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Das Generationsproblem ist so alt wie die Welt. Auf humorvolle Art und Weise wird versucht, die Gemüter der Generationen zu besänftigen, wozu Aufklärung gehört. "Gefahr erkannt, Gefahr gebannt" könnte man meinen. Um Abhilfe zu schaffen muss man (frau) sich erklären. Nicht immer liebevoll, aber bestimmt, sind vor allem die Alten nicht mehr geneigt, alles hinzunehmen. Sie lassen sich nicht die Butter vom Brot nehmen.
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Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Heidi Hollmann
An die Rollatoren Mädels
wir sind auch noch da..
Dieses eBook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
An die Rollatoren Mädels
1
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7
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9
Impressum
An die Rollatoren Mädels
1
„Du alte Ziege!“ Welche Frau hätte diese nicht gerade schmeichelhafte Unverschämtheit nicht schon des Öfteren in ihrem Leben gesagt bekommen und natürlich zu ignorieren versucht?
Bei mir klappte es diesmal nicht, obwohl diese Fistelstimme nicht unbedingt eindringlich war.
Die Wertung dieses jungen Mannes brachte mich zur Weißglut. Vorgebracht in einer Tonlage die einem Countertenor zu Weltruhm verholfen hätte.
„Ein Kastrat,“ spottete ich und sein „du alte Ziege“ war ganz sicher nicht als Kompliment gedacht. Ich hatte übrigens schon von je her und in jungen Jahren auf Komplimente seitens der Männer verzichtet, sozusagen schon immer darauf gepfiffen. Nein, darauf geschiss...., hatte ich.
Ein müdes Lächeln wäre normalerweise über meine Lippen gehuscht. Mich als gestandene und noch einigermaßen flotte Siebzigerin bringt man nicht so schnell in Harnisch, jedenfalls nicht, wenn ich es nicht will. So viel Disziplin muss sein! Was mich bei der ganzen Angelegenheit dann doch noch auf die Palme brachte, war der Hinweis auf mein Alter. Ziege hätte durchaus gereicht!
Aber „Alte Ziege“, das war ja nun doch die Höhe und ging weit über meine Toleranzgrenze hinaus!
Ich verstand die Welt nicht mehr. Dieser Eunuch machte mir den Parkplatz streitig und ließ mich unversehens auch noch zu einer alten Ziege mutieren. Bei geschlossenem Autofenster brüllte ich das klassische Wort, das von keiner guten Kinderstube zeugt. Ja, die Vermutung ist richtig. „Arschloch“ hieß das Losungswort, das mich vor dem Platzen bewahrte. Dabei stellte ich mir ein solches bildlich vor.
Der Kerl jedenfalls kam vergleichsweise schlecht dabei weg. Er wäre eine Beleidigung für jedweden Vergleich dieser Art gewesen. Seine kümmerliche Äußerlichkeit, war nicht im Mindesten mit einem solch pompösen Teil zu vergleichen. Ich kurbelte das Fenster runter, hatte Zeit, diese Gestalt zu fixieren. Seine langen strähnigen Haare zu einem Zopf gebunden, irritierte meine Nasenschleimhaut. Ich roch plötzlich ranziges Öl. Mir wurde übel.
Zum Glück fehlten diesem Menschen vorne die Haare gänzlich, wer weiß, welche Assoziationen sie sonst bei mir ausgelöst hätten. Sein fast kahler Schädel in einem formvollendeten Oval ließ mich an das Osterfest denken, weswegen ich überhaupt in die Stadt gefahren war.
Ich fühlte mich genötigt, klar Schiff zu machen und versuchte dem Menschen zu erklären, dass ich die ganze Zeit auf das ewig dauernde Ausparken meiner Vorgängerin gewartet hätte. Verständlich, dass ich immer mehr in Rage kam und ihm zuletzt anstelle eines frommen österlichen Grußes, das Götzzitat entbot.
„Na, nun halte mal den Ball flach, du alte Ziege,“ (wieder dieses böse Wort) machte er sich Luft. „Mit deinem dicken Schlitten (ich hatte den Wagen von Armin genommen, Automatik und so), kämste sowieso nicht in die enge Lücke rein!“ Ich merkte förmlich, wie der Puls hinter meinen Augen zu hämmern begann und sah zum ersten Mal in meinem langen Leben, das vielzitierte Rot. Ich verbat mir dermaßen aufgebracht, das „Du,“ wobei das „Ei“ hämisch grinste.
„Als Sie noch in die Windeln geschissen haben,“ fuhr ich ihn an, „bin ich schon in enge Parklücken gefahren!“ Ich schnappte nach Luft. Das Gesicht des Kahlen wurde von einem roten Farbton überzogen, wobei mir „Bluthochdruck“ in den Sinn kam, und auch, dass ich zu allem Überfluss noch Eier zu färben hatte. Er rappelte an meiner Autotür. Vorsorglich hatte ich bereits und in Windeseile die Zentralverriegelung in Betrieb gesetzt. Dermaßen abgesichert zeigte ich ihm den Vogel, hätte ihm gern noch ganz was anderes gezeigt. Ich wollte aber kein öffentliches Ärgernis erregen. Visionär sah ich einen Schriftzug vor mir. „Siebzigjährige zeigte, mitten in der Stadt, Kontrahenten ihren nackten „Arsch!“ Arsch....... fett gedruckt!
Ich hätte es tun sollen. Im Alter hat man ja nichts mehr zu verlieren. Ich dachte aber an meine Kinder, bzw. an meinen lieben Ehemann Armin und vor allem an meine Enkelkinder, denen ich bisher jedes böse Wort verbot. Ich selbst wollte stetes Vorbild sein, was mein fortschreitendes Alter immer stärker vereitelte.
„Wie lange soll man das alles eigentlich noch durchhalten, wenn man in die Jahre gekommen ist?“ fragte ich mich.
Die vielen Attacken, die bisher des lieben Friedens wegen von mir erfolgreich abgeblockt worden sind, haben mir bestenfalls den hohen Blutdruck beschert und mir diese Betablocker, eingebrockt.
Ich habe das Gefühl, die Posaunen von Jericho zu hören, wenn Armin mal wieder lautstark trompetet: „Unterstütze die Pharmaindustrie nur ja, damit die Aufsichtsräte auch weiterhin ihre Yachten fahren können!“ Damit nicht genug, muss ich mir von ihm, als einem medizinischen Laien anhören:
„Glaube mir, die Werte werden bewusst manipuliert, damit vor allem die bekloppten Alten diese Pillen fressen!“ Dabei guckte er mir vielsagend in die Augen.
Dieses Gebrülle zu dem leidigen Thema schluckte ich bisher anstandslos und natürlich auch weiterhin die Pillen, um die es ja ging.
Seit dem ich Betablocker „konsumiere,“ wie er das nennt, könnte jedenfalls eine Bombe fallen, worauf ich bestenfalls mit einem freundlichen „Herein“ aufwartete. Nun ja, effiziente Medizin hat eben ihren Preis und da kann es mir scheißegal sein, wer mit wem und mit welcher Yacht auch immer, auf welchen Weltmeeren unterwegs ist. Hauptsache ist doch, dass ich das, was man allgemein als Lebensabend bezeichnet, auch als solchen genießen kann. Von hier aus, „ein lieber Dank an die Pharmaindustrie!“
Zu der Zeit, als ich diesen Parkplatz generiert habe, wie es heute heißt und dieses Ekel eben jenen für sich in Anspruch nahm, war ich noch kein Pillenschlucker.
Armin selbst schluckt, o nein, so gut wie nichts Pharmazeutisches, kommt aber in regelmäßigen Abständen immer mal wieder ins Krankenhaus, wegen diverser Hörstürze.
„Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ stelle ich zu solchen Gelegenheiten fest. Dieser Spruch ist zu meinem Lebensmotto geworden und ich fahre gut damit. Ich persönlich beuge solchen Dingen lieber vor. Krankenhäuser sind keine Pläsierchen, jedenfalls nicht für mich.
Ich denke schon eine ganze Weile aus aktuellem Anlass über die Vorzüge und Nachteile des Alters nach. Es wird sich immer wieder über eben jenes beklagt. Warum eigentlich?
Klagen würde ich persönlich bestenfalls über das Verhalten meiner Mitmenschen dem Alter gegenüber.
Wie neulich im Park. Armin und ich gingen ungewohnt friedlich, Arm in Arm, bei bestem Wetter und dementsprechend guter Laune, spazieren. Vor uns trippelte eine junge Frau. Alles, was neuerdings unter fünfzig ist, ist für mich noch jung. Schließlich ist alles und jedes eine Frage der Relation. Also diese junge Frau blieb stehen. Der Hund beschnupperte den Armin, der als Tierliebhaber, ebenso Kontakt suchte. Wie ich zu seinen Gunsten annehme, nur zu dem Hund. Aber ich will nicht abweichen. Er streichelte das Tier mit den Worten:
„Nun beiß mich aber bitte nicht!“
Der Hund wedelte mit seinem Schwänzchen, zeigte keinerlei böse Absichten. Aber dafür sein Frauchen. Als ich ihre ungehaltene Stimme vernahm und schon glaubte, mich verhört zu haben, stellte sie lakonisch stellvertretend für ihren Hund fest: „Zu alt, zu zäh!“ Peng! Ich lachte Tränen. Der, um den es ging, stimmte notgedrungen mit ein. „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“
Humor ist übrigens im Alter eine Art von Überlebensstrategie.
Manchmal ist es besser zu lachen, um nicht weinen zu müssen.
Schrott ist möglicherweise zur Not noch veräußerbar, wenn die Preise stabil genug sind. Beim Alter sieht es ein klein wenig anders aus. Das Wort„stabil“ im Zusammenhang mit dem Alter ist ohnehin ziemlich gewagt, wenn nicht fehlinvestiert. Wir, die man allgemein als „die Alten“ bezeichnet, sind Eintagsfliegen. Das beweisen die vielen Beerdigungen, für die man (frau) tunlichst stets die schwarzen Klamotten, frisch gebürstet, parat haben sollte.
Nicht auszudenken, was die Leute sagen würden, trüge man keine „Trauer“ Über derlei Dinge bin ich persönlich hinweg. Ich trage ohnehin gern Schwarz. Dazu brauche ich keine Beerdigungen. Dunkles macht bekanntlich schlank und auch beim obligatorischen Beckleckern, dank meines immer fülliger werdenden Busens, würde es bei Weiß mehr ins Gewicht fallen. Mein kritischer Armin führt diese Beckleckerei neuerdings auf meine „Rückenlage“ zurück, will heißen, ich sitze ihm nicht gerade genug bei Tisch.
Meinen Freundinnen, die ich im Laufe meines langen Lebens gewonnen habe, geht es ähnlich. Auch sie werden laufend attackiert.
Jedenfalls die Übriggebliebenen, die mit und gleich mir, alt geworden sind. Alt wird allzu oft mit senil assoziiert, spätestens dann, sobald man sich mal verspricht, oder etwas, das einen ohnehin nicht besonders interessierte, verdrängt hat oder auch in der Tat, vergaß.
Ich gebe zu, manches Mal wegzuhören. Aus Trägheit, Eigenschutz, und einer langen Reihe anderer Substantive, die es sich nicht lohnt, konkret zu benennen.
Meiner Tochter Adda musste ich neulich in die Hand versprechen einen Ohrenarzt zu konsultieren.
„Ihr Gehör funktioniert unter dem Aspekt ihres vorgerückten Alters, (nette Formulierung) noch ausgesprochen gut!“ wurde mir attestiert.
Abschließend meinte der Ohrklempner wohlwollend: „Könnte es sein, Sie überhören gern mal was?!“
„Es könnte,“ gab ich knapp zur Antwort und fühlte mich erleichtert, mein Versprechen endlich eingelöst zu haben.
Meine beiden Kinder fragen mich seit geraumer Zeit alternierend und unumwunden, ob ich vielleicht wieder mal dem Herrn Alzheimer begegnet wäre. Spätestens dann, wenn ich nicht von jetzt auf gleich auf ihre „Einflüsterungen“ prompt und aufgeweckt, wie in früheren Zeiten, reagiere. Dass mich manches mit zunehmendem Alter immer weniger interessiert, bekommen sie gar nicht mit. Auch nicht, dass alte Menschen ihren eigenen Gedanken besonders gern frönen. Dass sie überhaupt noch eigene Gedanken haben, kommt ihnen schon verdächtig vor.
Wenn man uns Alte, wenn wir unter Unsresgleichen sind, so fidel sieht, sei es in Cafés, Bildungseinrichtungen oder sonst wo, kann ich mir persönlich den Rochus der Jungen vorstellen. Die Kluft wird auch hier immer größer, wie beim Reichtum und der Armut.
Ich ermahne deshalb immer meine Freundinnen, wenn wir einen besonders schönen Tag miteinander verlebt haben, sie sollten doch bitte sehr selbst dafür sorgen, dass er auch so schön endet. An verkehrsreichen Straßen die wir etwa zu überqueren haben, nehme ich das Heft gern in die Hand,
„Mädels seid wachsam, die Autofahrer bekommen womöglich Prämien, wenn sie uns umnieten!“ gebe ich zu bedenken.
Wir haben weil wir uns regelmäßig treffen und endlich für uns die Zeit für schöne Unternehmungen gekommen ist, „wenn nicht jetzt, wann dann?“, eine fast militärische Strategie entwickelt.
Die Rollatoren kommen in die Mitte, werden links und rechts von denen, die noch gut zu Fuß sind, eskortiert. Die noch nicht so stark Hörgeschädigten lauschen vorab auf etwaiges Autogebrumm. Nicht auszudenken, wenn, wie es geplant ist, fast geräuschlose Elektroautos mal „in“ sein sollten, um es mal auf Neudeutsch zu sagen.
Da könnte es womöglich Prämien „hageln.
Solche, ich weiß, makabren Vorstellungen, gehören zum Alltag von uns Alten, wie der Dotter zum Ei. Aber Galgenhumor ist schließlich auch eine Art von Humor, oder?
Manchmal habe ich das Gefühl ein Schemen zu sein. Wenn ich etwa bereit bin, ein Kaufhaus zu betreten. „Peng!“ Wenn ich nicht aufpasse, schlägt mir die Tür um die Ohren. Einfach mir nichts, dir nichts, von meist jungen Leuten gedankenlos losgelassen. Losgelassen auf mich, die sich herzlich bedankt mit den Worten:
„Ach, es ist doch immer wieder beachtenswert und erfreulich, wie sich die jungen Leute ein Bein ausreißen, um den Älteren behilflich zu sein. Vor allem diese Fürsorglichkeit!“
Der Gesichtsausdruck bei den meisten ist kaum zu beschreiben. Manchmal wird eine nur schlecht zu verstehende „Entschuldigung“ gehaucht, aber nur manchmal und nur von den wenigen Wohlerzogenen.
Anscheinend habe auch ich meine Kinder trotz der größten Mühe, nicht unbedingt als Wohlerzogene in die Welt entlassen.
Beim Zusammensein mit ihnen überkommt mich, wie das hier und da fast jedem älteren Menschen schon mal unterläuft, so etwas wie ein Erzähldrang-, meinetwegen auch Zwang. Für mich kein großer Unterschied! Ich berichte vor allem gern über meine Kindheit. Zum besseren Verständnis. Für wen allerdings ist hier die Frage!?
Ich sehe Adda, wie sie unwillig ihren blonden Haarschopf schüttelt. Stelle fest, wie sie augenscheinlich und vorab schon genervt ist, ohne das ich nur einen einzigen Mucks von mir gegeben hätte. Sie scheint Gedanken lesen zu können.
Es beginnt damit, dass sie ihre hübschen rehbraunen Augen flehentlich `gen Himmel richtet; einem Botticelli-Engel gleich, dem sie auf makabre Weise ähnelt.
Danach löst sich ihre Erstarrung. Sie dreht mit ihrer rechten Hand, sie ist Rechtshänderin, an einer imaginären Kurbel einer imaginären Drehorgel. Soll heißen: „Die alte Leier! kenn ich schon!“
Und ob sie die kennt. Ihre kleine Nichte, die eine meiner Enkelinnen ist, hockt neben ihr, bettelt: „Omi, bitte erzähl!“ Wie könnte man so hartherzig sein, einem so süßen und wissbegierigen Kind etwas abzuschlagen!
Omi folgt der Bitte. Omi legt los! Sie erzählt zum hundertsten Mal, wie sie als kleines Kind im Krieg, wiederum von ihrer Omi durch die Fenster eines überfüllten Zuges in das Innere befördert worden war. Und ebenso wie ihre etwas größere Schwester Hetti auf dem gleichen Wege irgendeinem Mitreisenden auf den Schoß gesetzt worden war. Dabei hatten beide Kinder voller Entsetzen bemerkt, wie sich der Zug in Bewegung setzte. „Mit ohne“ ihre Omi natürlich!
„Wir Kinder schrieen uns die Hälse ab, bis wir in einer Kurve unsere Oma wie einen Klammeraffen von außen an einer Waggontür hängen sahen!“ sagte ich zum Schluss. Spätestens bei dem Ausspruch, „Klammeraffe“, ich wusste es, klatschte meine kleine Enkelin Julia vergnügt in ihre Händchen. Der Klammeraffe war für sie immer wieder der amüsante Höhepunkt dieser für mich unseligen Geschichte.
Noch heute bekomme ich das Zipperlein, wenn ich eine unvermeidbare Zugfahrt antreten muss. Mein Auto ist seit langem mein bevorzugtes Transportmittel.
„Im allerletzten Augenblick war unsere Oma zum Glück noch mitgekommen,“ beendete ich eine meiner vielen Geschichten, die meine gesamten Enkelkinder, bis auf die beiden Kleinsten, seit langem bereits, bequem und ohne nur ein einziges Mal hängen zu bleiben, synchron mitsprechen können.
Bei meinen Enkelkindern fand ich stets das Gehör, was ich bei meinen eigenen Kindern schon seit Urzeiten vermisste. Diese kleinen Engel konnten nie genug davon bekommen.
Auch fühlte ich mich verpflichtet, ihnen den übertriebenen Wert des Geldes
klar zu machen.
So erzählte ich ihnen, dass es gar nicht so wichtig wäre, bei jedem Schritt und Tritt immerzu Geld in der Tasche zu haben, wie ihre ebenfalls in die Jahre gekommene Großtante Hetti zum Beispiel.
„Man gibt es meist sowieso nur für Kinkerlitzchen aus“ brachte ich ihnen bei.
Meine Schwester Hetti legt noch heute allergrößten Wert darauf, einen gewissen Betrag bei sich zu haben. Ich habe die Summe vergessen.
„Nun denn,“ habe ich ihr gesagt „du musst ja wissen, was du tust!“ Haste jedenfalls als alte Tante größere Chancen von unseren Drogenheinis überfallen zu werden!“
Sie tat so, als wenn sie das gar nicht tangieren könnte.
Sie war immer schon Spitzenreiterin im Verdrängen, scheint vergessen zu haben, dass auch sie bereits eine alte Tante ist. Sie wunderte sich neulich über einen kleinen Jungen, der sie mit Oma ansprach und sie sinnierte augenscheinlich darüber, wieso das Kind sie als das entlarvt hatte, was sie meiner Meinung nach ja nun mal war.
„Verstehst du das?“ fragte sie mich am Schluss.
Sie klimperte nervös mit ihren immer noch schönen dunklen Augen, klemmte sich eine widerspenstige graue Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr, dem größeren von beiden und verstand offensichtlich die Welt nicht mehr, als ich feststellte:
„Klar doch. Bestimmt benannte dich der Kleine so, weil du nicht mehr so ganz taufrisch aussiehst!“ „Huch!“ Was hatte ich da angerichtet. Zur Sühne erzählte ich gleich, was auch mir kürzlich untergekommen war.
„Mir ist neulich ähnliches passiert“, sagte ich ihr zum Trost und weil sie mir leid tat.
„Ich stand neulich bei Aldi an der Kasse, hörte eine Mutter zu ihrem kleinen quengelnden Sohn sagen: „Wenn die Frau dran kommt, sind wir auch gleich dran!“ „Welches Deutsch!“
„Das ist keine Frau, das ist eine Oma! wetterte der kleine Knirps und nur ich konnte damit gemeint sein“, schloss ich meinen Bericht, wobei Hetti zu strahlen begann wie ein Reaktor.
„Wie hast du reagiert,!“ fragte sie mich und man konnte ihr förmlich ihre Wonne ansehen!“
„Die Mutter, kann ich dir sagen, fiel aus allen Wolken!“ „So etwas sagte man nicht!“ meinte sie.
„Nun lassen sie mal die Kirche im Dorf, gute Frau, ihr Junge hat ja Recht, natürlich bin ich eine Oma! Sogar eine siebenfache!“ habe ich sie beruhigt. Danach wandte ich mich an den Kleinen, obwohl der sicher keine Ahnung hatte, was das Siebenfache bedeutet.
„Weißt du, ich habe meine Enkelkinder alle lieb. Einer ist so alt wie du und ich will dir noch vor allem dazu sagen, dass eine Oma durchaus auch eine Frau ist, jedenfalls kein Opa!“
Mutter und Kind machten sich aus dem Staub.
Um auf Hettis Marotte zurückzukommen, nur ja einen fetten Geldbetrag mitzuschleppen, fürchte ich nicht unbedingt einen Überfall. Ich hasse es aber, grundsätzlich mehr Geld in der Tasche zu haben, als ich für meine Vorhaben brauche. Es kann durchaus passieren, dass ich an der Kasse stehe und meine Cents zusammenklaube, zum Verdruss der Wartenden in der Schlange. Kein seltenes Bild. Anderen meiner Generation geht es ebenso. Ich habe dann mal wieder haarscharf kalkuliert und komme gerade mit dem Betrag so eben hin. Zudem muss ich im Kopf addieren, was ein gutes Training für mich ist.
Wie am letzten Freitag. Da vernahmen meine leider noch intakten Ohren den ungeduldigen Ausspruch: „Hoffentlich ist die Alte bald so weit!“
„Die Alte“, da war es wieder, dieses Reizwort! Das hätte sich der Glatzköpfige mit seinen vermutlich „Ganzkörper Tattoos“ und um seiner Selbstwillen, verkneifen sollen. Ich versuchte auf Mimikry-Art, Eindruck zu schinden. Viel größer konnte ich durch Recken und Strecken nicht werden, aber imposanter. Ich atmete tief durch, positionierte meine ich muss gestehen, ohnehin schon voluminösen Brüste so weit wie möglich in seine Richtung und sandte ihm Blitze zu, die selbst Zeus vor Neid hätten erblassen lassen. Dann begann ich zu dozieren, fällt mir nicht schwer als Kursleiterin in der Alten- (wieder dieses böse Wort) Pardon, in der Seniorenbildung !!
„Junger Mann,“ begann ich, „zu meiner Zeit war es üblich, dass von Äpfeln angefangen, bis zum Zucker, noch alles abgewogen wurde. Dass dabei natürlich viel Zeit draufging, ist logo, wie Sie heute sagen würden. Sie werden doch wohl hier und jetzt die Geduld und den Anstand aufbringen, eine Minute an der Kasse zu verharren, wobei sie auch noch ihre Kriegsbemalung nebenbei und kostenlos zur Schau stellen könnten!“
So forsch vorgetragen, war der „Tätto“ platt, wie ein Mäuschen vor dem Kater. Angriff ist die beste Verteidigung, hört man ja immer wieder. Ich, von Natur aus gut, praktiziere so etwas nur im Notfall. Dieser hier war absolut einer.
Wo kommen wir hin, wenn wir Alten uns die Butter vom Brot nehmen lassen?
Solange ich noch einigermaßen weiß, wer ich bin, werde ich mich nicht klein kriegen lassen, wie die Menschen, die in Altenheimen ihr tristes Dasein fristen.
Ich weiß, wovon ich rede. Unsere Eltern sind fünfundneunzig und sechsundneunzig Jahre alt und befinden sich seit kurzem in einem Altenheim und das kam so:
Mutter seit längerem dement, hatte wieder mal am Herd die Flammen angemacht, während Vater mit seinem Auto die nötigen Einkäufe verrichtete. Dass sich die Form seines Wagens zusehendes veränderte, fanden wir nicht sonderlich verwunderlich. Das lag an den kleinen Crashs, die Vater immer wieder mal passierten. Der Wagen bestand zum Schluss eigentlich nur noch aus Beulen, aber was soll` s. Er tat noch immer gute Dienste.
Es gibt aber weitaus Schlimmeres, nämlich, als Vater nach Hause kam, nahm er Brandgeruch wahr und eilte ins Haus. Das heißt, er versuchte aufzuschließen, was nicht möglich war.
Mutter hatte sich von innen eingeschlossen und weigerte sich permanent, jemanden reinzulassen. Ihr Mann hätte es ihr verboten. Vater blieb nichts anderes übrig, als einen jungen Mann im Nachbarhaus zu bitten, die Tür einzutreten.
Es war für Hetti und mich nicht einfach, einen Heimplatz für die alten Leute zu „ergattern.“
Warten Sie mal bis November, das tut sich einiges“, wurde mir versprochen. Endlich war für Mutter gesorgt und Vater folgte ihr, weil er uns versprochen hatte, seine Frau nicht allein in die „Diaspora“ zu schicken. Ein weiterer Heimbewohner war verstorben und Vater nachgerückt.
Wir ihre einzigen Töchter bitten seit dem inständig und demütig den lieben Gott, oder wer auch immer dafür zuständig sein mag, uns durch einen Blitzschlag, oder sonstige Vergünstigungen den Heimaufenthalt zu ersparen. Wir wären auch mit herabfallenden Dachziegeln zufrieden. Alles Gute soll ja bekanntlich von oben kommen.
Übrigens gibt es Möglichkeiten, die auch schon einige unserer weiblichen Ahnen genutzt haben müssen. Merkwürdiger Weise sind eine Reihe vornehmlich weibliche Verwandte, nachweisbar einem Unfall zum Opfer gefallen. Und alle, wir sind eine langlebige Familie, befanden sich im hohen Alter. Das wäre doch auch eine schöne Möglichkeit für uns, nur diese Herrschaften können wir nicht mehr dazu befragen, wie sie das angestellt haben. Elektroautos standen damals ja noch nicht zur Debatte.
Ich denke, wir können getrost noch ein Weilchen abwarten, bis diese Lautlosen auf den Markt kommen.
Bis dahin wird auch mein Gehör nicht mehr das sein, was es einmal war und ich werde das leise Summen nicht mehr mitkriegen. Es sei denn, man baute unsinniger Weise Motorengeräusche ein, wie es neulich in der Zeitung stand. Es heißt also: Abwarten!
Ich habe eine Bekannte, die als Köchin in einem Altenheim tätig war und die mir sagte, ehe sie in so was reinkäme, würde sie, falls es eben noch eben ging, Hand an sich legen.
Es gäbe ja so viele Möglichkeiten. „Dem Himmel sei Dank!“ meinte sie abschließend und schüttelte sich.
Auch ich könnte mich schütteln, vor und nach den Besuchen im Altenheim, in dem unsere Eltern ihr Altersdasein eher fristen, als genießen.
Ab und zu erboten sich meine beiden bereits erwachsenen Enkelmädchen, uns zu begleiten. Eine Liebestat für die ich ihnen immer sehr dankbar war.
Großherzig schenkte die Uroma ihnen sofort das Mobiliar des ganzen Hauses. Keine Sorge, alles wäre ihr Eigentum, versicherte sie. Die Mädchen spielten mit, bedankten sich artig und wenn die Ur-Oma insistierte, sie müssten doch nun endlich heiraten, so langsam sähe man ihnen das Alter an, stimmten sie auch dem zu. Wenn sie Geld brauchten, würde die Urgroßmutter ihnen natürlich damit unter die Arme greifen.
Dabei weiß sie nicht mehr, was Geld überhaupt ist. Die Umwandlung in den Euro hat sie damals schon nicht mehr mitbekommen.
Am Mittag vertraten sich die beiden Mädchen ihre Beine und kamen mir lachend in dem langen Flur entgegen. Vor der hauseigenen Kapelle waren X-Rollstühle geparkt, wie in Kindergärten die Fahrzeuge der kleinen Insassen. Es war nicht immer alles trist und traurig. Unsere Mutter, früher recht drall, nahm im Heim konstant ab. Ohne meckern zu wollen, bei dem Essen, würde sich bei mir sogar mein stattliches Körpergewicht reduzieren, worüber ich glücklich wäre, aber bitte sehr nicht unter der Prämisse, dort etabliert zu werden.
Da bleib ich lieber korpulent bis zum seligen Ende meiner Tage. Selbst auf die Gefahr hin, meine Lebenszeit zu verkürzen, wie Ärzte es ihren Patienten gern plausibel zu machen versuchen, um sie zum Abnehmen zu bewegen.
Da halte ich es lieber wie eine meiner Schwägerinnen, die mehr als füllig geworden, meinte, den Sargträgern müsste der Schweiß den Steiß runterlaufen, wenn man sie zu Grabe trüge.
Sie hat einen deftigeren Ausspruch getan im Hinblick auf die Schweißrichtung. Recht hat sie. Ein bisschen Egoismus muss sein, zumal es uns alten Menschen schmeckt und Essen nicht zu Unrecht als „Rentnersex“ bezeichnet wird. Das heißt, so lange wir noch das essen können, was wir wollen. Keinen Einheitsfraß konsumieren müssen wie bei Militär oder in so manchen Krankenhäusern und leider auch in Altenheimen.
Mutter hatte so sehr abgenommen, so dass ihre Prothesen weder oben noch unten in ihrem Kiefer Halt fanden. Sie lockerten sich immer mehr und eines Tages im Beisein von Hetty und mir, fiel unserer Mutter die Prothese aus dem Mund. Die obere oder untere, ich weiß es nicht mehr, ist auch unwichtig. Sie landete geradewegs in ihre auf dem Schoß ruhenden hohlen Hände. Mutter zuckte erschreckt zusammen. Wir hörten sie in ihrem Platt ein überraschtes: „Watt ist datt dann?“ murmeln. Wieder einmal:
„Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“
Bei mir gibt`s im Moment immer weniger zum Lachen. Wenn ich nur an diese gleichermaßen grässlichen, wie effizienten Kompressionstrümpfe denke, wird mir manchmal ein wenig plümerant.
Als ich sie verschrieben bekam, die Dinger sind sauteuer, fragte mich die auch nicht mehr ganz so junge Ärztin mit einem bedauernden Blick auf meine sich schlängelnden Krampfadern, ob ich vielleicht welche mit Spitze oben dran haben wollte und in Schwarz. Wollte ich, kosten ohnehin nicht mehr und nicht weniger. Sexy sind sie sowieso nicht, ob oben ohne, oder mit. Aber immerhin nett von der Medizinerin gemeint.
Bei jedem Wetter, selbst bei 40 ° im Schatten trage ich treu und brav meine Medizinischen.
Es gibt Dinge, die einem das Alter einfach auferlegt und man ist gut beraten, sich mit dem Unvermeidlichen zu arrangieren. Das müssen Jüngere manchmal schon praktizieren, wie meine flotte auf Marylin Monroe getrimmte Friseurmeisterin, die den ganzen Tag über stehend, ohne diese hilfreichen Plagegeister überhaupt nicht würde arbeiten können.
Morgens, wenn ich die erste Schlacht geschlagen habe, den ersten Strumpf unter vielen Verrenkungen und dementsprechendem Gekeuche übergezogen habe, brauche ich erst einmal eine dicke Pause, wie bei vielen anderen Verrichtungen auch, seit ich in die Jahre gekommen bin.
Wenn der Zweite dann endlich wie eine feste Pelle mein Bein umschnürt, ist das schon die halbe Miete. Der Tageseinstieg schon nicht mehr ganz so katastrophal. Geschafft! Geschafft im Doppelsinn!
Abends dann allerdings erneutes Theater, diese schwarzen Zwillinge wieder in den Griff zu bekommen. Nur andersherum, wobei mir das Gekeuche ob der Anstrengung, sie wieder loszuwerden, nicht erspart bleibt. Das frenetische Keuchen bekommt Armin trotz seiner Hörstürze mit, falls er sich in der Nähe befindet.
Unsere Rhythmen sind in allem schon immer sehr verschieden, aber es ist durchaus möglich, dass wir beim Ausziehen im Schlafzimmer auch mal als Duo zusammenstoßen.
Bei meinen unvermeidbaren Geräuschen, vor allem am Abend könnten Nachbarn wer weiß was von uns Oldies annehmen; würden wir in einer Neubauwohnung zu Hause sein. Schön in jeder Beziehung, im eigenen soliden Heim wohnen zu dürfen.
Die frühere Kabarettistin Isa Vermehren und spätere Nonne behauptete einmal in einem Fernsehinterview, als sie schon längst Ordensfrau war, dass man mit dem Alter ausgezeichnet zurecht käme. Möglicherweise weiß sie nichts von Stützstrümpfen.
„Die hat ja auch keinen sie beobachtenden Mann meinte meine Hetti dazu, worauf ich Einspruch erhob.
„Die ist immerhin mit Gott verheiratet, und der liebe Gott sieht bekanntlich alles!“, gab ich zu bedenken, worauf ich ihre glaubwürdige Antwort erhielt:
„Ja, schon, aber der urteilt und beurteilt nicht!“
Sich mit dem Alter anzufreunden halte ich persönlich für wünschenswert.
Sich dagegenzustemmen ist genau so unnütz, als wenn man versuchen wollte, Schneeflocken zu rösten.
Allerdings tun mir alle jene alten Damen leid, die sehr spät oder gar nicht Omis geworden sind. Für die ist das Alter doch ein Quäntchen fader.
Ich wurde exakt genau in dem Alter Oma, in dem meine Tochter Mutter wurde. Das ist nicht verwunderlich, ich war eine ziemlich junge Mutter und die logische Konsequenz, jedenfalls zu meiner Zeit war die, dass der Großmutterstatus auch früh eintrat. Ich war ganze neununddreißig Jährchen jung.
In dem Alter hat man für gewöhnlich noch Nerven wie Drahtseile, oder?
Nein, nicht immer. Häufig genug war ich völlig ermattet, wobei es auf das jeweils zu hütende Enkelkind ankam. Unser fünfter Enkel, ein besonders aufgeweckter Junge, verlangte mir bisweilen meine ganze Kraft ab. Seine Mama bezeichnete ihn häufig als „Jubiläumskind“. Er folgte erst Anweisungen beim fünfundzwanzigsten Mal. Das konnte ich aus eigenem leidvollem Erleben nur bestätigen. Ich hätte eine Flüstertüte gebraucht, um meine Stimmbänder zu schonen. Das Schöne an Enkelkindern ist, dass man sie immer wieder los wird. Meine Freundinnen, die ehrlichen jedenfalls, bestätigen mir immer wieder, wie unbändig sie sich freuen, wenn ihre Enkelkinder kommen, die Freude aber ebenso groß ist, wenn die Enkel wieder gehen und sie sich, gleich mir, in ihre feudalen Fernsehsessel knallen können.
„Ach des Menschen größte Freud....!“
Meine beiden Kinder bescherten mir im Ganzen sieben Enkel; im Alter von sechs Monaten bis zu dreißig Jahren. Eine breite Spanne, die einigen verrückten Umständen zu verdanken ist.
Zudem, durch nur einen einzigen Sohn und nur einer einzigen Tochter vierfache Schwiegermutter zu werden, ist zwar kein Kunststück, aber erklärungsbedürftig.
Unser Sohn hat schlicht und einfach drei Frauen beglückt, mit denen er insgesamt fünf Kinder zustande brachte, die natürlich allesamt meine Enkelkinder wurden. Unsere Tochter Adda als „Nachzüglerin“ bekam ihre beiden Mädchen ziemlich spät. Bedingt durch ihr langes Studium, mit ihrer nachfolgenden Selbstständigkeit. Bis sie endlich etabliert war und dann erst an Kinder denken konnte. So wie es heute bei jungen Frauen eher die Regel, als die Ausnahme ist.
Ich bin vorsichtig geworden, wie neulich, als ich meine zweitjüngste Enkelin beim Spiel im Sandkasten beobachtete und wo sich ein etwa gleichaltriges Kind, um die vier, breit machte. Eine überaus korpulente Frau tapste schwerfällig durch den Sand, um dem Kind ein Schüppchen zu bringen, beugte sich keuchend nieder und sprach mit dem Mädchen.
Als Rheinländerin kontaktfreudig, war mir nach einem Schwätzchen zumute. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich ein Gespräch von mir aus „anstoßen“ musste, wie eine Billardkugel, die von allein und selbst in hundert Jahren nicht in Bewegung gerät. Vor zig Jahren in die Diaspora des Humors emigriert, sprach ich diese Schwerfällige an.
„Ein nettes Enkelkind haben Sie!“ Die Frau stutzte, guckte über mich hinweg und würdigte mich keines Blickes. „Eine wenig selbstbewusste Oma,“ konstatierte ich, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel, als das spielende „Enkelkind“ verzweifelt „Mama“ brüllte, als meine Enkelin ihm eins auf den Pelz schlug!
Seit dem, bin ich hellsichtiger und vorsichtiger geworden, man lernt bekanntlich auch im Alter noch dazu. Ich behaupte lieber gleich, wenn mir gelangweilt nach einem Schwätzchen zumute ist, wie hübsch ich doch das nette Töchterchen oder den netten kleinen Sohn finde. Mit ungläubigem Augenaufschlag und stolzgeschwellten Brüsten schenken mir diese Omis, von Omi zu Omi sozusagen, ihr liebstes Lächeln, was sie ehrlich um Jahre verjüngt.
Halsstarrige Omas würden meiner Beobachtung nach, niemals zugeben, ihre Vorlieben zu haben. Ich behaupte, sie haben sie!
Überzeugend versuchen sie, aus welchem Grund auch immer, sich selber zu belügen, in dem sie behaupten, alle Enkelkinder gleich zu halten.
Meiner Erfahrung nach ist das schier unmöglich. Jedes Kind hat andere Vorlieben. Differenzieren ist hier gefragt.
Meine Julia, das erste Kind aus der zweiten Verbindung unseres Sohnes war das Enkelkind „meiner Wahl“ möchte ich behaupten.
Das Kind wuchs mir immer mehr ans Herz, wie ich immer wieder entzückt feststellte.
An einem Montag hatte ich Julia in meinem Auto mitgenommen, um ihr die versprochenen Pferde auf einer Vorortweide zu zeigen. Als wir dort ankamen, war das Kind eingeschlafen. Auf dem Rückweg kamen wir bei Hetti vorbei.
Armin weiß um meine technischen Defizite und schnallte das Kind deshalb höchstpersönlich vor der Abfahrt an. Zugegeben, ich bin eine technische Idiotin, was ich unter Beweis stellte, als ich versuchte nach dem Besuch, den Kindersitz festzuzurren. Es misslang. Die Großtante befestigte unter Kopfschütteln die kleine Person, meinte unmutig: „Deine Oma ist doof Julia, sie kann deinen Sitz noch nicht mal befestigen!“
Julia, sie mag um die drei gewesen sein, verzog ihr Mündchen und ich stellte mich auf eine Heulorgie ein. Sie reckte plötzlich ihren Kopf nach vorne, in die Richtung derjenigen, die behauptet hatte, ihre Oma wäre doof. Sie sah wie ein kleiner wilder Schwan aus, schrie in einer nicht zu überhörender Lautstärke:
„Du bist doof!“ Hetti brach in Gelächter aus, hielt sich den Bauch und sagte:
„ Du bist richtig, Julia, verteidigst deine Oma, das gefällt mir!“
Ja, und so ist es bis heute geblieben. Julia ist meine Favoriten gewesen. Lange Zeit.
Sie war es, die mir nach dem Fußbruch, als ich um die Sechzig alt war, bei Familientreffen meinem genagelten Fuß auf ihrem Schoß Schutz gewährte. Ich wäre vor Berührungsschmerz ohnmächtig geworden. Wenn ich auf meinem Küchenstuhl kniete, um etwa aus dem Fenster zu schauen, pinselte meine kleine Katze meinen Fußrücken mit ihrem hochgereckten Schwänzchen, was bei mir schon einen gehörigen Schmerz auslöste.
Ich sprach davon, dass Julia meine Favoriten war. Sie bleibt die erste, es gibt aber mittlerweile eine zweite, wie es auch eine zweite Siegerin geben kann.
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