Die Politisierung des Bürgers, 1. Teil: Zum Begriff der Teilhabe - Franz Witsch - E-Book

Die Politisierung des Bürgers, 1. Teil: Zum Begriff der Teilhabe E-Book

Franz Witsch

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Beschreibung

"Die Politisierung des Bürgers" ist bemüht, dem Paradoxon einer Entpolitisierung bei um sich greifender Armut auf die Spur zu kommen, indem sie einmal mehr das Subjekt, resp. den einzelnen Bürger ins Zentrum des Interesses rückt, ohne ihn – wie traditionell üblich – auf einen Sockel zu heben. Dort ist er nicht als ein der Analyse zugänglicher sozialer Sachverhalt begreifbar. An einer zureichenden Analyse ist die herrschende Politik freilich nicht interessiert, gedeiht diese doch als Geschäft am besten auf dem Rücken eines entpolitisierten Bürgers.

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Die Politisierung des Bürgers ist bemüht, dem Paradoxon einer Entpolitisierung bei um sich greifender Armut auf die Spur zu kommen, indem sie einmal mehr das Subjekt, resp. den einzelnen Bürger ins Zentrum des Interesses rückt, freilich ohne ihn, wie traditionell üblich, auf einen Sockel zu heben. Dort ist er nicht als ein der Analyse zugänglicher sozialer Sachverhalt begreifbar.

Die Probleme liegen im Innen-Außen-Mechanismus, der sich zugleich im Mikrokosmos des menschlichen Innenlebens abbildet, freilich nicht im Sinne einer Eins-zu-Eins-Identität von Innen und Außen (Ist-Soll-Differenz). Die subjektive Seite existiert unter der Voraussetzung sozialer Sachverhalte, die primär und zugleich dem Subjekt von außen gegeben sind. Sie stehen zum imaginativen Innenleben des Subjekts in einem notwendigen Verhältnis, das heißt, das Subjekt als solches ist nicht existent.

Innen (imaginative Intersubjektivität) und Außen bilden sprachgestützt interaktive Strukturen aus (reale Intersubjektivität). Diese sind im Interesse eines zureichenden Gesellschaftsbegriffs gehalten, sich an Normen auszurichten, auf die sich alle Menschen einer Gesellschaft verständigt haben, und die für jedes Subjekt unmittelbar einklagbar gelten müssen. Sie sind indes nicht unverrückbar und schon gar nicht unmittelbar einklagbar für alle im Grundgesetz definiert, so das in Art.2 verankerte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das gemäß Art.79 mit 2/3-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat angetastet werden kann.

Ein Gesellschaftsbegriff, der sich lediglich unter Vorbehalt an unteilbare und unveräußerliche Grundrechte gebunden fühlt, kann nicht als hinreichend gelten. Genau dies, so die Arbeitsthese des Buches, ist der tiefere Grund für eine Entpolitisierung der Öffentlichkeit (bei gleichzeitig um sich greifender Armut), die der Bürger in sich befördert, weil eigene Bestandsregungen ihm das unausgesetzt zuflüstern (meinem Kind soll es besser gehen). Der herrschenden Politik kommt das entgegen, denn sie gedeiht als Geschäft am besten auf dem Rücken eines entpolitisierten Bürgers.

Franz Witsch, geb. 1952, lebt in Hamburg und ist Lehrer für Politik, Geografie und Philosophie. Zwischen 1984 bis 2003 arbeitete er in allen Bereichen der freien Wirtschaft als Informatiker und Unternehmensberater. Heute schreibt er sozialphilosophische Texte und Bücher.

Werner Hajek, geb. 1950, lebt als freier Journalist in Heide

Inhalt

Vorwort von Werner Hajek

Vorwort zur Neuauflage

Einleitung

1. Begriffliche Grundlagen

1.1 Auch Erzieher müssen erzogen werden

1.2 Wandel und Wandlungsfähigkeit

1.3 Die drei strukturellen Ebenen sozialen Wandels

1.4 Der Struktur- und Prozessfetisch

1.5 Das Rationalisierungsproblem

2. Krankhafte Projektion

3. Theoriebildung durch die Wahrnehmung hindurch

4. Vom Gefühlsimpuls zur Wahrnehmungsstörung

Exkurs zur Geldtheorie

:

Kritik am Mindestlohn und Überlegungen zur Expropriation der Expropriateure

Ex.1 Gibt es eine Alternative zum herrschenden System?

Ex.2 Die Expropriation der Expropriateure

Ex.3 Der Mindestlohn setzt auf Marktgläubigkeit

5. Zur Verdrängung des alltäglichen Nahbereichs

5.1 Verschiebung des Gefühls im Objektbezug

5.2 Imaginative Intersubjektivität

5.3 Zur Funktion des Intimen

6. Zur Politik des alltäglichen Nahbereichs

6.1 Rührseligkeiten

6.2 Abheben im Locked-in-Syndrom

6.3

...

geht mit Bewegungsunfähigkeit einher

6.4 Sich selbst tragende soziale Strukturen

7. Ödipus, ein Theoriekonstrukt zur Entpolitisierung

8. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Quellen

Namensregister

Sachregister

Abkürzungen, siehe

Die Politisierung des Bürgers, 2. Teil

Vorwort

Dieses Buch könnte der Ansatz zu einem Manifest sein. Allerdings ist die vorliegende Arbeit ein Suchen und Vortasten, und deshalb kann hier niemand ernstlich die erschütternde Wucht des 1848-er Pamphlets von Marx und Engels erwarten. Doch ergeben sich zwischen beiden Texten durchaus wesentliche Parallelen. Von der Methode her ist es die Bereitschaft, bei der Beobachtung des Zeitgeschehens und der Auseinandersetzung mit anderen Autoren ausgetretene Pfade zu verlassen. Es wird nach neuen Horizonten gesucht. Von der Sache her ist es die jeweilige Widerspiegelung eines historischen Umbruchs mitsamt seinen schweren sozialen Verwerfungen. Wie Marx und Engels den Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft reflektierten, beschreibt auch Die Politisierung des Bürgers das Ende einer historischen Epoche und das Heraufdämmern einer neuen. Von ihr weiß noch niemand wirklich, was sie uns bringen wird. Wie das kommunistische Manifest der sich formierenden Industriearbeiterschaft eine Stimme geben wollte, kann auch Die Politisierung des Bürgers als Manifest verstanden werden, nämlich als Manifest von ausgegrenzten Schichten, deren Recht auf Teilhabe es nachdrücklich vertritt. Wobei Teilhabe, das Thema des hier vorliegenden ersten Bandes, sich ausdrücklich nicht nur auf die zur Disposition Gestellten bezieht. Ganz im Gegenteil: Grundlage des Konzeptes ist “das Allgemeininteresse, das alle Menschen einschließt”. Teilhabe soll als das gemeinsame Recht aller Bürger zum Hebel der Veränderung werden.

Der Autor des Buches lebt in Deutschland, und das merkt man – auch wenn er in der Auseinandersetzung mit anderen Autoren ganz selbstverständlich nationale Grenzen ignoriert. Sein Daseins-Hintergrund ist die Implosion zweier deutscher Lebensformen. Gleichheit und Gerechtigkeit für alle war Anspruch und Heilsversprechen der einen deutschen Republik. Wohlstand und Gerechtigkeit für alle hatte die andere zum offiziellen Daseinszweck erhoben. Weder der marktwirtschaftliche noch der staatsmonopolistische Kapitalismus zeigten sich dauerhaft in der Lage, solche Verheißungen in die Praxis umzusetzen und allen ihren Bürger zugleich Freiheit, Würde und wirtschaftliches Wohlergehen zu garantieren. So wurde der autoritäre Gleichheitsstaat der Monopolkapitalisten von Wandlitz genauso Geschichte wie die nivellierte Mittelstandsgesellschaft der Wirtschaftswunder-BRD.

Aus dem Zusammenbruch der DDR und dem Zerbröseln der alten Bundesrepublik erheben sich graue Massen von Ausgemusterten und auf die Seite Geschobenen. Das Stichwort Hartz-IV hat den Marxschen Begriff der industriellen Reservearmee ins Reich der Geschichte verbannt. Er passt nicht mehr. Denn das Wort von der Reservearmee hat bei aller Bitterkeit doch mehr Hoffnungsbotschaft als ein Fördern und Fordern, dessen Unaufrichtigkeit sein dauerhaftes Kainsmerkmal bleibt. Der Begriff der Reserve trägt immerhin das schwache Versprechen in sich, dass man irgendwann auf sie zurückgreift. Dieses Versprechen kann unter gegenwärtigen Verhältnissen keiner mehr guten Gewissens geben. Arbeitslosengeld-II scheint für eine wachsende Mehrheit der Betroffenen die Weiche zu einem dauerhaften Abstellgleis zu werden. Hier entsteht keine Reservearmee, sondern eine Heerschar von Überflüssigen und vermeintlich Untauglichen, von armen Kindern und Altersarmen, deren Zukunftsgewissheit nur in der Gewissheit besteht, keine Zukunft zu haben. Ein weiteres Wort, das nicht mehr auf die neuen Phänomene passt, ist das viel benutzte von den Randgruppen. Wo ist der Rand einer Gesellschaft zu suchen, deren Mitte sich auflöst?

Dieser erste Band handelt also von Teilhabe. Dafür, dass der Begriff im Mittelpunkt steht, bleibt er (noch) erstaunlich vage, er wird noch mehr mit Leben gefüllt werden müssen. Wie könnte lebendige Teilhabe in der Praxis aussehen? Wie könnten gegenläufige Interessen verhandelt werden?

Die Voraussetzung für die angestrebte Teilhabe wird hingegen wiederholt hervorgehoben: die konkrete, individuell einklagbare Gültigkeit der Menschenrechte auf Unantastbarkeit der Würde und auf körperliche Unverletzbarkeit. Sie sollen den Ausschluss aus der Teilhabe unmöglich machen. “Eine zu schmale Basis für ein strategisches Konzept”, befand ein Kritiker des ungedruckten Manuskriptes, und man ist spontan geneigt, dem zuzustimmen. Doch letztlich ergeben sich aus diesen beiden als absolut gesetzten Rechten erstaunliche und weitreichende Konsequenzen. Sie leiten zum Beispiel zu einem Pazifismus nach Innen wie nach Außen, der sich gegen Panzer, Folter und Schlagstöcke, aber auch gegen geworfene Pflastersteine richtet. Und welche Folgerungen ergeben sich aus beiden Grundrechten für die soziale Versorgung, gegen mangelnde Förderung von Kindern? Ein einklagbares Recht auf Würde und Unversehrtheit führt auch zwangsläufig zum Angriff auf Abhängigkeitsverhältnisse, so in der Pflege oder der Behinderten-Betreuung. Denn es bleibt ein ständiges Verleugnen, wie schnell hier Abhängigkeit zu alltäglicher Gewalt führt, und das sowohl in der privaten wie in der institutionellen Pflege und Betreuung. Gerade haben übrigens die Sozialtechniker ein sperriges neues Fachwort für Teilhabe ausgeheckt: Inklusion (deutsch: Einschluss) soll Integration toppen. Doch was ist der muntere Wechsel von Worten, wenn die Realität unbefriedigend bleibt? Wie ernst gemeint ist Inklusion, wenn schon das unbekannte Wort, anders als Teilhabe oder Integration, nicht inklusiv wirkt, sondern exklusiv den Fachleuten vorbehalten bleibt?

Lesen wir hier ein marxistisches Buch? Der Schein trügt. In Nachfolge von Marx wird zwar entschieden gefordert, “die Ökonomie vom Regelmechanismus der Kapitalverwertung zu lösen”. Die Berufung auf die ökonomischen Theorien des Kapitals sollte aber nicht täuschen. Man mag Seite für Seite nach einer Klassenanalyse durchsuchen, man wird sie genauso wenig finden wie das revolutionäre Subjekt. Dieses von Marxisten begehrte und in der Arbeiterklasse gefundene Wesen hat der Autor schon per Überschrift in den Bürger (rück-)verwandelt. Dabei ist dieser Bürger durchaus nicht brav, es ist eher der Citoyen der französischen Revolution, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit so energisch einforderte wie unser Autor die Würde des Menschen und seine körperliche Unverletzlichkeit. Sind die Menschenrechte überhaupt etwas anderes als die Übersetzung der Forderungen von 1789?

Was ist Marxismus? Engels hat seinerzeit mit dem Buch Anti-Düring den Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft erheben wollen. Herausgekommen ist eine Ersatzreligion mit heiligen Büchern, Propheten, Gläubigen und Verdammten, mit einem irdischen Paradies und mit höllischen Glaubenskriegen. Witsch hat in aller Beiläufigkeit einen Anti-Engels geschrieben. Statt der Engels´schen Zwangsläufigkeit historischer Entwicklungen wird gezeigt, dass es in der Ökonomie nur um einfach zu behebende Strukturfehler geht. Sah Engels Naturgesetze am Wirken, die sich in Wirtschaft und Gesellschaft ohne und gegen den Willen der Beteiligten immer wieder durchsetzen, steht Witsch auf dem Standpunkt des souveränen Staatsbürgers: Der Markt ist ihm kein Gott, sondern ein einfaches Medium der Wirtschaft, denn: “Der Markt macht rein gar nichts. Es ist der Mensch, der alles tut.” Auch in seiner Verantwortungs-Ethik bleibt Witsch auf Konfrontation mit den marxistisch-leninistischen Ayatollahs: Der utopische Zweck heiligt nicht die diesseitigen Mittel.

Die einfach zu behebenden Strukturfehler nehmen als Echo auf die Finanzkrise viel Raum in einem längeren Exkurs ein. Anders als Frau Merkel und Die Linke zieht der Autor dabei keine wesentlichen Gegensätze zwischen dem, was von braunen Propagandisten das raffende und das schaffende Kapital genannt wird. Die spielsüchtigen Zocker der Wallstreet und in deutschen Staatsbanken sind bei Witsch nicht Urheber, sondern Produkte der Störung. Ihre Zügelung kann den Strukturfehler nicht heilen. Witsch unterscheidet zwar auch zwischen Produktions- und Finanzsphäre, bei Marx Zirkulationssphäre genannt. Aber beide Bereiche sieht er, ganz Marx-Schüler, gleichermaßen einem destruktiven Zwang zur Mehrwertrealisierung unterworfen. Sein Rezept ist deshalb die Befreiung des Geldes vom Zwang, sich zu vermehren. Das autonom gewordene (Euro-)Geld wird nur noch als Schmiermittel des Marktes eingesetzt, seine Menge hat sich am Produktionspotential der Volkswirtschaft zu orientieren. Der Konsum hat die Produktion zu bestimmen. Stattdessen geht es jetzt um verselbständigte Produktion, die den Konsum sucht, nicht regelmäßig finden kann und daher in Überproduktionskrisen endet. Die werden durch Spekulationsblasen nur verdeckt. Dadurch erscheint die Produktionskrise als bloße Markt- bzw. Finanzkrise und das Problem des Arbeitslosen als bloßes Preisproblem seiner Arbeitskraft. Wie all die Gedanken alltagspraktisch umzusetzen sein könnten? Eine gute Frage.

Die Politisierung des Bürgers kann also kaum marxistisch genannt werden, während die ökonomische Analyse sehr viel enger den Theorien von Marx folgt, als es außerhalb des Marxismus akzeptiert ist. Mit anderen Worten: Mit seinem Text setzt sich der Autor zwischen die Stühle und grenzt sich selbst aus den üblichen linken Diskursen aus – kein schlechter Platz für jemanden, der an einem Manifest der Ausgegrenzten arbeitet.

Dieses Buch ist auch in anderer Hinsicht vom Rande her geschrieben. Es bewegt sich gedanklich am Rand der politischen und wissenschaftlichen Spielfelder. Genau darin besteht unabhängig von den Ergebnissen seine Qualität. Bereits die Auswahl der Autoren, mit denen die Auseinandersetzung gesucht wird, ist originell und verblüffend. Die Schriften von Habermas und Marx als Gegenstand linker Reflexion sind noch üblicher Standard. Auch ein Freud hat seinen Stellenwert in diesem Milieu. Durchaus überraschend werden dagegen die Schriften von Marcel Proust zu Rate gezogen, und vermutlich hat nur eine Minderheit der deutschen Intellektuellen je von dem dänischen Theologen Søren Kierkegaard gehört, und der Schweizer Piaget ist eigentlich nur Fachleuten der Psychologie und Pädagogik ein Begriff.

Zum gedanklich verarbeiteten Material gehören auch banale Alltagsquellen wie TV-Talkshows, Zeitungsartikel und Filme. Diese allgemein zugänglichen Quellen verknüpfen die wissenschaftliche Literatur mit den Alltagserfahrungen des interessierten Zeitgenossen. Darin kann man vielleicht einen ersten, notwendigen Schritt vom Rande weg erkennen, hin zu einer höheren Verbreitungsmöglichkeit. Denn ein leicht geschriebenes und zu verstehendes Werk ist das vorliegende nicht. Das griffige, populärwissenschaftliche Manifest steht noch aus.

Die Politisierung des Bürgers ist ein ungehaltenes, ein zorniges Buch, geschrieben aus der Enttäuschung einer großen politischen Hoffnung heraus. Der Autor hat sich in Hamburg mit Verve bei der kurzlebigen WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit) eingebracht, jener Organisation, die den neuen Schichten der Ausgegrenzten zum ersten Mal eine deutlich vernehmbare Stimme gab. Mit aller Kraft und Erbitterung bekämpfte er eine Vereinigung mit der politisch-programmatischen Resterampe PDS. Die Gegenwehr galt nicht der Ablehnung einer Vereinigung als solcher, nicht der Ablehnung der Bündelung oppositionellen Potentials. Sie galt dem Verzicht auf programmatische Inhalte und Ziele, sie galt der Jagd nach Mandaten und Macht als verselbständigtem Daseinsziel eines Karriere-Rudels. Die Verachtung für die billige und leichte Käuflichkeit von sich selbst stilisierenden Barrikadenkämpfern ist nachvollziehbar, auch die durchschaubare Demagogie eines Oskar Lafontaine, der als Rächer der Enterbten doch nur seinen ganz privaten Egotrip reist.

Der Anlass des Buches ist längst Zeitgeschichte, doch seine Themen bleiben aktuell, da soll man sich nicht täuschen lassen. Mit dem programmatischen Sieg der PDS innerhalb der Partei Die Linke hat sich letztlich das Ideengebäude des Staatssozialismus durchgesetzt. Dass Die Linke für mehr Staat ohne Sinn und Verstand sei, schreibt Witsch, habe u.a. den Grund, dass sie sich von eben diesem Staat ernähren wolle. Diesen Gedanken könnte man weiterspinnen. Denn geht man z.B. an Ideen der angeblich radikalen Sahra Wagenknecht mit dem Instrumentarium der marxistischen Klassenanalyse heran, wird man zu überraschenden und für eben diese Marxisten peinlichen Ergebnissen kommen. Die Folge einer Verstaatlichung der Wirtschaft ist die Herausbildung einer bürokratischen Klasse – Wandlitz lässt grüßen, die Marxistische Plattform als erhoffte Karriere-Plattform für künftige Monopolkapitalisten nach Ostblock-Vorbild...

Zurück zum Zorn des Franz Witsch! Vor dem Hintergrund einer großen Enttäuschung erklärt und entschuldigt sich der passagenweise polemische und manchmal fast pöbelnde Ton dieser Streitschrift. Ob er auch Personen außerhalb der Linken trifft, möge der Leser abzuwägen wissen. Bekanntlich fragte ein anderer Polemiker, was der Überfall auf eine Bank sei gegen die Gründung einer Bank. Was sind Kraftworte, sei ergänzt, im Vergleich zu der kaltherzigen und harten Höflichkeit, mit der sich viele Verantwortliche in Wirtschaft, Politik und Verwaltung ausstatten? Was ist eine ehrliche Verunglimpfung gegen die strukturelle Brutalität, die hinter mancher wohlgesetzten Formulierung hervorgrinst?

Übrigens war der Anfang der Studie längst gemacht, bevor die WASG ihr Sternschnuppendasein begann. Schon das erste Vortasten wurde auf www.film-und-politik.de publiziert, und so ist es bis heute geblieben. Es ist eine Arbeit, die im Internet seit ihrem Anbeginn laufend zur Diskussion steht. Als Teil dessen war für dieses Vorwort Kritik ausdrücklich gefordert worden. Der Aufruf zur weiteren Diskussion bleibt Bestandteil des Fortschreibens. Er sollte nicht ungehört bleiben.

Heide, November 2008, Werner Hajek

Vorwort zur Neuauflage

Retrospektiv betrachtet zeichnen sich bereits im 1. Teil von Die Politisierung des Bürgers (DPB) die Umrisse eines alternativen Zugangs zum Innenleben des Subjekts ab – freilich recht grob im Vorfeld von Teil zwei bis vier.(DP2, DP3,DP4) Sie sind nicht besonders textnah an klassischen oder aktuellen psychoanalytischen Texten durchbuchstabiert, durchaus gewollt, weil zu textnahe Interpretationen das Denken in Alternativen blockieren; es bestünde die Gefahr, sich darauf zu reduzieren, das Unvermeidliche: das, was alle denken und sagen, nachzuplappern, in der Art wie Otfried Höffe den Kant nachplappert (DP2,159; DP3,11,187), anstatt ihn zu interpretieren aus einer die aktuelle sozial-ökonomische Realität kritisierenden Perspektive.

Warum auch? Leben wir nicht, so die weithin verbreitete unerschütterliche Realitätswahrnehmung, in der besten aller möglichen Welten? Nicht perfekt, wohl wahr; aber doch nur, weil der Mensch nicht perfekt ist.

Dummes Zeug. DPB denkt jedenfalls nicht so und überzeugt vermutlich aus diesem Grund bis heute. Das rechtfertigt eine Neuauflage für eine stilistische Runderneuerung, nicht zuletzt um DPB ein Stück weit an das sprachliche Niveau von DP2, DP3, DP4 heranzuführen, aber auch um begriffliche Präzisionen vorzunehmen insbesondere im Hinblick auf den zentralen Begriff der Verschiebung des Gefühls im Objektbezug (Kap.5.1) und den Ödipus-Mythos (Kap.7), mit dem die Freudsche Analyse steht und fällt.

Der Begriff der Verschiebung spielt in DP2, DP3 und DP4 weiterhin eine wichtige Rolle; dort verwende ich ihn in Abgrenzung zur herrschenden Psychoanalyse, ohne ausführlicher darauf einzugehen, wie die traditionelle und heutige Psychoanalyse den Begriff verwenden, aber doch schon im Hinblick darauf, dass ohne Analyse: die Einbeziehung des Innenlebens, sozialtheoretische Bemühungen, dazu ich die Hermeneutik von Detel (DEW-GuV) rechne, ohne Substanz bleiben.(DP4,69-177)

Doch was heißt es, das Innenleben einzubeziehen? Nun, ohne darauf zu schielen, was andere davon halten, gehe ich davon aus, dass das Subjekt gehalten ist, über Gefühlsverschiebungen (s)eine Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext herzustellen: der Sozius “zerlegt (analysiert) und rekonstruiert (...) unaufhörlich, wenn er interagiert” (S.20), jeden Tag aufs Neue, im Sinne eines mehr oder weniger bewussten sozialen Vorgangs, der den gesellschaftlichen Kontext imaginativ, im Inneren, vorwegnimmt, verpackt in ein Gefühl (DP3,138-146), das den (äußeren) gesellschaftlichen Kontext gleichsam generiert, sozialunverträglich exekutiert in dem Maße, wie dies unbewusst: hinter dem Rücken der Subjekte aus dem alltäglichen Nahbereich heraus (Kap.5 u.6), geschieht.

Das analytische Ansinnen einer aus dem Alltag entwickelten Subjekt-Objekt-Verbindung oder Innen-Außen-Beziehung ist so alt wie die Psychoanalyse selbst; an ihr versuchte sich z.B. der Alt-68er Michael Schneider: er wollte Marx (Außen) und Freud (Innen) versöhnen.(SCM-NUK) Ob ihm das gelungen ist und wenn nicht, woran sein Projekt paradigmatisch: auf unterschiedliche Ansätze übertragbar, gescheitert ist, möchte ich in einem 5. Teil erörtern.

Ich glaube in der Tat, dass nicht nur Michael Schneider, sondern die Sozialtheorie insgesamt verkannten und heute noch verkennen, dass und auf welche Weise das Subjekt für die Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext verantwortlich zeichnet (DP4,212f), eine schweißtreibende Arbeit, die heute dem Augenschein nach, also nachweislich genau dann nicht sozialverträglich möglich ist (jene Arbeit auch früher nicht möglich war, aber eben nur hinter dem Rücken analytischer Bemühungen), wenn jener gesellschaftliche Kontext nicht für ein Allgemeininteresse (Grundrechte für alle) steht, das in die sozialen Strukturen, in denen Subjekte unmittelbar miteinander verkehren, eingelassen ist als etwas, das jenen sozialen Strukturen und den Subjekten (in ihnen) fremd ist, so dass jenes Fremde ihrem Leben (Selbst) zu assimilieren ihnen zur permanenten Aufgabe auferlegt werden kann und auch muss; das geschah früher auf der Basis des Gottesbegriffs, genauer: des Zweifels an der Existenz Gottes; Gott repräsentierte den gesellschaftlichen Kontext: das Fremde, den ganz und gar Anderen (Kierkegaard), bzw. das ganz und gar Andere menschlicher Existenz, das es dem Leben, dem inneren Selbst, zu assimilieren galt.

Dieser Assimilierungs-Vorgang ist auch ohne Gott ein Muss insofern, weil es nicht dazu kommen darf, den (äußeren) Fremden oder das Fremde (in uns) auszugrenzen, totzuschlagen, mithin Gefühle auszugrenzen, abzuspalten, nämlich genau dann, wenn wir in jener Arbeit einer fremd-bestimmten Herstellung einer Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext nachlassen – den Zweifel ausgrenzend, totschlagend. Diese gelingt nachhaltig sozialverträglich, also nicht nur das Unvermeidliche exekutierend, nur dann, wenn diese Arbeit des Subjekts nicht, wie allgemein üblich, unbewusst, d.h. vollständig hinter dem Rücken des Subjekts erfolgt. So dass der Eindruck entsteht, als gebe es das Gesellschaftliche auf quasi-natürliche Weise, als müsse es nicht in jeder Sekunde unseres Lebens hergestellt werden, so dass der Vorgang des Herstellens, der Reflektion unzugänglich, im Dunkeln, unbewusst bleibt. Hier passt in gewisser Weise der Spruch aus dem NT, der da lautet: Herr, vergib’ ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Zu viel Bewusstsein würde auch schmerzen, negative Gefühle erzeugen; das Subjekt assimiliert das Fremde – Fremdes, negative Gefühle in ihm – mehr oder weniger erfolgreich oder sozialverträglich im Kontext schmerzhafter Spannungen, spannungsgeladener Verschiebungen von Gefühlen (im Objektbezug), wobei das Subjekt ständig bemüht ist, ob es will oder nicht, sein singuläres Bestandsinteresse zusammen mit seinen Assimilierungsbemühungen mit dem Allgemeininteresse, das es dem eigenen Leben zu assimilieren gilt, zu versöhnen oder synchronisieren; eine ständige Aufgabe bis ins hohe Alter, da das Allgemeininteresse heute viel wahrnehmbarer in Gestalt von Grundrechten (Folter unter keinen Umständen) sich auf natürliche Weise, sozusagen wie von selbst, im Körper einer sozialen Struktur nicht zu halten vermag (DP3,165), und deshalb das Subjekt immer wieder unter Spannung gerät, sei es, dass seine Bestandsregung (sein Gefühl) ihm beständig zuflüstert, den Kindesentführer unbedingt foltern zu müssen, freilich ohne dass das Grundrechtsprinzip es zulässt; das erzeugt innere Spannungen, die der sozialverträglichen Verarbeitung bedürfen; genauer: das, worauf Spannungen (extern) verweisen: sozial-ökonomische Strukturen bedürfen der Verarbeitung, eine innere Arbeit, zu der die Gesellschaftsteilnehmer freilich immer weniger in der Lage sind; weil, populärer gesagt, Frustrationstoleranzen sinken bis zu einem Punkt, wo kleinste Anlässe ausreichen, um Kriege, Gewalt- und Folterexzesse, ja kriegerische Flächenbrände auszulösen.

Die Gewaltbereitschaft: die Zerstörung auch eigener sozialer Strukturen, gelinder gesagt: die sozial-un-verträgliche Verarbeitung negativer Gefühle, wächst ganz generell; das kommt schon im Vorfeld von Gewaltexzessen oder Kriegen, etwa in zwanglos geführten politischen Debatten, zum Ausdruck, in denen es z.B. um Beschaffung und Einsatz von Kampfdrohnen geht; im Interesse einer Humanisierung von Kriegen, versteht sich.(FAZ-009) Schon das sind extrem beunruhigende Symptome eines kranken und krankmachenden gesellschaftlichen Kontextes, der sich im Innenleben des Subjekts, also mental abbildet in Gestalt wachsender Unfähigkeit, (negative) Gefühle zu kommunizieren und damit Verbindungen zu anderen Subjekten herzustellen, um darüber eine Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext herauszubilden, und zwar in dem Maße sozial-verträglich (das, was ist, nicht nur exekutierend), wie sich der gesellschaftliche Kontext einer kritischen Analyse zu öffnen vermag.

Zu exekutieren meint: unbewusste Anpassung im behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema: Zwar versucht sich die Psychoanalyse ganz generell, so lassen sich ihre Bemühungen deuten, an der (bewussten) Rekonstruktion einer Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext, freilich strukturaffirmativ im Kontext von Belohnung und Bestrafung: im Sinne kritikloser Anpassung an gegebene soziale Strukturen, dies fatal in Anlehnung eines überhistorischen Strukturbegriffs, resp. eines Begriffs, der das Gesellschaftliche (Strukturale) mythologisiert (Ödipus), es gleichsam methodisch (ins Unbewusste) verdrängend, verleugnend, abspaltend, so dass das Strukturale nicht ins Zentrum einer kritischen Analyse rücken kann.

Auf vergleichbare Weise verwendet Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse (FRS-MIA) den Begriff der Masse, der, wie übrigens der Machtbegriff generell, geeignet ist, das spezifisch-historische gesellschaftlicher Strukturen mythologisierend zu verhüllen und damit auch ungewollt jene Strukturen aus der Schusslinie der Kritik zu bringen; am Ende sieht sich die Analyse: ihre reale therapeutische Praxis, sofern sie überhaupt betrieben wird, auf das Innenleben reduziert, das man dann bestenfalls verschwörungstheoretisch von bösen Mächten, vom Bösen schlechthin, kontaminiert sieht, das sich einer Analyse entzieht, da sie behavioristisch im Gut-Böse-Schema tickt, eine Analyse, die dann einmal mehr Ausgangspunkt und Ursache der Gewalt im Innenleben und nicht in den sozial-ökonomischen Strukturen angesiedelt sieht; oftmals man genau dies, wiewohl die soziale Praxis eine andere Sprache spricht, wortmächtig bestreitet, eben weil man sich vom Strukturalen lediglich einen indifferent-überhistorischen Begriff zu machen vermag, kurzum: auf den Mythos fixiert lediglich alles ödipalisierende Machtanalytik betreibt. Man hört es gebetsmühlenartig überall: um etwas für die Menschen zu ändern, braucht es politische Macht: eine Trivialität – aber gut fürs politische Geschäft.

Das alles lässt sich allerdings auch in ein methodisches Problem übersetzen, das in einer mangelhaft wahrgenommenen, resp. diskutierten Ist-Soll-Differenz besteht, die mit jeder Analyse, will sie von Substanz sein, einhergeht; der Fehler besteht darin, sozial-ökonomische Strukturen zu analysieren, ohne dass die Analyse auf ein (Struktur-)Soll verweist; das liegt nahe, weil die Psychoanalyse wesentlich praktisch-pragmatisch, auf Anpassung ausgerichtet, therapeutisch (nicht theoretisch oder theoriebildend) orientiert ist.

Theoriebildung setzte eine Vorstellung von Gesellschaft voraus: so soll es sein. Ohne Soll-Vorstellung weiß der Analytiker (oder Sozialtheoretiker) genau genommen nicht, wovon er spricht, wenn er das Wort Analyse verwendet; etwa dass die Arbeit an einer sozialen oder sozial motivierten Theorie unvereinbar ist mit einer auf Anpassung (an ein Ist) gerichteten Analyse, die lediglich ganz pragmatisch Therapie sein will. Dieses Problem war den Begründern der Psychoanalyse sehr wohl bewusst; sie schoben es aber, dem naturwissenschaftlichen Theoriemodell verhaftet (wie wir gleich sehen werden), beständig vor sich her (KEJ-EGM,386-393), ohne es ernsthaft anzugehen, nämlich eine Methode zu entwickeln, die sich allgemein, weil streng am naturwissenschaftlichen Theoriemodell orientiert, mit vorhersehbaren Ergebnissen anwenden ließ; man könnte versucht sein zu sagen, sie wussten schon damals nicht so recht, wovon sie redeten, wenn sie das Wort Analyse verwendeten. Sie wussten nicht, dass eine Analyse ohne Soll (was soll werden), also ohne Ist-Soll-Differenz, ohne Substanz bleibt, bzw. dass eine Analyse ohne Soll-Konzept – d.h. ohne Theorie, die sagt, was sein soll und nicht lediglich naturwissenschaftlich orientiert sagt, was ist – belanglos bleiben muss.

Die Pointe besteht darin, dass der Begriff der Verschiebung (des Gefühls vom Ist auf ein Soll), schon immer ein wichtiger Begriff in der Psychoanalyse seit Freud, belanglos ist, wenn er jene Differenz nicht voraussetzt; ohne sie bleiben Analyse und Therapie auf Anpassung an herrschende Strukturen: an dem, was ist, orientiert. Diese gilt es zu akzeptieren, wenn möglich, zu lieben; es gilt, sich mit Vati und Mutti, die das Realitätsprinzip repräsentieren, zu identifizieren, Freud zufolge Ödipus zu vernichten, wenn Therapie erfolgreich sein soll, noch ohne zu wissen, wie es um jene Strukturen tatsächlich bestellt ist; denn diese werden bestenfalls ödipal: als familiäre Struktur, begriffen: alles, was krank macht, hat familiäre Ursachen, die man ihrerseits ungebremst in gesellschaftliche Ursachen (Strukturen) projiziert, so das überfamiliäre sozial-ökonomische Strukturen außen vor bleiben, nicht so in den Blick geraten, wie sie es verdienen. Freud sinngemäß: wir sind Ärzte, keine Gesellschaftsveränderer. Einfach nur heilen wollen indes selbst Therapeuten, die sich wortgewaltig für einen sozialökonomischen Wandel engagieren.

Anders als die derzeit theorielose, weitgehend nur praktizierende Psychoanalyse möchte ich den Begriff der Verschiebung in erster Linie nicht verwenden, um psychische Störungen zu therapieren, sondern theoriebildend im Hinblick darauf, was die Analyse des Innenlebens zur Sozialtheorie – zum (sozialverträglichen) Strukturwandel – beitragen kann. Das setzt, wie gesagt, einen anderen Gesellschaftsbegriff voraus, den ich definitiv (S. 33ff) nenne: Grundrechte nicht nur für den Mittelstand, sondern für alle, auch den Straftäter, im Sinne eines Solls; dies in Abgrenzung zum Begriff der sozialen Struktur, bzw. eines körperlich begreifbaren Gesellschaftsbegriffs, der mit dem Begriff der sozialen Struktur indifferent verschwimmt: das Strukturale mythologisierend und damit aus der Schusslinie der Kritik bringend; so dass es nur noch um Anapassung (an das, was ist) geht, genauer gesagt: gehen soll. Schließlich orientiert sich auch der Tatsachenfetisch an einem Soll, freilich – ohne es zu gewahren – an einem, das im Ist aufgeht: der nächste Tag soll so sein wie der heutige. Ein Ziel, das immer wieder misslingt aufgrund unvermeidlicher Ist-Soll-Differenzen: es gibt eine uneinholbare Differenz zwischen Innen (Vorstellung oder Theorie) und Außen (dem, was ist: das zu Analysierende). Nur dass die Vorstellung (Theorie) sich immer wieder an der Realität bricht, jedenfalls krank und krank-machend genau dann, wenn der Analysierende wirklichkeitsfremd eine Übereinstimmung zwischen Vorstellung (Soll) und Vorgestelltem (Ist) wähnt, zwischen Zeichen und dem, was es bezeichnet.(DP3,118ff) Dann analysiert der Analytiker, ohne zu wissen, was er tut: für ihn bedeuten Sätze “schon etwas, weil er sie – der deutschen Sprache mächtig – versteht und mit diesem Verstehen etwas verbindet, was in der sozialen und ökonomischen Realität angeblich der Fall ist” oder sein soll.(DP2,24)

Anders formuliert: wir sind von Regelwidrigkeiten (DP4,69-136) gegen geltende Strukturen umzingelt – aus einem einfachen Grund: weil das, was man sieht (sich innerlich ausmalt), nicht das ist, was ist – eben aufgrund einer unhintergehbaren Innen-Außen-Differenz.

Es ist schon absurd: das Subjekt ist überfordert im vergeblichen Bemühen, Strukturen in ihrem Bestand zu erhalten – gewaltträchtig: ohne das Vergebliche wahrhaben zu wollen, weil es glaubt, und hier schließt sich der Kreis, das Fremde (das Andersartige, der Ausländer) müsse weder notwendig noch bewusst (nicht nur exekutierend) eingelassen sein in soziale Strukturen – den Subjekten zur beständigen Aufgabe auferlegt. Deshalb scheitert das Subjekt immer wieder an der Aufgabe, das (ihm fremde) Allgemeininteresse (abstrakt: Grundrechte für alle: das Andersartige) mit dem singulären Interesse der sozialen Struktur zu versöhnen, und zwar indem es, Soll und Ist in eins setzend, jenes singuläre Interesse mit dem Allgemeininteresse identifiziert oder kurzschließt – das Andersartige oder Fremde ausschließend. Dann steht das Gebot, ein entführtes Kind zu retten, schon mal über dem Grundrecht, den Kindesentführer keinesfalls foltern zu dürfen. Das Allgemeininteresse gilt dann nicht für alle; nämlich dann nicht, wenn die eigene Gefühlsregung, die auf die Rettung eines unschuldigen Kindes verweist, mit dem gesellschaftlichen Kontext: dem Allgemeininteresse, verschmilzt, so dass es eine klare begriffliche Differenz zwischen Gesellschaft (Soll), sozialer Struktur (Ist) und Subjekt (Ist=Soll) nicht geben kann.(WIF-SUL). Das ist vermutlich der tiefere Grund für unzureichende sozialtheoretische Bemühungen im Interesse sozialverträglicher sozial-ökonomischer Strukturen.

Die Arbeitshypothese für einen 5.Teil Die Politisierung des Bürgers könnte denn auch lauten: die verschiedenen psychoanalytischen Konzepte arbeiten ohne zureichenden Gesellschaftsbegriff und können daher nicht theorieorientiert genannt werden. Die Psychoanalyse sollte als Teil hinreichender sozialtheoretischer Bemühungen auf der (sozialbegrifflichen) Axiomatik eines klaren begrifflichen Schnitts von Subjekt, soziale Struktur und Gesellschaft basieren – im Sinne einer zumindest notwendigen Voraussetzung sozialer Theorie. Sie sollte und kann nur in zweiter Linie dazu dienen, Menschen praktisch zu heilen. Damit würde man, wie gesagt, die außersubjektiven sozialen und ökonomischen Strukturen gegen Kritik immunisieren, ohne zu wissen, dass man es tut und damit dazu beitragen, das, was ist, zu exekutieren (unantastbar zu machen).

Man kann auch sagen, Menschen heilen zu wollen, abstrahiert von den externen (außersubjektiven) sozialen, ökonomischen Voraussetzungen der (psychischen) Störung, davon, dass Menschen in erster Linie krank sind, ein krankes Innenleben haben, weil sie, so Michael Schneider ganz richtig, in einer kranken Gesellschaft leben.(SCM-NUK,165-305) Dass dem so ist, müssen wir – beständig analysierend, Gefühle kontrollierend – verinnerlichen, nicht zuletzt deshalb, um uns endlich einmal nicht totzuschlagen, schon wenn wir soziale Konflikte auf uns zukommen sehen. Die Politik ist indes bemüht, die rechtlichen Voraussetzungen wachsender Gewalt: für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren sowie mehr Kriege im Ausland, zu schaffen. Das erzeugt wachsende Spannungen und Ängste, gegen die man am Ende nicht anheilen kann.

Aus der Perspektive des Subjekts möchte ich den Ausgangspunkt analytischer Bemühungen wie folgt formulieren: das Subjekt ist krank, weil es kaum noch in der Lage ist, Gefühle – das, worauf sie extern (außersubjektiv) verweisen – sozialverträglich zu kommunizieren; das bedeutet, weniger schlicht formuliert, dass die Möglichkeiten der Herstellung einer sozialverträglichen Verbindung von Innen und Außen wegbrechen. Das hat zur Folge, dass sozialverträgliche Beziehungen immer weniger, bzw. nur dem Augenschein nach in einem die Störung normalisierenden Zustand (Kap.4), existieren – Innen und Außen, Soll und Ist in eins setzend.

Um es frei mit Hannah Arendt zu sagen: die Weltlosigkeit der Menschen – im Volksmund: ihre Verblödung – nimmt erschreckende Ausmaße an. Arendt spricht von Gedankenlosigkeit (DP3,7-11) Sie wächst in der Tat von Tag zu Tag, exakt dort, wo der externe Objektbezug des Gefühls, die Innen-Außen-Beziehung, nachhaltig nicht gegeben ist, die, um nicht trivial zu sein, die Wahrnehmung einer Innen-Außen-Differenz voraussetzt.

Zusammenfassend sei in Abgrenzung zur traditionellen wie aktuellen Psychoanalyse gesagt: der Objektbezug im Kontext spannungsgeladener Gefühlsverschiebungen existiert auf der Basis folgender Prämissen:

Der externe Gegenstand sagt uns etwas über die Natur des Gefühls (S. 25); d.h. der Zugang zum Innenleben erfolgt über die Analyse außersubjektiver sozialökonomischer Strukturen (Gegenstände). Ferner sollte auch die Therapie den Akzent – nicht nur pragmatisch orientiert – theoriebildend auf die Analyse außersubjektiver Strukturen legen, um von dort ein Zugang zum (kranken) Innenleben zu ermöglichen, nicht um zu heilen, sondern – weniger anmaßend – einen Schonraum für das kranke Innenleben auszubilden, in dem Kritik an außersubjektiven Strukturen zwanglos möglich ist mit dem Ziel, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines sozialökonomischen Systemwandels zu schaffen; oder Therapie gerönne im Sinne von Heilung zum Kampf gegen Windmühlen und damit lediglich zu einem einträglichen Geschäft für Therapeuten.

Ich möchte allerdings nicht gering schätzen, dass Schonräume wichtig sind, zumal wenn sie bewusstseinserweiternd genutzt werden im Hinblick darauf, dass es eine sozialverträgliche Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext geben muss, für die wir verantwortlich zeichnen, eine Arbeit, die dazu beiträgt, dass das hilfebedürftige Subjekt überlebt. Und zwar auch und gerade außerhalb therapeutischer Schonräume, in dem Maße, wie es gelingt, psychische Störungen sowie ihre krankhafte wie krankmachende Normalisierung zu kommunizieren. In diesem Sinne kann man von Heilung sprechen, die allerdings nur realistisch ist, solange es der gesellschaftliche Kontext zulässt. Das tut er nur im Falle seiner Wandlungsfähigkeit, die wiederum nur gegeben ist, wenn die kriminelle Energie von Politikern nicht von Tag zu Tag wächst, zumal nicht beständig kleingeredet wird. Obama ein Krimineller, weil er Mordaufträge über Kampfdrohnen unterschreibt? Oh Schreck – dann leben wir ja gar nicht mehr in der besten aller möglichen Welten. So was kann in Angst und Schrecken versetzen. Eine Angst, die spätestens dann nicht mehr heilbar ist, wenn Subjekte zu Terroristen gestempelt werden, weil sie die Wahrheit sagen: Obama ist kriminell, weil er Menschen am Rechtsstaat vorbei liquidieren lässt.

Man sollte nicht vergessen, dass das Geschäftsmodell des Therapeuten darauf basiert, genau das zu verdrängen und zu verleugnen: dass wir in einer kranken Gesellschaft leben, in der Heilung nicht möglich ist, weil das Subjekt die Wahrheit nicht (mehr) kommunizieren darf, krankmachend, das Krankmachende normalisierend, und irgendwann auch nicht mehr kann, dann medizinisch indizierbare psychische Störungen ausbildend.

Zum Geschäftsmodell gehört indes, bezugnehmend auf einen möglichen 5. Teil, die Illusion, dass Heilen, das Aussprechen von Wahrheiten, möglich sei auf der Basis von Tatsachen, denen Wahrheitsgehalt von Natur aus zukomme; von denen wir ja in der Tat umzingelt sind; mithin dass Heilen im Sinne Freuds möglich ist auf der methodologischen Basis des naturwissenschaftlichen Theoriemodells, das sich aus der Vergegenständlichung des Innenlebens (Gefühls), bzw. des Unbewussten aus dem Innenleben, kurz: des Unbewussten selbst, heraus legitimiert sieht, und genau deshalb – orientiert am Ursache-Wirkungs-Prinzip – begründet, ja beweiskräftig von Heilung gesprochen werden kann; als wäre das (kranke) Gefühl, bzw. das (kranke) Unbewusste – so sieht Freud es in der Tat – tatsächlich ein aparter (Tatsachen-)Gegenstand, darstellbar wie eine Tatsache im Sinne eines physikalistisch indizierbaren Krankheitssymptoms, das für sich genommen (ohne Verbindung zum gesellschaftlichen Kontext) einer Analyse und damit einer Heilung zugänglich ist. Als wäre eine psychische Krankheit heilbar wie eine Infektionskrankheit.

Hamburg, Dezember 2014 Franz Witsch

Einleitung

Der Bürger, das unbekannte Wesen? In der Tat – den Bürger gibt es nicht. Er ist eine Abstraktion, eine schöne Vorstellung der französischen Revolution von 1789, nach der sich die soziale Realität ausrichten sollte. In der Gesellschaft sollten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit herrschen, ein Anliegen, das in praxi bis heute nicht eingelöst worden ist. Dennoch, so problematisch schöne Vorstellungen sind – wir können ohne sie, genauer: ohne die Fähigkeit zur Abstraktion, die Welt im Großen wie im Kleinen nicht gestalten.

Wir wollen es abstrakter und konkreter zugleich formulieren, indem wir in unseren Gedankengang den Begriff der Teilhabe einbeziehen, der notwendig auf ein zu konkretisierendes Was verweist: Es geht im großen und ganzen um den Zusammenhang von Teilhabe auf der einen und Analyse im Kontext von Wahrnehmung und Theoriebildung auf der anderen Seite, wobei wir Theoriebildung wiederum praktisch, d.h. als einen der Analyse zugänglichen sozialen Sachverhalt auffassen, der dadurch, dass er analysiert wird, sich nicht gleich bleibt: buchstäblich produziert wird durch Analyse, die stets eine Soll-Ist-Differenz mit sich führt, eine Sache des menschlichen Innenlebens, das sich in der Kunst materialisiert, eines Innenlebens freilich, das nur im Kontext der äußeren Welt: durch die äußeren Dinge hindurch, als der Analyse zugänglich existiert.

Nun, und der Begriff Teilhabe erinnert uns – dadurch, dass er auf ein Was verweist – immer wieder daran, dass Theorien und Kunstgegenstände zwar der Analyse zugänglich sind wie die profanen Dinge, die sie reflektieren, aber dennoch nicht um ihrer selbst willen – einfach nur, weil sie schön sind – existieren.

Doch nicht nur das; die profanen Dinge des alltäglichen Nahbereichs sind und bleiben primär. In gegenwärtigen Dingen, die uns begegnen, sind, um es mit der Recherche von Marcel Proust zu sagen, die menschlichen Erlebnisschichten der Vergangenheit zur Belebung der Gegenwart – des Innenlebens – aufbewahrt. Insofern geht es um Vergangenheit, wenn uns äußere Dinge zustoßen: du erinnerst mich an meinen autoritären Lehrer. Daher der Titel des Proust-Romans: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Der Sozius der Recherche zerlegt (analysiert) und rekonstruiert denn auch unaufhörlich, wenn er interagiert. Dies gilt es als intakten Produktionsprozess sozialer Strukturen zu bewahren oder herzustellen, vielleicht einen solchen quasitherapeutisch freizulegen, wo er zerstört oder verschüttet worden ist. So was könnte man dann unabhängig davon, ob eine strafbare Handlung vorliegt, auch Resozialisierung nennen. Ja, und ungeachtet dessen, dass die äußeren Dinge primär sind, hat ein solcher Vorgang seinen Ausgangspunkt immer aus dem Innenleben heraus – gefühlsgesteuert: hier stimmt was nicht, mir geht’s schlecht; hier muss was geschehen. Doch was und wie? Fragen über Fragen.

Schon hier wird deutlich: Teilhabe ist nicht einfach nur da sein: ein bisschen mehr Sozialhilfe und ansonsten die Schnauze halten, sondern setzt die Bereitschaft zu lernen voraus: die Entwicklung der Fähigkeit zur Analyse im interaktiven Kontext, mithin das intakte Bedürfnis, Beziehungen konstruktiv zu gestalten, durch das Medium Sprache hindurch, die uns ihrerseits zustößt dort, wo sie uns in Gestalt von Texten, Büchern, Zeitschriften begegnet. Unabhängig von der Präsenz ihrer Autoren. Das gilt auch, wie wir mit Habermas, Derrida und Proust untersuchen wollen (vgl.Kap.3), für Filme oder die bildende Kunst: Es gibt immer und überall etwas zu reflektieren: innerlich in Sprache zu verwandeln, das sich indes in einen intersubjektiven Kontext unmittelbarer Rede und Gegenrede ergießen muss, soll sich Reflexion nicht in Zwangsvorstellungen verwandeln – bis zu einem Punkt, wo der innere Monolog – selbstgenügsam – sich durch die äußere soziale Realität nicht mehr ankränkeln lässt. Wir erleben es in der Politik jeden Tag. Das Innenleben (des Politikers) kapselt sich vom Außen (der sozialen Realität) ab und ist am Ende wie der Bürger einfach nur da, etwas, was wir in Wirklichkeit nicht wollen: nur da sein. Tatsächlich entwickeln und unterhalten wir Vorstellungen über uns selbst und andere, um damit die soziale Realität mehr oder weniger zu traktieren, ein Drahtseilakt, mit schmerzhaften Spannungen verbunden, weil es keine Eins-zu-Eins-Identität zwischen Innen und Außen gibt: die Welt um uns herum mit unseren Vorstellungen, oh Schreck, nicht immer sanft umgeht, schlimmer: zuweilen überhaupt nicht umgeht, einfach nur nicht erreichbar ist oder sich nicht berühren lässt, ganz so wie wir den Politiker erleben.

Dennoch erwächst aus dem Spannungsgefüge von Innen und Außen unsere Welt gleichsam wie der Sexualakt aus dem Trieb. Dazu gehört auch der Schmerz: das negative oder eigensinnig verneinende Gefühl, das Analyse mit ihren Ist-Soll-Differenzen hervorrufen mag. Selbst aus der (lebensverneinenden) Verweigerung wächst Leben, ohne dass wir deshalb von der Freudschen Sublimierungsthese begeistert sein müssen, derzufolge sich der Sexualtrieb im Kunstprodukt verneint oder, weniger drastisch formuliert, das Interesse in Zwecklosigkeit erstarrt: vor der schönen Form sich verbeugt. Wir finden mithin eine Lebenseinstellung, die die Kunst gegen das Leben antagonistisch in Stellung bringt, ganz schön langweilig.

Der sprachliche Diskurs bildet – frei nach Habermas – das Korsett in den sozialen Beziehungen. Voraussetzung dafür ist, dass sich das im inneren Monolog reflektierende Innenleben die Intersubjektivität wirklicher Rede und Gegenrede belebt. Darüber hinaus gehen wir unabhängig davon, was Habermas dazu sagen würde, frei nach Kant von einem in Sprache und Sprechen angelegten Spannungsfeld von positiven wie negativen Gefühlen aus, das sich grundsätzlich zwischen einem Allgemeininteresse (was müssen wir wollen?) und dem subjektiven Bestandsinteresse (was darf ich hoffen?) ausbildet, wobei sich die Bestandsregung (ich will mein entführtes Kind wiederhaben) in einen intersubjektiven Kontext ergießt, der seinerseits in Spannung zu einem Allgemeininteresse (du sollst nicht foltern) existiert. In Anlehnung dazu definieren wir im ersten Kapitel Begriffliche Grundlagen drei Ebenen menschlicher Verständigung: Subjekt, soziale Struktur und Allgemeininteresse, um daraus einen abstrakt-definitiven Gesellschaftsbegriff im Sinne eines Allgemeininteresses zu bilden – durchaus in Kontradiktion zu einem von Habermas und dem sozialwissenschaftlichen Mainstream favorisierten strukturalen, körperlich begreifbaren Gesellschaftsbegriff (Blut und Boden, Volk, soziale Struktur).

Doch warum diese Aversion gegen einen körperlich begreifbaren Gesellschaftsbegriff, auf den wir ja – welch eine Aporie – im alltäglichen Sprachgebrauch durchaus nicht verzichten? Nun, das körperlich begreifbare Ganze vernetzter sozialer Strukturen ist der Verfügungsgewalt des einzelnen Subjekts wie des singulären Gruppeninteresses, in das es involviert, entzogen und gerinnt daher im Bestreben, auf dieses Ganze immerzu vergeblich gezielt Einfluss zu nehmen, notwendig zur mythologisierenden Entität. Denn natürlich kommt immer alles anders, als man denkt: in der Kontingenz eines Großen Ganzen agiert das Subjekt in einem familiär-sozialen Kontext, bewaffnet mit Vorstellungen, in denen das Ganze unmöglich abgebildet werden kann; dabei mutiert das Ganze hinterrücks zum Mythos, bisweilen zur Zwangsvorstellung (der Markt richtet alles). Wie auch nicht, zumal das politische Engagement sich immerzu vergeblich an der sozialen Realität reibt und dadurch eine Neigung zu metaphysischem Denken bis hin zur Kaffeesatzleserei ausbildet. Will man schlechte Metaphysik – Kaffeesatzleserei – vermeiden, bedarf es, so unsere Arbeitshypothese, eines definitiven Allgemeininteresses, das stellvertretend für das Ganze – die Summe aller Strukturen – steht, mithin durchzusetzen ist gegen jedes sozialstrukturelle Klientelinteresse, das überdies stets dazu neigt, sich in eins zu setzen mit dem Ganzen (l’état, c’est mois). Das abstrakt-definitive Allgemeininteresse kann deshalb gesellschaftlich genannt werden, weil es für alle Mitglieder der Gesellschaft gilt. Es besteht in der unteilbaren und unantastbaren Würde des Menschen.

Mehr noch, weil die Würde unserem analytischen Ansatz zufolge unmittelbar einklagbar sein muss, muss es sie in Gestalt konkreter Rechte – auch für den Straftäter – geben als da sind: keine Armut, kein Arbeitszwang, körperliche Unversehrtheit. Andernfalls gerönne das Reden darüber zum Lippenbekenntnis, für den Politiker zum bloßen Mittel im Kampf um die politische Macht. Die Folge wäre ein entpolitisierter und politikverdrossener Bürger ohne Möglichkeit zur Teilhabe.

Die Beweislast, dass es der Politiker mit der Würde ernst und nicht nur gut meint, liegt ausschließlich bei ihm selbst. Dass Politiker hier gravierende Defizite haben, dafür gibt es beliebig viele Beispiele. So ist die Politik zur Zeit hektisch bemüht, die Klagemöglichkeiten von hilfebedürftigen Bürgern einzuschränken, die der Meinung sind, dass ihre Anträge auf Hartz-IV-Unterstützung (Arbeitslosengeld-II) von den dafür zuständigen Behörden (Arge) nicht korrekt bearbeitet worden sind. Klagemöglichkeiten gegen staatliche Behörden muss es aber uneingeschränkt geben; nur dann zeigt die Politik, dass es ihr ernsthaft um die Würde des Menschen zu tun ist. Staatliches Abwehrverhalten ist immer ein Zeichen dafür, dass Reformen nichts taugen, gegen die Würde des Bürgers gerichtet sind, und überdies, dass dem Begriff Teilhabe eine definitiv-gesellschaftlich Dimension zukommt, ein Problem, das Werner Hajek in seinem Vorwort umtreibt. Er kontrastiert etwas missverständlich die subjektiv-sozialstrukturelle mit der körperlich-gesellschaftlichen Dimension. Der Begriff Teilhabe, so Hajek, bleibe erstaunlich vage: “er wird noch mehr mit Leben gefüllt werden müssen. Wie könnte lebendige Teilhabe in der Praxis aussehen? Wie könnten gegenläufige Interessen verhandelt werden?”

So berechtigt das praktisch-moralische Anliegen ist, so wenig ist der Teilhabe in der sozialen Praxis vorauseilend verhandelbar. Denn Teilhabe ist und bleibt ein Drahtseilakt. Die Frage nach dem wirklichen Leben, das man dem Begriff einhauchen möchte, kann nicht inhaltlich, gleichsam körperlich, sondern nur formal beantwortet werden. Denn in Verhandlungssituationen von gesellschaftlicher Relevanz müssen die Teilnehmer die Frage immer wieder neu beantworten, ob vorgetragene Argumente mit übergeordneten bis hin zum gesellschaftlichen Allgemeininteresse vereinbar sind. Sind sie es, bleiben Fragen im Kontext sozialer Analyse zu beantworten, die darüber Auskunft geben müssen, ob und wie Teilhabe gelungen ist, die sich freilich immer nur retrospektiv beantworten lassen. Erst in der Begegnung mit der sozialen Welt, nie vorher, erfährt der Sozius, ob soziale Integration gelingt oder gelungen ist. Was es in diesem Zusammenhang mit der sozialen Integration auf sich hat, möchten wir u.a. mithilfe von Marcel Proust reflektieren.(4)

Was wir perspektivisch – also vorauseilend – formulieren können, ist etwas anderes: ein formaler Aspekt im Sinne von Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit Teilhabe möglich ist, was freilich nicht bedeutet, dass sie mit den Voraussetzungen zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelingen muss. Wir wissen nicht im voraus, wie Menschen sich verhalten, z.B. wie sie mit negativen Gefühlen umzugehen verstehen und zwar unabhängig von technisch-ökonomischen Systemvoraussetzungen, auch wenn in Zeiten, die ökonomisch immer bedrückender werden, Empfindlichkeiten zunehmen. Davon abgesehen werden Diskurse aus den unterschiedlichsten Motiven abgebrochen. Es stellt sich immer wieder, leider nur im Nachhinein, also retrospektiv, die Frage: konnten negative Gefühle befragt werden mit der Folge, dass sie sich hinreichend auflösen, oder haben sie sich in den zu befragenden sozialen Kontext so tief hineingefressen, dass dieser die involvierten Teilnehmer hilflos wie eine Fliege im Netz einer Spinne zurücklässt. Es ist schwer, viel zu fehleranfällig und deshalb gesellschaftlich von nur geringer Relevanz, soziale Integration vom Ergebnis her vorauseilend zu analysieren; es kann nur um die Voraussetzungen gelingender Integration gehen. Was die soziale Praxis betrifft, so gilt: es kommt immer anders als man denkt. Später werden wir es so formulieren: die Idealität bricht sich notwendig an der sozialen Praxis. Damit zurechtzukommen, muss Ziel einer jeden Erziehung bis ins hohe Alter sein.

Natürlich ist es möglich und heute wieder einmal im Zuge der sogenannten Kreditkrise immer wahrscheinlicher, dass verfahrene Situationen gefährlich anschwellen. Dabei geht einmal mehr die meiste Gefahr von der Politik aus; dazu zählen wir die Partei Die Linke. Wir erleben einmal mehr, wie strukturelle Gewalt massiv anschwillt und damit die Gefahr unkontrollierbarer Aggressionen. Die Politik versucht, mit undurchdachtem Aktionismus die Krise unter dem Deckel zu halten. Dabei verabsäumt sie es seit den Siebzigerjahren, tragfähige Konzepte zu entwickeln, die unser Wirtschaftssystem systemstrukturell berühren. Stattdessen zieht sie es vor, auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren. Ohne zureichende Konzepte führt der Weg indes irgendwann in die Katastrophe. Wie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929/33 sind es auch heute die technisch-ökonomischen Strukturbedingungen, welche die Amoralität in die sozialen Beziehungen hineintragen, eine Amoral, die aufgrund unserer Nazivergangenheit freilich im moralischen Gewand daherkommt, will sagen: wir meinen es gut mit den Hartz-IV-Empfängern, wenn wir sie zu jeder zumutbaren Arbeit nötigen, wobei über die Zumutbarkeit nicht der Bedürftige, sondern der Staat entscheidet, eine Ungeheuerlichkeit, die die menschliche Würde verletzt. Warum sagt Lafontaine alles mögliche, nur nicht, dass er genau an dieser entscheidenden Stelle die Hartz-IV-Gesetze ändern will, um die Würde des Hartz-IV-Empfängers gegenüber dem Staat unmittelbar zu stärken? Nun, weil er mit der SPD regieren will; dabei interessiert ihn der Ausgegrenzte einen Dreck. Es sei indes betont, dass es Amoralität unabhängig von systemischen Voraussetzungen gibt. Es bedarf eines klaren begrifflichen Schnitts zwischen Moral und Ökonomie: einer moralischen Analyse unabhängig von ökonomischen Systembedingungen.

Was die moralische Seite unserer Existenz betrifft, so steht die Frage im Vordergrund, wie wir mit interaktiven Spannungen umgehen. Wie kommt der Sozius mit dem Wechselbad positiver und negativer Gefühle zurecht, die mit sprachgestützter Interaktion einhergehen? Zwischen den Polen negativer und positiver Gefühle wird der sprachliche Diskurs in die Zange genommen; die Folge sind Verdrängungsvorgänge, die krankhafte, (selbst-) zerstörerische Ausmaße annehmen, wenn sie in Zwangsvorstellungen (der Markt richtet alles) oder krankhaften Projektionen (du erinnerst mich an meinen autoritären Lehrer) münden und es ablehnen, sich von der (äußeren) sozialen Realität korrigieren zu lassen.

Wir fragen nach den Formen mehr oder weniger bewusster Verdrängung. Verdrängungen markieren Vermeidungsstrategien: der Sozius versteckt Verletzungen vor anderen wie vor sich selbst bis zu einem Punkt, wo er nicht bemerkt, dass er verletzt (worden) ist oder andere verletzt (hat). Im Schlepptau von Verdrängung bilden sich Ressentiments: auch sie werden verdrängt bis zu einem Punkt, wo der Sozius keinen Groll mehr spürt. Mehr noch, in ihm dominieren positive Gefühle, das Mitgefühl, so Nietzsche in Genealogie der Moral.(NIF-GMO) Wir fragen, was es mit dem Mitgefühl auf sich hat; wie ist es möglich, dass wir mitfühlen, ohne gewahr zu werden, dass wir immer nur uns selbst fühlen? In gewisser Weise folgen wir Nietzsche, der wie Proust sagt, dass das Mitgefühl gar nicht wirklich existiere, ein holder Wahn sei, in Wirklichkeit Selbst-liebe bis hin zur Selbstsucht. Das ist Proust zufolge nicht die ganze Wahrheit. Wir fragen: auf welcher Grundlage sind Menschen dennoch emotional miteinander verbunden? Wir sagen frei nach Habermas: durch Objektbezüge, die in modernen Gesellschaften permanent Legitimitätsfragen im Umgang von Mensch zu Mensch mit sich bringen. Wesentlich ist nicht das Gefühl an und für sich, die Energie, die den Körper durchströmt, als vielmehr der Umstand, dass das Gefühl auf der Basis eines Objektbezugs sein Dasein fristet. Dieser teilt uns etwas über die Natur des Gefühls mit.

Was Nietzsche betrifft, so glauben wir, dass er den Objektbezug des Gefühls unterschlägt: Zunächst ermöglicht der gefühlsverdrängende objektanalytische Bezug, Gefühle bis zu einem Punkt zu verstecken, wo der Sozius sie nicht mehr spürt. Doch bevor der Sozius nichts mehr spürt, ein Gefühlsvakuum entsteht, ändert sich die Natur des Gefühls; dabei kann ein negatives Gefühl sich in ein positives Gefühl verwandeln, so der nicht mehr spürbare Groll in Mitgefühl, vielleicht in ein Hochgefühl: durch eine Verschiebung des Gefühls im Objektbezug.(5.1) Dies geschieht aus dem Sog heraus, Gefühlsintensitäten zu retten (Gefühl als Ziel). Im Sog eines sich aufbauenden, angstbesetzten Gefühlsvakuums ist der Sozius in der Lage, über eine Verschiebung des Gefühls im Objektbezug Verletzungen, die er andren zufügt, als weniger gravierend wahrzunehmen – dies bis zu einem Punkt, wo der Objektbezug des Gefühls, der über Verletzungen Auskunft geben könnte, sich wahrnehmungsgestört auflöst (4) unter der Bedingung, dass er einem anderen – weniger kompromittierenden – Objektbezug (Völker – hört die Signale!) Platz macht, in dem sich das Gefühl umso mehr austobt; bisweilen rührselig und reaktionär.(6.1)

In dem eben beschriebenen sozialen Kontext hat der alltägliche Nahbereich keine Chance. Der Machtpolitiker braucht derartige Verdrängungen, wenn er Menschen instrumentalisiert, so wenn er für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren plädiert. Mehr noch braucht sie der mordende Kommunist der Oktoberrevolution. Gewiss meinen es alle gut; schließlich geht’s um Höheres; oftmals um nicht weniger als die Rettung der Welt; eine bessere Gesellschaft weit weg am Horizont oder um mehr Sicherheit im Kampf gegen den Terrorismus. Allein die Mentalität eines Schreibtischtäters, der für den Afghanistankrieg plädiert, oder die eines Menschen, der sich zum Töten dressieren lässt, achtet den Nahbereich einfacher Menschen – auch den eigenen – gering.(5; 6)

Die Romanserie Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Proust erzählt von Menschen und ihren mehr, weniger oder gar nicht eingelösten Sehnsüchten. Dabei analysiert Proust die menschliche Welt aus der Retrospektive heraus und fragt, ob und wie die Figuren ihrem Leben gerecht werden. Dabei fällt er Urteile, doch verurteilt er nicht, denn ein abschließendes Urteil aus der Retrospektive wäre müßig, mit sozialer Analyse unvereinbar. Auch wenn er den Sinn des Lebens in hochintensiven Glücksmomenten ausmacht, so entwickelt er den Glücksbegriff dennoch retrospektiv, d.h. grenzwertig, und versucht nicht, den Leser mit Weisheiten oder Rezepten zur Lebensbewältigung zu traktieren. Es ist ein reflexiver Roman, der Glücksmomente von innen her analysiert, nachdem sie von der sozialen Praxis nicht mehr eingeholt werden können, und die deshalb im Moment ihres Entstehens zwar wahrgenommen, aber – wie Geschichte ganz generell – nicht wiederholbar sind und wenn, nur als Farce (Marx): mit fahlem Beigeschmack. Mit anderen Worten: Glück widerfährt einem und ist nur begrenzt machbar. Es stößt zu und zieht die gefühlsverdrängende, -verschiebende Suche nach der verlorenen Zeit nach sich. An dieser Suche gehen Menschen zugrunde oder sie wachsen, mit ihnen soziale Strukturen, in die sie involviert sind, und nicht zuletzt: die Wahrscheinlichkeit nicht vorhersehbarer Glücksmomente.

Menschen gehen zugrunde oder werden asozial, wenn die Suche nach der verlorenen Zeit nicht von Innen reift, der Sozius in seinem Anspruch, von innen her wachsen zu wollen, nicht ernstgenommen wird, man Menschen zu ihrem Glück zwingt, z.B. mithilfe von Hartz-IV in eine Arbeit, die sie nicht wollen. Im Film Die Klasse von Laurent Cantet (Auszeit, In den Süden) erfährt ein ganz normaler, nicht einmal schlechter junger Lehrer (François Bégaudeau) zu seinem Leidwesen, wie er an einem Schüler scheitert, weil er Lernprozesse, die von Innen her wachsen müssen, unentwegt von außen appliziert. Cantet zeigt in langen Klassenszenen eindrucksvoll, wie Schule funktioniert, wie Probleme kumulativ bis hin zur Katastrophe anschwellen, wobei der Film keine Missverständnisse darüber aufkommen lässt, wo er die Verantwortung schwerpunktmäßig angesiedelt sieht: bei den Erwachsenen, die nicht begreifen, was sie machen oder nicht machen.

Was ist die Moral von der Geschicht’? Speisen Lernvorgänge sich nicht schon bei Kindern aus dem Innenleben, können moralische Werte nicht nachhaltig haften, die heute den Menschen gleichsam von innen her appliziert werden müssen. Passiert das nicht, setzen wir aufs Spiel, was die Welt im Innersten zusammenhält. Es sind sich selbst tragende Strukturen und in ihnen das sich selbst produzierende Subjekt, das die Welt im Innersten zusammenhält.(6.4) Die Welt, sie lässt sich nicht mehr mit Drohungen und autoritärem Gebaren zusammenhalten, sondern nur mit Kommunikation, die nicht von oben herab daherkommt.

Doch was nützt alle Moral, wenn das im Kollektiv sich selbst produzierende Selbst ohne Perspektive ist, die eine Gesellschaft ihm ohne Wenn und Aber bieten muss, ohne sie mit Drohungen zu relativieren in der Art wie es der Ex-Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Merz in einer Phönix-Diskussionssendung zur Globalisierungsproblematik praktizierte.(MEG-GUG) Er sagte sinngemäß: der Hauptschüler müsse sich auf ein Leben in Armut einrichten, wenn er sich in der Schule nicht anstrenge. Eine Unverschämtheit, die den Schüler nicht ernst nimmt, und die überdies von der eigenen Unfähigkeit ablenkt, soziale Strukturen zureichend wahrzunehmen und zu analysieren – als Voraussetzung, sie tragfähig und nachhaltig zu produzieren.

Nicht nur Merz, wir alle werden begreifen müssen, dass Bildung in den Schulen durch Bevormundung immer weniger vermittelbar ist. Unentwegt sagt man den von Ausgrenzung bedrohten jungen Menschen, was sie zu tun und zu lassen haben und gleichzeitig spüren sie, dass die Gesellschaft sie nicht will. Im Ruf nach mehr Bildung versteckt der Politiker Desinteresse: seine Unfähigkeit zur sozialen Analyse, die schließlich den Akzent auf die Systemprobleme der Wirtschaft lenken muss. Der Bürger spürt, dass er mit dem Ruf nach mehr Bildung verarscht wird; er merkt zunehmend, dass Chancen in unserer Gesellschaft sich immer nur gegen andere erhöhen; Chancen dürfen in unserem Wirtschaftssystem nicht kollektiv, sozialverträglich für alle genutzt werden, denn das derzeitige System produziert – wie der 100-Meterlauf – Verlierer notwendig aus sich heraus, die sprachlich entsorgt werden müssen, damit sie guten Gewissens auf den Müll geworfen werden können. Diesen Sachverhalt gilt es zu verdrängen, indem man ihn mit einem Makel von Schuld verknüpft und dem Innenleben des Ausgegrenzten injiziert, damit er die Schuld in sich und nur in sich selbst sucht. Denn am besten ist es, wenn der Schüler sich selbst entsorgt, nicht zuletzt durch Totalverweigerung. Doch wie anders reagieren in einem jungen Alter, wo sich der Mensch erst noch finden muss? Und zöge ein Mitmachen ohne Perspektive, dazu ohne Chance, sich jemals zu finden, nicht immer noch mehr Demütigung nach sich? Dann lieber alles kurz und klein schlagen.

Natürlich trifft es nicht jeden gleich, bzw. nicht gleich jeden. Doch grenzt unser System von Jahr zu Jahr mehr Bürger aus. Das genau ist es, was ein mit Drohgebärden hantierender Meisterdenker wie Merz so wenig wie Die Linke begreift. Die Politik zieht nicht in Erwägung, dass wir es mit grundlegenden systemischen Problemen unserer Wirtschaftsordnung zu tun haben könnten: mit einem von Marx diagnostizierten Mehrwertproblem in der Produktion. Angesichts einer drohenden Depression findet es kein Politiker problematisch, dass das im Zuge der Geldschöpfung durch die Zentralbank in die Wirtschaft gegebene Geld sich vermehren muss; dass der Vermehrungsimperativ (in der Finanzsphäre) die Verwendung des Geldes an die Mehrwertproduktion bindet, selbst dort, wo die Finanzsphäre sich gegen die Produktion, resp. die Mehrwertproduktion verselbständigt, fast als habe die Finanzsphäre mit der Produktion gar nichts zu tun, als sei die Produktion für die Finanzsphäre und nicht umgekehrt: die Finanzsphäre für die Produktion da.