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Die Zukunft von Mensch und Maschine Im neuen Buch des renommierten Zukunftsforschers und Technologie-Visionärs Ray Kurzweil wird eine faszinierende Vision der kommenden Jahre und Jahrzehnte entworfen – eine Welt, die von KI durchdrungen sein wird. Kurzweil skizziert in diesem intensiven Leseerlebnis eine Zukunft, in der Mensch und Maschine untrennbar miteinander verbunden sind. Eine Zukunft, in der wir unser Bewusstsein auf eine höhere Ebene heben werden, in der wir uns aus virtuellen Neuronen neu erschaffen werden, in der wir länger leben, gesünderund freier sein werden als je zuvor. Dank KI eröffnen sich uns in sämtlichen Lebensbereichen ungeahnte Möglichkeiten für Fortschritt, und das in exponentiellem Tempo. Gleichzeitig sensibilisiert das Buch für potenzielle Gefahren, die mit einer unkontrollierten Entwicklung von KI einhergehen. Dabei wird deutlich: Wir haben es selbst in der Hand, in welche Richtung wir uns bewegen. Kommen Sie mit auf eine atemberaubende Reise in die Welt von Morgen und Übermorgen! - Das TIMES Magazine zählte Ray Kurzweil zu den einflussreichsten Menschen weltweit. - Seit den 1990er Jahren haben sich von den 147 Vorhersagen Kurzweils 86 Prozent bewahrheitet.
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Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel The Singularity is Nearer bei VIKING, einem Imprint von Penguin Random House LLC, New York, penguinrandomhouse.com.
Alle Rechte vorbehalten, einschließlich des Rechts auf vollständige oder teilweise Vervielfältigung in jeder Form.
Diese Ausgabe wurde in Absprache mit VIKING veröffentlicht, einem Imprint der Penguin Publishing Group, einer Abteilung von Penguin Random House LLC.
Copyright © 2024 by Ray Kurzweil
Für die deutsche Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2024
Bildnachweis: Abbildung 51: © Valcenteu, 2010; Abbildung 52: © Simon Stone
Covergestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT, München
Covermotiv: Happy Lab / Adobe Stock
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Cover & Impressum
Widmung
Einleitung
1 Wo stehen wir in den sechs Stadien?
2 Die Neuerfindung der Intelligenz
Was bedeutet es, wenn Intelligenz neu erfunden wird?
Die Geburt von KI
Das Kleinhirn: eine modulare Struktur
Der Neokortex: eine selbstmodifizierende, hierarchische, flexible Struktur
Deep Learning: die Möglichkeiten des Neokortex nachbilden
Was fehlt KI noch?
Der Turing-Test
Ausweitung des Neokortex in die Cloud
3 Wer bin ich?
Bewusstsein – was ist das?
Zombies, Qualia und das schwierige Problem des Bewusstseins
Determinismus, Emergenz und das Problem der Willensfreiheit
Das Problem des freien Willens bei mehr als einem Gehirn pro Mensch
»Doppel-Sie« hat Bewusstsein. Sind das Sie?
Die unglaubliche Unwahrscheinlichkeit des Seins
Leben nach dem Tod
Wer kann ich sein?
4 Unser Leben wird exponentiell besser
Die breite Öffentlichkeit ist vom Gegenteil überzeugt
Es ist eine Tatsache, dass unser Leben mit der exponentiell voranschreitenden Technologie in jeder Hinsicht ständig immer besser wird
Alphabetisierung und Bildung
Zugang zu Toiletten mit Wasserspülung, Elektrizität, Radio, Fernsehen und Computern
Lebenserwartung
Rückgang der Armut und Anstieg des Einkommens
Rückgang der Gewalt
Wachstum der erneuerbaren Energien
Verbreitung der Demokratie
Wir erreichen jetzt den steil ansteigenden Teil der Exponentialkurve
Die erneuerbaren Energien werden die fossile Energie in naher Zukunft vollständig ersetzen
Bald werden wir alle Zugang zu sauberem Wasser haben
Die vertikale Landwirtschaft wird kostengünstige, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel liefern. Die bisher für die horizontale Landwirtschaft genutzten Flächen werden frei
Der 3-D-Druck wird die Herstellung und die Zustellung physischer Gegenstände revolutionieren
3-D-Druck von Gebäuden
Um das Jahr 2030 herum werden ernsthaft darum bemühte Menschen die Langlebigkeitsfluchtgeschwindigkeit erreichen
Die steigende Flut
5 Die Zukunft Der Arbeitsplätze: gut oder schlecht?
Die gegenwärtige Revolution
Zerstörung und Neuschöpfung
Ist es dieses Mal anders?
Wie wird es also weitergehen?
6 Gesundheit und Wohlbefinden die nächsten 30 Jahre
Die 2020er-Jahre: Kombinationen von KI und Biotechnologie
Die 2030er- und 2040er-Jahre: Entwicklung und Perfektionierung der Nanotechnologie
Dank Nanotechnologie gesünder und länger leben
7 Gefahr
Verheißung und Gefahr
Atomwaffen
Biotechnologie
Nanotechnologie
Künstliche Intelligenz
8 Zwiegespräch mit Kassandra
Dank
Anhang – Preis-Leistungs-Verhältnis von Rechenmaschinen, 1939–2023
Methodik der Maschinenwahl
Preisdatenmethodik
Leistungsdatenmethodik
Zusätzliche Quellen
Aufgeführte Maschinen, Daten und Quellen
Datenquellen für den Verbraucherpreisindex
1939 Z2
1941 Z3
1943 COLOSSUS MARK 1
1946 ENIAC
1949 BINAC
1953 UNIVAC 1103
1959 DEC PDP-1
1962 DEC PDP-4
1965 DEC PDP-8
1969 DATA GENERAL NOVA
1973 INTELLEC 8
1975 ALTAIR 8800
1984 APPLE MACINTOSH
1986 COMPAQ DESKPRO 386 (16 MHz)
1987 PC’S LIMITED 386 (16 MHz)
1988 COMPAQ DESKPRO 386/25
1990 MT 486 DX
1992 GATEWAY 486DX2/66
1994 PENTIUM (75 MHz)
1996 PENTIUM PRO (166 MHz)
1997 MOBILE PENTIUM MMX (133 MHz)
1998 PENTIUM II (450 MHz)
1999 PENTIUM III (450 MHz)
2000 PENTIUM III (1,0 GHz)
2001 PENTIUM 4 (1700 MHz)
2002 XEON (2,4 GHz)
2004 PENTIUM 4 (3,0 GHz)
2005 PENTIUM 4 662 (3,6 GHz)
2006 CORE 2 DUO E6300
2007 PENTIUM DUAL-CORE E 2180
2008 GTX 285
2010 GTX 580
2012 GTX 680
2015 TITAN X (MAXWELL 2.0)
2016 TITAN X (PASCAL)
2017 AMD RADEON RX 580
2021 GOOGLE CLOUD TPU V4–4096
2023 GOOGLE CLOUD TPU V5E
Stichwortverzeichnis
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Register
Für Sonya Rosenwald Kurzweil.
Vor wenigen Tagen war es 50 Jahre her, dass ich sie kennen- (und lieben) gelernt habe!
In meinem BuchThe Singularity is Near aus dem Jahr 2005[1] stellte ich die These auf, dass konvergente, exponentielle technologische Trends zu einer umwälzenden Transformation der Menschheit führen werden. Mehrere wichtige Bereiche verändern sich gleichzeitig immer schneller: Rechenleistung wird billiger, wir wissen immer mehr über die menschliche Biologie, und Technik wird in immer kleinerem Maßstab möglich. Künstliche Intelligenz (KI) wird immer leistungsfähiger, und es wird immer einfacher, auf Informationen zuzugreifen. Im selben Maß integrieren wir diese neuen Möglichkeiten immer mehr in unsere natürliche biologische Intelligenz. Irgendwann werden wir dank Nanotechnologie unser Gehirn mit Schichten aus virtuellen Neuronen in der Cloud erweitern können. So werden wir mit der KI verschmelzen und unsere biologische Ausstattung um die millionenfache Rechenleistung aufstocken können. Dadurch werden sich unsere Intelligenz und unser Bewusstsein so grundlegend erweitern, wie wir es heute kaum zu begreifen vermögen. Dieses Ereignis meine ich, wenn ich von Singularität spreche.
Der Begriff »Singularität« ist aus der Mathematik entlehnt (wo er einen undefinierten Punkt in einer Funktion bezeichnet, wenn man zum Beispiel etwas durch null teilt) sowie aus der Physik (wo er einen Punkt mit unendlicher Dichte im Zentrum eines schwarzen Lochs bezeichnet, an dem die normalen physikalischen Gesetze nicht mehr gelten). Ich verwende den Begriff allerdings metaphorisch. Meine Prognose der technologischen Singularität besagt nicht, dass sich Veränderungen irgendwann unendlich schnell vollziehen werden. Exponentielles Wachstum impliziert kein unendliches Wachstum, und ebenso wenig tut das eine physikalische Singularität. In einem schwarzen Loch ist die Gravitationskraft so groß, dass nicht einmal Licht entkommt, aber nichts in der Quantenmechanik weist darauf hin, dass Masse unendlich werden könnte. Ich verwende die Metapher der Singularität, weil sie unsere Unfähigkeit erfasst, eine derart radikale Veränderung unseres derzeitigen Intelligenzniveaus zu verstehen. Aber wir werden unsere Denkfähigkeit schnell genug erweitern, dass wir uns anpassen können, wenn diese Veränderung tatsächlich eintritt.
Wie ich in Menschheit 2.0 ausgeführt habe, deuten langfristige Trends darauf hin, dass die Singularität um das Jahr 2045 eintreten wird. Bei Veröffentlichung jenes Buches lag dieses Datum 40 Jahre – zwei ganze Generationen – in der Zukunft. Auf diese Distanz konnte ich die Kräfte, die diese Transformation herbeiführen, nur grob skizzieren, aber für die meisten Leserinnen und Leser war das Thema recht weit von der Alltagsrealität des Jahres 2005 entfernt. Und viele Kritiker schrieben, mein Zeitrahmen sei überaus optimistisch, oder sogar, die Singularität sei völlig unmöglich.
Seit damals ist jedoch etwas Bemerkenswertes geschehen. Der Fortschritt hat sich allen Zweiflern widersetzt und weiter beschleunigt. Soziale Medien und Smartphones entwickelten sich von nicht existent zu Alltagsbegleitern, die heute den Großteil der Weltbevölkerung verbinden. Algorithmische Innovationen und die Verbreitung von Big Data ermöglichten KI erstaunliche Durchbrüche früher, als sogar Experten erwartet hatten – zunächst meisterte sie Spiele wie Jeopardy! und Go, dann fuhr sie Autos, schrieb Essays, bestand Juraexamen und diagnostizierte Krebs. Inzwischen können leistungsfähige und flexible große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) wie GPT-4 und Gemini natürlichsprachige Anweisungen in Computercode übersetzen – was die Hürde zwischen Mensch und Maschine erheblich senkt. Wenn dieses Buch erscheint, werden wahrscheinlich Millionen Menschen schon selbst Erfahrungen mit diesen Fähigkeiten gemacht haben. Unterdessen sind die Kosten für die Sequenzierung eines menschlichen Genoms um etwa 99,997 Prozent gesunken, und neuronale Netzwerke haben angefangen, Biologie digital zu simulieren und so erste große medizinische Erkenntnisse zu ermöglichen. Es wird sogar endlich möglich, Computer direkt mit dem Gehirn zu verbinden.
All diesen Entwicklungen liegt das zugrunde, was ich Gesetz vom steigenden Ertragszuwachs nenne: Informationstechnologien, wie die Rechenleistung, werden exponentiell günstiger, weil jeder Fortschritt die Planung des nächsten Evolutionsschritts vereinfacht. Das führte dazu, dass man zum Zeitpunkt, an dem ich dies schreibe, für einen US-Dollar inflationsbereinigt etwa die 11 200-fache Rechenkraft kaufen kann, wenn man sie mit der damals bestehenden vergleicht, als Menschheit 2.0 in die Buchhandlungen kam.
Die folgende Grafik, auf die ich später in diesem Buch weiter eingehen werde, fasst den wichtigsten Trend zusammen, der unsere technologische Zivilisation antreibt: das langfristige exponentielle Wachstum bei der Rechenleistung, die man für einen konstanten Dollar kaufen kann (dargestellt als mehr oder weniger gerade Linie in diesem logarithmischen Maßstab). Das Mooresche Gesetz besagt ja, dass Transistoren beständig kleiner werden, was Computern immer mehr Leistung ermöglicht – aber das ist nur eine Manifestation des Gesetzes vom steigenden Ertragszuwachs, das schon lange galt, bevor Transistoren überhaupt erfunden wurden, und wohl noch lange gelten wird, nachdem Transistoren ihre physikalischen Grenzen erreicht haben und durch neue Technologien ersetzt sein werden. Dieser Trend hat die moderne Welt geprägt und wird fast alle kommenden Durchbrüche, die in diesem Buch besprochen werden, direkt oder indirekt ermöglichen.
Preis-Leistungs-Verhältnis von Rechenkraft, 1939 bis 2023[1]
Bestes Preis-Leistungs-Verhältnis bei Berechnungen pro Sekunde pro konstantem Dollar von 2023
Abbildung 1: Um Maschinen maximal vergleichbar zu machen, konzentriert sich diese Grafik auf das Preis-Leistungs-Verhältnis im Zeitalter programmierbarer Computer, aber Näherungen für frühere elektromechanische Rechengeräte zeigen, dass dieser Trend mindestens in die 1880er-Jahre zurückreicht.
[2]Wir sind also im Zeitplan für die Singularität. Die Dringlichkeit dieses Buches ergibt sich aus der Natur exponentieller Veränderung. Trends, die zu Beginn dieses Jahrhunderts noch kaum wahrnehmbar waren, beeinflussen jetzt aktiv das Leben von Milliarden Menschen. In den frühen 2020er-Jahren traten wir in den steil ansteigenden Teil der Exponentialkurve ein, und das Innovationstempo hat mehr Auswirkungen auf die Gesellschaft als je zuvor. Um das Ganze anschaulicher zu machen: Der Moment, in dem Sie dies lesen, liegt zeitlich wahrscheinlich näher an der Erschaffung der ersten übermenschlichen KI als am Veröffentlichungsdatum meines letzten Buches How to Create a Mind von 2012.[2] Und wir sind zeitlich wahrscheinlich näher an der Singularität als an der Veröffentlichung meines Buches Die Intelligenz der Evolution von 1999. Oder an der menschlichen Lebenszeit gemessen: Heute neu geborene Babys werden gerade das College abschließen, wenn sich die Singularität ereignet. Das ist auf sehr persönlicher Ebene eine andere Art von »nahe« als im Jahr 2005.
Aus diesem Grund habe ich dieses Buch jetzt geschrieben. Der jahrtausendealte Marsch der Menschheit hin zur Singularität ist zu einem Sprint geworden. In der Einführung zu Menschheit 2.0 schrieb ich, wir befänden uns »in der frühen Übergangsphase«. Jetzt treten wir in die Endphase ein. In Menschheit 2.0 ging es um etwas, das sich am fernen Horizont abzeichnete – in diesem Buch geht es um die letzten Kilometer auf dem Weg, der zum Ziel führt.
Zum Glück ist der Weg jetzt sehr viel deutlicher zu erkennen. Zwar wird es noch viele weitere technologische Veränderungen geben, bevor wir die Singularität erreichen, aber die wichtigsten Vorläufer verlassen bereits das Stadium der theoretischen Wissenschaft und treten in die Phase der aktiven Forschung und Entwicklung ein. In zehn Jahren werden Menschen mit KI interagieren, die überzeugend menschlich wirkt, und einfache Gehirn-Computer-Schnittstellen werden das tägliche Leben ebenso prägen, wie es heute die Smartphones tun. Dank einer digitalen Revolution in der Biotechnologie wird es möglich sein, Krankheiten zu heilen und die gesunde Lebenszeit der Menschen erheblich zu verlängern. Allerdings werden viele Berufstätige die negativen Folgen der wirtschaftlichen Verwerfungen spüren, und uns allen drohen neue Gefahren, wenn diese neuen Fähigkeiten aus Versehen falsch eingesetzt oder bewusst missbraucht werden. In den 2030er-Jahren wird die selbstlernende KI und eine sich entwickelnde Nanotechnologie Menschen und ihre maschinellen Schöpfungen vereinen wie nie zuvor – und dadurch Chancen und Gefahren weiter verstärken. Wenn wir die wissenschaftlichen, ethischen, gesellschaftlichen und politischen Probleme, die diese Fortschritte mit sich bringen, lösen können, werden wir bis 2045 das Leben auf der Erde grundlegend transformiert und verbessert haben. Wenn uns das nicht gelingt, könnten wir das nicht überleben. In diesem Buch geht es also um die letzten Meter zur Singularität – die Chancen und Gefahren, denen wir uns in der letzten Generation der Welt, wie wir sie kennen, gemeinsam stellen müssen.
Zunächst werden wir betrachten, wie sich die Singularität tatsächlich ereignen wird, und das dann in den Kontext der Bemühungen unserer Spezies, unsere eigene Intelligenz neu zu erfinden, stellen. Wenn man Empfindungsfähigkeit durch Technologie erschaffen will, wirft das wichtige philosophische Fragen auf. Daher wird ein Thema sein, wie dieser Übergang unsere eigene Identität und den Sinn unserer Existenz beeinflussen wird. Danach widmen wir uns den praktischen Trends, die die nächsten zehn Jahre prägen werden. Wie ich zeigen werde, wird das Gesetz vom steigenden Ertragszuwachs exponentielle Fortschritte in vielen Bereichen vorantreiben, die das menschliche Wohl beeinflussen. Ein offensichtlicher Nachteil der Innovationen ist jedoch Arbeitslosigkeit, die durch Automatisierung in verschiedenen Formen entsteht. Diese negativen Auswirkungen sind sehr real, dennoch gibt es Anlass für langfristigen Optimismus, wie wir sehen werden – und letztendlich stehen wir nicht in Konkurrenz zur KI.
Diese Technologien werden enormen materiellen Überfluss für unsere Zivilisation ermöglichen, und danach werden wir uns darauf konzentrieren, das nächste Hindernis zu beseitigen, bevor wir unser volles Potenzial verwirklichen: die Schwächen unserer Biologie. Daher werfen wir auf den folgenden Seiten einen Blick auf die Werkzeuge, mit denen wir die Biologie selbst zunehmend beherrschen werden – indem wir zunächst den Alterungsprozess unserer Körper besiegen, dann unsere begrenzte Gehirnkapazität erweitern und schließlich die Singularität einläuten werden. Doch diese Durchbrüche könnten uns wie gesagt auch in Gefahr bringen. Revolutionäre biotechnologische, nanotechnologische oder KI-Systeme könnten zu einer existenziellen Katastrophe führen, etwa einer verheerenden Pandemie oder einer Kettenreaktion selbstreplizierender Maschinen. Am Ende dieses Buches werden wir eine Einschätzung dieser Bedrohungen vornehmen, die eine sorgfältige Planung verlangen. Dabei gibt es, so werde ich ausführen, vielversprechende Ansätze, wie sich diese Gefahren eingrenzen lassen.
Wir erleben die aufregendsten und bedeutsamsten Jahre der gesamten Menschheitsgeschichte. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie das Leben nach der Singularität sein wird. Aber indem wir die Übergänge zu dieser Singularität verstehen und uns darauf einstellen, können wir dazu beitragen, dass der letzte Endspurt der Menschheit sicher und erfolgreich ablaufen kann.
In Menschheit 2.0 schrieb ich, die Grundlage des Bewusstseins sei Information, und ich teilte die Entwicklung von den Anfängen unseres Universums an in sechs Stadien oder Epochen ein. Jedes Stadium erschafft das darauffolgende mittels der Methoden der Informationsverarbeitung aus dem vorhergehenden Stadium. Die Evolution der Intelligenz funktioniert also durch eine indirekte Abfolge anderer Prozesse.
Die erste Epoche war die Geburt der physikalischen Gesetze und der Chemie, die diese Gesetze ermöglichen. Wenige Hunderttausend Jahre nach dem Urknall bildeten sich Atome aus Elektronen, die einen Kern aus Protonen und Neutronen umkreisen. Eigentlich sollte es gar nicht möglich sein, dass Protonen in einem Atomkern so dicht beieinander sind, weil die elektromagnetischen Kräfte sie auseinandertreiben. Doch es existiert noch eine andere Kraft, die sogenannte Nuklearkraft, die die Protonen zusammenhält. »Wer auch immer« die Regeln für das Universum aufgestellt hat, erfand auch diese zusätzliche Kraft, ohne die eine Evolution durch Atome unmöglich gewesen wäre.
Mehrere Milliarden Jahre später bildeten Atome erstmals Moleküle, die komplexe Informationen speichern konnten. Kohlenstoff war dabei der nützlichste Baustein, weil ein Kohlenstoffatom vier Bindungen eingehen kann, nicht nur eine, zwei oder drei wie viele andere Atome. Die Wahrscheinlichkeit, in einem Universum zu leben, in dem komplexe chemische Verbindungen möglich sind, ist äußerst gering. Wenn zum Beispiel die Gravitationskraft nur ein wenig schwächer wäre, gäbe es keine Supernovae, bei denen die chemischen Elemente entstehen, aus denen Lebewesen bestehen. Wäre die Schwerkraft stärker, würden Sterne ausbrennen und sterben, bevor sich intelligente Lebewesen entwickeln könnten. Schon diese eine physische Konstante musste in einem extrem schmalen Bereich liegen, damit wir möglich wurden. Wir leben in einem sehr fein ausbalancierten Universum, das eine ausreichend hohe Ordnung aufweist, damit die Evolution ablaufen konnte.
Vor mehreren Milliarden Jahren begann die zweite Epoche: das Leben. Moleküle wurden so komplex, dass sich ein ganzer Organismus in einem einzigen Molekül definieren ließ. So konnten sich lebende Wesen mit jeweils eigener DNA entwickeln und verbreiten.
In der dritten Epoche bildeten durch DNA definierte Tiere Gehirne aus, die ihrerseits Informationen speichern und verarbeiten konnten. Diese Gehirne waren ein evolutionärer Vorteil, durch den sich im Verlauf von Millionen Jahren noch komplexere Gehirne ausbilden konnten.
In der vierten Epoche setzten gewisse Tiere dank ihrer hoch entwickelten kognitiven Fähigkeiten und ihrer Daumen Gedanken in komplexe Handlungen um: die Menschen. Unsere Art erschuf mit ihren Fähigkeiten verschiedene Technologien, mit denen sich Informationen speichern und bearbeiten ließen und lassen – von Papyrus bis Festplatten. Diese Technologien erweiterten die Fähigkeit unseres Gehirns, Informationsmuster wahrzunehmen, sich zu merken und auszuwerten. Das wurde zu einem Motor der Evolution, die weit größere Fortschritte ermöglichte als zuvor. Unsere Gehirne wuchsen um etwa 16 Kubikzentimeter alle 100 000 Jahre, während sich bei digitalen Computern das Preis-Leistungs-Verhältnis etwa alle 16 Monate verdoppelt.
In der fünften Epoche werden wir biologische menschliche Intelligenz unmittelbar über Gehirn-Computer-Schnittstellen mit der Geschwindigkeit und Rechenleistung unserer digitalen Technologie verbinden. Menschliche neuronale Informationsverarbeitung vollzieht sich mit mehreren Hundert Zyklen pro Sekunde, bei der digitalen Technologie sind es mehrere Milliarden Zyklen pro Sekunde. Neben Geschwindigkeit und Speicherkapazität können wir durch nicht biologische Computer auch unseren Neokortex um viele zusätzliche Schichten erweitern – und dadurch weit komplexere und abstrakte Denkleistungen ermöglichen, als wir uns derzeit vorstellen können.
In der sechsten Epoche wird sich unsere Intelligenz über das gesamte Universum ausbreiten, wobei normale Materie in Computronium umgewandelt wird, Materie mit höchstmöglicher Rechendichte.
In meinem Buch Homo sapiens von 1999[3] sagte ich voraus, dass im Jahr 2029 eine KI den Turing-Test bestehen werde – dass also eine KI per Text so kommunizieren könne, dass sie nicht mehr von einem Menschen zu unterscheiden sei. In Menschheit 2.0 aus dem Jahr 2005 wiederholte ich diese Prognose. Wenn eine KI den Turing-Test besteht, bedeutet das, dass sie Sprache und vernünftige Argumentation so gut beherrscht wie ein Mensch. Alan Turing beschrieb diese Vorstellung im Jahr 1950,[3] führte aber nicht genau aus, wie der Test durchgeführt werden sollte. Ich habe mit dem PC-Pionier Mitch Kapor dazu eine Wette laufen, und wir haben dafür unsere eigenen Regeln definiert, die weitaus anspruchsvoller sind als andere Interpretationen.
Ich rechnete damit, dass wir, um einen gültigen Turing-Test bis spätestens 2029 zu bestehen, bis 2020 eine große Bandbreite an intellektuellen Leistungen durch KI ermöglichen müssten. Und tatsächlich hat seit dieser Prognose die KI viele der schwierigsten menschlichen Herausforderungen gemeistert – von Quizshows und Spielen wie Jeopardy! und Go bis zu ernsthaften Anwendungsgebieten wie etwa der Radiologie oder der Medikamentenentwicklung. Während ich dies schreibe, erweitern KI-Systeme wie Gemini und GPT-4 ihre Fähigkeiten auf viele verschiedene Leistungsgebiete – vielversprechende Schritte auf dem Weg zu allgemeiner Intelligenz.
Letztendlich wird ein Programm, wenn es den Turing-Test besteht, in vielen Bereichen dümmer erscheinen müssen, als es in Wahrheit ist, weil es sonst eindeutig als KI zu erkennen wäre. Wenn es zum Beispiel jede Matheaufgabe in Sekundenschnelle lösen könnte, würde es bei dem Test durchfallen. Auf dem Turing-Test-Niveau müsste eine KI also über Fähigkeiten verfügen, die jene der besten menschlichen Fachleute in den meisten Bereichen übersteigt.
Die Menschheit befindet sich aktuell in der vierten Epoche. Unsere Technologie zeitigt jetzt schon bei manchen Aufgaben Ergebnisse, die unser Verständnis übersteigen. Bei den Aspekten des Turing-Tests, die KI noch nicht gemeistert hat, machen wir immer schnellere Fortschritte. Wenn die KI den Turing-Test besteht, was ich wie gesagt für das Jahr 2029 erwarte, treten wir in die fünfte Epoche ein.
Eine entscheidende Entwicklung der 2030er-Jahre wird sein, dass wir die oberen Bereiche des Neokortex eines Menschen mit der Cloud verbinden und so unser Denkvermögen unmittelbar erweitern können. Wenn das möglich wird, werden die nicht biologischen Teile unseres Gehirns im Vergleich zu den biologischen die vieltausendfache kognitive Leistung liefern.
Dank der exponentiellen Beschleunigung der Fortschritte werden wir unser Gehirn bis zum Jahr 2045 um das Millionenfache erweitern können. Die Geschwindigkeit und der Umfang dieser Transformation sind unfassbar, und sie rechtfertigen, dass wir die Singularitätsmetapher aus der Physik entlehnen, um unsere Zukunft zu beschreiben.