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Vergleicht man die Paulus-Briefe mit Rudolf Steiners "Philosophie der Freiheit", so kann die Ähnlichkeit beider in wesentlichen Punkten in Erstaunen versetzen und es drängt sich der Eindruck auf, als wäre in den Briefen des Völkerapostels eine prophetische Vorwegnahme von Rudolf Steiners Hauptwerk gegeben. Die vorliegende Arbeit untersucht aber nicht nur das Verhältnis der Paulus-Briefe zur "Philosophie der Freiheit", sondern widmet sich besonders auch dem Christus-Verständnis des Paulus, dessen wahre Tiefe erst vor dem Hintergrund der Anthroposophie erkennbar wird.
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Seitenzahl: 95
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So ist auch, was wir sprechen, mehr als solche Worte, die uns menschliche Weisheit gelehrt hat: es sind Worte, die uns der Geist selber lehrt. Mit geistgeschenkten Gedanken begreifen wir das Geistige.
Der nur seelische Mensch kann nicht in sich aufnehmen, was aus dem Gottesgeist hervorfließt. Es ist für ihn Torheit; er kann es nicht verstehen, denn nur auf geistige Art kann es begriffen werden. Der geistige Mensch jedoch vermag, alles zu verstehen, obwohl er selbst von niemanden verstanden wird.
Wer hätte je die Gedanken des Herrn erkannt? Wer könnte je sein Ratgeber sein? Uns aber sind die Gedanken des Christus gegeben.1
1 Korinther I, 2, 13 – 16. Zitiert nach Emil Bock Das neue Testament. Übersetzung in der Originalfassung. Stuttgart 1998.
Vorwort
Einleitung: Von Saulus zu Paulus
Paulus und das Christentum des Ich
Die Freiheitsfrage bei Rudolf Steiner
Das Böse und die Sünde
Zur Freiheit seid ihr berufen
Das Wesen des Christus
Die Erscheinung des Christus und der Weg des Menschen
Die neue Christus-Offenbarung und das Mysterium des Bösen
Schlussbemerkung: Die Auferstehung des Christus im Denken
Nachwort
Verwendete Literatur
Der Unterschied zwischen dem Christentum anthroposophischer Prägung und dem konfessionellen Christentum liegt in deren Haltung zur Wesenheit des Jesus von Nazareth in ihrem Verhältnis zum Christus.
Für das konfessionelle Christentum ist es kaum wichtig, zwischen diesen beiden zu unterscheiden. Für die Anthroposophie ist diese Unterscheidung dagegen von entscheidender Bedeutung und man versteht das Christentum anthroposophischer Prägung nicht richtig, ohne den fundamentalen Unterschied zwischen beiden erfasst zu haben.
Für die Anthroposophie ist Jesus von Nazareth als ein Mensch anzusehen, während Christus der aus der Sphäre der Trinität auf die Erde herniedersteigende Gott ist. Der Christus verhält sich zum Jesus von Nazareth, wie die höchste geistige Wesenhaftigkeit zum Erdenmenschen.
Mit anderen Worten, kommt in dem Jesus von Nazareth und dem diesen seit der Jordantaufe „überschwebenden“2 Christus der Gegensatz der Welt des Geistes zu der durch die leiblichen Sinne erfahrbaren physischen Welt urbildhaft zum Ausdruck. Andererseits ist das Wirken des Christus im Jesus von Nazareth auch ein Bild dafür, wie die Kräfte des Geistigen dem Physischen ihre Gestalt einprägen können.
Den fundamentalen Unterschied zwischen der Welt des Geistigen und der durch die leiblichen Sinne erfahrbaren Welt des Physischen klar zu erkennen, war für Rudolf Steiners Entwicklung von entscheidender Bedeutung, wie er in seinem Lebensgang darstellt (GA 28, S. 317). Erst nachdem er sich des Unterschieds zwischen beiden Welten in hinreichendem Grad bewusst war, konnte er daran gehen, eine sichere Erkenntnis von der Art des Wirkens der Kräfte des Geistigen im Physischen zu gewinnen.
Von dieser in seinem Frühwerk entwickelten Erkenntnis führt ein gerader Weg zur Erkenntnis des Mysteriums der Zeitenwende. Denn dieses hängt gerade mit der Gegensätzlichkeit des Geistigen und des Physischen und der Art, wie das erstere im letzteren wirken kann, zusammen.
Nur weil Rudolf Steiner beide Kräfte in ihrer Gegensätzlichkeit in übersinnlicher Anschauung vollkommen durchdrang, konnte er das Christentum in vertiefter Art verstehen und es in eine für unsere Zeit angemessene Form bringen. Diese unserer Zeit angemessene Form des Christentums ist die Anthroposophie.
Die moderne Form des Christentums, wie sie uns in der Anthroposophie Rudolf Steiners entgegentritt, fand sich jedoch bereits kurze Zeit, nachdem das Christus-Ereignis stattgefunden hatte, bei Paulus in keimhafter Gestalt angelegt: Paulus begegnete dem Christus in reinem geistigem Erleben und nicht in dem irdischen Jesus von Nazareth. Deshalb war er sich des Unterschieds zwischen beiden bewusst und davor gefeit, das Geistige des Christus mit dem Irdischen des Jesus von Nazareth zu vermischen.
Bei Paulus leuchtet ein Christentum auf, das einzig auf dem Erleben des Geistigen des Christus gründet. Was er über den Christus zu sagen hat, bezieht sich nicht auf den irdischen Jesus von Nazareth, sondern auf die geistige Wesenheit des Erlösers und vermag so, einen Weg zum Erfassen von deren unermesslicher Bedeutung für Mensch und Kosmos zu weisen.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Brücke sichtbar zu machen, die Paulus, als den ersten bedeutenden Zeugen der geistigen Wirklichkeit des Christus, mit Rudolf Steiner verbindet.
Daß ich so vorwärtsstürme, rührt davon her, daß mir das Ziel wohlvertraut ist. Ich trete als Fechter auf, weil ich weiß, daß meine Schläge nicht in die Luft gehen. Und wenn ich meinen Leib vom Geiste her regiere und ihn so zu meinem Werkzeug mache, so hat das darin seinen Grund, daß ich nicht als Herold vor die Menschen treten will, ohne mich selbst bewährt zu haben.3
2 In Matthäus 3, 16 heißt es, der Gottesgeist habe sich unmittelbar nach der Jordantaufe auf den Jesus herabgesenkt und ihn fortan überschwebt.
In Saulus begegnet man einer Persönlichkeit, die fest mit den Prinzipien des Aus erwählten Volkes verbunden war und die Geheimnisse der hebräischen Lehre als Eingeweihter gut kannte. Saulus wusste, dass der kommende Christus im Kosmos lebt. Aus diesem Grunde fühlte er sich berechtigt, sich an die Spitze des Kampfes gegen die junge Gemeinde der Christen zu stellen, die der Irrlehre anhing, der Christus sei bereits auf die Erde gekommen.
Sein Furor führte ihn schließlich dazu, sich auf den Weg nach Damaskus zu begeben, um – ausgestattet mit einer Vollmacht der Hohenpriester – alle diejenigen gefangen zu nehmen, die sich zu Christus bekannten. Nahe vor Damaskus sah er sich unvermittelt von einer göttlichen Lichterscheinung um fangen, deren Gewalt ihn zu Boden warf und ihm sein Augenlicht nahm. Er hörte eine Stimme, die zu ihm sprach:
Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Er sprach: Wer bist du, Herr. Und er vernahm die Antwort: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh nun auf und gehe in die Stadt. Dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst. (Apostelgeschichte 9, 4 – 6)
Er musste von seinen sprachlosen Helfern an der Hand nach Damaskus geführt werden. Dort verharrte er drei Tage in dem ihm zugewiesenen Haus in inneren Betrachtungen versunken, ohne Essen und Trinken. Erst danach wurde Ananias, der ein Jünger des HERRN war, zu ihm geleitet. Dieser legte ihm die Hand auf, damit er wieder sehend werde. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, fing er sogleich an, Jesus in wortgewaltiger Predigt als den Gottessohn zu verkünden und den Juden zu beweisen, dass Jesus der Christus sei. Darauf beschlossen die Juden, ihn zu töten. Er aber entkam ihnen, da er von den Jüngern des Christus in der Nacht in einem Korb von der Stadtmauer herabgelassen wurde.
Die folgenden drei Jahre verbrachte der zu Paulus gewordene Saulus abge schieden von der Öffentlichkeit, um sich vollkommen im Sinne des von ihm erlebten Christuslichtes umzugestalten.
Danach begann er eine unermüdliche Wirksamkeit zu entfalten, die mit zahlreichen Strapazen verbunden sein sollte, von denen in der Apostelgeschichte berichtet wird, auf die er aber auch selbst in seinen Briefen an die Gemeinden zu sprechen kommt.
Die innere Umwendung, die mit Paulus vor sich gegangen war, erscheint als der denkbar radikalste Lebensumbruch und ist doch nichts anderes als die Konsequenz der Sehnsucht, die er bereits die längste Zeit seines Lebens in sich trug. Sie war es, die ihn früh zum eifrigen Studium der hebräischen Überlieferungen führte und später zum bedingungslosen Verfolger der Christen machte.
Durch das Damaskus-Ereignis erkannte er, dass der Christus bereits auf der Erde gelebt und nunmehr seine Wohnstatt in der geistigen Atmosphäre der Erde eingenommen hatte. Es er staunt, wie rasch er die Umwandlung vom Christen-Hasser zum eigentlichen „Welt-Apostel“4 vollzog.
Mit dem Damaskus-Ereignis wurde der Schleier vor dem weggezogen, wonach er sich sein Leben lang gesehnt hatte. Dadurch konnte das, was immer schon in den Untergründen seiner Seele schlummerte, mit einem Male in das Licht seines Bewusstseins treten.5 Das ist auch der Grund, weshalb er dem von ihm Erlebten nur in Dankbarkeit folgen konnte.
In dem Moment, wo aus seinem Inneren heraufgestiegen ist ein Schauen, in dem Moment, wo ihm der Christus aufgegangen ist als der Ewig-Gegenwärtige, wandte er sich auch hin zu dem Kreuz auf Golgatha. Das innere Christus-Erlebnis brachte ihn an das äußere Christus-Erlebnis heran. (GA 79, 29.11.1921)6
Das weitere Wirken des Paulus zeichnete sich durch seinen vollkommen eigenständigen Charakter aus. Da ist nichts vom Hinnehmen äußerer zwingender Gesetze, von denen sich z. B. Petrus nicht vollständig zu befreien vermochte. Vielmehr scheint alles auf eigenständigem Erleben und sicherem Erkennen zu gründen.
Charakteristisch für Paulus ist es, ausschließlich solchem eigenen Erleben zu folgen. Allerdings handelt es sich um ein von bloßem Eigendünkel vollkommen freies Erleben, das sich in den Dienst der wesenhaft erlebten Wahrheit stellen will. Es ging ihm nicht um persönlichen Ehrgeiz, sondern alleine um den Willen des Gottes, den er erfahren hatte, der sich durch ihn in der charakteristischen Färbung seiner Persönlichkeit äußern wollte. Paulus fühlt sich allein seinem Gewissen, das sich in ihm zum Weltgewissen verwandelt hatte, verpflichtet.
Bereits als Christen-Verfolger war es ihm nicht um persönlichen Ehrgeiz zu tun gewesen. Vielmehr tat er damals das, was er als das Richtige erkannt zu haben glaubte. Als er seinen Irrtum einsah, stellte er sich ohne Zögern in den Dienst des Höheren, das sich ihm vor Damaskus zeigte.
Man kann also sagen, Paulus stellte sich zunächst in den Dienst des Gewissens des jüdischen Volkes, um sich nach seinem Erleben vor Damaskus in den Dienst des in seinem Inneren erwachten Gewissens der ganzen Menschheit zu stellen. Das Gewissen des Volkes, dem er entstammte, hatte sich zum Weltgewissen umgewandelt.
Dadurch ist bei Paulus eine Bedingungslosigkeit zu erleben, die ihn zu einem leuchtenden Ideal über unsere Zeit hinaus machen kann. Die innere Umwandlung, die Paulus beispielhaft vollzog, prädestiniert ihn zum Vorreiter unserer Zeit, wäre doch eine ebensolche Umwandlung gegenwärtig der ganzen Menschheit dringend nötig.
3 Korinther I, 9, 26 – 27
4 Emil Bock Paulus. Stuttgart 1981, S. 47
5 Am 29.12.1913 (GA 149) sagt Rudolf Steiner, man könne den Eindruck haben, als ob sich bei Paulus der Ton der alten Propheten fortsetze. Das kann auch als Hinweis auf seine karmische Vergangenheit als einer der Propheten des alten Testaments aufgefasst werden.
6 Durch das Damaskus-Ereignis sah Paulus „in die Erdenaura hinein und sah, daß der Christus darinnen war. Also mußte der Zeitpunkt, da dieser Christus durch einen physischen Menschenleib gewandelt war, schon dagewesen sein. Der Beweis war ihm geliefert worden, daß der Christus an dem Kreuze gestorben war. Denn derjenige, von dem er wußte, daß er den Tod auf der Erde überwinden würde, der war ihm als geistig Lebendiger erschienen. Das Ereignis von Golgatha kannte er jetzt in seiner Bedeutung. Er wußte: Der Christus ist auferstanden! Denn derjenige, den er gesehen hatte, der konnte früher nicht in der Erdenaura gesehen werden.“ (GA 112, 7.7.1909)
Paulus wurde sich dessen bewusst, dass sich durch das Christus-Ereignis das von außen wirkende Mosaischen Gesetz des Alten Testaments zur von innen wirkenden Kraft der Liebe verwandelt hatte. In Paulus ist der Christus zur Kraft der Seele des Menschen geworden, weshalb er zum Verständnis einer Freiheit gelangen konnte, die der Mensch einzig seinem Wirken verdankt und die doch ausschließlich im Menschen selbst begründet ist.
Was bis dahin als das Mosaische Gesetz von außen auf den Menschen einwirkte, wirkt nunmehr in umgewandelter Form als der Christus im Inneren des Menschen selbst als das Prinzip der Liebe und hat deshalb auch den zwingenden Charakter des Gesetzes verloren. Das war es, was Paulus vor Damaskus erfahren hatte.