihnen das Wertvollste schien: ihre persönliche Freiheit.
Schon die wenigen einleitenden Überlegungen könnten gezeigt haben: Askese oder die »Kunst der Entsagung«, wie wir von nun an öfter sagen, ist im Wesentlichen eine freie Kunst. Sie ist es deswegen, weil das Ziel, um das es dabei geht, Freiheit ist. Nicht die freie Gesellschaft, sondern die persönliche Freiheit des Einzelnen. Die Kunst der Entsagung gehört aber nicht nur deswegen zu den freien Künsten, weil sie frei macht, sondern weil sie jedem Einzelnen eine freie Entscheidung abverlangt, die er jederzeit – auch unter den unfreiesten Bedingungen – für sich treffen kann. Insofern ist sie keineswegs »ein Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen«, wie es bei Wilhelm Busch heißt. Das würde bedeuten, dass wir aus der Not, also unserer Unfreiheit, eine Tugend machten. Davon kann nicht die Rede sein, jedenfalls nicht im Allgemeinen.
Indessen wäre es unredlich zu unterschlagen, dass der ehrbare Wunsch nach einem anderen Leben häufig mit unangenehmen Erfahrungen zu tun hat. In der Hauptsache handelt es sich dabei um Gefühle des Ekels. Die Skala reicht vom Konsumekel über Gesellschaftsekel und Weltekel bis hin zum Selbstekel. Jemandem, der das nicht kennt, ist schwer zu vermitteln, worum es geht. Wer nicht spürt, dass die Präsentation eines Kühlregals mit, sagen wir, 25 bis 30 verschiedenen Joghurtsorten eine natürliche menschliche Schamgrenze überschreitet und stattdessen in euphorische Kaufstimmung verfällt, ist für die Kunst der Entsagung vermutlich verloren. Oft ähnelt unsere Entscheidung für den Verzicht dem Wunsch des Kranken nach Gesundheit.
Schließlich gehört die Kunst der Entsagung auch deswegen zu den freien Künsten, weil wir sie kostenfrei bekommen und sie uns jederzeit verfügbar ist. Wir können sofort mit ihr beginnen. Wir brauchen keine weiteren Voraussetzungen, keine andere Gesellschaft, kein Starterkit und auch kein zinsgünstiges Startkapital, keine teure Abenteuerausrüstung mit Klamotten von »Jack Wolfskin«, wir sind so frei und benötigen – rein gar nichts.
Nachdem der Leser ein wenig ins Thema eingeführt wurde, wird er nichts dagegen haben, wenn wir gemeinsam mit ihm eine Galerie von Entsagungskünstlern und -meistern besichtigen, anhand derer wir uns das bisher Gesagte veranschaulichen. Gegenüber allgemeinen Grundsatzerklärungen hat unsere Führung den Vorteil, konkrete Einsichten ohne moralisierenden Unterton zu vermitteln. Sie ermöglicht uns, vom Leben zu lernen, das bekanntlich der beste Lehrmeister ist.
Zugegeben, es gibt schwierige Typen unter unseren Exponaten, einige mürrische Sonderlinge, deren altersweises Grummeln nicht jedermanns Sache ist, dazu ein paar dreckstarrende Wanderasketen und Waldbewohner, Säulen- und Baumheilige, Hungerkünstler, Ketzer, Selbstversorger, mit anderen Worten: gesellschaftliche Außenseiter zuhauf und in Fülle. Man muss sie schon mögen. Gleichwohl will der Verfasser nicht verhehlen, dass er sich in ihrer Gesellschaft immer wohler gefühlt hat als in der gewisser Weltverbesserer, die unter dem Applaus des Publikums eloquent den Mund spitzen und auf jede gesellschaftlich relevante Frage eine gesellschaftlich relevante Antwort parat haben. Im Vergleich zu ihnen schienen sie ihm immer die besseren Welt- und Menschenkenner, ja, die eigentlichen Philosophen. Zu solchen gehört nun einmal jene Distanz, die wir anderswo oft schmerzlich vermissen. Wir sollten überdies nicht vergessen, dass diese Männer und Frauen im Gegensatz zu den nervigen Optimisten und Weltverbesserern meistens persönlich integer waren und sich selten etwas zuschulden kommen ließen. Selbst die größten Misanthropen unter ihnen blieben höflich und bewahrten Haltung. Außerdem waren sie tierlieb, und manche von ihnen lebten nur von Gemüse. Davon, dass durch sie Unruhen verursacht oder gar Kriege ausgelöst worden wären, kann nicht die Rede sein. Sie haben bisweilen gesagt, was niemand hören wollte, aber wer kann für die Wahrheit oder was er dafür hält? Dass diese Wahrheit gar mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müsste, kam ihnen selten in den Sinn. Nur wenige drängte es in die Welt, um sie zu verändern, die meisten hielten sie für unveränderbar. Keinen verlangte es danach, ihre Wahrheit anderen mit Gewalt aufzuzwingen. Vielleicht, dass ihr Mitteilungsdrang und Optimismus anfangs noch etwas stärker waren, bis sie merkten, dass ihre Botschaft nicht gut ankam. Da zogen sie sich zurück und waren einfach mal weg – entweder in ihren eigenen vier Wänden oder in der Wüste, im Wald, im Kloster, unter der Brücke oder auf ihrer Säule. Na und?
Schön ist auch, dass das Evangelium der Entsagung keine nationalen oder kulturellen Beschränkungen kennt, sondern ein universales ist. Mit Bezug auf seine Vertreter könnte man geradezu von einer »Internationalen der Entsagungskünstler« sprechen. In ihnen vereint sich nicht nur die Schnittmenge vieler Konfessionen und Denominationen, sondern auch die der Religionen und Philosophien. Die Kunst der Entsagung ist weder an Nationen noch Kulturen, weder an Kontinente noch Zeiten gebunden.
Auch wenn Glaube und Weltanschauung einzelner Entsagungskünstler ganz unterschiedlich gewesen sein mögen, rein menschlich betrachtet ähnelten sie einander sehr. Und vielleicht liegt darin ja auch das Besondere, das sie für uns bis heute so anziehend macht und ihnen im Gedächtnis der Menschheit, die diesen Namen verdient, allezeit einen Platz sichern wird: ihre Reduktion des Menschen auf das absolut Wesentliche, Essenzielle. Indem sie alles abstreiften, was ihnen überflüssig erschien oder zum Hals heraushing, indem sie alles fortwarfen, was sie für Ramsch erachteten, machten sie aus dem mit Klamotten von »Chanel« bekleideten, mit Schmuck von »Cartier« behängten und nach Wässerchen von »Dior« duftenden Affen wieder einen Menschen – und das ganz ohne volkspädagogische Absicht. Sie gaben den mit teurem Make-up gepuderten, mit Botox aufgespritzten, gelifteten und hinter den Ohren befestigten Masken wieder die menschlichen Züge und das Lächeln zurück. Im Allgemeinen geschah dies sogar unfreiwillig, denn das eigene Seelenheil beschäftigte unsere Entsagungskünstler oft mehr als das Heil der Menschheit oder das Wohl des Planeten im Ganzen.
Ein wenig ist das wie in der Musik oder im Theater, wo uns nach dem Hören einer »Symphonie der Tausend« oder der Aufführung eines Theaterstückes mit 20 Haupt- und über 50 Nebendarstellern das Gefühl überkommt, eine schlichte zweistimmige Invention von Bach könne die Ehre der Musik oder ein Einakter von Beckett die des Theaters retten. Nur dass es in unserem Fall nicht um die Kunst, sondern um den Menschen geht.
Was die meisten Entsagungskünstler außerdem miteinander verbindet, ist eine herzliche Abneigung gegen das Establishment, das jeweils unterschiedliche Namen trägt und in dem je nach Kultur und Epoche unterschiedliche Herren den Ton angeben: Kaiser, Könige und ihre Getreuen, Päpste, Kirchenfürsten, Literaturkritiker, Chefintendanten oder Vertreter von Investmentbranche und Einzelhandel. Überflüssig zu sagen, dass diese Abneigung in der Regel auf Gegenseitigkeit beruht. Wer wen weniger leiden kann, lässt sich schwer feststellen. Offenbar reagiert nicht nur der Entsagungskünstler auf das, was ihm die Kinder der Welt zugefügt haben, auch diese, sobald sie bemerken, dass man sie nicht mag, reagieren auf den Affront empfindlich und schlagen zurück. Dann schleudern sie dem Entsager das Wörtchen »Versager« wie ein spitzes Messer hinterher. Allein es trifft nicht mehr und ist bereits das Eingeständnis ihrer Niederlage. Jeder Rückzug eines Einzelnen macht für alle sichtbar, dass die Welt, in der sie und über die sie Herren zu sein glauben, so bedeutsam gar nicht ist. Schlimmer als diejenigen, die ihnen den Rang ablaufen wollen und mit ihnen um Macht und Vorrangstellung kämpfen, sind diejenigen, die von ihnen gar keine Notiz nehmen. Die dem, worüber sie als stolze Könige zu herrschen glauben, gar keine Bedeutung schenken. Der Medusenblick, mit dem man sie zu bannen suchte, damit sie gesellschaftliche Verantwortung übernähmen, Familien gründeten, Kinder kriegten, zur Wahl gingen, Weihnachtseinkäufe tätigten, Steuern zahlten und sich’s im Übrigen wohl sein ließen in der von ihnen eingerichteten Welt, hat seine Wirkung verfehlt. Er wird einfach ignoriert. Die Bilanzen der Finanzleute imponieren nicht. Die eindringlichen Appelle der Politiker verhallen ungehört. Die scharfsinnigen Analysen der Wissenschaftler beeindrucken nicht. Die einhellige Meinung von Medien und Medienmachern löst Gelächter aus. Der wohlmeinende Rat von Ärzten und Psychotherapeuten wird einfach übergangen. Um sich am »gesellschaftlichen Dialog« zu beteiligen, fehlt es an Zeit und Lust. Die Kinder dieser Welt haben sich einmal mehr als begabte Marionetten eines traurigen Systems entlarvt, das sie zu beherrschen glaubten und das, wie nun deutlich wird, in Wahrheit sie beherrscht. Nicht um aufzubegehren und zu verändern, sondern um sich zu verabschieden, blickt man noch einmal zurück. Von nun an werden eigene Spielregeln erfunden.
Indem unsere Entsagungskünstler zu der von ihnen verachteten Welt auf radikale Distanz gingen, bewirkten sie indirekt, was von ihnen gar nicht beabsichtigt war. Weil sie die Welt als einen für sie unbewohnbaren Ort verließen, machten sie sie paradoxerweise für viele andere wieder bewohnbar. Denn nun zeigte sich: Sie ist keineswegs nur Tummelplatz von raffgierigen Börsenspekulanten, bis auf die Zähne bewaffneten Militärs und korrupten Politikern, an dem die unerbittlichen Gesetze des Marktes inklusive des Rechtes des Stärkeren gelten, sondern ein Ort, an dem es sogar Menschen gibt.
Die radikalsten Entsagungsmeister gingen sehr weit. So weit, dass es das Vorstellungsvermögen des Normalbürgers mit seinem naiven »Yes, we can«-Optimismus gänzlich sprengt. Hier ist nicht nur das Vertrauen in den Menschen und in dessen Fähigkeiten zum sogenannten Guten generell erschüttert, sondern die ganze Beziehung zur Welt und ihrem Schöpfer hoffnungslos infrage gestellt und unumkehrbar zerrüttet. Der Wurm sitzt überall – selbst in dem, was man landläufig so »Gott« nennt.
Auf den ersten Blick scheint die Fülle der Entfaltungsmöglichkeiten, die dem Entsagungskünstler zur Verfügung stehen, unerschöpflich. Enthaltung bedeutet ja immer Enthaltung von etwas, d. h. in der Regel von bestimmten lustvollen Beschäftigungen. Da nun aber die Liste der mit Lust ausgeübten menschlichen Tätigkeiten sehr lang ist,5 ist es auch die der Dinge, deren sich der Entsagungskünstler enthalten kann. Zu jeder positiven Betätigung gibt es eine negative Entsprechung. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die üblichen Bewertungsmaßstäbe vom Entsagungskünstler auf den Kopf gestellt werden. Schlecht ist, was dem Körper gut tut, und gut ist, was dem Körper widerstrebt. Dass nicht alles, was dem Körper widerstrebt, für ihn schlecht sein muss, erkennt man daran, dass gerade Entsagungskünstler oft gesünder sind als andere Menschen und häufig auch viel älter werden.
Konkret bedeutet das Gesagte: Der von den meisten Menschen mit Lust ausgeführten Tätigkeit des Essens setzt der Entsagungskünstler das Fasten entgegen, der des Trinkens den Verzicht auf Getränke, zumal dann, wenn es sich dabei um alkoholische handelt. Der von den meisten Menschen mit ebensolcher Lust und nicht nur zum Zweck der Fortpflanzung geübten geschlechtlichen Betätigung wird die vorübergehende oder gänzliche sexuelle Enthaltsamkeit entgegengesetzt. Auch die Kleidung, weil sie den Körper wärmt oder dem Träger soziales Prestige verleiht, steht als potenzielles Komfort- und Luxusobjekt unter grundsätzlichem Vorbehalt. Entsagungskünstler, die in den kälteren Zonen leben, werden kaum ganz auf sie verzichten können und sich bei ihrer Askese nur auf ein paar möglichst einfache, praktische Kleidungsstücke beschränken. Dagegen kann es in den wärmeren Regionen und dort, wo es die äußeren Umstände zulassen, durchaus vorkommen, dass sich der Entsagungsmensch seiner Kleidungsstücke gänzlich entledigt und so lebt, wie Gott ihn schuf. Selbstverständlich gilt dasselbe auch für jede Art von Schlafkomfort. Während die meisten Menschen gerne in weichen Daunenkissen versinken, bevorzugt der Entsager den nackten Erdboden. Für manche von ihnen, wie z. B. den Säulenheiligen, ist schon Liegen Luxus; sie verbringen ihre Tage und Nächte im Stehen auf der Säule und sind in der Lage, selbst stehend zu schlafen. Wieder andere gehen noch einen Schritt weiter und sehen bereits im Schlaf Versuchung und diabolische Aufreizung der Sinne; sie bemühen sich daher, ihn so gut wie möglich zu vermeiden. Dem Besitz wird der Verzicht auf Besitz entgegengestellt. Der Verwurzelung an einem festen Wohnort die dauernde Unbehaustheit. Doch gibt es auch das Gegenteil! Während die Entsagung für den einen bedeutet, heimatlos durch die Welt zu streunen, besteht sie für den anderen darin, sich in einer Klause einzuschließen, die er zeitlebens nicht mehr verlässt. Weil die meisten Menschen ihre Lust daran haben, den ganzen Tag zu reden, verlegen sich viele Entsagungskünstler aufs Schweigen. Um den Eigenwillen zu brechen, der im menschlichen Ungehorsam hässlich hervortritt, unterwerfen sich viele dem Gehorsam gegenüber Mitbruder oder Vorsteher. Zum völligen mentalen Verzicht auf die Welt ist eine geistige Schwerpunktverlagerung erforderlich. Sie erfolgt in Meditation und Versenkung oder im Gebet. Wie für den Maler Farbe, Pinsel und Leinwand sind Nahrungsentzug, Schlafentzug, sexuelle Abstinenz, Verzicht auf Körperpflege, unbequeme Kleidung und Meditation für den Entsagungskünstler sozusagen das Handwerkszeug, mit dessen Hilfe er sein angestrebtes Ziel, die völlige Herrschaft über den Körper und möglichst große Freiheit von seinen Begierden zu finden sucht. Dabei können die unterschiedlichen Techniken in jeweils unterschiedlichen Kombinationen angewandt werden. Mal steht Nahrungs- und sexuelle Abstinenz im Vordergrund, ein andermal die »stabilitas loci« (Ortsgebundenheit) in der Zelle oder auf der Säule, wieder ein anderes Mal allein der Gehorsam, ohne dass eine spezielle Nahrungs- oder Kleidungsabstinenz gefordert wäre.
Der ständige Kampf mit seinem Körper, mit dem er lebenslang auf Kriegsfuß steht und dessen kategorisch eingeforderte Rechte er ständig niederzuhalten oder ganz zu unterdrücken versucht, ist für den Entsagungskünstler nicht nur Lebensthema, sondern auch künstlerische Herausforderung. Ihn am Ende wie einen gezähmten Bären am Nasenring durch die Manege zu führen, ist sein Ideal.
Unsere Galerie der Entsagungskunst besteht aus neun Ausstellungsräumen. Der erste steht unter der Überschrift »Der Verzicht wird entdeckt« und ist den Anfängen gewidmet. »Ex oriente lux« besagt: Der Ursprung liegt im Osten, bei den indischen und buddhistischen Weisen. Wir besichtigen den philosophisch-religiösen Innenraum der frühen Entsagungskunst und lernen die Grundlagen kennen, Weltpessimismus und/oder Identitätsphilosophie, ein Muster, dem wir von nun an immer wieder begegnen. Der Blick des Verzichtenden ist auf befreiende Erlösung gerichtet: Erlösung von der Welt.
Raum zwei ist dem Thema Vegetarismus gewidmet. Fleischverzicht ist wieder aktuell. Die Ursprünge in Europa gehen bereits auf Orphik und Pythagoreer zurück. Hier haben wir Gelegenheit, mehr über die Hintergründe des frühen Vegetarismus zu erfahren und uns mit dessen modernen Tendenzen auseinanderzusetzen. Vorsicht beim Betreten des dritten Ausstellungsraums! Diogenes von Sinope streckt uns sein Hinterteil entgegen. Mit ihm begegnen wir dem humanistischen, anti-zivilisatorischen »Mensch ist Mensch-« und »Zurück zur Natur-« Typen, der auch heute noch in der Form des »Aussteigers« auftritt. Er unterscheidet sich in der Regel von den anderen durch Desinteresse an Religion, Mystik und Metaphysik, auch in Sachen Philosophie ist er relativ leidenschaftslos. Wenn überhaupt, ist er Vertreter einer handfesten Lebensphilosophie, die ohne große Distinktionen auskommt. Abstrakte philosophische Diskussionen interessieren ihn nicht und bieten lediglich Anlass für sarkastische Bemerkungen.
Als Lebens- und Unterhaltungskünstler ist der humanistische Typ Fluxus-Künstler und tritt oft durch Happenings und zeichenhafte Handlungen in Erscheinung, mit denen er seine Umgebung vor den Kopf stößt. Ihn treibt die Einsicht, dass der Mensch unter dem Ballast von Luxus, Reichtum und weichen Betten seine Menschlichkeit verloren hat und daher dringend einer Rückbesinnung auf das wesentlich Menschliche bedarf. Dazu will er gern verhelfen. Seine Entsagung ist nicht als Rückzug aus der Welt, sondern als Rückzug aus der zivilisierten Welt zu verstehen. Auch ihm geht es um Freiheit, freilich im Sinne von Autarkie.
In Raum vier wird der Verzicht getauft. Das zeigt zweierlei: Die christliche Askese musste nicht erst neu erfunden werden, und die frühe Kirche war eine Kirche der Entsagung. Da das letztere inzwischen weithin in Vergessenheit geraten ist, sieht sich der Ausstellungsleiter an dieser Stelle zu näherer Erklärung veranlasst. Dem liberalen Charakter der Führung entsprechend, wollen wir nicht über Sinn oder Unsinn moderner Erotikgottesdienste urteilen. Es soll nur der Hinweis gestattet sein, dass alle, die das Christentum auf historischen Instrumenten hören möchten, dort fehl am Platze sind.
In Raum fünf gibt es eine große Flügeltür. Die ist weit nach draußen geöffnet: Wir folgen dem Gang des Verzichts in die Wüste. Auf den Spuren der Wüstenväter und Säulenheiligen machen wir uns unter anderem über den stimulierenden Effekt des Verzichts auf Imagination und Fantasie Gedanken. Künstlerisch interessierte Besucher und Absolventen musischer Gymnasien sind eingeladen, hier ein wenig länger zu verweilen.
Im nächsten Ausstellungsraum geht es verstärkt um Sex. Dieser Aspekt des Themas, der schon in den vergangenen Kapiteln diffus herumwaberte, wird nun endgültig auf den Punkt gebracht. Am Beispiel des Kirchenvaters Augustin wird hier eindrucksvoll klar, dass die Entbehrung der Sexualität womöglich die schmerzlichste Seite des Verzichts darstellen kann. Notorische Voyeure erhalten Trost und Rat.
In Raum sieben steht wieder der Verzicht auf Besitz und Nahrung im Vordergrund. Ein Zusammenhang mit Raum sechs ergibt sich nur insofern, als alle in diesem Raum vorgestellten Personen die Überzeugung teilen, dass Armut geil sein kann.
Nach dem Besuch von Raum acht wissen wir, dass der Verzicht im Islam »Dschihad« heißt, ohne Nine-Eleven zu meinen.
Im letzten Ausstellungsraum stehen ein paar Vitrinen zum Thema: »Schrumpftum statt Wachstum«. Wir begegnen dem politischen Typus des Entsagungskünstlers. Mit dem von Diogenes repräsentierten humanistischen Typ verbindet ihn die Freude an spontanen Aktionen und Happenings, denn der politische Entsager ist wie der humanistische vorwiegend Aktions- und manchmal auch Unterhaltungskünstler. Außer den genannten Vitrinen mit alten Schwarz-Weiß-Fotos von »Gammlern«, »Hippies« und anderen gesellschaftlichen Außenseitern gibt es noch eine kleine Nische für den Menschen Gottfried und ein Klettergerüst, auf dem sich Cécile Lecomte, genannt »Eichhörnchen«, abseilen kann.
Ich bitte um Verständnis dafür, wenn die Entsagungskunst in dieser kleinen Galerie nur am Beispiel der profiliertesten Typen vorgestellt wird. Damit sich der Leser am Anblick dieser stolzen Bergmassive erbauen kann, wurde die Messlatte absichtlich sehr hoch gelegt. Von den hohen Gipfeln führt dann eine Reihe von Hängen, Triften und bunten Wiesen in die Niederungen und Täler. Gemeint sind die Bereiche, in denen die hohe Kunst der Entsagung in fließenden Übergängen zu einem fröhlichen Gesellschaftsspiel wird.
Auch in unserer heutigen Zeit finden sich überall Verflachungstendenzen, beispielsweise dort, wo Menschen, angeregt durch amüsante autobiografische Erfahrungsberichte prominenter Fernsehstars, mal eben einen Pilgertrip nach Santiago de Compostela machen, um, ausgerüstet mit einem Pilgerstab aus echtem Kirschbaumholz und Lederschlaufe und einer Pilgermuschel mit zweifacher Bohrung und Umhängeband, die Gebeine des Hl. Jakobus zu besuchen; auch ein Heilfasten mit zehn Übernachtungen in einem Wohlfühlzimmer inklusive frisch gepresstem Heilfastensaft, WLAN-Verbindung und kostenfreiem PKW-Stellplatz direkt vorm Haus gehört wie so vieles andere in diesen Zusammenhang. Exponate der Anhänger dieser Richtung erfüllen natürlich nicht die Voraussetzungen, um in unseren heiligen Hallen aufgenommen zu werden, da es bei ihnen mehr um Wellness, Fitness und Beauty oder die Steigerung des eigenen Prestiges im Kollegenkreis oder in Talkshows geht als um echte alte Entsagungskunst. Wer über Light-Entsagung mehr zu wissen wünscht, sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. Unter Titeln wie »Fastenprogramm für zu Hause« oder »Richtig essen nach dem Fasten« wird der interessierte Leser sicherlich das ihm Gemäße entdecken.
Einzuräumen ist, dass solche Bemühungen für viele Menschen nicht selten erste Schritte aus den Armen der Krake Konsumgesellschaft sein können. Solange es nicht nur um Äußerlichkeiten und Schickimicki geht, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Der Autor wäre froh, wenn er den Leser zu ebensolchen kleinen oder noch kleineren Schritten veranlassen könnte. Indessen ist er immer noch einem etwas altmodischen humanistischen Grundsatz verpflichtet und glaubt, dass Menschen hauptsächlich an ihren Idealen wachsen. Darum will er sich lieber auf die großen starken Entsagernaturen konzentrieren, die Hardcore-Entsager sozusagen, in der Hoffnung, der Leser möge sich an ihnen emporrichten – ein wenig.
Der perspektivenreiche Standpunkt bringt es mit sich, dass das von ihm gelieferte Bild der Entsagungskunst kein zweidimensionales Schwarz-Weiß-Bild sein kann. Auch wenn gewisse beklagenswerte Phänomene unserer gegenwärtigen Kultur die Neugier nach Alternativen wecken und den Ausgangspunkt unserer Reise bilden, ist klar, dass es dabei nicht um eine Wallfahrt ins Gelobte Land gehen kann. Es müsste als Zumutung für den Leser empfunden werden, wenn ihm das Weltbild eines Säulenheiligen oder das Leben des Diogenes in der Tonne als ernsthafte Alternative zu seinem bisherigen, vermutlich in gutbürgerlichen Bahnen verlaufenden Leben präsentiert würde. Eine Verklärung, wie sie neuerdings in einigen Esoterikbüchern betrieben wird, ist vom Autoren keineswegs angestrebt. Ebenso würde es dem »Aufklärer« in ihm widersprechen, die Augen vor manchen Problemen der Entsagungskunst zu verschließen, wozu vor allem die krass frauenfeindliche Einstellung einer Mehrzahl ihrer Ausübenden gehört, aber auch der von ihnen propagierte enge Verbund von Armuts- und Keuschheitsideal, der in der Regel damit zusammenhängt.
Aber auch zeitgemäßere Alternativen, wie die von Madame Eichhörnchen, wollen vor allem dargestellt und nicht anempfohlen sein. Die unterschiedlichen Ausstellungsräume mit ihren unterschiedlichen Konzeptionen von Entsagung und deren Repräsentanten sollten vom Leser vielmehr als interessante Modellstationen für seinen eigenen Weg aufgefasst werden, d. h. als mögliche Anregungen und Appetizer für sein ganz persönliches Projekt einer Selbstfindung durch Weltdistanzierung. Das sollte nicht mit einer Anleitung zu einem entsagungsvollen, aber erfüllten Leben verwechselt werden. Der Autor sagt nicht »klar und angenehm, was erstens, zweitens, drittens käm’.« Die Entscheidung wird dem Leser überlassen.
Um sich davon zu überzeugen, dass der Buddhismus in Deutschland angekommen ist, genügt ein Blick in deutsche Vorgärten, wo Terrakotta-Buddhas inzwischen vielerorts die Gartenzwerge ersetzen. Tatsächlich ist die Zahl der buddhistischen Zentren in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Wie hoch die Anzahl der Buddhisten bei uns ist, lässt sich nicht genau sagen, da viele Anhänger des Buddhismus ihre Religion außerhalb fester Gemeinschaften, die in dem Dachverband der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) zusammengeschlossen sind, praktizieren. Sie soll derzeit zwischen 250.000 und 300.000 liegen.
Wichtige Anstöße für die Verbreitung des Buddhismus in Westeuropa kamen aus den USA. Filme wie »Little Buddha« von Bernardo Bertolucci (1993) oder »Kundun« (1998) von Martin Scorsese trugen maßgeblich dazu bei, die Religion populär zu machen. Inzwischen hat sich der Buddhismus in den USA zur Lieblingsreligion auch vieler Prominenter entwickelt. Zu ihnen gehören Schauspieler wie Richard Gere, Sängerin Tina Turner, Golfprofi Tiger Woods oder der verstorbene Apple-Chef Steve Jobs – mit dem entsprechenden Nachahmungseffekt in Deutschland, wo sich unter anderem Fritz Wepper, Cleo Kretschmer oder RTL-Chef Helmut Thoma zu buddhistischen Ansichten bekennen oder mit ihnen kokettieren. Mehr noch als diese Prominenten mögen die mit großer medialer Aufmerksamkeit begleiteten zahlreichen Besuche des Dalai Lama die Popularität des Buddhismus gefördert haben. Umfragen zufolge wird seine moralische Autorität hierzulande höher eingeschätzt als die des Papstes.6 Während die einen im Buddhismus eine ernsthafte Alternative zum (kirchlichen) Christentum sehen, gibt er den Anhängern eines »Bussi-Buddhismus« eine willkommene Möglichkeit, sich in Talkshows oder auf Partys interessant zu machen.
Außer dem Dalai Lama gibt es zahlreiche weitere umtriebige Reisende, die in Sachen Buddhismus unterwegs sind. Eine Art »Jürgen Fliege des Buddhismus« ist der Däne Ole Nydahl. Seine Bücher sind teilweise Bestseller, seine Vorträge füllen große Säle. Oft sind die Grenzen zwischen Religion und Kommerz fließend. Das ist bei den meisten Religionen so. Im Fall des Buddhismus verwundert es allerdings deswegen, weil er in dieser Hinsicht bisher als unschuldig galt. Vielleicht ein Vorurteil. Jedenfalls hat sich inzwischen ein ganzer Industriezweig zur Aufgabe gemacht, Buddha-Anhänger mit dem nötigen Equipment zu versorgen. Verkauft werden, außer den erwähnten Terrakotta-Figuren, die inzwischen in jedem Baumarkt erhältlich sind, Sitzkissen, Meditationsmatten, Gebetsfahnen, Glücksschalen usw. Dazu werden die obligaten Retreat-Wochenenden sowie Pilgerreisen angeboten.
Buddhismus war schon einmal Mode. Als die alten Pali-Texte im 19. Jahrhundert erstmals in deutscher Übersetzung erschienen, ließen sich viele von der neu entdeckten Religion, unter ihnen auch der Philosoph Arthur Schopenhauer, faszinieren. Damals blieb die Buddhismus-Renaissance im Großen und Ganzen auf die Elite beschränkt. Heute ist der Buddhismus in allen gesellschaftlichen Schichten angekommen. Recht dürftig fällt mitunter das Niveau aus, auf dem über den Buddhismus reflektiert wird. Nicht immer ist klar, worauf dessen Faszination eigentlich beruhen soll. Für einige soll das Karrieredenken dadurch an Gewicht verlieren, viele fühlen sich durch die Religion angeregt, so zu leben, »wie wenn man die nächste Tasse Tee nicht mehr austrinken könnte«. Für andere zählt das rein Menschliche: »Es ist der Weg der Mitte, was genannt wird, dass man aus diesem Mitgefühl, Miterleben, aus dieser Quelle von diesem, also der Liebe, kann man eben sagen, dem Herzen her, mit dem Alltag umgeht.«7
Dies alles lässt Zweifel daran aufkommen, ob jene, die bei dünnem Tee über »Samsara«, »Karma« und »Nirwana« parlieren, sich auch immer ganz im Klaren darüber sind, worum es hier eigentlich geht. Häufig ist die Hinwendung zum Buddhismus mit Kritik an der christlichen Religion verbunden. Man will »fröhlich leben«. Das Christentum, so heißt es, verhindere dies, denn es »verherrliche das Leiden«. Überhaupt ist viel von Gelassenheit, Liebe und Freundlichkeit oder von der Bedeutung des »Hier und Jetzt« die Rede.8 Bei vielen Esoterik-Autoren ist die wohl weltflüchtigste aller Religionen inzwischen zu einer Wohlfühlreligion geworden, die niemandem mehr wehtut. Was »der Erhabene« wohl dazu sagen würde?