Die Produktivitätslüge - Roland Roßmanek - E-Book

Die Produktivitätslüge E-Book

Roland Roßmanek

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Beschreibung

Firmeneigner und Arbeiter haben ein gemeinsames Ziel. Warum man sich dabei so behindert, ist betriebswirdschaftlich nicht zu erklären und volkswirtschaftlich eine Katastrophe. Produktivität entsteht durch Motivation. Zufriedene Mitarbeiter leisten deutlich mehr - bei gleichem Lohn. Das würde aber intelligente Führungskräfte voraussetzen ... Dieses Buch ist kein Managemant-Coach, sondern berichtet von der Hilflosigkeit der arbeitenden Schicht, in diesem System sinnvoll aktiv zu sein. Mobbing und viele Dinge mehr sind ebenfalls Thema.

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Dieses Buch ist meiner lieben Frau Marion und meinem tollen Sohn Markus gewidmet. Zwei tolle Menschen – ich bin froh dass es euch gibt.

Vielen Dank an Jochim Filliés von

www.sprecherziehung-fillies.de

für die Korrekturlesung.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Beginn

Umdenken

Hoffnung

Resignation

Hoffnung

Frischluft

Fürst I

Gesundheit

Whity

Fehler

Fürst II

Abgang

Ende

Arbeitslos

Lehrreiches

Vorwort

Es gibt viele Gründe, etwas aufzuschreiben. Entweder will man Geld verdienen, hat sonst nichts zu tun, oder es wird solch ein Werk erwartet. So ist es in diesem Fall nicht - ich kann es einfach und so tue ich es.

Schreiben ist für mich die ehrlichste Art und Weise der Kommunikation und die einfachste Art, einen Standpunkt einem breiten Publikum zu vermitteln. Was geschrieben ist, steht da - einzementiert und unwiderruflich. Kein Wenn und Aber, ehrlich und endgültig. Kein Geplänkel oder Geschwätz - ein Mann ein Wort, wobei diese Floskel auch nur eine geringe Wertigkeit hat, weil man ungestraft Lügen verbreiten und betrügen darf, wenn man mal eine gewisse Stellung in der Gesellschaft erreicht hat.

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die mit nur einem gestreuten Gerücht Milliarden an Werten vernichten können, oder nur um der Macht willen ein ganzes Volk belügen. Auch gehöre ich nicht zu den Prominenten, die zu dumm sind, einen Eimer Wasser umzutreten, aber geistfreie Bücher anbieten, die sogar gekauft werden.

Was gesprochenes Wort wert ist, habe ich erlebt. Ob Arbeiter oder Akademiker - Lügen, Intrigen und Unwahrheiten durch das gesprochene Wort sind heute Bestandteil des täglichen Lebens. Dessen bewusst entstehen diese Zeilen auch als Dank für die vielen Menschen, die mir in einer sehr schwierigen Zeit geholfen haben. Danke liebe Freunde, Kollegen und Familie. Besonderen Dank an meine liebe Frau Marion und Sohn Markus. Diesen beiden Menschen ist das Buch gewidmet.

Tendenziell werden hier Sachen stehen, die aus negativen Erinnerungen stammen, entstanden aus der Notwendigkeit, aus vielen Bruchstücken ein nachvollziehbares Ganzes zu erhalten. Eigentlich ein persönliches, also uninteressantes Einzelschicksal. Allein das Wort Einzelschicksal ist schon menschenverachtend. Es bedeutet, dass es zwar sehr schade ist, dass da was nicht passt, aber man gefälligst selbstständig eine Lösung finden muss, weil mit diesem Problem allein und andere Menschen ein solches Problem nicht haben.

Aber in vielen Gesprächen habe ich erfahren, dass kein Einzelschicksal vorliegt, sondern das System sich selbst überholt hat. Das hat nun das Individuum (Wikipedia schreibt: Im Allgemeinen ist ein Individuum ein Etwas, das denken kann, und spezieller: Ein Ding mit einem Bewusstsein) davon, dass es so individuell ist. Es interessiert sich nur noch für eigene Vorteile und vergisst hierbei absolut die Notwendigkeit der Gemeinschaft.

Es erwartet den Leser eine interessante Geschichte, mit dem Anspruch, das heutige Management in Frage zu stellen. Es wird von Arbeitern und Führungskräften berichten und das Ergebnis haben, dass man sich von Luft tatsächlich ernähren kann. Aber auch der gemeine Arbeiter bekommt sein Fett weg. Es kann nicht nur unfähige Bosse geben, sondern auch unfähige Untergebene, die solchen Unsinn mit sich machen lassen.

Natürlich gibt es in einem Arbeitsleben in dieser fiktiven Firma nicht nur fürchterliche Erlebnisse, sondern meine Erzählung soll den Wandel der Wertigkeit von Menschen beleuchten, die einmal das "Gold der Wirtschaft" waren - den Arbeitern. Mir ist schon bekannt, dass wir das Zeitalter der Maschinen haben und auch Computer sind nicht wegzudenken, doch wird dabei der Mensch völlig vergessen. Pervers wird es, wenn Menschen dadurch ihr Geld verdienen, dass sie andere Menschen entbehrlich machen.

Ohne aber die allgemeine Entwicklung der Weltwirtschaft zu sehen, wäre diese Geschichte zu einseitig. Natürlich weht allgemein ein scharfer Wind - die Auswirkungen wird man hier lesen können, aber auch warum der Sturm selbst entfacht wurde. Eine Geschichte für Arbeiter und Führungskräfte.

Die Handlung ist frei erfunden, Personen nicht real, Firmennamen Schall und Rauch. Wenn sich Leser angesprochen fühlen, ist das nicht das Problem des Autors und auch nicht beabsichtigt. Wer meint, sich mit gewissen Handlungen identifizieren zu müssen, darf es gern tun.

Bewusst wird hier auf künstlerische Spielereien verzichtet und werden nicht mehrere Handlungen gleichzeitig erzählt, da die Story auf schmückendes Beiwerk verzichten kann.

Diese Geschichte ist auf viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber übertragbar. Traurig, aber nicht ohne Hoffnung. Ändern wird dieses Buch das System nicht, sondern entzaubern. Wer ist eigentlich dressiert? Der Affe, der auf den Knopf drückt, oder der Professor, der dann immer eine Banane gibt? Richtig, es kommt auf den Betrachter an. Haben aber beide Betrachter dasselbe Ziel, wird es Zeit, sich auf einen Betrachtungswinkel zu einigen. Dazu möchte ich beitragen und anregen, dass sich Gedanken zu dem Thema Arbeit und Mensch gemacht werden. Allein dann hätte dieser Text schon was bewegt.

Das Buch spricht von schlauen und dummen Menschen, wobei ich mich nicht automatisch zu den Schlaumeiern zählen werde. Nicht, weil ich blöd bin, sondern darstellen möchte, wie man heute in eine Ecke gedrückt werden kann und die Tatsache, ob man dumm oder schlau ist, nicht von der Bildung oder Stellung abhängig ist.

Dieses Buch ist keine Abrechnung mit einer Firma, sondern soll zwischen zwei Fronten vermitteln. Ein Angebot also und nur sinnvoll, wenn die Intelligenz auch Veränderungen zulässt.

Gleichzeitig wird man erkennen, was heute ein einzelner Mensch wert ist und was ein Überangebot an Arbeitskräften für Auswirkungen auf die Wertigkeit des Einzelnen hat.

Beginn

Eigentlich ist der Beginn immer auch ein Anfang, doch in diesem Fall hat unser fiktiver Arbeiter, in dessen Rolle ich hier schlüpfe, schon etwas geleistet. Schule und Lehre überspringen wir, und so sind wir nun im 18. Lebensjahr - in der großen Fabrik. Über die Kindheit und Jugend werde ich an anderer Stelle noch berichten. Einfach überspringen soll nicht bedeuten, dass es unwichtig wäre, sondern in diesem Fall einfach den Rahmen sprengen würde.

Die Beweggründe, in der Fabrik anzufangen sind ohne Bedeutung - in dieser Erzählung wenigstens - und auch heute nicht mehr nachvollziehbar. Lernt der Kerl einen Beruf und geht in die Fabrik. Diesen Schritt wird 25 Jahre später ein Psychologe erklären müssen. Ändern wird man da nichts mehr können, aber verstehen hilft schon deutlich. Aus heutiger Sicht habe ich keine Schuld an der Entwicklung gehabt, weil hier Faktoren mitspielen, die erst Jahrzehnte später aufgeklärt werden. Alle Dinge im Leben sind begründet und haben eine Ursache. Sehen wir mal von Krankheit ab, werden wir gelenkt. Es müssen nicht immer die Eltern sein, denn auch die Umwelt prägt.

Wenn einem die Eltern die Schulbildung verwehren, die man verdient und auch spielend geschafft hätte, ist das so ein Umstand, der ursächlich für den weiteren Lebensweg ist. Diesen Umstand begreifen heutige Jugendliche leider nicht immer. Wissen ist Macht, und nichts wissen macht nix ist doch immer noch weit verbreitet in den Köpfen. Aber als dummer Gangster hat man keine Chance gegen die schlaue Polizei.

Wenn schon nur Minimalschulbildung erlaubt war, durfte ich wenigstens einen Handwerksberuf lernen, wobei die drei Jahre Berufsschule wohl das Härteste war, was ich mir bis dahin gegeben hatte.

Interessant, wenn man da sitzt und der Lehrer muss bei den Grundrechenarten anfangen, weil die Hälfte der Klasse nicht mal das kleine Einmaleins beherrscht. Das nur am Rande … denn es gab damals Berufe, die gern von jungen Menschen gelernt wurden, die aus heutiger Sicht mit dem schlechten Zeugnis sich jede Bewerbung sparen könnten. Das ist jetzt nicht abwertend zu sehen, denn es kamen durchaus brauchbare Automechaniker, Verkäuferinnen oder Friseurinnen dabei heraus.

Aber ich setze nicht hier an, sondern bin schon einige Jahre weiter. Was Industrie wirklich bedeutet, konnte ich damals nicht überblicken. Es kann kein Mensch ahnen, was es bedeutet, weil es wider jede Natur ist.

Vollkontinuierliches Schichtsystem, also auch nachts, sonntags und feiertags. Keine Ahnung, was mich da erwartet, und überhaupt, Vater und Bruder machen auch Schicht in dieser Firma. So sah es meine dominante Mutter als wünschenswertes Lebensziel für mich, in der Fabrik den Erfolgen meiner näheren Verwandtschaft nachzueifern. Was es da nachzueifern gab, ist mir aus heutiger Sicht nicht ganz klar, denn beide haben die Firma so verlassen, wie sie in der Firma begonnen hatten – als Schütze Arsch im letzten Glied. Allerdings hat mir kein Mensch gesagt, was es bedeutet, im Chor der gescheiterten Existenzen sein Dasein zu fristen.

Die haben dann gepennt, wenn was los war und waren wach, wenn es keinen Mensch interessiert hat. Die Kohle hat aber gestimmt, wie ich selbst schon als Kind die Lage gepeilt hatte. Ich betone immer wieder, dass es absolut unverständlich ist, ohne Not diese Arbeitsstelle anzutreten. Mein Wissen über die Nachtschicht beschränkte sich auf das Vorhandensein einer Kneipe, wo Vater und Bruder morgens ein Bierchen kippten. Zum Frühstück brachte mein Vater dann immer eine Rindswurst mit. Jahre später sollte ich diese geniale Rindswurst direkt vom Grill essen können. Hätte ich lieber auf diese blöde Wurst verzichtet ...

Als Handwerker wollte ich erst einen normalen Job in den Werkstätten der Firma haben, was eigentlich nahe liegt. Leider waren zu viel Bewerber vorgemerkt, und so folgte ich den Spuren von Vater und Bruder auf dem Weg in Niederungen der Selbstwertigkeit. Warum ist mir heute noch unklar – ich habe es sogar freiwillig gemacht.

Jeder normale Mensch mit etwas Lebenserfahrung hätte an dieser Stelle einen anderen Weg eingeschlagen. Aber da die Lebenserfahrung von Vater, Bruder und mir nur aus den Anweisungen meiner Mutter gespeist wurde, musste hier die falsche Abfahrt gewählt werden. Ich hätte es wissen müssen, denn natürlich bedeutet ein Nein nicht nein, wenn man Beziehungen hat - das berühmte Vitamin B.

So war die Anmeldeliste von Bewerbern für einen Arbeitsplatz in den verschiedenen Werkstätten der Firma mehrere Seiten lang. Wenn diese Liste in der Reihenfolge der Eingänge abgearbeitet würde, konnte ich mir ausrechnen, dass ich diesen Arbeitsplatz selbst nicht mehr antreten werde und ob die Stellung vererbbar ist, war mir damals absolut gleichgültig. Für die Vorstellung, dass jede Liste in diesem Land nicht das Papier wert ist, mit welchem sie erstellt wurde, fehlte es mir wie schon beschrieben, an Lebenserfahrung.

Welchen Stellenwert ein Kumpel aus dem Gartenverein oder eine Runde Bier in der richtigen Kneipe haben kann, war für mich unbekannt und unvorstellbar. Aus dem Handwerk kannte ich nur Leistung und Können, was von Menschen beurteilt wurde, die ebenfalls über Können verfügen. Doch hier war es anders, und der Leser wird nicht ganz verstehen, warum ich zu den Handwerkern wollte, denn immerhin war ich doch nun in der Firma und Geld ist Geld.

Um ehrlich zu sein - so dachte ich zu diesem Zeitpunkt auch, denn woher hätte ich wissen sollen, dass es selbst unter einfachsten Mitarbeitern einer Fabrik gewaltige Unterschiede in der Wertigkeit gibt. Damals war ein Schlosser oder Elektriker bestens angesehen, und auch der Verdienst war wesentlich höher. Wir werden noch lesen, warum Handwerker so wichtig waren. Da weder mein Bruder noch mein Vater mich auf solche Dinge hingewiesen haben, deutet es darauf hin, dass ihnen wohl solche Informationen verborgen blieben. Das ist nicht abwertend gemeint, da ich meinen Bruder in diesem Betrieb einige Jahre später einmal besucht habe. Tiefstes Mittelalter ... mehr möchte ich dazu nicht sagen. Da haben nur noch die buckligen Sklaven und die Aufseher mit Peitsche und Ledermaske gefehlt.

Also erst in einem Produktionsbetrieb angefangen und anstatt auf eine göttliche Fügung in der überfüllten Handwerkerliste zu vertrauen, habe ich mich von der Liste streichen lassen. Dumm, dümmer, ich – denn ich wäre binnen weniger Monate bei den Handwerkern gewesen. Hätte, hätte, vielleicht usw. sind vorbei und wieder auf einer Kreuzung falsch abgebogen.

Doch kommen wir zum ersten Tag in der Fabrik.

Auch wenn es unglaubwürdig klingen sollte, hatte ich keinen blassen Dunst, was mich an meinem neuen Arbeitsplatz erwartet. Keine Ahnung, was ich dort überhaupt machen muss, und von dem herzustellenden Produkt hatte ich noch nie gehört.

Um Missverständnissen vorzubeugen sei gesagt, dass es nicht die Schuld der Fabrik ist, dass ich dort nun anfange. Auch die Tatsache dort völlig und informiert anzutreten ist meine eigene Schuld. Im Nachhinein wurde mir klar, dass es nicht um meine berufliche Karriere geht, sondern um die Erfüllung der Vorstellungen meiner Mutter. Der letzte Sohn sicher untergebracht in der großen Fabrik sollte für Sie die Erfüllung ihrer Pläne für meine Zukunft sein. Vater, Bruder und nun auch noch der kleine Sohn in der Fabrik. Es mag an der beschränkten Denkweise meine Eltern gelegen haben, dass der Gedanke an eine höhere Schulbildung, verbunden mit einem Studium und einer anschließenden Karriere völlig undenkbar waren. In deren Weltbild gab es die besseren und uns. Es überstieg deren Vorstellungskraft, jemanden von uns in der Welt der Besseren zu sehen. Wir waren Arbeiter, wir sind Arbeiter, und wir bleiben Arbeiter. Diesen Satz habe ich sehr oft hören können, denn natürlich ist es vielen Lehrern aufgefallen, dass ich im falschen Schulzweig war. Es gibt viele Dinge, die man seinen Kindern antun kann. Verweigerung von Bildung gehört dazu.

Hatte ich überhaupt begriffen, dass es hier um kein Spiel, sondern um den Scheidepunkt in meinem Leben geht? Ich war schon an einigen Weggabeln falsch abgebogen und geriet nun - aus heutiger Sicht - als Geisterfahrer im Rückwärtsgang auf den Weg in eine Sackgasse, ohne Aussicht, den rechten Weg je wieder zu erreichen. Das hört sich geschwollen an, beschreibt jedoch die Lage sehr genau. Falsches Abbiegen sollte auch so ein roter Faden in meinem Leben werden, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass ich hier eine Stelle antrat, ohne Informationen zu haben. Das war noch nie anders bei mir, und meine Mutter hatte immer die Hand im Spiel, und wenn die gesagt hätte, dass ich in die Antarktis als Kühlschrankverkäufen gehen soll, hätte ich es gemacht.

So kam ich übrigens auch damals zu meiner Lehrstelle, als ich mit meiner Mutter beim Einkaufen unterwegs war. In drei Monaten sollte meine Schulzeit erledigt sein, und so fragte mich meine Mutter, was ich denn lernen möchte. Ich hätte mir was in der Richtung Bankkaufmann gedacht oder aber weiter auf eine Berufsfachschule zu gehen. Ich litt nie an Selbstüberschätzung, eher das Gegenteil, doch dieser Weg hätte mir gut gestanden. Es kam anders, denn wir gingen gerade an einer Autowerkstatt vorbei, und ich sagte einfach aus Blödsinn, dass mir nach Automechaniker der Sinn stehen würde.

Zwei Minuten später, mit Einkaufstüten bepackt, standen wir dem Werkstattbesitzer gegenüber, und weitere zwei Minuten später hatte ich eine Lehrstelle. Ich war mehr der musisch und künstlerisch veranlagte – und nun das Elend. Zum Glück sind wir in dem Moment nicht bei einem Bestatter vorbeigelaufen, denn mir stehen keine schwarzen Anzüge. Ergänzend sei gesagt, dass ich keinerlei Ahnung von Motoren und Autos hatte und Mechanik nie mein Ding war. Heute kann ich rückblickend sagen, dass es mit Anstand der falscheste Beruf war, den mir meine Mutter aufs Auge drücken konnte. Soviel zur Lebensplanung und Abwägung von Interessen und Neigungen und der Fürsorge meiner lieben Mutter.

Ich denke noch an die Bemerkungen, als ein Geselle aus meiner Autowerkstatt als Endkontrolleur in ein Autowerk wechselte. In die Fabrik – das war unter aller Würde, auch wenn man in seinem erlernten Beruf arbeitet. Das macht man einfach nicht. Diese Entwürdigung wurde übrigens in dieser Zeit saugut bezahlt. Hier ging es nicht um hundert Mark, sondern um richtige Kohle. Man kann es aus damaliger Sicht mit dem Gang zur Müllabfuhr vergleichen. Gut bezahlt, aber unter aller Würde. Wie sich doch die Zeiten ändern sollten …

Aber zu dieser Zeit konnte man sich aussuchen, was man lernen oder arbeiten möchte. Das fette Wirtschaftswunder hat unsere Eltern verwöhnt, und ein Job bei der Müllabfuhr war was für Ausländer. Überhaupt war Dienstleistung etwas für Ausländer, die sich nicht zu schade waren, auch mal eine Toilette zu putzen. Diesen Umstand ließen sich unsere Eltern richtig Geld kosten, was auch kein Problem war. Geld wurde genug verdient und auch unsere lieben Ausländer - oder sollte ich Gastarbeiter sagen - verdienten nicht schlecht, weil die unbeliebten Arbeitsplätze mit hoher Entlohnung locken mussten.

Unsere Eltern dachten, das Paradies gefunden zu haben, und die Kameltreiber machen schon den Rest. Ich komme auf Kameltreiber, weil mir da eine Story einfällt, die ich zwei Jahre später am Arbeitplatz erlebt habe. Dort titulierte ein alter, ungelernter Fabrikarbeiter mit Hauptschulabschluß immer einen jungen Türken als dummen Kameltreiber. Eines Tages zückte der Junge seine Studienbescheinigung. Er war Berufsschullehrer mit Zulassung in der Türkei und in Deutschland - aber aus politischen Gründen in der Fabrik abgetaucht. Das alte Arschloch hat nie wieder das Wort Kameltreiber in den Mund genommen.

Es ist meine Generation, die gelernt hat, das es keine Ausländer gibt, sondern nur Menschen. Die weitere Entwicklung sollte meiner Generation Recht geben. Heute wären viele Deutsche froh, einen Job bei der Müllabfuhr zu bekommen, und woher der Arzt im Krankenhaus kommt, der mir kompetent hilft, ist mir gleich. Ich habe über 30 Jahre mit ausländischen Menschen zusammengearbeitet und kann dieses ganze Gerede von Multikulti nicht mehr hören. Wie schon erwähnt habe ich mit Menschen zusammen gearbeitet und habe mehr unterschieden in freundliche und unfreundliche Kollegen. Ein weiteres Kriterium zur Unterscheidung war faul oder fleißig, begabt oder unbegabt. Ich konnte nie einen Zusammenhang zwischen Nationalität, Glauben oder Hautfarbe für die Zuordnung eines dieser Attribute erkennen. Ich hatte in den vielen Jahren mit interessanten Menschen, mit dummen und mit klugen Menschen, mit ehrlichen und unehrlichen Menschen zu tun. Wie gesagt, alle diese positiven und negativen Merkmale habe ich auch bei meinen deutschen Kollegen erleben können. Ich finde es halt nur schade, das aus parteipolitischen Beweggründen von bildungsfernen Politikern unsinnige Diskussionen geführt werden, die weit an der Thematik vorbeigehen.

Aber ich wollte eigentlich deutlich machen, dass ich nicht in die Fabrik geprügelt wurde. Konsequenz war und wird immer mein Schwachpunkt bleiben, und wenn meine Mutter meinte, dass ihr Söhnchen zu Papi und Bruder in die Fabrik soll, dann macht Söhnchen das auch. Bruder und ich haben das ganze Leben immer gemacht, was Mami wollte, und der Hammer an der Geschichte ist, dass Mami bis heute nicht gerafft hat, was sie uns angetan hat. Aber aus dieser Geschichte wird vielleicht einmal ein eigenes Buch, da es den Rahmen hier sprengen würde und auch das Thema deutlich verlassen würde.

Der Tag der Wahrheit war also gekommen, und ich stand in der großen Fabrik. Die Eindrücke der Verlorenheit, ja fast Angst, in dieser großen Fabrik mit den vielen Gebäuden sind wohl übertrieben, aber so ein Werk hat schon gewaltige Dimensionen. Straßen breiter als die Hauptstraße in der Stadt und eigenes Eisenbahnnetz. Riesige Ungetüme von Staplern fuhren geschäftig durch das Werk. Ich hatte den Eindruck, dass es in diesem Gewusel niemals ein System geben könne. Uniformierte Werkschützer standen an den Toren. Manche waren zu dieser Zeit sogar mit Hunden unterwegs und hatten für den Notfall auch Schusswaffen parat. Hier war ich in eine andere Welt geraten, die eigene Gesetze hatte. Das mit den Gesetzen sollte ich erst viel später richtig begreifen.

Die vielen Rohre und dampfenden Leitungen und zum Teil düsteren Gebäude waren einfach unheimlich. Da gab es dunkle Gegenden, die mich an diese billigen Gangsterfilme aus Amerika erinnerten, wo in heruntergekommenen Backsteinbauten mit dampfenden Rohren und tropfenden Leitungen die Gangster ihre Leichen versteckt haben. Diese hässlichen Monster standen mitten in einem modernen Werk und produzierten tatsächlich. Auf den Inhalt kommt es wohl an.

Nun gut - hier bin ich ...

Der erste Arbeitstag in der Firma war zur normalen Arbeitszeit, also auf Normalschicht und diente der Einkleidung und einer allgemeinen Führung durch den Obermeister. Der Betrieb wurde von drei Schichtbesatzungen rund um die Uhr betrieben. Einige Männer auf Normalschicht waren für den Papierkrieg und die Ingenieurstechnik zuständig. Dieser Obermeister auf Normalschicht war der Vorgesetzte der jeweiligen Meister auf Schicht, also der Schichtmeister. Das Berufsbild der Meister in der Industrie war damals erst in der Entstehung, und so gab es „Firmenmeister“, die vor dem Werkstor ohne Beruf waren und im Werk den lieben Gott spielen durften. Dinge wie Menschenführung oder andere Anwandelungen in Richtung korrekter Umgang mit Menschen war eine Seltenheit in dieser Zeit.

Dass ich diesem Obermeister meine Anwesenheit hier verdanken durfte, habe ich erst nach Jahren erfahren. Das war der Mensch, der mit dem Obermeister aus dem Betrieb meines Vaters in der Kantine zusammen Mittagessen einnahm. So kam ich überhaupt in diese Firma, denn eigentlich wurden damals keine neuen Mitarbeiter eingestellt. Einen Arbeitsplatz trotz Einstellungsstopp zu bekommen war zu dieser Zeit normal. Voraussetzung war ein Gesellenbrief aus einem technischen Beruf, wie Autoschlosser oder Elektriker. Lustig war, dass ich den Gesellenbrief nicht einmal zeigen musste. Eine kleine Rechenaufgabe in Form fünf plus sieben langten zum Beweis, eine Schule von innen gesehen zu haben. Einen kleinen Rechtschreibtest ersparte man mir. Man unterstellte mir, mich in Wort und Schrift ausdrücken zu können.

Hört sich an, als würde ich mich lustig machen, doch sind diese Prüfungen sehr wichtig. Leider wurde hier auch geschlampt, denn es wurden tatsächlich auch Analphabeten eingestellt, die sich hier geschickt durchgemogelt hatten.

Vor einigen Jahren konnten auch Metzger, Maurer und Bäcker anfangen, früher war Voraussetzung, gerade aus den Augen schauen zu können.

Übrigens war und ist die Kantine ein sehr wichtiger Teil des Werkes, und damit meine ich nicht nur die Nahrungsaufnahme. Was bei Industriellen der Golfplatz, ist für die leitenden Angestellten und Menschen die wichtig sind oder sich wichtig fühlen, die Kantine. Hier war der Platz, an dem man einfach nur beobachten musste, wer mit wem immer an einem Tisch sitzt und wer da die Federführung hat. Die Kantine ist also der Golfplatz des kleinen Mannes.

Vor meiner Einstellung hier hatte ich auch den Werksarzt passiert, der wohl nicht anders konnte, als meine Tauglichkeit zu bestätigen. Dieser alte Herr wirkte völlig desorientiert und schaute durch mich hindurch, während er monoton mit mir sprach. Denke, dass es sich hier um keinen echten Menschen gehandelt hatte, sondern um einen Roboter. Oder lag es an der Tatsache, dass der arme Kerl schon bei tausenden Neulingen diese Untersuchung gemacht hatte? Man könnte es als unwirklich bezeichnen, was da passierte.

Ich war in der Lage die Tafel an der Wand zu erkennen und habe den Doktor gehört, als mir einige Wörter zugeflüstert wurden. Nachdem ich drei Schritte halbwegs aufrecht gehen konnte, war der Fall amtlich - ich war ein gesunder Schichtarbeiter. So war es halt damals. Das lag nun nicht an dem Werksarzt, sondern eher an dem Umstand, dass das Thema Arbeitsmedizin noch in den Kinderschuhen steckte. Gleiches galt für Umweltschutz und Arbeitssicherheit.

Heute sind da richtige Untersuchungen nötig, und es könnte so manchen Auszubildenden mehr geben, wenn die Jugend, wie wir damals, sich auf Onanie und mal ein Bierchen beschränken würde. Diese Dummköpfe knallen sich am Vorabend noch mit den Exponaten vom Dealer ihres Vertrauens die Birne zu und denken, der Werksarzt wird schon kein Screening machen. Schade, schade, schade …

Diese Untersuchung war keine Untersuchung und eigentlich sehr schade. Es wurde eine Chance vertan, die mich viele Jahre später fast das Leben kosten wird. Ich betone, dass es nicht diese Untersuchung war, die an meinem Schicksal schuld ist, sondern nur eine von vielen vertanen Chancen in Sachen gesundheitlicher Vorsorge.

Doch wir waren ja schon weiter, und so stand ich meinem Obermeister auf Normalschicht gegenüber. Der Typ hat mich angeschaut, und mir war klar - hier gehen die Uhren anders. Mir war nur noch nicht klar, was hier anders war und dass Uhren auch rückwärts gehen können.

Ich war Handwerker und gewohnt, hochwertige Arbeit abzuliefern. Meinen Meister habe ich in meiner gesamten Lehrzeit niemals angesprochen, da fachliche Unklarheiten unter den Gesellen geklärt wurden. Erst dann wäre der Meister zum Einsatz gekommen. Ein Meister war also ein Vorbild in fachlicher Hinsicht und menschlich ohne Tadel. Nun hatte ich das Glück in einem kleinen Handwerksbetrieb zu lernen, in dem ein Meister eine noch größere Stellung hatte. So ein Mann war Chef, Vater, Gott und Priester in Personalunion.

Aber hier sorgt der Obermeister dafür, dass ich den richtigen Spindschlüssel bekomme? Nun ja - ich war in der Industrie, und der bestbezahlte Mann in dieser riesigen Halle geht mit mir spazieren und erklärt mir, wo die Toiletten sind. Das soll nicht abwertend sein, denn zu wissen wo die Toiletten sind, ist sehr wichtig. Aber meine Gedankengänge waren schon etwas wirr, denn ich kannte den Unterschied zwischen einem Meister und diesen Operettenkaspern noch nicht. Vorab kann ich schon berichten, dass diese unterschiedliche Betrachtungsweise entfällt, wenn man nicht so streng nach dem Leistungsprinzip urteilt. Können und menschliche Eignung sind in einer kleinen Werkstatt zwingend nötig. Aber hier, ich sagte es schon, herrschen andere Gesetze. Denke nicht, dass es ein erkennbares System gibt, welches bei der Besetzung von Führungskräften aufgerufen werden könnte. Nein, die Beweggründe sind viel einfacher. Ich werde es noch zu spüren bekommen.

Um kurz vor 9 Uhr wurde ich in einen riesigen Aufenthaltsraum gesteckt und gebeten, nach dem Frühstück wieder in das Büro des Obermeisters zu kommen. Kein Problem, denn ein Wurstbrot könnte jetzt nicht schaden, und so saß ich mit etlichen anderen Mitarbeitern im Pausenraum.

Ein riesiger Raum mit einigen Reihen von Holzbänken und Tischen. Eingerahmt von Taschenspinden, einem Kühlschrank und einem gigantischen Wärmeofen. Mikrowelle gab es noch nicht und würde auch keinen halben Hammel größentechnisch verkraften. Ein Waschbecken und ein Heißwassergerät gehörten ebenfalls zur Ausstattung. Was mir besonders ins Auge stach, war der vergammelte Zustand von diesem Loch, wobei diese Beschreibung noch sehr human ist. Eigentlich war es ein Dreckloch. Aufenthaltsräume sollen keine tollen Oasen der Erholung mit Langzeitcharakter sein, sondern dem Mitarbeiter Platz für seine begrenzte Pause bieten. Aber Hygiene war eigentlich nicht verboten und ich wunderte mich doch stark, denn ich komme ja aus einem kleinen Handwerksbetrieb. Da bin ich eine halbe Stunde für Frühstück und Mittag durch die Werkstatt, und habe die Leute gefragt, was ich einkaufen soll. Ja, Saustift ging einkaufen – das Wort Auszubildende gab es nur in großen Betrieben.

Natürlich nahmen die Gesellen keine Rücksicht auf den Saustift, und so musste die Fleischwurst von dem Metzger sein und die Fleischwurst für den nächsten Gesellen von einem anderen Metzger. Die Gurke aus dem Fischgeschäft wurde nur am Freitag gewünscht, wenn die Schlange bis auf die Straße stand. Die Bratwurst aus der berühmten Frühkneipe und die Milch aus dem damals vorhandenen Milchgeschäft und Brötchen vom Bäcker war logisch. Die billigen Fehlfarben-Zigarren für den Lageristen aus dem Tabakladen machten den Bock auch nicht mehr fett. Natürlich musste man die Gesellen mehrmals anlaufen, weil sie unschlüssig waren, was sie wollten. Nicht schlimm, denn man hatte ja 30 Minuten Zeit. Punkt 9 oder 12 lag die Bestellung auf dem Tisch, das Wechselgeld daneben, und Aufenthaltsraum und Waschraum waren geschrubbt. Was man in 30 Minuten packen sollte, da es sonst durchaus zu körperlichen Verweisen kommen konnte oder man einfach unter die Dusche gestellt wurde. Natürlich gibt es keine Zauberei, und es ist unmöglich zu schaffen, und doch hat jeder Lehrling es nach einer Woche geschafft (oder nie). Die Gurke schon am Vortag bezahlt und per Wurfgeschoss entgegengenommen, in der Drogerie nebenan gab es nicht nur Getränke, sondern auch die Milch, und keiner der Gesellen hat gemerkt, dass die Fleischwurst vom selben Metzger war, weil neutral verpackt. Dass die Geschäfte auf die Päckchen immer 20 Pfennig mehr als Preis draufgeschrieben haben, war Verhandlungssache. Es war geduldet und geradezu erwartet worden, dass der Saustift sich sein Frühstück so finanziert. Hab ich gemacht und kam wunderbar mit der Zeit aus. So lernt man, effektiv mit Zeit umzugehen und Arbeitsabläufe zu optimieren. Aber kommen wir zur Fabrik und der ersten Begegnung mit diesem versifften Sozialraum ...

Ach du Scheiße - was war hier los. Eine Ansammlung von Charakterköpfen und Gesichtern, die nur eine Mutter lieben könnte. Gesichter von Männern, die vom Leben gezeichnet sind und nicht der allgemeinen Norm entsprachen. Der eine Typ meinte, er wäre Chef von Geisterbahn. Hätte er nicht sagen müssen - habe ich selbst gesehen.

Die erste verbale Kontaktaufnahme gestaltete sich sehr einfach, indem ich die Frage eines bärtigen Griechen, ob ich schon mal richtig gebumst hätte, mit einem Nicken bejahte. Er war zufrieden, und was die Kollegen dazu meinten, verstand ich nicht, da als Zweitsprache an meiner Schule nur Englisch gelehrt wurde. Eine Sprache übrigens, die mir in meinem Leben nie etwas gebracht hat. Türkisch wäre nützlicher gewesen. Ich wurde gemustert, wobei sich die Betrachter nicht ganz einig über mich waren. „Du Student?“ war die nächste, etwas zögernde Frage. Ich schüttelte den Kopf und erklärte, dass ich fortan hier arbeiten werde. Das ist sehr wichtig, denn Studenten usw. könnten auch Spione sein oder auch eine spätere Führungskraft im Betrieb. Da muss man vorsichtig sein, was man sagt. Aber genau diese Gefahr ging nicht von mir aus. Warum die mich aber anschauten und immer wieder laut lachten, machte mir schon ein paar Gedanken. Hatte ich da einen Popel an der Wange? Die werden schon einen Grund gehabt haben.