Die Politisierung des Bürgers, 3.Teil: Vom Gefühl zur Moral - Franz Witsch - E-Book

Die Politisierung des Bürgers, 3.Teil: Vom Gefühl zur Moral E-Book

Franz Witsch

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Beschreibung

Die beschleunigte Zerstörung ökonomischer wie sozialer Strukturen liegt, wie im zweiten Teil untersucht, in der wachsenden Unfähigkeit des Subjekts, Mehrwert zu erzeugen, begründet, die wiederum seine emotionalen und moralischen Fähigkeiten begrenzt. Der dritte Teil bemüht sich um die Folgen: die emotional-moralischen Modalitäten der Zerstörung. In diesen ist das Subjekt gehalten, Zerstörungen aktiv zu begleiten, mehr noch, zu exekutieren in Anlehnung eines sozialen Sachverhalts, den Hannah Arendt die Banalität des Bösen genannt hat: Das Subjekt fühlt sich unbeteiligt, gar unschuldig, zurecht, denn es gibt einen Weg vom Gefühl zur Moral, den zu beschreiten das Gefühl nicht umhinkommt. Allerdings ist die moralische Verantwortung des Subjekts in dem Maße rekonstruierbar wie es im Kontext seiner (Re-)Sozialisierung gelingt, die Moral der heutigen Gesellschaft im Innenleben als krank freizulegen.

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Die beschleunigte Zerstörung ökonomischer wie sozialer Strukturen liegt, wie im zweiten Teil untersucht, in der wachsenden Unfähigkeit des Subjekts, Mehrwert zu erzeugen, begründet, die wiederum seine emotionalen und moralischen Fähigkeiten begrenzt. Der dritte Teil bemüht sich um die Folgen: die emotional-moralischen Modalitäten der Zerstörung. In diesen ist das Subjekt gehalten, Zerstörungen aktiv zu begleiten, mehr noch, zu exekutieren in Anlehnung eines sozialen Sachverhalts, den Hannah Arendt die Banalität des Bösen genannt hat: Das Subjekt fühlt sich unbeteiligt, gar unschuldig, zurecht, denn es gibt einen Weg vom Gefühl zur Moral, den zu beschreiten das Gefühl nicht umhinkommt. Allerdings ist die moralische Verantwortung des Subjekts in dem Maße rekonstruierbar wie es im Kontext seiner (Re-)Sozialisierung gelingt, die Moral der heutigen Gesellschaft im Innenleben als krank freizulegen.

Franz Witsch, geb. 1952, lebt in Hamburg und ist Lehrer für Politik, Geografie und Philosophie. Zwischen 1984 bis 2003 arbeitete er in allen Bereichen der freien Wirtschaft als Informatiker und Unternehmensberater. Heute schreibt er sozialphilosophische Texte und Bücher.

Inhalt

Vorwort:

über den Begriff der Weltlosigkeit bei Hannah Arendt

Projektionsformen: Entfaltung des Krankheitsbegriffs

1.0 Vorrede

1.1 Kant:

Wahrheit

beginnt und endet im Innen

1.2 Krankhafte Projektion: Fritzl von Amstetten

1.3 Der Projektionsbegriff bei Feuerbach

1.4 Gerechtigkeit durch Rache: projizieren im Gut-Böse-Schema

1.4.1 Sidney Lumet: Sein Leben in meiner Gewalt

1.5 Krank: Privatisierung sozialökonomischer Probleme

1.5.1 Interaktive Voraussetzungen für den Faschismus

1.5.2 Die Gesellschaft ist krank: Weimar lässt grüßen

1.6 Angst vor zu viel Bewegung

1.6.1 Projektion und Verschiebung (Womb)

1.6.2 Plädoyer für ein lebendiges Innenleben

1.6.3 Spezifikation des Projektionsbegriffs

1.6.4 Analytische Kurzschlüsse

1.7 Problematisch: die Strukturen fallen von uns ab

1.7.1 Das Kranke in den Strukturen freilegen

1.7.2 Den Verlierer in sich entdecken (The King's Speech)

1.7.3 Strukturen geraten in Bewegung

1.7.4 Bewegung, Erinnerungen und Psychose

1.8 Krank: Ödipus als Metapher für das Ganze

Störfall: das Zeichen will nichts mehr bedeuten

2.0 Vorrede

2.1 Systematische Kommunikationsverweigerung

2.2 Verstehen und Verständigung

2.3 Ein universales Beziehungsmodell (zum Begriff

soziale Praxis

)

2.4 Der Fall Baring: Helden braucht das Land

2.5 Über den Sinn ökonomischer und historischer Gegenstände

2.5.1 Sinn und Unsinn historischer Fakten

2.5.2 Immunisierung der Gefühle durch

leere Begriffe

2.6 Zum Begriff des strukturellen Desinteresses

2.6.1 Das Subjekt haucht sein Leben aus

2.6.2 Ethik und Moral

2.6.3 Probleme der Subjektbildung bei Kant

2.6.4 Mit Gefühl gefühlsfrei gestalten (Begriffsschematismus)

Anhang

Quellen

Filme, die besprochen oder erwähnt werden

Abkürzungen: siehe

Die Politisierung des Bürgers, Teil 2

Vorwort: über den Begriff der Weltlosigkeit bei Hannah Arendt

Die beschleunigte Zerstörung ökonomischer wie sozialer Strukturen liegt, wie in DP2 untersucht, in der wachsenden Unfähigkeit des Subjekts, Mehrwert zu erzeugen, begründet. Sie begrenzt seine Fähigkeiten, moralische Normen und Werte aus sich selbst heraus zu entwickeln mit der Folge, dass diese seinem Innenleben immer autoritärer, von oben herab, appliziert werden, sodass es ihm in einer Zeit erodierender universaler Strukturen der Verheißung, etwa im Glauben an Gott, immer schwerer fällt, diese mit seinen Gefühlen zu besetzen. Ohne jene Universalien erkennen sich die Menschen nicht mehr als ihresgleichen im Sinne moralischer Verobjektivierung (DP2-3.3.2) oder Kanalisierung ihrer Gefühle; die Verinnerlichung moralischer Werte haftet nur in dem Maße, wie jene übermoralischen Universalien: über Jahrtausende gewachsen als Glaube an die Verheißung Gottes, überzeugen – definitiv im Sinne eines Allgemeininteresses: einer übergeordneten Moral, an der sich jede besondere Moral zu bemessen hat.(DPB,22f,33-38; DP2,27f,109-112)

Heute überzeugen jene großen Glaubens-Universalien nicht mehr; sie geben ein Maß auf gesellschaftsumfassende Weise, an dem sich die Verinnerlichung besonderer moralischer Werte bemisst, nicht (mehr) ab.(DP2-3.1,-3.2) Daher werden sie zunehmend ersetzt durch quasi-universelle Gegenstände der Verheißung, die sich, ohne es wirklich zu sein, lediglich universell gerieren; sei es im Glauben an die Arbeiterbewegung, an eine Ideal-Gesellschaft, an einen guten Kern im Menschen (zur Rechtfertigung zukünftiger Idealität) – bis hin zum Glauben an kleine Schrullen der Verheißung, so der naive Glaube, dass mehr Frauen in Führungspositionen die Gesellschaft humaner machen. (DP2,158) Es sind dies beliebige Gegenstände der Verheißung, in die hinein das Subjekt Gefühle – verobjektivierend: Moral erzeugend – projiziert; dies auf dem Weg vom Gefühl zur Moral, um auf diese Weise auch ohne Gott als Maß aller Dinge seiner Atomisierung zu entrinnen. Jene beliebigen Quasi-Universalien erheben nicht selten den Anspruch, ein Maß für alle sozialen Strukturen: den gesellschaftlichen Kontext, zu repräsentieren, sodass sich dieser letztlich auf Gefühle reduziert sieht;(2.4) schon weil das Subjekt primär und fundamental soziale Strukturen, in die es unmittelbar involviert ist, mit Gefühlen besetzt, ohne an den gesellschaftlichen Kontext zu denken. Von einer bewusst hergestellten Subjekt-Gesellschafts-Verbindung (S.166) kann keine Rede sein; sie entsteht zum Leidwesen des Subjekts gewöhnlich intuitiv, hinter seinem Rücken, um nicht zu sagen: bewusstlos, gedankenlos, als sei sie, und damit der gesellschaftliche Zusammenhalt, auf natürliche Weise gegeben, gleichsam in den Genen des Subjekts verankert.(DP4-3.1; DEW-OCN)

Heute wissen wir: Gegenstände der Verheißung spiegelten reale Weltbezüge schon immer nur vor, während hinterm Rücken des Subjekts, im Windschatten verinnerlichter Idealitäten, soziale Katastrophen, von Gefühlen intensiv besetzt, anschwellen – bis hin zum Faschismus. Es sind dies Katastrophen, die Hannah Arendt mit den Begriffen Weltverlust oder Weltlosigkeit umschreibt.(HEW-HAA,78-84) Das Innenleben bleibt indes außen vor, auch wenn sie von innerer Weltlosigkeit spricht;(aaO,67) ohne aber innere Vorgänge über außersubjektive Strukturen des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zureichend zu explizieren; sodass dem inneren Vorgang oder Zustand unversehens der Status einer Ursache für die Entstehung sozialer Katastrophen zukommt: die Ursache für den deutschen Faschismus sieht A-rendt in einem Bruch der Tradition (der Aufklärung) begründet.(aaO,92ff) Als gäbe es in der geistigen Entwicklung so etwas wie eine gesunde Kontinuität als Voraussetzung für eine gesunde soziale Entwicklung zu wahren, damit Menschen ihren Verstand nicht verlieren. Ja, der Faschismus sei nur möglich auf der Basis von Gedankenlosigkeit, wie sie bei Adolf Eichmann 1961 im Prozess gegen ihn zutage trat.(aaO,56ff) In diesem Zusammenhang prägte Arendt den berühmten wie umstrittenen Satz von der Banalität des Bösen.

Die wesentliche geistige Eigenschaft von Eichmann ist in der Tat banal: seine Gedankenlosigkeit; doch heißt das auch, dass demzufolge der (richtige innere) Gedanke die (äußere) Welt regieren müsse oder könne? Ich denke nein; zumal dafür die (äußeren) sozial-ökonomischen Strukturen nicht entsprechend eingerichtet sind. Aber auch wenn sie es wären, wäre der Satz Richtige Gedanken müssen die Welt regieren belanglos. Eine Trivialität. Nichtssagend. Oder wenn er etwas aussagt, wozu mag er gut sein? Wem mag er dienen? Könnte es nicht sein, dass jener Satz dazu beiträgt, das Tun – die soziale Praxis, den außersubjektiven Bezug, den alltäglichen Nahbereich – zu diskriminieren? Ich fürchte ja, – wenn dem Denken mehr Bedeutung als dem Tun beigelegt wird. Als bestünde sprachgestützte interaktive Kommunikation, der Ort realer und daher wahrer Solidarität, nur aus dem (inneren) Denken. Dann wäre das menschliche Zusammensein tatsächlich nur eine Angelegenheit der Phantasie. Als sei das Denken, die Phantasie, der innere Vorgang, nicht bloß notwendige Bedingung der Kommunikation. Schlichter formuliert: dass wir denken, ist eine Plattitüde, die außer acht lässt, dass das Denken zuweilen gar nichts nützt, vor allem dann nicht, wenn's in der realen Praxis drauf ankommt: wenn das Kind gerade in den Brunnen fällt. Dann lassen große Geister es fallen; ohne mit der Wimper zu zucken; und fühlen sich im Recht.

Dennoch kann in diesem Diskriminierungs-Kontext der Begriff Weltverlust ein wichtiger Begriff sein, den Arendt nur nicht zureichend expliziert, wie übrigens auch den Freiheits-Begriff, den sie so schwammig wie inflationär verwendet – mit zuweilen rassistischer Einfärbung; so wenn sie gegen gemischtrassige Erziehungs- und Bildungseinrichtungen für Kinder plädiert, wenn diese sich nur mit Zwangsmaßnahmen durchsetzen lassen. Das sei gegen die Freiheit (des Einzelnen) gerichtet, zumal mit der guten alten amerikanischen Freiheit unvereinbar.(aaO,56)

Dummes Zeug. Ich würde den Begriff Weltverlust lieber so verwenden, dass er auf eine gestörte Innen-Außen-Beziehung verweist. Dann kann beschrieben werden, was genau auf dem Weg des Gefühls von Innen nach Außen (Welt) schief läuft, an welcher Stelle und warum die Externalisierung des Gefühls scheitert: die Vorstellung nicht zur sozialen Praxis drängt – mit der Folge, dass der alltägliche Nahbereich diskriminiert oder die Gefühle, die auf ihn verweisen, abgespalten werden; auf diese Weise würde Weltlosigkeit auf Kommunikationsverweigerung (2.1), bzw. strukturelles Desinteresses verweisen.(2.6) Einen solchen Weltverlust hätte man mit einer kritischen Einbeziehung der Theorie von Freud erarbeiten können. Dieser hat zumindest die Begriffe dafür bereitgestellt. So weit ist man bis heute nicht: zu erfassen, was im Innenleben falsch läuft im Sinne eines Quasi-Abdrucks dessen, bzw. einer notwendigen Bedingung dafür, was in der Gesellschaft (Welt) falsch läuft. Das eine, das gestörte Innenleben, ist in der Tat, wie Arendt wohl meint, die notwendige Bedingung dafür, dass etwas in der Welt falsch läuft, nicht aber – und exakt das analysiert Arendt unzureichend – die hinreichende Bedingung, die uns zur wesentlichen Ursache führt; diese sozialphilosophisch und systemtheoretisch begründbare Differenz wird in der heutige Sozialtheorie nicht zureichend berücksichtigt: für die meisten Sozialtheoretiker ist eine notwendige Bedingung gleich schon so etwas wie eine Ursache; unter vielen, versteht sich. Dadurch wird die Analyse indifferent, ein Fehler, der übrigens die ganze TKH von Habermas durchzieht.(S.173f) Mit ein wenig mehr Systemtheorie wäre ihm das vielleicht nicht passiert.

Die Ursache für einen gestörten Weltbezug liegt natürlich in den äußeren sozial-ökonomischen Strukturen begründet, die wiederum genau jene (inneren) Bedingungen hervorbringen, die das (äußere) System braucht, um zum Leidwesen des Innenlebens sozialunverträglich zu funktionieren. Und über deren Analyse überhaupt erst der analytische Zugang zum Innenleben erfolgt. In diesem Sinne bemühe ich mich im dritten Teil um die normativ-moralischen wie emotionalen Modalitäten der Zerstörung; mit diesen ist das Subjekt gehalten, Zerstörungen (des Systems) emotional-moralisch zu begleiten, mehr noch, im Interesse der Verheißung zu exekutieren, in Anlehnung eines sozialen Sachverhalts, den Arendt ganz richtig die Banalität des Bösen nennt: das Subjekt fühlt sich unbeteiligt, gar unschuldig, zurecht, denn es gibt einen Weg vom Gefühl zur Moral, den zu beschreiten das Gefühl nicht umhinkommt; zu beschreiten immer wieder aufs Neue. Ohne diesen iterativen Objektbezug existieren Gefühle nicht; deshalb kommen sie nicht umhin, moralische Urteile zu fällen; krankhaft und krankmachend genau dann, wenn auf dem Weg des Gefühls zum (moralischen) Gegenstand etwas schief geht, – die Externalisierung des Gefühls scheitert; wie gesagt, jeden Tag aufs Neue, wenn keine therapeutisch-(re-)sozialisierenden Hilfen, mithin kein intaktes soziales Umfeld zur Verfügung stehen.

Schief geht immer dann etwas, wenn sich Gefühle auf welche Objekte der Verheißung auch immer ergießen, etwa den Führer, der alles und nichts repräsentiert, während konkrete, fassbare Gegenstände des alltäglichen Nahbereichs, der Ort wahrer Solidarität, sich dabei diskriminiert sehen, bis zu einem Punkt, wo sie von sozialverträglichen Gefühlen kaum mehr kontaminiert sind, um schließlich phobisch zu Gegenständen bloßer Verrichtung zu degenerieren, weil sich Gefühle nicht abstellen lassen, sich irgendwann entladen – sozialunverträglich, von moralischen Imperativen begleitet. So etwas werde ich Missbrauch nennen. Er geht einher mit sauberen (Gefühls-) Ausschabungen des Innenlebens: völliger Weltverlust droht dann, wenn von dieser Ausschabung auch ferne Objekte der Verheißung betroffen sind, bis auch sie als Gegenstände der Besetzung ausfallen – Gefühlsbesetzungen dann aber mit Gewalt, von oben nach unten, durchgereicht werden; während die Gegenstände des Nahbereichs sich weiterhin diskriminiert sehen, um schließlich von Gewalt bedroht zu werden – etwa in Form von Kriegen, Terror, Einsätzen der Bundeswehr im Inneren, Gewalt in Familien, wachsender Kriminalität.

Aber schon im Vorfeld weitgehender Gefühlsarmut neigen Gefühle, wenn sie sich auf ferne Objekte der Verheißung ergießen, krank und krankmachend dazu, sich zur obersten Bewertungsinstanz zu erheben über gut und böse, richtig und falsch, schuldig und unschuldig, unverhandelbar, Kommunikation verweigernd, sodass sich, umgekehrt, der moralische wie gesellschaftliche Kontext auf Gefühle reduziert sieht.(2.4) Auch jeden Tag aufs Neue, im Sinne eines iterativen Vorgangs, der allerdings so lange zum Brunnen geht, bis er bricht – mit der Folge umfassender Orientierungslosigkeiten, Gewaltausbrüchen bis hin zum Massenmord.(DP4-1.4.1)

Kurzum: es gibt eine Moral, die in die Katastrophe führt. Dennoch ist die moralische Verantwortung des Subjekts in dem Maße rekonstruierbar wie es im Kontext seiner (Re-)Sozialisierung in immer neuen Anläufen gelingt, die Moral unserer heutigen Gesellschaft im Innenleben als krank freizulegen. Dies wird allerdings umso weniger gelingen wie der ökonomische Spielraum von immer mehr Menschen durch den Mehrwertzwang immer enger wird; dieser, nicht der Kommunismus, ist das eigentliche Gespenst, das, um es mit Derrida zu sagen, zusammen mit anderen Marxschen Begriffen durch die Welt geistert, seit mehr als 150 Jahren, um uns bis heute heimzusuchen. (BRK-VDN)

Hamburg, Februar 2013

Franz Witsch

1. Projektionsformen: Entfaltung des Krankheitsbegriffs

1.0 Vorrede

Der neuzeitliche Rationalismus im Sinne von Moralphilosophie ist in der Philosophie von Kant zu einem gewissen Abschluss gekommen, an dem viele seiner Nachfolger, insbesondere seine Epigonen, sich die Zähne ausgebissen haben. Sie wollten entweder, wie beispielsweise Fichte oder Schopenhauer, über ihn hinaus, da seine Philosophie nicht zu Ende gedacht sei, oder aber sie plappern ihn heute nach, wie Otfried Höffe (HOO-IKA), der vermutlich glaubt, seine Philosophie enthalte heute im wesentlichen noch alles, worauf es in unseren Tagen sozial und moralisch ankommt. Ich denke, die Kantsche Moralphilosophie verträgt eine Interpretation aus der heutigen Perspektive; diese ist eine ganz andere als die zu Kants Zeit; vielleicht dass sie heute eingebunden werden kann in eine Theorie der Gefühle, die ihrerseits im Sinne von Bestandsregungen unmittelbar auf Moral verweisen: das Gefühl existiert im Objektbezug. Das schließt ein: die Bestandsregung verweist im Projektionsmodus unmittelbar auf Bestandsinteressen singulärer sozialer Strukturen – sozusagen im Kurzschluss auf ethisch-moralische Strukturen, die sich ihrerseits definitiv messen lassen müssen an obersten moralischen Grundrechten, die wiederum in jenen singulären oder ethischen Strukturen nicht aufgehen. Damit steht die Moral im Sinne einer Grundrechtsnorm über dem Gefühl, das in der Ethik sehr wohl aufgeht; will sagen, die Vorstellung, wie man sich ein schönes Leben vorstellt, muss sich letztendlich messen lassen an unmittelbar einklagbaren obersten Grundrechten; kommen diese ins Spiel, endet jeglicher Kurzschluss (l'état, c'est moi). Mit ihnen zeigt sich: der gesellschaftliche Kontext ist nicht auf Gefühle reduzierbar, es sei denn in kranker und krankmachender Weise – im Kurzschluss. Das geht mit Spannungen einher, eben weil Gefühle (ich will den Kindesentführer foltern) fundamental sind, wiewohl sie sich im Zweifel für Grundrechte nicht interessieren, und doch nicht über allem stehen (dürfen); sie bedürfen der beständigen Domestizierung durch Moral (absolut geltendes Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, auch für einen Mörder). So weit war Kant noch nicht. Für ihn war sogar die Todesstrafe unverzichtbar.

Warum aber ist es wichtig und wie ist es zu verstehen, die Moralphilosophie von Kant im Projektionsmodus zu interpretieren? Ich möchte behaupten, dass eine Kant-Interpretation aus der heutigen Perspektive nur noch sinnvoll ist im Kontext der Analyse sozialer Strukturen, die den Projektionsmodus, und damit das Innen-Außen-Verhältnis, ausdrücklich einbezieht, das bei Kant eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Um das zu illustrieren, sei die folgende These vorausgeschickt: Kant hat das Innen-Außen-Verhältnis gegenüber dem kartesischen Denken geöffnet, wenn auch nur im Sinne eines festgefügten Verhältnisses, resp. invarianten Objektbezugs des Gefühls. Das schließt ein: seine Philosophie kennt noch nicht den Begriff der Verschiebung (des Gefühls im Objektbezug), obwohl er die begrifflichen Konstruktionen insofern vorbereitet hat, als es bei ihm ausdrücklich ein Innen gibt, das allerdings zum Außen in einem apriori-festgefügten Verhältnis steht. Bei Descartes und vor Kant gab es das Innen-Außen-Verhältnis in Gestalt des Leib-Seele-Dualismus. Leib und Seele, Geist und Materie standen sich feindlich gegenüber. Bei Freud gibt es die Verschiebung festgefügt hin zu Ödipus. Dieser ist das Super-Objekt, der Vater aller Objekte, gleichsam der Super-Bezug, in dem alles zusammenkommt und endet, von dem nicht ausdrücklich alle (Objekt)Bezüge abhängig sind, aber doch im wesentlichen die, die einem analyse- und therapiebedürftigen Subjekt zu schaffen machen.

Sich mit einer Philosophie zu beschäftigen schließt ein, dass man sich ihr historisch nähert. Ich denke in Ergänzung zur These, dass alle bisherige Geschichte seit dem AT als Arbeit an der Ausbildung des Innen-Außen-Verhältnisses interpretiert werden kann. Den Juden ist hier ein revolutionärer Einschnitt gelungen, und zwar im Kontext mit ihrem Auszug aus Ägypten, der in eine neue Ordnung mündete unter der Obhut eines einzigen Gottes, der fortan, wie noch im Exodus, nicht mehr Teil einer Bewegung (durch die Wüste) sein sollte, sondern der über der sich etablierenden gelobten und zu lobenden irdischen Ordnung, diese legitimierend, stehen musste, und dem als dem Schöpfer und Besitzer aller natürlichen und sozialen Dinge dieser Erde nichts Natürliches mehr anhaften durfte. Er löste sich aus dem alltäglichen menschlichen Nahbereich, um als abhebendes und abgehobenes Objekt zum Gegenstand der Verheißung zu werden, auf den um ihren Bestand besorgte Gefühle (unendlicher Sehnsucht) projiziert werden konnten, dadurch, dass sie durch die Verheißung hindurch unendlich in die Zukunft verlängert wurden.

Mit diesem abgehobenen Objekt der Anbetung und Verheißung, Schöpfer aller sozialen und materiellen Dinge, ohne ihnen inhärent zu sein, war der Geist(Seele)-Materie(Leib)-Antagonismus in Grundzügen angelegt, den Kant gegen Descartes in den Innen-Außen-Mechanismus transformierte, der aus einer mechanistischen Weltsicht heraus weniger auf Bearbeitung und Beweglichkeit, dafür umso mehr auf indifferente (Innen-Außen-)Versöhnung gerichtet ist; indifferent deshalb, weil Kant sie mit einer Hoffnung (was dürfen wir hoffen) verknüpfte, die real (notwendig existent), sozusagen systemrelevant ist, aber nur als gedachte All-Ursache moralisch-sozialer Verobjektivierung (was müssen wir wollen). Das zu Erhoffende verweist in Abgrenzung zur Ist/Soll-Verbindung nicht auf eine konkret-empirische Wirklichkeit; sondern existiert lediglich als Hoffnung auf eine spätere mögliche und nur gedachte Versöhnung: als Begriff ohne Gegenstand (Noumenon). Und doch liegt in der empirischen sozialen Realität eine moralische Wahrheit, ein Sollen, das Kant in seiner Philosophie apriorisch freigelegt glaubt, das Sittengesetz, eine Moral, die nichts darstellt, was nicht immer schon Teil des Innenlebens gewesen sei, an der sich die soziale Realität daher notwendig ausrichten muss, wenn sie denn als vernünftig auf eine zu erhoffende allgemein glückseligmachende Realität verweisen soll. Begründete Hoffnung ist sozusagen der vorauseilende Köder für die Moral. Ja, in der Praxis waren Kommunisten und heute die PDL niemals etwas anderes denn Kantianer: Das Signal (Völker, hört die Signale) als vorauseilender Köder für die gemeinsame politisch wie moralisch motivierte Tat; de facto nur bierseliger Singsang, wie man das aus Fußballstadien kennt.

Das alles hört sich, philosophisch formuliert, nicht nur so an wie ein Zirkelschluss; es ist auch einer, freilich ein erhellender; denn Kant nahm den Projektionsbegriff vorweg: Seine Philosophie postulierte ein Innenleben, das er moralisch definierte: ihm sei etwas apriori, also empirisch nicht beschreibbar, inhärent: die Stimme der Vernunft, die ausnahmslos jeder Mensch, noch der ganz Böse, in sich vernehme. Diese Stimme existiere als KI; er besagt:

“Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.”(KAI-GMS,51)

Diese Stimme sei ursprünglich gesetzgebend, ohne ein wirkliches Gesetz zu sein, das auf ein empirisch beschreibbares Interesse verweist. Und weil jeder Mensch diese Stimme in sich vernehme, wenn er nach (seinen) empirisch beschreibbaren Maximen denkt und handelt, gäbe es die Stimme, quasigegenstandslos, dennoch als Faktum der Vernunft, welche das Innenleben vorhersehbar (notwendig, so und nicht anders) und realitätswirksam nach außen gestalten könne, im Interesse einer allgemeinen Zukunfts-Glückseligkeit, vorausgesetzt, der Mensch gibt der Vernunft (seiner inneren Stimme) eine Chance – gegen alle egoistischen Neigungen und Triebe. Das wäre dann wirkliche Aufklärung: der Austritt des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.

1.1 Kant: Wahrheit beginnt und endet im Innen

Aber Wahrheit ist im Zufall, resp. der empirischen – sozial wie physisch beschreibbaren – Wirklichkeit enthalten, um sie auf notwendige, resp. wahre Weise zu ordnen. Oder anders: in der Natur liegt sie geordnet vor; und in der sozialen Realität muss sie geordnet werden. Der physischen Natur ist Wahrheit auf natürliche Weise inhärent; wir finden die Dinge der Natur gleichsam naturwüchsig in geordneter Form vor; sie verweisen auf die Frage: was kann ich wissen? Antwort: ich kann das erkennen, was ist, immer schon da war und nie anders sein wird, nicht die Dinge der Natur selbst, sondern ich kann nur das erkennen, was sie – die transzendenten Dinge der Natur – transzendental ordnet und zusammenhält. Das trifft auf die moralischsoziale, also praktische Welt nicht zu. Sie ist ganz und gar nicht so, wie sie sein soll und verweist auf etwas, was nicht ist und damit auf die Frage: was soll ich tun?, also auf eine Handlungsanweisung, die in Gestalt einer inneren Stimme in jedem Menschen vorhanden ist; das ist der KI. Dieser inneren Stimme sollten möglichst viele Menschen gehorchen, damit eines Tages, vielleicht erst nach dem Tod, einmal werde, was noch nicht ist, eine Welt, in der Glückseligkeit herrsche; diese ist (motivierende) Ursache heutigen Denkens und Handelns wie auch Endzweck der Geschichte, in der der Mensch Mittel und Zweck in einem ist; diese Welt sieht Kant vorweggenommen in einem Sollen, der den obigen KI wie folgt modifiziert:

“Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.”(KAI-GMS,61)

Wobei es immer um das Innenleben des Menschen geht, das auf ein Außen im Sinne einer nur vorgestellten, gleichsam imaginativ-phantastischen Welt verweist. Das heißt, im Innenleben allein sieht Kant eine glückselige Welt vorweggenommen oder vorwegnehmbar, während diese selbst nie als ein fest umrissener Gegenstand, resp. gesellschaftliche Entität und schon gar nicht im Sinne konkret einklagbarer Grundrechte (keine Todesstrafe, kein Arbeitszwang), in den Blick gerät, genauso wie die reale soziale Wirklichkeit zwar empirisch beschreibbar, aber im wesentlichen nicht isoliert, sondern nur in Abhängigkeit vom Innenleben der Kritik zugänglich ist, um nicht zu sagen: bei Kant beginnt und endet alles im Innen. Das Subjekt hat per Definitionem den schwarzen Peter; es ist schuld, wenn etwas schief läuft oder schief gelaufen ist in der sozialen Realität. In ihm ist alles vorweggenommen, sowohl im Guten wie im Bösen. In einer solchen nur vorstellbaren Welt allgemeinen Glücks sind Ist und Soll, besser: Sein und Sollen (KI), versöhnt, folgenlos, ohne dass die Realität in die Schusslinie der Kritik gerät. Beide Welten, das Böse gegen das Gute, verweisen auf eine dritte Welt, in der das Böse sich vor dem Guten verbeugt, auf die das Subjekt nur hoffen darf, eine Welt ohne Begriff, im Konjunktiv, denn man kann nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass eine solche Welt sein wird, schon gar nicht wissen, wie sie aussehen wird, auch nicht davon ausgehen, dass alle Menschen ihrer teilhaftig sein würden, sollte sie denn eines Tages tatsächlich anbrechen. Ein Konjunktiv jagt den nächsten. Fest steht nur – im Indikativ –, dass es das absolut Böse im Menschen gibt, dem viele nicht zureichend zu widerstehen vermögen, und die deshalb in einer möglichen zukünftigen dritten Welt der Verheißung nichts verloren haben. Sie werden ihre schlechten, gleichsam bösen Gefühle (in Gestalt unwiderstehlicher Neigungen und Triebe) nicht los, begehen daher böse Taten und lassen die jetzige Welt, das reale Sein – so seht doch, wie brutal sie sind! – böse aussehen; sie vermögen dem antagonistisch zu verstehenden Spannungszustand zwischen Sein und Sollen nicht zu entrinnen, um diesen – anstatt ihn der sozialverträglichen Be- und Verarbeitung im intersubjektiven Kontext zuzuführen – zu sublimieren: auf besagte dritte Welt, Objekt zu hoffender Versöhnung, zu verschieben, um in dieser Verschiebung schlechte Gefühle, die nur das profane triebgesteuerte Interesse kennen, in schöne, höherwertige, mithin selbstlose und sittliche Gefühle zu verwandeln, in der Lage, sich vor der schönen Form, der Kunst, zu verbeugen, in der das Innere vollständig versöhnt ist mit äußerer wie innerer Welt, symbolisch, versteht sich, im interesselosen wohl- wie selbstgefälligen Blick auf einen Kunstgegenstand; hier dürfen wir, im angeblödeten Blick auf die Kunst, eine jenseitige Welt erahnen, in der menschliche Gier und Neigungen überwunden sind.

Für Kant lasten drei Fragen auf diesen drei vorläufig noch getrennt existierenden Welten (Ist, Soll, Versöhnung). Sie müssen getrennt bearbeitet werden, da sie im Ist-Soll-Antagonismus noch unversöhnt nebeneinander existieren; wobei das Soll nicht auf eine konkrete äußere Welt, sondern auf ein moralisches Substrat, den KI, auf ein Sollen verweist, das im Inneren des Menschen angesiedelt ist, und das es freizulegen gelte: sowohl im Sinne einer (inneren) moralischen Einsicht in die Notwendigkeit (des KIs), als auch im Sinne auf eine gedachte Verbindung hin zu einer möglichen – zu erhoffenden – zukünftigen Welt. Diese drei Welten lässt Kant am Ende seiner ersten Vernunftkritik in die oben angedeuteten drei Fragen münden:

Was kann ich wissen?

– in der physisch-empirischen Welt (theoretische Vernunft).

Was soll ich tun?

– in der sozial-empirischen Welt (praktische Vernunft).

Was darf ich hoffen?

– auf eine glückselige Welt; auf Versöhnung, ästhetisch vorweggenommen in der Kunst, resp. dem (ästhetischen) Urteil, behandelt in der dritten Vernunftkritik, der

Kritik der Urteilskraft

. (KAI-KrV,677)

Mit der abschließenden Bearbeitung dieser drei Fragen in der zweiten und dritten Vernunftkritik (KAI-KpV,KAI-KUK) und einer damit einhergehenden Verbindung von praktischer und theoretischer Vernunft (Welt), die in eine dritte Welt zu erhoffender Versöhnung einfließt, sieht Kant den neuzeitlichen Rationalismus im Sinne einer Moralphilosophie gewissermaßen zum Abschluss gebracht; seine Philosophie macht in der Tat den Eindruck einer bewusst zu Ende gedachten Aufklärung, andernfalls sie in Kants Augen vielleicht nicht (hinreichend) aufgeklärt wäre. Alles, was nach ihr käme, würde vermutlich alles schlechter machen. Wie dem auch sei, in diesem Kontext stellen sich aus heutiger Sicht, als Einstieg in die Innen-Außen-Problematik, zwei wesentliche Fragen:

Ist Kant ein in sich stimmiger (zu Ende gedachter) Entwurf gelungen?

Was bedeutet

in sich stimmig

im sozialen Kontext, bzw. lassen sich Kriterien eines in sich stimmigen Gesamtentwurfs von Aufklärung formulieren?

Dazu sei das Folgende angemerkt: Vielleicht gibt es zum einen (1) Teilbereiche einer sozial und moralisch motivierten Aufklärung, die in sich stimmig formuliert oder zu Ende gedacht werden können oder müssen, ohne der etwas überspannten Meinung zu sein, alles in Bezug auf die soziale Realität könne oder müsse zu Ende gedacht werden, um am Ende in einem spannungslosen Zustand einer nur gedachten umfassenden Versöhnung zu enden, die vermutlich doch nur krankhafte Projektionsvorgänge anzeigt (DPB,25), in denen sich soziales Desinteresse strukturell zu verbergen vermag, mithin das Interesse am Andersartigen, dem Randständigen, Grenzwertigen und Ausgegrenzten, in Huldigungsbedürftigkeit wie im verblödenden Kunstgenuss verreckt. Von realer und wirklicher Versöhnung keine Spur; alles nur simuliert; schlimmer: eine perfide Form von Abwehr insofern, als das Bedrohliche, Schmerzhafte, Verletzliche nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen wird, bzw. der Zugang insbesondere zu eigenen Verdrängungen und Abwehrmechanismen blockiert scheint oder sogar ist. So ist in der Tat alles zu Ende gedacht. Zum anderen (2) bedeutet ein in sich stimmiger Entwurf in Bezug auf die Gesamtheit aller sozialen Strukturen vielleicht nur, dass diese sich an einer Sache messen lassen, die nicht aus eben jenen sozialen Strukturen heraus verstanden werden darf, um nicht in die Falle krankhafter und krankmachender Projektion zu geraten, deren Krankheit sich heute immer sichtbarer abzeichnet und damit sich einer Bearbeitung im intersubjektiven Kontext verschließt, aus Gründen wie in (1) beschrieben.

In DPB habe ich den sozialen Sachverhalt einer Projektion, die nichts von sich weiß, am Beispiel des ehemaligen Ministerpräsidenten von Hessen, Roland Koch, beschrieben, der als Scharfmacher dafür bekannt ist, Politik auf Kosten sozialer Randgruppen, in diesem Fall gegen jugendliche Straftäter, zu betreiben.(DPB,50f) Ich denke, dass Koch Rachegefühle, wie auch immer innerlich motiviert, transportiert, von denen er nichts weiß, nicht weil er sie heimlich oder im Verborgenen lebt, sondern weil er diese tatsächlich nicht fühlt, da sie sich in der Fähigkeit zum Kunstgenuss immer wieder auflösen, bzw. in schöne Gefühle (der Rührseligkeit) verwandeln (DPB,147-153); und wenn nicht, sind Restbestände eines schlechten Gefühls ggf. Sache der Interpretation: wehe dem, der sich für den Täter interessiert, der kann was erleben. Das schlechte Gefühl richtet sich dann begründet gegen den, der den Täter in die Analyse einbezieht und dem Opfer zu wenig Aufmerksamkeit zollt. Der Fall Koch zeigt an, dass der kommunikative Kontext grundsätzlich projektionsgestützt ist; er ist und bleibt spannungsgeladen, mit negativen Gefühlen immer wieder besetzt oder kontaminiert. Er kann daher aus sich selbst heraus in sich schlüssig nicht zu Ende gedacht, noch viel weniger gleichsam zu Ende gefühlt oder gelebt werden; es sei denn auf der Ebene unreflektierter Gefühle: einer kranken und krankmachenden Projektion, die nicht weiß, dass sie krank und krankmachend, zumal im antagonistischen Gut-Böse-Schema Gefühle nicht zu reflektieren vermag: hier das gute Opfer, dort der böse Täter. Dann herrscht Ruhe im Lande; dann wird der sprachgestützte intersubjektive Kontext von den Teilnehmern gleichsam selbstzufrieden an einer Sache gemessen, die sich aus eben diesem intersubjektiven Kontext selbst versteht: der Mensch als Maß seiner selbst, alles dreht sich um ihn, zwanghaft, wie das bei Kant in der Tat zirkelschlüssig zu befürchten ist, und wie es bei logisch-mathematischen Entitäten legitim oder bei physisch beschreibbaren Sachverhalten bis zu einem gewissen Grad praktisch geboten sein mag, sie so zu analysieren; dort hat man es mit Automaten zu tun. Funktionieren sie, sind sie gut, funktionieren sie nicht, sind sie böse. Bezogen auf die soziale Welt – Mensch als Maschine – endet das im antagonistischen Gut-Böse-Schema oder einer schönen zusammenphantasierten Welt. Das alles, weil Kant zwei Welten zusammenführt, die nicht zusammen gehören. Was die soziale Welt betrifft, so bin ich überzeugt und sage es immer wieder, dass der sozialwissenschaftliche Diskurs nicht umhin kommen wird zu sagen, was er für alle Menschen will: es muss unmittelbar einklagbare Grundrechte – körperliche Unversehrtheit, keine Armut, kein Arbeitszwang – geben, an denen sich soziale Strukturen und die in sie involvierten Menschen messen lassen müssen, wenn wir den Menschen im gesellschaftlichen Kontext, also quasi zu Ende gedacht, als einen der Analyse zugänglichen sozialen Sachverhalt begreifen wollen.(DPB,22,30) Dass wir ihn als sozialen Sachverhalt begreifen, zeigen wir implizit jeden Tag, wenn wir uns Gedanken über uns selbst und andere Menschen machen, freilich ohne hinreichend zu ermessen, auf was wir uns einlassen, wenn wir Menschen analysieren, gewissermaßen in sie, ihr Innerstes, eindringen: Ein Hartz-IV-Abhängiger hat faktisch keine Privatsphäre, kein Innenleben, das er verbergen könnte. Er ist ausschließlich Objekt der Analyse. Diesbezüglich gab es für Kant nichts zu verbergen; für ihn war das Innenleben gleichsam Definitionssache. So einfach machen wir es uns heute noch. In Wirklichkeit sieht die Sache anders aus: das Innenleben ist eine schützenswerte Angelegenheit im Kontext eines sozialen Sachverhalts, der der Analyse zugänglich ist: Zu einer solchen sozial motivierten Analyse, die auf Sozialintegration zielt, gehören mindestens zwei Menschen; einer, der analysiert, und ein weiterer, der analysiert wird, wobei nicht ausgeschlossen werden darf, dass die Rollen wechseln. Denn die Analyse ist implizit und damit in der Tendenz mit reziproken Erwartungshaltungen verbunden, die in letzter Instanz, auf die gesellschaftliche Ebene übertragen, unveräußerliche Rechte – die eben genannten Grundrechte – voraussetzen, die es gestatten, sein Innenleben (die eigene Person) zu schützen, bzw. vor anderen zu verbergen. Mit anderen Worten, man muss sich einer Analyse, die immer auch eine analysierbare soziale Beziehung darstellt, entziehen können, wenn man in ihr mit vorhersehbarem Ergebnis immer nur Objekt fremder Projektionen ist, in die übrigens auch der analysierende Täter gefangen und befangen bleibt. Das ist dann der Fall, wenn die Einbeziehung des Innenlebens einseitig immer nur in eine Richtung: auf einen zu behandelnden Menschen, zielt, um diesen gutmeinend, zu therapeutischen Zwecken, auf ein bestimmtes Verhalten zu verpflichten, beispielsweise eine Arbeit anzunehmen, die er nicht machen will.

Ein Ansatz, der die Innen-Außen-Analyse äußerer und damit verhandelbarer sozialer Sachverhalte an dem (wiederum außersubjektiven) Kriterium einklagbarer Grundrechte bemisst, verträgt sich ganz und gar nicht mit einer Aufklärung, wie Kant sie vertrat, stand dieser doch für eine Geisteshaltung, die einklagbare Grundrechte für ausnahmslos alle Menschen nicht auf ihrer Rechnung hat, es sei denn, abhängig von (inneren) moralischen Eigenschaften und Verdiensten eines konkreten Menschen. Dann wird Menschenwürde nicht als etwas begriffen, was zu praktischen Zwecken konkret bestimmbar ist, außersubjektiv, mit der Konsequenz, dass sie jedem Menschen gewährt werden muss, damals, zu Kants Zeiten, wie heute. Für Gerd Haberland ist Menschenwürde nur Definitionssache, (inner-)subjektiv definiert, abhängig von inneren (Gefühls-)Eigenschaften, bzw. Qualitäten (Verdiensten), und daher mit (äußerer) Armut und Arbeitszwang vereinbar, wie er in WO verlauten ließ; für ihn sei es

“ein seltsames Recht, auf Kosten andrer zu leben”, denn Würde “ist auch Scham, andern auf der Tasche zu liegen. Zur Menschenwürde gehört auch, dass der Mensch (...) sich beschämt fühlt, wenn er auf Kosten anderer Leute (...) leben muss. Den Empfängern solcher Geschenke ohne Gegenleistung darf es nicht erspart bleiben, diese Situation als schmerzlich zu empfinden.” Dies sporne an, “aus dieser unwürdigen Lage wieder herauszukommen. Gerade dieses gewisse Stigma der öffentlichen Unterstützung empfinden aber unsere Sozialapologeten als eine unzumutbare „Demütigung'.”

Solche Aussagen gegenüber abhängigen und bedürftigen Menschen sind unverschämt. Entsprechend folgenlos – praktisch auf nichts als nur auf innere Eigenschaften zeigend – definiert Haberland den Begriff der Menschenwürde; sie bedeute

“zunächst nur die objektive Sonderstellung des Menschen gegenüber den „vernunftlosen' Tieren und der unbelebten Welt, weil der Mensch überlegt handeln und seinem Leben Wert und Sinn verleihen kann. Das ist ganz unabhängig davon, ob er ein armer Almbauer oder ein reicher Börsenmagnat ist: Menschenwürde ist mit dem Menschsein selber gegeben. Genauso wie persönliche Freiheit nicht mit gutem Versorgtsein oder Wohlhabenheit korreliert. Man ist nicht unfrei, wenn man ärmlich leben muss (...) Der wohlversorgte, aber angekettete Hofhund des Bauern ist nicht schon deswegen frei, weil er gut versorgt wird; und der hungernd herumstreifende Fuchs ist nicht deswegen unfrei, weil er hungrig ist.”(WOL-H4S,BAE-BRT)

Das sind menschenverachtende Sätze, die auf einer langen Tradition beruhen. In dieser gerinnt der (demütigende) Gehorsam insbesondere materiell abhängiger Menschen gegenüber staatlichen Behörden, überhaupt das obrigkeitsstaatliche Denken, zur ersten Bürgerpflicht. Gehorsam stand für Kant über der Freiheit des Diskurses; wohlwollend legte er wenige Jahre vor seinem Tod Friedrich dem Großen die folgenden Worte in den Mund: räsoniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht! Menschen, die nicht gehorchen, müssen damit rechnen, dass sie gedemütigt werden. Dieser menschenverachtende Ansatz gilt noch heute und ist mit der Kantischen Philosophie nicht nur vereinbar; sondern macht ihren Charakter ausdrücklich aus; sie bemisst menschliches Handeln, also die außersubjektive soziale Welt des Menschen, folgenlos, resp. unverhandelbar, an etwas, das im Innenleben eines jeden Menschen, und daher apriori erkennbar, angesiedelt ist: Die soziale Welt ist als Ergebnis einer inneren moralisch-praktischen Fähigkeit, der inneren Stimme des KIs zu gehorchen, interessant, und ausdrücklich nicht interessant als zu analysierendes Substrat im Hinblick auf eine zu verändernde soziale Welt, um wiederum auf ein gestaltbares wie bewegliches Innenleben zu verweisen. In diesem interessiert Kant nur die innere Stimme des KIs; so ist für ihn das Innenleben nur Gegenstand gehorsamer Anpassung an äußere Strukturen und nicht etwas, was sich für einen Einzelnen im Einvernehmen und auf Augenhöhe mit den äußeren Strukturen gestalten ließe. Ein Arbeitsloser hat nichts zu gestalten; ihn muss man zu seinem Glück zwingen, da er nicht weiß, was für ihn gut oder schlecht ist. Das zeugt von einer menschenverachtenden Geisteshaltung, die verknüpft ist mit einer bestimmten Innen-Außen-Ansicht.

Ich möchte den gerade entwickelten Sachverhalt wie folgt illustrieren: Für Kant und heute noch für Haberland ist die Sache entschieden; das Ei (Innen) ist zuerst da, fix und fertig – apriori erkennbar – als feststehende wohl umrissene Entität und zu praktischen Zwecken freizulegen, und dann erst folgt die Henne (äußere Realität); sie ist notwendiges Ergebnis, wenn auch im Kontext weiterer notwendiger (äußerer) Bedingungen (unerlässlicher Brütvorgang). Sind diese gegeben, enthält das Ei alles, was die große weite soziale Welt ausmacht. Diese ist dem Ei gleichsam inhärent. Analog dazu würde der KI eine glückselige soziale Welt, wie sie im aufgeklärten Absolutismus Friedrichs des Großen vorgezeichnet sei, ausbrüten, wenn er, der KI, das menschliche Denken und Handeln zureichend vorentscheiden und damit die soziale Realität gleichsam fix und fertig ausbrüten würde; so wie das Wachstumsgen das physische Wachstum der Natur ausbrütet. Die äußere (soziale) Welt ist also – zu analytischen Zwecken – nicht isolierbar vom menschlichen Innenleben, um für sich genommen Gegenstand kritischer Analyse zu sein, und damit auch nicht intersubjektiv verhandelbar, sondern wie die Natur einfach da, und als bessere Welt nur im Konjunktiv: im Sinne einer möglichen, noch dazu immer nur zu erhoffenden Verheißung. Auf dieser völlig belanglosen Basis einer immer nur zu erhoffenden Verheißung wird die soziale Realität aus der Schusslinie jeglicher Kritik genommen. Der Mensch und das, was ihn im Innersten zum Schöpfer der sozialen Welt macht, ist schuld, wenn diese nicht so werden kann, wie sie sein sollte. Schließlich konsumiert er das, was produziert wird. Muss er das? Nein. Also ist er verantwortlich. Damit bleibt die Kritik fokussiert auf das Innenleben des Menschen: ist es böse, befleckt es die gegebene (innerlich vorentschiedene und vorentscheidbare) äußere soziale Realität; sie wird böse und beleidigt obendrein unser ästhetisches Empfinden, gieriges und falsches Konsumverhalten, schlimmer: alles Elend dieser Welt, das man bis heute behandelt, als gehöre es einfach nur unterlassen oder, was das hungernde Elend dieser Welt betrifft, verdrängt. So die Ausgrenzung; sie gehört aus pragmatisch-gutmeinenden Gründen verdrängt, vor unserer Haustür: ich würde mein Kind ja bei den Schmuddelkindern lernen lassen, wenn seine Begabungen dort nur nicht auf den Hund kämen. Anstatt sich konkret einzumischen, sodass politisch Verantwortliche es auch merken, es ihnen also weh tut, labert man von irgendeiner Verantwortung den eigenen Kindern gegenüber. Dass man nur labert, erkennt man heute an den mittlerweile wohlversorgten Grünen und jetzt auch an der neuen alten PDL, deren Repräsentanten auch versorgt sein wollen. Sie sind in Parlament und Regierungen vertreten und verändern buchstäblich nichts, was sie Jahre und Jahrzehnte zuvor tränenrührend immer beklagt und bekämpft hatten, in der (außerparlamentarischen) Opposition, als noch keine Parlaments- und Regierungspfründen zu verteidigen waren.

Und das soll heute anders sein? Irgendwann ist man, eingepackt in viel Watte, mental so weit, dass sich die Kritik anschmiegt an das, was sie kritisiert; die Ursachen für eine unsoziale Welt werden nicht mehr konsequent in eben dieser unsozialen Welt gesucht, sofern diese das menschliche Leben, die Gestaltung äußerer wie innerer Strukturen, resp. die Innen-Außen-Beziehung, unerträglich begrenzen; sondern das den Menschen und sein Leben Begrenzende wird primär angesiedelt und vorentschieden im Inneren des Menschen selbst und daher unanalysierbar. Noch dazu wird das Unerträgliche immer weniger bis gar nicht als Ergebnis pseudo-kritischer Einmischung in Verhältnisse begriffen, weil man aus nahe liegenden Gründen von dem ach so Unerträglichen so lange es irgend geht profitieren möchte. Entsprechend abstrakt und folgenlos ist nicht nur die Kritik; ebenso folgenlos sieht man die Würde im Menschen angesiedelt, die vermutlich mit der eigenen allzu verletzbaren Befindlichkeit verwechselt wird, die einen Schuldigen braucht und findet, damit alles wieder in die Ordnung kommt; eben weil alles sowohl in der Natur wie in der sozialen Realität wohl geordnet erscheint; die Natur im Indikativ; die soziale Realität – mitsamt den allzu verletzbaren Gefühlen – im Konjunktiv, wobei der Konjunktiv im vorauseilenden Gehorsam im Indikativ abgebildet erscheint, was Wohlverhalten gegenüber dem Bestehenden nahe legt, zumindest den Menschen gegenüber, die es verdienen, weil sie Großes leisten und geleistet haben: bitte Kritik so, dass sie nicht verletzt und mein Engagement nicht ausdünnt! Schließlich geht's immer auch um Gefühle, pardon: Würde, nicht wahr?, und die möchte man nicht verletzt sehen, es sei denn bei denen, die es verdient haben, ihren Arsch nicht hoch kriegen wollen. Kritik ja, aber sie darf vor allem denen nicht weh tun, die Macht haben, mithin die guten Gefühle der Wohlanständigen nicht verletzen, die jeden Tag beweisen, wie selbstlos sie ihren Arsch hoch kriegen.

Kant argumentierte damals noch ganz unbefangen eindeutig und klar; er laberte nicht nur, wie heute, um den heißen Brei herum. Die Todesstrafe passte gut in seine Philosophie. Man weiß, woran man mit ihm ist. Man versteckte sich früher nicht. Auch gab für Kant die physisch beschreibbare Welt ganz klar das erhellende Vorbild für die sozial beschreibbare Welt ab. Für die soziale Welt postulierte er eine gedachte All-Ursache zukünftiger Verheißung, über die wir nichts wissen können, von der wir nur wissen, dass sie notwendig, moralisch geboten ist. Für die Natur postulierte er eine umfassende Ursache, die zeitlich zurück liegt, die die Welt irgendwann einmal hat entstehen lassen. Überall gilt das Kausalitätsprinzip; auch in der sozialen Welt (in der Innen-Außen-Beziehung); dort muss es einen Grund geben, um der inneren Stimme des KIs zu gehorchen; dieser Grund liegt in der Zukunft. Er liegt vor uns als innere Hoffnung auf eine zukünftige Welt (also im Innen verborgen, von dort er wirkt), über die wir ebenfalls nichts wissen, nur dass sie moralisch wie subjektiv geboten oder notwendig ist, wenn denn eines Tages tatsächlich werden soll, was noch nicht ist. Kant kam damit im Kern, weil er dem Innenleben alles aufbürdete, von der Naturphilosophie nicht los, auch wenn er die konjunktive menschliche Natur (in Kunst und Kultur vorweg fühlbar) von der indikativen physischen (Friss-oder-Stirb-) Natur des Menschen streng abgrenzte. Nur müsse ersteres, das Konjunktive, ein Soll(en) motivieren, um das Indikative klar zu beherrschen, mithin der Mensch sich selbst beherrschen nach dem Vorbild der physischen (Friss-oder-Stirb-)Natur, wobei das Böse dort und von dort bekämpft werden muss, wo es angesiedelt ist: im Inneren des Menschen, bekämpft vom guten Sollen (KI), gleichfalls im Inneren anzusiedeln. Alles beginnt und endet im Innen. Die (innere) Freiheit (Moral) ist nichts weiter als (innere) Einsicht (im Sinne der ursprünglich gesetzgebenden Kraft des KIs) in die Notwendigkeit, um einer möglichen gedachten, also auch nur inneren Verheißung teilhaftig zu werden, die man so denkt, als sei sie eine äußere Welt, vorwegnehmbar im Geist oder der Kunst, wo auch, wenn es denn richtiger Geist oder richtige Kunst sein soll, alles perfekt wie in der Natur geordnet ist; dies alles und ggf. unnachsichtig durchzusetzen ist gegen die eigene (innere) indikative Natur: gegen Neigungen und natürliche (Friss-oder-Stirb) Triebe, kurz: gegen das subjektive Bestandsinteresse, ohne dass diesem (außersubjektive) Grundrechte zur Seite stünden. Brutaler geht's nimmer.

1.2 Krankhafte Projektion: Fritzl von Amstetten

Es ist schwer für ein einsames Subjekt, sich als Sozius zu verstehen, wenn alles im Innen beginnt und im Innen endet. Damit ist der Weg versperrt, in erster Linie die sozialen und ökonomischen Strukturen verantwortlich zu machen für den Druck, der heute einmal mehr, insbesondere in Zeiten zunehmender sozial-ökonomischer Ausgrenzung, auf dem Sozius lastet. Ein Druck, den er sich auch selbst auferlegt im Sinne einer Privatisierung gesellschaftlicher Probleme. Und er selbst macht sich und andere zu Einzelpersonen, indem er den Druck, der gesellschaftlich auf ihm lastet, an andere entweder aggressiv und gewalttätig weitergibt; das flüstern ihm seine Bestandsregungen beständig zu; kurzum, er verschiebt Gefühle auf Sündenböcke; oder aber, was auf dasselbe hinausläuft, er ignoriert sie schlicht, bzw. zieht es vor, Gefühlsverschiebungen nicht zum Ausdruck zu bringen, vielleicht weil er sich nicht rechtfertigen möchte. Oder aber er bemerkt Verschiebungen, resp. Gefühle, wie wir es vom Autismus kennen, einfach nur nicht; könnte sein, aufgrund eines gesellschaftlich hervorgebrachten Autismus.(MP2:F03)

Wie auch immer; in jedem Fall grenzt der Sozius andere und damit auch sich selbst aus kommunikativen Zusammenhängen aus, verkennend, dass private Probleme in erster Linie gesellschaftliche Probleme sind; er versteht nicht hinreichend, dass es private Probleme streng genommen nicht gibt, wiewohl es den Begriff privat gibt, da jene letztendlich auf soziale und ökonomische Ausgrenzung oder Integration, mithin Strukturen verweisen; privat ist, wie Sprache überhaupt, ein Konstrukt, nichts weiter (DP2-3.3.1), d.h., dem Begriff kommt auf quasi-natürliche Weise ein Gegenstand nicht zu; er wird sozial und gesellschaftlich erzeugt, und er muss immer wieder intersubjektiv und sprachgestützt auf Substanz überprüft werden. Letztendlich lassen sich, auch wenn es uns gewöhnlich nicht so vorkommt, private Probleme nur kollektiv-kommunikativ unter Einbeziehung aller Menschen, auch des Kriminellen, lösen, was nicht heißt, dass sie ein für alle mal lösbar wären; oder sie werden gar nicht gelöst, auch nicht für den sogenannten normalen oder angepassten Menschen. Davon wollen viele Menschen, vornehmlich Erfolgreiche, freilich nichts wissen; sie wollen in erster Linie in Ruhe gelassen werden, einmal errungene Wahrheiten nicht mehr überprüfen, sondern sich auf ihnen ausruhen, zur Ruhe setzen, insbesondere wenn sie in die Jahre gekommen sind und keine Kraft mehr haben, soziale Spannungen im Kontext von Überprüfungsvorgängen auszuhalten: “Allein sein mit sich und seiner Welt ist auch das, was Joseph Fritzl aus dem niederösterreichischen Amstetten gebraucht hat. Die Störung meidet den lebendigen und deshalb immer wieder unvorhersehbaren Gefühlseinbruch von außen, der das geheime Gefühlsleben: den rücksichtslosen Genuss im Alleinsein, stört.”(DPB, 139) Vor allem am Ende ihres Lebens wollen Menschen ihren sozialen Erfolg und die damit verbundenen Privilegien genießen und nicht mies machen lassen. Wir neigen alle mehr oder weniger dazu, Leid und damit verbundene Aggressionen möglichst guten Gewissens auf Kriminelle, wenn nicht sogar einfach nur auf Nicht-Angepasste, Andersartige oder Hartz-IV-Abhängige abzuladen: zu verschieben, krankhaft zu projizieren. “Ist nicht vielleicht doch in jedem Einwohner von Amstetten auch ein kleiner „Fritzl' verborgen?” (DPB,81) Gott sei Dank gibt es den Kriminellen in unserer Gesellschaft, Fritzl, den Vergewaltiger von Amstetten, der die Gemüter zwecks Entlastung höher schlagen lässt; sonst müssten wir ihn, wie den bösen Juden, erfinden. Denn der Druck herrscht immer und überall auf Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Schichtzugehörigkeit, ein Druck, der ständig darauf wartet, egal wohin, abgeladen zu werden; der seine Opfer sucht, ggf. impulsiv erfindet, weil er sie braucht, nicht zuletzt um Gefühlsverschiebungen im Fahrwasser ruhiger und gefühlskontrollierender Unterhaltungen vernünftig erscheinen zu lassen. Aggressionen, die auf einen festumrissenen Gegenstand: einen Sündenbock, nicht unmittelbar verweisen, machen selbst zur Ruhe neigende Gesprächspartner nervös. Sie wollen Lösungen, sofort, am liebsten zu Lasten anderer, im Gut-Böse-Schema, was weniger schlimm wäre, wenn es dabei nicht zugleich darum gehen würde, zu privatisieren: die eigene Person auf Kosten anderer zu entlasten – krank und krankmachend.

Das alles hat, auf den Punkt gebracht, System; denn Entlastung ist in unserem Wirtschaftssystem weder wirklich, noch sozialverträglich möglich, weil das Mehrwertproblem (DP2-1;DPB,27f) uns zwingt, unser Leben nicht miteinander, was immer auch mit auszuhaltenden Spannungen verbunden ist, sondern gegeneinander, auf Kosten anderer, zu gestalten, was Spannungen letztendlich unlösbar bzw. antagonistisch macht. Selbst der Hartz-IV-Empfänger lebt, wovon er nichts wissen will, antagonistisch auf Kosten des Hungerleiders aus Bangladesch, der für einen halben Euro pro Tag T-Shirts produziert, für den Hungerleider im angeblich so reichen Deutschland.

1.3 Der Projektionsbegriff bei Feuerbach

Was die Privatisierung gesellschaftlicher Probleme betrifft, könnte man meinen, dass wir mental nicht weiter sind als Kant und seine Zeit; im Gegenteil, gemessen an dem, was wir heute wissen können, entwickeln wir uns mental, sprich: geistig und moralisch, zurück. Zu oft wollen wir nichts wissen, nichts hören; wir verdrängen ausdrücklich das, was wir wissen könnten, um es uns zu ersparen, mit uns und anderen sozialverträglich umgehen zu müssen; zuweilen stellen wir uns doof und fallen damit hinter die Mentalität der Kantischen Philosophie zurück, die noch intensiv und wahrhaftig um ihre Wahrheiten rang. Davon kann bei unseren Sozialwissenschaftlern immer weniger die Rede sein, auch nicht bei Linken und Grünen, von der PDL gar nicht zu reden. Das ist verständlich; schließlich werden Verdrängungsleistungen mit Privilegien belohnt; zuweilen mit Ehrungen und Behuldigungen überschüttet, die naturgemäß Einzelpersonen in den Vordergrund stellen und damit die exzessive Privatisierung sozialer Sachverhalte vorantreiben. Das gehört zur gesellschaftsumfassenden Gehirnwäsche. Dass sie beteiligt sind, davon machen sich Geehrte keinen Begriff. In dieser Hinsicht sind sie Autisten. Sie finden es einfach schön. Muss auch mal sein. Ein Leben lang geschuftet; und nun haben sie es sich verdient.

Die krankhafte Verinnerlichung des Privatisierungssyndroms lässt sich indes auch weniger ehrenvoll, dafür umso so eindeutiger, ablesen am Verhältnis des Sozialwissenschaftlers zur Hartz-IV-Gesetzgebung, die mittlerweile durchgehend akzeptiert wird, auch von denen, die ihr anfangs ablehnend gegenüberstanden, vor allem von der PDL. Ihre Repräsentanten reden eigentlich nur noch von zu niedrigen Regelsätzen und merken nicht, dass sie sich auf diese Weise mit Hartz-IV und unserem destruktiven Wirtschaftssystem versöhnen. Mit bösen Folgen; vor allem die PDL verkennt, dass wir möglicherweise längst nicht mehr in einem reichen Land leben, trotz Bürgschaften für die Banken im dreistelligen Milliardenbereich. Irgendwann wird uns die Kapitalverwertung gnadenlos mit der Nase drauf stoßen, dass wir uns die mittlerweile exorbitanten Transfereinkommen tatsächlich nicht mehr leisten können; und dann wird es sich im Nachhinein bitter rächen, sich nicht hinreichend um ökonomische Theorien zur Entwicklung eines alternativen Wirtschaftssystems gekümmert zu haben.

Gegenüber heute war die Aufklärung um Kant herum, mental gesehen, noch integer. Das Gesellschaftliche wurde mit der Vernunft identifiziert, die man abstrakt, aber als etwas Reales im Inneren des Menschen verortete. Man ging mit Kriminellen zwar bösartig um, bösartiger als heute, doch nur weil man es tatsächlich nicht besser wusste; zumal die Aufklärung fest überzeugt war, dass der gesellschaftliche Kontext im Inneren des Menschen in Gestalt vernünftigen Denkens angelegt sei, mehr oder weniger gut, mehr oder weniger böse, aber im Sinne einer realen Entität, ohne dass diese empirisch auf einen Gegenstand zeigt. Beim Kriminellen überwiege das Böse, in Gestalt des Unvernünftigen. Das konnte nicht lange gut gehen: 120 Jahre nach Kant lokalisierte im Film Poll (Regie: Chris Kraus) der Rassist Ebbo von Sierung (Edgar Selge) das Böse an einer ganz bestimmten Stelle im Gehirn. Bei bösen Menschen muss diese Stelle außerordentlich gut entwickelt und wirksam sein. Deshalb müsse Erziehung streng und von harten Bestrafungen begleitet sein. Sonst würde sie nichts Gutes hervorbringen und das Böse den Mensch beherrschen; ggf. gehört er aus dem gesellschaftlichen Kontext entfernt; er würde sonst eine zu erhoffende zukünftige Verheißung allgemeiner Glückseligkeit im Schoße der Nation gefährden, die sich im 19. Jahrhundert als Projektionsobjekt umfassend durchgesetzt hat. Es wurde als höchstes Glück empfunden, nicht für Gott, sondern für die Nation in den Ersten Weltkrieg ziehen zu dürfen: für ein Projektionsobjekt bloßer Verheißung.

Den Begriff Projektion finden wir erstmals bei Ludwig Feuerbach im Wesen des Christentums