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Schon am Anfang der Ehe hatte Rudolf seine Herta beiseite genommen. "Hertalein, nur einer kann in einer Ehe das Sagen haben," meinte er. "Wie auch nur ein Kapitän ein Schiff dirigieren kann, du weißt schon!" Hertalein wußte nicht, bat sich aber Bedenkzeit aus. Nach einer Weile erinnerte Rudolf sie an ihr Versprechen, darüber nachdenken zu wollen. "Ich bin einverstanden, lieber Rudolf" flötete Herta. Ach wie er sie in dem Moment liebte. Sie schaute ihn mit ihren braunen Augen so lieb an, so dass er förmlich dahin schmolz. "Es ist wahr, einer kann nur das Sagen haben, Rudolf." Rudolf Brust schwoll vor Stolz an. Gleich darauf fiel er wie ein Hefeteig zusammen, als er nunmehr die feste Stimmer seiner Frischangetrauten vernahm, die forderte:" Dann lass mich das Sagen haben!" In den zig Ehejahren wurde dieses Thema niemals mehr berührt.
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Seitenzahl: 227
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Heidi Hollmann
Der Debütant im Ruhestand
Auch das noch
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Inhaltsverzeichnis
Titel
GRIECHISCH - RÖMISCH
VERFLIXTE TECHNIK
HOPPLA HOPP
DIE NICHSNUTZE
DER LYRISCHE ABEND
DER VERRÄTER
DIE KUR
DAS UNFEHLBARE FOSSIL
IRMTRUDS BEICHTE
EMILIE
NEUE WEGE
DIE GRAUGANS
ALTHERRENTREFF
WER BIN ICH ?
KARO, NEIN DANKE
HOCHZEITSGLOCKEN UND PAILLETTEN
SCHOCKING-OMA
DER MORGENMUFFEL
IHRE FAHRZEUGPAPIERE BITTE
DIE APOTHEKERIN
DIE SCHUR
KEINE HÜFT OP`s FÜR ÜBER 75 JÄHRIGE ?
HOCHMUT KOMMT VOR DEM FALL
WECKMÄNNER
ALLE JAHRE WIEDER
DIE PROZESSION
TINA AUS AFRIKA
DER IDIOT
DR. HANS HEINZ MEYER
GEORDNETE VERHÄLTNISSE
SCHON WIEDER
SILVESTER
SIEBZIG JAHRE UND KEIN BISSCHEN LEISE
MÄNNLEIN- WEIBLEIN
SOMMER, SONNE, SONNENSCHEIN
DIE FASZINATION DES EIES
DIE BESTE EHE VON ALLEN
LEBENSLÄNGLICH
Impressum neobooks
„Rumms,“ machte es.
Herta sprang von ihrem Computer auf, nahm aber gleich wieder Platz.
Es rummste noch einmal. Ihre beiden Katzen kamen hoch gehetzt, sprangen über ihre Schulter, umkreisten gewohnheitsmäßig den Computer, stürmten weiter ins Schlafzimmer, wo sie sich auf den Betten niederließen.
Die Topfdeckel drehten unten auf dem gefliesten Küchenboden ihre einsamen Runden, bis sie endlich mit einem nicht zu beschreibenden Scheppern zum Stillstand kamen. Hertas gespitzte Ohren dröhnten, sie spitzte sie nach unten. Ihr war klar, dass eine Kanonade von Flüchen alsbald zu ihr heraufdringen würde. So war es.
„Wenn das Weib doch endlich einmal die Töpfe richtig stapeln würde,“ schrie ihr lieber Ehemann, der zur Zeit alles andere, als lieb war. Er brüllte in der Hoffnung, die ihn nicht trog, dass das vertrackte Weib ihn hören möge.
Das vertrackte Weib, die arme Herta also, stapelte die Töpfe schon seit mindestens vierzig Jahren auf diese Art und Weise und war damit äußerst zufrieden. Niemand hatte sich, die beiden nichtsnutzigen Katzen ausgenommen, bisher darüber gestört gefühlt.
„Was hat Rudolf eigentlich neuerdings und überhaupt in deiner Küche zu suchen?“ fragte sie sich nicht zum erstenmal.
Selbstkritisch behauptete sie ja nicht, was altgewohnt auch gut getan wäre, aber wozu sollte sie ihre liebgewordenen Gewohnheiten seinetwegen ändern, wo sie bisher immer bestens mit ihren hausfraulichen Dingen zurecht gekommen war. Vor allem ohne ihn! Zugegeben, bevor sie den Topfschrank öffnete, sondierte sie erst einmal die Lage. Sie horchte, angestrengt wie ein Panzerknacker, auf etwaige Innengeräusche. Blieb alles ruhig, geschah beim nachfolgenden Öffnen nichts. Sollte sie überhastet gehandelt haben, blieb immer noch Zeit die Topfdeckel aufzufangen. Wozu sollte sie ihre Verrichtungen seinetwegen anders handhaben? Das wäre ja gelacht! Wie Pyramiden wollte er sie aufgeschichtet sehen, „mit einem soliden Sockel,“ hatte er sich erregt.
„Von unten nach oben zulaufend, und nicht umgekehrt!“
„Auf griechisch-römisch“, vielleicht? hatte sie den Wütenden aus einem Impuls heraus gefragt. Alles, was er geändert haben wollte, nannte sie seit dem griechisch-römisch, womit sie ihn augenblicklich aus dem Lot zu bringen vermochte. Sie wusste selbst nicht genau, was der Ausdruck bedeutete, glaubte aber, dass er so viel wie ordnungsgemäß heißen könnte.
Wann immer ihr Mann sie maßregelte und etwas in seinem Sinn verändert haben wollte, nervte sie ihn mit der Frage: „Auf griechisch-römisch vielleicht?“
Die Aufzucht ihrer beiden Kinder lag weit hinter ihr, so dass sie nicht die geringste Lust verspürte, noch einmal von vorn anzufangen. Deshalb gab sie in vielen Dingen nach. Nicht zuletzt, weil sie gegen die Flut von Anordnungen des Neupensionärs ohnehin machtlos war.
Im Keller hing z. B. über der Waschmaschine ein Schild mit der Aufschrift.
BITTE DEN KRAN NACH DEM GEBRAUCH DER WASCHMASCHINE ZUDREHEN!
Was denn wäre, wenn der Kran offen bliebe, hatte sie sich doof gestellt, wobei ihm schon anzusehen war, wie ihm der Kamm mächtig schwoll.
„Dumme Frage“ brummte er und übertrieb wie so häufig. Machte ihr klar, dass der gesamte Keller unter Wasser stehen könnte.
„Könnte, könnte, immer alles im Konjunktiv“ meinte sie schnippisch. Und weil sie gern das letzte Wort hatte, stellte sie fest:
„Und nebenbei bemerkt, lieber Rudolf, kann ich im Falle eines Falles, und im Gegensatz zu dir, schwimmen!“ Eine kindische Feststellung, sie wusste darum.
Dafür unterließ sie es zu fragen, ob der Kran vielleicht nicht doch noch auf griechisch-römisch zuzudrehen sei, weil seine Steilfalte zwischen den beiden Brauen sich vertiefte und ihr ganz mulmig ums Herz wurde.
Selbst mit dem Mittagessen war er seit kurzem nicht mehr zufrieden.
Früher hatte er achtlos die Bissen heruntergewürgt, dabei die Zeitung gelesen in seiner knappen Zeit, die er sich selbst verordnete. Immerzu hatte er gleich Catchup auf fast jedes Essen geschüttet, ohne es überhaupt nur angerührt zu haben, so dass sie sich fragte, wozu sie sich eigentlich der Mühe unterzog, überhaupt noch schmackhafte und zeitaufwendige Saucen zuzubereiten. Vielleicht hing sein übersteigerter Verzehr der roten Scheußlichkeit mit seiner Prostata zusammen. Sie wusste es nicht. Er ließ sich sowieso niemals in die Karten gucken. Sie hatte irgendwo gelesen, Tomaten seien ein gutes Vorbeugemittel gegen Krebs. Möglicherweise auch gegen jenen unterhalb der Gürtellinie?
Nach dem „Genuss“ von Catchup und etwas, das ihm nicht mehr zu analysieren gelang, war der Unzufriedene wieder eilig, wie immer, ins Büro zu seinen Leuten gefahren, denen er mit seinen Anordnungen auf den Geist gehen mochte. Rudolf war schon immer ein Mann, der das Sagen haben musste. Er tat allerdings auch eine Menge dafür und schonte sich nicht. Jedoch so viel Einsatz wollte er durch Einsicht, sprich Gehorsam, belohnt wissen.
Als sie beide jung verheiratet waren, hatte Rudolf sie in einer stillen Stunde beiseite genommen und ihr jovial mitgeteilt:
„Ich denke, in einer Ehe kann nur einer das Sagen haben! Bitte, stimme dem bei, Hertalein!“ Hertalein hatte das nicht so recht einsehen wollen, bei ihren Eltern war das nämlich ganz anders. Da hatte ihre Mutter das Heft in der Hand. Aber verliebt wie sie nun mal war, bat sie um Bedenkzeit, die der um fünf Jahre ältere Rudolf diesem Dummchen gern gewährte, zumal er ihr klar gemacht hatte, es wäre ähnlich wie bei einem Schiffskapitän, der ja auch nur als Einziger Befehle erteilen würde.
„Nun ja, bei einem Kapitän in Seenot etwa, ist das was ganz anderes,“ hatte sich Herta gedacht, aber gründlich wie sie war, überlegte sie sich seinen Vorschlag in aller Ruhe, war auch zu einem guten Resultat gekommen. Nach einigen Tagen hakte Rudolf noch einmal nach.
„Na, hast du dich entschieden meine Kleine?“ Wieder dieser blöde Tonfall. Der große blonde Mann beugte sich zu seiner kleinen dunklen Herta herunter, die ihre randlose Brille zurecht rückte und sich zunächst nicht an das Gespräch zu erinnern gedachte.
„Wofür soll ich mich entschieden haben, Rudolf?“ Mit ihren dunklen treuen Augen sah sie Rudolf so lieb an, dass er förmlich dahinschmolz. Er erinnerte sie an sein Vorhaben allein das eheliche Steuer in die Hand nehmen zu wollen, weil wie schon erwähnt, nur einer, na, sie wüsste schon.
„Du hast Recht, Rudolf, in einer Ehe sollte nur einer das Sagen haben!“ säuselte sie.
Ach, wie Rudolf sie in diesem Moment liebte. Er hatte einen guten Griff getan, obwohl ihn seine Mutter, ihren einzigen und einzigartigen Sohn seinerzeit gewarnt hatte mit der Feststellung:
„So eine aufmüpfige Frau heiratet man nicht!“
„Ich möchte dir bitte einen Vorschlag machen,“ vernahm Rudolf, war ganz Ohr und sein Glücksgefühl kannte keine Grenzen.
„Aber gern, meine Liebe!“ Er rückte näher an sie heran. Welches Glück hatte er doch mit dieser kleinen Frau, die man noch so richtig zurechtbiegen konnte.
Er reckte sich, fiel aber gleich wie ein Hefeteig zusammen, als er die nunmehr feste Stimme seiner jungen Frau vernahm, die forderte: „Dann lass mich das Sagen haben!“
In den beinahe fünfzig Ehejahren wurde das Thema nicht ein einziges Mal mehr angeschnitten.
„Meine Güte, wo ist die Zeit geblieben?“
Hertas monatliches Treffen fand wieder einmal statt.
Gern ließ Rudolf sie nicht ziehen. Für seinen Geschmack hatte Herta einen viel zu großen Freundes- und Bekanntenkreis. Er selbst war eher introvertiert und außer mit Herta ausschließlich mit seinem Beruf verheiratet gewesen, bisher jedenfalls. Das genügte ihm vollauf. Deshalb ängstigte ihn der Gedanke an die baldige Pensionierung nicht wenig.
„Du musst dich darauf vorbereiten“ hatte Herta ihm gepredigt. Schon lange, bevor es tatsächlich der Fall war, hatte sie verschlagen und nicht ohne Eigennutz versucht, ihn für irgendein Hobby zu begeistern. Nicht auszudenken, wenn sie diesen Pedanten in Zukunft etwa als Arbeitsvorbereiter in ihrem Haushalt, tagaus und tagein und bis zu ihrem Lebensende um sich haben würde.
„Du könntest einen Fotokurs besuchen im „Hermannhaus“, oder zu malen anfangen.
Er hatte sie wild angesehen, sein energisches Kinn vorgeschoben und gebrüllt:
„Ich will diese Vorschläge niemals mehr hören,“ und sein: „Basta!“ hätte Tote erwecken können. Im Zeichen des Löwen geboren, war das Gebrüll für ihn ein Muss, im Gegensatz zu Herta, der es als Wassermannfrau nicht einfiel, jemanden bevormunden, oder gar ändern zu wollen. Beides hielt sie für genauso unmöglich, wie wenn sie versuchen wollte, Schneeflocken zu rösten.
Sie hatte schon immer viel von Sprichwörtern gehalten.
„Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ war ihre Maxime, die sie selbstverständlich auch bei ihren Kindern vertrat.
„Und was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andren zu!“ war für sie ein ebenso wichtiger Grundsatz, den sie auch Rudolf gern vermittelt hätte.
Wie gut man sich doch kannte im Laufe der vielen Jahre. Zu gut für ihren Geschmack. Schon deshalb war es für Herta unerlässlich, ihren Kreis aufrecht zu halten. Es hätte schon längst kaum mehr einen Gesprächsstoff gegeben. Eindrücke bekam man von außen, von Freunden zum Beispiel und die wuchsen nun mal nicht am Wegesrand. Um alles im Leben musste man sich mühen und bemühen. Rudolf dachte da ganz anders. Das mit der Mühe war er nicht imstande einzusehen. Er brauchte keine Freunde, höchstens seinen Computer, der ihm schon vor der Pensionierung und jetzt erst recht Freude machte. Das technische Wunderwerk tat nur das, was sein technisch versierter Meister ihm befahl, nicht mehr und nicht weniger. Auch waren keine Widerworte zu erwarten. Er brauchte im Grunde genommen vor der Pensionierung keine Angst zu haben. Nicht mit einem solchen Freund im Rücken, dem er
noch nicht einmal zu antworten brauchte, und den er vor allem durch Ausschalten ruhig stellen konnte. Zudem, wie sollte er sich auf seinen letzten Lebensabschnitt vorbereiten?
„Da kann ich mich ja gleich auf den Tod einstellen“ hatte er unwirsch geknurrt.
Herta wusste, wovon sie sprach. Sie war im Kreis ihrer langjährigen Freundinnen die Jüngste. Sie waren ihr alle durch ihre mehr oder weniger leidvollen Erfahrungen mit ihren Männern und deren Ruhestand, ein gutes Stück voraus. Bei ihrer Freundin Lotte hatte das Schicksal sich bewährt und positiv nachgeholfen. Ihr Mann, Chef-Arzt und ein Arbeitstier sondergleichen, so ähnlich wie Rudolf, hatte den berühmten Löffel kurz vor seiner Pensionierung abgegeben, möglicherweise noch bevor es zu Missstimmungen hätte kommen können. Herzinfarkt!
Lotte lief fast täglich zum Grab ihres Mannes, leistete Abbitte und hatte ihren Anton nur in allerbester Erinnerung. Er war sozusagen durch sein Ableben zur rechten Zeit, von jetzt auf gleich zum Engel mutiert, obwohl Lotte an seiner Seite zwar ein Luxusleben, dafür aber das der mehrfach betrogenen Ehefrau geführt hatte, was sie nicht im Geringsten zu stören schien.
„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ war der Leitspruch der molligen Lotte, die stets Optimistin geblieben war. Die anderen Damen hatten sich mokiert, waren nahezu schockiert gewesen, aber sie hielten sich zurück. Ganz sicher waren sie sich nicht. Möglicherweise wäre ihnen auch hier und da heiß unter ihrem Pony geworden, wenn sie von den Eskapaden ihrer Ehemänner gewusst hätten. Bekanntermaßen erfuhren die meisten Ehefrauen von den „Verfehlungen“ ihrer Männer zuletzt, oder zum Glück überhaupt nicht.
Wie dem auch sei, Herta jedenfalls stünde etwas bevor, meinten die Damen einmütig und warfen sich Blicke zu, als bräche jeden Augenblick der dritte Weltkrieg über sie herein. Beim vierwöchentlichen Gedankenaustausch holte Herta sich die Informationen und Ratschläge, die sie brauchte. Sie war ja immerhin eine blutige „Anfängerin“, noch, jedenfalls. Aber alles praktisch Durchzuführende beruhte schließlich auf Theorien, oder? Herta war lernfähig.
Wie an dem Freitag, an dem es in ihrem christlichen Haushalt Fisch gab. Rotbarsch, genauer gesagt. Rudolf stocherte lustlos im weichen weißen Fleisch des Fisches herum. Ihm fehlte augenscheinlich etwas. Hurtig sprang Herta zum Kühlschrank, gleich neben ihrem Essplatz und reichte ihm, wie eine geweihte Hostie, die rote Catchupflasche. Rudolfs Miene erhellte sich. Ohne ein „Dankeschön“, das war während der langen Ehejahre auf der Strecke geblieben, goss er den Inhalt der fast vollen Flasche auf den armen Fisch, begrub ihn regelrecht darunter. Auch die saftig grünen Frühlingszwiebeln verloren ihre schöne Farbe, wurden ebenfalls rot ertränkt. Es war für Herta, die nicht nur gern kochte, sondern auch gern aß, zum Verzweifeln. Wie sehr hatte sie sich bemüht, eine anständige Köchin zu werden. In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte Rudolf alles, wirklich alles aufgefuttert, und damals, Respekt!, gab es noch keinen Catchup. Er verzog zwar manchmal den Mund, so dass er seinem kleinen Sohn der Spinat missachtete, auffallend glich, aber er spuckte nichts an die Wand. Auch später dachte er niemals daran, ihre mittlerweile respektablen Kochkünste zu loben. Lob konnte man von einem Mann wie Rudolf sowieso nicht erwarten, aber immerhin und ohne zu murren oder zu tadeln, hatte er seine Teller damals leergeputzt. Mal mit hoher Geschwindigkeit und mal piano, je nach Genießbarkeit. Herta hatte herausgefunden, wenn es ihm besonders gut schmeckte, er sich in wilder Besessenheit Gabel für Gabel in den Mund schob. Er benutzte dazu so gut wie niemals ein Messer. Wenn Herta sah, wie er sich verrenkte, um ohne Messer klarzukommen, ging ihr der Hut hoch. Sie nahm sich zusammen, versuchte ruhig zu bleiben, kam dennoch nicht umhin, ihm vorzuschlagen:
„Ich würde es einmal mit einem Messer versuchen!“ Das war zu viel des Guten! Rudolf geriet außer sich.
„Ich habe gelernt, mit Messer und Gabel umzugehen. Ein Messer benutzt man nur, wenn man Fleisch zu zerschneiden hat. Kein Fleisch, kein Messer!“ schrie er und war kaum zu beruhigen. Wutschnaubend düste er ab.
„O.k.“ dachte Herta. „Wo er Recht hat, hat er Recht!“ Am nächsten Tag gab es Spaghetti, was für Rudolf eher die Ausnahme, als die Regel war. Er schwärmte nahezu in manischer Weise von Kartoffeln. Komischerweise schnitt er puppenlustig die langen Nudelfäden durch. Dazu musste er sich allerdings selbst um ein Schneidewerkzeug kümmern, denn kein Fleisch................................
Zu Zeiten seiner Kindheit wurden ihm Speisen aufgezwungen, die er einfach nicht runterkriegen konnte. Ihm wurde der Teller so lange vorgesetzt, bis das Essen, Kohlrabi etwa, an dem Teller festklebte, wie vorverdaut aussah und nicht mehr genießbar war. Zwischendurch gab es natürlich nichts. Es sei denn, das Mädchen hätte vor lauter Mitleid dem ohnehin dürren Heranwachsenden, heimlich einen Bissen zugesteckt.
Bei seinen beiden Kindern verstand Rudolf es kaum, dass sie essen durften, was ihnen schmeckte. Solchen Firlefanz gab es in seinem Elternhaus nicht. Der Vater, das wäre ja gelacht, hatte natürlich die Oberherrschaft. Kam er vom Amt, eilte ihm seine Angetraute mit angewärmten Pantoffeln an der Tür entgegen, um ihm die Puschen über seine knöchernen und stets kalten Füße zu stülpen. Sonntags schnitt der Herr Amtsrat den Braten auf und mit größter Selbstverständlichkeit jonglierte er das größte Stück auf seinen Teller. Erst dann reichte das Mädchen den anderen Familienmitgliedern das, was noch übrig geblieben war und ergatterte selbst meist nur noch ein winziges Stückchen, zu dem man fast eine Lupe gebraucht hätte, um es wahrnehmen zu können. Schmeckte Rudolfs Vater das Essen nicht, oder war ihm im Amt eine Laus über die Leber gelaufen, kippte er den ganzen „Salat“ unter Fluchen auf den Teppich, und scheute sich auch nicht, den nunmehr leeren Teller wie einen Diskus gegen die Wand zu schleudern. Einmal steuerte ein solches Geschoss auf die hübschhässliche „Idylle von Heiligenblut,“ einem Erbstück seiner verstorbenen Eltern, die sich womöglich im Grab herumgedreht haben würden, wären sie nicht eingeäschert worden.
Auch Rudolf hatte nach einer Langmut von vielleicht drei Monaten in seiner jungen Ehe seinem Vater nachgeeifert und einmal einen Teller an die Wand geklatscht. Herta war zutiefst erschrocken, wäre aber eher gestorben, als dass sie den Teller aufgehoben hätte. Schließlich bückte Rudolf sich, sprang über seinen Schatten, weil es sonst niemand hätte für ihn tun wollen und beseitigte die Spuren seines unseligen geerbten Jähzorns.
Ja der Jähzorn. Herta ging ihrem Rudolf gern aus dem Weg, obwohl sich im Lauf der vielen Jahre diese Charakterschwäche gelegt hatte, beinahe ganz verschwunden war, aber durch seine Pensionierung wieder aufzuflammen drohte.
Wie sehr genoss sie es, sich im Kreis ihrer Freundinnen aussprechen zu können.
Wie bei ihrem nächsten Treffen, an dem Herta zum besten gab, was Rudolf mit einer wie er behauptete, revolutionären Neuerung in ihrem Haus, mal wieder bewerkstelligt hatte.
„Herta, du solltest dich nicht mehr so im Haushalt quälen, du bist ja nun auch nicht mehr die Jüngste!“ hatte er zu mir gesagt und erwähnte noch: „Ich habe mir etwas durch den Kopf gehen lassen!“
„O Gott,“ habe ich gedacht, „welche Neuerung wird er dir jetzt wohl wieder antun?“
Herta hatte sich so geduldig wie möglich, angehört, um was es ging. Sie nickte zustimmend, des lieben Friedens wegen, verstand aber leider wieder einmal nur Bahnhof. Rudolf machte sich also ans Werk. So nahmen die Dinge ihren verhängnisvollen Lauf!
„Schellt seit dem in unserem Haus das Telefon mehr als dreimal, schaltet sich neuerdings der von mir besprochene Anrufbeantworter ein und belügt den Anrufer, niemand befände sich im Haus und man möge sich ihm anvertrauen,“ seufzte Herta.
„Wie ihr alle wisst, Lügen liegen mir nun mal nicht,“ teilte sie augenzwinkernd ihren Freundinnen mit. Sie erklärte ihnen, ihr wäre nichts anderes übrig geblieben, als in drei, je nach Entfernung, auch manchmal in vier Sprüngen, zu versuchen, den Hörer noch vor dem vierten Klingelzeichen zu erreichen.
„Mittlerweile bin ich so geübt, so dass ich locker mit einem Känguru konkurrieren könnte!“
Gelächter ringsum. Herta geriet in Fahrt.
Sie griff zu ihrem Sektglas, tat einen vollen Zug und berichtete weiter: „Läutet das verflixte Telefon mehr als dreimal, vernehme ich ein tiefes Brummen, als wenn ein brünstiger Bär mit mir anbändeln wollte. Mein verzweifeltes: Hallo, so melden Sie sich doch! bleibt ohne Wirkung, dafür springt aber unser Faxgerät an.
Wisst ihr, ein weniger Versierter als Rudolf, würde einfach eine Weiche eingebaut haben, ließ ich mir sagen. Nicht so mein technisch Hochbegabter, der lehnt es strikt ab, sich mit solchen Kinkerlitzchen abzugeben.“
Sein Kommentar dazu: „ Lächerlich!“ Und „Es muss auch ohne gehen!“
„Ein paar Tage später, ich hatte mich gerade dieser Neuerung angepasst, geschah wieder etwas, was mich fertig machte.
Ich habe voller Frühlingsahnen unseren kleinen Garten begutachtet und war erstaunt, wie fleißig die Natur schon wieder in diesem Jahr war. Bei all dem Grünen und Blühen überfiel mich eine ungewohnte Heiterkeit. Die Luft wie Seide, dieser Blütenduft, ich kann euch sagen, mein Glücksgefühl schmiss mich fast um und auch das merkwürdige Rumpeln, das aus der Richtung unseres Wohnzimmers kam. Ich sah, dass sich unser alter Rollladen wie von Geisterhand mit ziemlicher Geschwindigkeit herab senkte.
„Um Himmelswillen,“ schrie ich verzweifelt. Mir blieb nur noch der erprobte Känguruspurt!
Die Türöffnung wurde kleiner und kleiner. Im allerletzten Augenblick stürzte ich im wahrsten Sinne des Wortes ins Zimmer. Ich landete schmerzhaft auf meinen Knien. Ringsum völlige Dunkelheit. Mit vorgestreckten Armen tastete ich mich voran, in Richtung Kamin, wo ich die Fernbedienung für den Dimmer vermutete.
Sie lag Gott sei Dank griechisch-römisch an der Stelle, wofür ich diesmal Rudolf dankbar war. Mit zittrigen Händen betätigte ich die Tasten. Nach und nach flammten die Lampen auf und im gleichen Augenblick hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.“
Herta nahm noch einen kräftigen Schluck, ihr Gesicht rötete sich mehr und mehr.
„Na ist mir die Überraschung gelungen?“ fragte Rudolf erwartungsvoll.
„Das Leuchten in seinen Augen hättet ihr sehen sollen. Ich kann es euch nicht beschreiben!
„Und ob“ konnte ich nur wahrheitsgetreu keuchen und war völlig am Ende mit meinen Nerven.
„Ich habe dir einen Motor eingebaut, bist ja wirklich nicht mehr die Jüngste. Du sollst dich ab heute nicht mehr so mit dem Rollladen abplagen müssen! Und noch etwas, Ich habe sogar eine Zeitschaltuhr eingebaut! Da bist du sprachlos, was?“ hörte ich Rudolf frohlocken.
„Ihr kennt mich, ich war tatsächlich sprachlos und ihr wisst, was das bei mir bedeutet!“
Herta wurde von einer Hitzewelle überrumpelt, als sie den Rest ihrer Episode vom technischen Genie raus ließ.
„Rudolf war ziemlich bepackt. Unter anderem hielt er zwei prall gefüllte Tragetaschen mit der Aufschrift „Dortmunder Baumarkt“ in den Händen. Ich habe geschockt nur noch denken können:
„Welche revolutionäre Neuerung wird es demnächst wieder geben?“
Solche und ähnliche Geschichten über ihr „Genie“ gab Herta gern zum besten. Auch betonte sie stets, ihre bessere Hälfte meine es ja nur gut!
„Ich hab noch vergessen zu erwähnen, dass wir seit Rudolfs Pensionierung neuerdings einen „sprechenden“ Briefkasten haben!“ Die mollige Lotto meinte sich verhört zu haben.
„Einen sprechender Briefkasten?“ fragte sie verdutzt.
„In der Tat, sobald ein auch noch so leichtes Fitzelchen Papier eingeworfen wird, gibt das Ding Alarm, was mich schon einige Male fast zu Tode erschreckt hat!
Rudolf muss wohl unter großer Langeweile leiden. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, klammheimlich und mehrmals am Tag etwas in den Kasten zu werfen, der sofort zu plärren anfängt und mir den allerletzten Nerv raubt!“
Wenn Rudolf abgelenkt sein würde, seinem Tag wieder Struktur zu geben vermochte und somit unsinnig oder nicht, Beschäftigung fände, würde alle Unbill, die vor allem auf ihre Kappe ging, vergehen, so hoffte Herta jedenfalls.
Sie und er waren schon immer von starken Gegensätzen geprägt. Deshalb war der Bestand dieser Ehe Eingeweihten ein Rätsel. In ihrem Umkreis gab es Scheidungen wie Sand am Meer bei Leuten, die an sich ganz manierlich miteinander umgegangen waren.
„Gegensätze ziehen sich an,“ wie der Volksmund sagt, in ihrer beider Fall schien das zu stimmen. Allerdings bestätigt die Ausnahme die Regel, wobei sie wohl die Ausnahme waren.
Viele Ehen waren aus vielschichtigen Gründen gescheitert. Kaum aufzuzählen. Die Witwenschaft hatten nur wenige Frauen erreicht, deren Männer zu Staub zerfallen waren, der Rest hatte sich aus dem Staub gemacht.
Man wunderte sich deshalb, dass gerade diese beiden Menschenkinder, die so extrem unterschiedlich in allem möglichen waren, überhaupt miteinander konnten. Sie konnten offensichtlich, wie die langjährige Ehe bewies.
„In drei Jahren könnten wir, wenn nicht der Teufel einen von uns beiden schon vorher holen wird, die Goldene feiern,“ gab Herta mit einem Seufzer, aber nicht ohne Stolz von sich, wobei sie stets mit der Bewunderung ihrer Freundinnen rechnen konnte.
Rudolf war ziemlich kompliziert, wie sie fanden. Keine von ihnen wäre mit ihm auf Dauer ausgekommen, waren sie sich einig. Das banden sie aber der Herta nicht auf die Nase.
Erst neununddreißigjährig war Herta Großmutter geworden und ihr Mann mit seinen vierundvierzig Jährchen ein noch jugendlicher Opa, was zu ihrer Zeit fast einer kleinen Sensation gleich kam.
Genauso sensationell und dazu auch noch ehrenrührig war es zu ihrer Zeit gewesen, mit gerade mal achtzehn Jährchen, Mutter zu werden. Hertas eigene Mutter hatte sich nach der „Offenbarung“ und dem gemeinsamen sonntäglichen Mittagessen, das ihre unselige Tochter wieder „ausgespuckt“ hatte, aufs Sofa geschleppt. „Das überlebe ich nicht,“ hauchte sie und wartete liegend auf ihren Tod. Diese Schmach!
„Was werden die Leute dazu sagen,“ war ihre bange Frage und ihr einziger Kommentar, nachdem ihr bewusst wurde, überlebt zu haben.
Natürlich wurde hoppla hopp geheiratet, was soviel hieß wie: Mit Rückenwind! Schließlich war Rudolf ein Mann, ein Ehrenmann. Gerade diejenige, die den Schock überlebt hatte, ließ diesem ersten Enkel später alles durchgehen, was ihm überhaupt nicht gut bekam. Als der kleine Knirps um die zwei Jahre alt war, meinte seine Großmutter unvermittelt eines Tages in ihrem rheinischen Dialekt:
„Ich mach nit mehr lang!“ was auch immer sie darunter verstand. Dieser Enkel hat die Fünfzig bereits überschritten und seine Oma erfreut sich bis auf wenige Zipperlein immer noch bester Gesundheit. Lang ist ein relativer Begriff. Aber das Getue mit dem erstgeborenen Enkel war keineswegs relativ. Herta dachte gar nicht gern an die vielen Eskapaden zurück. Eine in den Enkel vernarrte Großmutter ist schlimmer als ein Erdbeben der Stärke Sieben der nach der oben offenen Richter Skala, stellte sie immer wieder fest.
Rudolf war ein Eigenbrötler geblieben. Erst recht nach seinem beruflichen Ausscheiden. Er tüftelte weiter an revolutionären Neuerungen an ihrem gemeinsamen kleinen Reihenhaus.
Seine beiden Katzen beschäftigten ihn mindestens so, wie seine technischen Dinge. Neben Freude machten sie ihm viel Arbeit und bereiteten ihm auch so manchen Kummer. Auf jeder Etage standen für die hohen Herrschaften Schüsseln aufdrapiert, wie bei reichen Leuten chinesische Mingh-Vasen. Seine Lieblinge konnten nach Herzenslust ihre Exkremente dort hineinpurzeln lassen, ganz nach Belieben. Sie hatten die freie Auswahl! Gefiel es ihnen im Parterre nicht, hatten sie noch weitere Möglichkeiten auf der ersten Etage und wenn es genehm war, auch noch unter dem Dach ihre Duftwolken verströmen zu lassen.
Neuerdings begann sich ihre Verdauung mit ziemlicher Regelmäßigkeit um fünf Uhr morgens zu regen. Mit anhaltendem scharren wurde diese Prozedur eröffnet. Herta nahm sie im Halbschlaf wahr. Den Langschläfer Rudolf trieb der bestialische Geruch aus den Federn. Er sprang auf, was für einen Morgenmuffel ein hartes Geschäft ist. Flugs beseitigte er das, was ihm Übelkeit verursachte. Herta duselte wieder ein und wusste, gleich wird sich der Geruch verflüchtigen. Jeden Morgen dasselbe Spielchen. Sie wunderte sich über Rudolfs Geduld, aber was blieb ihm anders übrig? Er war nicht unbedingt auf frühes Aufstehen erpicht, aber danach fragen diese eigenwilligen Kreaturen nicht. Sie suchen sich ihre Leutchen nach Belieben aus und biegen sie sich zurecht. Rudolf hatte sie allesamt in sein verkümmertes Herz geschlossen. Mit ihnen ließ sich reden, ohne dass er auf Widerworte oder Missverständnisse gestoßen wäre. Katzen waren für ihn einfach die besseren Menschen.
Das empfand Herta ganz und gar nicht. Diese kleinen Biester hatten die Angewohnheit, sie als erste zu wecken, was ihnen regelmäßig gelang. Das über beide Betten von Rudolf angebrachte Regal, auf dem vor allem Hertas Abendlektüre ihren Platz fand, diente den Katzen als Liegeplatz, sobald sie aufgewacht waren. Von dort bombardierten sie speziell die Herta mit den Büchern, die sie im Liegen mit ihren Tatzen ein wenig schoben, bis sie herunterfielen, geradewegs auf Herta, die sich unter dem Oberbett in Sicherheit brachte. Stand dann immer noch niemand auf, sprang der schwarze Kater auf Hertas Nachtisch, wo er sich an ihrem Schmuck zu schaffen machte. Herta räumte das Zeug so gut wie nie weg, was aber für sie meist der ordentliche Rudolf besorgte. Schon aus dem Grund, weil die Katzen den Verschluss aus kleinen Diamanten an der Perlenkette (ein Erbstück) mir nichts, dir nichts, immer wieder anknabberten. Ihr ehemaliger Glanz war erloschen, was Herta aber nicht störte. Die Kette war deshalb ja nicht unbrauchbar und ließ sich gut schließen.
Das erste, dieser für ihn beinahe anbetungswürdigen Tiere, ein halbverhungerter kleiner Tiger war Rudolf kurz vor Mitternacht vor seinem fünfzigsten Geburtstag entgegengelaufen. Eigentlich eher der Herta. Vorher hatte es einen kleinen Umtrunk mit wenigen Freunden gegeben. Man war nach Hause geeilt, um den Geburtstag dort mit den beiden fast erwachsenen Kindern zu feiern. Auf dem Weg am völlig im Dunklen gelegenen Bahndamm schrie Herta auf. Ihr war irgendetwas über ihre offenen Schuhe gelaufen. Sie vermutete, eine Maus und schrie gellend durch die Nacht. Wieder diese Berührung, die sich eine Maus niemals erlauben würde. Beim genauen Hinsehen, entdeckten sie den kleinen Kerl, der nahezu dreizehn Jahre bei ihnen blieb, bis ihn eine Tierärztin von seiner Krebserkrankung erlöste.