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Es beginnt mit einem Menschenopfer. Agamemnon tötet Iphigenie, deren Mutter tötet Agamemnon, der Sohn Orest tötet die Mutter. Eine ganze Familie bringt sich gegenseitig um: Sühne durch Rache. Bis jetzt. Orest wird nicht getötet, sondern vor ein Gericht attischer Bürger gestellt – der Fluch wird endlich gebrochen. "Die Orestie des Aischylos behandelt auf höchst tragische und ästhetische Weise Grundfragen der menschlichen Existenz und gehört zu den tiefgründigsten Texten, die jemals geschrieben wurden" (Anton Bierl). A. C. Swinburn nannte sie "die größte Leistung des menschlichen Geistes". Bis heute wird die griechische Tragödientrilogie gerne aufgeführt. Der vielfach ausgezeichnete Übersetzer Kurt Steinmann hat sie nun neu übertragen, gewohnt präzise und nah am Original. Im Nachwort verortet der Basler Gräzist Anton Bierl die Orestie in der Kultur, Politik und Religion Athens, beleuchtet ihre dichterische Qualität sowie ihr Fortwirken bis ins 21. Jahrhundert.
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Seitenzahl: 316
Aischylos
Die Orestie
Agamemnon Choephoren Eumeniden
Übersetzung und Anmerkungen von Kurt SteinmannNachwort von Anton Bierl
Reclam
2016, 2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Friedrich Forssman, Cornelia Feyll
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2018
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961174-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019535-2
www.reclam.de
WÄCHTER
CHOR VON GREISEN AUS ARGOS
CHORFÜHRER
BOTE
KLYTAIMESTRA
[TALTHYBIOS] EIN HEROLD
AGAMEMNON
KASSANDRA
AIGISTHOS
(Der Palast der Atriden in Argos. Auf dem flachen Dach der Königsburg liegt ein Wächter.)
WÄCHTER.
Die Götter fleh ich um Erlösung an von dieser Qual,
dem Wachdienst eines langen Jahres, den ich liegend leiste
hier oben auf des Atreus-Hauses Dach nach Hundes Art und so
der nächtlichen Gestirne Treffen bestens kenne,
und die, die Winter und die Sommer bringen uns den Sterblichen5
– strahlende Gebieter, Sterne, die in Äthers Höhn auffällig funkeln –,
je nachdem sie schwinden oder sichtbar werden.
Und so schau ich auch jetzt aus nach dem Fackelzeichen,
dem hellen Feuerschein, der uns aus Troja Nachricht bringt
und Kunde von der Eroberung: denn so verfügt kraft ihrer Macht10
das wie ein Mann entschlossne, bangend-hoffnungsvolle Herz der Frau.
Lieg ich auf meiner taubenetzten Lagerstatt, die in der Nacht mich stets
zum Wachgang aufstört und nie Träume heilsam je besuchen –
denn statt des Schlafs steht mir die Furcht zur Seite,
ich könnte fest im Schlummer meine Lider schließen –,15
und hab ich Lust zu singen oder summen,
dadurch im Lied ein heilend Mittel mir anzapfend gegen Schlaf,
dann klag und stöhn ich um das Unglück dieses Hauses,
das nicht mehr so wie früher bestens wird geführt.
Nun treffe glücklich mir Erlösung ein von dieser Qual20
durchs Feuer guter Nachricht, das im Dunkel hier sich zeigt!
(Ein Feuerschein flammt plötzlich auf.)
O sei gegrüßt, du Quell des Lichts, der in der Nacht die Helligkeit
des Tags verkündet und Darbietung vieler Reigentänze
in Argos, um zu danken für dies Glück!
Iu! Iu!25
Agamemnons Frau geb ich damit lautstark ein Zeichen,
erheben solle sie sich flugs von ihrem Lager und Gejauchze
jubelnd im Palast ertönen lassen diesem Fackelschein
zum Gruß, da Ilions Stadt
erobert ist, wie dieses Feuerzeichen klar vermeldet;30
und ich will selber bald beginnen mit dem Freudentanz.
Denn meiner Herrschaft Wurf fiel glücklich aus; entsprechend tu ich meinen Zug,
da mir dies Feuerzeichen dreimal warf die Sechs.
Nun, träf’s doch ein, dass ich die liebe Hand
des Herrn des Hauses, ist er heimgekehrt, mit meiner fasse!35
Vom andern schweig ich; denn ein großer Ochse steht
auf meiner Zunge. Das Haus selbst, erlangte es nur Stimme,
es spräche überdeutlich! Ich, für mein Teil, rede willig
nur vor Wissenden, vor Ahnungslosen schütze ich Vergessen vor.
(Der Wächter ab ins Haus.)
(Der Chor zwölf alter Bürger von Argos zieht ein.)
CHOR.
Dies ist nun das zehnte Jahr,40
seit Priamos’ mächtiger Feind,
Menelaos, der Fürst, Agamemnon dazu,
mit doppeltem Thron von Zeus und doppeltem Szepter
geehrt, das starke Atriden-Gespann,
der Argiver Flotte, tausend Schiffe an Zahl,45
aus diesem Land
ließ stechen in See als Hilfe im Krieg,
und stießen voll Zorn lautstark Kampfschreie aus,
so wie die Geier, die in maßlosem Schmerz
um die Jungen hoch über dem Horst50
ziehn ihre Kreise,
rudernd mit den Rudern der Flügel,
der nesthütenden
Müh um ihre Brut verlustig;
doch hoch oben hört einer, Apollon,55
Pan oder Zeus, der Vögel im Schrei
schrill gellende Klage, ihrer Mitbewohner des Himmels,
und schickt des Rechts Übertretern
die hinterdrein Ahndende zu, die Erinys.
So schickt Zeus, der mächtiger ist,60
der Hüter des Gastrechts, die Söhne des Atreus los gegen
Paris, um wegen der Frau vieler Männer
viel Glieder niederzwingendes Ringen,
wo das Knie in den Staub sich stemmt
und schon zu Beginn des Kampfes der Lanze65
Schaft zersplittert, den Griechen zuzumessen
und den Troern zugleich. Doch ist es nun, wie es
ist: Es erfüllt sich nach der Bestimmung.
Weder durch Brandopfer noch durch die Spende
unverbrannter heiliger Opfergaben70
besänftigt man den unerbittlichen Zorn.
Wir aber, ruhmlos, durchs Alter des Fleisches
zurückgelassen damals vom Heereszug,
weilen zu Haus, unsre Kraft,
die kindergleiche, lenkend mit Stöcken.75
Denn das jugendfrische Mark, das im Innern der
Brust hüpfend sich regt,
ist greisengleich, und in beiden ist für Ares kein Platz.
So trippelt das Überalter, dem schon das Blattwerk
hinwelkt, dreifüßig dahin seines Wegs,80
und nicht leistungsfähiger als ein Kind
irrt es, ein am Tag erscheinendes Traumbild, umher.
(Klytaimestra tritt auf, das Haus verlassend, begleitet von Dienerinnen, um die Opferhandlung an den Altären vor der Burg zu vollziehen.)
Doch du, Tyndareos’
Tochter, Königin Klytaimestra:
Was ist? Was geschah? Was hast du erfahren,85
aufgrund
welcher Nachricht vollziehst du überall Opfer?
Aller stadtschirmender Götter,
der hoch droben im Licht wie der unter der Erde,
der an den Toren und der auf dem Markt,90
Altäre lodern von Gaben.
Von hier und von dort zum Himmel hinauf
schlägt die Flamme,
verzaubert von des heiligen Öles
sanftem, lauterem Zuspruch,95
der dickflüssigen Spende aus dem Innern des Königspalastes.
Davon sage uns, was dir möglich
und was du darfst, und willige ein und werde zum Heiler
unserer ängstlichen Sorge,
die bald jetzt uns als tief verstörend sich zeigt,100
während bald wieder Hoffnung, aus den Opfern geschöpft,
die du aufleuchten lässt, dem unersättlichen Kummer wehrt
und der mutverzehrenden Trauer im Herzen.
Ich bin befugt, zu singen vom günstigen Zeichen beim Aufbruch[Str. 1
unserer Kriegsmacht – denn noch haucht dank göttlicher Gunst105
Wortmacht uns ein, der Gesänge Kraft, unser Alter –,
wie die doppelt thronende Macht der Achaier, hellenischer Jugend
einträchtige Führung,110
mit Speer und rächender Faust entsandte
der stürmische Vogel zum teukrischen Land,
der Vögel Fürst den Fürsten der Schiffe,
schwarz dieser und jener weißschwänzig,115
erscheinend dicht beim Palast zur Seite der Speerhand
auf allen ins Auge fallendem Horst,
wie sie hinunterschlangen eine von ihrer Leibesfrucht hochträchtige Häsin,
nachdem ihren letzten Lauf sie vereitelt.120
Den Weheruf, Weheruf lasse erschallen, doch das Gute soll siegen!
Und der kundige Seher des Heeres erkannte beim Anblick der zwei wesensverschiedenen[Gegenstr. 1
Söhne des Atreus in den streitbaren Häsinnenfressern
die Führer des Zugs; und so sprach er, deutend das Zeichen:125
»Im Laufe der Zeit erobert als Beute dieser Heerzug des Priamos Feste,
und alles Vieh vor den Mauern der Stadt, reichen Vorrat fürs Volk,
wird Moira gewaltsam vernichten.130
Dass nur nicht Missgunst seitens der Götter verdunkle
die mächtige Klammer, um Troja gelegt
durchs griechische Heer! Denn Artemis, mitfühlend, grollt, die reine,
den geflügelten Hunden des Vaters,135
weil sie die arme Häsin kurz vor dem Wurf samt der Frucht hingeopfert.
Den Weheruf, Weheruf lasse erschallen, doch das Gute soll siegen!
Derart freundlich gesinnt ist sie, die Schöne,[Epode
den hilflosen Jungen wild rasender Löwen141
und den zitzenliebenden Jungen
aller flurdurchstreifender Tiere herzlich gewogen:
darum ersucht sie um Erfüllung der Zeichen,
die teils für günstig, teils für misslich ich halte.145
Den Helfer rufe ich an, Paian,
dass sie nicht durch widrige Winde endlos verzögertes Hindern der Ausfahrt
schaffe den Griechen, hinzielend auf ein anderes Opfer, ein gesetzloses, nicht zu verzehrendes,150
Anstifter zu Streit, der den Gatten nicht scheut, wesenseigen dem Stamm:
harrt dort doch furchtbar, aufs Neue erstehend,
tückischer Hüter des Hauses, kinderrächender Zorn, der niemals vergisst.«155
Solches Verhängnis zusammen mit Fülle des Glücks verkündete Kalchas
aus den Vogelzeichen beim Aufbruch dem Hause des Königs.
Damit im Einklang
lass den Wehruf, den Wehruf erschallen, doch das Gute soll siegen!
Zeus – wer auch immer er sei –, ist ihm[Str. 2
lieb dieser Name,161
dann will ich gern ihn so rufen.
Nichts weiß ich,
wäge ich alles ab,
mit Zeus zu vergleichen, wenn’s nottut, die fruchtlose Last165
ängstlichen Sorgens wirklich von mir zu werfen.
Und von dem, der groß war vor Zeiten,[Gegenstr. 2
von Tollkühnheit strotzend, die jeden Kampf wagt,
wird keiner mehr sprechen – er war.170
Auch der auf ihn folgte,
traf auf seinen Bezwinger und ist weg.
Wer aber freudig auf Zeus erschallen lässt Lieder des Sieges,
wird allumfassende Einsicht erlangen,175
auf ihn, der den Sterblichen wies den Weg[Str. 3
zu richtigem Denken und das Wort »Durch Leiden Erkenntnis«
zum Gesetz erhob von bindender Geltung.
Es tropft statt des Schlafs vor dem Herzen
die Qual erinnerten Leids: auch zu denen,180
die sich sträuben, dringt besonnenes Denken.
Aufgezwungen, denke ich, ist die Gunst der Götter,
welche auf dem erhabenen Sitz des Steuermanns sitzen.
Da wies damals der ältere Führer[Gegenstr. 3
der achaiïschen Schiffe185
keinem der Seher tadelnd die Schuld zu,
nein, fügte sich in das Schicksal, das urplötzlich einschlug,
als durch aushungerndes Hindern der Ausfahrt
das achaiïsche Kriegsvolk schwer Not litt,
das Land gegenüber von Chalkis besetzend,190
in der Gegend von Aulis, wo die Strömung brausend zurückrauscht;
Sturmwinde waren gekommen vom Strymon her,[Str. 4
erzwangen schädliches Nichtstun, brachten Hunger und missliches Ankern,
verstörten die Männer,
verschonten nicht Schiffe noch Taue,195
machten die Zeit doppelt so lang
durch Zermürbung und rieben die Blüte auf
der Argeier; als nun für den scharf-schneidenden
Sturm ein anderes Mittel,
bedrückender noch für die Führer,200
der Seher verkündete, dabei verweisend auf Artemis,
so dass die Atriden ihre Herrscherstäbe
auf den Boden stießen
und die Tränen nicht hemmten,
da sprach der ältere Herrscher die folgenden Worte:[Gegenstr. 4
»Schwer lastet Unheil, hier nicht zu gehorchen,206
doch schwer lastet es auch, wenn
das Kind ich zerreiße, des Hauses Juwel,
nah dem Altar, befleckend mit Strömen von Blut
einer hingeschlachteten Jungfrau210
die Hände des Vaters; welcher dieser Wege ist frei da von Übeln?
Wie kann im Stich ich lassen die Flotte
und so mich verfehlen an der Verbündeten Streitmacht?
Windstillendes
Opfer und das Blut der Jungfrau fordert sie215
wild erregt; doch verbietet es
Themis. So schlag zum Guten es aus!«
Doch als er geschlüpft in das Joch des Zwangs,[Str. 5
gottlosen Umschlag seiner Sichtweise atmend,
unreinen, unheiligen, von da an220
dachte er um, entschlossen, auf das Unerhörte zu sinnen;
Sterbliche macht tollkühn ja Schändliches ratender,
unverfrorener Wahn, der Ursprung des Leids.
Wie auch immer – er bracht’s über sich,
seiner Tochter Töter zu werden, zugunsten eines Kriegs,225
der rächen sollte den Raub eines Weibes
und als Opfer für die Flotte, ehe sie abfuhr.
Ihre Bitten, ihr Schreien »Vater! Vater!«[Gegenstr. 5
und ihre jungfräuliche Jugend galten nichts
den aufs Kämpfen erpichten Führern.230
So befahl der Vater den Opferdienern nach dem Gebet,
sie zu ergreifen und hoch sie zu heben wie eine Ziege über den Altar,
mit dem Antlitz nach unten, sie, die mit all ihrem Mut
flehend fiel auf Vaters Gewand,
und durch ihres schöngeschwungenen Mundes235
Fesselung zu vereiteln
einen Fluchlaut gegen das Herrscherhaus,
durch die Macht und die zum Schweigen bringende Kraft einer mundversiegelnden Binde.[Str. 6
Ihr safrangefärbtes Gewand zum Boden hin hängen lassend,
traf einen jeden der Schlächter sie mit dem mitleiderweckenden240
Pfeil ihres Blicks, ins Auge fallend wie in einem Gemälde,
sie anzureden gewillt, hatte sie doch schon häufig
im Männersaal ihres Vaters gesungen vor üppig beladenen Tischen,
und mit reiner Stimme pflegte die Unberührte245
das glückverheißende Preislied ihres geliebten Vaters
zur dreifachen Spende innig zu ehren.
Das Weitere sah ich nicht und sage ich nicht;[Gegenstr. 6
wohl aber blieb Kalchas’ Kunst nicht ohne Erfüllung.
Doch Dike wägt denen Erkenntnis zu, die durch Leiden gegangen.250
Und das Künftige – sobald es eintrifft, erfährt man’s; bis dahin, dran keinen Gedanken!
Es kennen, hieße im Voraus jammern,
denn klar wird’s zutage treten mit den ersten Strahlen des Morgens.
(Klytaimestra tritt aus dem Palast.)
Wie auch immer, für das, was folgt, sei der Ausgang günstig, wie255
sie dort es wünscht, die dem König die Nächste, des Apischen
Landes einziges Bollwerk.
CHORFÜHRER.
Ich bin gekommen, Klytaimestra, voll Respekt vor deiner Macht,
denn recht und billig ist’s, des Herrschers Frau zu ehren,
steht verwaist des Mannes Thron.260
Ob du nun Gutes hast erfahren oder nicht
und nur auf gute Nachricht hoffend du zum Opfern gehst,
vernähm ich gerne als loyaler Freund; doch auch dein Schweigen trag ich nicht dir nach.
KLYTAIMESTRA.
Mit guter Kunde gehe, wie das Sprichwort sagt,
das Morgenrot aus seiner Mutter Nacht hervor!265
Erfahren wirst du Freude, größer noch, als du zu hören hoffst:
Argeier nahmen ein die Stadt des Priamos!
CHORFÜHRER.
Wie? Deiner Worte Sinn entging mir, da ich sie nicht glauben kann.
KLYTAIMESTRA.
Troja ist in Griechenhand! Sprech ich nun klar?
CHORFÜHRER.
Freude sickert in mich ein, entlockt mir Tränen.270
KLYTAIMESTRA.
Ja, es verrät dein Auge, dass du treu gesinnt.
CHORFÜHRER.
Was macht dich sicher? Hast du dafür einen Beweis?
KLYTAIMESTRA.
Ja, ohne Frage – wenn kein Gott ein listig Spiel getrieben.
CHORÜHRER.
Hältst du der Traumgesichte Überredungskraft in Ehren?
KLYTAIMESTRA.
Nie hielte ich für wahr das Traumgespinst des schlafbeschwerten Geists.275
CHORFÜHRER.
So stopfte ein Gerücht denn voll, unausgegoren noch, dein Herz?
KLYTAIMESTRA.
Als wäre ich ein kleines Kind, verhöhnst du mich!
CHORFÜHRER.
Seit wann ist eigentlich die Stadt zerstört?
KLYTAIMESTRA.
Seit dieser Nacht, erklär ich, die das heutge Tageslicht gebar.
CHORFÜHRER.
Und welcher Bote käme denn so schnell hierher?280
KLYTAIMESTRA.
Hephaistos, der vom Ida lichten Glanz entsandte.
Ein Flammenzeichen hat das andre auf den Weg gebracht hierher
mit des Feuers Stafettenpost. Vom Ida ging’s zu Hermes’ Vorgebirge
auf Lemnos, und den mächtgen Fackelschein von dieser Insel
empfing als dritter Athos’ steile Höhe, die dem Zeus geweiht;285
in großer Höhe, so des Meeres Rücken überwölbend,
drang der Wanderleuchte Kraft voll Lust
<***>
die Fichtenfackel gab wie eine Sonne weiter
den goldnen Funkelglanz den Ausspähtürmen des Makistos.
Der – ohne Zaudern, auch nicht unachtsam vom Schlaf290
bezwungen – überging nicht seinen Anteil an der Botenpflicht;
von weitem zeigt des Feuerzeichens Licht den Wächtern
auf Messapions Höhen an sein Kommen hin zur Flut des Euripos.
Die entflammten ihrerseits nun ein Signal und gaben so die Kunde weiter,
indem an einen Haufen dürren Heidekrauts sie Feuer legten.295
Voll Kraft und keineswegs verdunkelt, übersprang
der Lichtschein des Asopos Ebne gleich
dem hellen Glanz des Monds bis hin zu des Kithairon Felsgebirge
und löste eine weitre Übernahme aus der Feuerpost.
Nicht wies die Wache ab das weitgereiste Licht,300
ja, ließ es heller flammen, als befohlen war.
Und über den Gorgopis-See schoss nun das Licht,
gelangte hin zum Aigiplanktos-Berg und trieb (die Wächter) an,
den aufgetragnen Feuerdienst nicht zu versäumen(?).
Die zünden an und schicken los mit großer Kraft305
einen mächtgen Feuerschweif, dass er sogar das Vorgebirge übersprang,
das niederblickt auf den Saron’schen Golf, stets vorwärts strahlend;
jetzt stieß er nieder, jetzt erreichte er
des Arachnaion steile Höh, die Warte nahe unsrer Stadt,
und nieder schießt’s hier dann auf der Atriden Dach,310
dies Licht, ein echter Spross des Feuers auf dem Idaberg.
So waren, siehst du, meine Regeln für die Fackelposten,
in Ablösung eines nach dem andern voll erfüllt.
Und Sieger ist, wer als der erste und als letzter lief.
Solch Zeugnis und solch Zeichen meines Mannes nenn ich dir,315
das er mir übermittelt hat von Troja her.
CHORFÜHRER.
Ich werde später zu den Göttern dankend beten, Frau,
doch möcht ich deine Worte nochmals hören – und bestaunen –
vom Anfang bis zum Ende, so wie du sie sprichst.
KLYTAIMESTRA.
Troja ist seit heute in der Griechen Hand.320
Verworrenes Geschrei, dünkt mich, durchgellt die Stadt.
Hast Essig du und Öl in ein Gefäß gegossen,
du würdest sie, da beide sie getrennt verbleiben, Feinde nennen;
so kann die Rufe der Bezwungnen und der Sieger
man unterschieden hören, wie ihr Schicksal ungleich ist.325
Die einen nämlich, über Leichen hingestreckt
von Gatten, Brüdern und von hochbetagten Vätern
die Kinder: aus nicht freier Kehle mehr
bejammern laut sie ihrer Liebsten Tod.
Die andern aber treibt die wilddurchhetzte Not der Nacht330
nach Kampfesende hungrig hin zum Frühmahl, das die Stadt
zu bieten hat – nach keiner rangbestimmten Ordnung,
nein, so wie jeder zog des Zufalls Los.
In speererstürmten Troerhäusern,
da wohnen sie nunmehr, erlöst von Frost335
und Taubenässung unter freiem Himmel, und gleich Glückverwöhnten werden sie
die ganze Nacht durch ohne Wachen schlafen.
Wenn sie die Schutzgottheiten des besiegten Landes
voll Ehrfurcht achten und der Götter Heiligtümer,
dann könnt es sein, dass aus Erobrern nicht Geschlagne werden.340
Wenn nur nicht erst der Lust das Heer verfällt,
was unantastbar ist, zu plündern, von Besitzgier übermannt!
Denn um mit heiler Haut die Heimkehr zu gewinnen,
gilt es, die andre Hälfte zu durchmessen auf des Meeres Doppelbahn.
Doch käme gegenüber Göttern ohne Schuld zurück das Heer,345
so könnte doch der Toten Leid
als schlaflos sich erweisen – wenn nicht plötzlich neues Unheil noch geschieht.
Das also ist es, was von einer Frau, von mir, du hörst;
das Gute aber siege, unzweideutig, klar ersichtlich:
denn reichen Segen hab ich mir erwählt zu (dauerndem) Genuss.350
CHORFÜHRER.
Frau, wie ein kluger Mann sprichst du verständig.
Doch ich, der nun gehört hat deine zuverlässigen Beweise,
mach mich bereit, die Götter anzurufen, wie sich’s ziemt:
denn Gunst, der Mühn nicht unwert, wurde uns erwirkt.
(Klytaimestra ab in den Palast.)
CHOR.
O König Zeus, und du, huldvolle Nacht,355
du Stifterin reicher Beute und ruhmreichen Siegs,
die über Trojas turmgesicherte Mauern du warfst
dein deckendes Fangnetz, so dass kein Erwachsener
und kein Junger sich zu entwinden vermochte
dem mächtigen Zugnetz360
der Knechtschaft allumgarnenden Unheils.
Ja, vor Zeus, dem großen Hüter des Gastrechts, hege ich Ehrfurcht,
der dieses vollbrachte, vor ihm, der auf Paris
längst schon den Bogen so spannte,
dass nicht zu kurz und nicht über die Sterne hinaus365
den Pfeil vergeblich er schösse.
Dass Zeus zuschlug, das wissen die Troer zu sagen;[Str. 1
dies zumindest lässt sich ergründen:
Er handelte, wie er beschlossen. Manch einer bestreitet,
dass die Götter herab sich lassen, sich zu befassen mit Menschen,370
die des Unantastbaren heilige Würde
treten mit Füßen; doch so einer ist ohne Ehrfurcht.
Zutage tritt die Strafe, die sich heftet
an das, was nicht zu wagen erlaubt ist,375
an den Enkeln jener, deren Stolz sich über das Maß bläht,
wenn ihr Haus allzu sehr strotzt vor Reichtum,
sprengend die Grenzen des für sie Besten; so groß sei der Besitz,
dass er kein Leid schafft und hinreicht
dem, der treffliche Klugheit erlangt hat.380
Denn es gibt keinen Schutzwall
für einen Mann, der im Hochgefühl seines Reichtums
mit Füßen stieß des heiligen Rechts
hohen Altar ins vernichtende Dunkel.
Gewalt übt aus die dreiste bestrickende Rede,[Gegenstr. 1
die unwiderstehliche Tochter der vorab zielsetzenden Göttin des Unheils:386
Jegliches Mittel dagegen ist zwecklos. Verborgen bleibt nicht,
nein, strahlt hervor, ein grausig leuchtendes Licht, die Schuld.
Wie in minderwertigem Bronzegerät390
durch Abrieb und Stöße,
ebenso haften schwarze Flecken unauslöschlich im Frevler,
hat vor Gericht er die Strafe empfangen,
denn er jagt, ein Kind, einem Vogel im Flug nach,
nachdem er Schaden über die Stadt, nicht zu ertragen, gebracht hat.395
Sein Flehen hört keiner der Götter,
sondern ihn, der auf solchen Rechtsbruch sich einlässt,
den Ungerechten, merzt aus eine Gottheit.
Solcher Art war auch Paris: Er kam
in das Haus der Atriden400
und entweihte die gastliche Tafel
durch Entführung der Gattin (des Hausherrn).
Die aber ließ den Bürgern der Stadt zurück das Getümmel[Str. 2
schildtragender Krieger, das Legen von Hinterhalten
und die Rüstung der Flotte,405
brachte anstelle der Mitgift Troja Vernichtung,
schritt beschwingt durchs
Tor und wagte das Unwagbare. Laut stöhnten
des Palasts wortführende Männer und sprachen die folgenden Worte:
»Wehe, wehe, Haus, du Haus, und ihr, seine Fürsten!410
Wehe, du ehliches Bett und ihr Spuren der Schritte, mit denen die liebende Frau sich ihm nahte!
Man kann das Schweigen des Verlassenen sehen,
ein Schweigen, der Ehre beraubt, das nicht schmäht, das nicht fleht:
Vor Sehnsucht nach ihr, die floh übers Meer,
wird er wähnen, ihr Geist regiere im Hause.415
Der Zauber wohlgestalteter Statuen
ist dem Gatten verhasst;
da er Helenas Blicke entbehrt,
ist ihm jedes Liebesverlangen geschwunden.
Und im Traume erscheinend tauchen Trauer auslösende[Gegenstr. 2
Wahnbilder auf und bringen421
Lust, die (bloß) Trug ist.
Trügerisch nämlich, wenn einer sieht, was vermeintlich beglückt,
huscht durch die Hände und schwindet das Traumbild, begleitet425
hernach nicht wieder auf Flügeln die Pfade des Schlafes.«
Dies ist das Leid am Herd im Palast,
ja dies, und was es noch weit übertrifft.
Und nimmt man das Ganze: Um die aus griechischem Land gemeinsam aufgebrochenen Krieger
zeigen die Frauen mit tapfer ertragendem Herzen430
im Haus eines jeden, deutlich zu sehn, ihre Trauer.
Ja, vieles ist’s, das zutiefst an das Herz rührt:
denn jene, die man entsandt hat,
die kennt man, doch statt der Männer
kehren (nur) Urnen und Asche zurück435
ins Heim eines jeden.
Ares, der Goldwechsler, der Leichen eintauscht[Str. 3
und die Waagschalen hält in der Speerschlacht,
schickt von Ilios her den Verwandten440
im Feuer verkohlten, schwer lastenden,
schmerzlich beweinten Staub,
anstelle der Männer nur Asche,
sie füllend in leicht zu verstauende Urnen.
Jene aber beklagen sie, einen jeden lobpreisend,445
den als kundigen Kämpfer,
diesen, weil tapfer er fiel im Gemetzel –
um das Weib eines andern.
Darüber knurrt mancher im Stillen,
und grollgesättigter Schmerz schleicht450
zu den Atreus-Söhnen heran, den Führern, Verfechtern des Rechts.
Andere aber liegen dort rings bei der Mauer
in Gräbern ilischer Erde,
Männer, (gefallen) in der Blütezeit ihrer Schönheit;
nun, da er in ihrem Besitz, verbirgt sie der feindliche Boden.455
Schwer aber lastet der Bürger zornige Rede (auf den Atriden);[Gegenstr. 3
sie bezahlt, was dem Fluch ist geschuldet, den ausgesprochen das Volk.
Und in mir verharrt die ängstliche Sorge,
zu hören, was die Nacht noch verdeckt.460
Denn die viele erschlagen,
sind im Blickfeld der Götter, und die schwarzen
Erinyen machen im Laufe der Zeit
den vom Erfolg Verwöhnten, der das Recht in den Wind schlägt,
durch Verzehren der Lebenskraft in einem Umschlag des Glücks465
glanzlos und schwach, und weilt er im Reich
der Entwesten, gibt’s für ihn keine Hilfe.
Übermäßiger Ruhm
lastet schwer: denn es fährt
der Blitzstrahl Zeus aus den Augen.470
Ich ziehe ein Glück vor, das nicht zum Neid reizt,
möchte kein Städtezerstörer sein,
möchte auch nicht, selber gefangen,
mein Leben sehn unterworfen der Macht eines andern.
Unter der Wirkung der Freudenbotschaft des Feuers[Epode
durchdringt das rasche Gerücht476
die Stadt; ob’s aber stimmt,
oder (nur) irgendwie Göttertrug ist, wer weiß es?
Wer ist so kindisch oder beraubt seines Geistes,
dass durch einer Feuerpost unerwartete Botschaft480
er im Herzen entflammt, dann aber,
wenn umschlägt die Nachricht, mutlos verkümmert?
Nur für Frauenherrschaft gilt’s schicklich,
Dankopfern zuzustimmen, ehe die Wahrheit geklärt ist.
Allzu leicht überredend, greift aus der Erlass einer Frau485
schnellen Gangs; doch rasch vergänglich
erstirbt das Gerücht, das ein Weib in Umlauf gesetzt.
CHORFÜHRER.
Gleich werden wir erfahren, ob der hellen Fackelzeichen
flammende Signale und des Feuers Staffellauf,490
was wirklich ist, vermelden, oder ob nach Traumes Art
dies Licht, das so erfreulich kam, bloß unsre Sinne trog;
dort seh ich von der Küste einen Herold nahn,
beschattet von des Ölbaums Zweigen; es bezeugt des Schlammes
Zwillingsbruder, trockner Staub, mir dies,495
dass er nicht sprachlos bleiben, nicht vom Holz der Berge eine Glut
entfachen und durch Feuers Rauch Signale geben wird,
nein, mit seinen Worten wird er unsre Freude steigern, oder –
doch Rede, die dazu im Widerspruch, die hasse ich.
Zum Guten, das sich schon gezeigt, komm weitres Gutes noch hinzu!500
Wenn einer aber fleht mit andrem Ziel für unsre Stadt,
so ernt er selber seines fehlgegangnen Geistes Frucht.
(Der Bote tritt auf.)
BOTE.
O Boden meiner Väter im Argeierland!
In des zehnten Jahres Lichtglanz kehrt’ ich heute heim zu dir;
zerbrochen ist so manche Hoffnung, eine nur ward mir erfüllt:505
Nie nämlich wagte ich zu träumen, hier in der Argeier Land
nach meinem Tod ein Grab zu finden, das mir allerliebst.
Jetzt, Erde, sei gegrüßt, gegrüßt der Sonne Licht,
des Landes Höchster, Zeus, auch und du, Pythos Herr –
nicht länger schleudre mit dem Bogen auf uns Pfeile,510
genug warst du uns gnadenlos an des Skamandros Ufern,
jetzt dagegen sei uns wieder Retter und ein Gott, der heilt,
Apollon, Herr! Und alle Götter, die hier sind versammelt,
sie grüße ich, vor allem Hermes, meinen Schützer,
den lieben Herold, welchen jeder Herold hoch verehrt,515
und euch, Heroen, Ahnengeister, die’s geleiteten:
Nehmt freundlich wieder auf das Heer, das übrig ließ im Kampf der Speer.
O Hallen unsrer Könige, geliebtes Haus,
ehrwürdge Sitze und ihr Götterbilder, zugewandt dem Sonnenlicht,
wenn je zuvor, empfangt mit diesem strahlend frohen Blick520
den König nach so langer Zeit, wie sich’s gebührt!
Denn er ist da und bringt euch Licht in düstrer Nacht
und allen hier zugleich, er, Agamemnon, unser Herr.
So heißt denn freundlich ihn willkommen – denn so ziemt es sich –,
der Troja eingeebnet hat mit Zeus’,525
des Rachebringers, Karst, mit dem der Grund dort ist zerwühlt.
Es sind verschwunden die Altäre und die Götterbilder,
und des gesamten Landes Saat ist ausgemerzt.
Ein solches Joch hat er dem Nacken Trojas umgehängt,
der ältre Atreus-Sohn, der Herr, und kehrt als glücksverwöhnter Mann530
zurück, von allen Menschen unsrer Zeit am meisten wert,
geehrt zu werden; Paris nicht, noch die mit ihm mitbüßt, die Stadt,
kann prahlen, ihre Tat sei größer als ihr Leid.
Denn der Entführung und des Diebstahls schuldig,
büßt’ ein er seine Beute und zu völligem Verderben mähte535
er nieder seiner Väter Haus zusammen mit dem Land:
So büßten doppelt ihren Rechtsbruch Priams Söhne.
CHORFÜHRER.
Freu dich, sei willkommen, Herold des Achaierheers!
BOTE.
O ja, ich freue mich; jetzt tot zu sein: Nicht länger widersetz ich mich den Göttern.
CHORFÜHRER.
Hat Sehnsucht dich nach diesem deinem Vaterland zermürbt?540
BOTE.
So stark, dass meine Augen sich mit Freudentränen füllen.
CHORFÜHRER.
Erfreulich also war die Krankheit, die euch dort befiel?
BOTE.
Wie das? Nicht eh du’s mir erklärt, begreif ich, was du sagst.
CHORFÜHRER.
Nach denen, welche eure Lieb’ erwiderten, verzehrte euch Verlangen.
BOTE.
Du meinst, dass unser Land und Heer sich nach einander sehnten?545
CHORFÜHRER.
Ja sehr, so dass ich oft aus düstrem Seelentief hab aufgeseufzt.
BOTE.
Wie kam’s, dass dieser Trübsinn, dieser Gram auf deinem Herzen lag?
CHORFÜHRER.
Schon lange nutz das Schweigen ich als Mittel gegen Schaden.
BOTE.
Wie das? Als fern die Herrscher, zittertest du da vor irgendwem?
CHORFÜHRER.
So sehr, dass jetzt – mit deinen Worten – selbst der Tod wär eine große Gunst.550
BOTE.
Ja, gut ging’s aus. Von diesen Dingen freilich könnte einer sagen,
dass in so langer Zeit das eine günstig ausgefallen ist,
das andre Grund zum Tadel gibt. Doch wer – sieht ab man von den Göttern –
wär seine ganze Lebenszeit hindurch verschont von Leid?
Denn wollte ich von unsern Plagen reden und dem harten Nachtquartier,555
dem engen, kärglich ausgelegten Bordgang – ja, was gab’s,
worüber wir nicht stöhnten, was als des Tages Anteil uns nicht ward zuteil?
Dann auf dem Festland kam noch mehr hinzu, das uns zuwider war:
Denn unsre Zelte standen bei der Feinde Mauern,
und her vom Himmel und herauf vom Wiesengrund560
durchnässte Regen uns und Taugetröpfel, eine Dauerqual,
so dass die Wolle unsrer Kleider ganz verlauste.
Und spräche man vom Winter dann, dem Vogelmörder,
den unerträglich uns der Schnee vom Ida machte,
auch von der Hitze, wenn das Meer, versunken565
in windstille Mittagsruhe, unbewegt von Wogen, schlief –
allein, was soll das Klagen noch? Vorbei ist alle Müh,
vorbei ist sie, so dass die Toten selbst darum
sich nicht mehr kümmern, dass sie jemals wieder auferstehn,
für uns jedoch, den Rest des Griechenheeres, überwiegt573
der Vorteil, und das Leid wiegt ihn nicht auf.574
Wozu herzählen die Gefallnen, und wozu570
soll einer, der davonkam, hadern mit des Schicksals Niedertracht?571
Dem Unglück herzhaft zuzurufen: »Lebe wohl!« halt ich für richtig,572
denn stolz im Lichte dieses Tages dürfen wir uns rühmen,575
deren Ruhm im Flug sich breitet über Meer und Land:
»Die Troja endlich eingenommen, der Argeier Heereszug,
sie nagelten den Göttern diese Beutestücke in ganz Griechenland
an ihre Tempel als uralt-ehrwürdgen Schatz.«
Wer solches hört, der muss die Stadt lobpreisen580
und ihre Feldherrn; auch Zeus’ Gnade wird man feiern,
der dies vollbracht hat. Alles weißt du nun.
CHORFÜHRER.
Ich leugne nicht: Mich haben deine Worte eingenommen,
denn immer ist es Jugendzeit für alte Männer, um zu lernen.
(Klytaimestra tritt aus dem Palast.)
Das Herrscherhaus und Klytaimestra geht natürlich deine Botschaft585
vor allem an, doch sie beglückt zugleich auch mich.
KLYTAIMESTRA.
Schon längst schrie jubelnd ich vor Freude auf,
als in der Nacht die erste Feuerbotschaft kam,
zu melden Ilions Fall und Untergang.
Und mancher sagte da, mich scheltend: »Haben Feuerzeichen dich dazu gebracht,590
zu wähnen, Troja sei nunmehr zerstört?
Gewiss, es ist des Weibs Natur, sich leicht im Herzen zu begeistern!«
Durch solch Gerede stand ich offen als Verrückte da.
Ich brachte dennoch Opfer dar, und sie, nach Frauenart,
der eine hier, der andre dort, quer durch die Stadt,595
ließen freudig Jubelschreie laut ertönen und besänftigten an Göttersitzen
die Feuerglut, indem des Weihrauchs Wohlgeruch sie dazu streuten.
Und jetzt, was brauchst du mir das Weitre noch zu sagen?
Vom Herrscher selbst werd alles ich erfahren.
Mich sputen will ich, meinen hochverehrten Gatten600
bei seiner Rückkehr auf das Beste zu empfangen; denn
was für ein Tag ist wonnevoller in den Augen einer Frau,
als wenn sie, hat ein Gott den Mann errettet aus dem Krieg,
das Tor ihm öffnet? Dies berichte meinem Gatten!
Er komme schleunigst, von der Stadt herbeigesehnt.605
Mög treu im Haus er seine Frau vorfinden, wenn er kommt,
genauso wie er sie verließ, des Hauses Hündin,
ihm zugetan, den Bösgesinnten feind,
die auch in allem andern gleich sich blieb
und nie ein Siegel je erbrach in der so langen Zeit.610
Genuss und Spaß durch einen andern Mann
und übler Leumund sind so fremd mir wie das Härten von Metall.
Das tönt nach Selbstlob, aber da’s die reine Wahrheit ist,
bringt’s keine Schande einer edlen Frau, es auszusprechen.
(Klytaimestra ab in den Palast.)
CHORFÜHRER.
So sprach sie denn, hielt eine Rede dir,615
die wohlgefällig klingt, doch zum Verstehn scharfsichtge Deuter braucht.
Doch Bote, sag – nach Menelaos frag ich dich:
Kehrt er nach Hause? Kommt er wohlbehalten
mit euch zurück, der liebe Herrscher unsres Lands?
BOTE.
Nicht ist’s mir möglich, das, was lügenhaft ist, schönzureden,620
dass draus die Freunde Nutzen zögen lange Zeit.
CHORFÜHRER.
O möcht es dir gelingen, Wahres auszusprechen, das erfreulich ist!
Doch ist verschieden beides, so verbirgt es sich nicht leicht.
BOTE.
Der Mann – verschwunden ist er aus Achaias Heer,
er selber und mit ihm sein Schiff; ich lüge nicht.625
CHORFÜHRER.
Ist allen sichtbar er vor euch aus Troja abgesegelt,
oder riss ein Sturm, ein Unheil, das euch alle traf, fort ihn vom Heer?
BOTE.
Du trafst, dem Meisterschützen gleich, genau ins Ziel,
hast langes Leid in knappes Wort gefasst.
CHORFÜHRER.
Ob er noch lebe oder tot schon sei:630
Was war darüber von den andern Schiffern zu vernehmen?
BOTE.
Kein einzger weiß es, dass er’s klar berichten könnte,
es sei denn Helios, der alles nährt, was auf der Erde wächst.
CHORFÜHRER.
Wie, sagst du, griff der Sturm die Flotte an
durch Göttergroll und legte sich dann wieder?635
BOTE.
Den Tag, der Glück verheißt, nicht darf die Zunge
mit schlimmer Botschaft ihn entweihn; die Götter ehren schließt dies aus.
Doch bringt ein Bote seiner Stadt mit finsterem Gesicht
verfluchtes Leid, indem vom Untergang des Heers er kündet –
dass eine Wunde alle Bürger traf der Stadt640
und dass aus vielen Häusern viele Männer
die Doppelgeißel fortgejagt, die Ares liebt,
ein Unheil, doppelschneidig, mörderisches Zweigespann –,
wer freilich ist mit solcher Leidenslast bepackt,
der singt mit Fug und Recht der Rachegeister Preisgesang.645
Doch ich, der ich als froher Bote komm des Rettungsglücks
in eine Stadt, die sich an ihrem Hochgefühl erfreut,
wie soll ich Übel in das Gute mischen und vom Sturm
erzählen, der Achaias Flotte traf nicht ohne Götterzorn?
Denn es verschworen sich, die sonst doch ärgste Feinde waren,650
das Feuer und das Meer, und stellten ihren Treuebund zur Schau,
vereint vernichtend der Argeier Unglücksheer.
Des Nachts erhoben sich die Übel eines schlimmen Wellensturms,
und Thrakiens Winde schmetterten die Schiffe
eins gegen’s andre; diese, mit Gewalt sich mit den Hörnern rammend655
im Tosen des Orkans und im Gepeitsch der Regenböen,
verschwanden spurlos in des bösen Hirten Wirbelwind.
Doch als das Sonnenlicht war strahlend aufgegangen,
da sahn wir die Ägäis blühn
von Leichen der Achaier und der Schiffe Trümmerholz.660
Doch uns und unser Schiff – sein Rumpf war unversehrt –
stahl heimlich weg oder bat es los vom Untergang
ein Gott – kein Mensch –, der Hand ans Steuer legte,
und Tyche, Retterin, saß wohlgesinnt an Bord des Schiffs,
so dass es nicht am Ankerplatz im Wogensturm zu Schaden kam665
und nicht an harten Felsenklippen kenterte.
Und dann, dem Tod in Meeres Fluten kaum entronnen,
auch selbst im hellen Tageslicht dem Glück nicht trauend,
bedachten sorgenvoll wir nun das Leid
des heimgesuchten, aufgeriebnen Heers.670
Und sollte nun von jenen einer noch am Leben sein,
so reden sie von uns als Umgekommnen – wie auch nicht?
Denn wir vermuten ja dasselbe auch bei ihnen.
Es ende möglichst gut: Erhoff vor allem und zuerst,
dass Menelaos kehrt zurück!675
Auf jeden Fall, spürt ihn ein Strahl der Sonne auf
noch lebensfrisch, das Licht noch schauend, darf man hoffen,
dass dank des Zeus, der Atreus’ Stamm noch nicht vertilgen will,
gewitzten Mitteln er nach Hause wiederkehrt.
Da du so viel nun hast gehört, so sei gewiss: Die Wahrheit ist’s, die du vernahmst!680
(Bote ab.)
CHOR.
Wer doch nannte sie einst[Str. 1
so völlig zutreffend –
einer wohl, den wir nicht sehen,
der in Voraussicht des Schicksals
Zunge und Wort ganz zielgenau führte –,685
nannte sie, die Speerbraut, die von zwei Parteien Umkämpfte,
»Helena«? Denn passend zum Namen war sie
Hölle für Schiffe, Hölle für Männer,
Hölle für Städte, entfloh den prunkvoll gewebten690
schirmenden Tüchern des ehlichen Lagers und segelte fort
unter dem Wehen des machtvollen Westwinds;
und zahlreiche schildtragende Jäger setzten ihr nach
auf der verschwundenen Spur des Schiffs,695
das gelandet war an Simoeis’ laubreichen Ufern
durch das Werk der blutlechzenden Eris.
Für Ilion eine Ehe voll Wehe – so nennt man sie richtig –[Gegenstr. 1
brachte in Gang, ihren Willen durchsetzend,700
Menis, die Göttin des Zorns,
und forderte später dann ein für des Gastrechts
Schändung und Kränkung des Zeus, des Beschützers des Herds,
Vergeltung von denen, die lautstark705
anstimmten das Brautlied,
den Hymenaios, den damals zu singen
den Priamos-Söhnen zufiel als Schwägern.
Doch umstimmen musste die festliche Weise
Priamos’ altehrwürdige Stadt710
in ein Lied reich an Klage; mächtig stöhnt sie jetzt wohl und nennt
Paris den »Unglücksgemahl«,
da sie ein jammererfülltes Leben restloser Zerstörung
wegen des sinnlos vergossenen Blutes715
ihrer Bürger musste erdulden.
So zog einmal ein Mann in seinem[Str. 2
Hause ein Löwenjunges auf, dem die Milch seiner Mutter versagt war,
das aber immer noch gierte nach ihren Zitzen;
in seines Lebens ersten Schritten war es720
noch zahm und lieb zu den Kindern,
das Entzücken der Alten;
oftmals lag es in ihren Armen
wie ein Neugeborenes,
schielte mit freudestrahlendem Blick hin zur Hand725
und machte lieb Kind sich unter dem Zwang seines hungernden Magens.
Doch ausgewachsen im Laufe der Zeit, entfaltete es[Gegenstr. 2
seine von den Eltern ererbte Natur; denn, vergeltend
es dankend seinen Ernährern, bereitete es sich
in Schafe reißendem Frevel730
ungeladen ein Festmahl;
und mit Blut besudelt wurde das Haus,
ein nicht niederzukämpfendes Leid für seine Bewohner,
schwere Verheerung, Hinschlachtung vieler;
so zog nach göttlichem Willen man auf einen Opferpriester des Unheils735
als neuen Bewohner des Hauses.
Zuerst kam in Ilions Stadtburg[Str. 3
ein leibhaftiges Abbild, möchte ich sagen,
der windstillen, heiter glänzenden See,740
ein friedvolles Kleinod, Prunk reichen Hauses,
ein sanftes, wie Geschosse treffendes Blitzen der Augen,
herzzernagende Blüte der Sehnsucht;
dann aber, abbiegend vom früheren Schein,
schuf sie ein bitteres Ende der Hochzeit,745
stiftete Unglück durch ihren Wohnsitz, Unglück durch ihren Umgang
und stürzte sich auf die Priamossöhne,
gesandt und geleitet von Zeus, dem Hüter des Gastrechts,
ein Fluchgeist, der Tränen brachte den Bräuten.
Vor langen Zeiten geprägt, gibt’s unter den Menschen ein altehrwürdiges Wort,[Gegegenstr. 3
dass eines Mannes gesegneter Reichtum,751
machtvoll zur Fülle gereift,
sich Nachkommen zeugt und nicht kinderlos stirbt,
und aus Wohlstand und Glück dem Geschlecht755
unaufhörliches Elend erwächst.
Aber von andern geschieden, steh ich alleine
mit meiner Ansicht: Die gottlos-verwerfliche Tat ist’s,
die später Untaten erzeugt, die größer an Zahl sind,
doch ihrer Abkunft entsprechen;760
rechtlich urteilender Häuser Geschick
aber ist immer mit guten Kindern beglückt.
Gern erzeugt alte Vermessenheit[Str.4
neue, die jugendlich-frech auftrumpft
in üblen Taten der Menschen,765
jetzt oder später, wenn der bestimmte
Tag der Geburt kommt,
und mit ihr diesen unwiderstehlichen, unbezwinglichen
Daimon, unheilige Tollkühnheit schwarzen
Unheils dem Haus,770
gleichend ganz den Erzeugern.
Dike jedoch, die Göttin des Rechts, strahlt[Gegenstr. 4
in übel verrußten Behausungen
und ehrt den Gerechten;775
aber goldprangenden Herrensitzen,
wo Dreck an den Händen klebt, kehrt sie den Rücken
mit abgewendeten Augen und geht dorthin, wo heiliges Recht wohnt,
und achtet nicht Reichtums Macht,
die fälschlich den Stempel des Lobs trägt;780
und alles lenkt sie zu seinem Ziel.
(Agamemnon zieht – mit Gefolge – auf einem Wagen in die Orchestra ein. Hinter ihm, mit einem Tuch halb verdeckt, Kassandra.)
CHORFÜHRER.
Nun sag mir, König, Trojas Zerstörer,
des Atreus Spross,
wie soll ich dich grüßen? Wie soll ich dich ehren,785
nicht über- noch unterschreitend
das richtige Maß huldvollen Dankes?
Viele Sterbliche ziehen das Scheinen dem Sein vor