Die Mörderkate - Gerhard Pflanz - E-Book

Die Mörderkate E-Book

Gerhard Pflanz

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Beschreibung

Ein Kriminalfall aus dem Jahr 1932, welcher geprägt ist von den politischen Auseinandersetzungen der rechtsextremen und der links gerichteten Parteien.

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Buch

Ein Kriminalfall aus dem Jahr 1932, geprägt von den politischen Unruhen. Kriminalkommissar Hermann vom Kommissariat Gießen steht mit seinen Kollegen vor einem schwierigen Problem. Er muss einen Mörder überführen, der unter dem Schutzmantel der mächtigen Rechtsradikalen die Flucht ergreift und verschwunden ist.

Er nutzt alle Möglichkeiten, um an Informationen zu kommen, kann aber weitere Morde nicht verhindern. Die Rechtsradikalen sind sich ihrer Stärke und dem Rückhalt in der Bevölkerung bewusst und sperren sich gegen jede Mitarbeit zur Aufklärung der Verbrechen. Findet Berthold Hermann den richtigen Weg?

Die Liebesgeschichte um seinen Kollegen Gregor Loheim nimmt einen tragischen Ausgang. Gregor lernt darauf Lene kennen, für ihn die große Liebe. Wird es ein dauerhaftes Glück für Lene und ihn?

Die Handlung ist erfunden, Ähnlichkeiten von Namen oder Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Autor

Gerhard Pflanz lebt im Cuxland im Kreis seiner Familie. Nach einem anspruchsvollen und erfolgreichen Berufsleben widmet er sich jetzt im Ruhestand seiner Leidenschaft, dem Schreiben von Historischen- und Kriminalromanen. Daneben zählt für den Dipl. Ing. und Vater von drei Kindern vor allem seine Familie.

Web: http://www.pflanz-web.de

Mail: [email protected]

Weitere Titel von Gerhard Pflanz

Aufbruch nach Britannia

Morde und Amouren

Yako - Der Chatte

Saltius - Germane in Römischen Diensten

Geschichten für Melissa

Kriegsende in Schlitz

Technisches Wörterbuch (deutsch/engl., engl./deutsch)

Inhaltsverzeichnis

01 Der Auftrag

02 Das Versteck

03 Familie Hermann

04 Vermisst

05 Berthold übernimmt

06 Der Alte

07 Eine erste Spur

08 Die Rache

09 Aufgabenteilung

10 Lene

11 Alte Bekannte

12 Der Maulwurf

13 Eine Affäre

14 Vortrag beim Alten

15 Hilde

16 Eine Falle

17 Krankenbesuch

18 Ermittlungen

19 Massnahmen

20 Begegnung

21 Wo ist Weiß?

22 Ein Rendezvous

23 Reingelegt?

24 In der Pulvermühle

25 Becks Bericht

26 Kutter „Möwe“

27 Flucht

28 Schusswechsel

29 Wochenende

30 Verliebt

31 Ruck-Zuck

32 Schurkenpläne

33 Mörderkate

34 Weichen stellen

35 Licht und Schatten

36 Neue Zeiten

Personenverzeichnis

Im Kriminalkommissariat

Berthold Hermann

Kriminalkommissar

Herr Weber

Kriminalrat (Bertholds Chef)

Jürgen Reinshagen

Kriminalkommissar (Bertholds Freund)

Gregor Loheim

Kriminalkommissar, neuer Kollege

Sofie Blum

Sekretärin

In Linden

Berthold Hermann

Kriminalkommissar, 30 Jahre alt

Käthchen Hermann

Bertholds Frau, 26 Jahre alt

Ronald

der 3-jährige Sohn

Oma/Opa Hermann

die Eltern und Nachbarn

In der Parteizentrale

der Rechtsradikalen

Konrad Jung

Vorsitzender im Landkreis

Klaus Krenz

Mitarbeiter von Jung

Albrecht Weiß

Arbeitsloser, Gehilfe von Krenz

Karl Gerber

dessen Freund, genannt Schwuchtel

Karl Beck

Parteimitglied

Sonstige

Wilhelm Sperl

Vorsitzender der Linken in Busdorf

Ilja Berger

Agitator

Witwe Gebert

Eigentümerin der Kate

Lene Lohn

Kinderkrankenschwester

Albert Schuchardt

Staatsanwalt

Hein Söhl

Schiffer vom Krabbenkutter „Möwe“

Für unsere sieben wunderbaren Enkel.

Leser, mir nach, du bist frei!

Michael Bulgakow (1891-1940)

01 DER AUFTRAG

Was man zu verstehen gelernt hat,

fürchtet man nicht mehr.

Marie Curie (1867-1934)

In der Zentrale der Rechtsradikalen im Landkreis saß der Vorsitzende des Landkreises Konrad Jung, mit seinem langjährigen Vertrauten Klaus Krenz zusammen. Sie besprachen Pläne in einem kleinen Hinterzimmer, während in dem zur Straße gelegenen Schulungsraum ein Vortrag für die Jugendgruppe des Landkreises stattfand.

Zigarettenrauch füllte den kleinen Raum, die beiden Männer lasen einen Brief: „Klaus, ich habe diesen vertraulichen Brief von unserem Gauleiter erhalten. Wenn du ihn gelesen hast, brauche ich dir nicht mehr zu sagen, dass es sich um ein streng vertrauliches Schreiben handelt.“

Er gab Klaus den Brief und ließ ihm Zeit zum Studium des Inhalts. Das dauerte eine Weile, Jung sah an den Lippen seines Freundes und dem Zeigefinger, der entlang den Buchstaben dem Inhalt des Briefes folgt, dass Lesen nicht zu den geübten Tätigkeiten seines Gegenübers gehörte. Der Brief hatte auszugsweise folgenden Inhalt:

Von unserem Sicherheitsdienst erhalte ich die Meldung, dass in deinem Gebiet zunehmend Agitatoren der Linken tätig sind. Das betrifft Vorträge auf Parteiversammlungen, aber auch Schulungen zur Untergrundtätigkeit und Handhabung von Waffen. Wir dürfen keinesfalls dulden, dass diese Vaterlandsverräter sich derart betätigen und ich bitte dich die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

Jung sah seinen Mitarbeiter Krenz bedeutungsvoll an: „Ich übergebe dir hiermit den Auftrag, das auf unsere bewährte Weise in Angriff zu nehmen. Den Schlüssel zur Kate der Witwe Gebert hast du ja noch. Die Kate kannst du wieder als Versteck wählen, bis sich die Wogen geglättet haben. Vorsicht ist geboten, das können geschulte Agenten aus der Sowjet Union sein, die sicher nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel sein werden.“

Krenz grinste: „Das sind wir auch nicht, keine Sorge.“ Jung wusste das, sein Vertrauter Klaus war sein Mann fürs Grobe. „Heute Abend haben die eine Versammlung in Busdorf, da kannst du vielleicht schon Kandidaten erkennen.“

Krenz hatte nicht die Absicht selbst dort zu spionieren, dafür hatte er geeignete Leute, welche er mit Geldzahlungen bei der Stange hielt. Für bestimmte Einsätze rüstete er sie auch mit Pistolen aus. Es handelte sich dabei um die handliche und leicht in der Kleidung unterzubringende Walther PP Kaliber 6,35mm, für die er auch einen Schalldämpfer hatte.

Krenz verabschiedete sich von seinem Parteigenossen. Er wusste, dass er indirekt einen Mordauftrag auszuführen hatte. Das regte ihn nicht weiter auf, es ging nach den Vorstellungen seiner Partei ja um das Volkswohl seines Heimatlandes. Seine Partei hatte ein überragendes Wahlergebnis erzielt und würde die Regierung in Kürze im ganzen Reich übernehmen. Dann war es nur gut, wenn man sich jetzt schon nützlich machte.

Er setzte sich auf sein Rad und fuhr Richtung Gaststätte „Bierschwemme“. Er hatte richtig vermutet, sein Gesuchter saß an der Theke vor einem Bierglas. „Tag, Albrecht“, begrüßt er ihn, „hör auf zu saufen, ich habe Arbeit für dich.“

„Heute Abend 8 Uhr findet in Busdorf eine Versammlung unserer Freunde statt“, informierte er ihn, nachdem er sich überzeugt hatte, dass keine Lauscher zuhörten. „Die tagen bestimmt in der Dorfkneipe. Du nimmst an der Veranstaltung teil und merkst dir den Agitator, den Scharfmacher, den sie bestimmt wieder von auswärts geholt haben. Den sollst du deiner Sonderbehandlung unterziehen und an dem bekannten Platz unterbringen.“

Der so Beauftragte nickte bedächtig: „Ja, wird gemacht.“ „Hier hast du den Schlüssel, Einzelheiten brauche ich dir nicht zu erzählen, du hast ja Übung. „Wann soll es denn knallen?“, fragte Albrecht.

„Heute oder morgen. Für den Transport kannst du unseren Kastenwagen haben, der steht hier vor dem Parteibüro wie üblich. Hier ist der Wagenschlüssel. Fahre vorsichtig, du weißt, wenn deine Fahrerlaubnis überprüft wird, bist du dran. Die ist ja bei Edeka gekauft. Wenn du Hilfe brauchst, nimmst du deinen Schwulen mit. Lieber wäre es mir, du würdest allein klarkommen. Also, hör auf zu saufen, der Auftrag kommt von ganz oben.“

„Und was ist hiermit?“ Albrecht Weiß machte grinsend eine reibende Bewegung zwischen Daumen und Zeigefinger. „Darüber reden wir später“, war die kurze Antwort. Krenz reichte ihm, verdeckt unter seiner Jacke, eine Pistole und den Schalldämpfer. „Jetzt fühle ich mich schon viel wohler“, sagte dieser, „nicht mehr so nackt.“

Krenz bezahlte die Rechnung seines Gehilfen: „Ich weiß ja, dass du ständig pleite bist. Du gibst zu viel Geld für deine Schwuchtel aus.“ Albrecht lachte, widersprach aber nicht. Vor der Kneipe trennten sich die Beiden, jeder fuhr mit dem Rad seinem Ziel entgegen.

Albrecht fuhr mit dem Kastenwagen nach Busdorf. Die Versammlung fand der Dorfkneipe „Goldener Hahn“ statt, wie Krenz vermutet hatte. Vor dem Eingang zum Saal standen zwei kräftige Männer, die seinen Mitgliedsausweis verlangten. Da zunehmend Störungen ihrer Versammlungen durch Rechtsradikale vorkamen, war man vorsichtig geworden.

Albrecht antwortete der Wahrheit entsprechend: „Ich bin kein Mitglied, will aber mal was anderes hören als die Hetzreden der rechten Kriminellen.“ „Deinen Namen brauchen wir und den Wohnort.“ Damit hatte er nicht gerechnet, aber nach kurzem Zögern antwortete er: „Albrecht Richter aus Gießen“, was natürlich nicht stimmte. Seinen richtigen Namen hätte er nie preisgegeben, ein anderer Vorname fiel ihm spontan nicht ein, so nannte er aus Gewohnheit seinen richtigen, den wohlmeinende Eltern ihm einst gegeben hatten. Die ahnten damals nicht, welchen missratenen Sprössling sie da in die Welt gesetzt hatten.

Seine Angaben wurden von einem neben der Tür sitzenden Parteimitglied in eine Liste eingetragen. Die Türsteher fragten nicht weiter, andere Besucher drängten nach. Albrecht setzte sich in eine mittlere Reihe an den Rand. Vorsitzender Wilhelm Sperl begrüßte die erschienenen Genossen und gab einen Rechenschaftsbericht über den vergangenen Monat. Dann begrüßte er einen besonderen Gast: „Genossen, ich begrüße heute den Genossen Berger, der uns aus Berlin besucht und über die schandhaften Pläne der radikalen Nationalisten informieren will.“

Ein kleiner Mann mit Brille erhob sich aus der ersten Reihe und reckte die Faust in die Höhe. Der Vorsitzende bat ihn zum Rednerpult und gab ihm das Wort. Albrecht erhob sich halb auf seinem Stuhl, um besser sehen zu können. Das war sein Mann, er klatschte Beifall wie alle anderen.

In dem nun folgenden Vortrag wurden alle geschehenen und auch nicht geschehenen Schandtaten der politischen Gegner gekonnt angeprangert und zu Gegenmaßnahmen aufgefordert: „Reißt ihre Plakate ab, stört ihre Versammlungen und informiert die Bevölkerung in der Presse über ihre Untaten. Weitere Maßnahmen bespreche ich mit eurem Vorsitzenden.“ Das Gequatsche interessierte Albrecht nicht, er wartete auf das Ende der Versammlung dieser Dösköpfe.

Endlich schloss der Vorsitzende die Veranstaltung, nachdem es noch eine erregte Diskussion wegen Übergriffen in der Gemeinde gegeben hatte.

Alles drängte in die Wirtsstube oder ins Freie, Albrecht vorneweg. Seine Geduld in einer dunklen Ecke auf der gegenüber liegenden Straßenseite wurde auf eine harte Probe gestellt. Das Wirtshaus leerte sich allmählich und endlich erschienen leicht schwankend der Vorsitzende mit dem als Genosse Berger vorgestellten Redner. „Ilja, ich glaube wir sind Bett reif, ich bringe dich mit meiner Rennmaschine zu deinem Quartier.“ Der mit Ilja angesprochene Redner nickte nur zustimmend.

Die Beiden schwangen sich auf dem Hof der Wirtsstube auf ein Motorrad und fuhren ab in Richtung Kreisstadt. Albrecht eilte zu seinem Adler-Kastenwagen und folgte. In der Bahnhofstraße hielt das Motorrad vor einem zweistöckigen Haus und Berger verabschiedete sich von dem Vorsitzenden. „Danke Wilhelm, dass du mich hierhergefahren hast.“ „Ich hole dich dann morgen um die Mittagszeit ab.“

„Der hat ein Privatquartier“, war Albrechts richtige Vermutung. Berger wartete, bis das Motorrad abgefahren war und ging dann weiter in Richtung Bahnhof. Offenbar wollte er noch das Nachtleben genießen. Das war die Chance für den Mörder. Albrecht fuhr mit dem Kastenwagen neben ihn und öffnete das Seitenfenster. Berger erwartete eine Frage, beugte sich zum Fenster herunter und der Spezialist der Partei für solche Aufgaben schoss ihm auf der menschenleeren Straße in den Kopf.

Weiß stieg aus und überzeugte sich, dass keine Zeugen zu sehen waren. Der Schuss war nur als ein „Plopp“ zu hören durch den auf die Pistole aufgeschraubten Schalldämpfer. Ein kurzer Griff an die Halsschlagader überzeugte den Täter vom Tod seines Opfers. Er packte den Leichnam unter den Armen und warf ihn in den Kastenwagen, dessen hintere Tür er sorgfältig wieder verriegelte.

02 DAS VERSTECK

Wer aufhört Fehler zu machen,

lernt nichts mehr dazu.

Theodor Fontane (1819-1898)

Der gewissenlose Mörder fuhr seinem Ziel entgegen, dem Versteck für den Leichnam seines Opfers. Er fuhr aus der Stadt auf die Landstraße und gleich hinter der Stadtgrenze nach rechts in einen Feldweg, dem er etwa einen Kilometer folgte. Im schwachen Licht seiner Fahrzeuglampen kam eine Hütte in Sicht. Er war am Ziel.

Die Kate lag etwas abseits vom Feldweg am Rande eines mit Buschwerk umgrenzten Ackers. Sie gehörte der Witwe Gebert, die nach dem Tod ihres Mannes den Bauernhof aufgegeben hatte und in eine Mietwohnung in der Stadt gezogen war. Die Kate war ursprünglich für die Unterbringung von bäuerlichem Gerät und Düngemittelsäcken vorgesehen, aber jetzt unbenutzt, die angrenzenden Felder lagen brach.

Den Schlüssel hatte Krenz von dem Sohn Hans der Witwe erhalten. Er war ein Gesinnungsgenosse und Parteifreund, aber aus der Stadt verschwunden, angeblich war er ausgewandert.

Er ging zu der Kate und schloss die Tür auf. An einem Deckenbalken hing eine Stalllaterne, die er anzündete. Zu seiner Zufriedenheit waren beide Fenster durch Holzplatten gegen Sicht von außen verschlossen.

Er ging zurück zum Kastenwagen, lud sich den Leichnam auf die Schulter und legte ihn auf den Fußboden der Kate, welcher aus festgestampftem Lehm bestand. Die Laterne erlosch, das Petroleum war aufgebraucht. „Dieser Trottel hat das Petroleum nicht nachgefüllt, diese verdammte Schwuchtel.“ Mit seinem Kumpanen würde er noch abrechnen, von seiner Geldprämie bekam der nichts ab. Er durchwühlte die Taschen seines Opfers, fand aber nur eine Brille, eine Geldbörse mit 60 Mark und etwas Kleingeld sowie einen Schlüssel von einem Bahnschließfach und einen Hausschlüssel, keine Ausweispapiere. Er steckte alles in seine Hosentasche.

Dann schloss er ab und brachte die Karre, wie er das Fahrzeug nannte, zurück auf seinen Stellplatz in der Stadt. Auftrag erledigt, zufrieden machte sich der gewissenlose Schurke mit dem Fahrrad auf den Heimweg. Einen Zwischenstopp in der „Bierschwemme“ hatte er dabei eingeplant. Vielleicht traf er dort seinen Kumpan, dem er ordentlich den Marsch blasen wollte. Auf dem Weg dorthin warf er die bei dem Toten gefundenen Sachen in verschiedene Straßengullys. Das Geld behielt er und steckte es grinsend in seine Hemdentasche.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, startete der Parteivorsitzende aus Busdorf Wilhelm Sperl kurz vor Mittag sein Triumph SK 200 Motorrad und fuhr in die Stadt. Er wollte wie verabredet den Genossen Berger abholen und ihn nach Hedenheim bringen, wo er abends einen Vortrag halten sollte. Vor dem Haus war niemand zu sehen und er klingelte auf gut Glück bei einer Wohnung im Erdgeschoss. Ein ältere Mann öffnete, Sperl entschuldigte sich und erklärte den Grund seines Klingelns.

„Da sind Sie hier falsch, versuchen Sie es im 1. Stock bei Frau Schmidt, die vermietet eines ihrer Zimmer.“ Auf sein Klingeln öffnete Frau Schmidt und sagte auf die Frage nach einem Mieter: „Der ist gestern nicht gekommen, ich war bis 12 Uhr wach, keiner kam. Heute Morgen habe ich gesehen, das Bett ist unberührt.“ Wilhelm Sperl war ratlos: „Ich habe ihn gestern etwa um 11 Uhr abends hier abgesetzt, ist er dann in seinem Zimmer gewesen und noch einmal weggegangen?“

„Nein, ganz bestimmt nicht, das hätte ich bemerkt“, antwortete Frau Schmidt. Sperl ging gemeinsam mit ihr in das Zimmer, ein gemachtes Bett mit einem Schlafanzug auf dem Deckbett, Tisch und Stuhl, ein kleines Reisenecessaire mit einer Zahnbürste, sonst nichts. „Der hat bestimmt den Rest seines Gepäck in einem Schließfach am Bahnhof“, dachte Sperl.

Er bedankte sich bei der Frau: „Sie brauchen sich um nichts weiter zu kümmern, Frau Schmidt. Wenn er nicht wieder auftaucht, melde ich ihn als vermisst bei der Polizei. Was ist er Ihnen schuldig? Ich bezahle es für ihn.“ „Eigentlich gar nichts, er hat das Zimmer ja gar nicht benutzt, sonst nehme ich für die Übernachtung mit Frühstück 10 Mark.“

Sperl bezahlte die 10 Mark und verabschiedete sich. Nun war guter Rat teuer, da Berger aus dem Ausland kam und illegal eingereist war, konnte er nicht zur Polizei gehen wegen einer Vermisstenanzeige. Aber erst wollte er den Tag noch abwarten, vielleicht tauchte er ja wieder auf. Er fuhr nach Hedenheim und meldete das Verschwinden des für den Abend vorgesehenen Redners. Auf dem Rückweg nach Busdorf dachte er: „Hoffentlich steckt da die rechte Mörderbande nicht dahinter.“

03 FAMILIE HERMANN

Gesichter sind die Lesebücher des Lebens.

Federico Fellini (1920-1993)

Für Kriminalkommissar Berthold Hermann war Sonntag der schönste Tag der Woche, wie es ja auch sein soll. Da konnte er zu Hause nach einer aufreibenden Woche das Haus und seine Familie genießen.

Sein Haus hatte er mit Hilfe der Eltern, Nachbarn und einem tüchtigen Bauunternehmer im Jahr 1928 fertiggestellt. Es war ein schmuckes Einfamilienhaus, Küche, Wohnzimmer, Bad und Gartenzimmer im Erdgeschoss und Schlafzimmer sowie zwei Kinderzimmer im Obergeschoss.

Das Haus war voll unterkellert und bot dort Platz für Waschküche, Vorratsraum und eine Werkstatt hatte er sich auch eingerichtet. In einem noch leerstehenden Raum, mit Tür zum Garten, wollte er noch eine Dusche und eine Sauna einbauen. Sein Vater hatte über diesen „spinnerten“ Plan zwar den Kopf geschüttelt, aber das würde er durchziehen. Die Sauna wollte er dann mit seinem Käthchen genießen. Geheiratet hatten die Beiden in der Dorfkirche von Linden ebenfalls 1928 nach Fertigstellung des Hauses, wie er ihr versprochen hatte.

Ein Jahr später war der inzwischen dreijährige Sohn Ronald geboren worden. Sein Schwiegervater Notar Gebhard Rainer hätte es gerne gesehen, wenn sie den Kleinen nach ihm benannt hätten, aber „Nix da, der wollte unsere Heirat doch gar nicht“, hatte Tochter Käthchen gesagt.

Sie war glücklich mit ihrem Berthold. Manchmal musste sie ihn bremsen und vom Berufsstress herunter zerren, was ihr auch gelang. Er wurde von ihr und dem Kleinen immer freudig und liebevoll begrüßt, wenn er von seinem anstrengenden Dienst mit unregelmäßigem Feierabend nach Hause kam.

Am heutigen Sonntag tobte Berthold mit dem Kleinen im Garten hinter einem Ball her. Sein Vater erschien und rief: „Treibt das nicht zu toll!.“ Der Kleine begrüßte ihn: „Komm Opa, wir spielen gegen Papa.“ Opa wollte etwas anderes: „Oma lädt Euch zum Mittagessen ein“, sagte er. Er ging ins Haus zu Schwiegertochter Käthchen, welche die Einladung gerne annahm.

Sie hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihren Schwiegereltern, welche nebenan wohnten. Oma Hermann war wie eine liebe Freundin von ihr. Ihre Eltern hätten gerne gesehen, wenn sie nach der Heirat in ihr großes Haus in Gießen eingezogen wären, aber das war für Berthold nicht denkbar bei dem damals noch etwas angespannten Verhältnis zu seinem Schwiegervater.

Das hatte sich inzwischen normalisiert und besonders Käthchens Mutter kam mit dem Fahrrad oft zu Besuch und freute sich über ihren Enkel und das glückliche Familienleben von Tochter und Schwiegersohn.

Das sonntägliche Mittagessen bei den Eltern war hervorragend, es gab dörflich korrekt Schweinebraten mit Kartoffelklößen und Blumenkohl. Berthold spendierte ein Flasche Rotwein aus dem Ahrtal, welche er in der Stadt gekauft hatte. Der Kleine aß tüchtig mit, so wie Papa es auch tat. Seine Mutter hatte ihm den Teller vorbereitet, alles mundgerecht zerkleinert. Den letzten Rest fütterte die Oma.

Am nächsten Tag radelte Berthold zum Dienst nach Gießen. Das gewünschte Automobil hatten sie sich bis jetzt nicht leisten können, der Abtrag der Hypotheken für ihr Haus und notwendige Anschaffungen drückten sie doch sehr.

Er begrüßte die Sekretärin Sofie Blum, welche die Stelle von Käthchen übernommen hatte. Frau Blum war etwas älter als der 30-jährige Berthold und eine ausgezeichnete Fachkraft. Sie hatte allerdings schon etliche Zusammenstöße mit dem Leiter des Kommissariats Kriminalrat Weber hinter sich gebracht, da sie eine durchaus selbstbewusste Person war und ihre Rechte auch gegen den Chef verteidigte. Der musste sich daran gewöhnen, denn das war bei Käthchen, ihrer viel jüngeren Vorgängerin, ganz anders gewesen.

Sie begrüßte Berthold auch gleich mit spitzer Zunge: „Ach der Kommissar Hermann, ausnahmsweise mal pünktlich im Dienst.“ Der nahm das nicht tragisch, sondern entgegnete lachend: „Die Sehnsucht nach Ihnen hat mich hergetrieben.“ Sie reichte ihm die Hand und sagte schmunzelnd: „Schluss mit der Siezerei, ich bin Sofie.“ „Gerne, Berthold haben mich meine Alten getauft.“ Er nahm die Gelegenheit wahr und drückte sie zärtlich an sich, er wusste Frauen mochten das.

„Und jetzt willst du sicher einen Kaffee, den sollst du haben, und zwar bekommst du ihn in der Tasse vom Chef, der ist heute nicht da.“ „Wenn er nun später kommt, macht er mich zur Schnecke.“ „Nein, er hat sich abgemeldet wegen Krankheit.“ Berthold bedankte sich und ging zum Büro seines Freundes Jürgen Reinshagen.

Jürgen war mit seinen 50 Jahren dienstältester Kommissar und Vertreter vom Kriminalrat Weber. Sein Büro hatte er jetzt direkt neben dem Chef. Berthold klopfte an, ging aber auf das „Herein“ nicht hinein, sondern klopfte nochmal an. Die Tür wurde aufgerissen: „So kommen Sie doch…“ Er erkannte Berthold und sagte lachend: „Er kann es nicht lassen seine erwachsenen Kollegen zu ärgern. Komm rein.“ Berthold fühlte sich jung genug, um solche Albernheiten immer noch in seinem Programm zu haben. Sein Käthchen sagte bei solcher Gelegenheit: „Du wirst nie erwachsen.“ Sie mochte diese Wesensart an ihm aber sehr.

Berthold folgte mit seiner Cheftasse: „Was machst du denn heute mit deinen Schäfchen?“ „Der Alte liegt flach, da machen wir heute Innendienst. Das ist für dich auch angebracht, du musst deine letzten Fälle noch für die Akten und den Staatsanwalt dokumentieren. Für den Rest der Belegschaft gibt es ausreichend Beschäftigung.“

Jürgen war Bertholds guter Freund, von dem er sich schon manchen brauchbaren Rat geholt hatte. Er war mit seiner Frau gern gesehener Gast bei seiner Hochzeit gewesen und Pate von Sohn Ronald geworden. „Wie geht es zu Hause?“, fragte Jürgen. „Alles in Ordnung. Dann will ich die Tasse zurückbringen und mich an die Arbeit machen.“ Berthold verschwand Richtung Sekretariat und in sein bescheidenes Büro.

04 VERMISST

In der Angst wird dem Menschen seine Freiheit bewusst.

Jean-Paul Sartre (1905-1980)

Polizei Wachtmeister Ludwig Ahrens machte seinen gewohnten morgendlichen Kontrollgang durch die Innenstadt. Er kam vom Theaterplatz zum Seltersweg und bog am Selterstor dann in die Westanlage ein.

An der Kreuzung mit der Bahnhofstraße wandte er sich nach links Richtung Bahnhof. Die Anwohner kannten und grüßten ihn. Einige ließen sich die Zeit für ein kurzes Schwätzchen. „Wie geht’s, Herr Ahrens? Heute schon Diebe und Mörder gefangen?“ Er ließ sich oft auf einen kleinen Scherz ein, wie „Noch nicht, aber ich habe Sie im Verdacht, junge Frau, und werde die Augen offenhalten!“, was mit Gelächter quittiert wurde.

Vor einem Haus in der Bahnhofstraße fiel ihm ein dunkler Fleck am Rand des Bürgersteigs auf. Sein geschultes Auge erkannte das als recht großen Blutfleck. Misstrauisch geworden, beschloss er der Sache auf den Grund zu gehen.

Er klingelte in dem Haus, dem Bewohner des Erdgeschosses war nichts weiter aufgefallen und er verwies ihn an Frau Schmidt im ersten Stock. Die blickte ihn erschrocken an: „Das wird doch wohl nicht von meinem Mieter sein?“ Sie erzählte ihm die Geschichte von dem Mieter Berger, der nicht wieder erschienen war und nach dem sich ein Mann mit einem Motorrad erkundigt hatte.

Wachtmeister Ahrens konnte sich keinen Reim auf das Geschehen machen, er schrieb einige Stichworte in sein Notizbuch, bedankte sich bei Frau Schmidt und setzte seine Runde fort. In seinem Revier lag keine Vermisstenmeldung vor, auch ein Unfall war nicht gemeldet worden. Er telefonierte Sicherheit halber mit dem Kriminalkommissariat, wo aber auch nichts bekannt war. Er hatte dort mit Kriminalkommissar Reinshagen gesprochen, der sich einen Eintrag in sein Tagebuch machte.

Der Vorsitzende der Linken in Busdorf wartete einen Tag und noch einen Tag, keine Nachricht von dem verschwundenen Genossen Berger. Er fuhr noch einmal zu seiner Vermieterin, auch die hatte nichts von ihm gehört.

Aber eine Neuigkeit hatte sie, die Polizei war da gewesen. Sie berichtete von dem Blutfleck und dem Besuch des Wachtmeisters. Sie fragte nach seinem Namen, weil sie Vorkommnisse in diesem Zusammenhang auf dem Revier melden sollte. Er wich aus und sagte: „Ich fahre jetzt direkt zu dem Revier und berichte über die Zusammenhänge. Vielen Dank, Frau Schmidt und auf Wiedersehen.“

Frau Schmidt ließ ihn wortlos ziehen und er besah sich den Fleck, der nur noch schwach zu erkennen war. Dann setzte er sich aufs Motorrad und brauste davon, aber bewusst in die entgegengesetzte Richtung seiner Heimatgemeinde. Er dachte nicht daran zur Polizei zu gehen, das wollte wohl überlegt sein.

Bauer Friedhelm Lenk machte sich an die Bestellung seiner Felder, er wollte zwei Schläge ackern, eggen und auf einem Schlag Hafer und auf dem anderen Sommerweizen aussäen. Er lud den Pflug vom Wagen und spannte die Pferde davor. Hund Hasso sprang übermütig um ihm herum und die Pferde schnaubten unruhig.

Nach den ersten Runden mit dem Pflug ging der Hund auf Entdeckungstour. Er rannte am Feldrain entlang und hatte offenbar eine Fährte aufgenommen. Friedhelm pfiff und er kam zurück, um aber gleich darauf wieder die Umgebung zu erkunden.

Dieses Mal wedelte er um das Blockhaus am jenseitigen Feldrand herum und blieb bellend vor der Tür stehen. „Weg da von Bertes Kate, da ist nichts drin“, rief sein Herrchen und pfiff wieder nach ihm. Vergebens, der Hund hörte nicht, stand weiter bellend vor der Kate.

Bauer Lenk gönnte nach einigen weiteren Runden um den Acker seinen Pferden eine Ruhepause und ging zu der Kate. Der Hund war nicht zu beruhigen. Lenk ging um die Kate, keine Möglichkeit hineinzusehen. Die Fenster waren von innen mit Holzplatten verschalt. Er entdeckte schließlich eine Ritze, konnte aber in dem dunklen Innenraum kaum etwas erkennen. Aber auf dem Boden lag ein länglicher Körper: „Das wird doch kein Mensch sein?“, fragte er sich.

Er nahm den Hund und band ihn mit einer Leine am Wagen fest. Dann machte sich wieder an seine Arbeit. Er beschloss seine Beobachtung einfach bei der Polizei zu melden, sollten die sich drum kümmern, er musste sich keine Gedanken machen. Wo die Witwe Gebert inzwischen wohnte, wusste er nicht.

05 BERTHOLD ÜBERNIMMT

Die Zeit ist das,

was geschieht,

wenn nichts geschieht.

Richard Feymann (1918-1988)