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Die Leser von Garp werden sich erinnern: Die Pension Grillparzer ist die erste Erzählung aus der Feder des 19-jährigen Garp mit ihr erobert er Helen, seine spätere Frau. Eine Geschichte voller Verrücktheit und Trauer, mit wiederkehrenden Träumen, verzweifelten Akrobaten, Bären und Wien.
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Seitenzahl: 46
John Irving
Die Pension
Grillparzer
Eine Bärengeschichte
Aus dem Amerikanischen von
von Irene Rumler
Die Pension Grillparzer, 1976 in der Winter-Nummer der amerikanischen Zeitschrift ›Antaeus‹ erstveröffentlicht, wurde zwei Jahre später als Garps erste Erzählung in zwei Teilen in den 1978 erschienenen RomanThe World According to Garp integriert
1996 erschien die Erzählung mit Anmerkungen des Autors im Sammelband Trying to Save Piggy Sneedbei Arcade Publishing, New York
Copyright für die Erzählung © 1976 by Garp Enterprises Ltd.
Copyright für die Anmerkungen des Autors © 1996 by Garp Enterprises Ltd.
Die Erzählung wurde für die 2001 im Diogenes Verlag in der Reihe ›Kleine Diogenes Taschenbücher‹ erschienene Ausgabe neu übersetzt, die Anmerkungen wurden in derselben Ausgabe erstmals deutsch publiziert
Umschlagzeichnung von Edward Gorey
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 2012
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] Inhalt
Die Pension Grillparzer
Eine Bärengeschichte[7]
[7] Die Pension Grillparzer
[9] Mein Vater arbeitete für das Österreichische Fremdenverkehrsamt. Und meine Mutter war auf die Idee gekommen, daß doch die ganze Familie mitreisen solle, wenn er als Spion für seinen Arbeitgeber unterwegs war. So kam es, daß meine Mutter, mein Bruder und ich ihn auf seinen geheimen Missionen begleiteten, deren Zweck es war, Unhöflichkeiten, staubige Winkel, schlechtes Essen und Sparmaßnahmen aller Art aufzuspüren, die sich österreichische Restaurants, Hotels und Pensionen zuschulden kommen ließen. Wir waren gehalten, Schwierigkeiten zu machen, wann immer es ging, nie genau das zu bestellen, was auf der Karte stand, ausgefallene Wünsche anzumelden, wie sie für Gäste aus dem Ausland typisch sind – etwa zu ungewöhnlichen Zeiten baden zu wollen, dringend ein Aspirin zu benötigen oder sich den Weg zum Tiergarten beschreiben zu lassen. Wir waren gehalten, uns anständig zu benehmen, aber lästig zu fallen; und wenn der [10] Aufenthalt beendet war, erstatteten wir Vater auf der Autofahrt Bericht.
Dann sagte Mutter zum Beispiel: »Der Friseur hat am Vormittag immer geschlossen. Dabei wird draußen eigens auf ihn hingewiesen. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, wenn das Hotel nicht behaupten würde, einen eigenen Friseur zu haben.«
»Aber genau das behaupten sie«, sagte Vater dann und hielt das in seinem dicken Notizbuch fest.
Ich war stets der Chauffeur und berichtete aus meiner Sicht: »Das Auto war zwar nicht auf der Straße geparkt, sondern in der Hotelgarage, aber seit wir es dem Portier übergeben haben, ist jemand vierzehn Kilometer damit gefahren.«
»Das sollte man der Hotelleitung direkt melden«, sagte Vater und machte sich eine Notiz.
»Die Toilette war undicht«, sagte ich.
»Ich hab die Toilettentür nicht aufgebracht«, sagte mein Bruder Robo.
»Du hast immer Schwierigkeiten mit Türen, Robo«, meinte Mutter.
»War das denn Klasse C?« fragte ich.
»Ich fürchte, nein«, sagte Vater. »Es ist noch immer als B-Hotel eingestuft.« Eine Zeitlang fuhren wir schweigend weiter; die Frage, ob ein Hotel oder eine Pension neu kategorisiert werden mußte, nahmen wir sehr ernst.
[11] »Ich finde, das schreit nach einem Brief an die Hoteldirektion«, meinte Mutter. »Er sollte nicht zu freundlich ausfallen, aber auch nicht richtig grob. Teile einfach die Fakten mit.«
»Einverstanden. Ich fand den Mann ganz sympathisch«, sagte Vater. Er legte stets Wert darauf, die Hoteldirektoren kennenzulernen.
»Vergiß nicht zu erwähnen, daß jemand mit unserem Auto gefahren ist«, sagte ich. »Das ist wirklich unverzeihlich.«
»Und die Eier waren schlecht«, sagte Robo. Er war noch keine zehn, und sein Urteil wurde nicht wirklich ernst genommen.
Weit unerbittlicher als Bewertungsteam wurden wir, als mein Großvater starb und uns Großmutter hinterließ – die Mutter meiner Mutter, die uns von da an auf unseren Reisen begleitete: Johanna, eine alte Dame mit majestätischem Auftreten, die es gewohnt war, in erstklassigen Hotels abzusteigen, während mein Vater weit häufiger B- und C-Unterkünfte unter die Lupe zu nehmen hatte. Kein Wunder, denn die meisten Touristen waren an Hotels (und Pensionen) in dieser Preislage interessiert. Mit den Restaurants erging es uns etwas besser. Auch Touristen, die es sich nicht leisten konnten, in erstklassigen Hotels abzusteigen, legten sehr wohl Wert auf Spitzenrestaurants.
[12] »Ich gebe mich nicht dazu her, zweifelhafte Lokale zu testen«, erklärte uns Großmutter. »Mag sein, daß euch diese merkwürdige Betätigung in Hochstimmung versetzt, weil das wie kostenloser Urlaub ist, aber ich sehe schon, daß man dafür einen unzumutbaren Preis zahlen muß: Man weiß nie, in was für einem Quartier man landet. Amerikaner mögen es ja durchaus bezaubernd finden, daß es bei uns noch immer Zimmer ohne Bad und Toilette gibt, aber ich bin eine alte Frau, und ich finde es überhaupt nicht bezaubernd, einen öffentlichen Flur entlanglaufen zu müssen, wenn ich mich waschen oder die Toilette aufsuchen möchte. Und das ist noch lange nicht alles. Man kann sich da auch Krankheiten holen – und nicht nur vom Essen. Wenn mir das Bett dubios erscheint, werde ich mich nicht hineinlegen, das garantiere ich euch. Abgesehen davon sind die Kinder noch klein und leicht zu beeinflussen; denkt doch bloß an das Publikum, das in einigen dieser Absteigen verkehrt, und fragt euch dann ernsthaft, ob das der richtige Umgang ist.« Mutter und Vater nickten, sagten aber nichts. »Fahr nicht so schnell!« herrschte Großmutter mich an. »Du bist ein junger Spund, der nur angeben will.« Ich fuhr langsamer. »Wien«, seufzte Großmutter. »In Wien habe ich immer im Ambassador gewohnt.«
[13] »Das Ambassador steht nicht zur Überprüfung an, Johanna«, sagte Vater.
»Das möchte ich auch meinen«, entgegnete Großmutter. »Gehe ich recht in der Annahme, daß wir überhaupt kein A-Hotel ansteuern?«
»Tja, es ist eben eine B-Reise«, räumte Vater ein. »Jedenfalls weitgehend.«
»Ich hoffe doch«, sagte Großmutter, »das bedeutet, daß es auf unserer Route wenigstens ein erstklassiges Hotel gibt.«
»Nein«, gestand Vater. »Es gibt ein Haus der Klasse C.«
»Das macht gar nichts«, meinte Robo. »In C-Häusern wird viel gestritten.«
»Das kann ich mir denken«, meinte Großmutter.