Die Orestie. Agamemnon. Choephoren. Eumeniden - Aischylos - E-Book

Die Orestie. Agamemnon. Choephoren. Eumeniden E-Book

Aischylos

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es beginnt mit einem Menschenopfer. Agamemnon tötet Iphigenie, deren Mutter tötet Agamemnon, der Sohn Orest tötet die Mutter. Eine ganze Familie bringt sich gegenseitig um: Sühne durch Rache. Bis jetzt. Orest wird nicht getötet, sondern vor ein Gericht attischer Bürger gestellt – der Fluch wird endlich gebrochen. "Die Orestie des Aischylos behandelt auf höchst tragische und ästhetische Weise Grundfragen der menschlichen Existenz und gehört zu den tiefgründigsten Texten, die jemals geschrieben wurden" (Anton Bierl). A. C. Swinburn nannte sie "die größte Leistung des menschlichen Geistes". Bis heute wird die griechische Tragödientrilogie gerne aufgeführt. Der vielfach ausgezeichnete Übersetzer Kurt Steinmann hat sie nun neu übertragen, gewohnt präzise und nah am Original. Im Nachwort verortet der Basler Gräzist Anton Bierl die Orestie in der Kultur, Politik und Religion Athens, beleuchtet ihre dichterische Qualität sowie ihr Fortwirken bis ins 21. Jahrhundert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 316

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Aischylos

Die Orestie

Agamemnon Choephoren Eumeniden

Übersetzung und Anmerkungen von Kurt SteinmannNachwort von Anton Bierl

Reclam

2016, 2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Friedrich Forssman, Cornelia Feyll

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961174-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019535-2

www.reclam.de

Inhalt

AgamemnonChoephorenEumenidenZu dieser AusgabeAnmerkungenLiteraturhinweiseNachwort

Agamemnon

Personen

WÄCHTER

CHOR VON GREISEN AUS ARGOS

CHORFÜHRER

BOTE

KLYTAIMESTRA

[TALTHYBIOS] EIN HEROLD

AGAMEMNON

KASSANDRA

AIGISTHOS

(Der Palast der Atriden in Argos. Auf dem flachen Dach der Königsburg liegt ein Wächter.)

WÄCHTER.

Die Götter fleh ich um Erlösung an von dieser Qual,

dem Wachdienst eines langen Jahres, den ich liegend leiste

hier oben auf des Atreus-Hauses Dach nach Hundes Art und so

der nächtlichen Gestirne Treffen bestens kenne,

und die, die Winter und die Sommer bringen uns den Sterblichen5

– strahlende Gebieter, Sterne, die in Äthers Höhn auffällig funkeln –,

je nachdem sie schwinden oder sichtbar werden.

Und so schau ich auch jetzt aus nach dem Fackelzeichen,

dem hellen Feuerschein, der uns aus Troja Nachricht bringt

und Kunde von der Eroberung: denn so verfügt kraft ihrer Macht10

das wie ein Mann entschlossne, bangend-hoffnungsvolle Herz der Frau.

Lieg ich auf meiner taubenetzten Lagerstatt, die in der Nacht mich stets

zum Wachgang aufstört und nie Träume heilsam je besuchen –

denn statt des Schlafs steht mir die Furcht zur Seite,

ich könnte fest im Schlummer meine Lider schließen –,15

und hab ich Lust zu singen oder summen,

dadurch im Lied ein heilend Mittel mir anzapfend gegen Schlaf,

dann klag und stöhn ich um das Unglück dieses Hauses,

das nicht mehr so wie früher bestens wird geführt.

Nun treffe glücklich mir Erlösung ein von dieser Qual20

durchs Feuer guter Nachricht, das im Dunkel hier sich zeigt!

(Ein Feuerschein flammt plötzlich auf.)

O sei gegrüßt, du Quell des Lichts, der in der Nacht die Helligkeit

des Tags verkündet und Darbietung vieler Reigentänze

in Argos, um zu danken für dies Glück!

Iu! Iu!25

Agamemnons Frau geb ich damit lautstark ein Zeichen,

erheben solle sie sich flugs von ihrem Lager und Gejauchze

jubelnd im Palast ertönen lassen diesem Fackelschein

zum Gruß, da Ilions Stadt

erobert ist, wie dieses Feuerzeichen klar vermeldet;30

und ich will selber bald beginnen mit dem Freudentanz.

Denn meiner Herrschaft Wurf fiel glücklich aus; entsprechend tu ich meinen Zug,

da mir dies Feuerzeichen dreimal warf die Sechs.

Nun, träf’s doch ein, dass ich die liebe Hand

des Herrn des Hauses, ist er heimgekehrt, mit meiner fasse!35

Vom andern schweig ich; denn ein großer Ochse steht

auf meiner Zunge. Das Haus selbst, erlangte es nur Stimme,

es spräche überdeutlich! Ich, für mein Teil, rede willig

nur vor Wissenden, vor Ahnungslosen schütze ich Vergessen vor.

(Der Wächter ab ins Haus.)

Der anapästische Teil der Parodos (40–103)

(Der Chor zwölf alter Bürger von Argos zieht ein.)

CHOR.

Dies ist nun das zehnte Jahr,40

seit Priamos’ mächtiger Feind,

Menelaos, der Fürst, Agamemnon dazu,

mit doppeltem Thron von Zeus und doppeltem Szepter

geehrt, das starke Atriden-Gespann,

der Argiver Flotte, tausend Schiffe an Zahl,45

aus diesem Land

ließ stechen in See als Hilfe im Krieg,

und stießen voll Zorn lautstark Kampfschreie aus,

so wie die Geier, die in maßlosem Schmerz

um die Jungen hoch über dem Horst50

ziehn ihre Kreise,

rudernd mit den Rudern der Flügel,

der nesthütenden

Müh um ihre Brut verlustig;

doch hoch oben hört einer, Apollon,55

Pan oder Zeus, der Vögel im Schrei

schrill gellende Klage, ihrer Mitbewohner des Himmels,

und schickt des Rechts Übertretern

die hinterdrein Ahndende zu, die Erinys.

So schickt Zeus, der mächtiger ist,60

der Hüter des Gastrechts, die Söhne des Atreus los gegen

Paris, um wegen der Frau vieler Männer

viel Glieder niederzwingendes Ringen,

wo das Knie in den Staub sich stemmt

und schon zu Beginn des Kampfes der Lanze65

Schaft zersplittert, den Griechen zuzumessen

und den Troern zugleich. Doch ist es nun, wie es

ist: Es erfüllt sich nach der Bestimmung.

Weder durch Brandopfer noch durch die Spende

unverbrannter heiliger Opfergaben70

besänftigt man den unerbittlichen Zorn.

Wir aber, ruhmlos, durchs Alter des Fleisches

zurückgelassen damals vom Heereszug,

weilen zu Haus, unsre Kraft,

die kindergleiche, lenkend mit Stöcken.75

Denn das jugendfrische Mark, das im Innern der

Brust hüpfend sich regt,

ist greisengleich, und in beiden ist für Ares kein Platz.

So trippelt das Überalter, dem schon das Blattwerk

hinwelkt, dreifüßig dahin seines Wegs,80

und nicht leistungsfähiger als ein Kind

irrt es, ein am Tag erscheinendes Traumbild, umher.

(Klytaimestra tritt auf, das Haus verlassend, begleitet von Dienerinnen, um die Opferhandlung an den Altären vor der Burg zu vollziehen.)

Doch du, Tyndareos’

Tochter, Königin Klytaimestra:

Was ist? Was geschah? Was hast du erfahren,85

aufgrund

welcher Nachricht vollziehst du überall Opfer?

Aller stadtschirmender Götter,

der hoch droben im Licht wie der unter der Erde,

der an den Toren und der auf dem Markt,90

Altäre lodern von Gaben.

Von hier und von dort zum Himmel hinauf

schlägt die Flamme,

verzaubert von des heiligen Öles

sanftem, lauterem Zuspruch,95

der dickflüssigen Spende aus dem Innern des Königspalastes.

Davon sage uns, was dir möglich

und was du darfst, und willige ein und werde zum Heiler

unserer ängstlichen Sorge,

die bald jetzt uns als tief verstörend sich zeigt,100

während bald wieder Hoffnung, aus den Opfern geschöpft,

die du aufleuchten lässt, dem unersättlichen Kummer wehrt

und der mutverzehrenden Trauer im Herzen.

Der lyrische Teil der Parodos (104–257)

Ich bin befugt, zu singen vom günstigen Zeichen beim Aufbruch[Str. 1

unserer Kriegsmacht – denn noch haucht dank göttlicher Gunst105

Wortmacht uns ein, der Gesänge Kraft, unser Alter –,

wie die doppelt thronende Macht der Achaier, hellenischer Jugend

einträchtige Führung,110

mit Speer und rächender Faust entsandte

der stürmische Vogel zum teukrischen Land,

der Vögel Fürst den Fürsten der Schiffe,

schwarz dieser und jener weißschwänzig,115

erscheinend dicht beim Palast zur Seite der Speerhand

auf allen ins Auge fallendem Horst,

wie sie hinunterschlangen eine von ihrer Leibesfrucht hochträchtige Häsin,

nachdem ihren letzten Lauf sie vereitelt.120

Den Weheruf, Weheruf lasse erschallen, doch das Gute soll siegen!

 

Und der kundige Seher des Heeres erkannte beim Anblick der zwei wesensverschiedenen[Gegenstr. 1

Söhne des Atreus in den streitbaren Häsinnenfressern

die Führer des Zugs; und so sprach er, deutend das Zeichen:125

»Im Laufe der Zeit erobert als Beute dieser Heerzug des Priamos Feste,

und alles Vieh vor den Mauern der Stadt, reichen Vorrat fürs Volk,

wird Moira gewaltsam vernichten.130

Dass nur nicht Missgunst seitens der Götter verdunkle

die mächtige Klammer, um Troja gelegt

durchs griechische Heer! Denn Artemis, mitfühlend, grollt, die reine,

den geflügelten Hunden des Vaters,135

weil sie die arme Häsin kurz vor dem Wurf samt der Frucht hingeopfert.

Den Weheruf, Weheruf lasse erschallen, doch das Gute soll siegen!

 

Derart freundlich gesinnt ist sie, die Schöne,[Epode

den hilflosen Jungen wild rasender Löwen141

und den zitzenliebenden Jungen

aller flurdurchstreifender Tiere herzlich gewogen:

darum ersucht sie um Erfüllung der Zeichen,

die teils für günstig, teils für misslich ich halte.145

Den Helfer rufe ich an, Paian,

dass sie nicht durch widrige Winde endlos verzögertes Hindern der Ausfahrt

schaffe den Griechen, hinzielend auf ein anderes Opfer, ein gesetzloses, nicht zu verzehrendes,150

Anstifter zu Streit, der den Gatten nicht scheut, wesenseigen dem Stamm:

harrt dort doch furchtbar, aufs Neue erstehend,

tückischer Hüter des Hauses, kinderrächender Zorn, der niemals vergisst.«155

Solches Verhängnis zusammen mit Fülle des Glücks verkündete Kalchas

aus den Vogelzeichen beim Aufbruch dem Hause des Königs.

Damit im Einklang

lass den Wehruf, den Wehruf erschallen, doch das Gute soll siegen!

 

Zeus – wer auch immer er sei –, ist ihm[Str. 2

lieb dieser Name,161

dann will ich gern ihn so rufen.

Nichts weiß ich,

wäge ich alles ab,

mit Zeus zu vergleichen, wenn’s nottut, die fruchtlose Last165

ängstlichen Sorgens wirklich von mir zu werfen.

 

Und von dem, der groß war vor Zeiten,[Gegenstr. 2

von Tollkühnheit strotzend, die jeden Kampf wagt,

wird keiner mehr sprechen – er war.170

Auch der auf ihn folgte,

traf auf seinen Bezwinger und ist weg.

Wer aber freudig auf Zeus erschallen lässt Lieder des Sieges,

wird allumfassende Einsicht erlangen,175

 

auf ihn, der den Sterblichen wies den Weg[Str. 3

zu richtigem Denken und das Wort »Durch Leiden Erkenntnis«

zum Gesetz erhob von bindender Geltung.

Es tropft statt des Schlafs vor dem Herzen

die Qual erinnerten Leids: auch zu denen,180

die sich sträuben, dringt besonnenes Denken.

Aufgezwungen, denke ich, ist die Gunst der Götter,

welche auf dem erhabenen Sitz des Steuermanns sitzen.

 

Da wies damals der ältere Führer[Gegenstr. 3

der achaiïschen Schiffe185

keinem der Seher tadelnd die Schuld zu,

nein, fügte sich in das Schicksal, das urplötzlich einschlug,

als durch aushungerndes Hindern der Ausfahrt

das achaiïsche Kriegsvolk schwer Not litt,

das Land gegenüber von Chalkis besetzend,190

in der Gegend von Aulis, wo die Strömung brausend zurückrauscht;

 

Sturmwinde waren gekommen vom Strymon her,[Str. 4

erzwangen schädliches Nichtstun, brachten Hunger und missliches Ankern,

verstörten die Männer,

verschonten nicht Schiffe noch Taue,195

machten die Zeit doppelt so lang

durch Zermürbung und rieben die Blüte auf

der Argeier; als nun für den scharf-schneidenden

Sturm ein anderes Mittel,

bedrückender noch für die Führer,200

der Seher verkündete, dabei verweisend auf Artemis,

so dass die Atriden ihre Herrscherstäbe

auf den Boden stießen

und die Tränen nicht hemmten,

 

da sprach der ältere Herrscher die folgenden Worte:[Gegenstr. 4

»Schwer lastet Unheil, hier nicht zu gehorchen,206

doch schwer lastet es auch, wenn

das Kind ich zerreiße, des Hauses Juwel,

nah dem Altar, befleckend mit Strömen von Blut

einer hingeschlachteten Jungfrau210

die Hände des Vaters; welcher dieser Wege ist frei da von Übeln?

Wie kann im Stich ich lassen die Flotte

und so mich verfehlen an der Verbündeten Streitmacht?

Windstillendes

Opfer und das Blut der Jungfrau fordert sie215

wild erregt; doch verbietet es

Themis. So schlag zum Guten es aus!«

 

Doch als er geschlüpft in das Joch des Zwangs,[Str. 5

gottlosen Umschlag seiner Sichtweise atmend,

unreinen, unheiligen, von da an220

dachte er um, entschlossen, auf das Unerhörte zu sinnen;

Sterbliche macht tollkühn ja Schändliches ratender,

unverfrorener Wahn, der Ursprung des Leids.

Wie auch immer – er bracht’s über sich,

seiner Tochter Töter zu werden, zugunsten eines Kriegs,225

der rächen sollte den Raub eines Weibes

und als Opfer für die Flotte, ehe sie abfuhr.

 

Ihre Bitten, ihr Schreien »Vater! Vater!«[Gegenstr. 5

und ihre jungfräuliche Jugend galten nichts

den aufs Kämpfen erpichten Führern.230

So befahl der Vater den Opferdienern nach dem Gebet,

sie zu ergreifen und hoch sie zu heben wie eine Ziege über den Altar,

mit dem Antlitz nach unten, sie, die mit all ihrem Mut

flehend fiel auf Vaters Gewand,

und durch ihres schöngeschwungenen Mundes235

Fesselung zu vereiteln

einen Fluchlaut gegen das Herrscherhaus,

 

durch die Macht und die zum Schweigen bringende Kraft einer mundversiegelnden Binde.[Str. 6

Ihr safrangefärbtes Gewand zum Boden hin hängen lassend,

traf einen jeden der Schlächter sie mit dem mitleiderweckenden240

Pfeil ihres Blicks, ins Auge fallend wie in einem Gemälde,

sie anzureden gewillt, hatte sie doch schon häufig

im Männersaal ihres Vaters gesungen vor üppig beladenen Tischen,

und mit reiner Stimme pflegte die Unberührte245

das glückverheißende Preislied ihres geliebten Vaters

zur dreifachen Spende innig zu ehren.

 

Das Weitere sah ich nicht und sage ich nicht;[Gegenstr. 6

wohl aber blieb Kalchas’ Kunst nicht ohne Erfüllung.

Doch Dike wägt denen Erkenntnis zu, die durch Leiden gegangen.250

Und das Künftige – sobald es eintrifft, erfährt man’s; bis dahin, dran keinen Gedanken!

Es kennen, hieße im Voraus jammern,

denn klar wird’s zutage treten mit den ersten Strahlen des Morgens.

(Klytaimestra tritt aus dem Palast.)

Wie auch immer, für das, was folgt, sei der Ausgang günstig, wie255

sie dort es wünscht, die dem König die Nächste, des Apischen

Landes einziges Bollwerk.

1. Epeisodion (258–354)

CHORFÜHRER.

Ich bin gekommen, Klytaimestra, voll Respekt vor deiner Macht,

denn recht und billig ist’s, des Herrschers Frau zu ehren,

steht verwaist des Mannes Thron.260

Ob du nun Gutes hast erfahren oder nicht

und nur auf gute Nachricht hoffend du zum Opfern gehst,

vernähm ich gerne als loyaler Freund; doch auch dein Schweigen trag ich nicht dir nach.

KLYTAIMESTRA.

Mit guter Kunde gehe, wie das Sprichwort sagt,

das Morgenrot aus seiner Mutter Nacht hervor!265

Erfahren wirst du Freude, größer noch, als du zu hören hoffst:

Argeier nahmen ein die Stadt des Priamos!

CHORFÜHRER.

Wie? Deiner Worte Sinn entging mir, da ich sie nicht glauben kann.

KLYTAIMESTRA.

Troja ist in Griechenhand! Sprech ich nun klar?

CHORFÜHRER.

Freude sickert in mich ein, entlockt mir Tränen.270

KLYTAIMESTRA.

Ja, es verrät dein Auge, dass du treu gesinnt.

CHORFÜHRER.

Was macht dich sicher? Hast du dafür einen Beweis?

KLYTAIMESTRA.

Ja, ohne Frage – wenn kein Gott ein listig Spiel getrieben.

CHORÜHRER.

Hältst du der Traumgesichte Überredungskraft in Ehren?

KLYTAIMESTRA.

Nie hielte ich für wahr das Traumgespinst des schlafbeschwerten Geists.275

CHORFÜHRER.

So stopfte ein Gerücht denn voll, unausgegoren noch, dein Herz?

KLYTAIMESTRA.

Als wäre ich ein kleines Kind, verhöhnst du mich!

CHORFÜHRER.

Seit wann ist eigentlich die Stadt zerstört?

KLYTAIMESTRA.

Seit dieser Nacht, erklär ich, die das heutge Tageslicht gebar.

CHORFÜHRER.

Und welcher Bote käme denn so schnell hierher?280

KLYTAIMESTRA.

Hephaistos, der vom Ida lichten Glanz entsandte.

Ein Flammenzeichen hat das andre auf den Weg gebracht hierher

mit des Feuers Stafettenpost. Vom Ida ging’s zu Hermes’ Vorgebirge

auf Lemnos, und den mächtgen Fackelschein von dieser Insel

empfing als dritter Athos’ steile Höhe, die dem Zeus geweiht;285

in großer Höhe, so des Meeres Rücken überwölbend,

drang der Wanderleuchte Kraft voll Lust

<***>

die Fichtenfackel gab wie eine Sonne weiter

den goldnen Funkelglanz den Ausspähtürmen des Makistos.

Der – ohne Zaudern, auch nicht unachtsam vom Schlaf290

bezwungen – überging nicht seinen Anteil an der Botenpflicht;

von weitem zeigt des Feuerzeichens Licht den Wächtern

auf Messapions Höhen an sein Kommen hin zur Flut des Euripos.

Die entflammten ihrerseits nun ein Signal und gaben so die Kunde weiter,

indem an einen Haufen dürren Heidekrauts sie Feuer legten.295

Voll Kraft und keineswegs verdunkelt, übersprang

der Lichtschein des Asopos Ebne gleich

dem hellen Glanz des Monds bis hin zu des Kithairon Felsgebirge

und löste eine weitre Übernahme aus der Feuerpost.

Nicht wies die Wache ab das weitgereiste Licht,300

ja, ließ es heller flammen, als befohlen war.

Und über den Gorgopis-See schoss nun das Licht,

gelangte hin zum Aigiplanktos-Berg und trieb (die Wächter) an,

den aufgetragnen Feuerdienst nicht zu versäumen(?).

Die zünden an und schicken los mit großer Kraft305

einen mächtgen Feuerschweif, dass er sogar das Vorgebirge übersprang,

das niederblickt auf den Saron’schen Golf, stets vorwärts strahlend;

jetzt stieß er nieder, jetzt erreichte er

des Arachnaion steile Höh, die Warte nahe unsrer Stadt,

und nieder schießt’s hier dann auf der Atriden Dach,310

dies Licht, ein echter Spross des Feuers auf dem Idaberg.

So waren, siehst du, meine Regeln für die Fackelposten,

in Ablösung eines nach dem andern voll erfüllt.

Und Sieger ist, wer als der erste und als letzter lief.

Solch Zeugnis und solch Zeichen meines Mannes nenn ich dir,315

das er mir übermittelt hat von Troja her.

CHORFÜHRER.

Ich werde später zu den Göttern dankend beten, Frau,

doch möcht ich deine Worte nochmals hören – und bestaunen –

vom Anfang bis zum Ende, so wie du sie sprichst.

KLYTAIMESTRA.

Troja ist seit heute in der Griechen Hand.320

Verworrenes Geschrei, dünkt mich, durchgellt die Stadt.

Hast Essig du und Öl in ein Gefäß gegossen,

du würdest sie, da beide sie getrennt verbleiben, Feinde nennen;

so kann die Rufe der Bezwungnen und der Sieger

man unterschieden hören, wie ihr Schicksal ungleich ist.325

Die einen nämlich, über Leichen hingestreckt

von Gatten, Brüdern und von hochbetagten Vätern

die Kinder: aus nicht freier Kehle mehr

bejammern laut sie ihrer Liebsten Tod.

Die andern aber treibt die wilddurchhetzte Not der Nacht330

nach Kampfesende hungrig hin zum Frühmahl, das die Stadt

zu bieten hat – nach keiner rangbestimmten Ordnung,

nein, so wie jeder zog des Zufalls Los.

In speererstürmten Troerhäusern,

da wohnen sie nunmehr, erlöst von Frost335

und Taubenässung unter freiem Himmel, und gleich Glückverwöhnten werden sie

die ganze Nacht durch ohne Wachen schlafen.

Wenn sie die Schutzgottheiten des besiegten Landes

voll Ehrfurcht achten und der Götter Heiligtümer,

dann könnt es sein, dass aus Erobrern nicht Geschlagne werden.340

Wenn nur nicht erst der Lust das Heer verfällt,

was unantastbar ist, zu plündern, von Besitzgier übermannt!

Denn um mit heiler Haut die Heimkehr zu gewinnen,

gilt es, die andre Hälfte zu durchmessen auf des Meeres Doppelbahn.

Doch käme gegenüber Göttern ohne Schuld zurück das Heer,345

so könnte doch der Toten Leid

als schlaflos sich erweisen – wenn nicht plötzlich neues Unheil noch geschieht.

Das also ist es, was von einer Frau, von mir, du hörst;

das Gute aber siege, unzweideutig, klar ersichtlich:

denn reichen Segen hab ich mir erwählt zu (dauerndem) Genuss.350

CHORFÜHRER.

Frau, wie ein kluger Mann sprichst du verständig.

Doch ich, der nun gehört hat deine zuverlässigen Beweise,

mach mich bereit, die Götter anzurufen, wie sich’s ziemt:

denn Gunst, der Mühn nicht unwert, wurde uns erwirkt.

(Klytaimestra ab in den Palast.)

1. Stasimon (355–488)

CHOR.

O König Zeus, und du, huldvolle Nacht,355

du Stifterin reicher Beute und ruhmreichen Siegs,

die über Trojas turmgesicherte Mauern du warfst

dein deckendes Fangnetz, so dass kein Erwachsener

und kein Junger sich zu entwinden vermochte

dem mächtigen Zugnetz360

der Knechtschaft allumgarnenden Unheils.

Ja, vor Zeus, dem großen Hüter des Gastrechts, hege ich Ehrfurcht,

der dieses vollbrachte, vor ihm, der auf Paris

längst schon den Bogen so spannte,

dass nicht zu kurz und nicht über die Sterne hinaus365

den Pfeil vergeblich er schösse.

 

Dass Zeus zuschlug, das wissen die Troer zu sagen;[Str. 1

dies zumindest lässt sich ergründen:

Er handelte, wie er beschlossen. Manch einer bestreitet,

dass die Götter herab sich lassen, sich zu befassen mit Menschen,370

die des Unantastbaren heilige Würde

treten mit Füßen; doch so einer ist ohne Ehrfurcht.

Zutage tritt die Strafe, die sich heftet

an das, was nicht zu wagen erlaubt ist,375

an den Enkeln jener, deren Stolz sich über das Maß bläht,

wenn ihr Haus allzu sehr strotzt vor Reichtum,

sprengend die Grenzen des für sie Besten; so groß sei der Besitz,

dass er kein Leid schafft und hinreicht

dem, der treffliche Klugheit erlangt hat.380

Denn es gibt keinen Schutzwall

für einen Mann, der im Hochgefühl seines Reichtums

mit Füßen stieß des heiligen Rechts

hohen Altar ins vernichtende Dunkel.

 

Gewalt übt aus die dreiste bestrickende Rede,[Gegenstr. 1

die unwiderstehliche Tochter der vorab zielsetzenden Göttin des Unheils:386

Jegliches Mittel dagegen ist zwecklos. Verborgen bleibt nicht,

nein, strahlt hervor, ein grausig leuchtendes Licht, die Schuld.

Wie in minderwertigem Bronzegerät390

durch Abrieb und Stöße,

ebenso haften schwarze Flecken unauslöschlich im Frevler,

hat vor Gericht er die Strafe empfangen,

denn er jagt, ein Kind, einem Vogel im Flug nach,

nachdem er Schaden über die Stadt, nicht zu ertragen, gebracht hat.395

Sein Flehen hört keiner der Götter,

sondern ihn, der auf solchen Rechtsbruch sich einlässt,

den Ungerechten, merzt aus eine Gottheit.

Solcher Art war auch Paris: Er kam

in das Haus der Atriden400

und entweihte die gastliche Tafel

durch Entführung der Gattin (des Hausherrn).

 

Die aber ließ den Bürgern der Stadt zurück das Getümmel[Str. 2

schildtragender Krieger, das Legen von Hinterhalten

und die Rüstung der Flotte,405

brachte anstelle der Mitgift Troja Vernichtung,

schritt beschwingt durchs

Tor und wagte das Unwagbare. Laut stöhnten

des Palasts wortführende Männer und sprachen die folgenden Worte:

»Wehe, wehe, Haus, du Haus, und ihr, seine Fürsten!410

Wehe, du ehliches Bett und ihr Spuren der Schritte, mit denen die liebende Frau sich ihm nahte!

Man kann das Schweigen des Verlassenen sehen,

ein Schweigen, der Ehre beraubt, das nicht schmäht, das nicht fleht:

Vor Sehnsucht nach ihr, die floh übers Meer,

wird er wähnen, ihr Geist regiere im Hause.415

Der Zauber wohlgestalteter Statuen

ist dem Gatten verhasst;

da er Helenas Blicke entbehrt,

ist ihm jedes Liebesverlangen geschwunden.

 

Und im Traume erscheinend tauchen Trauer auslösende[Gegenstr. 2

Wahnbilder auf und bringen421

Lust, die (bloß) Trug ist.

Trügerisch nämlich, wenn einer sieht, was vermeintlich beglückt,

huscht durch die Hände und schwindet das Traumbild, begleitet425

hernach nicht wieder auf Flügeln die Pfade des Schlafes.«

Dies ist das Leid am Herd im Palast,

ja dies, und was es noch weit übertrifft.

Und nimmt man das Ganze: Um die aus griechischem Land gemeinsam aufgebrochenen Krieger

zeigen die Frauen mit tapfer ertragendem Herzen430

im Haus eines jeden, deutlich zu sehn, ihre Trauer.

Ja, vieles ist’s, das zutiefst an das Herz rührt:

denn jene, die man entsandt hat,

die kennt man, doch statt der Männer

kehren (nur) Urnen und Asche zurück435

ins Heim eines jeden.

 

Ares, der Goldwechsler, der Leichen eintauscht[Str. 3

und die Waagschalen hält in der Speerschlacht,

schickt von Ilios her den Verwandten440

im Feuer verkohlten, schwer lastenden,

schmerzlich beweinten Staub,

anstelle der Männer nur Asche,

sie füllend in leicht zu verstauende Urnen.

Jene aber beklagen sie, einen jeden lobpreisend,445

den als kundigen Kämpfer,

diesen, weil tapfer er fiel im Gemetzel –

um das Weib eines andern.

Darüber knurrt mancher im Stillen,

und grollgesättigter Schmerz schleicht450

zu den Atreus-Söhnen heran, den Führern, Verfechtern des Rechts.

Andere aber liegen dort rings bei der Mauer

in Gräbern ilischer Erde,

Männer, (gefallen) in der Blütezeit ihrer Schönheit;

nun, da er in ihrem Besitz, verbirgt sie der feindliche Boden.455

 

Schwer aber lastet der Bürger zornige Rede (auf den Atriden);[Gegenstr. 3

sie bezahlt, was dem Fluch ist geschuldet, den ausgesprochen das Volk.

Und in mir verharrt die ängstliche Sorge,

zu hören, was die Nacht noch verdeckt.460

Denn die viele erschlagen,

sind im Blickfeld der Götter, und die schwarzen

Erinyen machen im Laufe der Zeit

den vom Erfolg Verwöhnten, der das Recht in den Wind schlägt,

durch Verzehren der Lebenskraft in einem Umschlag des Glücks465

glanzlos und schwach, und weilt er im Reich

der Entwesten, gibt’s für ihn keine Hilfe.

Übermäßiger Ruhm

lastet schwer: denn es fährt

der Blitzstrahl Zeus aus den Augen.470

Ich ziehe ein Glück vor, das nicht zum Neid reizt,

möchte kein Städtezerstörer sein,

möchte auch nicht, selber gefangen,

mein Leben sehn unterworfen der Macht eines andern.

 

Unter der Wirkung der Freudenbotschaft des Feuers[Epode

durchdringt das rasche Gerücht476

die Stadt; ob’s aber stimmt,

oder (nur) irgendwie Göttertrug ist, wer weiß es?

Wer ist so kindisch oder beraubt seines Geistes,

dass durch einer Feuerpost unerwartete Botschaft480

er im Herzen entflammt, dann aber,

wenn umschlägt die Nachricht, mutlos verkümmert?

Nur für Frauenherrschaft gilt’s schicklich,

Dankopfern zuzustimmen, ehe die Wahrheit geklärt ist.

Allzu leicht überredend, greift aus der Erlass einer Frau485

schnellen Gangs; doch rasch vergänglich

erstirbt das Gerücht, das ein Weib in Umlauf gesetzt.

2. Epeisodion (489–680)

CHORFÜHRER.

Gleich werden wir erfahren, ob der hellen Fackelzeichen

flammende Signale und des Feuers Staffellauf,490

was wirklich ist, vermelden, oder ob nach Traumes Art

dies Licht, das so erfreulich kam, bloß unsre Sinne trog;

dort seh ich von der Küste einen Herold nahn,

beschattet von des Ölbaums Zweigen; es bezeugt des Schlammes

Zwillingsbruder, trockner Staub, mir dies,495

dass er nicht sprachlos bleiben, nicht vom Holz der Berge eine Glut

entfachen und durch Feuers Rauch Signale geben wird,

nein, mit seinen Worten wird er unsre Freude steigern, oder –

doch Rede, die dazu im Widerspruch, die hasse ich.

Zum Guten, das sich schon gezeigt, komm weitres Gutes noch hinzu!500

Wenn einer aber fleht mit andrem Ziel für unsre Stadt,

so ernt er selber seines fehlgegangnen Geistes Frucht.

(Der Bote tritt auf.)

BOTE.

O Boden meiner Väter im Argeierland!

In des zehnten Jahres Lichtglanz kehrt’ ich heute heim zu dir;

zerbrochen ist so manche Hoffnung, eine nur ward mir erfüllt:505

Nie nämlich wagte ich zu träumen, hier in der Argeier Land

nach meinem Tod ein Grab zu finden, das mir allerliebst.

Jetzt, Erde, sei gegrüßt, gegrüßt der Sonne Licht,

des Landes Höchster, Zeus, auch und du, Pythos Herr –

nicht länger schleudre mit dem Bogen auf uns Pfeile,510

genug warst du uns gnadenlos an des Skamandros Ufern,

jetzt dagegen sei uns wieder Retter und ein Gott, der heilt,

Apollon, Herr! Und alle Götter, die hier sind versammelt,

sie grüße ich, vor allem Hermes, meinen Schützer,

den lieben Herold, welchen jeder Herold hoch verehrt,515

und euch, Heroen, Ahnengeister, die’s geleiteten:

Nehmt freundlich wieder auf das Heer, das übrig ließ im Kampf der Speer.

O Hallen unsrer Könige, geliebtes Haus,

ehrwürdge Sitze und ihr Götterbilder, zugewandt dem Sonnenlicht,

wenn je zuvor, empfangt mit diesem strahlend frohen Blick520

den König nach so langer Zeit, wie sich’s gebührt!

Denn er ist da und bringt euch Licht in düstrer Nacht

und allen hier zugleich, er, Agamemnon, unser Herr.

So heißt denn freundlich ihn willkommen – denn so ziemt es sich –,

der Troja eingeebnet hat mit Zeus’,525

des Rachebringers, Karst, mit dem der Grund dort ist zerwühlt.

Es sind verschwunden die Altäre und die Götterbilder,

und des gesamten Landes Saat ist ausgemerzt.

Ein solches Joch hat er dem Nacken Trojas umgehängt,

der ältre Atreus-Sohn, der Herr, und kehrt als glücksverwöhnter Mann530

zurück, von allen Menschen unsrer Zeit am meisten wert,

geehrt zu werden; Paris nicht, noch die mit ihm mitbüßt, die Stadt,

kann prahlen, ihre Tat sei größer als ihr Leid.

Denn der Entführung und des Diebstahls schuldig,

büßt’ ein er seine Beute und zu völligem Verderben mähte535

er nieder seiner Väter Haus zusammen mit dem Land:

So büßten doppelt ihren Rechtsbruch Priams Söhne.

CHORFÜHRER.

Freu dich, sei willkommen, Herold des Achaierheers!

BOTE.

O ja, ich freue mich; jetzt tot zu sein: Nicht länger widersetz ich mich den Göttern.

CHORFÜHRER.

Hat Sehnsucht dich nach diesem deinem Vaterland zermürbt?540

BOTE.

So stark, dass meine Augen sich mit Freudentränen füllen.

CHORFÜHRER.

Erfreulich also war die Krankheit, die euch dort befiel?

BOTE.

Wie das? Nicht eh du’s mir erklärt, begreif ich, was du sagst.

CHORFÜHRER.

Nach denen, welche eure Lieb’ erwiderten, verzehrte euch Verlangen.

BOTE.

Du meinst, dass unser Land und Heer sich nach einander sehnten?545

CHORFÜHRER.

Ja sehr, so dass ich oft aus düstrem Seelentief hab aufgeseufzt.

BOTE.

Wie kam’s, dass dieser Trübsinn, dieser Gram auf deinem Herzen lag?

CHORFÜHRER.

Schon lange nutz das Schweigen ich als Mittel gegen Schaden.

BOTE.

Wie das? Als fern die Herrscher, zittertest du da vor irgendwem?

CHORFÜHRER.

So sehr, dass jetzt – mit deinen Worten – selbst der Tod wär eine große Gunst.550

BOTE.

Ja, gut ging’s aus. Von diesen Dingen freilich könnte einer sagen,

dass in so langer Zeit das eine günstig ausgefallen ist,

das andre Grund zum Tadel gibt. Doch wer – sieht ab man von den Göttern –

wär seine ganze Lebenszeit hindurch verschont von Leid?

Denn wollte ich von unsern Plagen reden und dem harten Nachtquartier,555

dem engen, kärglich ausgelegten Bordgang – ja, was gab’s,

worüber wir nicht stöhnten, was als des Tages Anteil uns nicht ward zuteil?

Dann auf dem Festland kam noch mehr hinzu, das uns zuwider war:

Denn unsre Zelte standen bei der Feinde Mauern,

und her vom Himmel und herauf vom Wiesengrund560

durchnässte Regen uns und Taugetröpfel, eine Dauerqual,

so dass die Wolle unsrer Kleider ganz verlauste.

Und spräche man vom Winter dann, dem Vogelmörder,

den unerträglich uns der Schnee vom Ida machte,

auch von der Hitze, wenn das Meer, versunken565

in windstille Mittagsruhe, unbewegt von Wogen, schlief –

allein, was soll das Klagen noch? Vorbei ist alle Müh,

vorbei ist sie, so dass die Toten selbst darum

sich nicht mehr kümmern, dass sie jemals wieder auferstehn,

für uns jedoch, den Rest des Griechenheeres, überwiegt573

der Vorteil, und das Leid wiegt ihn nicht auf.574

Wozu herzählen die Gefallnen, und wozu570

soll einer, der davonkam, hadern mit des Schicksals Niedertracht?571

Dem Unglück herzhaft zuzurufen: »Lebe wohl!« halt ich für richtig,572

denn stolz im Lichte dieses Tages dürfen wir uns rühmen,575

deren Ruhm im Flug sich breitet über Meer und Land:

»Die Troja endlich eingenommen, der Argeier Heereszug,

sie nagelten den Göttern diese Beutestücke in ganz Griechenland

an ihre Tempel als uralt-ehrwürdgen Schatz.«

Wer solches hört, der muss die Stadt lobpreisen580

und ihre Feldherrn; auch Zeus’ Gnade wird man feiern,

der dies vollbracht hat. Alles weißt du nun.

CHORFÜHRER.

Ich leugne nicht: Mich haben deine Worte eingenommen,

denn immer ist es Jugendzeit für alte Männer, um zu lernen.

(Klytaimestra tritt aus dem Palast.)

Das Herrscherhaus und Klytaimestra geht natürlich deine Botschaft585

vor allem an, doch sie beglückt zugleich auch mich.

KLYTAIMESTRA.

Schon längst schrie jubelnd ich vor Freude auf,

als in der Nacht die erste Feuerbotschaft kam,

zu melden Ilions Fall und Untergang.

Und mancher sagte da, mich scheltend: »Haben Feuerzeichen dich dazu gebracht,590

zu wähnen, Troja sei nunmehr zerstört?

Gewiss, es ist des Weibs Natur, sich leicht im Herzen zu begeistern!«

Durch solch Gerede stand ich offen als Verrückte da.

Ich brachte dennoch Opfer dar, und sie, nach Frauenart,

der eine hier, der andre dort, quer durch die Stadt,595

ließen freudig Jubelschreie laut ertönen und besänftigten an Göttersitzen

die Feuerglut, indem des Weihrauchs Wohlgeruch sie dazu streuten.

Und jetzt, was brauchst du mir das Weitre noch zu sagen?

Vom Herrscher selbst werd alles ich erfahren.

Mich sputen will ich, meinen hochverehrten Gatten600

bei seiner Rückkehr auf das Beste zu empfangen; denn

was für ein Tag ist wonnevoller in den Augen einer Frau,

als wenn sie, hat ein Gott den Mann errettet aus dem Krieg,

das Tor ihm öffnet? Dies berichte meinem Gatten!

Er komme schleunigst, von der Stadt herbeigesehnt.605

Mög treu im Haus er seine Frau vorfinden, wenn er kommt,

genauso wie er sie verließ, des Hauses Hündin,

ihm zugetan, den Bösgesinnten feind,

die auch in allem andern gleich sich blieb

und nie ein Siegel je erbrach in der so langen Zeit.610

Genuss und Spaß durch einen andern Mann

und übler Leumund sind so fremd mir wie das Härten von Metall.

Das tönt nach Selbstlob, aber da’s die reine Wahrheit ist,

bringt’s keine Schande einer edlen Frau, es auszusprechen.

(Klytaimestra ab in den Palast.)

CHORFÜHRER.

So sprach sie denn, hielt eine Rede dir,615

die wohlgefällig klingt, doch zum Verstehn scharfsichtge Deuter braucht.

Doch Bote, sag – nach Menelaos frag ich dich:

Kehrt er nach Hause? Kommt er wohlbehalten

mit euch zurück, der liebe Herrscher unsres Lands?

BOTE.

Nicht ist’s mir möglich, das, was lügenhaft ist, schönzureden,620

dass draus die Freunde Nutzen zögen lange Zeit.

CHORFÜHRER.

O möcht es dir gelingen, Wahres auszusprechen, das erfreulich ist!

Doch ist verschieden beides, so verbirgt es sich nicht leicht.

BOTE.

Der Mann – verschwunden ist er aus Achaias Heer,

er selber und mit ihm sein Schiff; ich lüge nicht.625

CHORFÜHRER.

Ist allen sichtbar er vor euch aus Troja abgesegelt,

oder riss ein Sturm, ein Unheil, das euch alle traf, fort ihn vom Heer?

BOTE.

Du trafst, dem Meisterschützen gleich, genau ins Ziel,

hast langes Leid in knappes Wort gefasst.

CHORFÜHRER.

Ob er noch lebe oder tot schon sei:630

Was war darüber von den andern Schiffern zu vernehmen?

BOTE.

Kein einzger weiß es, dass er’s klar berichten könnte,

es sei denn Helios, der alles nährt, was auf der Erde wächst.

CHORFÜHRER.

Wie, sagst du, griff der Sturm die Flotte an

durch Göttergroll und legte sich dann wieder?635

BOTE.

Den Tag, der Glück verheißt, nicht darf die Zunge

mit schlimmer Botschaft ihn entweihn; die Götter ehren schließt dies aus.

Doch bringt ein Bote seiner Stadt mit finsterem Gesicht

verfluchtes Leid, indem vom Untergang des Heers er kündet –

dass eine Wunde alle Bürger traf der Stadt640

und dass aus vielen Häusern viele Männer

die Doppelgeißel fortgejagt, die Ares liebt,

ein Unheil, doppelschneidig, mörderisches Zweigespann –,

wer freilich ist mit solcher Leidenslast bepackt,

der singt mit Fug und Recht der Rachegeister Preisgesang.645

Doch ich, der ich als froher Bote komm des Rettungsglücks

in eine Stadt, die sich an ihrem Hochgefühl erfreut,

wie soll ich Übel in das Gute mischen und vom Sturm

erzählen, der Achaias Flotte traf nicht ohne Götterzorn?

Denn es verschworen sich, die sonst doch ärgste Feinde waren,650

das Feuer und das Meer, und stellten ihren Treuebund zur Schau,

vereint vernichtend der Argeier Unglücksheer.

Des Nachts erhoben sich die Übel eines schlimmen Wellensturms,

und Thrakiens Winde schmetterten die Schiffe

eins gegen’s andre; diese, mit Gewalt sich mit den Hörnern rammend655

im Tosen des Orkans und im Gepeitsch der Regenböen,

verschwanden spurlos in des bösen Hirten Wirbelwind.

Doch als das Sonnenlicht war strahlend aufgegangen,

da sahn wir die Ägäis blühn

von Leichen der Achaier und der Schiffe Trümmerholz.660

Doch uns und unser Schiff – sein Rumpf war unversehrt –

stahl heimlich weg oder bat es los vom Untergang

ein Gott – kein Mensch –, der Hand ans Steuer legte,

und Tyche, Retterin, saß wohlgesinnt an Bord des Schiffs,

so dass es nicht am Ankerplatz im Wogensturm zu Schaden kam665

und nicht an harten Felsenklippen kenterte.

Und dann, dem Tod in Meeres Fluten kaum entronnen,

auch selbst im hellen Tageslicht dem Glück nicht trauend,

bedachten sorgenvoll wir nun das Leid

des heimgesuchten, aufgeriebnen Heers.670

Und sollte nun von jenen einer noch am Leben sein,

so reden sie von uns als Umgekommnen – wie auch nicht?

Denn wir vermuten ja dasselbe auch bei ihnen.

Es ende möglichst gut: Erhoff vor allem und zuerst,

dass Menelaos kehrt zurück!675

Auf jeden Fall, spürt ihn ein Strahl der Sonne auf

noch lebensfrisch, das Licht noch schauend, darf man hoffen,

dass dank des Zeus, der Atreus’ Stamm noch nicht vertilgen will,

gewitzten Mitteln er nach Hause wiederkehrt.

Da du so viel nun hast gehört, so sei gewiss: Die Wahrheit ist’s, die du vernahmst!680

(Bote ab.)

2. Stasimon (681–781)

CHOR.

Wer doch nannte sie einst[Str. 1

so völlig zutreffend –

einer wohl, den wir nicht sehen,

der in Voraussicht des Schicksals

Zunge und Wort ganz zielgenau führte –,685

nannte sie, die Speerbraut, die von zwei Parteien Umkämpfte,

»Helena«? Denn passend zum Namen war sie

Hölle für Schiffe, Hölle für Männer,

Hölle für Städte, entfloh den prunkvoll gewebten690

schirmenden Tüchern des ehlichen Lagers und segelte fort

unter dem Wehen des machtvollen Westwinds;

und zahlreiche schildtragende Jäger setzten ihr nach

auf der verschwundenen Spur des Schiffs,695

das gelandet war an Simoeis’ laubreichen Ufern

durch das Werk der blutlechzenden Eris.

 

Für Ilion eine Ehe voll Wehe – so nennt man sie richtig –[Gegenstr. 1

brachte in Gang, ihren Willen durchsetzend,700

Menis, die Göttin des Zorns,

und forderte später dann ein für des Gastrechts

Schändung und Kränkung des Zeus, des Beschützers des Herds,

Vergeltung von denen, die lautstark705

anstimmten das Brautlied,

den Hymenaios, den damals zu singen

den Priamos-Söhnen zufiel als Schwägern.

Doch umstimmen musste die festliche Weise

Priamos’ altehrwürdige Stadt710

in ein Lied reich an Klage; mächtig stöhnt sie jetzt wohl und nennt

Paris den »Unglücksgemahl«,

da sie ein jammererfülltes Leben restloser Zerstörung

wegen des sinnlos vergossenen Blutes715

ihrer Bürger musste erdulden.

 

So zog einmal ein Mann in seinem[Str. 2

Hause ein Löwenjunges auf, dem die Milch seiner Mutter versagt war,

das aber immer noch gierte nach ihren Zitzen;

in seines Lebens ersten Schritten war es720

noch zahm und lieb zu den Kindern,

das Entzücken der Alten;

oftmals lag es in ihren Armen

wie ein Neugeborenes,

schielte mit freudestrahlendem Blick hin zur Hand725

und machte lieb Kind sich unter dem Zwang seines hungernden Magens.

 

Doch ausgewachsen im Laufe der Zeit, entfaltete es[Gegenstr. 2

seine von den Eltern ererbte Natur; denn, vergeltend

es dankend seinen Ernährern, bereitete es sich

in Schafe reißendem Frevel730

ungeladen ein Festmahl;

und mit Blut besudelt wurde das Haus,

ein nicht niederzukämpfendes Leid für seine Bewohner,

schwere Verheerung, Hinschlachtung vieler;

so zog nach göttlichem Willen man auf einen Opferpriester des Unheils735

als neuen Bewohner des Hauses.

 

Zuerst kam in Ilions Stadtburg[Str. 3

ein leibhaftiges Abbild, möchte ich sagen,

der windstillen, heiter glänzenden See,740

ein friedvolles Kleinod, Prunk reichen Hauses,

ein sanftes, wie Geschosse treffendes Blitzen der Augen,

herzzernagende Blüte der Sehnsucht;

dann aber, abbiegend vom früheren Schein,

schuf sie ein bitteres Ende der Hochzeit,745

stiftete Unglück durch ihren Wohnsitz, Unglück durch ihren Umgang

und stürzte sich auf die Priamossöhne,

gesandt und geleitet von Zeus, dem Hüter des Gastrechts,

ein Fluchgeist, der Tränen brachte den Bräuten.

 

Vor langen Zeiten geprägt, gibt’s unter den Menschen ein altehrwürdiges Wort,[Gegegenstr. 3

dass eines Mannes gesegneter Reichtum,751

machtvoll zur Fülle gereift,

sich Nachkommen zeugt und nicht kinderlos stirbt,

und aus Wohlstand und Glück dem Geschlecht755

unaufhörliches Elend erwächst.

Aber von andern geschieden, steh ich alleine

mit meiner Ansicht: Die gottlos-verwerfliche Tat ist’s,

die später Untaten erzeugt, die größer an Zahl sind,

doch ihrer Abkunft entsprechen;760

rechtlich urteilender Häuser Geschick

aber ist immer mit guten Kindern beglückt.

 

Gern erzeugt alte Vermessenheit[Str.4

neue, die jugendlich-frech auftrumpft

in üblen Taten der Menschen,765

jetzt oder später, wenn der bestimmte

Tag der Geburt kommt,

und mit ihr diesen unwiderstehlichen, unbezwinglichen

Daimon, unheilige Tollkühnheit schwarzen

Unheils dem Haus,770

gleichend ganz den Erzeugern.

 

Dike jedoch, die Göttin des Rechts, strahlt[Gegenstr. 4

in übel verrußten Behausungen

und ehrt den Gerechten;775

aber goldprangenden Herrensitzen,

wo Dreck an den Händen klebt, kehrt sie den Rücken

mit abgewendeten Augen und geht dorthin, wo heiliges Recht wohnt,

und achtet nicht Reichtums Macht,

die fälschlich den Stempel des Lobs trägt;780

und alles lenkt sie zu seinem Ziel.

(Agamemnon zieht – mit Gefolge – auf einem Wagen in die Orchestra ein. Hinter ihm, mit einem Tuch halb verdeckt, Kassandra.)

3. Epeisodion (782–974)

CHORFÜHRER.

Nun sag mir, König, Trojas Zerstörer,

des Atreus Spross,

wie soll ich dich grüßen? Wie soll ich dich ehren,785

nicht über- noch unterschreitend

das richtige Maß huldvollen Dankes?

Viele Sterbliche ziehen das Scheinen dem Sein vor