Die Pferde aus Galdur - Die roten Runen - Sabine Giebken - E-Book

Die Pferde aus Galdur - Die roten Runen E-Book

Sabine Giebken

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Beschreibung

Zwischen magischen Ponys und isländischer Mythologie …1. Auflage mit Farbschnitt. Nur solange der Vorrat reicht Die Götter stampften einmal kräftig auf, und das Land aus Feuer und Eis brach entzwei. Die Erde begann zu zittern und zu beben. Das tiefe Feuer brach aus einem der Berge und hüllte die ganze Insel in dichten, düsteren Aschenebel. Elva und Fenja wollen vor allem eines: den Sommer gemeinsam mit ihren Pferden genießen. Doch das ist gar nicht so einfach, wenn ein Vulkan Feuer spuckt und sie immer wieder Umrisse sehen und Stimmen hören, die da nicht sein sollten. Das Geheimnis um Baldur und Silfra zu beschützen wird immer schwieriger, denn plötzlich scheint jeder hinter ihnen her zu sein – und damit ist nicht nur das Leben der Pferde in Gefahr, sondern auch das der Mädchen.

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SABINE GIEBKEN

DIE ROTEN RUNEN

Band 3

PROLOG

Ich war es, die das Álfhól fand. Zwischen festen und losen Steinen, am kalten Fuß des Gletschers.

Ródi blieb stehen, sobald mein Blick darauffiel – vielleicht hatte er das winzige Höhlchen auch im selben Moment entdeckt wie ich.

»Ingi«, rief ich und ritt näher heran.

Das Álfhól war anders als die Häuschen, die Lilja hinter dem Stall gebaut hatte. Seine Form ähnelte eher einem zerbrochenen Ei, das sich zwischen den Felsen verfangen hatte. Die Wände bestanden aus unzähligen mäusezahngroßen Schieferplättchen, die mattblau und schwarz schillerten. Kleine und größere Löcher waren mit zarten Fensterkreuzen bestückt, die so winzig waren, dass ich nicht mal meinen kleinen Finger hindurchstecken konnte, und dichtes gelbes Moos fiel über das Dach wie ein schützender Hut.

Es wirkte uralt. So als wäre es nicht zwischen die Felsen gesetzt worden, sondern aus ihnen herausgewachsen. Wie bei jedem echten Álfhól gab es keine Tür, sondern nur einen gezackten Riss, durch den die Elfen ein- und ausgehen konnten. Und obwohl es so fest mit seiner Umgebung verwachsen schien, wirkte es … verletzlich.

»Wow«, flüsterte Ingi und hielt Grönn neben mir an. »Genau das habe ich in meinem Traum gesehen!«

Wir sprangen aus den Sätteln und gingen langsam auf den Felsen zu, die Zügel unserer Pferde fest in der Faust. Mit jedem Schritt wurde es wärmer unter meinen Füßen.

»Hallo?«, fragte ich leise und streckte meine Hand nach dem gezackten Türchen aus.

Eldurinn.

Das Wort war in meinem Kopf, bevor ich es hörte.

Und mir die Fingerkuppe verbrannte.

»Au!«

Ruckartig zog ich meine Hand zurück. Die Schieferplättchen waren glatt und fest und so glühend heiß, als hätte ich auf eine Herdplatte gefasst.

Ingi sah mich erschrocken an.

»Dein Traum hatte recht«, wisperte ich andächtig.

Eine seltsame Art der Neugier erfasste mich und ich streckte noch einmal die Hand aus, ich hielt die Luft an und wappnete mich für den Schmerz und meine Finger berührten …

In genau dem Moment geschah etwas Merkwürdiges. Ein Licht erwachte im Inneren des Álfhól. Winzig klein, aber so hell, dass es mich blendete.

Ródi und Grönn sprangen gleichzeitig rückwärts und rissen an den Zügeln. Ich taumelte, und ich starrte auf die Stelle, bis ich verstand. Das Licht, es kam gar nicht aus dem Álfhól! Es brach sich an seiner schimmernden Oberfläche wie in einem Spiegel. Ein neues Licht, hell wie die Sonne. Ein wärmendes Licht.

Ein Feuerlicht.

Und diesmal hörte ich die Worte, bevor sie in meinem Kopf explodierten:

Eldurinn. Hann skilar sér til þín!

Das Feuer. Es kehrt zu dir zurück!

DER WEG DES WÄCHTERS

Steinwächter. Verborgene Wege. Und dahinter …

Ich trat auf den Weg, der eigentlich gar kein Weg war, sondern nur der Hügel mit seinem Grasboden. Ein Weg wurde er nur, weil die Steinmänner ihn bewachten. Drei, vier, fünf. Meine Schritte führten mich an ihnen vorbei, sehr, sehr langsam, und ich guckte jedem von ihnen in das steinerne Gesicht. Aber sie verrieten nicht, wohin der Weg führte. Sie standen nur still und aufeinandergestapelt da und leiteten mich auf den Vulkan zu.

Helle Stimmen flüsterten wild durcheinander.

»Fenja?«, krächzte Björn hinter mir. »Was … passiert hier?«

Fast hätte ich ihn vergessen. Und am liebsten hätte ich ihn weggeschickt, zurück zur Farm, zurück in sein Flugzeug, das ihn endlich nach Hause bringen würde – aber er hörte ja doch nicht auf mich. Ganz sicher nicht.

Und ehrlich gesagt war mir Björn gerade auch ziemlich egal. Die neblige und trübe Luft wurde noch nebliger und noch trüber. Dichter blasser Rauch hüllte die Füße der Steinmänner ein und legte sich über meinen Weg. Sechs, sieben, acht. Der Rauch stieg höher, erreichte mein Knie, dann meine Hüfte. Als würde ich durch schmutziges Wasser waten. Gleich würde der Rauch die Steinmänner verschlingen und ich könnte den Weg nicht mehr …

Den Weg. Den verborgenen Weg, der auf den Vulkan zuführte. Für einen Moment war die Erinnerung so klar, so deutlich, als wäre ich ihn erst gestern entlanggelaufen. Der Weg führte nicht auf den Vulkan zu – sondern in ihn hinein.

Auf einmal hatte ich es eilig. Ich hatte Liljas Hand umklammert, als ich zuletzt hier gewesen war, aber auch damals hatte ich keine Angst gehabt. Dies war kein kalter Huldu-Nebel, der uns fernhalten wollte, im Gegenteil. Dieser Rauch war warm und freundlich.

Das Flüstern um uns wurde leiser, je näher ich dem Eingang kam. Ja, ich erinnerte mich wieder! Es sah aus, als hätte ein Blitz in den Berg eingeschlagen und ihn gespalten. Dabei konnte kein Blitz der Welt einen Vulkan spalten. Ein Riss zwischen drei unförmigen Zacken klaffte auf wie eine gewaltige Wunde. Er war gerade breit genug für mich. Der Rauch schien genau aus dieser Lücke zu kommen. Er verschlang den letzten Steinmann, den neunten, fast bis zu seinem Hut. Aber jetzt brauchte ich auch keine Führung mehr.

Ich kannte den Weg.

»Fenja!« Björn hielt mich am Ärmel zurück, als ich eben zwischen den Zacken hindurchklettern wollte. »Lass uns gehen, ja?«

»Geh doch«, zischte ich ihm zu. »Du hast hier nichts verloren.«

»Aber … du?«

Ich schüttelte ihn ab. »Ich schon.«

»Dann bleibe ich auch«, sagte er entschlossen.

Ich unterdrückte ein Stöhnen. Warum konnte er nicht blind und taub für unsere Magie sein, so wie all die anderen Wölfe auch? Warum sah er Schatten auf Bildern und spürte Verborgene auf und warum klebte er sich immer und immer ausgerechnet an mich dran? Ich hätte wegrennen müssen. Sofort. Umkehren und ihn loswerden.

Aber das ging nicht. Nicht mehr. Ich musste durch diesen Spalt klettern, ich wusste es. Dummerweise hatte ich den anderen Stein Elva gegeben. Wenn ich jetzt wegging, würde der verborgene Pfad wieder verschwinden und ich würde nie erfahren …

»Du kannst mitkommen«, erlaubte ich. »Aber du hältst dich hinter mir und tust, was ich dir sage, klar?«

»Okay.« Björn atmete tief durch. »Oh Gott, oh Gott. Was ist dadrin, Fenja? Woher kommt dieser Rauch? Was hat das zu bedeuten, sind wir …?«

»Noch eine Regel.« Ich wandte mich kurz zu ihm um. »Ab jetzt redest du nicht mehr, bis wir zurück sind.«

Björn presste die Lippen zusammen. Seine Brille beschlug in dem dichten, warmen Rauch und ich konnte seine Augen nur noch verschwommen erkennen. Die Kamera baumelte von seiner Schulter und ich deutete darauf.

»Und keine Fotos. Nichts, was … Ärger macht. Versprich es!«

Björn nickte. Er sah wirklich verängstigt aus, und ich verstand noch viel weniger, warum er dann unbedingt mitwollte. Doch wohl nicht wegen mir? Dachte er vielleicht, dass er mich beschützen musste? Das war ja lächerlich. Der Einzige, der hier Probleme kriegte, war er.

Zumindest glaubte ich das.

Ich drehte mich wieder zu dem Riss und legte meine Hände an den Stein. Er war warm, und einen Moment sah ich das Feuer vor mir – Feuer, das in den isländischen Vulkanen wohnte. Damals, mit Lilja, waren die Wände auch warm gewesen. Aber der Rauch hatte uns nicht verbrannt.

Er hatte uns etwas gezeigt.

Langsam, um mich nicht an den scharfen Kanten zu verletzen, kletterte ich zwischen den Felsen hindurch ins Dunkle. Zuerst war ich blind, meine Augen brauchten einige Momente, um sich vom nebligen trüben Tageslicht an die rauchige Schwärze zu gewöhnen. Ich blinzelte ein paarmal. So lange, bis sich die porösen hohen Wände aus der Dunkelheit erhoben und ich den Gang erkennen konnte, der schnurgerade in den Vulkan hineinführte.

»Ich denke nicht, dass wir weitergehen sollten«, hörte ich es um mich herum hallen. Vermutlich hatte Björn nur geflüstert, aber die Wände gaben seiner Stimme den Klang von eintausend Tönen, und nun schien das Geräusch von überall zu kommen. Wenn wir bisher unentdeckt gewesen waren, dann waren wir es jetzt ganz bestimmt nicht mehr.

Mit einem Ruck drehte ich mich um und packte Björn am Kragen. Sogar im Schummerlicht sah ich, wie er erschrocken die Augen aufriss. Sein Mund öffnete sich schon wieder – waren Jungs immer so vergesslich? –, und ich presste ihm schnell die Hand auf die Lippen.

»Hmmhm«, nuschelte er und versuchte, meine Hand abzustreifen.

Ich schüttelte den Kopf. Dann legte ich den Zeigefinger meiner zweiten Hand an meine Lippen und wartete, bis er still war. Es dauerte eine Weile, aber ich blieb einfach stur stehen, die Hand fest auf seinen Mund gepresst, so lange, bis er nachgab. Und wie ein junges Pferd hörte er irgendwann auf, herumzuzappeln und gegen meine Finger zu schnaufen, und ich konnte ihn loslassen. Björn japste nach Luft, aber ich schaute ihn warnend an, und er machte eine Geste, als würde er über seinen Lippen einen Reißverschluss zuziehen.

Auf einmal wurden seine Augen wieder groß. Noch größer als gerade eben. Ich trat einen Schritt zurück und wandte mich wieder nach vorn.

Um uns erwachten die Wände zum Leben.

Zuerst waren es nur Schatten, die über Ritze und Vertiefungen huschten, wie Fledermäuse, die im Dunkeln hin und her flogen. Aber die Schatten wurden tiefer, deutlicher, dunkler. Sie formten kleine Symbole und Zeichen wie Pinselstriche, die verschwanden, bevor ich ihren Konturen folgen konnte. Es sah aus, als würde jemand mit dunkler Farbe an die Wände schreiben, aber der Text löschte sich von selbst, zu schnell für unsere Augen.

Und noch etwas fiel mir wieder ein.

Schatten kamen nicht aus der Dunkelheit.

Schatten bedeuteten, da war ein Licht.

Die Erinnerung spülte über mich hinweg wie ein Wasserstrahl, alles prasselte gleichzeitig auf mich ein. Die Schatten und die Bilder, das Zackentor, der Weg in den Vulkan. Das Pferd … und sein Reiter.

Ich atmete tief ein und hielt die Luft an, als würde ich durch den Höhlengang tauchen. Das half mir, nicht zu zögern. Und dann lief ich los. Ich lief den Gang entlang, der mich in den Vulkan führte, ich spürte, wie der Boden unter meinen Füßen warm wurde, warm, aber nicht heiß. Ich achtete nicht auf die Leuchtzeichen an den Wänden, die jetzt Farben bekamen, leuchtend rot und grün wie die Himmelslichter im Winter, ich lief weiter, immer weiter in den Vulkan hinein, ich wusste es wieder, endlich wusste ich es, und es war nicht schlimm oder böse oder gefährlich, es war … wichtig.

Wie konnte ich das vergessen?

Wie konnte ich sie vergessen?

Steinwächter. Verborgene Wege. Und dahinter … die Leuchtstimmen.

ERINNERUNGSLÜCKEN

Sie erhoben sich so plötzlich, als wären sie die ganze Zeit schon da gewesen und jemand hätte sie nur leiser gedreht. Ich verstand kein Wort, denn sie redeten alle durcheinander. Erst als die Lichter damit aufhörten, wilde Schatten an die Wände zu malen, und leuchtend rote und grüne Spuren bildeten, wurde es ruhiger.

»Du bist hier«, hörte ich es von allen Seiten. »Sie ist hier! Fenja ist hier!«

Ich setzte meinen Fuß in die Leuchtspuren und folgte ihnen, und es wurden immer mehr, so lange, bis wir in einer großen ovalen Kammer standen. Seltsamerweise sah es nicht so aus, als würde ich einen Raum betreten – eigentlich rückten die Wände von uns weg und machten uns Platz, uns und den Stimmen, die immer noch um uns herumwaberten.

»Seht nur! Sie sieht aus wie sie!«

Ungläubig blickte ich mich in dem Raum um, der nun voller Lichter war. Und voller Bilder. Ein Fluss brach sich an der Wand und fiel in einem gewaltigen Wasserfall ins Nichts. Grüne Hügel erhoben sich unter meinen Füßen und verbanden sich mit den schwarzen Felsen, die nun weiße Kappen trugen, Schneeberge und gefrorene Gletscherflüsse, und über alldem spannte sich ein farbenprächtiger orangeroter Sonnenaufgang. Ich konnte nicht feststellen, ob die Lichter die Stimmen erzeugten oder umgekehrt. Sie bewegten sich in absolutem Einklang, so wie die Pferde, die nun hinter den Felsen auftauchten und über die Hügel rannten wie über eine gewaltige Leinwand.

Ich wusste, was ich sah. Das hier war unser Land. Unser Zauber.

Aber die Farben verblassten. Als hätte der Wind zu kräftig in das Bild gepustet. Schon konnte ich die schwarzen Konturen der Felswände erkennen und der Boden unter meinen Füßen war wieder nur fester, harter Lavagrund.

»Du musst etwas verstehen, Fenja. Die Prophezeiung. Das Feuer!«

Bei dem letzten Wort erstarben die Lichter und es wurde dunkel und still. Einen Moment stand ich allein in der Schwärze, und ich spürte, wie etwas nach meinem Ärmel griff.

Etwas? Jemand. Björn.

Den hatte ich total vergessen. Er klammerte sich an mir fest wie ein kleiner, verängstigter Junge, also nahm ich seine verschwitzte Hand in meine. Nicht weil ich ihn so unglaublich gern trösten wollte. Sondern damit er den Mund hielt, wie er es versprochen hatte! Und nicht kaputtmachte, was als Nächstes kam.

»Das Feuer«, flüsterte ich zurück.

Und die Leuchtstimmen antworteten: »Das Feuer! Das Feuer!«

Mit jedem Wort wurde es wieder ein bisschen heller, aber auch wärmer. Rauch stieg vom Boden auf. Rauch, der rot schimmerte wie … Feuerrauch. Er sammelte sich zu einem Gebilde, ließ Beine wachsen, einen Hals, eine Mähne – und schließlich den Kopf eines gewaltigen, wunderschönen Pferdes.

Ich erkannte es sofort.

Es war dasselbe Pferd wie damals, es musste dasselbe Pferd sein, nur dass ich es damals noch nicht gekannt hatte. Oder sahen sie sich so ähnlich? All die Pferde des Feuers, von denen in der uralten Legende die Rede war?

»Das Feuer«, flüsterten die Stimmen erneut.

Und mit ihrem Klang loderte die Mähne des Pferdes auf, rote Funken sprühten in alle Richtungen, Funken aus Licht. Sie sahen so echt aus, so real, dass ich keuchend einen Schritt nach vorn trat, Björn losließ und die Arme nach dem Rauchpferd ausstreckte. Aber meine Hände griffen ins Leere, natürlich. Es war nur ein Bild, eine Illusion, so wie alles eine Illusion war, nicht echt, nur Rauch, schwarzer Rauch mitten in einem Vulkan …

Das Pferd wandte nun den Kopf und sah mich an. Seine Augen glühten.

»Baldur«, wisperte ich, und eine Ahnung überfiel mich. Da war noch etwas. Eine Lücke in meiner Erinnerung. Das Pferd … Es hatte etwas mit dem Pferd zu tun!

Auf einmal wirbelte der Rauch ineinander. Die Stimmen bildeten eine neue Figur, einen Reiter mit langen Haaren, der wie selbstverständlich auf dem Feuerpferd saß. Meinem Feuerpferd! Meine Stirn brannte, als ich versuchte, sein Gesicht zu erkennen, aber es blieb rauchig und unscharf.

»Das Feuer«, sangen die Stimmen erneut, und diesmal loderten mehr als nur Funken aus der Mähne des Pferdes. Auf einmal waren die Flammen überall, sie krochen an seinen Beinen hoch, verschlangen Mähne und Schweif, hüllten seinen Körper ein und ließen seinen ganzen Umriss hell und wunderschön leuchten … und verglühen.

»Nein«, schrie ich. »Baldur!«

Ich stürzte nach vorn, in das Trugbild hinein, und fiel hart auf die Knie. Wieder blieb es einen Moment so still und dunkel, dass mein schneller Atem an den Felswänden widerhallte.

Aber nicht lang. Die Stimmen kehrten zurück. Sie redeten wieder alle durcheinander und ihr Licht huschte wie wild über die Felswände. Und dann hörte ich ein neues Wort heraus, eines, das bisher noch nicht gefallen war.

»Galdur. Galdur. Galdur.«

»Warum ist das wichtig?« rief ich und rappelte mich hoch. Mit ausgebreiteten Armen lief ich durch den Raum und versuchte, den Lichtern zu folgen. »Es ist mir egal, versteht ihr? Eure Magie ist mir total egal. Aber dieses Pferd … das ist mir nicht egal. Das werde ich beschützen!«

Da wurde das Licht blass und tropfte von den Wänden wie Tränen. Ich blieb stehen und die Lichter sammelten sich um mich und bildeten ein Oval. Mit leise rauschenden Stimmen versprachen sie: »Es kehrt zu dir zurück, Fenja.«

Erst da bemerkte ich, dass ich nicht allein war. Abgesehen von Björn, natürlich. Es war noch eine Person im Raum. Keine echte Person, sondern eine aus Rauch. Sie war nicht in Flammen aufgegangen, sondern hatte sich an einer Steinwand zusammengekauert und wohl gehofft, unter ihrem Umhang aus dichtem Rauch würde ich sie nicht finden! Aber da hatte sie sich getäuscht. Blitzschnell war ich bei ihr, packte sie und riss ihr den Umhang vom Kopf!

Und etwas sehr Seltsames geschah. Die Rauchperson löste sich auf, so wie sich das Pferd unter meinen Händen aufgelöst hatte, ich konnte sie weder greifen noch fühlen, aber für einen winzigen Moment konnte ich sie … sehen.

Nicht richtig, mit meinen Augen.

Sondern in meinem Kopf.

Und ebenso erinnerte ich mich an ihren Namen: Jagari.

Sie hatte ihn uns schon einmal verraten. Lilja und mir. Es war so lange her, dass meine Erinnerung bestimmt aus lauter Lücken bestand, aber sie war es, die hinter den Schicksalspferden her war.

»Wer ist sie?«, fragte ich aufgewühlt. »Und was hat sie mit den Pferden vor?«

»Jagari sucht«, antworteten die Lichterstimmen. »Finnandi findet. Vertrau, Fenja. Vertrau!«

»Aber es wird ihm doch nichts geschehen, oder? Baldur? Und der Stute auch nicht?«

»Die Prophezeiung«, flüsterte es von allen Seiten. »Du musst verstehen. Du musst es verstehen, Fenja.«

»Was?« Wieder drehte ich mich im Kreis. Ich versuchte, den Stimmen zu folgen, den Lichtern zu folgen, aber sie waren immer noch blass und huschten hin und her. »Was muss ich verstehen?«

»Galdur«, rieselte es von den Wänden, überall um uns herum. »Galdur …«

Die Stimmen bekamen Richtungen und Farben, es schien, als würde ihr Klang die feinen Risse im Lavagestein nachspuren. Kreise und Linien. Wo hatte ich so etwas schon einmal gesehen? In Büchern, bestimmt. Im Geschichtsunterricht. Und Amma hatte manchmal damit geschrieben. Uralte Symbole. Zauberzeichen.

Runen.

Ich richtete mich auf.

Zuerst dachte ich, die Stimmen würden die ganzen Wände mit Runen vollschreiben. Aber dann merkte ich, dass es immer dieselben Zeichen waren, immer dieselben zwei. Und sie alle leuchteten in derselben Farbe: Feuerrot.

»Was …?«, flüsterte ich und trat auf die Wände zu.

Singend und flüsternd lockten mich die Stimmen näher heran. Sie wollten mir etwas zeigen! Da war noch was, ein Geheimnis, eine … Erklärung?

Ich kramte in meinem Gedächtnis, versuchte, mich an die Bedeutung der Runen zu erinnern, die ich kannte. Das Symbol mit den Zacken daran, war das nicht …?

Aus den Augenwinkeln sah ich etwas. Eine Bewegung. Zuerst beachtete ich sie kaum, meine Gedanken waren mit den roten Runen an den Wänden beschäftigt, aber die Bewegung war verboten, ich hatte sie verboten! Ich fuhr herum und sah gerade noch, wie Björn den Deckel von seinem Objektiv entfernte und die Kamera vor sein Auge hob.

»Björn, nein!«

Aber es war zu spät. Das Klickgeräusch seiner Kamera war kaum hörbar, aber auch dieser Hauch von einem Ton hallte durch die Höhle wie ein Schuss. Im nächsten Moment flutete grelles, unnatürliches Blitzlicht den Raum.

»Verdammt, was hast du gemacht?«, keuchte ich.

Die Lichter flackerten und wirbelten wild im Kreis, und der Raum um uns drehte sich, schneller, immer schneller. Ich versuchte, mich festzuhalten, an den Zeichen an der Wand, an Björn, an meinen eigenen Gedanken.

Wieder wurde es schwarz um uns. Schwarz und stumm.

Und diesmal blieb es dabei.

ZWEI VERPASSTE FLÜGE SPÄTER

Ich blinzelte. Es war hell und das Licht blendete meine Augen. Wieder blinzelte ich, heftiger diesmal. Eigentlich war es gar nicht so hell. Es war nur nicht mehr dunkel. Daran mussten sich meine Augen gewöhnen. Langsam streckte ich die Hände aus. Ich lag auf dem Boden, weichem, moosigem Boden. Vor mir erhob sich unser Vulkan in den Himmel.

Vor mir?

Oh nein, nein! Ich sprang auf die Füße und sah mich um. Da, der Wächter. Aber nur er, nur einer. Kein verborgener Weg mehr.

Und keine Flüsterstimmen.

»Nein, nein!«, rief ich und rannte los, auf den Vulkan zu.

Hier war es gewesen, hier, genau hier! Jetzt, als alle Erinnerungen wieder da waren, als ich den Weg kannte, brauchte ich den Wächter nicht mehr, ich würde den Eingang auch so finden! Aber wo ich auch suchte und tastete, meine Finger berührten nur kalten schwarzen Stein.

»Nein«, jammerte ich und klopfte und hämmerte dagegen. »Bitte, ich habe noch nicht alles verstanden, bitte, ich muss zurück, hört ihr?«

Eine Stimme sagte: »Sorry. Ehrlich.«

Ich fuhr herum. Beinahe hätte ich mich auf Björn gestürzt, aber er sah so zerknirscht aus, dass ich es ließ.

»Ich hab’s verbockt. Stimmt’s?«

»Allerdings«, grummelte ich.

Björn ließ den Kopf hängen. »Das war so, so gruselig mit diesem Rauchmädchen, hast du das auch gesehen? Und die Stimmen, haben die …?«

»Björn«, stöhnte ich. »Lass es. Bitte. Keine tausend Fragen über Dinge, die du nie verstehen wirst.«

Ich ging zurück zu dem Wächter, bückte mich und versuchte, ein Steinchen aus seinem Körper zu ziehen. Aber natürlich ging das nicht und es wäre auch nicht richtig gewesen. Niemand bestahl einen Wächter.

Seufzend hob ich den Kopf – und sah Flandri und Snjór, die ganz in der Nähe standen und grasten. Immerhin die beiden waren dageblieben.

Björn ging auf Flandri zu, hielt dann aber unsicher an.

»Fenja«, sagte er alarmiert und zeigte auf Flandris Beine. »Was zur Hölle ist das?«

»Was hast du denn nun schon wieder?« Ich ließ den Wächter allein und lief zu ihm.

Und für einen Moment überfiel mich der Schreck. Flandri und auch Snjór waren an den Beinen gefesselt! Gleich oberhalb des Gelenks. Nicht fest, sondern so, dass sie sich langsam, Schritt für Schritt, vorwärtsbewegen konnten. Was nicht ging, war davonlaufen.

»Woher weißt du, wie man das macht?«, wollte ich wissen.

»Wer, ich?« Entsetzt schaute Björn mich an. »Ich habe das doch nicht gemacht!«

»Ich auch nicht!«

Björn wurde blass. »Wer dann?«

»Keine Ahnung.« Ich ließ mich in die Hocke nieder und löste die Fesseln. Beide, Flandri und Snjór, waren sichtlich erleichtert, sie los zu sein. Aber sie liefen nicht gleich davon, sie blieben bei uns. »Wer immer das gemacht hat, hat es richtig gemacht.«

»Wie, richtig? Was ist daran richtig, ein Pferd zu fesseln?«

Ich hielt die Fesselseile hoch. Sie waren aus Schafwolle gearbeitet und konnten von praktisch überall stammen. »Na, früher haben die Menschen ihre Pferde so gefesselt, wenn sie im Hochland unterwegs waren und in winzigen Schutzhütten übernachten mussten. Da gab es keinen Paddock und keine Zäune. So konnten die Pferde herumgehen und Futter suchen, aber nicht weglaufen.«

»Oh«, machte Björn.

Ich steckte die Seile ein und zog mich in einem Satz auf Snjórs Rücken hinauf. »Wir sollten gehen. Hier können wir nichts mehr ausrichten.«

Björn hatte es ziemlich eilig, in Flandris Sattel zu kommen. Dabei war er so wild darauf gewesen, den Wächter zu besuchen.

»Bist du sauer?«, fragte er, als wir losritten.

»Weiß ich noch nicht«, gab ich zu.

Aber was ich eigentlich dachte, war: Alles hat einen Grund. Und nur Björn und seiner Neugier hatte ich es zu verdanken, dass ich den Weg des Wächters überhaupt wiederentdeckt hatte.

*

Agnes stand in der Tür, als wir auf die Farm einbogen. Sie hielt ein Handy ans Ohr gedrückt und vergaß wohl gerade, dass sie eben noch mit jemandem geredet hatte. Ihr Mund klappte auf und sie starrte uns an wie zwei Geister.

Erst da wurde mir klar, wie das aussehen musste. Wie wir aussehen mussten – zusammen, nach einer verlorenen Nacht.

»Das glaub ich jetzt nicht«, keuchte Agnes und ließ das Handy sinken. »Wo zur Hölle kommt ihr zwei her?«

Björn warf mir einen raschen Blick zu. »Äh … also, das … glaubst du mir wahrscheinlich wirklich nicht, aber wir … also …«

Agnes verließ den Türstock und kam zu uns gestampft. Ich glaube, der Boden bebte ein bisschen unter ihren Schritten.

»Seid ihr völlig verrückt geworden? Habt ihr eine Vorstellung davon, was hier los war, als ihr zwei nicht nach Hause gekommen seid?« Agnes stoppte so dicht vor Flandri, dass der einen kleinen Hüpfer machte.

»Es tut uns leid«, mischte ich mich ein. »Wir sind eingeschlafen. Nicht freiwillig«, fügte ich schnell hinzu, als Agnes die Augen aufriss.

»Wir haben eine Höhle gefunden«, erklärte Björn. »Hinter dem Vulkan. Und wir … wir haben uns verirrt und dabei sind wir in die Nacht gekommen und dann …«

In Agnes Augen sammelten sich Tränen. Sie schluchzte auf und schlug eine Hand vors Gesicht.

Björn guckte mich erschrocken an. Das schlechte Gewissen sollte ihn auffressen! Warum hörte er auch nie auf mich? Nur mit Agnes hatte ich Mitleid. Sie hatte sich bestimmt eine Million Sorgen um ihn gemacht.

Langsam rutschte Björn vom Pferd und nahm seine Mutter in den Arm. Sie heulte nun richtig, ich sah, wie ihre Schultern bebten. Das Handy baumelte sinnlos an ihrer Hand, also ließ ich Snjór ein Stück näher herangehen und griff danach.

»Hallo?«, fragte ich in den Hörer.

»Agnes?«, antwortete eine Stimme, die ich ziemlich gut kannte. »Was ist los?«

»Sie sind wieder hier«, sagte ich schnell. »Also, wir. Wir sind wieder hier.«

Einen Augenblick war es still am anderen Ende. Dann hörte ich ein Grunzen und eine Art zustimmendes Brummen. Es könnte aber auch ein Knurrgeräusch gewesen sein.

»Dann ist ja gut«, antwortete Pabbi nur und legte auf.

Agnes hatte sich wieder beruhigt und blickte mit tränenverschmierten Augen zu mir auf.

Ich reichte ihr das Handy.

»Es tut uns wirklich leid«, murmelte ich. »Wir wollten nicht so lang wegbleiben, ehrlich!«

»Und ihr seid auch sicher in Ordnung?«, schniefte Agnes. »Niemand hat euch wehgetan oder euch festgehalten?«

»Nein«, sagte ich fest. »Uns geht es gut. Bis auf … Wir haben einen Riesenhunger.«

Agnes atmete zweimal tief durch. Dann straffte sie die Schultern, stemmte die Hände in die Hüften und rief: »So. Und was erzähle ich meinem Chef, warum ich am Montag nicht im Büro sitze? Kannst du mir das mal verraten?«

Björn warf die Arme in die Luft. »Es war keine Absicht, okay? Sag ihm einfach, du kommst … du kommst zwei verpasste Flüge später heim.«

Agnes legte den Kopf ein bisschen schief. »Wenn ich jemals rauskriege, dass du absichtlich weggeblieben bist, damit wir nicht nach Hause fliegen, dann … dann verschenke ich dein komplettes Kamera-Equipment an ein Kinderheim!«

Björn schnaufte entrüstet und setzte zu einer neuen Erklärung an, aber Agnes umarmte ihn noch einmal und noch fester. Sie würde seine Kamera nicht verschenken, sie war viel zu froh, Björn gesund und munter wiederzusehen. Aber natürlich war es blöd, dass sie ihren Flug schon wieder verpasst hatten. Beim letzten Mal hatte das Bodenpersonal gestreikt und sie mussten umbuchen. Diesmal war es unsere Schuld.

Oder nein – eigentlich war es ganz allein Björns Schuld! Wäre er nicht zu dem Steinwächter geritten und hätte dort herumgeschnüffelt, dann wäre das alles niemals passiert. Mich traf gar keine Schuld, ich hatte ihn ja sogar angebettelt, dass er ging! Und wer hatte nicht auf mich gehört und Fotos gemacht, obwohl ich es verboten hatte? Genau. Diesen Murks hatte Björn sich ganz allein zuzuschreiben.

Entschlossen reckte ich das Kinn vor, sprang vom Pferd und brachte Snjór und Flandri in den Auslauf zu den anderen. Hinter mir hörte ich, wie Agnes seufzte: »Hach, ist ja auch egal. Dann werde ich mich wohl mal um neue Flüge kümmern.«

PFERDETAUFE

Es dauerte nicht lang, bis unser Jeep vor dem Haus parkte. Nicht lang genug, um mir eine wilde Geschichte auszudenken. Und eigentlich war das auch gut so, denn Pabbi hätte mich sowieso durchschaut.

Sie stiegen beide aus – Mamma und Pabbi.

Mamma reagierte genauso wie Agnes: Sie lief auf mich zu und nahm mich ganz fest in den Arm. Sobald ich wieder Luft bekam, schaute ich Pabbi an. Aber er sagte nichts, gar nichts. Er sah mich nur an, dann drehte er sich um und ging langsam ins Haus.

»Er hat sich Sorgen gemacht«, erklärte Mamma leise. »Wir haben die halbe Nacht nach euch gesucht!«

»Wir sind eingeschlafen«, erklärte ich vage. »Wir waren gar nicht weit, nur hinter dem Vulkanhügel …«

Mamma sah mich ernst an. »Wichtig ist nur, dass ihr wieder hier seid. Über alles andere sprechen wir später, ja?« Sie wandte sich ebenfalls zum Haus, drehte sich aber noch mal um. »Was ist mit den Pferden? Sind sie bei euch geblieben?«

Ich nickte. Ja, das waren sie – aber nicht ganz freiwillig. Doch davon erzählte ich Mamma lieber nichts.

»Tu mir einen Gefallen, und sieh nach, ob die neuen Pferde etwas brauchen«, bat sie müde. »Ich habe noch so viel zu tun. Heute Nachmittag kommen schon die neuen Gäste an.«

Björn folgte mir ganz selbstverständlich zum Paddock, wo die neuen Pferde standen. Und weil ich wusste, dass er sich sowieso nicht abschütteln ließ, durfte er gleich ein bisschen arbeiten und frisches Wasser herbeischleppen. Ich lehnte mich solange an den Zaun und beobachtete unsere drei Neuankömmlinge.

Silfra.

Eigentlich hatten wir nur sie mitnehmen wollen. Niemand außer mir und Elva wusste, was sie wirklich war: ein Pferd mit einem großen Schicksal, ein Pferd aus einer uralten isländischen Legende – das Pferd des Eises. Genau wie Baldur war sie die Behüterin der ursprünglichen Magie, die unser Land so besonders machte. Und sie wäre beinahe gestorben, ertrunken in den eiskalten Fluten der Silfra-Spalte, im Reich zwischen den Kontinenten. Nur dank Elvas Träumen und Baldurs Hilfe hatten wir sie retten können!

Aber Silfra war nicht allein gewesen. Die beiden Frauen, denen sie gehört hatte, wollten lieber an der Blauen Lagune Urlaub machen. Und da störten die Pferde natürlich, die sie sich für ihre Reise gekauft hatten.

Also hatten Elva und ich sie mitgenommen, Silfra und die braune Stute und den Wallach mit dem geistergrauen Fell. Seine Fesseln waren schwarz, so als wäre er durch schlammige Pfützen gelaufen. Zuerst hatte ich geglaubt, das wäre er tatsächlich – auch Silfra hatte an dem Tag, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, ausgesehen wie ein Schecke! Erst als sie ins Wasser gesprungen war, hatte sich ihre wahre Farbe enthüllt.

Aber die Füße des Graufalben waren tatsächlich schwarz. Und sie blieben es auch, nachdem wir durch drei Flüsse geritten waren.

»Sie brauchen noch Namen«, murmelte ich und streckte die Hand nach der braunen Stute aus.

Natürlich kam sie nicht, sie kam nie, wenn sie nicht musste. Das hatte ich schon auf dem Weg hierher gemerkt. Zuerst war sie noch folgsam neben Elva und Silfra gelaufen, aber sobald sie kapiert hatte, dass kein Seil sie neben uns zwang, waren ihre Schritte kurz und schnell geworden, und sie hatte es vermieden, in der Nähe von Menschen zu bleiben. Das galt auch für die Nähe von Huldus, da machte sie keinen Unterschied. Elva hatte immer wieder versucht, sie zu locken, aber die Stute war stur auf Abstand geblieben. Ich wollte mir nicht mal vorstellen, was sie alles Schlimmes auf ihrer früheren Reise erlebt hatte.

Silfra dagegen … Die war ganz anders. Friedlich und freundlich. Sie ließ sich gern kraulen, am liebsten unter ihrem dichten Schopf. Dann verdrehte sie die Augen und zuckte mit den Lippen, als würde sie zu uns flüstern. Sie war ein richtiges Kuschelpferd mit großen dunklen Kulleraugen.

Die Wölfe würden sie lieben.

Die Wölfe würden sie fressen!

Mit einem Mal wurde mir klar, was das für Silfra bedeutete. Mit ihrer lieben, gutmütigen Art würde sie sofort alle Herzen erobern, und dann, am Ende der Ferien, würde es mindestens einen Fremden geben, der sie mitnehmen wollte. Ich kannte das nur zu gut!

Aber Silfra durfte niemand mitnehmen. Schon gar kein Tourist, der sie von der Insel fortbringen würde.

Und als ich das begriff, wusste ich, dass sie nicht hierbleiben konnte, bei mir. Diese sanfte, gutmütige Stute, die sich in alle Herzen schlich, musste verschwinden! Bevor Pabbi anfing, sie den Wölfen vorzustellen.

Zu ihrem eigenen Schutz.

»Erde an Fenja!« Björns Gesicht schwebte dicht vor meinem. »Und?«

Ich schob ihn ein Stück von mir weg. »Was, und?«

»Hast du welche?«

»Habe ich was?«

Björn hob die Augenbrauen. »Na, Namen. Für die Neuen!«

»Oh. Ach so.« Ich wandte mich um und beobachtete den Graufalben, der mit seinem Kopf über dem Gatter hing und nach Baldur wieherte. Schon auf dem Ritt über die Elfenpfade war er ihm nicht von der Seite gewichen.

»Skuggi«, sagte ich.

»Was bedeutet das?«, wollte Björn sofort wissen.

»Das heißt Schatten. Weil er das gern sein würde: Baldurs Schatten.«

Björn verzog die Lippen und grinste ein bisschen.

»Und die Stute …« Ich betrachtete die braune Stute. Sie hatte Pfeffer, das gefiel mir. Auch wenn sie beschlossen hatte, alle Menschen erst einmal doof zu finden. Am liebsten hätte ich sie einfach eine Weile in Ruhe gelassen. Aber das würde Pabbi ganz sicher nicht zulassen. Da konnte man nur hoffen, dass sie nicht bei der ersten Gelegenheit explodierte.

»Mach es nicht so dramatisch!« Björn stupste mich an.