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Was ist nur los mit der Schule und dem Bildungssystem? Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, sowie die Eltern klagen regelmäßig über die Schule und vieles, was in ihr passiert (oder nicht passiert). Hinter Disziplinproblemen, Ritalin-Missbrauch, Burn-Out, Langeweile, Aggressionen, Angstzuständen, Depressionen, Desinteresse, Ohnmachtsgefühlen und Frust verbirgt sich das vielfältige Leiden von Kindern und Erwachsenen. Michael Siegmund und Hartmut Wildermuth behaupten in diesem Buch, dass dieses Leid vom Bildungssystem selbst hervorgerufen wird. Menschen haben dieses System gebaut. Also können Menschen dieses System auch ändern. Die Schulen werden vom Staat für konkrete Zwecke missbraucht. Macht- und Wirtschaftsinteressen diktieren, was an den Schulen läuft oder eben nicht läuft. Es geht überhaupt nicht um Bildung, Lernen und die Anliegen der Kinder. Ganz im Gegenteil. In radikaler Konsequenz plädieren Siegmund und Wildermuth für die Neu-Erfindung der Schule. Schule kann erst dann neu erfunden werden, wenn sie vom Staat vollkommen befreit wird. Ziel muss ein fundamental neues Bildungssystem sein, dass sich um die wahren Lern- und Lebensbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen dreht. Wie der Weg hin zu diesem Bildungssystem aussehen könnte, davon handelt dieses Buch. Zugleich wird hier die völlig neue Idee der Permation präsentiert. Permation geht über bisherige Bildungsdefinitionen hinaus und versucht, den Menschen allumfassend zu beschreiben. Der Kindheits- und Bildungswissenschaftler Michael Siegmund lebt in Tangermünde. Der Gymnasiallehrer Hartmut Wildermuth lebt in Havelberg.
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Seitenzahl: 253
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Zum Geleit
Prämissen
Permation zum Ersten
Die Schule
Die Befreiung der Schule
Autonomie – radikal gedacht
Moderne Zucht
Lehrer-Schüler-Verhältnis und das Dasein des Lehrers
Wie wird man eigentlich Lehrer?
Plädoyer für ein neues Modell der Ausbildung
Permation zum Zweiten
Permation als Universalprinzip in der Wissenschaft
Haben oder Sein – Worum dreht sich die Schule?
Das Bildungssystem und die Angst
Teil 1
Teil 2
Zum Schluss: Notiz aus der Provinz
Quellen
Die Autoren
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben auch SIE eine Schule besucht. Ob Sie wollen oder nicht: Die Schule hat Ihr Leben ganz konkret und fundamental auf die ein oder andere Weise beeinflusst, egal ob positiv oder negativ. Ohne die Schule wären Sie nicht der Mensch, der Sie jetzt gerade sind. Die Schulen und das, was in ihnen passiert (oder nicht passiert), gehen damit ALLE etwas an. Vielleicht „sagen“ Ihnen die folgenden Zeilen etwas:
In den letzten Jahren und Jahrzehnten wächst spürbar die UNZUFRIEDENHEIT mit den aktuellen Schulen im Speziellen und dem Bildungssystem im Allgemeinen. Und das grenzüberschreitend: Lehrer, Schüler, Eltern, Wirtschaftsvertreter, Politiker, Journalisten – sie alle üben teilweise massive Kritik am Bildungssystem, seinen Arbeitsweisen, den formalen Abläufen, den Strukturen und Inhalten, den Umgangsweisen, seiner Ausrichtung und vielem, vielem mehr.
Wir beide – das sind ein jahrzehntelang unterrichtender Gymnasiallehrer und ein junger Wissenschaftler – haben versucht, die WURZELN dieser Unzufriedenheit dingfest zu machen. Wir bieten in diesem Buch eine SCHONUNGSLOSE ANALYSE der aktuellen Schul-Bedingungen. Wir versuchen, verborgene Mechanismen hinter der Schule aufzudecken und zu kritisieren. Und – das ist uns besonders wichtig – wir BIETEN EINEN ALTERNATIVEN WEG AN, wie SCHULE NEU ERFUNDEN WERDEN KÖNNTE.
Dieses Buch ist durchweg RADIKAL. Deswegen vorab die Warnung: Einiges, was Sie hier lesen, werden Sie vielleicht ablehnen, verwerfen, möglicherweise auch als verrückt, utopisch oder sonst etwas brandmarken wollen. Das ist Ihr gutes Recht. Unsere Bitte: Benutzen Sie beim Lesen und Nachdenken über Schule, Kindheit, Bildung etc. vor allem IHREN EIGENEN KOPF und IHRE EIGENEN ERFAHRUNGEN. Hören Sie auf, vorgekaute „Wahrheiten“, „Probleme“ und „Gedanken“ über diese Themen erneut wiederzukauen, sondern vertrauen Sie ganz auf IHRE EIGENE VERNUNFT.
Wir haben uns hier bemüht, in einer klaren, einfachen Sprache zu schreiben, die möglichst jeder versteht, der des Lesens einigermaßen mächtig ist. Ein Grund für das Schul- und-Bildung-Dilemma sehen wir darin, dass es die („pädagogische“) Wissenschaft verlernt hat, in einer Sprache zu sprechen, die auch „Laien“ und „Amateure“ verstehen können. So falsch ist die Metapher vom wissenschaftlichen Elfenbeinturm nicht. Wir verstehen uns hier als Anwälte von Kindern, als Aufklärer, als fröhliche Wissenschaftler, die das in Sprache bringen wollen, was entweder UNGESAGT bleibt oder von vielen Menschen nicht einmal erkannt wird.
Die Einteilung des Buches sieht so aus:
Am Anfang lesen Sie einige PRÄMISSEN von uns. Prämissen sind Grundannahmen von uns, die immer wiederkehren. Normalerweise halten 99% der Autoren ihre Prämissen zurück und schreiben sie nicht auf. Gleich am Anfang können Sie also unsere Prämissen sehen. Vielleicht gehen Sie bei einigen der Prämissen mit, eventuell weisen Sie andere zurück.
Anschließend folgen in lockerer Reihenfolge Essays (im usprünglichen Sinn des Wortes „Versuch“), die sich im weitesten Sinne um Schule, Bildungssystem und Kindheit drehen.
Zum Schluss folgt eine Notiz aus der Provinz – wobei für uns das Wort „Provinz“ als politisches Organisationsprinzip zu verstehen ist. Nicht aber im Sinne von „provinziell“, also kleinbürgerlich, spießig, konservativ. Sondern, im Gegensatz zu unseren Politkern, „provinziell“ im Sinne einer deutschen Provinz in einem geeinten Europa.
Wir glauben nicht, dass die Schule irgendein Thema unter vielen ist. Sie ist eine der genialsten Ideen der Menschheit. Aus der Bedeutung der Idee „Schule“ wächst enorme Verantwortung für etwas, was nicht nur Sie etwas angeht, sondern jedes Kind, das die Schule heute besucht und in Zukunft besuchen wird. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Schule NEU ERFUNDEN WERDEN MUSS und dass sich über diesen Weg Möglichkeiten und Spielräume für die Menschen ergeben werden, die wir heute noch gar nicht absehen können. Was das alles konkret heißen könnte, soll dieses Buch zeigen.
Viel Freude beim Lesen wünschen Ihnen
Michael Siegmund und Hartmut Wildermuth
Prämisse Eins: Die Schulen produzieren (auch) menschliches Leid.
Prämisse Zwei: Dieses Leid kann sich in vielfältiger Weise äußern. Angst, Aggression, Desinteresse, (selbst)verletzendes, zwanghaftes Verhalten, Depression, Schmerz, Drogen- und Medikamentenmissbrauch, Schuldgefühle, Langeweile, Orientierungslosigkeit, Ausgebrannt-Sein, Frustration, Ohnmachtsgefühle und viele weitere Zustände und Phänomene lassen sich sowohl bei Schülern als auch bei ihren Eltern und Lehrern beobachten.
Prämisse Drei: Die Ursachen dieses Leides liegen in der Beschaffenheit und den Strukturen des Systems selbst.
Prämisse Vier: Es gibt Wege, die das Leid beenden können. Das Bildungssystem mitsamt Schulen wurde von Menschen gedacht, gebaut und am Leben erhalten. Also kann es auch von Menschen NEU gedacht, gebaut und am Leben erhalten werden.
Prämisse Fünf: Dadurch, dass das Leid von den Strukturen des Systems selbst produziert wird und Menschen die Freiheit haben, die Strukturen des Systems ändern zu können, sollten Menschen alles daran setzen, ein Bildungssystem zu denken und zu bauen, das menschliches Leid gering hält. Immer werden Menschen in der einen oder anderen Form leiden, da die Vielfältigkeit ihrer Lebensumstände Leid hervorbringt. Jedoch kann der Qualcharakter der Schulen sehr wohl in positive Energie gedreht werden. Erlöschen die Ursachen (die Fehlkonstruktion des Systems), erlischt das schulische Leiden.
Prämisse Sechs: Wie ein radikal anderer Weg ohne systembedingtes Leid aussehen könnte, davon handelt dieses Buch. Es ist ein Weg unter vielen. Wir wissen nicht, ob dieser Weg richtig ist. Wir denken, dass man die Schule vollkommen NEU ERFINDEN muss.
Prämisse Sieben: Es gibt Menschen, die vom aktuellen Bildungssystem profitieren. Es sind Menschen mit reichlich Macht und Geld. Sie haben viel Besitz, Eigentum, politische Ämter, Titel oder sonstige Privilegien. Fast alle dieser Macht-Menschen werden sehr viel daran setzen, dass die aktuellen Systeme – Wirtschaftssystem, Bildungssystem, Rechtssystem, politisches System usw. – genau so bleiben, wie sie sind.
Prämisse Acht: Diese Menschen missbrauchen den Staat für ihre Zwecke und Interessen. Der Staat dient NICHT der Mehrzahl der Bevölkerung, sondern einigen wenigen Menschen. Der Staat wird permanent von diesen wenigen Menschen für ihre Zwecke missbraucht.
Prämisse Neun: Der missbrauchte Staat hat die Gewalt über alle Schulen. Alle Schulen sind mehr oder weniger Staats-Schulen. Es gibt keine „freien“ Schulen. Indirekt missbraucht der Staat die Kinder und Jugendlichen für die Zwecke einiger weniger Menschen mit viel Macht. Der Staat kann als missbrauchter Staat kein Garant für Bildung und Ausbildung sein. Hinter dem Staat stehen immer noch größere Mächte als er selbst.
Prämisse Zehn: Schulen sind geschaffen worden, um Kinder und Jugendliche für bestimmte Zwecke zu manipulieren und zu ver-formen. Sie sollen dann meistens gut auf dem „Arbeitsmarkt funktionieren“, die Wirtschaft „ankurbeln“, indem sie brav konsumieren und ja nicht zu viele Fragen stellen. Der Regelfall der Schulen ist es, die Neugier von Kindern und Jugendlichen abzutöten, anstatt sie zu wecken und zu befeuern. Kurz: Die Kinder sollen system-passend gemacht werden. Meistens funktioniert das bestens.
Prämisse Elf: Eine Veränderung der Schulen kann es nur über zwei Wege geben: Entweder man hofft auf kluge Politiker, die kluge Entscheidungen treffen, damit ein System klug umgebaut werden kann. Man hofft auf kluge Beamte und damit auf einen klugen Staat, der die echten Bedürfnisse der Kinder im Auge hat und menschenfreundlich plant und handelt. Das ist der gemäßigte-reformatorische Weg und wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei ist höchst unsicher, ob sich kluge Menschen von Lobbyinteressen, den sie umgebenden Mächten und Systemzwängen freimachen können. Oder man geht einen radikalen Weg, der die Schule vollkommen neu erfinden würde. Wir sprechen uns hier für den zweiten Weg aus.
Prämisse Zwölf: Die Schulen können erst dann neu erfunden werden, wenn sie unabhängig vom Staat gemacht werden. Solange der Staat die Schulen kontrolliert, finanziert und überwacht, wird er sie weiter missbrauchen. Schulen werden dann immer Staats-Schulen bleiben.
Prämisse Dreizehn: Die Schulen müssen also vom Staat BE-FREIT werden. Der Staat als „Garant“ für öffentliche Bildung hat allzeit seine Rolle missbraucht und sich selbst missbrauchen lassen. Leidtragende waren immer Kinder und Jugendliche. Eine Befreiung der Schulen aus der Hand des Staates wird einer radikalen Umwälzung gleichkommen. Dafür wird das Grundgesetz Artikel 7 geändert werden müssen. Die Bildung muss dabei eine öffentliche Angelegenheit bleiben. Auch ohne Staat.
Prämisse Vierzehn: Was nach dieser Befreiung genau passieren wird, lässt sich nicht vorherbestimmen. Wahrscheinlich werden sich vielfältigste Schul-Formen neu gründen oder erst erfunden werden. Um welche Kriterien herum sich dieses radikal neue Bildungssystem formieren könnte, möchten wir hier überlegen.
Prämisse Fünfzehn: Werden die Schulen wirklich neu erfunden, wird es parallel dazu enorme gesellschaftliche Transformationsprozesse geben. Auch andere Systeme werden davon beeinflusst werden.
Prämisse Sechszehn: Bis jetzt wurde die Kindheit immer instrumentalisiert. Kindheit war nie offen. Das größte Interesse an der Instrumentalisierung der Kindheit hat der Staat. Über die Schulpflicht als Schulzwang kann der Staat alle Kinder erfassen und zwingt sie jahrelang in Einrichtungen zu verbringen, die vermutlich nicht im großen Maße den Bedürfnissen und Wünschen der Kinder entsprechen. Deswegen ist der Staat TOTAL, da er allumfassend ist. Die Kindheit muss von diesem totalen Staat be-freit werden. Die Befreiung der Kindheit vom Staat und seinen Interessen geht mit der Neuerfindung der Schulen einher. Wir plädieren vehement für ein Ende der Schulpflicht.
Prämisse Siebzehn: Kinder müssen nicht in Schulen lernen. Es gibt unendlich verschiedene Welten, Situationen, Erlebnisse, Wissensvorräte, Institutionen (Familien, Vereine, Akademien, Museen, Betriebe, …), in denen Lernen möglich ist. Die Schule heutigen Formats ist nur ein Weg unter unendlich vielen, Kinder zu „bilden“. Wir glauben nicht, dass die heutige Schule für die Entfaltungs- und Lernbedürfnisse von allen Kindern und Jugendlichen taugt. Die heutige Schule ist zu weiten Teilen auch keine Antwort auf die vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen.
Prämisse Achtzehn: Die Erkenntnisse aus fast allen Wissenschaftsgebieten werden notwendig sein, um ein neues Bildungssystem zu entwerfen, das menschenfreundlich/kinderfreundlich/gehirnfreundlich arbeitet. Diese verschiedenen Ansätze gilt es universell zusammenzudenken. Besonders wichtig erscheinen uns die Gehirnwissenschaften und die Philosophie. Dabei denken wir immer Philosophie als EINE Wissenschaft unter VIELEN, und als EINE, die sich der anderen Fachgebiete bedient und diese dann aufs Neue bereichert.
Prämisse Neunzehn: Um die Zusammenhänge zwischen Bildungssystem, Leidproduktion und Ausweg aus diesem Leiden aufzuzeigen, wird Aufklärungsarbeit nötig sein. Wir verschreiben uns dieser Auf-Klärung. Auf-Klärung bedeutet, den Menschen das klar vor Augen zu führen, was sie nicht wahrnehmen oder undeutlich sehen.
Prämisse Zwanzig: Die Schulen erfordern für ihren Erhalt permanent Gewalt. Ohne Gewalt würden die meisten Schulen schnell zusammenbrechen. Diese Gewalt geht vom Staat aus. Die Lehrer sind die Ausführer dieser Gewalt, die Schüler die Adressaten. Gewalt ist alles, was dem Willen von Kindern und Jugendlichen zuwiderläuft oder darauf abzielt, ihren Willen zu brechen. Rebellion gegen diese allumfassende Gewalt wird rigoros vom Bildungssystem bestraft. (Schlechte Noten, Sitzenbleiben, Mobbing, Zuweisung auf Haupt- und Sonderschulen etc.)
Prämisse Einundzwanzig: Dadurch, dass die Schulen Leid produzieren, sind sie menschenverachtend. Sie sind es auch deshalb, weil sie oft die wahren Bedürfnisse und Anliegen von Kindern und Jugendlichen ignorieren. Kinder werden in den Schulen zu kleinen Erwachsenen gemacht, die fürs „Leben“ „erzogen“ und „gebildet“ werden. Dabei ist dem Bildungssystem (das eigentlich ein reines AUSBILDUNGS-System und Noten-Vergabe-System ist) egal, was für Kinder im Hier und Jetzt wichtig ist. Zugleich ist das Bildungssystem hocheffizient. Der Regelfall ist, dass es hervorragend arbeitet und genau seinen Zweck erfüllt. Kinder und Jugendliche werden als Leibeigene des Bildungssystems betrachtet. Damit werden sie entrechtet und entmündigt, über ihren eigenen Werdegang bestimmen zu können. Das Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern ist fast immer ungleich, hierarchisch und restriktiv. Das Bildungssystem macht die Kinder und Jugendlichen stets zu Maschinen, Objekten und messbaren und bewertbaren Einheiten. Das heißt Kognition im mittelalterlichen Sinn. In den meisten Schulen wird das System der klassischen Konditionierung verwendet. Positives/erwünschtes Verhalten wird belohnt (etwa über Noten), negatives Verhalten/unerwünschtes Verhalten wird bestraft. Über die Regeln des sozial erwünschten/unerwünschten Verhaltens entscheidet nicht der Schüler, sondern der Lehrer.
Prämisse Zweiundzwanzig: Die Lehramtsausbildung an den Universitäten bereitet angehende Lehrer nicht auf die echten Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen vor, sondern macht aus ihnen selbst systemerhaltende und – konforme Unterrichtsproduzenten, die über das Bildungssystem nicht nachzudenken haben. Über alternative Ausbildungsformen von Lehrern – etwa an den Schulen selbst – wird nur selten nachgedacht.
Prämisse Dreiundzwanzig: Das Bildungssystem hat zu selektieren und Menschen ihre späteren sozioökonomischen Rollen zuzuweisen. In keinem Land lässt sich das besser beobachten als in Deutschland. Dabei gelten die Prinzipien des Bildungssystems mehr oder weniger für alle Institutionen des Bildungssystems – gleich ob Kindertagesstätte oder Eliteuniversität.
Prämisse Vierundzwanzig: Die Bildungspolitik resultiert ausschließlich aus politisch-ideologischen Kämpfen und instrumentalisiert das Bildungssystem. Kinder, Jugendliche, Familien und Lehrer werden diesen Interessen angepasst.
Prämisse Fünfundzwanzig: Wer das Bildungssystem verbessern/verändern möchte, wird „gefährlich“ leben. Machtpositionen, Privilegien, Pensionen, persönliche Eitelkeiten usw. werden in einem Veränderungsprozess hinterfragt und geprüft werden, was vor allem bei jenen Menschen Angst auslösen wird, die ihr eigenes Handeln als das einzig richtige betrachten.
Prämisse Sechsundzwanzig: Wir lehnen bisherige Bildungs- und Erziehungsdefinitionen ab. Pädagogik gibt es nicht. Der Begriff „Pädagogik“, der übersetzt werden kann mit „den Knaben führen“ ist irreführend, veraltet und sinnlos. Auch „Er-Ziehung“, ein Begriff aus der Pflanzenzucht, ist blödsinnig.
Prämisse Siebenundzwanzig: Wir verwenden die Idee der PERMATION. Permation ist das, was immerzu in und mit Menschen geschieht. Diese Idee ist universell, überall auf der Erde, zu jeder Zeit gültig. Die Idee der Permation speist sich nicht nur aus neurobiologischen und neuropsychologischen Erkenntnissen und philosophischen Gedanken, sondern aus ALLEN Fachwissenschaften.
Ein Spermium befruchtet eine Eizelle. Ab diesem Moment beginnt ein PROZESS, den wir PERMATION nennen. Permation als lebenslanger Prozess ist die Grundbedingung und das wichtigste Kennzeichen menschlicher Existenz überhaupt. PERMATION IST DAS, WAS IMMERZU IN MIR UND MIT MIR GESCHIEHT. Niemals ist ein Mensch genau derselbe. Menschen sind beständig unbeständige Wesen. Die Frage, wann Permation ENDET, kann entweder MIT DEM TOD oder religiös beantwortet werden - NIE.
Das Prinzip der Permation ist UNIVERSELL und zu jeder ZEIT, auf jedem ORT dieser Welt gültig. Permation beinhaltet unendlich viele Prozesse und Zustände, etwa die Entwicklung des Gehirns, die sozialen Erfahrungen in der Familie, der Schule, Gespräche mit Freunden oder die psychische Verfasstheit eines Menschen. Darüber hinaus spielen etwa sozioökonomische, kulturelle oder politische Bedingungen in die Permation hinein. Genetischkörperliche Voraussetzungen werden die Permation eines Menschen ebenso beeinflussen, wie die Beziehung zu einem Partner oder etwa die Religion. Selbst der Sport und andere Kulturphänomene wie Mode, Musik, Architektur etc. werden ebenso zur Permation eines Menschen beitragen. Kurz: Permation ist ein Prozess, der sich aus unendlich vielen Faktoren speist. Dieser Prozess ist UNAUFHALTSAM, UNUMKEHRBAR und geschieht PERMANENT – im Wachzustand, beim Schlafen, schon im Mutterleib, genauso wie später in der Schule, auf dem Fußballplatz oder im Wartezimmer einer Arztpraxis, dem Labor oder Operationssaal, auf hoher See und dem Schlachtfeld.
JEDE PERMATION eines Menschen ist EINZIGARTIG. Kein Mensch ist genau wie der andere, da jede Permation immer individuell verlaufen wird, ja, verlaufen MUSS. Diese einzelnen Permationsprozesse kann man in ihrer Gesamtheit niemals so unterscheiden, dass man sagen könnte: Hier passiert jetzt genau das und das und nichts anderes. Vielmehr ist die Permation ein stetiger Prozess und damit ein Versuch, das menschliche Sein und seine Veränderung in Gänze beschreiben zu können.
Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten und Parallelen in den Permations-Biografien der Menschen. Letztlich untersucht jede Wissenschaft EINEN TEIL dieser Permationsprozesse. Die Neurologie etwa untersucht die Entwicklung des Gehirns. Die Kulturwissenschaft erforscht alle Dimensionen einer Kultur. Als Wissenschaft von allem Lebendigen trägt die Biologie zum Permationswissen bei. Und egal ob es sich um Soziologie, Filmtheorie, Dramaturgie, Psychologie, Physik, Literaturwissenschaft, Chemie oder Theologie handelt: ALLE Wissenschaften versuchen Antworten auf das Phänomen „Permation“ zu finden – ob sie wollen oder nicht.
Das heißt wahrlich auch, dass ein für alle Zeiten richtiger Weg nie gefunden, sondern immer nur GESUCHT WERDEN KANN. Bezogen auf den Schwerpunkt des Buches wird es uns vor allem um die Überwindung eines irgendwie gearteten Zieles gehen, wie und wozu, früher hätten wir gesagt: „erzogen, gebildet und ausgebildet“ werden soll.1 Uns geht es hier um Fragen, die Permation und Schule zusammendenken. Das sind die Fragen der Gegenwart, die gelöst werden müssen. Denn paradoxerweise ARBEITEN die einzelnen Fachwissenschaften, wie z.B. die Didaktik, die Methodik einzelner Fächer in der Schule etwa oder gar die neurologischen Forschungen mit den vielen Impulsen für die einzelnen Psychologiedisziplinen SCHON AN LÖSUNGEN VON FRAGEN, die noch gar nicht gestellt worden sind – aber wohl irgendwie in der Luft liegen müssen. Jeder spürt, dass alles sehr komplex sein muss, je mehr er sich mit Kindern, Kindheit, Schule, individuellen biografischen Prozessen usw. einarbeitet und umso differenzierter, so glaubt er dann, muss der Gesamtprozess IM EINZELNEN untersucht werden. DAS GEGENTEIL IST DER FALL. Wir mussten endlich die großartige Arbeit von den Wissenschaftlern der einzelnen Teildisziplinen zu einem Ganzen zusammenbringen, um zu erfahren, dass alle diese wundervollen Erkenntnisse NICHT IN UNSERE VORHERRSCHENDEN (DENK)STRUKTUREN integriert werden können, weil sie nicht DÜRFEN, weil sie nicht MÜSSEN und weil sie nicht WOLLEN. Somit werden dann Bildungs- und Erziehungsziele formuliert, die genau von dieser Komplexität des vorher im Detail beschriebenen Weges wegführen. Kreativität, Verantwortungsbewusstsein, Urteilsvermögen, Selbstvertrauen oder Leidenschaft und Empathie, kritische Distanz und Mut, um nur einige zu nennen, sind Eigenschaften und Fähigkeiten, die eben nur im Permationsprozess darzustellen sind. Also als ein Prozess, der von der Geburt bis zum jeweiligen Analysezeitpunkt relevant ist. Es geht einfach darum, völlig unaufgeregt, „…die Veränderungen, die sich stets und unvermeidlich vollziehen, seit und solange es Leben gibt, zu gestalten. Das verlangt eine differenzierte… nüchterne Betrachtung“2, schreibt Goeudevert. Wir haben dafür die Idee der Permation ins Leben gerufen – als allumfassende philosophische Kategorie, die das menschliche Sein, seine Entwicklung und die jeweiligen Ist-Zustände modellhaft verstehen will.3
1 Goeudevert, Daniel: Der Horizont hat Flügel, München 2001, S.17
2 Goeudevert, Daniel: Der Horizont hat Flügel, S. 18
Schule als Instrument von Erwachsenen zur Zurichtung von Kindern
Niemals in ihrer Geschichte war die Schule ein Ort, der NICHT als Instrument von Erwachsenen missbraucht wurde. Nie war die Schule zweckfrei. Immer bestimmten Erwachsene über das Schicksal von Kindern und Jugendlichen. Zumindest glaubten und glauben sie das. Damit ist die Schule zuallererst eine ERWACHSENENEINRICHTUNG im Sinne, dass sie ein Ort ist, den Erwachsene festlegen, ausfüllen, mit Regeln, Normen und Vorstellungen überziehen. Um bei den seltsamen Vorstellungen der alten „Pädagogen“-Köpfe zu bleiben: Erwachsene richten Schultreibhäuser ein, in denen Kinder gleich Pflanzen wachsen, blühen und gedeihen sollen. Nichts ist im Treibhaus-Biotop NICHT schon von Erwachsenen vorgedacht, geplant und beabsichtigt. Wer Kinder mit Pflanzen vergleicht, duldet natürlich keinen Misswuchs, Auswuchs, keine ungewollten Triebe. Im wohltemperierten Lebensraum werden jene Bedingungen geschaffen, die eine optimale „Entfaltung“ der zarten Pflänzchen zulassen. Sonne, Regen, Dünger, Boden, Pflanzenabstand und -selektion, Saatgutbegutachtung – alles ist bis ins letzte Detail geplant von den Gärtner-Pädagogen, den Pflanzmeistern und Wuchskontrolleuren. Dabei unterscheiden sich die erwachsenen Gärtnerkollegen lediglich in Art und Weise ihrer wohldosierten Zuchtanstrengungen. Für fast niemanden von ihnen ist eine Pflanze ohne Zuchthaus denkbar. Freilandpflanzen und Unkraut sind Synonyme für die Freunde der gepflegten Kultur. Ein Wachsen und Gedeihen außerhalb der zivilisatorischen Errungenschaft des Gewächshauses ist UNDENKBAR für jene, die selbst Pflänzchen aus streng kontrollierter Herkunft sind. Die Schul-Zuchthäuser bereiten dann direkt auf das Leben im größtmöglichen Treibhaus vor – zuweilen „Gesellschaft“, „Kultur“ oder „Zivilisation“ genannt.
Der Vergleich von Kindern mit Pflanzen ist nicht nur überaus lächerlich. Dieser Vergleich ist deshalb gefährlich, denn er weckt Bilder in den Köpfen, die dem Wesen und dem Sein von Kindern nicht entsprechen. Vielmehr sagen solche Bilder mehr über das Denken der „ERWACHSENEN“ selbst aus, als über alles andere. Unsere These in diesem Buch ist, dass es so gut wie keine Denkoptionen bei den meisten Menschen gibt, die nicht auf ein Zuchthaus hinauslaufen. Egal wie das Treibhaus-Biotop auch beschaffen sein mag – als Denkmodell ist es die Grundlage jeder „Erziehungs-“Bemühung, und sei sie noch so „antiautoritär“, „autoritär“, „demokratisch“ oder sonst wie angelegt. Kinder und Jugendliche gehören in Schulen – basta. Das ist das mentale Modell einer mittlerweile als global zu bezeichnenden Gesellschaft, deren Zugriff auf die Erde TOTAL geworden ist.3 Im Wort „Erziehung“ entlarvt sich die Treibhaus-Kultur selbst. Mit ihrem Ursprung in der Pflanzenzucht kommt das „Er-ziehen“ zu sich selbst zurück. Erzogene Menschen erziehen Menschen, von denen sie glauben, dass Erziehung zu ihrem Besten sein wird – auf die eine oder andere Weise. Gelingt sie mal nicht, haben sie sich das Wort „verziehen“ erfunden. Dann ist das Balg halt verzogen, von der Norm abgewichen, also den anderen nicht ähnlich und uns nicht gerecht geworden. Und so geht dieser Kreislauf ins Unendliche weiter. Biografische Geschichten über „Zöglinge“ sind auch immer Geschichten von den „Erziehern“ selbst. Dabei gibt es unzählbare verschiedene Arten, der erziehenden Pflanzenzucht. Und sie hat sogar eigene Lehrstühle, Studiengänge und Disziplinen. Egal ob „Vergleichende Erziehungswissenschaft“, „Allgemeine Erziehungswissenschaft“, „Angewandte Erziehungswissenschaft“ oder sonst wie – hunderttausende Seiten von Forschungsliteratur künden von dem jahrtausendealten Versuch, aus Menschen Pflanzen und aus Orten Treibhäuser zu machen. Klimatologie und Pädagogik sind nicht voneinander zu unterscheiden.
Es ist eine anthropologische Grundthese von der Unfertigkeit des Menschen, die seit den vorsokratischen Philosophen über Pythagoras bis zu den Sophisten und Platon mit der Bildung als einer Umwendung der Seele gelehrt wird und bei Aristoteles haben wir schon mit den anthropologischen Grundlagen zu tun, wie Veranlagung, Gewöhnung und Einsicht, die durch Pflege, Übung und Lehre in der pädagogischen Praxis zum rechten Maß, zum Möglichen und endlich zum Würdigen führen, um es einmal sehr stark verkürzt darzustellen. Aber auch bei Aristoteles steht über allem ein KATALOG NORMATIVER KRITERIEN. Das ist in vielen Varianten seit der Hellenisierung Roms, über die Aufklärung bis heute als Ausgangspunkt für jeden Bildungs- und Erziehungsprozess auszumachen und gilt gemeinhin als Beginn der Pädagogik. Sie ist immer Resultat vom Austausch zwischen Kind und dem, der sich kümmern will oder muss und dem Kind und der Umwelt. Selbst ein Mann wie Jean- Jacques Rousseau mit seiner Betonung der Autonomie des Individuums sieht wohl die Kindheit als eine eigenständige Entwicklungsphase und fordert somit eine entsprechende Erziehung. Aber u.E. geht seine Annahme eines „Naturzustandes“, in dem er den Menschen als starken Einzelgänger beschreibt, weit an der Realität vorbei. Denn auch zu seiner Zeit gebar sich kein Kind allein. Es musste, auf welchen Wegen auch immer, eine Verschmelzung von Samen- und Eizelle stattfinden und auf ganz, da hat Rousseau sicher Recht, „natürlichem“ Wege das Sonnenlicht erblicken. Aber ohne Einwirkung welcher Person auch immer, gibt es für das „Entstandene“ kein Leben. Es ist lebensunfähig. Soviel zum Thema: „Einzelgänger“. Er war es nie und wird es nie sein oder werden. In Verbindung mit heutiger Schule gelangten wir so zu dem Schluss, dass im gleichen Maße, wie der Mensch durch die Menschen in der Schule lernt, sich selbstbestimmter und damit selbstbewusster zu entwickeln, wenn alles gut vorangeht in humanen Symbiosen, im selben Maß der junge Erwachsene das Zepter in der Schule übernimmt, ohne ändern zu können, dass er im Laufe der Zeit nun selbst Erwachsener geworden ist.
Noch einmal: Schulen sind ERWACHSENENEINRICHTUNGEN. Es sind reine Kopfgeburten von adulten Wesen, die bestimmen sollen, in welchen Bahnen die Permation von Kindern verlaufen soll. Die Betrachtung der Schule aus den Augen von Erwachsenen ist der Normalfall.4 Wir wollen hier versuchen, aus der Perspektive von den Kindern selbst Schule und andere Phänomene zu betrachten. Wir verstehen uns ausdrücklich als Anwälte von Kindern, als wissenschaftliche Lobbyvertreter, als Fürsprecher von Wesen, die ganz im Hier und Jetzt stehen.
Insofern wäre es schon ein Anliegen, wenigstens in der Praxis die These Rousseaus zu verwirklichen, dass die „Erziehung“ NICHT die Entwicklung von Kindern behindert bzw. ihnen gemäß ihres Entwicklungsstandes eine entsprechende, verantwortbare Unabhängigkeit zu gewähren oder zu bewahren.
Eine weitere These von uns ist: Schulen sind auf die Bedürfnisse der Erwachsenen zugeschnitten – und zwar maßgeschneidert. Bedürfnisse von KINDERN und JUGENDLICHEN SELBST werden allzu oft ignoriert oder nicht einmal wahrgenommen. Unterricht, Schulstruktur, didaktische Prinzipien, Machtverhältnisse, Organisation, interne Abläufe – alles in der Schule ist auf Erwachsene (Lehrer, Eltern, Verwaltung etc.) zugeschnitten. Was Kinder von Schule selbst halten, fragt man sie meistens noch nicht einmal. Kinder müssen erst in Bahnen gelenkt werden, damit sie Teil der „Gesellschaft“, also der „Gesellschaft der Erwachsenen“ werden können. Kinder sind unmündig. Deswegen müssen sie erst von Erwachsenen zur Mündigkeit „erzogen“ werden. Kinder sind unberechenbar. Das ist der Grund, um aus ihnen für Erwachsene berechenbare Wesen machen zu wollen. Natürlich kann das NIEMALS gelingen. Ganz klar liegen die MACHTVERHÄLTNISSE EINDEUTIG bei den ERWACHSENEN. Sie allein bestimmen über das Wohl und Unwohl von Kindern, sie allein schaffen die Bedingungen, in denen sich kindliches Leben abspielen soll. Erwachsene haben auch die DEFINITIONS-MACHT zu bestimmen, wie Dinge sind, warum Dinge sind und wie etwa Schule sein soll. Fast nie wollen Erwachsene Macht an Kinder abgeben. Selbst wo Erwachsene Kinder in der Schule mitwirken lassen, handelt es sich immer nur um „Partizipation“ – nämlich „Teilhabe“. Wirklich ENTSCHEIDEN und BESTIMMEN dürfen Kinder in der Schule nichts. Und dass das auch gut so ist, denken die meisten Erwachsenen. „Kinder an die Macht!“ ist höchstens ein netter Spruch für einen angetrunkenen linken Lehrerstammtisch. Als politisches Modell würde sich jede Partei damit zur Lachnummer machen.
Die Angst der Erwachsenen vor dem, was anders ist als sie
Vielleicht steckt in vielen Erwachsenen die tiefe Angst vor Kindern, da diese meist anders sind als die Erwachsenen. Kinder sind oft neugierig, stellen andauernd Fragen. Für sie ist die Welt offen und ein zu erkundendes Neu-Land mit vielfältigen Entdeckungsmöglichkeiten. Erwachsene ticken da häufig ganz anders. Für sie ist der kindliche Blick auf die Welt im besten Fall naiv. Die Welt ist kein Neu-Land mehr, sondern eine altbekannte Welt voller Normen, Einschränkungen und Kompromisse. Irgendwo auf halber Strecke zwischen Schule, Ausbildung oder Studium ist die Neugier bei den meisten abhandengekommen. Für desillusionierte Menschen sind Kinder immer gefährlich, weil Kinder eben (noch nicht) desillusioniert sind. Damit wird die eigene Desillusionierung infrage gestellt. Die wirkmächtigste kindliche Frage ist: „Warum?“ Mit dieser Frage wird alles auf den Kopf gestellt. All die Sicherheiten, Antworten, Denkkonzepte, Modelle, die sich Erwachsene selbst geben, um in der Welt zurechtzukommen, können mit der kindlichen Frage nach dem „Warum?“ gesprengt werden. Darum sind Kinder auch immer Philosophen, denn sie stellen das infrage, was die meisten anderen Menschen (die Erwachsenen), nicht mehr infrage stellen. In jedem Kind liegt das Potenzial, einen Neuanfang zu wagen. Die Permation jedes einzelnen Kindes ist offen. Der Weg eines Sohnes muss nicht der Weg seines Vaters sein. Der Weg eines Schülers muss nicht so sein, wie sein Mathelehrer es sich wünscht. Die individuellen Wege sind und bleiben offen. Das macht Kinder unberechenbar. Man kann ihren Werdegang NICHT berechnen. Daher kommt die Angst der Erwachsenen vor Kindern, die anders werden könnten als sie selbst. Vielleicht setzen Erwachsene über „Erziehung“, „Bildung“ und „Schulen“ auch alles daran, dass aus den unberechenbaren kleinen Wesen berechenbare große Wesen werden.
Oder es werden die Prioritäten ganz einfach anders gesetzt. Rangfolgen und Stellenwerte verändern sich. Nicht das Recht hat Vorrang, denn wie üblich und ganz normal in unserer Gesellschaft werden Gewinne mit Technologien realisiert und weit weniger mit Forschungsergebnissen über Schulentwicklungen oder psychologisch-methodischen ganz individuell ausgerichteten Experimenten bzw. Schulversuchen. Die Kapitalbeschaffung um diese Art gesellschaftlicher Beziehungen auszugestalten, ist ungleich schwerer als etwa die Beschaffung von Geld für Weltraumprogramme, bei deren Realisierung natürlich ungleich mehr wirtschaftliche Interessen berührt werden als bei einem Projekt zur Verbesserung der Lebenssituation etwa eines zehnjährigen Kindes.
Mit anderen Worten: Früher wussten sie nicht, was sie tun! Heute: Tun sie nicht, was sie eigentlich wissen (könnten)!
So könnte es gedeutet werden, was so abläuft in Deutschland. Aber läuft es wirklich so ab? Um keinen Verschwörungstheorien anheim zu fallen, gehen wir davon aus, dass alle Macht vom Bundestag ausgeht und der Bundestag dem deutschen Volk dient. Noch Fragen?
Warum braucht der Staat die Schule als Instrument?
Es ist egal, welche „Form“ sich der Staat5 gibt – ob er als faschistische Diktatur, als sozialistischer Einparteienstaat, als Oligarchie oder Demokratie auftritt – sein oberstes Ziel ist es, sich SELBST ZU ERHALTEN. Jedes System strebt nach Selbsterhaltung, danach, sich weiter zu drehen, weiter zu existieren und weiter Funktionen ausüben zu können. Das Staatssystem hat einige Instrumente zur Hand, um dem Wunsch nach Selbsterhaltung entsprechen zu können. Gefängnisse, Schulen, Gerichte/Justiz/Gesetze und der Polizei- und Militärapparat entspringen dem Bedürfnis des Staatssystems, weiterexistieren zu können.6 In den allermeisten Fällen arbeiten diese „Staats-Unterstützer“ mit Gewalt, Überwachung, Strafe und Selektion.
In ihren grundlegenden Prinzipien weisen beispielsweise SCHULEN und GEFÄNGNISSE überraschend viele Ähnlichkeiten auf. Sowohl das Gefängnis wie auch die Schule arbeiten mit der permanenten SICHTBARKEIT. Jeder ist jederzeit für Obrigkeitspersonen sichtbar, erreichbar, verfügbar. Weder Gefängnisinsassen noch Schüler (Schulinsassen?) haben die Möglichkeit zu WÄHLEN, ob sie an dem Ort bleiben möchten, an dem sie sich befinden. Schulpflicht und Haftbefehl laufen auf dasselbe hinaus: Menschen notfalls gegen ihren eigenen Willen in voreingerichtete Räume zu bekommen, die dann IRGENDETWAS mit den Menschen MACHEN SOLLEN. Ob „Re-Sozialisation“ im Gefängnis oder „Bildung“ in der Schule – es muss nicht zwangsläufig das passieren, was staatlich gewünscht und vorgegeben ist. Meistens passiert etwas ganz anderes. Unsere Unterstellung lautet: Das ist so gewollt; der Staat hat überhaupt wenig Interesse an „Re-Sozialisation“ oder gar „Bildung“. Sein oberstes Ziel ist und bleibt die Selbsterhaltung.
Es gibt noch viele weitere Gemeinsamkeiten zwischen Gefängnis und Schule: die Einteilung in Gruppen7 und etwa die regelmäßig stattfindenden Kontrollen. Mittlerweile sind selbst die in Gefängnissen obligatorischen Körperkontrollen (Waffen, Drogen, verbotene Gegenstände, …) auch in Schulen zu finden. Weltweit gesehen und auch hierzulande wächst das Phänomen der Taschen- und Körperkontrollen an Schulen. Auch die im Gefängnis obligatorischen Überwachungskameras gehören immer häufiger zur Sammlung der Schul-Requisiten. Weitere Kontrollformen in der Schule sind: Tests, Klassenarbeiten, Begutachtungen, Beobachtungen, Protokolle und Anwesenheitslisten. Nicht nur Schüler werden von Lehrern kontrolliert, auch Lehrer unterliegen der permanenten Kontrolle, etwa durch bürokratische Abläufe, durch Kollegen, die Schulleitung und vielleicht sogar die Schüler.
Die „Entlassungspapiere“ der Schule sind erhältlich in Form eines Hauptschulabschlusses, eines (erweiterten) Realschulabschlusses oder etwa eines Abiturs. So oder so erfährt der entlassene Ex-Schüler, dass er für seine Schullaufbahn ein handfestes, staatlich beglaubigtes Papier erhält, was so und so viele Jahre in der Schule in Form von Zahlen/Noten8 dokumentieren kann. Für die Schulbürokraten ist und bleibt dieser Schüler eine Nummer, eine statistische Größe, „mit der zu rechnen ist“, ein Schulabgänger, ein Kandidat für den Arbeitsmarkt, für den Arbeitslosenmarkt und/oder für den Konsummarkt.
Die Schule muss aus individuellen Menschen Zahlen, Nummern, Größen machen. Die Schule muss die Menschen erst mathematisch entstellen, um dann mit ihnen irgendetwas anfangen zu können. Die Menschen müssen für die jetzige Schule erst ENTmenschlicht werden, damit sie beschulbar gemacht werden können.