Die Pferde aus Galdur - Das blaue Band - Sabine Giebken - E-Book

Die Pferde aus Galdur - Das blaue Band E-Book

Sabine Giebken

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Beschreibung

Staffel 2 des fantastischen Pferdeabenteuers auf Island beginnt Fenja freut sich: Ihre Freundin Ingi ist aus den Ferien zurück! Das hilft ihr ein wenig über den Verlust ihres geliebten Pferdes hinweg. Während sich die umliegenden Familien auf das Laufskálarétt, den Pferdeabtrieb aus dem Hochland, vorbereiten, muss Fenjas Familie mit den Folgen des Vulkanausbruchs kämpfen. Ihre Pferde haben sich in alle Winde zerstreut, ein paar konnten sie zwar wiederfinden, doch Baldur und Silfra bleiben verschwunden. Dafür taucht eine junge Stute auf – eindeutig ein Huldu-Pferd! Wenn es nach Ingis Vater geht, soll sie mit der Stute zu Wettkämpfen fahren, um zu gewinnen – dafür müssten sie allerdings die Insel verlassen, und dürften nie wieder zurückkehren … Limitierte, erste Auflage mit Farbschnitt! Weitere Bücher der Reihe: Der goldene Gefährte (Band 1) Die silberne Spur (Band 2) Die roten Runen (Band 3)

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 278

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Pferde aus Galdur

Staffel I

Der goldene Gefährte

Die silberne Spur

Die roten Runen

Staffel II

Das blaue Band

Inhalt

PROLOG

PFERDEFREUNDIN

ALLES ANDERS

LAUFSKÁLARÉTT

DIE FEHLENDEN PFERDE

DER HIRTE

HEIMKEHRER

DIE STREITHAMMELIDEE

DAS WUNDERPFERD

VON VERGESSENEN TÄLERN

HULDU-FEUER

HILFE HINTER DEM HORIZONT

AUßER KONKURRENZ

DIE BOTSCHAFT IM FELS

TURNIERLUFT

EIN UNERWÜNSCHTES ANGEBOT

DER DUNKLE REITER

INGIS VISION

DAS VERSTUMMTE FLÜSTERN

FEUERGESCHICHTEN

DER ERSTE SIEG

EQUINOX

ALTE FREUNDIN, NEUE MISSION

VERFEINDETE

TRAINING MIT ÜBERRASCHUNGEN

BILDER IN DER NACHT

SIEGERPFERD

EINE GOLDENE IDEE

WASSERFALLVERSTECK

DAS GETEILTE GEHEIMNIS

VERLIERERPFERD

DAS BLAUE BAND

DER HIRTE KEHRT ZURÜCK

BLINDE PASSAGIERE

FLÜSTERMAGIE

LICHTCHEN

Leseprobe

Die geheimnisvolle Neue

Seltsame Stäbchen

Total abgefahren

PROLOG

Das Pferd schaute mich an, als es an mir vorbeifuhr. Ich spürte seinen Blick, bevor ich ihn sah, und ich bekam eine Gänsehaut davon. Mich schauten oft Pferde an. Sehr oft. Aber der Blick dieses Pferdes war anders.

»Lilja«, rief ich und presste meine Hände gegen die kalte Scheibe. »Pferde!«

Lilja stellte sich neben mich an das große Fenster. »Oh«, sagte sie nur.

»Wohin fahren die?«

»Sie fahren nicht«, erklärte Lilja. »Sie fliegen.«

Erst jetzt fiel mir auf, dass die Pferde in Metallboxen untergebracht waren. Drei von diesen Boxen passten hintereinander auf den Anhänger, der von einem Truck langsam über das Rollfeld gezogen wurde.

Auf das Flugzeug zu, das unter unserem Fenster wartete.

»Fliegen«, flüsterte ich andächtig. Ich selber war noch nie geflogen. Ein bisschen hatte ich sogar Angst davor. Was, wenn so ein Flugzeug abstürzte? Aber es musste toll sein, zwischen den Wolken durchzugucken. Einen kurzen Moment war ich neidisch auf die Pferde.

»Es macht mich jedes Mal traurig.« Lilja seufzte.

Ich drückte meine Nase gegen die Scheibe. Traurig. So guckte das Pferd, das mich immer noch anschaute. Seine Augen waren ganz dunkel und groß, so wie Liljas Augen, bevor sie anfing zu weinen. Natürlich konnten Pferde nicht weinen. Nur traurig gucken.

»Warum?«, fragte ich. »Ist es so schrecklich dort, wo sie hinfliegen?«

Lilja gluckste. »Nein, Dummchen. Es ist nur traurig, dass sie fort sind. Von Island.«

Der Truck mit dem Anhänger hatte das Flugzeug erreicht. Am Bauch des Flugzeugs ging eine Klappe auf und eine Rampe fuhr heraus. Eine Metallbox nach der anderen wurde eingeladen, und jetzt erkannte ich, dass viele Pferde in ihnen standen, mindestens vier oder fünf, dicht beieinander.

Ich presste meine Nase gegen das Fensterglas, um besser sehen zu können, und etwas Seltsames geschah. In dem Nebel, den ich an die Scheibe atmete, erschienen winzige, dürre Buchstaben.

Að eilífu.

Verwirrt trat ich einen Schritt zurück. Aber die Worte verblassten ebenso schnell, wie sie erschienen waren, und ich schaute wieder nach draußen.

Das Pferd mit dem traurigen Blick war in der letzten Metallbox. Es versuchte, seinen Kopf durch die Öffnung zu schieben, aber natürlich war die viel zu klein. In dem Moment, als seine Metallbox über die Schwelle ruckelte, wieherte es plötzlich, ganz laut und so flehend, dass ich es sogar durch die Fenster der Flughafenhalle hörte.

»Keine Angst«, rief ich dem Pferd zu. »Wenn es blöd ist, wo du hinfliegst, kommst du einfach wieder zurück!«

Die Scheibe vor mir beschlug so plötzlich, dass ich das Pferd nicht mehr sehen konnte. Und als sich der Nebel verzog, war die Klappe am Flugzeugbauch geschlossen und das Pferd, all die Pferde, in seinem finsteren Bauch verschwunden. Dafür waren die Worte wieder da.

Að eilífu. Það er ekki aftur snúið.

Für immer. Es gibt kein Zurück.

PFERDEFREUNDIN

»Kommst du?«

Ich hörte die Stimme meiner Freundin wie aus weiter Ferne. In meinem Kopf rauschte und brodelte es, und ich hatte das Gefühl, die Asche riechen zu können, die sich in einer düsteren, unheilvollen Wolke über unserem Vulkan erhob.

Máni ging einen Schritt nach vorn. Bis kurz vor die Kante. Er schnaubte. Alles gut!, sollte das heißen. Islandpferde sind super darin, einen zu beruhigen. Weil kaum etwas sie je aus der Fassung bringt. Außer ein explodierender Vulkan vielleicht.

Aber heute gab es kein Feuer und keine Rauchwolke und auch keine panisch herumreitenden Wölfe, heute gab es hier oben nur Ingi und mich und die Pferde. Und ich war es gewesen, die auf den Gletscher gewollt hatte. Bis zu der Stelle, an der wir vor wenigen Wochen mitansehen mussten, wie unser Vulkan ausbrach.

Unser Vulkan. Ich nannte ihn immer noch so. Und eigentlich mochte ich ihn auch immer noch. Er gehörte zu uns, solange ich denken konnte. Zu unserem Leben, zu unserer Farm, zu Island. Und obwohl er ausgebrochen war, ausbrechen musste, hatte er unser Haus verschont und nur ein paar der Gästehütten beschädigt, worüber ich gar nicht so traurig war. Denn das bedeutete, dass ich eine Weile meine Ruhe vor neuen Wölfen haben würde und auch niemand kommen würde, der unsere Pferde wegkaufte!

Nur – die Pferde. Die waren leider ein Problem, denn auch nach fünf Wochen hatten wir nicht alle von ihnen wiedergefunden. Ein paar waren von allein zur Farm zurückgelaufen, und einige hatten wir im Hochland eingesammelt, sobald wir wieder nach Hause zurückkehren durften. Aber von vielen fehlte auch jetzt noch jede Spur. Von Snjór zum Beispiel. Von Skuggi, Vindur und Hraun. Und einigen anderen.

Und von Baldur.

Aber ihn würden wir nicht finden, ganz egal, wo wir suchten. Pabbi wusste das nicht. Niemand wusste es und ich würde es ihnen nicht sagen. Baldur war zurück in seine Welt gegangen, in eine Welt aus Magie, und hatte damit das Gleichgewicht auf Island wiederhergestellt. Er hatte uns alle gerettet, er und Silfra – und obwohl ich stolz war und sehr dankbar, bedeutete es auch, dass ich ihn niemals wiedersehen würde.

»Fenja, Mensch!«

Ich hob den Kopf und wischte mir die Tränen aus den Augen. Ohne es zu merken, hatte ich zu weinen begonnen.

»Können wir vielleicht heute noch weiterreiten? Grönn hat keine Lust, länger hier herumzustehen!«

»Ich komme ja schon. Wenn Grönn es möchte.«

Ingi grinste, als ich Máni herumdrehte und ihn zu ihr hinauftölten ließ. Grönn warf den Kopf herum und stampfte ungeduldig mit dem Huf auf. Der Wind blies kräftig und die Pferde wollten los! Das würde ein schönes Wettrennen werden, denn auf halbem Weg den Gletscher hinauf zweigte ein lang gestreckter Grasweg ab, der bis zur Farm von Ingis Familie führte.

Aber ich konnte nicht gehen. Noch nicht.

»Warte«, rief ich und nahm Mánis Zügel kurz.

»Was ist denn noch?«, stöhnte Ingi. Sie strich sich ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht und kniff die grünen Augen zusammen. »Ich hab Hunger, wir sind jetzt schon ewig hier oben.«

»Ich will sehen, ob es noch …« Mitten im Satz brach ich ab, weil ich nicht wusste, was genau ich nachgucken wollte. Ob es noch da war? Ob es noch bewohnt war?

Ich ließ Máni eine kleine Volte gehen und ritt bis dicht an die Felsen heran, aber ich musste eine ganze Weile suchen, bis ich es zwischen den Felsen entdeckte.

Das Álfhól.

Es schien grau geworden zu sein. Als hätten die Felsen abgefärbt. Das gelbe Moosdach war wohl von einem Regensturz davongespült worden und die Fensterkreuze hatten Knicke bekommen oder waren sogar ganz verschwunden. Nichts an dem winzigen Häuschen sah magisch aus oder elfisch oder so, als würden geheimnisvolle Lichter herausschweben und Feenknoten in meine Haare flechten, mit denen man Schicksalspferde rufen konnte. Es sah nur noch aus wie ein unbewohnter, verrutschter Felsbrocken.

»Hier war es«, murmelte ich, halb zu mir selbst. »Hierher haben sie uns gelockt.«

»Genau wie damals«, sagte Ingi neben mir und schüttelte sich. »Buah, gruselig! Wir haben das Feuer gesehen, weißt du noch? Als ich diesen Traum hatte …«

»Du wusstest ja nicht, was für ein Feuer es war.«

Ingi streckte die Hand aus und klopfte an den gezackten Spalt in dem Álfhól.

»Also, hier ist nichts mehr«, stellte sie fest. »Nichts und niemand.«

Grönn verdrehte die Augen. Und auf einmal musste ich lachen.

»Du, Ingi, Grönn findet es heute total langweilig mit uns.«

»Hm. Dann schlage ich vor …« Ingi ließ Grönn einen Halbkreis gehen und lostölten. »… wir treffen uns gleich bei mir«, rief sie über die Schulter.

»Kannst du vergessen!« Ich verlagerte mein Gewicht auf die Steigbügel. »Komm, Máni, zeig, was du kannst!«

Wir tölteten Ingi und Grönn nach, bis wir den Schotterweg hinter uns gelassen hatten und wieder weiches, federndes Gras unter den Hufen spürten. Hier trennte sich die Realität von meiner Erinnerung, und das klamme Gefühl, das mich auf den Gletscher begleitet hatte, fiel von mir ab wie Regentropfen. Máni bockte ein wenig und galoppierte an. Der Wind erfasste uns mit voller Wucht, als wir den schützenden Schatten des Berges verließen, aber er kam von hinten, und so konnten wir seine Kraft für uns nutzen. Ich lenkte Máni nur ein Stück nach links und schon schossen wir an Grönn vorbei!

Das ließ Grönn sich natürlich nicht gefallen. Ihre Beine wechselten den Takt und sie galoppierte ebenfalls. Immer wilder wirbelten unsere Haare im Wind, immer schneller wurden unsere Pferde! Sie stachelten sich gegenseitig an. Aber weder Ingi noch ich kannten sie, die Angst vor der Geschwindigkeit. Wir wurden eins mit dem Wind und dem donnernden Takt der Hufe, und wir schrien sogar, um die Pferde noch mehr anzufeuern!

Ganz knapp vor der Zufahrt zur Farm zupfte ich leicht an Mánis Zügel. Sofort wurde er langsamer, fiel wieder in Tölt und schließlich in einen kurzen, schnellen Schritt. Er nickte und schnaubte. Das wilde Rennen hatte ihm genauso viel Spaß gemacht wie mir!

»Unentschieden«, behauptete Ingi und kraulte Grönns Mähne. »Wir sind ein bisschen aus der Übung.«

»Von wegen, du hast klar verloren!«

»Ach ja? Davon träumst du höchstens!«

Wir grinsten uns an. Es war total egal, wer von uns gewann. Darum ging es gar nicht. Es machte einfach Spaß, so wild zu reiten! Wenn wir mit den Erwachsenen unterwegs waren, durften wir das nicht. Da musste immer jemand die Kontrolle haben. Aber wenn wir allein ritten, interessierte uns das nicht. Die Pferde passten schon auf sich selbst auf! Und wir waren nur ihre Passagierinnen.

»Es ist gut, wieder hier zu sein«, seufzte Ingi und breitete ihre Arme weit aus. »Das hab ich so vermisst!«

Links und rechts von uns grasten unzählige Schafe auf den Weiden. Ihnen konnte der kalte Wind nichts anhaben, denn sie trugen alle noch ihr dickes, über den Sommer nachgewachsenes Wollkleid. Ich lehnte mich im Sattel vor und merkte, wie mein Herz schneller klopfte. Wenn die Schafe hier waren …

»Na«, begrüßte uns ein hochgewachsener, schlanker Mann mit hellblonden Haaren, der sich urplötzlich zwischen den Schafen aufrichtete. »Wilden Ritt gehabt?«

Ingi und ich tauschten einen schnellen Blick. »Na ja …«

Der Mann lachte. Er hieß Einar und war Ingis Pabbi. »Keine Sorge, ich verrate euch nicht. Und? Seid ihr bereit für morgen?«

»Klar«, antworteten Ingi und ich wie aus einem Mund.

»Dann ist es ja gut.« Einar versetzte einem der Schafe einen sachten Klaps und kam zu uns an den Zaun. »Gleich frühmorgens geht es los. Habt ihr Gäste auf der Farm, die uns helfen, Fenja?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Diesmal nicht.«

»Oh.« Einar nickte verständnisvoll. »Aber Kalli bringt ein paar Leute mit, soweit ich weiß.«

»Hm«, machte ich nur und sah wieder zu den Schafen. »Habt ihr Snjór da oben gesehen? Oder andere von unseren …?«

Jemand legte eine Hand auf meine Schulter. Ingi, meine Pferdefreundin, die wusste, wie wichtig der Tag morgen für mich sein würde. Ich schluckte.

»Heute nicht.« Einar lächelte. »Aber zu Hause wartet eine Überraschung auf dich!«

ALLES ANDERS

Einar fuhr mich mit dem Jeep zu unserer Farm zurück. Máni verbrachte die Nacht bei Grönn und den anderen Pferden auf Ingis Farm und würde am Morgen mein erstes Reitpferd sein, wenn wir zum großen Pferdeabtrieb aufbrachen. Normalerweise war das ein riesiges Fest für uns alle, mit Show und Wettkampf und jeder Menge gutem Essen und reichlich zu trinken für die Erwachsenen.

Aber in diesem Jahr war alles anders.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe und sah raus in die windzerzauste Landschaft. Auf die schwarzen Hügel, die sich links und rechts von der neuen Teerstraße auftürmten. Erkaltete Lava. Es hatte gedauert, bis die Experten die Region um unseren Vulkan wieder für sicher erklärt hatten und uns zurück in unser Zuhause gelassen hatten.

Aber wir, das waren nur Mamma, Pabbi, Skip und ich gewesen. Um uns hatte eine Stille geherrscht wie auf einer Geisterfarm. Pferde waren erst nach und nach wieder eingezogen. Fünf hatten sich auf andere Farmen verirrt, drei hatten plötzlich vor dem Stall gestanden. Die anderen aber mussten im Hochland geblieben sein, irgendwo auf sich gestellt.

Es waren Islandpferde. Sie kannten dieses Leben. Weder Wind noch Regen konnte ihnen etwas anhaben. Unsere Mutterstuten und die Fohlen und Jungpferde verbrachten jedes Jahr ihre Sommer dort draußen. Aber immer im Herbst kam der Tag, an dem wir sie einsammelten und für den Winter zurück in unseren Stall holten.

Dieser Tag war morgen.

Nur ging es diesmal nicht nur um die Stuten und die Jungpferde und Fohlen. Diesmal ging es um fast alle unsere Pferde.

Einar hielt im Hof und ließ das Fenster herunter, um ein paar Worte mit Pabbi zu wechseln. Ich stieg aus, bedankte mich für die Taxifahrt und begrüßte Skip, der aus dem Haus gestürmt kam und wild mit dem Schwanz wedelte.

»Du hast eine Überraschung für mich?«, fragte ich Pabbi, als Einar den Jeep wendete und davonfuhr.

»Allerdings.« Pabbi machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Komm mal mit.«

Wir liefen zum Stall hinunter oder, besser, zu dem, was von unserem Stall übrig geblieben war. Die halbe Seitenwand war in sich zusammengefallen, als wäre ein Riese auf das Gebäude draufgetreten. Ein paar Balken hatten wir schon wieder aufgerichtet, aber das meiste davon musste ersetzt werden.

Pabbi lief um den Stall herum, wo wir einen neuen Anbindebalken angebracht hatten. Dort wartete ein Pferd und schaute uns erwartungsvoll an.

»Stjarna«, begrüßte ich sie und strubbelte ihr durch die Mähne.

Die junge Stute schüttelte unwillig den Kopf. Sie hatte null Lust, hier herumzustehen, während die anderen in ihrem provisorischen Auslauf Heu fraßen.

»Ich habe mit Einar gesprochen«, sagte Pabbi. »Über Ingi und Grönn.«

»Was ist mit ihnen?«, fragte ich, ohne von Stjarna aufzugucken. Ihr Fell war hellgelb und glänzte im Sonnenlicht wie Gold. Ich mochte Palominos, aber kupferfarbene Füchse waren mir eindeutig lieber. Oder immer schmutzige Schimmel wie Snjór …

»Er hat mich überzeugt, dass es besser wäre, wenn du dein eigenes Pferd hast«, redete Pabbi weiter. »Ein junges Pferd, das du selbst ausbilden kannst und das auch nur dir zur Verfügung steht.«

Vor lauter Überraschung zupfte ich aus Versehen an Stjarnas Mähne. Unwillig legte sie die Ohren an.

»Stjarna soll mein Pferd sein? Meins allein?«

»Das wolltest du doch immer.« Pabbi lehnte sich an den Balken. »Nun hast du die Gelegenheit.«

Ich schluckte. Oh, und wie ich das gewollt hatte! Ródi zum Beispiel. Ihn hatte ich so, so sehr gewollt! Und Baldur! Was hätte ich darum gegeben, wenn Pabbi mir Baldur gegeben hätte! Dann hätten wir uns keine Sorgen darüber machen müssen, dass er plötzlich verkauft und von Island fortgebracht wird …

»Du freust dich gar nicht«, stellte Pabbi stirnrunzelnd fest.

»Doch!« Ich biss mir auf die Lippe. »Es ist nur … Sie ist …«

»Sie ist nicht Baldur.« Pabbi seufzte und nickte dann langsam. »Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du dein Herz an ein Pferd hängst. Gefühle haben beim Geschäft mit Pferden nichts verloren. Aber wenn es Baldur sein soll, dann ist er genauso gut für dich wie Stjarna.«

Oh weh! Jetzt saß ich in der Klemme. Stjarna blinzelte, als würde sie mich auslachen. Das hatte ich nun davon! Entweder ich verzichtete darauf, ein eigenes Pferd zu haben, eines, das nur mir gehörte und das niemand mir wegnehmen konnte – oder ich schlug jetzt zu und nahm das Geschenk an. Ich konnte Pabbi ja schlecht sagen, dass wir Baldur nicht finden würden, nie, weil er für immer fort war. Unschlüssig sah ich von Stjarna auf meine Füße und wieder hoch zu Pabbi.

»Na, damit ist es entschieden.« Pabbi schmunzelte und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wir finden ihn schon, deinen Baldur.«

Ich atmete aus. Ein Teil von mir war erleichtert und ein anderer, viel größerer Teil wollte schreien und heulen gleichzeitig. Endlich, endlich verstand Pabbi es! Und ausgerechnet jetzt war es zu spät, für immer zu spät.

Zu spät für Baldur.

»Geh bald schlafen«, sagte Pabbi und griff nach Stjarnas Führstrick. Er band sie los und sie folgte ihm eilig zurück zum Gatter. »Morgen wird ein anstrengender Tag für uns.«

Eine Weile stand ich noch nutzlos herum. Zu den wenigen Pferden zog es mich nicht. Da wurde ich nur traurig. Wie von selbst glitt mein Blick den Hügel hinauf. Dort gab es einen Ort, der mich immer getröstet hatte – und der wie durch ein Wunder nicht von dem Vulkanausbruch zerstört worden war.

Dummerweise musste man, um zu dem Ort zu gelangen, über die ehemalige Pferdewiese laufen, und das war gar nicht so leicht. Erdmassen schoben sich übereinander und bildeten riesige Dämme und Wälle, auf denen kein einziger Grashalm mehr wuchs. Unsere Weide war zu einem Schlachtfeld der Natur geworden. Ich kletterte um die Krustentürme und Schlammgebilde herum und fand das einzige Fleckchen Wiese, das genauso aussah wie vor dem Erdbeben.

Die Elfenkuhle.

»Hallo«, flüsterte ich und ging in die Hocke.

Auf einmal war ich aufgeregt, ohne zu wissen, warum. Ob sie hier waren? Ob sie immer noch auf mich aufpassten? Auf mich und auf Baldur? Seit wir wieder auf der Farm waren, war ich erst einmal hier oben gewesen. Wie dumm von mir! Wenn jemand wusste … alles wusste, alles über Baldur und Silfra und die Schicksalspferde … dann waren sie es. Die Flüsterstimmen.

Ich holte tief Luft. Rutschte in die Kuhle hinein, so wie ich es als kleines Kind immer gemacht hatte, um mich zu verstecken. Aber ich war kein kleines Kind mehr. Das Versteck war längst zu klein für mich. Mein halber Körper passte noch hinein und einen Moment lang – da fühlte ich etwas.

»Seid ihr hier?«, wisperte ich. »Ich will nur wissen, ob es ihm gut geht, bitte!«

Ich schloss die Augen. Presste die Lider ganz fest zusammen. Wenn ich mich konzentrierte, dann hörte ich …

… nichts.

Kein Flüstern, keinen Windhauch, gar nichts.

»Oh, bitte.« Ich atmete ganz flach, damit ich auch nichts verpasste. Hoffte und lauschte und wollte unbedingt, dass sie hier waren, so wie immer.

»Bitte«, wiederholte ich.

Aber die Antwort bestand nur aus Stille.

Seufzend klappte ich die Lider wieder hoch. Der Wind war stärker geworden, er rauschte kühl und feucht durch die letzten Grashalme. Vielleicht hörte ich ja bloß nichts, weil der Wind zu laut war?

Also streckte ich die Finger aus und ließ sie durch das Moos gleiten. Das Zaubermoos aus der Elfenkuhle hatte die Kraft, Verletzungen zu heilen und Schmerzen verschwinden zu lassen. Doch etwas sagte mir, dass die Flüsterstimmen und die Magie des Moses zusammengehörten, und wenn die Stimmen fort waren, dann war die Magie es auch.

Ich rupfte an ein paar Stängeln und hielt sie mir an die Wange, aber das Moos war so kalt wie an jeder anderen Stelle auch. Mühsam stemmte ich mich wieder aus der Kuhle und versuchte, nicht zu heulen.

Dieser Ort hatte nichts Tröstliches mehr für mich.

Mit Baldur war alle Magie aus meinem Leben verschwunden.

Ich hörte die Stimmen, als ich wenig später die Tür zum Flur aufdrückte. Geflüsterte Stimmen. Alarmiert hielt ich inne.

»… aufgeben«, sagte Pabbi düster.

»So weit ist es noch nicht«, antwortete Mamma leise. »Noch lange nicht.«

»Die Zahlen sagen etwas anderes.« Pabbi räusperte sich. »Wir brauchen einen Plan B, Kristín.«

»Wir bauen die Hütten wieder auf«, murmelte Mamma. »Und die Gäste kommen wieder.«

»Vielleicht.« Pabbi seufzte. »Aber dafür brauchen wir zuerst die Pferde zurück.«

LAUFSKÁLARÉTT

Die halbe Nacht lag ich wach und dachte über das Gespräch nach, das ich belauscht hatte. Mit unserer Farm stand es schlimm! Natürlich wusste ich, dass wir nicht im Geld schwammen. Pabbi hatte uns oft genug erklärt, dass wir die Pferde nicht zum Spaß hielten, sondern weil sie unser Geschäft waren. Aber seit dem Vulkanausbruch hatten wir keine Pferde mehr. Also gab es auch kein Geschäft.

Wir mussten sie finden. Wir mussten einfach!

Irgendwann in den frühen Morgenstunden war ich wohl doch eingeschlafen, denn Skip weckte mich, indem er mir mit seiner nassen Zunge das Gesicht abschlabberte. Draußen vor den Fenstern war es noch dunkel. Trotzdem war ich sofort hellwach und sprang aus dem Bett. In Windeseile zog ich mir meine Reithose und einen warmen Islandpullover über. Im Bad reichte es nur für eine Katzenwäsche, dann hüpfte ich auch schon die Stufen nach unten.

Draußen hatte Pabbi bereits den Hänger an den Jeep gekoppelt und führte Ylfa und Stjarna ins Freie. Mit nur einem Pferd schaffte man die Strecke normalerweise nicht, aber die Wechselpferde liehen wir uns von Pabbis altem Pferdezüchterfreund Ragnar oder einem der anderen Farmer.

»Heute Abend fahren wir mit einem vollen Anhänger wieder nach Hause«, sagte Mamma zuversichtlich und quetschte sich neben Skip und mich auf die Sitzbank. »Möchte jemand Frühstück?«

Ich schüttelte den Kopf, als sie mir den Behälter mit eklig stinkendem Trockenfisch hinhielt, aber Pabbi bediente sich hungrig, und Skip sagte zu Trockenfisch sowieso nie Nein.

Noch halb im Dunkeln fuhren wir vom Hof. Irgendwie musste ich noch mal eingenickt sein, denn ich wachte wieder auf, als wir von der Asphaltstraße rollten und auf dem holprigen Seitenstreifen anhielten. Sofort drückte ich die Beifahrertür auf und Skip und ich sprangen hinaus.

Zuerst sah ich die Pferde. Gesattelte, wartende Pferde, die brav um den riesigen, runden, noch leeren Pferch aus niedrigen Mauern herumstanden, der mich immer ein bisschen an ein Wagenrad erinnerte. Durch einen Gang gelangte man in seine Mitte und um sie reihten sich lauter kleine Pferche wie Kuchenstücke aneinander. Die Reiter liefen zwischen den Pferden hin und her, schwatzten miteinander, lachten oder reichten Flaschen herum, aus denen alle nur winzige Schlückchen tranken. Regenkluft wurde an Sättel gebunden, Handpferde wurden sortiert, Richtungen besprochen. Ich wusste, was sie sagten und riefen, ich kannte den Ablauf – nur dass normalerweise wir anderen halfen, ihre Pferde aus dem Hochland heimzutreiben.

»Fenjaaa«, schrie jemand irgendwo aus der langen Wagenmit-Anhänger-Reihe. Ein paar Autos vor uns parkte ein Transporter mit der Aufschrift: Englavængir.

»Da ist Ingi!« Ich drehte mich zu meinen Eltern. »Ihr kommt klar, oder? Dann sehen wir uns später!«

»Warte«, rief Mamma mir nach. »Reitest du mit Einar und Sigrún?«

»Wahrscheinlich«, wich ich aus. Eigentlich hatten Ingi und ich nämlich vor, uns der Truppe anzuschließen, die am weitesten in die Berge hinaufritt!

»Skip begleitet dich«, entschied Mamma. Sie beugte sich zu dem Hund und gab ihm die Anweisung, sich an meine Fersen zu kleben.

»Mamma, nein, bitte nicht!«

»Oh doch. Jemand muss auf dich aufpassen.« Sie zwinkerte mir zu und ich verdrehte die Augen.

Ingi hatte Grönn und Máni am Anhänger festgebunden und sattelte gerade ihr Pferd. »Da bist du ja endlich! Wir müssen uns beeilen, die Treiber machen sich schon startklar.«

Ich holte Mánis Sattel und schnallte ihn fest. Mit dem Kinn deutete ich auf Einar. »Was hast du ihnen erzählt?«

»Dass wir mit deinen Eltern reiten, natürlich!«

Wir steckten die Köpfe zusammen und kicherten. Dann verabschiedeten wir uns von Einar und Sigrún und stiegen in die Sättel unserer Pferde. Máni scharrte ungeduldig mit dem Vorderhuf. Er wollte endlich los! Ich legte ihm eine Hand unter die Mähne und spürte, dass er genauso angespannt war wie ich. Dieser Tag war so wichtig! Wahrscheinlich spiegelte Máni meine eigene Aufregung.

Beim Pferch warteten die Treiber. Sie waren alle bester Laune, wie immer gab es viel Gegröle und Gelächter. Jemand drückte mir einen silbernen Flachmann in die Hand, den ich schnell weiterreichte. Dann stiegen die Treiber auf ihre Pferde, und die Stimmung wurde kurz feierlich, während sich alle viel Erfolg wünschten. Und wie auf ein Kommando setzte der Regen ein, um uns in die Berge zu begleiten, genau wie jedes Jahr.

Ich sah mich nach Ragnar um. Da er aussah wie ein riesiger rotblonder Wikinger, war es nicht schwer, ihn in der Menge zu entdecken. Er winkte mir zu und brachte sofort zwei seiner Pferde herüber, eine kleine Schimmelstute, die mich schmerzlich an Silfra erinnerte, und einen schlanken schwarzen Wallach.

»Danke, dass du uns deine Pferde leihst«, sagte ich und griff nach den Zügeln der Schimmelstute.

»Bitte, immer gern. Euch hat es ja schwer getroffen, Fenja. Hoffentlich findet ihr eure Pferde wieder!«

»Ja, hoffentlich«, antwortete ich so höflich wie möglich.

Dann wollte ich mich so unhöflich wie nötig aus dem Staub machen, aber natürlich versperrte Ragnar mir den Weg und sah sich auffällig nach allen Seiten um.

»Wo ist sie denn?«, wollte er wissen.

»Wer?«, stellte ich mich dumm. Dabei wusste ich ganz genau, von wem er redete.

»Na, deine Freundin. Du weißt schon, welche.« Er zwinkerte mir zu.

»Ich bin hier«, rief Ingi und hob die Brauen.

Ragnar lachte etwas zu laut. »Dich sehe ich, Ingi Einarsdottir. Ich meine die andere Freundin.« Er senkte die Stimme. »Die unsichtbare.«

»Elva ist nicht hier«, erklärte ich knapp. »Und sie kommt auch nicht.«

»Oh.« Ragnar machte ein enttäuschtes Gesicht. »Schade. Es wäre doch lustig gewesen, wenn …«

»Ja, sehr lustig. Wir müssen jetzt los. Danke für die Pferde!«

Ingi und ich schlossen uns den Treibern an, und ich war froh, von Ragnar und seiner Fragerei wegzukommen. Es tat immer noch weh, an Elva zu denken. Denn immer wenn ich an Elva dachte, musste ich auch an Baldur denken und an Silfra. Und dann tat mir das Herz weh, so sehr, dass ich ein paar Momente lang kaum atmen konnte.

Wir folgten den anderen Reitern und eine ganze Weile ging es an der geschotterten Straße entlang. Die Hufeisen unserer Pferde klapperten laut auf dem steinigen Boden. Rechts von uns erhoben sich die Hügel des Trollgebirges mit ihren schneebedeckten Kuppen. Die lang gestreckten Hänge hatten längst ihre grasgrüne Farbe verloren. Erst als wir von der Straße abbogen und einen knietiefen Fluss durchquerten, merkte ich, dass Ingi seit unserem Aufbruch kein Wort gesagt hatte.

»He«, rief ich ihr zu. »Hast du deine Stimme im Auto vergessen?«

Ingi warf mir nur einen versteinerten Blick zu.

Skips Kopf tauchte neben Grönn auf. Er musste schwimmen, aber die Strömung war nicht besonders stark, und so konnte er gut mit den Pferden mithalten.

»Bist du sauer?«, fragte ich meine Freundin. »Ich kann doch nichts dafür, dass du den ganzen Sommer lang verreisen musstest.«

»Aber du hättest dir ja nicht gleich eine neue beste Freundin suchen müssen«, maulte Ingi. »Eine, die zu den Huldu gehört und viel cooler ist als ich.«

Ich gluckste. »Eigentlich habe ich sie mir gar nicht gesucht. Das war mehr so … zufällig. Und am Anfang mochten wir uns auch gar nicht.«

Ingi schnaubte. Es klang genau wie bei Grönn. »Und wo ist sie jetzt? Wenn ihr doch so superdicke Freundinnen seid?«

Ich musste schlucken. »Elva ist mit ihrer Familie weggegangen.« Meine Stimme klang belegt, aber Ingi schien das nicht zu bemerken. »Bestimmt kommt sie bald zurück und dann lernt ihr euch kennen!«

»Oh, da denkst du falsch. Ich will sie gar nicht kennenlernen! Ich glaube sowieso nicht an Elfen und Trolle und diesen ganzen Humbug. Und die Huldu, die sind mir höchstens unheimlich. Sie kann gern bleiben, wo sie gerade ist.«

»Jetzt klingst du schon genau wie Mamma und Pabbi«, grummelte ich. »Elva ist anders! Wenn sie nicht gewesen wäre …« Ich verstummte und beugte mich vor, damit Máni leichter aus dem Fluss klettern konnte.

»Ja?«

Aber ich antwortete nicht. Es gab ein paar Dinge, die ich meiner besten Freundin noch nicht erzählt hatte. Die Sache mit den Schicksalspferden. Oder wie Elva und ich in einem brennenden Vulkan gelandet waren und Baldur und Silfra dem Jagari überlassen hatten.

»Siehst du?«, rief Ingi böse. »Du und diese Elva, ihr habt Geheimnisse. Von denen ich nichts weiß. Man hat keine Geheimnisse vor seiner besten Freundin!«

»Du würdest es nicht …«, begann ich, aber ein scharfer Pfiff ließ uns verstummen.

»Mädels«, rief eine der Treiberinnen von vorn. »Wenn ihr mal aufhören könntet zu streiten, wäre es super, eure Hilfe zu bekommen. Wir haben die Herde gefunden!«

DIE FEHLENDEN PFERDE

Vor lauter Aufregung fielen mir beinahe die Zügel aus den Händen. Die Herde – so schnell? Und tatsächlich grasten dort, ganz in der Nähe des Flusses, in einem Tal zwischen den Bergspitzen, wo die Wiesen eine ockergelbe Farbe bekommen hatten, frei laufende Pferde. Die meisten waren Mutterstuten mit ihren langbeinigen Fohlen. Aber es befanden sich auch viele Jungpferde darunter, Stuten und Wallache, die entweder noch nicht im Training waren oder nach dem Einreiten einen letzten Sommer in Freiheit verbringen durften.

Wir rasteten kurz und wechselten unsere Reitpferde. Die Treiber sortierten uns und jedes Team erhielt Anweisungen. Dann schwärmten wir aus. In einem weiten Bogen umstellten wir die Pferde und trieben sie aus dem Tal heraus. Die Mutterstuten kannten das Prozedere und passten auf, dass ihre Fohlen artig mitkamen. Wie viele Pferde es waren, konnte ich gar nicht sagen – zu viele, um sie zu zählen! Es gab keine umzäunten Weiden hier oben, die Pferde konnten gehen, wohin sie wollten, und wählten ihre Freunde selbst aus. So konnte es passieren, dass eine Herde aus Pferden von mehreren unterschiedlichen Farmen bestand.

Ein paar der Jungpferde hatten keine Lust, sich von uns treiben zu lassen. Sie büxten links und rechts aus und bockten wild herum, wenn wir ihnen hinterherjagten. Ein strohblonder Wallach wäre mir fast entwischt, aber Máni half mir und drehte ihm das Hinterteil zu, und der Jungspund lief brav zurück zur Herde.

Es machte Spaß, so eine große Herde zu begleiten! Aber es war auch ziemlich harte Arbeit, und ich schwitzte, obwohl die Luft kalt und der Wind stürmisch waren.

Den Fluss zu durchqueren, war nicht schwierig. Die Pferde bildeten eine lange Reihe und eine Weile sah man nur spritzende Gischt und platschende Hufe. Ich scannte die Pferde … so viele, es waren einfach zu viele … Aber dann merkte ich, was nicht stimmte. Denn eigentlich waren es zu wenig Pferde.

»He«, rief ich der Treiberin zu, die das Sagen hatte. Ihren Namen hatte ich nicht mitgekriegt. »Da fehlen welche. Unsere Pferde sind nicht dabei!«

Die Treiberin wendete ihr Pferd und kam zu mir geritten. »Sicher?«

»Ja. Ganz sicher. Ich habe kein einziges von unseren gesehen.«

Die Treiberin sprach in ihr Funkgerät. Dann schaute sie mich an. »Du bist Fenja, oder? Arons Tochter?«

»Hm.«

»Okay. Wir teilen uns auf. Zwei von uns kommen mit dir, ihr könnt noch mal weiter rauf. Die Herde schaffen wir auch allein.«

Zwei ältere Jungen, Fannar und Örn, die ich flüchtig kannte, lenkten ihre Pferde aus dem Fluss und nickten mir zu. Ich rief nach Skip, der bellend hinter den Pferden herlief und wenig begeistert war, seine Lieblingsarbeit jetzt schon aufzugeben. Aber es half nichts – wir mussten unsere Pferde heute finden. Sonst waren sie in den nächsten Monaten auf sich gestellt. Und die Winter im Hochland waren hart, richtig hart. Sogar für ein robustes Islandpferd.

»Wartet!« Ingi galoppierte auf dem schwarzen Wallach herüber und hielt neben uns an. Grönn sah müde aus, folgte den beiden aber zuverlässig. »Ich komme mit«, verkündete Ingi entschlossen.

Die beiden Jungen wechselten einen Blick und zuckten dann mit den Schultern.

Und so machten wir uns zu viert und mit acht Pferden auf ins Trollgebirge.

*

Lang, lang dauerte der Aufstieg.

Eine ganze Weile ging es über einen Geröllweg, auf dem wir nur langsam vorankamen. Für ein besonders steiles Stück stiegen wir von den Pferden und führten sie an der Steilkante entlang, und ich war froh, als wir wieder aufsitzen und weiterreiten konnten. Wir rasteten, als wir eine Wiese erreichten, und der leise Wind tat gut auf der Haut. Die dicken Wolken klebten jetzt dicht über unseren Köpfen. Aber lang durften wir nicht ausruhen, wenn wir heute noch auf den oberen Weiden ankommen wollten. Wenigstens konnten wir über eine Grasfläche tölten und die Pferde schnaubten zufrieden.

Dann ging es weiter hinauf.

Und hinauf.

Je höher wir kletterten, desto kühler wurde die Luft. Dunstige Schleier sanken von den Bergen herab wie ein Vorhang, der die unheimliche, wilde Weite des Hochlands vor uns verbergen wollte. Und plötzlich musste ich an die Huldu denken mit ihrem kalten Nebel, an das vergessene Tal, das Menschen fernhalten konnte – und natürlich an Elva. Ich glaubte sogar, sie zu sehen, ihren Umriss, dort, wo die Schneekuppe …

»Alles klar bei dir?«, fragte Fannar, der ältere der beiden Treiber. »Brauchst du eine Pause?«

»Was, ich?« Verschreckt sah ich hoch. »Nein, brauch ich nicht. Es ist nur …«

»… gruselig hier.« Fannar grinste. »Denk schon die ganze Zeit, uns beobachtet jemand.«

Ich schluckte meine Antwort herunter. Dasselbe hatte ich auch gedacht! Aber warum sollte Elva im Verborgenen herumstehen und mich beobachten? Dazu hatte sie keinen Grund. Sie hätte einfach winken und Hallo sagen können! Außer … hm.

Außer derjenige, der uns beobachtete, war gar nicht Elva.

Der Dunstschleier wurde dichter. Und düsterer. Er verschluckte den Wolkenhimmel und die Schneekappen der Berge. Er legte sich um die Füße unserer Pferde, als würden wir durch einen tiefen Sumpf waten, und ich dachte, wir kämen nur noch langsam voran, langsam und zäh. Man konnte den nahenden Winter bereits spüren. Und wenn wir die Pferde heute nicht fanden …

»Verdammter Nebel«, murmelte Örn. »Wie soll man da verstreute Pferde finden?«

»Hier oben haben wir keine Chance