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Lassen Sie sich in die Welt der Quinn-Brüder entführen! Dieses eBundle enthält Band 1-8 der 31-teiligen Serie. ZEHN TAGE, ZEHN NÄCHTE Eine Affäre mit einer Schutzbefohlenen ist das Letzte, was einem Polizisten passieren darf! Conor Quinn weiß das genau, als er die Bewachung der mehr als anziehenden Olivia übernimmt. Sie dem Zugriff der Mafia zu entziehen, traut Conor sich zu. Aber wie soll er sich vor dem unglaublich erotischen Knistern zwischen ihnen schützen? ES BRENNT! Hautnah spürt Meggie das aufregende Spiel seiner Muskeln… Als ein Feuerwehrmann sie aus dem brennenden Haus trägt, erwachen in ihr ungeahnte Gefühle. Bis sie erkennt, wer ihr Retter ist: Dylan Quinn, ihr Traummann! Mit dem hat sie allerdings noch eine Rechnung offen … HEUTE NACHT KANN ALLES PASSIEREN! Der erfolgreiche Schriftsteller Brendan Quinn kann seinen Blick nicht von der hübschen Kellnerin Amy lösen. Allerdings gehört sie in ihrem sexy Outfit einfach nicht in diese Hafenkneipe! Eher schon auf sein Boot. Auch wenn er weiß, dass er dann kein Auge zutun wird … DICH ZU SPÜREN Eleanor Thorpe ist am Tiefpunkt angekommen: Sie wurde schon wieder verlassen, findet keinen Job und als wäre das nicht genug, möchte irgendjemand sie auch noch umbringen. Ein wenig Hoffnung schöpft sie, als ein gut aussehender Fremder ihr das Leben rettet! In den starken Armen Liam Quinns fühlt sie sich endlich sicher, beschützt - und begehrt. Wenn sie bloß nicht dauernd dieses Gefühl hätte, unter Beobachtung zu stehen … MEIN TRAUMLOVER Dieser Mann ist jede Sünde wert - gut aussehend, charmant, mit einer männlichen Ausstrahlung, die jede Frau faszinieren muss. Und so überlegt die hübsche PR-Beraterin Lily nicht lange und gibt der Versuchung nach: Auf dem Rückweg von einer Party haben sie und Brian Quinn heißen Sex. Hinter den getönten Scheiben einer eleganten Limousine lieben sie sich voller Lust. Zu spät erfährt Lily, dass ihr Traumlover beruflich ihr größter Widersacher ist ... VERFÜHRT, VERWÖHNT, VERLIEBT ... Verheiratet und nicht verliebt? In Laurels Fall kein Widerspruch: Nur für kurze Zeit braucht sie einen Ehemann, um endlich über ihr großes Vermögen zu verfügen. Dann können sie und der attraktive Privatdetektiv Sean Quinn wieder getrennte Wege gehen. Aber nach dem Ja-Wort entwickelt sich alles ganz anders, als Laurel dachte. Denn zwischen ihr und Sean knistert es wirklich! Nach einer leidenschaftlichen Nacht, in der sie die süßen Wonnen der Lust genießen, tut die Vorstellung einer Trennung regelrecht weh. Wenn sie Sean nur ihre Gefühle gestehen könnte. Aber sie schweigt ... SEX, LÜGEN UND SKANDAL "Ich schlafe nicht mit dir." Bootsbauer Marcus Quinn glaubt zu wissen, wie die schöne Eden tickt: Sie flirtet mit ihm, um sich etwas zu beweisen. Aber erst, als er nicht länger Nein sagen kann und mit ihr in der Koje landet, begreift er, wie absolut liebenswert Eden wirklich ist … DIE FARBEN DER LEIDENSCHAFT Die Telefonleitungen der Polizeistation laufen heiß: Offenbar werden in der neuen Galerie sehr freizügige Bilder gezeigt! Polizeichef Ian Quinn weiß nicht, wie er die schöne, freidenkende Künstlerin Marisol Arantes bändigen soll. Bis er sie eines Nachts aufsucht …
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Seitenzahl: 1588
Cover
Titel
Inhalt
Zehn Tage, zehn Nächte
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Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
Es brennt!
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9. KAPITEL
Heute Nacht kann alles passieren!
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9. KAPITEL
Dich zu spüren
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9. KAPITEL
EPILOG
Mein Traumlover
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9. KAPITEL
EPILOG
Verführt, verwöhnt, verliebt …
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6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
EPILOG
Sex, Lügen und Skandal
Cover
Titel
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1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. Kapitel
7. KAPITEL
8. KAPITEL
EPILOG
Die Farben der Leidenschaft
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
EPILOG
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Contents
IMPRESSUM
Zehn Tage, zehn Nächte erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© by Peggy A. Hoffmann Originaltitel: „The Mighty Quinns: Conor” erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY Band 987 - 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Christian Trautmann
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., GettyImages_NycyaNestling
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
ISBN 9783733757960
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag: BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
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Der Schuss kam aus dem Nichts und ließ die Schaufensterscheibe von „Ford-Farrell Antiques“ in tausend Stücke zersplittern. Zuerst dachte Olivia Farrell, einer der Schaukästen sei umgefallen, oder eine Kristallvase sei aus einem Regal gekippt. Doch dann krachte ein zweiter Schuss. Die Kugel pfiff an ihrem Kopf vorbei und bohrte sich mit einem leisen Zischen in die Wand. Glasscherben fielen in die Schaufensterauslage rund um einen Bücherschrank aus der Zeit des Bürgerkriegs.
Ihr erster Impuls war es, sich über den Bücherschrank zu werfen, ein seltenes Stück im Wert von 60000 Dollar. Immerhin befand sich in den sprossenfensterartigen Türen des Schranks noch das Originalglas. Außerdem wäre das Stück für ihre kritische Kundschaft wertlos, falls sich irgendwelche Kratzer auf den sehr gut erhaltenen Intarsien befänden. Doch dann siegte ihr Verstand, und sie duckte sich hinter einer Chaiselongue im viktorianischen Stil.
„Verdammt“, murmelte sie, nicht sicher, was sie als Nächstes tun sollte. Wegrennen? Sich verstecken? Zurückschießen konnte sie jedenfalls nicht, da sie keine Waffe besaß. Sie dachte daran, die Ladentür abzuschließen. Aber wer immer dort draußen stand und auf sie schoss, konnte jetzt einfach durch von keiner Glasscheibe geschützte Schaufenster zu ihr in den Laden marschieren.
Sie stieß sich vom Boden ab und versuchte die Entfernung zwischen ihrem Standort und der Hintertür der Galerie abzuschätzen. Und wenn sie draußen in der Gasse auf sie warteten? Außerdem hatte sie keine Ahnung, ob der Schütze fest entschlossen war, sie um jeden Preis zu töten, oder ob er sich zurückziehen und es später noch einmal versuchen würde. Schließlich hatte er sie nicht getroffen. Vielleicht hatte er ihr nur Angst einjagen wollen.
Olivia zog das kleine graue Handy aus ihrer Jacketttasche und wählte die Notrufnummer. Vielleicht sollte sie sich einfach tot stellen, für den Fall, dass der oder die Täter wild um sich feuernd den Laden stürmten.
Tränen stiegen ihr in die Augen, und ihre Hand zitterte, während sie darauf wartete, dass sich in der Notrufzentrale jemand meldete. Doch sie weigerte sich, sich von ihrer Angst besiegen zu lassen. Stattdessen unterdrückte sie die Tränen und nahm ihren Mut zusammen. Sie hatte sich beigebracht, ihre Gefühle zu kontrollieren und immer Haltung zu bewahren. Aber das galt nur für ihren Job. Ein Schuss durchs Fenster war möglicherweise eine gute Entschuldigung für ein wenig Hysterie.
Das alles wäre nicht passiert, wenn sie einfach ihren Mund gehalten hätte. Wenn sie sich in jener Nacht vor einigen Monaten einfach umgedreht hätte und weggegangen wäre. Aber sie hatte damals Angst gehabt, dass ihr alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte, genommen werden könnte.
Bisher war das Einzige, was sie sich jemals hatte zuschulden kommen lassen, eine Geschwindigkeitsübertretung gewesen. Jetzt waren ihre Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden, man hatte ihre Vergangenheit durchleuchtet, ihr Geschäftspartner saß im Gefängnis, und ihr guter Ruf war ruiniert. Olivia war eine wichtige Zeugin in einem Verfahren wegen Mord und Geldwäsche gegen einen sehr gefährlichen Mann – einen Mann, der offenbar nichts dabei fand, sie umzubringen, bevor sie ihre Geschichte vor Gericht erzählen konnte.
Als die Notrufzentrale sich meldete, gab Olivia rasch ihren Standort und eine kurze Beschreibung der Ereignisse durch. Die Telefonistin bat sie am Apparat zu bleiben, und Olivia lauschte abwesend, während die Frau sie zu beruhigen versuchte. Olivia hatte immer gehört, dass kurz vor dem Tod noch einmal das Leben an einem vorbeizog. Aber alles, woran sie jetzt denken konnte, war, wie sehr sie es hasste, sich so hilflos zu fühlen.
„Reden Sie nur weiter mit mir“, drängte die Telefonistin sie.
„Worüber soll ich denn reden?“, erwiderte Olivia gereizt. Das einzige Thema, das ihr einfiel, war ihr Leben, das sich innerhalb kürzester Zeit völlig verändert hatte. Vor zwei Monaten noch war sie ganz oben gewesen, die erfolgreichste Antiquitätenhändlerin Bostons. Sie war überall im Land herumgereist, immer auf der Suche nach den besten Antiquitäten. Ihre Kundenliste las sich wie ein „Who is who“ der Ostküsten-High-Society. Erst kürzlich war sie in den Vorstand einer der renommiertesten historischen Gesellschaften Bostons gewählt worden. Es gab sogar das Gerücht, man wolle sie bitten, in der TV-Show „Antiques Caravan“ aufzutreten.
Und all das ihr, die nicht in Beacon Hill aufgewachsen war, sondern in einer Arbeitergegend von Boston. Aber sie war über ihre ziemlich einfachen Anfänge hinausgewachsen, hatte ihre Vergangenheit hinter sich gelassen und sich ein eigenes Leben aufgebaut – ein Leben, zu dem Reisen, Partys und einflussreiche Freunde gehörten. Und finanzielle Sicherheit. Nur eines hatte sie sich aus ihrer Kindheit bewahrt – ein Interesse an allem, was hundert Jahre oder älter war.
„Meine Eltern waren begeisterte Antiquitätensammler“, erzählte sie leise der Telefonistin. „Sie schleppten mich als Kind von einer Versteigerung zur anderen und bestritten ihren Lebensunterhalt mit einem kleinen Secondhandladen in North End. Wir wussten nie, woher die nächste Mahlzeit kommen sollte und ob wir genug zusammenbekommen würden, um die Miete bezahlen zu können. Diese Unsicherheit war für ein Kind beängstigend.“
„Ängstigen Sie sich nicht“, sagte die Telefonistin. „Die Polizei ist unterwegs.“
„Als ich älter wurde“, fuhr Olivia fort, „wandten sie sich für Gutachten an mich. So wurde ich eine Expertin für Möbel des 18. und 19. Jahrhunderts in New England. Meine Eltern besaßen kein gutes Auge für wertvolle Antiquitäten, und als ich die Highschool hinter mir hatte, beschlossen sie, es in der Gastronomie zu versuchen. Sie übernahmen eine Raststätte am Interstate in Jacksonville, Florida.“
„Die Polizei ist in wenigen Minuten da, Miss Farrell.“
Olivia redete weiter, und der Klang ihrer eigenen Stimme vertrieb ihre Ängste. Solange sie reden konnte, war sie noch am Leben, und die Angst siegte nicht über sie. „Ich blieb zurück, um das College zu besuchen. Ich hatte drei verschiedene Jobs, um mein Studium zu finanzieren, und lebte das gesamte erste Jahr auf dem Boston College von der Hand in den Mund. Es war sehr schwer, die Studiengebühren und die Miete zusammenzubekommen. Aber dann stieß ich auf einen Sheraton-Sessel, den ich für fünfzehn Dollar auf einem Flohmarkt erstand und für viertausend bei einer Auktion weiterverkaufte.“
Von diesem Moment an hatte Olivia ihr Studium durch Handel mit Antiquitäten finanziert. Dabei entdeckte sie, dass sie ein unglaubliches Talent für das Aufspüren wertvoller Stücke an unwahrscheinlichen Orten hatte – auf Flohmärkten, Secondhandshops, Haushaltsauflösungen. Sie konnte sehr schnell eine Reproduktion von einem Original unterscheiden und war eine geschickte Bieterin.
„Meinen ersten Laden mietete ich in dem Jahr, in dem ich meinen Abschluss machte. Sechs Jahre später ging ich eine Partnerschaft mit einem meiner Kunden ein. Kevin Ford war ein Mann mit Geld. Ich dachte, ich hätte es geschafft. Er kaufte einen wunderschönen Laden in der Charles Street am Fuß von Beacon Hill.“ Olivia seufzte.
„Die Polizei wird in etwa dreißig Sekunden da sein, Ma‘am“, sagte die Telefonistin.
Olivia konnte bereits die näher kommenden Sirenen hören. Aber auch die Polizei konnte sie nicht aus dem Chaos befreien, in das sie ihr Leben verwandelt hatte. Sie gab sich selbst für die ganze Sache die Schuld. Als Kevin das Gebäude gekauft hatte, war sie im ersten Moment skeptisch gewesen. Obwohl er reich war, konnte er kaum die Millionen besitzen, um einen Laden in der Charles Street zu kaufen. Doch dann hatte sie ihre Bedenken verdrängt und nur ihren meteoritengleichen Aufstieg an die Spitze der Bostoner Gesellschaft gesehen – und die Geschäfte, die sich ihr eröffneten.
Hätte sie ihrem Instinkt vertraut, wäre ihr vielleicht klar geworden, dass Kevin Fords unerschöpfliches Kapital aus Unterweltverbindungen stammte. Die Bestätigung dafür bekam sie, als sie spätabends zufällig eine Unterhaltung zwischen Ford und einem seiner wichtigsten Kunden mit anhörte – einem Mann, der, wie sie später erfuhr, ein Bostoner Gangsterboss war, der allein im letzten Jahr eine Handvoll Morde befohlen hatte.
Das erneute Geräusch von splitterndem Glas ließ sie hochschrecken und sich schon auf das Schlimmste vorbereiten. Doch dann hörte sie zu ihrer Erleichterung eine vertraute Stimme. „Miss Farrell, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“
Olivia spähte über die Chaiselongue und winkte schwach dem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt, Elliott Shulman, zu, der für die Mordanklage gegen Red Keenan zuständig war. „Ich bin noch am Leben“, erwiderte sie.
Er eilte zu ihr und half ihr auf die Füße. „Das ist einfach inakzeptabel“, stellte er fest. „Wo ist der Polizeischutz, den ich angefordert habe?“
„Die Cops parken noch immer vor meinem Apartment“, antwortete Olivia und errötete leicht.
Shulman starrte sie an. „Sie sind verschwunden, ohne es ihnen mitzuteilen?“
Olivia nickte und straffte angesichts seines tadelnden Tons die Schultern. „Ich musste nur ein wenig Arbeit erledigen. Der Laden ist jetzt seit fast zwei Monaten geschlossen. Ich muss Rechnungen bezahlen und Antiquitäten verkaufen. Wenn ich mich nicht um meine Kunden kümmere, werden sie zu jemand anderem gehen.“
Shulman führte sie am Ellbogen zur Eingangstür. „Jetzt haben Sie erlebt, wozu Red Keenan fähig ist. Vielleicht hören Sie ja nun endlich auf uns und nehmen seine Drohungen ernst.“
Olivia befreite ihren Arm aus seinem festen Griff. „Ich verstehe immer noch nicht, wieso er meinen Tod will. Kevin kann in dieser schmutzigen Angelegenheit aussagen. Ich habe zwar ihre Unterhaltung belauscht, aber viel habe ich nicht mitbekommen.“
„Wie ich Ihnen schon erklärt habe, redet Ihr Partner nicht. Sie sind die einzige Zeugin, die eine Verbindung zwischen den beiden herstellen kann. Nach dem, was heute Abend passiert ist, werden wir Sie an einem sicheren Ort außerhalb der Stadt verstecken müssen.“
Olivia schnappte nach Luft. „Ich kann nicht weg! Schauen Sie sich diese Bescherung an! Wer wird das Fenster reparieren? Ich kann die Sachen nicht dem Wetter aussetzen. Diese Antiquitäten sind wertvoll. Und was ist mit meinen Kunden? Das könnte mich finanziell ruinieren!“
„Wir werden das Fenster umgehend ersetzen lassen. Bis dahin lasse ich einen Streifenbeamten draußen. Sie werden mit mir auf die Wache kommen, bis wir einen sicheren Unterschlupf für Sie gefunden haben.“
Olivia schnappte sich ihren Mantel und ihre Handtasche von dem antiken Garderobenschrank neben ihrem Schreibtisch und folgte Shulman widerstrebend zum Eingang. Vielleicht war es wirklich Zeit, sich zu verstecken. Es war ja nur für zwei Wochen, bis zum Beginn des Prozesses. Wenigstens würde sie sich dann wieder sicher fühlen. Als sie auf den Gehsteig hinaustrat, gab sie dem Streifenpolizisten ihre Schlüssel und nannte ihm den Sicherheitscode. Dann atmete sie tief durch und sagte: „Versprechen Sie mir, dass ich nach dem Prozess in mein gewohntes Leben zurückkehren kann.“
„Wir werden unser Bestes tun, Miss Farrell.“
Conor Quinn wusste, was ein schlechter Tag war. Drogen, Prostituierte, Alkohol, Schmutz – das war sein Leben. Er konnte sich an keinen Tag beim Sittendezernat des Boston Police Department erinnern, an dem er nicht mit den Übeln der Gesellschaft konfrontiert worden wäre. Er griff in die Innentasche seiner Jacke nach seinen Zigaretten, doch dann fiel ihm ein, dass er vor drei Tagen das Rauchen aufgegeben hatte.
Mit einem leisen Fluch schob er das leere Glas über den Tresen und gab dem Barkeeper ein Zeichen. Seamus Quinn kam zu ihm und wischte sich die narbenbedeckten Hände an einem Handtuch ab. Sein dunkles Haar war weiß geworden, und seine gebeugte Haltung hatte er der jahrelangen Rücken schädigenden Arbeit als Schwertfischer zu verdanken. Conors Vater hatte das Fischen vor ein paar Jahren aufgegeben. Sein Schiff, die „Mighty Quinn“, dümpelte jetzt friedlich an ihrem Liegeplatz im Hafen von Hull. Conors Bruder Brendan benutzte sie als Unterkunft bei seinen seltenen Besuchen in Boston. Seamus hatte seine mageren Ersparnisse und einen Glücksspielgewinn in den Kauf seiner Stammkneipe in einer wilden Gegend von South Boston investiert.
„Ein Bier, Con?“, fragte Seamus mit unverkennbarem irischen Akzent.
Conor schüttelte den Kopf. „Ich muss in einer halben Stunde zum Dienst. Danny holt mich hier ab.“
Seamus warf ihm einen schlauen Blick zu und stellte ein Glas Mineralwasser vor Conor, ehe er sich einem anderen Gast zuwandte. Conor beobachtete, wie sein Vater geschickt ein Guinness zapfte, das Glas in den perfekten Winkel neigte und den genauen Moment abpasste, um den Hahn zuzudrehen. Er stellte das große Glas auf die Bar, und der helle cremige Schaum stieg über dem nussbraunen Gebräu auf.
Sein Vater fragte nicht weiter. Obwohl die übrigen Stammgäste von Seamus‘ klugen Ratschlägen profitierten, hatten die Quinn-Brüder im Lauf der Jahre gelernt, ohne väterliche Einmischung mit ihren Problemen fertig zu werden. Tatsächlich war Conor es gewesen, der seinen jüngeren Brüdern mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Das tat er noch immer. Fast sein ganzes Leben lang, seit seinem siebten Lebensjahr, war er damit beschäftigt gewesen, die Familie zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass seine Brüder auf dem Pfad der Tugend blieben. Das Leben sicher zu machen war sein Job, damals wie heute. Nur dass er sich heute um eine Stadt mit einer halben Million Einwohner kümmerte statt um fünf Rabauken aus South Boston.
Er schaute sich in der Bar um, auf der Suche nach irgendetwas, was ihn die Ereignisse des Tages vergessen ließ. Seamus Quinns Pub war für drei Dinge bekannt – die echte irische Atmosphäre, das beste Irish Stew in Boston und die tolle irische Livemusik, die hier jeden Abend zu hören war. Und dass die sechs unverheirateten Söhne des Besitzers sich hier oft einfanden, war ebenfalls kein Geheimnis.
Dylan spielte Billard mit seinen Kollegen von der Feuerwehr, die alle dunkelblaue T-Shirts des Boston Fire Departments trugen. Eine Schar junger Frauen schaute ihnen zu und flirtete mit Dylan. Brian arbeitete heute Abend am anderen Ende des Tresens und war damit beschäftigt, die neue Kellnerin zu umgarnen. Liam war in eine flotte Runde Dart mit einer Rothaarigen vertieft, und Sean hielt sich im hinteren Teil des Pubs auf, wo er mit einer attraktiven Brünetten zur Musik einer Geige und einer Blechflöte tanzte.
Bei Brendan lief es nicht anders, wenn er sich in der Stadt aufhielt, nachdem er eine Reportage für eine Zeitschrift oder eine Recherchereise für sein neuestes Buch beendet hatte. Eine sanfte, bereitwillige Frau war das Erste, was er dann suchte. Alle noch so strikten Warnungen ihres Vaters vor Frauen hielten die sechs Brüder nicht davon ab, zu genießen, was das andere Geschlecht ihnen so freizügig anbot – natürlich ohne dass sich einer von ihnen ernsthaft verliebte oder gar eine feste Beziehung einging.
In letzter Zeit jedoch war Conor dieser Affären überdrüssig geworden. Vielleicht lag es an seiner Stimmung, an der Gleichgültigkeit, die er ganz allgemein empfand. Himmel, die Blonde am Ende des Tresens warf ihm seit einer halben Stunde einladende Blicke zu, und er brachte nicht mal ein Lächeln zustande. Die Aussicht auf eine Frau, die ihm an diesem stürmischen Herbstabend das Bett wärmte, war zwar verlockend. Aber er war einfach zu müde, um sich dazu aufzuraffen, mit ihr zu flirten. Außerdem blieb ihm nur noch eine halbe Stunde, ehe er sich auf der Wache melden musste.
„Guten Abend, Sir. Wenn Sie bereit sind, der Wagen wartet.“
Conors Partner, Danny Wright, setzte sich zu seiner Rechten auf einen Barhocker. Der junge Detective war Conor letzten Monat zugeteilt worden, sehr zu Conors Bestürzung. Wright war zwar ein guter Polizist, aber er war wie ein Welpe – große Augen und immer ganz wild darauf, etwas zu unternehmen.
„Sie brauchen mich nicht Sir zu nennen“, murmelte Conor und trank einen Schluck von seinem Mineralwasser. „Ich bin Ihr Partner, Wright.“
Danny runzelte die Stirn, „Aber die Jungs auf der Wache sagten, Sie würden gern mit Sir angeredet werden.“
„Die haben Sie auf den Arm genommen. Das machen sie gern mit frischgebackenen Detectives. Wieso bestellen Sie sich nicht einfach einen Drink und entspannen sich?“
Bedacht darauf, es Conor recht zu machen, bestellte Danny sich ein Malzbier und nahm sich eine Handvoll Erdnüsse. „Der Lieutenant will uns am Ende der Schicht auf der Wache sehen. Er hat einen Spezialauftrag für uns.“
Conor lachte. „Wohl eher eine Spezialbestrafung.“
Danny warf ihm einen Seitenblick zu. „Der Lieutenant ist ziemlich wütend auf Sie. Die Jungs sagen, Sie sind ein guter Cop, der nur ein wenig aufbrausend ist. Der Lieutenant sagt, der Trickbetrüger strengt eine Klage wegen Brutalität an. Er hat sich bereits einen Anwalt genommen.“
Conors Züge verhärteten sich. „Dieser miese Kerl hat eine vierundachtzigjährige Frau um ihre Ersparnisse betrogen. Und als sie ihm ihre Kreditkarte nicht geben wollte, hat er sie fast totgeschlagen. Mit einer geplatzten Lippe ist er noch gut davongekommen.“
„Die Jungs sagen …“
„Was wird das, Wright? Sprechen Sie nie für sich selbst?“, unterbrach Conor ihn. „Ich werde Ihnen erklären, was die Jungs sagen. Sie sagen, es ist nicht das erste Mal, dass ich auf einen Verdächtigen losgegangen bin. Sie sagen, Conor Quinn eilt ein gewisser Ruf voraus. Und dieser Ruf verbessert meine Chancen nicht gerade, zur Mordkommission zu kommen. Nehmen Sie die geplatzte Lippe und meine anderen Missgeschicke, und dann haben Sie einen bösartigen Cop.“
„Ich … ich wollte nicht …“
„Keine Sorge, Wright. Es ist nicht ansteckend.“
„Um meinetwegen mache ich mir auch keine Sorgen“, erklärte Danny. „Aber Sie warten schon seit zwei Jahren auf Ihre Versetzung in die Mordkommission, und es sind nur zwei Stellen frei. Sie sind ein guter Detective, Sir. Sie haben eine dieser Stellen verdient.“
Conor schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich noch daran interessiert bin.“
„Weshalb nicht?“
Über diese Frage dachte er jetzt schon seit Wochen nach, ohne eine vernünftige Antwort darauf zu finden. „Ich versuche seit etlichen Jahren, diese Stadt zu einem sicheren Ort zu machen. Ich glaubte wirklich, ich könnte etwas bewirken. Aber ich habe so gut wie nichts erreicht. Für jede Prostituierte, jeden Buchmacher oder Halunken, den ich hinter Gitter bringe, kommt sofort ein neuer. Wieso sollte ich glauben, ich könnte bei Mördern mehr erreichen?“
„Weil Sie es schaffen“, argumentierte Danny auf seine treuherzige Art.
„Verdammt, ich habe es satt, auf Nummer sicher zu gehen. Es wird Zeit, dass ich anfange, mein Leben zu leben. Ich will morgens aufwachen und mich auf den Tag freuen. Nehmen Sie meinen Bruder Brendan. Er entscheidet, was er schreibt, wann er schreibt und ob er schreibt. Er führt ein Leben nach seinen eigenen Bedingungen. Und dann Dylan. Er bewirkt wirklich etwas. Er rettet Leben.“
„Was wollen Sie tun? Sie sind ein Cop. Es liegt Ihnen im Blut, für Recht und Ordnung zu sorgen.“
„Möglicherweise ist genau darin das Problem. Zuerst kümmerte ich mich um meine Familie und anschließend um diese Stadt. Ich war neunzehn, als ich auf die Polizeiakademie kam, Wright. Ich hatte Verpflichtungen zu Hause und brauchte einen geregelten Job. Vielleicht hätte ich mich für etwas völlig anderes entschieden. Natürlich wäre ich lieber aufs College gegangen, statt jahrelang Abendkurse zu besuchen.“
„Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie beim Lieutenant nicht mehr in Ungnade sind“, versuchte Danny ihn zu trösten. „Er kann schließlich nicht ewig wütend auf Sie bleiben.“
„Also, was für niedere Dienste hat er heute Abend für uns?“, fragte Conor, trank einen großen Schluck von seinem Mineralwasser und wischte sich mit der Hand über den Mund.
„Es klingt ziemlich interessant, Sir“, antwortete Danny. „Wir sollen einen Zeugen im Red-Keenan-Fall beschützen. Wir müssen den Zeugen zu einem geheimen Unterschlupf nach Cape Cod bringen und ein paar Tage auf ihn aufpassen. Ein seltsamer Platz zum Untertauchen, meinen Sie nicht?“
„Nein“, entgegnete Conor. „Man geht vermutlich davon aus, dass man dort um diese Jahreszeit jeden beobachten kann, der kommt oder geht. Es gibt dort nur einen Flughafen und einen Highway. Dadurch ist es leichter, Verdächtige zu entdecken.“
Conor stand auf, winkte nur kurz Sean zu und ging zur Tür. Wright folgte ihm. Als Conor auf die Straße trat, schlug er den Kragen seiner Lederjacke hoch und drehte das Gesicht in den Wind. Er konnte das Meer riechen und wusste, dass ein Unwetter aufzog. Einen Moment lang machte er sich Sorgen wegen Brendan, der eigentlich schon seit zwei Tagen von einem Ausflug mit ein paar Schwertfischern heimgekehrt sein sollte. Wieso er sich entschlossen hatte, ein Buch über den Schwertfischfang zu schreiben, würde Conor nie begreifen.
Der Schwertfischfang war schließlich der Ruin des Familienlebens gewesen, der Grund, weshalb ihre Mutter verschwunden war und ihr Vater Conor die Elternrolle überlassen hatte. Conor seufzte und fluchte leise. Brendan konnte mit einem Sturm auf See fertig werden – er hatte viele Sommerferien auf Fahrten mit ihrem Vater verbracht. Und Dylan konnte mit einem außer Kontrolle geratenen Feuer fertig werden. Es war Conor, der in letzter Zeit Probleme hatte, sein Leben in den Griff zu bekommen und allem noch einen Sinn zu geben.
Den Wind im Gesicht, die Hände tief in den Taschen vergraben, ging er die regennasse Straße hinunter zu seinem Wagen. Danny marschierte hinterdrein. Beim Geräusch näher kommender Schritte sah Conor auf. Sofort erwachte sein Polizisteninstinkt. Eine schlanke Frau mit kurzen dunklen Haaren ging an ihnen vorbei und wäre dabei fast mit ihm zusammengestoßen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Er schaute über die Schulter und glaubte sie wiederzuerkennen. Eine Trickbetrügerin? Eine Prostituierte? Eine Undercover-Agentin?
Er beobachtete, wie sie zögernd vor Quinn‘s stehen blieb und durch das Fenster hineinsah. Ein paar Sekunden später ging sie die Stufen hinauf. Doch dann hielt sie inne, lief wieder zurück und verschwand in der Dunkelheit. Conor schüttelte den Kopf. War er schon so abgestumpft, dass er einem harmlosen Passanten kriminelle Absichten unterstellte? Vielleicht würde ihm die Einsamkeit auf Cape Cod mal ganz guttun und alles wieder in die richtige Perspektive rücken.
Auf der Wache des vierten Bezirks herrschte reger Betrieb, als Conor und Danny dort eintrafen. Conor war daran gewöhnt, in der Tagschicht zu arbeiten, aber der Unterschied zwischen Tag und Nacht würde jetzt ohnehin bedeutungslos werden, wenn sie den Zeugen beschützen mussten. Es würde nichts als endlose Stunden voller Langeweile geben und schlechtes Essen zum Mitnehmen. Letztlich würde es so spannend sein wie Babysitting.
Laut Danny war der Zeuge früher am Abend von der Wache in der Innenstadt hierher gebracht worden. Der Lieutenant hatte nur vage Einzelheiten über den Fall verlauten lassen, da er sich mit Danny und Conor persönlich über ihren neuen Auftrag unterhalten wollte. Zweifellos würde er dieses Gespräch zur Zurechtweisung seines aufsässigen Detectives nutzen.
Doch als sie die Wache betraten, war die Tür zum Büro des Lieutenants geschlossen. Conor holte sich einen Becher Kaffee und suchte in dem Durcheinander auf seinem Schreibtisch nach seinem Notizbuch, das jeder Detective für Zeugenaussagen bei sich trug. Er erinnerte sich, dass er es zuletzt im Überwachungsraum benutzt hatte, von wo aus er durch das verspiegelte Fenster ein Verhör verfolgt hatte.
Er nahm einen Kugelschreiber und ging zum Überwachungsraum, dessen Tür offen stand. Doch seine Suche nach dem verschwundenen Notizbuch wurde unterbrochen, als er durch das verspiegelte Fenster in den „Zeugenstand“ sah. Die Einrichtung des nichtssagenden Verhörzimmers bestand lediglich aus einem Tisch mit einem Stuhl an jeder Seite, einer Lampe darüber und dem verspiegelten Fenster, durch das Conor jetzt schaute.
Die einzige Person in dem Raum war eine Frau, eine schlanke Gestalt mit aschblondem Haar, aristokratischen Zügen und teurer Garderobe. Er war sich nicht sicher, woher er es wusste, doch er war überzeugt, dass sie kein Callgirl, keine Drogendealerin oder Trickbetrügerin war. Er hätte seine Dienstmarke darauf verwettet, dass sie nichts verbrochen hatte.
Er trat näher ans Fenster und betrachtete sie genauer. Er bemerkte das Zittern ihrer zarten Hand, als sie aus einem Pappbecher trüben Kaffee trank. Plötzlich drehte sie den Kopf in seine Richtung, und Conor trat rasch in die Dunkelheit zurück. Obwohl er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte, fühlte er sich ertappt.
Grundgütiger, sie war so schön. Ihr Gesicht war vollkommen – eine hohe Stirn, ausdrucksvolle Augen, markante Wangenknochen und ein sinnlicher Mund, der wie zum Küssen gemacht war. Ihr sanft gewelltes Haar umgab ihr Gesicht und fiel ihr auf die Schultern. Conor stellte sich vor, wie weich ihre Haare sich anfühlen würden, wenn er sie berührte, und dass sie wie warme Seide über seine Haut gleiten würden, wenn sie sich über ihn beugte und …
Leise fluchend wandte er sich von dem Fenster ab. Was sollten diese Fantasien über eine Fremde? Abgesehen davon konnte sie ein hochklassiges Callgirl oder die kostspielige Freundin eines Drogendealers sein. Ihre Schönheit machte sie nicht automatisch unschuldig.
Alte Gewohnheiten legt man nur schwer ab. Wie oft hatte er eine attraktive Frau gesehen und dann die Stimme seines Vaters gehört? All diese Warnungen, versteckt in den alten irischen Geschichten, die Seamus erzählte. „Ein Quinn darf sein Herz nie an eine Frau verschenken. Erkennt hinter der Schönheit die lauernde Gefahr!“
Conor drehte sich wieder zum Fenster um und sah, dass die Frau die Arme um sich geschlungen hatte. Sie ließ die Schultern hängen und wiegte sich, zitternd am ganzen Körper, vor und zurück. Als sie den Kopf hob, erkannte er Spuren von Tränen in ihrem Gesicht. Ihre offenkundige Angst und ihre Verletzlichkeit rührten Conor zutiefst. Sie wirkte allein und verlassen.
Er wollte schon die Tür zum Verhörraum öffnen, als er Danny Wright hereinkommen sah, eine Einkaufstüte unterm Arm. Erstaunt registrierte er, wie sich die Miene der Frau veränderte. Plötzlich war ihre Verletzlichkeit verschwunden. Jetzt wirkte sie kühl und gefasst, ja beinah kalt. Unauffällig wischte sie sich die Spuren der Tränen aus dem Gesicht und presste die Lippen zusammen.
Conor drückte den Knopf der Gegensprechanlage und stützte sich mit den Händen auf den Tisch vor dem Fenster, während er Dannys Stimme durch den knisternden Lautsprecher hörte.
„Miss Farrell, ich bin Detective Wright. Mein Partner und ich sind beauftragt worden, Sie bis zum Prozess zu beschützen. Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, aber wir haben Vorkehrungen getroffen, um Sie an einen sicheren Ort zu bringen.“
Conor sog scharf die Luft ein. Das war der Zeuge? Diese Frau, die ihn mit ein paar Tränen und einem atemberaubend schönen Gesicht in ihre Probleme hineingezogen hatte? „Verdammt“, murmelte er. Er hatte mit einem jammernden kleinen Buchhalter oder einem miesen, schleimigen Informanten gerechnet. In Anbetracht seiner Reaktion auf Miss Farrell würde es die Hölle auf Erden sein, die nächsten zwei Wochen mit ihr zu verbringen.
„Ich verstehe nicht, wieso ich nicht einfach gehen kann“, sagte sie in scharfem Ton. „Ich könnte nach Europa gehen. Ich habe Geschäftspartner dort, die sehr gern …“
„Miss Farrell, wir werden für Ihre Sicherheit sorgen. Es gibt keinen Grund zur Besorgnis.“
Sie legte die Hände auf den Tisch und sprang auf. Danny wich erschrocken zurück. „Es ist nicht nötig, dass Sie für meine Sicherheit sorgen!“, schrie sie wütend und frustriert. „Ich kann selbst auf mich aufpassen. Ich will Ihre Hilfe nicht!“
Danny war völlig überrumpelt von ihrem Ausbruch. „Aber dann haben wir keine Gewähr, dass Sie zur Aussage erscheinen werden.“
„Und was ist, wenn ich nicht aussage? Dann müssen Sie mich gehen lassen, richtig?“
„Keenan wird Sie am Ende doch finden, Miss Farrell. Außerdem kommt er dann frei, und er lässt seine Angelegenheiten nicht gern ungeklärt.“
Sie umklammerte die Stuhllehne, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. „Das bin ich also? Eine ungeklärte Angelegenheit?“
„So meinte ich das nicht“, versicherte Danny ihr. „Ich wollte Ihnen nur auseinandersetzen, was Keenan denken wird. Hören Sie, ich werde meinen Partner suchen und Sie mit ihm reden lassen. Er ist ein guter Cop. Er wird ebenfalls nicht zulassen, dass Ihnen etwas zustößt.“
Conor marschierte aus dem Überwachungsraum direkt zum Büro des Lieutenants. Er wollte umgehend einen anderen Auftrag. Er würde sich sogar mit Schreibtischarbeit zufriedengeben, wenn er dafür nicht auf diese Frau aufpassen musste. Conor klopfte an die Tür und wartete darauf, dass er hereingerufen wurde.
„Der Lieutenant ist in der Stadt“, klärte Rodriguez ihn auf. „Der Polizeichef hält eine große Pressekonferenz wegen seines Cops-und-Kinder-Programms ab. Er hat vor ein paar Minuten mit Danny gesprochen. Ich glaube, eure Zeugin ist im Zeugenstand.“
Conor machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück zum Verhörraum. Auf halbem Weg traf er Danny.
„Da sind Sie ja“, meinte sein Partner. „Kann es losgehen?“
„Der Lieutenant muss jemand anderen für diesen Job finden“, eröffnete Conor ihm. „Ich habe noch zu viele ungelöste Fälle zu bearbeiten. Außerdem sollte Bezirk eins sich um diese Zeugin kümmern. Es ist deren Fall.“
„Was? Sie können mich jetzt nicht hängen lassen. Sie müssen mit der Zeugin reden. Ihr Name ist Olivia Farrell. Red Keenans Leute haben heute Abend auf sie geschossen, und sie ist ziemlich durcheinander. Plötzlich will sie nicht mehr aussagen. Ich weiß nicht, wie ich sie davon überzeugen soll …“
„Soll sie es ruhig drauf ankommen lassen“, erwiderte Conor. „Wenn sie nicht aussagen will, muss sie es nicht.“
Dannys Miene verfinsterte sich. „Was sagen Sie da? Wir haben hier die Chance, Keenan festzunageln. Abgesehen von Mord und Drogenhandel hat der Kerl uns beim Sittendezernat ganz schön in Atem gehalten. Sie müssen ihn doch hinter Gitter bringen wollen.“
Conor fuhr sich durch die Haare. „Das will ich auch. Aber ich werde nicht mit ihr reden. Sie sind für sie verantwortlich, Wright. Für diese Sache sind Sie zuständig. Sie fahren sie nach Cape Cod. Ich werde Ihnen in einem anderen Wagen folgen.“
„Ich habe ihr ein paar Sachen gegeben“, sagte Danny. „Der Lieutenant meint, wir sollten sie verkleidet hier herausbringen, wie bei einem Verdächtigentransport. Wir werden auf dem Weg aus der Stadt bei der Wache in South Boston vorbeifahren, und falls niemand uns folgt, werden wir nicht mehr anhalten, bis wir den Unterschlupf erreicht haben.“
„Klingt vernünftig. Ich warte auf Sie auf dem Parkplatz und folge Ihnen dann.“ Conor schob die Hände in die Jackentaschen und ging. Plötzlich brauchte er dringend frische Luft. Was hatte diese Frau mit ihm angestellt?
In Gedanken versunken, den Blick zu Boden gerichtet, bemerkte er nicht, dass Olivia Farrell aus dem Verhörraum kam. Sie stießen zusammen, und er griff nach ihr, als sie gegen die Wand prallte. Mit einem leisen Fluchen schaute er in die ausdrucksvollsten grünen Augen, die er je gesehen hatte.
Sie hatte ihre Designerkleidung gegen ein verwaschenes T-Shirt, eine zerrissene Bundfaltenhose und einen Schlapphut eingetauscht. In der Hand hielt sie eine alte Khakijacke. Wenn er sie nicht gekannt hätte, hätte er sie glatt für einen der Landstreicher gehalten, die sich unten am Hafen herumtrieben. Conor wich zur einen Seite aus, doch sie machte die gleiche Bewegung. Noch zweimal versuchten sie unbeholfen aneinander vorbeizukommen.
Schließlich packte er ihre Arme und drückte sie ungeduldig gegen die Wand. Doch in dem Moment, in dem er sie berührte, verflog sein Zorn. Ihre Haut fühlte sich warm an und so weich. Es durchzuckte ihn heiß, und er zog seine Hände abrupt zurück, als hätte er sich verbrannt.
„Tut mir leid“, murmelte er.
„Schon gut“, erwiderte sie. „Es war meine Schuld. Ich habe nicht aufgepasst.“
Der Klang ihrer Stimme überraschte ihn. Die Gegensprechanlage im Verhörraum hatte sie verzerrt. Doch jetzt klang sie leise und so sinnlich, dass es ihn ganz benommen machte. „Nein, es war meine Schuld“, widersprach er, in der Hoffnung, dass sie noch mehr sagen würde.
„Können Sie mir verraten, wo Detective Wright ist?“, fragte sie. „Er hat mir diese Sachen zum Anziehen gegeben, aber ich fürchte, sie passen nicht besonders gut.“
Sie sah erneut zu ihm auf, und er bemerkte wieder die Verletzlichkeit. Verschwunden war die harte Fassade. „Detective Wright wird gleich bei Ihnen sein, Miss. Warten Sie hier, bis er zurückkommt.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging den Gang hinunter, wobei er sich die Hände rieb. „Siehst du?“, flüsterte er, „sie ist nichts Besonderes. Nur eine ganz gewöhnliche Zeugin. Sicher, sie ist eine schöne Frau. Aber früher oder später verwandeln sie sich alle in klammernde, zänkische Weiber.“ Das sagte Conor sich immer wieder auf dem Weg zum Parkplatz.
Als Danny Olivia Farrell in die unauffällige Limousine half und mit ihr in die Dunkelheit davonbrauste, hatte Conor sich beinah selbst davon überzeugt, dass seine Worte stimmten. Doch als er dem Wagen seines Partners folgte, dachte er wieder an die weiche Haut der Frau und ihre Stimme.
Sie war nicht wie die anderen. Er war nicht sicher, woher er das wusste, aber Olivia Farrell war anders. Unwillkürlich empfand Conor bei dieser Erkenntnis ein wenig Bedauern. Er würde nie herausfinden, weshalb sie solche Empfindungen in ihm weckte.
Das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass er nicht die Absicht hatte, jemals wieder näher als zwanzig Meter an Olivia Farrell heranzukommen.
Cape Cod während eines Nordweststurms im Oktober – Olivia Farrell konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, außer vielleicht eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung. Der Oktober sollte warm und sonnig sein. Doch der Himmel blieb düster, so weit das Auge reichte, und der Wind blies vom Atlantik und fegte durch jede Ritze in dem Strandhaus. Er rüttelte an den Fenstern, bis Olivia glaubte, von dem Geräusch verrückt zu werden. Die Kamine im Haus brannten zwar, vertrieben jedoch nicht die klamme Feuchtigkeit aus den Zimmern. Und der Brennofen, der eigentlich nur dazu gedacht war, das Einfrieren der Rohre im Winter zu verhindern, richtete kaum etwas gegen die Kälte aus.
Sie spähte durch den Spalt in den Vorhängen auf die aufgewühlte See in der Morgendämmerung. Fröstelnd rieb sie sich die Arme in dem dicken Wollpullover. Wie hatte sie sich nur in diese Lage bringen können?
„Miss Farrell, bitte bleiben Sie von den Fenstern weg. Wir wissen nicht, wer möglicherweise dort draußen ist.“
Olivia seufzte. Sie befand sich erst seit zwei Tagen in Schutzhaft, aber sie hatte bereits genug. Es war ihr kaum möglich, ohne die Erlaubnis des Polizisten, der als ihr Schatten abgestellt worden war, zu atmen. Detective Danny Wright sah mit seinem frisch geschrubbten Gesicht und seiner ein wenig pummeligen Figur aus wie fünfzehn. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass er ein Cop war, hätte sie seine Pistole für eine Spielzeugwaffe gehalten. Olivia fuhr sich durch die Haare und wandte sich vom Fenster ab. „Wie lange müssen wir noch hierbleiben? Können wir uns nicht ein Haus mit einer Heizung suchen?“
„Eigentlich beabsichtigen wir, Sie bis zum Prozess hierzubehalten.“
„Aber das sind noch zwölf Tage!“, rief Olivia.
„Wir haben Männer am Flughafen postiert, auf dem Highway und sogar am Fähranleger in Provincetown. Die einzige Möglichkeit, wie Red Keenans Leute hierherkommen könnten, wäre mit einem privaten Boot, das am Strand anlegt. Aber bei diesem Wetter wären sie verrückt, es auch nur zu versuchen. Die hiesige Polizei kennt alle ganzjährigen Bewohner an diesem Abschnitt des Kaps. Dies ist der sicherste Ort für Sie.“
„Wieso kann ich dann nicht wenigstens für eine Weile nach draußen? Sie haben doch selbst gesagt, dass ich hier vollkommen sicher bin. Wir könnten spazieren gehen, einkaufen oder in der Stadt frühstücken.“
Detective Wright schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, Miss. Falls Sie noch etwas benötigen – Bücher, Snacks, was auch immer –, kann ich jemanden losschicken. „Der Staatsanwalt möchte, dass Sie es angenehm haben.“
„Na prima!“, fuhr Olivia ihn an. „Dann richten Sie ihm aus, dass ich mein altes Leben wiederhaben will. Ich will mein eigenes Bett, meine Katze und meinen Föhn. Mein Geschäft wird pleitegehen, wenn es noch zwei Wochen länger geschlossen bleibt. Meine Kunden werden sich an jemand anderen wenden. Wird die Polizei mir den Verdienstausfall ersetzen?“
Der Officer wirkte aufrichtig bedauernd. „Es tut uns wirklich leid, Miss Farrell, aber Sie erweisen der Gesellschaft einen großen Dienst, indem Sie uns helfen, Keenan das Handwerk zu legen.
Olivia verkniff sich eine scharfe Erwiderung und ließ sich aufs Sofa fallen. Sie wusste, dass sie eigentlich dankbar sein müsste für den Schutz. Trotzdem kam sie sich eher wie eine Geisel vor, die gegen ihren Willen festgehalten wurde. Ihre Gefangenschaft wäre wahrscheinlich viel angenehmer, wenn Detective Wright etwas lockerer wäre. „Da wir so viel Zeit miteinander verbringen werden, können Sie mich ebenso gut Olivia nennen. Das ‚Miss‘ kann ich langsam nicht mehr hören.“
„Um ehrlich zu sein, Miss Farrell, ist es besser, wenn wir nicht zu freundschaftlich miteinander umgehen. Die Vorschriften besagen, dass unsere Beziehung rein beruflich zu sein hat.“
Sie nahm das Buch, das sie gerade las, vom Couchtisch. „Ich werde mich hinlegen. Ich habe letzte Nacht nicht viel Schlaf bekommen.“ Bevor Wright eine erneute Warnung aussprechen konnte, hob sie die Hand. „Keine Sorge, ich halte mich von den Fenstern fern.“
Sie schloss die Schlafzimmertür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Man hätte sie wenigstens in einem Haus mit Heizung unterbringen können. Wahrscheinlich war es draußen wärmer. Olivia ging zum Bett, schnappte sich ihre Jacke und schlüpfte hinein. In Wahrheit war sie gar nicht müde. Seit ihrer Gefangenschaft war sie so untätig gewesen, dass sie vermutlich schon fünf Pfund zugenommen hatte. Wäre sie zu Hause gewesen, würde sie jetzt ihr morgendliches Laufpensum absolvieren. Sie würde einen Zwischenstopp bei ihrem Lieblings-Coffeeshop machen, um einen entkoffeinierten Milchkaffee zu trinken, sich anschließend die Morgenzeitungen kaufen und in ihr Apartment in der St. Botolph Street gehen.
Alles, was sie brauchte, war ein bisschen Zeit für sich selbst, frische Luft und Bewegung. Entschlossen ging sie zum Fenster und öffnete es. Sofort wehte ihr der Wind ins Gesicht, und das Geräusch der Brandung erfüllte das Zimmer. Sie wartete, ob Wright mit gezogener Waffe ins Zimmer stürmen würde. Als er nicht kam, kletterte sie hinaus. Der feuchte Sand dämpfte ihre Schritte.
Olivia drehte sich um, schloss das Fenster und lief zum Strand hinunter, wobei sie darauf achtete, dass sie vom Haus aus nicht gesehen werden konnte. Der eisige Wind drang durch ihre Jacke und ließ sie frieren. Doch das Gefühl von Freiheit beschleunigte ihren Puls, sodass sie vor Freude am liebsten getanzt und gesungen hätte.
Sie rannte über die Dünen hinunter zum harten Sand am Strandufer. Das Rauschen der Wellen im Ohr, joggte sie den Strand entlang und atmete tief die salzige Luft ein. Niemand war an diesem Morgen draußen unterwegs. Kein Fußabdruck war im Sand zu sehen und keine Menschenseele, so weit das Auge reichte. Na bitte, Detective Wright, ich bin vollkommen sicher. Weit und breit kein Killer in Sicht, dachte sie.
Sie wusste nicht, wie lange sie gerannt war, aber als sie sich in den Sand sinken ließ, war sie außer Atem. Obwohl es besser wäre, ins Haus zu gehen, bevor ihr Wachhund sie vermisste, brauchte sie noch ein paar Minuten für sich, um …
Starke Arme umklammerten sie von hinten und hoben sie vom Boden. Für einen Moment betäubte der Schock sie, sodass Olivia nicht einmal schreien konnte. Sie wurde umgedreht und über die Schulter eines dunkelhaarigen Mannes in Lederjacke und Jeans geworfen.
Er stapfte die Dünen hinauf und trug sie, als wöge sie nicht mehr als ein Sack Federn. Endlich bekam sie genug Luft in die Lungen, um zu schreien. Dann trat sie um sich und trommelte mit den Fäusten auf seinen Rücken. „Lassen Sie mich los! Hier wimmelt es von Polizisten! Sie werden niemals durchkommen!“
„Ich sehe keine Polizisten. Sie etwa?“
„Ich … ich mache Ihnen einen Vorschlag“, flehte sie jetzt. „Ich werde Sie nicht verraten. Ich werde die Aussage verweigern. Ihr Boss braucht sich keine Sorgen zu machen. Er wird nicht ins Gefängnis müssen. Nur bringen Sie mich nicht um.“
Sie hob den Kopf und stellte fest, dass sie auf das Haus zugingen, in dem sich Detective Wright befand! Du lieber Himmel, sie würde gleich in eine Schießerei geraten! „Sie können da nicht rein“, warnte sie ihn. „Da drin sind die Cops. Hören Sie, ich bin auf Ihrer Seite. Ich werde nichts sagen, was Ihren Boss belasten könnte.“
Als der Mann die Stufen zur Veranda erreichte, umfasste er ihre Taille und stellte Olivia vor sich. Seine Finger gruben sich in ihre Haut.
Olivia schluckte hart und starrte in eine Miene, die so düster war wie das Wetter. Dennoch erkannte sie, dass es sich um einen sehr attraktiven Mann handelte. Sein Gesicht kam ihr vage bekannt vor. Ja, sie kannte diesen Mann. „Sie!“, rief sie. „Ich habe Sie auf der Wache gesehen. Sie sind ein … Sie sind …“
Ein unerwartetes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Ich bin der Mann, der Ihnen gerade das Leben gerettet hat. Und jetzt gehen Sie ins Haus.“
Olivia schnappte nach Luft. Dann kniff sie die Augen zusammen. „Sie sind ein Cop!“
Er nickte kurz. Wut stieg in Olivia auf. Sie stieß einen derben Fluch aus, holte aus und trat ihn heftig vors Schienbein. „Ich dachte, Sie wären ein Gangster!“, schrie sie.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht tanzte er auf einem Bein und hielt sich das andere. „Verdammt, wofür war das?“
„Sie haben mir eine Todesangst eingejagt! Ich dachte, Sie wollten mich kidnappen, mich erschießen oder mir Schuhe aus Zement verpassen. Mein Leben zog an mir vorbei. Ich hätte fast einen Herzanfall bekommen. Ich hätte sterben können.“
Er sah zu ihr auf und krümmte sich erneut vor Schmerz. Doch diesmal hatte sie in seine Augen gesehen, deren Farbe eine eigenartige Mischung aus braun und gold war. Augen von einer solchen Farbe hatte sie noch nie gesehen. Augen, in denen sich heftige Wut widerspiegelte – die ihr galt. „Ja, Sie hätten sterben können“, gab er zu. „Und ich will, dass Sie sich an Ihre Angst erinnern. Denn genauso wird es sein, wenn Keenan Sie erwischt. Und jetzt gehen Sie ins Haus“, wiederholte er, jede Silbe betonend.
Mit einem verächtlichen Schnauben machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte die Stufen hinauf. Das war doch die Höhe! Woher nahm er das Recht, sie wie ein widerspenstiges Kind zu behandeln? Es fehlte nur noch, dass er sie übers Knie legte und ihr den Po versohlte.
Drinnen lief Detective Wright nervös im Zimmer auf und ab. Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sie sah. Olivia empfand beinah Mitleid mit ihm und wollte sich gerade entschuldigen, als die Tür hinter ihr zufiel. „Was haben Sie sich dabei gedacht, Wright? Lassen Sie niemals einen Zeugen aus den Augen. Sie hätte jetzt tot sein können, und wo stünden wir dann?“
Olivia drehte sich um und warf dem dunkelhaarigen Cop einen zornigen Blick zu, den er mit gleicher Intensität erwiderte. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. „Finden Sie nicht, dass Sie das Ganze ein wenig dramatisieren? Außerdem ist es nicht seine Schuld. Ich habe mich davongeschlichen.“
Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie wich zurück. „Habe ich Sie um Ihre Meinung gebeten?“ Dann wandte er sich wieder an Detective Wright. „Ab jetzt überwachen Sie die Straße und die Gegend, und ich werde bei Miss Farrell bleiben.“
„Ich will Sie hier nicht haben“, verkündete Olivia und hob trotzig das Kinn. „Ich will, dass Officer Wright bleibt. Sie können gehen.“
„Officer Wright wird draußen gebraucht. Und da Sie beschlossen haben, seine Warnungen zu ignorieren, haben Sie jetzt mich am Hals. Besser gesagt, ich habe Sie am Hals.“ Sein Blick glitt über ihren Körper und hielt bei ihren Füßen inne. „Geben Sie mir Ihre Schuhe.“
„Was?“
„Ziehen Sie sie aus.“ Er ging in ihr Zimmer und kehrte mit ihren Stiefeln und den Mokassins zurück, die sie nach dem Vorfall in ihrem Laden eilig eingepackt hatte. „Sie bekommen sie wieder, sobald ich sicher bin, dass Sie im Haus bleiben. Jetzt geben Sie mir schon die Schuhe.“
Olivia hatte die feste Absicht, sich zu weigern. Doch der Ausdruck in seinen Augen riet ihr, das lieber nicht zu tun. Daher setzte sie sich aufs Sofa, zog sich die Schuhe aus und warf sie in die Richtung seines Kopfes. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und ließ sich in die Polster zurücksinken, wobei sie ihn misstrauisch beobachtete und auf seinen nächsten Befehl wartete.
Er nahm Detective Wright beiseite und sprach leise mit ihm, sodass Olivia die Gelegenheit bekam, ihn im Licht zu betrachten. Er war mindestens einen halben Kopf größer als Wright, und sein verwegenes, attraktives Aussehen stand in starkem Kontrast zu Wrights Chorknabengesicht. Wenn er nicht gerade finster dreinblickte, sah er wirklich gut aus mit seinen hohen Wangenknochen, den markanten Zügen und einem Mund, der aussah wie von einem Bildhauer geformt. Sein Haar war fast schwarz, und seine Augen hatten eine Farbe, die sie mit Worten nicht beschreiben konnte. Faszinierend, unheimlich, durchdringend.
Während Wright einen gewissenhaften und vertrauenswürdigen Eindruck machte, besaß dieser Mann etwas Wildes und Unberechenbares. Seine Haare waren ein wenig zu lang, seine Kleidung eine Spur zu lässig. Seine Statur war kräftig; er hatte lange Beine, breite Schultern und einen flachen Bauch, der keine Anzeichen von zu vielen Donuts zeigte. Als sich die Männer wieder zu ihr umdrehten, wich sie seinem Blick aus und zupfte gleichgültig an den Fransen eines Kissens, das sie sich auf den Schoß gelegt hatte.
Detective Wright kam zu ihr. „Miss Farrell, ich werde Sie der Obhut von Detective Quinn überlassen. Er wird bis zum Prozess bei Ihnen bleiben. Ich hoffe, Sie machen ihm keinen weiteren Ärger.“
Sie zwang sich zu einem süßlichen Lächeln und stand langsam auf. „Das hängt ganz von Detective Quinns Benehmen ab. Solange er seine primitiven Neigungen unter Kontrolle halten kann, werde ich ganz brav sein.“
Wright runzelte die Stirn, dann nickte er und verließ eilig das Haus. Als sie mit Quinn allein war, fragte sie sich, ob sie mit einem von Keenans Killern nicht doch besser dran gewesen wäre. Sie beschloss, sich nicht von Quinn tyrannisieren zu lassen. Es war besser, sich nichts gefallen zu lassen und ihn weiterhin zu überrumpeln. Daher zog sie ihre Jacke aus und warf sie ihm zu. „Die können Sie auch haben“, sagte sie. „Wollen Sie meine Socken auch noch?“
Ein Wangenmuskel zuckte in seinem Gesicht, doch er schwieg. Schließlich sagte er: „Ich will ebenso wenig hier sein wie Sie, Miss Farrell. Aber es ist nun mal mein Job, für Ihre Sicherheit zu sorgen. Wenn Sie mich meine Arbeit machen lassen, werden wir gut miteinander auskommen.“ Wenn er sie nicht anblaffte, hatte er eine sehr angenehme Stimme, tief und volltönend.
Er ging durchs Zimmer, überprüfte jedes Fenster und die Tür und verschwand erneut in ihrem Schlafzimmer. Olivia stellte sich vor, wie er ihre Tasche durchwühlte, ihre Spitzenunterwäsche berührte und an ihrem Parfüm schnupperte. Sie merkte immer, wenn ein Mann sich von ihr angezogen fühlte, aber Quinn konnte sie nicht einschätzen. Wahrscheinlich hatte er die Wahrheit gesagt, als er drohte, er würde sie selbst erschießen.
Als er zurückkehrte, trug er ein Kissen und eine Decke unter dem Arm. Beides legte er über die Sofalehne. „Sie schlafen heute Nacht hier“, verkündete er.
„Ich soll auf dem Sofa schlafen, und Sie kriegen mein Bett? Das erscheint mir nicht fair.“
„Nein. Sie schlafen auf dem Sofa und ich auf dem Fußboden. Wir schlafen im gleichen Zimmer. Falls Ihnen das nicht passt, können wir auch im gleichen Bett schlafen. Das liegt ganz bei Ihnen. Ich will nur die Möglichkeit haben, schnell bei Ihnen zu sein.“
Olivia starrte ihn finster an. „Hören Sie, Quinn, ich …“
„Conor“, unterbrach er sie. „Sie können mich Conor nennen. Im Übrigen gibt es keine Diskussion. Ich werde meine Meinung nicht ändern.“
Olivia machte den Mund auf, um zu protestieren, und machte ihn wieder zu. Bei Detective Wright hatte sie sich nie völlig sicher gefühlt. Doch bei Conor Quinn hatte sie nicht den geringsten Zweifel, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um sie zu beschützen. Sie musste zugeben, dass sie tatsächlich Angst gehabt hatte, als er sie am Strand packte. Was, wenn er wirklich einer von Keenans Leuten gewesen wäre? Dann würde sie vermutlich jetzt mit dem Gesicht nach unten in der Bucht treiben.
„Ich werde Kaffee kochen“, erklärte sie zähneknirschend. „Möchten Sie auch eine Tasse?“ Er nickte, doch als sie aufstand, folgte er ihr in die Küche, wo er methodisch die Fenster und Türen überprüfte, ehe er sich auf einen Hocker an den Frühstückstresen setzte. „Werden Sie mir den ganzen Tag nachlaufen?“, fragte sie und ließ kaltes Wasser in den Kessel laufen.
„Das muss ich.“ Er betrachtete sie ganz unverblümt von Kopf bis Fuß, als versuche er, geradewegs durch ihre Kleidung hindurchzusehen. „Weshalb sind Sie aus dem Fenster geklettert?“
Olivia seufzte. „Sie müssen verstehen, dass ich es gewohnt bin, mich frei zu bewegen und mein eigenes Leben zu haben. Ich wollte nie in diese Sache hineingezogen werden. Ich sollte nicht hier sein.“
„Jetzt stecken Sie aber in dieser Sache.“
„Ich habe versucht, dem Bezirksstaatsanwalt zu erklären, dass ich nicht aussagen will, aber …“
„Miss Farrell, Sie haben die Pflicht, das Richtige zu tun. Red Keenan ist Abschaum, ein hoher Mafioso. Mit Ihrer Aussage können wir ihn hinter Gitter bringen. Eine kleine Unannehmlichkeit für Sie ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den dieser Mann zahllosen unschuldigen Menschen zugefügt hat.“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ den Raum. „Und bleiben Sie von den Fenstern weg!“, rief er.
Der Rest des Tages bestand aus quälender Langeweile. Olivia hielt sich von den Fenstern fern und vermied es, Conor Quinn über den Weg zu laufen. Er hingegen blieb immer so weit in ihrer Nähe, dass es ihr unangenehm war. Wann immer sie zu ihm hinschaute, beobachtete er sie still und aufmerksam. Olivia vermutete, dass er auf einen weiteren Fluchtversuch von ihr wartete. Dabei hatte sie sich längst in ihr Schicksal ergeben. Bis zum Prozess waren es noch zwölf Tage – zwölf lange Tage in der Gesellschaft des vor sich hin brütenden Conor Quinns. Sie musste sich sorgfältig überlegen, wann sie mit ihm stritt, wenn sie das durchhalten wollte.
Die Gerüche aus der Küche waren unwiderstehlich. Conor sah von einer alten Ausgabe von Sports Illustrated auf und erhob sich aus dem Sessel, in dem er die letzte Stunde verbracht hatte. Er fuhr sich durch die Haare und ging in die Küche, wo mehrere Töpfe auf dem Herd standen und Olivia damit beschäftigt war, Gemüse zu schneiden.
„Riecht gut“, bemerkte er.
Sie schaute für einen kurzen Moment auf und richtete dann wieder ihre Aufmerksamkeit auf den Salat, den sie zubereitete. „Ich habe Detective Wright gestern um Gemüse gebeten. Ich hatte die Gerichte zum Mitnehmen ein bisschen über und ärgerte mich über die Situation. Deshalb habe ich die Einkaufsliste so kompliziert wie möglich gemacht.“
Conor setzte sich auf einen der Küchenhocker. „Was kochen Sie denn?“
„Paella“, antwortete sie.
„Was?“
„Das ist ein spanischer Eintopf aus Meeresfrüchten. Vermutlich war es ziemlich schwierig, frische Shrimps und Kammmuscheln aufzutreiben. Aber ich konnte es mir ja leisten zu warten. Ich habe jede Menge Zeit, und die braucht man auch für eine Paella. Am zweiten Tag schmeckt sie übrigens noch besser. Im Kühlschrank steht eine Flasche Wein. Wenn Sie Lust haben, können Sie sie aufmachen.“
„Ich sollte im Dienst nicht trinken“, gab Conor zu bedenken und nahm den Wein aus dem Kühlschrank.
Olivia brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Ich verspreche, dass ich nicht wieder wegzulaufen versuche. Ein kleines Glas können Sie doch sicher trinken, oder?“ Sie nahm aus dem Schrank neben der Spüle zwei Weingläser und stellte sie vor ihn.
Hätte dieser Abend unter anderen Umständen stattgefunden, wäre Conor sich vielleicht wie bei einem ersten Date vorgekommen. Geschickt entkorkte er die Flasche. „Kochen Sie gern?“
Olivia zuckte die Schultern. „Ich koche nicht oft. Es ist irgendwie albern, für sich allein zu kochen.“
„Dann haben Sie keinen …“ Er ließ die Frage offen. Vielleicht war das zu persönlich.
„Einen Freund?“ Sie schüttelte den Kopf. „Momentan nicht. Und wie steht es mit Ihnen?“
Er grinste. „Nein, ich habe auch keinen Freund.“
Sie lachte leise. „Ich meinte, ob Sie eine Freundin haben. Oder vielleicht sogar eine Ehefrau?“
Er goss ihr ein großzügiges Glas voll und schenkte sich selbst einen kleinen Schluck ein. Er war kein Weintrinker, musste jedoch zugeben, dass dieser frische Chardonnay gut schmeckte. „Cops geben keine guten Ehemänner ab.“
Sie nahm ihr Glas und musterte ihn. „Ihr Akzent“, meinte sie. „Ich komme nicht drauf, was es ist.“
„Southside Boston mit einer Prise County Cork“, erklärte er. „Ich bin in Irland geboren.“
Sie hob die Brauen. „Wann sind Sie von dort weggegangen?“
„Vor siebenundzwanzig Jahren, mit sechs.“ Conor sprach nicht gern über sich. Sein Leben war für eine so kultivierte Frau wie Olivia sicher nicht interessant. „Woher stammen Sie, Miss Farrell?“, erkundigte er sich, um von sich abzulenken.
„Olivia“, sagte sie. „Ich habe mein ganzes Leben in Boston verbracht.“ Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann fragte sie: „Weshalb sind Sie Polizist geworden?“
Conor stand auf und ging um den Küchentresen, um in den Topf zu spähen, den sie gerade umrührte. „Das ist eine lange Geschichte.“
„Wie ich schon sagte, ich habe jede Menge Zeit. Zwölf Tage, um genau zu sein. Was gut ist, denn der Versuch, mit Ihnen eine Unterhaltung zu führen, ist, als wollte man mit … mit einer Schüssel Gemüse reden.“
Conor lachte. „Na ja, ich rede wohl nicht viel.“
„Oh, ein Satz mit mehr als fünf Wörtern“, bemerkte sie sarkastisch. „Wir machen Fortschritte. Bevor der Abend zu Ende ist, erwarte ich eine vor Geist sprühende Unterhaltung.“
Sie tauchte einen Löffel in den Topf und probierte die Sauce. Dann hielt sie ihm den Löffel hin. Conor umfasste ihre Hand mit dem Löffel und probierte ebenfalls. Die Berührung ihres zarten Handgelenks, ihre weiche Haut unter seinen Fingern, war elektrisierend.
Ihre Blicke trafen sich, und für einen langen Moment konnte keiner von beiden sich rühren. Wenn es ein erstes Date gewesen wäre, hätte Conor ihr den Löffel vermutlich aus der Hand genommen, sie an sich gezogen und leidenschaftlich geküsst.
Aber dies war kein erstes Date. Er war Polizist und mit dem Schutz einer Zeugin beauftragt. Fantasien von dieser Zeugin, so wunderschön sie auch war, würden ihn nur von den echten Gefahren ablenken, die außerhalb des Strandhauses auf sie lauerten. Daher zog er sich zurück. „Ich sollte draußen einen Rundgang machen, bevor es dunkel wird“, sagte er in gleichgültigem Ton. „Und nachsehen, ob Danny nicht schon eingeschlafen ist.“
Er ging zur Küchentür, ohne seine Jacke aus dem anderen Zimmer zu holen. Die kalte Luft würde ihm guttun und ihm helfen, einen klaren Kopf zu bekommen. „Halten Sie sich von den Fenstern fern“, ermahnte er sie noch einmal, bevor er hinausging.
Das Feuer war heruntergebrannt, und Conor stand vom Fußboden auf, um in der Glut zu stochern. Draußen heulte der Wind, und die Wellen brandeten an den Strand. Die Wettervorhersage hatte angekündigt, dass der Sturm allmählich abflauen würde. Wieder dachte er an Brendan und fragte sich, ob er es inzwischen in den Hafen geschafft hatte. Das einzig Gute an diesem Wetter war, dass Keenans Männer sich nicht hinauswagen würden.
Im Strandhaus standen die Reste des Abendessens auf dem Couchtisch, schmutzige Schalen, halb gegessenes Brot und die leere Flasche Wein. Conor sah zum Sofa, auf dem Olivia unter einer Decke lag, und fragte sich, was er bisher über sie wusste. Er ging zu seiner Reisetasche und nahm ihre Polizeiakte heraus. Dann ging er zurück zum Kamin, um besser lesen zu können. Soweit er es beurteilen konnte, handelte es sich bei Olivia Farrell um eine gewöhnliche Bürgerin, die in eine außergewöhnliche Situation geraten war.
Ihr Geschäftspartner, Kevin Ford, war wegen Beteiligung an einem Geldwäschesystem für einen Boss des organisierten Verbrechens, Red Keenan, verhaftet worden, zu dessen Machenschaften auch Mord gehörte. Das System war recht kompliziert gewesen – Ford hatte für Keenan teure Antiquitäten gekauft und sie für das Drei- bis Vierfache an scheinbare Kunden weiterverkauft, die wiederum das „saubere“ Geld an Keenan weitergaben.
Olivia hatte von alldem nichts gewusst, jedoch das Pech gehabt, eine Unterhaltung zwischen ihrem Partner und Keenan mit anzuhören, die den einzigen Beweis für eine Verbindung zwischen den beiden lieferte. Conor sah auf und fragte sich, ob ihr klar war, dass sie sich in ernster Gefahr befand. Er fragte sich außerdem, welcher Art die Beziehung zwischen ihr und Ford war.
Er blätterte vom Bericht über Fords kriminelle Aktivitäten zu einem Foto von dem Mann. Conor fand ihn nicht schlecht aussehend, auf ein glatte, kultivierte, elitäre Art. Eine Frau wie Olivia fand ihn sicher unglaublich charmant, ja sogar sexy. Vielleicht hatten sie eine Affäre miteinander gehabt oder hatten noch immer eine. Conor blätterte weiter zu dem Bericht über sie.
Olivia Farrell: Studium auf dem Boston College, wohnhaft in einer hübschen Straße im South End. Keine Vorstrafen. Alleinstehend. Achtundzwanzig Jahre alt. Mitbesitzerin von Ford-Farrell Antiques, einem der erfolgreichsten Antiquitätengeschäfte von Boston. Wohlbekannt in gewissen gesellschaftlichen Kreisen der Stadt. Hatte Dates gehabt mit einem Investmentbanker, einem Anwalt und einem Baseballspieler der Red Sox. Keine dauerhaften Beziehungen mehr seit dem College. Beide Eltern lebten noch und waren in Jackson, Florida wohnhaft.
Conor schloss die Mappe und murmelte: „Außerdem sehr störrisch. Mögliches Potenzial als Kickboxerin. Schlagfertig. Großartige Köchin. Wunderschön.“
Er stand auf, ging leise zu ihr und betrachtete sie. Ohne nachzudenken, ließ er ihre Haare durch seine Finger gleiten, zog dann aber hastig wieder die Hand zurück. Dann kniete er sich neben sie, um sie genauer anzusehen.
Ein winziges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Sie schlief tief und fest, in der Gewissheit, dass er auf sie aufpassen würde. Behutsam zog er die Decke um ihre Schultern. Sie bewegte sich, und bevor Conor aufstehen und sich zurückziehen konnte, öffnete sie die Augen. „Ist … ist alles in Ordnung?“, flüsterte sie verschlafen.
Er nickte, stand auf und ging zum Feuer. Er hörte, wie sie sich aufsetzte und leise seufzte. „Sie sind besorgt, nicht wahr?“
Conor drehte sich zu ihr um. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Nasenspitze rot von der Kälte. „Nicht besorgt“, erwiderte er. „Nur vorsichtig. Dieser Ort mag zwar abgeschieden sein, aber das kann für uns auch zum Nachteil werden.“
„Glauben Sie wirklich, dass diese Kerle mich bis hierher verfolgen werden?“
Ihre ängstliche Stimme ließ ihn seine Offenheit bereuen. „Nein“, log er. „Ihre Aussage ist zwar wichtig, aber ich nehme an, dass Keenan sich mehr Sorgen wegen Ihres Partners macht. Hoffentlich kann Ford umgedreht werden, bevor Sie in den Zeugenstand müssen.“
„Umgedreht?“
„Ja. Man hat ihm für seine Aussage gegen Keenan einen Deal angeboten. Bisher weigert er sich jedoch auszusagen. Aber je näher der Prozess rückt, desto eher zieht er es vielleicht in Erwägung, damit seine Strafe nicht so hoch ausfällt. Falls Ford redet, ist Ihre Aussage nicht mehr entscheidend, und Keenan muss nicht riskieren, dass ihm ein weiterer Mord zur Last gelegt wird.“