Die Nymphomanin - Heidi Hollmann - E-Book

Die Nymphomanin E-Book

Heidi Hollmann

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Beschreibung

Die Nymphomanin und weitere 25 Kurzgeschichten spiegeln den heutigen modernen Menschen wieder mit all seinen Stärken und Schwächen, wobei die Schwächen naturgemäß überwiegen und sich die Autorin herzlich gern einbezieht.

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Seitenzahl: 108

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Heidi Hollmann

Die Nymphomanin

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ach, du dickes Ei

All(tag).

Angst

Anna

Das Teufelsding

Das Blatt

Das Handy

Das Versteck

Der Besuch

Der Katzenflüsterer

Der Krümel

Der Schwarzlackierte

Der Uropa und der Bibi

Die Beichte

Die Fahrt ins Bergische

Die Kundin

Die Kur

Die letzte Tür rechts

Die Nymphomanin

Die Reise

Die Schildkröte

Ein heißer Tag

Ein runder Geburtstag

Eine komische Familie

Eine Million

Impressum neobooks

Ach, du dickes Ei

Zur Zeit führte Irene zur österlichen Zeit, von wegen Winterspeck und so, eine Gewichtsreduktion durch.

Sie wusste genau, wie es sich anfühlt, vor allem abends mit hungrigem Bauch im Bett zu liegen. Dabei fiel ihr regelmäßig um diese Jahreszeit ihre arme blasse Tante Grete, „Gott hab sie selig,“ ein.

Die Dürre war damals im Hungerjahr 1945 weit davon entfernt, abnehmen zu wollen. Im Gegenteil, sie stürzte sich auf alles, was sie für essbar hielt. Sie verschmähte sogar geschmorte Kartoffelschalen nicht, klagte jedes mal hernach über einen scharfen Geschmack im Mund und ärgerte sich, das Mistzeug überhaupt gegessen zu haben.

Es war wieder einmal Ostersamstag und Irenes Oma und deren älteste Tochter, eben jene Tante Grete, hatten sich bemüht, für Irene und ihre Cousinen Eier zu ergattern. Falls sie tatsächlich welche „hamstern“ sollten, würden sie die ovalen Kostbarkeiten, wie alle Jahre vor dem unseligen Krieg, färben. Wie es sich zu Ostern, jedenfalls zu Friedenszeiten gehörte. Die Lage schien jedoch ziemlich aussichtslos.

„Morgen wird der Osterhase wahrscheinlich nicht kommen,“ wurde den Kindern vorsorglich mitgeteilt.

Aber oh Wunder! Am nächsten Morgen fanden sie voller nicht zu beschreibender Freude, drei dicke, schneeweiße Eier in ihren Bechern vor! Ihnen lief das Wasser im Mund zusammen. Es störte sie nicht im mindesten, dass sie ungefärbt waren. Voller Gier und unter Schnauben zerdepperten sie mit den Kaffeelöffeln in Windeseile die Spitzen, machten sich genussvoll schlürfend und schmatzend an den köstlichen Inhalt. Irene hörte die Tante in der Küche hantieren. Das Kind muss der Teufel geritten haben. Es drehte sein sorgsam ausgelöffeltes Ei um und stellte das total leergefressene Gebilde in den Becher zurück. Von allen Seiten hielt das Ei einer Überprüfung stand. Jawoll, es sah makellos, wie frisch gelegt aus.

„Tante Grete, komm doch mal bitte her!“ sagte das Kind arglistig wie es war.

„Ich möchte dir was zeigen!“ Die Tante kam, fragte ungehalten, weil sie sich nicht gern in der Hausarbeit unterbrechen ließ:

„Was ist es denn los?“ „Hier mein Ei, du kannst es haben.“

Irene verzog angeekelt den Mund. Die Tante stutzte.

„Ich mag es nicht mehr!“, vernahm sie ungläubig schüttelte den Kopf, wobei ihr Gesicht vor Freude fast die Röte ihres Haares annahm. Nach der Entdeckung der Missetat kehrte ihre ungesunde Blässe jedoch zurück. Sie sah ihre Nichte durchdringend mit ihren grünen Augen an, so lang, bis diese beschämt den Blick senkte. Kein Sterbenswörtchen kam über die Lippen der Gefoppten. Das traf die Frevlerin wie ein Keulenschlag. Vor allem, dass die Tante ihr lange Zeit danach kaum mehr Beachtung schenkte, ließ sie fast verzweifeln.

All(tag).

Seit Egon nicht mehr erwerbstätig ist, hat sich nicht nur sein, sondern auch das Leben von Eleonore grundlegend verändert.

Bisher brauchte sie auf niemanden während der Verrichtung ihrer hausfraulichen Notwendigkeiten Rücksicht nehmen, konnte vor allem Krach machen, so viel sie wollte. Sei es, dass sie ihre unsachgemäß aufgeschichteten Töpfe samt den Deckeln mit atemberaubendem Getöse auf den gefliesten Küchenboden fallen ließ. Oder auch das Radio in voller Lautstärke aufdrehte. Sie braucht sich vor nichts und niemandem verantworten, bisher jedenfalls nicht. All zu oft bekommt sie von dem Pensionär gesagt, wenn er beim Zeitungslesen wieder einmal wie von der Tarantel gestochen hochfährt:

„Ich befinde mich im Ruhestand, denke bitte daran. Du trägst in kürzester Zeit noch dazu bei, dass ich einen zweiten Hörsturz kriege.“

Einzig und allein um den zu verhindern, hat Egon verfrüht das Erwerbsleben eingestellt. Sei’s drum. Er ist immer noch wendig und hat Abhilfe geschaffen, wenigstens, was die Töpfe angeht. Nein, nein, keine Sorge, er hat Eleonore nicht so weit in den Griff gekriegt, dass sie diese verfluchten Dinger, wie sich das seiner Meinung nach gehört, klassisch ineinander schachtelt. Weit gefehlt, er hat aber einen Ausweg gefunden und ihr einen Satz neuer Kochtöpfe gekauft. Solche mit Glasdeckeln. Ganz schön listig! Seine Frau kann es nicht mehr riskieren, sie zu Fall zu bringen. Sie stapelt weiter wie gehabt, hat aber den Lageplan genauestens im Kopf. Durch vorsichtiges Öffnen der Schranktür, wobei sie wie ein Panzerknacker ihr Ohr lauschend an die Schranktür presst, fällt ihr kein einziger Deckel mehr entgegen. Aber ihrem ordentlichen Mann, der seit kurzem, und wie konnte sie das ahnen, seine Vorliebe für’s Kochen entdeckt hat. Vor seiner Pensionierung war er Handballtorwart in der Altherrenmannschaft. „Gelernt ist gelernt,“ denkt sie bei sich und kann beruhigt davon ausgehen, dass er die Deckel mit Links sozusagen und im freien Fall, falls nötig, auffangen wird.

Für sie ist es eine große Umstellung, ihren Mann Restlebens im Haus zu haben. Zudem weiß sie gar nicht, wie sie all die Dinge in grauer Vorzeit ohne ihn geschafft hat.

Wieso war sie früher bloß ohne seine weisen Ratschläge in der Lage, z. B. Kartoffeln zu schälen? Er hat ihr erst neulich beigebracht, wie man sie vorschriftsmäßig von der Schale befreit. Die Schale muss, wie sie andächtig lauschend vernahm, auf jeden Fall hinterher transparent sein, damit die Vitamine, die ja bekanntlich unter ihr sitzen, diesem wertvollen Lebensmittel erhalten bleiben. Die Saucen sollten sämig sein, was immer er darunter versteht. Sie eignen sich durch ihre Dünnflüssigkeit vorzüglich zum Beplempern seiner Schlipse. Aber zum Glück trägt er seit seiner Pensionierung kaum mehr welche. Sein mittägliches Gläschen Wein schmeckt ihm auch schon nicht mehr, wenn sie es ihm nicht von links serviert. Er ist nämlich Linkshänder. Das hat er früher nie bemerkt. Wie gut, dass ihm jetzt zum Erkennen dermaßen wichtiger Dinge, die nötige Zeit zur Verfügung steht. Auch lehnt er neuerdings den Gebrauch eines Messers ab, wobei er seiner Frau beinahe leid tut. Wie muss er sich mühen, um die von der Gabel heruntergefallenen Nudeln wieder aufzuschaufeln. Dabei muss er ja müde werden. Sehr bald zieht er sich zu einem Schlümmerchen zurück, was ihm aber nur bekommt, wenn das Radio orgelt, so wie bei kleinen Kindern die Spieluhr.

Ach, es gibt so viele Dinge unter der Sonne, die sie bisher als Ehefrau nicht erkannt hat.

„Wie gut, dass unsere Männer uns wenigstens im Alter beistehen und uns, vor allem um unserer selbst Willen, auf unsere untüchtigen Finger schauen, wirklich zu unserem eigenen Nutzen und Frommen,“ denkt Eleonore dankbar. Auch sonst bekommt sie die wohlwollende, obgleich indirekte Unterstützung ihres Mannes zu spüren. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht irgendwo im Haus einen liebevollen handschriftlichen Hinweis von ihm zu Gesicht bekommt.

Wie zum Beispiel in der Waschküche. Über dem Kran hängt ein nicht zu übersehender Zettel mit der Aufschrift: Bitte jedes mal nach dem Waschen den Wasserhahn zudrehen. Dabei ist ihr Keller erst ein einziges Mal vollgelaufen, und das, ohne Eleonores Dazutun. Es blitzte und donnerte damals. Ein sintflutartiger Regen ließ die Gullys überlaufen. Es war ein richtiges Hexenwetter. Eleonore liebte solche Wetterlagen. Ihr war damals nach einem Schlückchen Wein zumute. Sie stieg in den Keller, stutzte. Der Korbpuppenwagen ihrer beider Tochter schaukelte in ihre Richtung. Dabei hatte sie noch kein einziges Schlückchen intus, als die Wasserflut sie vollends einkreiste.

„Man sollte Gefahrenquellen, wo immer es geht, ausschalten,“ wurde Eleonore ermahnt. Sie fand dann auch im Gästeclo, das sie seit Egons Pensionierung für sich ganz alleine hatte, weil keine Gäste seit Egons Pensionierung mehr kamen, einen wichtigen Hinweis vor. Bitte die leeren Rollen entsorgen. „Ob sie wohl leicht entflammbar sind,“ fragte sich die besorgte Eleonore. Dankbar erkannte sie, dass sie schon längst ertrunken oder auch verbrannt sein könnte, wenn sie nicht einen solchen Mann zu ihrer Unterstützung vom Himmel geschenkt bekommen hätte. Wie gut, dass er fürsorglich ein Auge auf sie und ihr äußerst gefahrenträchtiges Umfeld warf. Aufseufzend stellte sie gerührt fest:

Angst

Die Trauergäste saßen an dem viereckigen Tisch, an dem unser verstorbener Vater noch einige Tage zuvor, sein karges Frühstück eingenommen hatte.

Zu beiden Seiten ausgezogen, bot er unserer Familie und den beiden Schwestern meines Vaters, die den Unfalltod ihres jüngsten Bruders nicht verwinden konnten, genügend Platz.

„Kommt heil aus dem Krieg und dann so was!“, stöhnte Tante Alma, die immer nach Möhren roch und ihre rundliche Schwester Emma fügte bedauernd hinzu: „Meine Güte, ich dachte, endlich haben wir wieder einen Beschützer im Haus! Wer weiß wann und ob unsere Männer jemals wiederkommen?“

Tante Emma faltete ihre fetten Hände über ihrem dicken Bauch zusammen.

„Woher ist sie nur so dick?“ fragte ich mich nicht zum ersten Mal. Wir hatten alle kurz nach Kriegsende denkbar wenig zu beißen.

„Emma ist so fett, weil sie mit Krawatten handelt, und die Dinger gegen Naturalien eintauscht,“ hatte ich Oma einmal sagen hören. Das musste wohl stimmen. Ich, als eine ihrer Nichten, profitierte auch davon. Ich besuchte sie häufig, möglichst zur Mittagszeit. Meistens erwischte ich sie beim Schneiden von fettem Speck und meine begehrlichen Blicke hat sie nicht übersehen können. Wohl oder übel gab sie mir von ihrem Reichtum etwas ab.

Emma, völlig in Schwarz, bekam einen verklärten Blick, schaute in die Runde.

„Sollen wir wieder mal „Tischerücken?“ fragte sie?

„Ich bin sicher, wir können mit Max kommunizieren!“ Unsere Trauergäste, durchweg weiblich, kreischten zustimmend auf. In mir kroch die Angst hoch. „Kommunizieren, was ist das?“ fragte ich mich und kletterte schutzsuchend auf Omas Schoss.

„Reicht euch bitte die Hände, und legt sie auf die Tischplatte,“ ordnete die Tante mit ihrer schrecklich schrillen Stimme an. Sie schloss ihre Augen.

„Max, hörst du mich?“ fragte sie. Ihre Stimme klang nun ganz anders. Sie hörte sich eher wie ein Knurren an. Ich habe sie noch niemals so tief reden hören.

Ich bekam eine Gänsehaut. Das war nicht mehr meine Tante Emma. Ich drückte mich fester in Omas Arme.

„Wenn du mich hörst, gib mir ein Zeichen!“ Emma neigte den Kopf, lauschte.

Einen Augenblick lang wackelte die Tischplatte.

Die Frauen schrieen hysterisch auf, nur meine stattliche Oma blieb gelassen.

„Geht es dir gut, da wo du bist?“ tönte es hohl aus Emmas sonst so schriller Kehle.

Wieder wackelte der Tisch. Mein Herz klopfte, ich kuschelte mich in panischer Angst in Omas Schoß, wollte nichts mehr hören und sehen, drückte mein Gesicht an ihren mächtigen Busen.

„Nun lass es mal gut sein,“ hörte ich Oma sagen. Schluss mit dem Hokuspokus

Emma! Du machst dem Kind ja Angst.“ Die anderen weiblichen Trauergäste protestierten.

„Sag mal,“ Oma beugte sich vor, „glaubst du, ich wäre so dumm, dir deine angeblichen Kontakte zum Jenseits abzukaufen?“ Emma fuhr in die Höhe.

„Was heißt hier Hokuspokus,“ schrie sie schrill mit ihrer altgewohnten Stimme. „Ich war schon etliche Male Medium.“

Das war wieder meine alte Tante Emma, wie sie leibte und lebte. Ich wurde ruhiger.

„Hat der Tisch sich vielleicht von selbst gehoben?“ schrie sie voller Empörung.

„Gut, dass ich euch vorher gebeten habe, eure Hände auf den Tisch zu legen.

Das ist der Beweis!“ Wieder überfiel mich eine Unruhe. Die Tante hatte recht.

Alle hatten ausnahmslos ihre Hände auf dem Tisch liegen, auch Oma. Von alleine konnte der Tisch sich ganz sicher nicht bewegen. Das verstand sogar ich mit meinen fünf Jährchen.

„Oma, die sollen gehen,“ verzweifelt flüsterte ich Oma meinen Hilfeschrei ins Ohr.

„Pass mal auf Kind,“ Oma ließ mich von ihrem Schoß rutschen.

Ich klammerte mich ängstlich an sie und sie setzte mich vor sich auf die Kante des Tisches.

Sie rückte mit ihrem Stuhl vom Tisch ab. „Guck mal auf meine Beine,“ forderte Oma mich auf. Sie hob den Saum ihres Trauerkleides.

Ich stierte auf ihre dünnen Oberschenkel. Sie saß da ganz lässig, hob ihre Hacken ein wenig an, wobei ihre Oberschenkel sich unter die Tischplatte schoben.

Wie von Geisterhand hob und senkte sich das Teil. „Was sagste nu, Kind?“ schmunzelte Oma Die schreckliche Angst löste sich in Luft auf.

Anna

Wir standen am frühen Nachmittag am Fenster und starrten in den wolkenverhangenen, düsteren Dezemberhimmel. Es lag hoch Schnee. In der Nacht hatte es gefroren und die Glätte ließ die Menschen vorsichtige, trippelnde Schritte vollführen. Manchmal purzelte jemand hin, was uns natürlich gefiel, wenn nur nicht die Tante zu uns unterwegs gewesen wäre.