Die Quote - Wolfgang Sanden - E-Book

Die Quote E-Book

Wolfgang Sanden

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Beschreibung

Seit Jahresbeginn gilt die von der Tansania-Koalition erlassene neue gesetzliche Quotenregelung. Danach müssen Leitungspositionen im öffentlichen Dienst und in Vereinen mit Hilfe eines komplizierten Verteilungsschlüssels vergeben werden. So trifft es auch den Modell-Eisenbahn-Klub Lischda, der von der Agentur für Gleichstellung und Quotierung aufgefordert wird, seinen jüngst gewählten Vorsitzenden Fabian Flasch gegen eine Person auszuwechseln, die folgende Kriterien erfüllt: weiblich, Alter zwischen 30 und 40, Migrationshintergrund Südostasien. Andernfalls drohe die Auflösung des Klubs. Als sich die Vereinsmitglieder bereits mit dem scheinbar Unvermeidlichen abgefunden haben - welche Frau dieses Alters interessiert sich schon für Modelleisenbahnen? - meldet sich die schöne Philippinin Maria Estrella. Ihre Wahl leitet eine völlig unerwartete Entwicklung ein, an deren Ende eine ganz andere Gesellschaft stehen könnte. "Die Quote" beschreibt auf satirische Weise, wohin gut gemeinte, aber schlecht durchdachte Maßnahmen - hier mit dem Ziel, "soziale Gerechtigkeit" auf Biegen und Brechen herzustellen - mitunter führen.

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Der Autor nimmt die wachsende Zahl an Quoten in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens aufs Korn und treibt diese Versuche, »soziale Gerechtigkeit« mit moralischem Druck und allerlei gesetzlichen Mitteln herzustellen, satirisch auf die Spitze.

In Deutschland hat eine übergroße Tansania-Koalition ein Gesetz verabschiedet, nach dem Leitungspositionen im öffentlichen Dienst und bei Vereinen anhand eines Kriterienkatalogs zu besetzen sind. So spielen zum Beispiel Geschlecht, Alter und Herkunft eine herausragende Rolle. Ausführendes Organ ist die Agentur für Gleichstellung und Quotierung (AfGuQ), die es in jeder größeren Stadt gibt. Das computergestützte Auswahlverfahren führt – was die politisch Verantwortlichen erstaunlicherweise (?) überrascht – zwangsläufig dazu, daß sich in vielen Fällen nur wenige Personen für eine Stelle qualifizieren. Die Folge sind teilweise gravierende Fehlbesetzungen mit einhergehendem Qualitätsverlust in Behörden und Ämtern.

Ein kleiner Modell-Eisenbahn-Klub aus der Stadt Lischda muß wegen der Quotenregelung seinen gerade gewählten Vorsitzenden Fabian Flasch wieder aus dem Amt entlassen. An seine Stelle tritt nach langem Suchen die schöne Philippinin Maria Estrella, die zuvor noch nie etwas von Modelleisenbahnen gehört hat, sich aber erstaunlich schnell in die Materie einarbeitet. Daß sich Flasch in sie verliebt, darf man – zumal in einer Satire – erwarten. Da Liebe bekanntlich blind macht, sieht Fabian über Marias manchmal seltsames Verhalten großzügig hinweg. Was dahinter steckt und wohin unbedachte Quotenregelungen führen können, wird möglicherweise auch den Leser in Erstaunen setzen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

1

Sie stehen im kleinen, mit ausrangierten Möbeln vollgestopften Büro des Modell-Eisenbahn-Klubs Lischda. An den Wänden hängen zwei alte Zuglaufschilder aus Emaille, eine Signalkelle mit der roten Scheibe zum Betrachter hin, eine Schaffnerpfeife und eine Schaffnermütze. Mitten auf dem halbhohen Schrank neben der Tür thront eine Zugschlußlaterne.

»Diese Idioten von der AfGuQ!« Wütend schlägt Herbert Malstein mit einem gefalteten Brief auf seine linke Handfläche.

»Herbert, beruhige dich doch.« Fabian Flasch stellt die neueste Anschaffung des Vereins, eine Schnellzug-Dampflokomotive der Baureihe 18 505 mit Schlepptender, vorsichtig auf den Schreibtisch zurück. Die hat er dem Verein gestiftet, weil dieser den stolzen Preis nach Einspruch des Kassenwarts Enzo Ramazotti nicht hat locker machen wollen.

»Hier, lies doch selbst!« Malstein streckt ihm das gräuliche, nun leicht angeknitterte Papier entgegen. Flasch entfaltet es und beginnt, halblaut zu lesen.

Wahl von Fabian Flasch zum Vorstandsvorsitzenden des Modell Eisenbahn Klub Lischda

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit teile ich Ihnen mit, dass die Wahl von Herrn Fabian Flasch zum neuen Vorstandsvorsitzenden des Modell Eisenbahn Klub Lischda e. V. (MEKL) nicht rechtsgültig ist. Nach Abschnitt 8, § 37 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG muss jeder eingetragene Verein (e. V.) quotengerecht geführt werden. Dem trägt die Ersetzung einer männlichen Person durch eine ebensolche in keinster Weise Rechnung. Daher ist eine Neuwahl zwingend erforderlich. Sie hat innerhalb der nächsten 3 Monate zu erfolgen.

Die Agentur für Gleichstellung und Quotierung (AfGuQ) hat den MEKL bereits im Mai dieses Jahres schriftlich aufgefordert, seine Vereinsführung AGG compliant zu machen. Dies hat bis zum Ende des Jahres zu geschehen, weil dann die vom Gesetzgeber eingeräumte Übergangsfrist abläuft. Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass danach Verstöße gegen § 37 des AGG unwiderruflich zur Auflösung des Vereins führen.

Es wurde zudem anlässlich der Modellbahnausstellung des MEKL im Februar dieses Jahres festgestellt, dass die Anlage gegen Abschnitt 8, § 36 des AGG verstößt. Zur Elimination der Defizite wurde dem MEKL ein Timelimit bis zum 30. September dieses Jahres gesetzt. Bisher haben Sie die Implementation der Änderungsvorgaben noch nicht an die AfGuQ gemeldet.

Zur schnellstmöglichsten Klärung der angesprochenen Missstände und offenen Fragen lade ich hiermit zwei Vorstandsmitglied* des MEKL vor. Save the date: 8. August, 10.15 Uhr, AfGuQ-Center, Zimmer 401.

Sollte Ihnen die Wahrnehmung des Termins nicht möglich sein, vereinbaren Sie bitte spätestens eine Woche vorher mit mir einen Ausweichtermin.

Best regards

Luba Lukow - Equal Opportunities Managerin -

An manchen Stellen wird er von Malstein unterbrochen, der sich zum Beispiel über Timelimit, Save the date, Best regards und den Gender-Stern mokiert.

»Können die nicht wenigstens Deutsch mit einem reden, der Quotenquatsch ist doch schon schlimm genug!« Als Malstein bei der Bundesbahn anfing, und noch lange danach kannte man nur männliche Bahnhofsvorsteher, Fahrdienstleiter und Schaffner. Frauen saßen höchstens in der Fahrkartenausgabe.

»Schnellstmöglichst in einem amtlichen Schreiben ... Und bei des Modell Eisenbahn Klub fehlen zumindest die Bindestriche«, ergänzt der soeben amtlich abgesetzte 1. Vorsitzende.

Flasch findet Denglisch auch nicht schön, aber als Controller ist er noch ganz anderes gewöhnt; außerdem ist er mit seinen 41 Jahren entsprechend aufgewachsen. Für Herbert Malstein jedoch, den vormaligen 1. Vorsitzenden des Klubs, bedeutet die »neuhochdeutsche« Sprech- und Schreibweise eine Zumutung. Dabei ist der altgediente Fahrdienstleiter sicherlich kein Schöngeist, aber in der Schule – Realschule! – habe er noch richtiges Deutsch gelernt, wie er immer wieder gerne betont.

»Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, wenn ich das schon höre.«

Um zu verhindern, daß Malstein eine seiner gefürchteten Schimpfkanonaden folgen läßt, sagt Flasch schnell: »Herbert, am besten gehe ich mit Lotte Stiftlein zum Termin. Die Neuwahl wird bestimmt kein Problem sein, aber die geforderten Änderungen in unserer Anlage, die müssen wir nun sofort angehen. Da dürfen wir die Vorgaben der Behörde nicht länger ignorieren.«

»Wieso die Lotte und nicht ich? Ich würde dieser Lulu oder wie sie heißt mal ordentlich Bescheid sagen ...«

Nur sehr schweren Herzens hat Malstein nach mehr als 35 Jahren den Vorsitz seines heißgeliebten Vereins abgegeben, abgeben müssen, weil er die in der Vereinssatzung festgelegte Altersgrenze von 75 Jahren im März erreicht hat. Der einzige Trost: Fabian Flasch hat sich zur Kandidatur überreden lassen. Sein Sohn sozusagen, den er sich immer gewünscht hat. Seine Ehe ist leider kinderlos geblieben.

»Das wäre genau das falsche Vorgehen«, fällt ihm Fabian wieder ins Wort, »die Gesetze sind nun einmal so. Herbert, vergiß bitte nicht, du gehörst dem Vorstand nicht mehr an, du bist nur noch einfaches Vereinsmitglied. Wir hätten uns vor der Wahl besser informieren müssen. Die Einhaltung der AGG-Bestimmungen wird akribisch überwacht. Wie du weißt, verstehen die da keinen Spaß.«

Nach dem alten Vereinsrecht waren privatrechtliche Vereine, anders als der Staat, nicht an den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Dies ist aber seit Januar Geschichte. Das neue Vereinsrecht folgt dem AGG-Gesetz, was insbesondere bedeutet, daß nun die Quotenregelung greift. Zwar bleibt ein Aufnahmezwang dem deutschen Vereinsrecht weiterhin fremd, und grundsätzlich steht es jedem Verein frei, die Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder selbst zu bestimmen. Diese Aufnahmefreiheit soll Ausdruck der grundgesetzlich garantierten Vereinsautonomie sein. Aber durch geschickte Gesetzgebung kommt der Staat seinem Ziel schleichend näher: flächendeckende Gültigkeit des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes, koste es, was es wolle. Beispielsweise geschieht dies durch eine klitzekleine Änderung der steuerlichen Begünstigung eingetragener Vereine: Wer keinen gemischten Mitgliederbestand hat (das Gesetz spricht von Mitgliederinnen und Mitgliedern), muß seit neuestem Steuern zahlen – im Augenblick sind es 6,66% (aber das kann man bekanntlich schnell ändern).

Flasch seufzt. Da haben sie im Vorstand gepennt. Er will das Versäumnis nicht allein dem Herbert in die Schuhe schieben, auch er selbst als ehedem 2. Vorsitzender hat das alles auf die leichte Schulter genommen und nur zu gerne Malsteins Behauptung geglaubt, es werde schon nicht so heiß gegessen wie gekocht.

»Ha, wie beim Falschparken!« lamentiert Herbert Malstein. »Da kennen die auch keinen Spaß, da bist du dran, wenn du mit dem Auto bloß 30 cm in die Parkverbotszone hineinragst. Aber die Einbrecher lassen sie gleich wieder laufen. Komm, hör auf ...«

Er redet sich nun doch in Rage. In solchen Momenten gibt es nur zwei Möglichkeiten: bis zum bitteren Ende zuhören oder mit einem vorgeschobenen Grund die Flucht ergreifen.

Fabian Flasch krault sich ausgiebig seinen Vollbart, nimmt noch einmal die Dampflok in die Hand und wählt dann die zweite Alternative. »Ich werde gleich mal bei der Lotte vorbeifahren. Mach’s gut, Herbert.«

Er wartet Malsteins Erwiderung gar nicht erst ab und verläßt das Büro. Ein Blick hinüber zum offenen Durchgang auf der linken Seite: die Modellanlage dahinter liegt im Dunkeln. Gleich darauf steht Flasch auf dem maroden Bahnsteig 1 des stillgelegten Bahnhofs Lischda-West. Das unscheinbare Gebäude, dessen patinagrüner Verputz häßlich abblättert, darf der Klub seit einigen Jahren gegen eine symbolische Miete nutzen.

2

Luba Lukow – sehr gute Freunde dürfen sie tatsächlich Lulu nennen, Kollegen tun es hinter vorgehaltener Hand, nicht selten spöttisch, auch – ist eine mittelgroße Frau, deren Alter man wegen der schwarz gefärbten langen Haare und des knallrot angemalten Mundes schwer einschätzen kann. Ihr resolutes Auftreten soll Kompetenz ausstrahlen und zudem zeigen, daß sie hier einzig und allein aufgrund überzeugender Leistungen sitzt. Erst mit 18 Jahren ist sie aus Bulgarien gekommen und hat sich beharrlich hochgearbeitet. Ihrer Aussprache und kleinen grammatischen Eigenarten hört man die Herkunft noch an, aber bei gesetzlichen Vorschriften, Formularen, dienstlichem Briefverkehr gibt es für sie keine sprachlichen Hürden mehr. Sie kennt sich aus!

Gerade erklärt sie den beiden MEKL-Vertretern durchaus freundlich, aber unmißverständlich, wo deren Versäumnisse liegen und was sie schleunigst zu tun haben. Dieser Fabian Flasch scheint beeindruckt, er wirkt sogar ein wenig eingeschüchtert. Von diesem Weichei hat sie also keine Widerborstigkeiten zu befürchten, die natürlich auch nutzlos wären, denn Gesetz ist nun einmal Gesetz. Diesen Termin unnötig in die Länge ziehen könnte viel eher seine Begleiterin, eine nachlässig blondierte, ziemlich dünne Mittfünfzigerin – bestimmt treibt die sich stundenlang im Fitness-Studio herum. Der verkniffene Mund, die vor der Brust verschränkten Arme und die abschätzenden, ja abschätzigen Blicke zwischendurch sind zumindest ein kleines Alarmzeichen. Aber so läuft das nicht mit einer Luba Lukow!

»Das AGG hat sich als Segen erwiesen. Ihnen als Frau brauche ich das nicht extra zu sagen«, versucht sie den vermuteten Widerstand der MEKL-Schriftführerin aufzuweichen.

»Aber das jetzt gültige AGG geht doch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, weit über eine Frauenförderung hinaus. Sie reden von irgendwelchen Quoten, die wir nicht berücksichtigt hätten. Bei denen geht es offenbar längst nicht mehr nur um Frauen.«

»Frau Stiftlein, nur um Frauen, wie Sie so schön sagen, ist das nicht ungerecht und für alle anderen diskriminierend? Nehmen wir Herrn Flasche ...« Auweia, Freud läßt grüßen. »Tschuldigung. Wollen Sie Herrn Flasch, mit dem Sie sicherlich vertrauensvoll zusammenarbeiten, keine Gerechtigkeit ...« Sie sucht nach dem passenden Wort. »Also, auch er hat schließlich Anspruch auf gerechte Behandlung.«

»Und deshalb ist meine Wahl ungültig«, meldet sich Flasch nun doch mit allem Sarkasmus, dessen er fähig ist.

Die Equal Opportunities Managerin macht dieser unerwartete Einwurf tatsächlich für Augenblicke sprachlos. Sieh an, will der Bartträger, durch das schlechte Beispiel der dürren Ziege ermuntert, am Ende doch noch aufmüpfig werden?

Luba Lukow wird sehr amtlich. »Ich wiederhole es ungerne, und Drohungen sind nicht mein Ding. Aber Abschnitt 8, Paragraph 37, verlangt, daß der Eisenbahn-Klub einen quotengerechten Vorstand hat. Bei Zuwiderhandlung wird der MEKL aufgelöst. Da reißt die Maus keinen Faden ab.«

»Genügt es denn, eine Frau zur Vorstandsvorsitzenden zu wählen? Sind wir dann auch wirklich quotengerecht aufgestellt?« will Fabian Flasch wissen.

»Sie haben ...« Luba Lukow schaut auf ihren Bildschirm. »Der Vorstand besteht im Moment aus dem 2. Vorsitzenden, das sind Sie, aus der Schriftführerin Stiftlein, auch hier anwesend, und dem Kassenwart Enzo Ramazotti. Der hat sicherlich italienische Wurzeln. Das ist gut für den Klub, wenn es auch nach neuester Gesetzeslage noch nicht ausreicht. Mit einer weiblichen Vorsitzenden wäre immerhin die Frauenquote erfüllt. Aber wie Sie wissen, sind noch andere gesellschaftlich relevanten Gruppen angemessen bei der Vergabe öffentlicher Stellen zu berücksichtigen. Seit diesem Jahr gilt dies nun auch für Vereine. Jede dieser Gruppen wird durch ein bestimmtes Merkmal definiert. Frau, Mann, Alter, EU-Ausländer, Nicht-EU-Ausländer, Region und so weiter und so fort. Der Katalog enthält zur Zeit sieben Merkmale und kann bei Bedarf erweitert werden. Die Quoten für die einzelnen Gruppen werden jährlich durch die Agentur auf Empfehlung eines wissenschaftlichen Beirats festgelegt.«

Daß zur Bestimmung der Quoten nicht nur die Gruppenstärke hinzugezogen wird, sondern politische Gesichtspunkte dabei eine erhebliche Rolle spielen, läßt Frau Lukow unerwähnt, es würde jetzt sowieso nicht weiterhelfen.

»Aber wir vom Klub wissen doch gar nicht, wie eine quotengerechte Vorstandsvorsitzende aussehen muß.« Flasch hebt ratlos die Hände. Was diese üppige Frau in der lachsfarbenen Bluse da von ihrem Bürostuhl herab Lotte und ihm verkündet, verheißt nur weiteren Ärger mit der Agentur.

»Ganz ruhig. Alles gut.« Die Equal Opportunities Managerin schenkt den beiden Modelleisenbahnern ein verständnisvolles Lächeln. »Natürlich helfen wir Ihnen bei der Suche. Dafür ist die Agentur schließlich da. Sie haben recht, der betroffene Verein kann den zulässigen Personenkreis gar nicht kennen! Schließlich gelten die Quoten deutschlandweit, das heißt, auch die Basisdaten werden bundesweit erhoben, und sie ändern sich laufend. Damit ändern sich natürlich auch jedesmal die Quoten. Ist logisch, ne? Ein dynamischer Prozeß. Wir verwenden das Equal Opportunities Selection System EquOSS, ein superschlaues Programm, das uns real time bei der richtigen Auswahl einer Quotenperson supportet.«

Luba Lukow klickt mehrfach mit der Maus auf dem Bildschirm herum, wobei sie vor sich hinmurmelt.

»Hier haben wir ... Nein, warten Sie ... Gleich ...« Klick, klick, klick. »Ah, hier ... mh ... Augenblick ...« Klick, klick. »So, jetzt ...« Klick. »Genau! Das wollte ich haben.« Sie schaut die beiden zufrieden lächelnd über den Bildschirm an. »Jetzt gebe ich die Vereinsdaten ein.« Ihre kurzen, dicken Finger eilen über die Tastatur. »Und nun Enter gedrückt. Zack!«

Stiftlein sieht Flasch von der Seite an und verdreht kaum merklich die Augen.

»Also ...« Frau Lukow überfliegt die Bildschirmseite. »Futter bei die Fische! Ihr Klub kann aus folgendem Pool auswählen.« Eine Pause macht’s noch einmal spannend. »Das System sagt: eine Frau zwischen 30 und 40 Jahren, Migrationshintergrund Südostasien.«

»Das ist alles?« entfährt es Lotte Stiftlein. »Ich dachte, wir würden Konkreteres erfahren. Einen Namen, oder so.«

»Einen Namen dürfte ich Ihnen aus Datenschutzgründen gar nicht nennen. Das EquOSS läßt Ihnen bei der Auswahl einen gewissen Spielraum, das ist doch gut, ne? Der Gesetzgeber hat die Vereinsautonomie nämlich gar nicht abgeschafft. Das wird lediglich in gewissen Zeitungen behauptet. Nur die übliche Propaganda.« Lukow verzieht das Gesicht.

»Wenn ich mir die Kriterien so anschaue, frage ich mich doch, ob wir die überhaupt erfüllen können.« Fabian Flasch wird langsam ungehalten. Die bei der Agentur spinnen wohl!

»Das ist doch behämmert«, spricht Lotte Stiftlein seinen Gedanken unverblümt aus. »Wir finden in Lischda bestimmt eine Asiatin zwischen 30 und 40, und vielleicht kommt die sogar aus Thailand oder Indonesien. Aber die will garantiert nicht die Vorsitzende unseres Klubs werden. Frauen interessieren sich meistens nicht so doll für Modelleisenbahnen.«

»Aber Sie sind doch das beste Gegenbeispiel«, kontert Luba Lukow. »Außerdem sind das Vorurteile. Frauen sind nur deshalb nicht so an technischem Spielzeug interessiert, weil es ihnen nicht anders beigebracht wurde.« Hat sie früher nicht selbst auch gerne mit Puppen gespielt? Ja, aber bei ihr ist es noch einmal gut gegangen, sie hat sich nicht dressieren lassen.

»Daß ich mich für Eisenbahnen interessiere, ist kein Zufall, liebe Frau Lukow. Ich stamme nämlich sozusagen aus einer Eisenbahnerdynastie. Mein Großvater war Bahnhofsvorsteher in Buxtehude, mein Vater hat es sogar zum Bahnhofsvorsteher in Bremen gebracht, bei uns zu Hause gab es eine Modellanlage, die immer zu Weihnachten aufgebaut wurde. Ich habe sehr gerne damit gespielt, was ich mir allerdings bei meinen beiden Brüdern hart erkämpfen mußte. Meine Tochter hingegen hat viel lieber mit Puppen gespielt – und später Informatik studiert.«

»Buxtehude!« Lukows Lachanfall läßt ihre beachtliche Oberweite in Schwingungen geraten. »Ist Buxtehude im Deutschen nicht ein Witzort, den es gar nicht gibt?«

»Und ob Buxtehude existiert!«, ruft Lotte Stiftlein empört. »Das liegt bei Hamburg, und ich bin schon oft dort gewesen.«

»Tschuldigung.« Die Managerin deutet eine beschwichtigende Geste an. »Sie haben übrigens drei Monate Zeit, eine passende Person zu finden. Auch hierbei wird die Agentur Ihnen helfen. Und zwar mit einer Art Stellenausschreibung. Ich werde das nachher gleich mit den ermittelten Daten in die Wege leiten. Sie werden sehen, an Interessentinnen wird es nicht fehlen. Seien Sie aber mit denen nicht zu streng. Die Vorsitzende muß ja keine Superexpertin sein. Der MEKL ist schließlich kein Wirtschaftsunternehmen. Sie werden ihr schon das nötige Wissen beibringen. Und wenn nicht«, sie zwinkert den beiden zu, »ist das auch kein Beinbruch. Ich habe das Gefühl, daß Sie den Klub aus der zweiten Reihe gut steuern können.«

Quote vor Qualifikation, ob das auch an anderer Stelle gilt, denkt Fabian Flasch und schaut unwillkürlich zur Lukow hinüber. Eigentlich ein bißchen zu Unrecht, korrigiert er sich im nächsten Moment. Auch wenn sie ihm gegenüber spürbar Vorbehalte hat, scheint sie kompetent. Da gibt es ganz andere in viel verantwortungsvolleren Positionen ...

Die Lukow nimmt wieder das Wort. »Wir müssen leider noch über Ihre Modellanlage im Bahnhof Lischda-West sprechen. Unsere Prüfer haben am Tag der offenen Tür einige Verstöße gegen Paragraph 36 feststellen müssen, die Ihnen im März schriftlich mitgeteilt wurden. Hat der Klub die Mängel inzwischen beseitigt?«

»Ehrlich gesagt verstehen wir nicht, wogegen wir eigentlich verstoßen. Im Vorstand haben wir lange darüber diskutiert und ...«

»Was gibt es da zu verstehen?« wird Flasch von der Frau hinter dem Schreibtisch unterbrochen. »In dem Mahnschreiben ist doch alles aufgelistet. Moment, ich rufe das Schreiben mal auf.«

Die Liste, ja, die Liste. Über die hat sich Herbert Malstein tierisch aufgeregt. Was werde da nicht alles moniert: die Zigarettenreklame an der Litfaßsäule, zu wenig weibliche Figürchen, keine Personen mit sofort erkennbarem Migrationshintergrund, keine Kopftücher, kein Minarett, keine Synagoge, nur männliche Eisenbahner. Die Anlage sei Privatsache des Vereins, hat Herbert gebrüllt, und keine politische Veranstaltung. Das sei Gesinnungsterror, dem er nicht weichen werde. Modellanlagen hätten schon immer so ausgesehen, und plötzlich sei das gesetzeswidrig. Wo sie denn lebten?

»Sie brauchen gar nicht nachzusehen«, sagt Fabian Flasch. »Ich kenne den Inhalt.«

»Und warum haben Sie bis heute nichts geändert? Sie waren doch zwischendurch sogar der Vorsitzende, wenn auch gesetzeswidrig«, bemerkt Luba Lukow spitz.

»Unsere Anlage ist über Jahre gewachsen, und noch nie hat jemand daran Anstoß genommen«, ergreift Lotte Stiftlein das Wort. »Außerdem sind wir darauf angewiesen, was die Hersteller anbieten. Es gibt nicht jede beliebige Figur.«

Equal Opportunities Managerin Lukow schaut einen Moment angestrengt vor sich hin. Dann sagt sie: »Nun gut, ich verlängere die Frist bis zum Ende dieses Jahres. Erst die Suche der Vereinsvorsitzenden. Dann ist aber endgültig Licht im Schacht.«

»Danke«, kommt es wie aus einem Mund.

»Aber eines machen Sie sofort, und das ist wirklich kein Akt.« Lukow fuchtelt mit dem rechten Zeigefinger in der Luft herum. »Ändern Sie fürs erste den Namen des Hauptbahnhofs in ... in ... Biederstadt.« Ein leichtes Grinsen. »Denn in Lischda sieht es nun einmal ganz anders aus.«

Auf Lottes Vorschlag hin sitzen sie jetzt im »Rathaus-Café« und lassen das Gespräch mit der Equal Opportunities Managerin noch einmal Revue passieren. Flasch trägt auf diese Weise sein Überstundenkonto weiter ab, Lotte hat sich sowieso einen halben Tag im Anwaltsbüro freigenommen.

»Mit den Redewendungen hat es unsere pfundige Dame ja nicht gerade«, macht sich Fabian lustig. »Licht im Schacht, Futter bei die Fische ...«

»Nicht unoriginell, das muß der Neid ihr lassen. Auch so ergeben die Sprüche einen Sinn.« Lotte schiebt sich ein Stück Schwarzwälder Kirsch in den Mund. »Aber wir können noch so viel über sie spotten, sie hat das Sagen – da beißt die Maus keinen Faden ab.« Beide lachen.

Fabian Flasch probiert vorsichtig, ob sein Cappuccino immer noch so heiß ist. Auf Kuchen verzichtet er – in letzter Zeit hat er zugelegt. »Glaubst du daran, daß die Agentur eine passende Frau finden wird?«

»Eher nicht.«

»Aber dann sind wir doch spätestens im November erledigt. Was ist denn das für ein Gesetz, das Unmögliches von einem verlangt? Wer denkt sich denn so etwas aus?«

»Wir hätten unbedingt danach fragen sollen, was denn passiert, wenn sich niemand melden sollte.« Lotte Stiftlein nimmt mit der Kuchengabel die letzten Krümel auf. »Den Hahn können sie uns doch nicht einfach zudrehen, wir sind ja zu allem bereit. Aber ich ahne schon, wie dann die Lösung aussehen würde. Lulu hat es ja bereits angedeutet. Im Zweifelsfall bekommen wir eine Vorsitzende aufs Auge gedrückt, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Hauptsache, dem Gesetz wird formal Genüge getan.«

»Vielleicht gibt’s für solche Fälle aber auch eine Ausnahmeregel. Immerhin haben wir ja einen geschäftsführenden Vorstand.« Überzeugt klingt es nicht. »Bei unserer Anlage werden wir auf jeden Fall etwas machen müssen. Oh je, wenn ich daran denke, welches Theater der Herbert veranstalten wird. Nur Scherereien und eigentlich eine sinnlose Zeitverschwendung.« Wenigstens der Cappuccino schmeckt.

»Was auch immer man gegen die Dame in Lachs einwenden mag, hinsichtlich der Modellanlage hat sie uns netterweise eine Brücke gebaut. Den Namen auszutauschen, das ist doch schnell getan.«

»Es handelt sich höchstens um einen schmalen Steg. Außerdem hat sich die Lukow über uns lustig gemacht: Biederstadt. So schätzt die uns nämlich ein. Ich wette, noch vor Ende des Jahres werden die überprüfen, ob wir sämtlichen Auflagen nachgekommen sind.« Flasch erhebt sich. »Entschuldigung, ich bin gleich wieder da.«

Lotte Stiftlein schaut ihm nach, bis er hinter der Toilettentür verschwunden ist. Sie mag Fabian. Ein guter Junge, der mit ganzem Herzen am Klub hängt. Sie hätte sich ihn ganz gut als Schwiegersohn vorstellen können. Aber ihre Tochter hat damals, nach einem Kuppelversuch, nur abgewinkt. »Weißt du, Mama«, so ihr vernichtendes Urteil, »wenn er im Bett so unterhaltsam ist wie gestern abend im Lokal ... Nein, da habe ich doch andere Ansprüche.« Lotte ist froh gewesen, daß Nadine dies nicht weiter präzisiert hat.

Sie holt ihr Händi aus der Handtasche und schaltet es ein. Als erstes werden die neuesten Meldungen angezeigt. Die Überschrift Neue Partei gegen Quotenwahn springt ihr ins Auge. Sie beginnt zu lesen, aber da ist Fabian auch schon wieder zurück.

»Hier«, hält sie ihm das Händi hin, »wir sind nicht die einzigen, denen die Quote auf den Keks geht.«

3

»Das ist keine gute Idee, Paula, wirklich nicht.« Kanzler Kalle Maneger wirft seinen Füllfederhalter vor sich auf den Schreibtisch.

Das sogenannte Küchenkabinett hat sich zur montäglichen Besprechungsrunde im Kanzlerbüro zusammengefunden. Gerade diskutiert es den neuesten Vorstoß des grünen Koalitionspartners, auch für Regierungsämter Quoten einzuführen. Vor dem Schreibtisch sitzen neben Kanzleramtsministerin Paula Neumüller die Leiterin des Planungsstabes Ines-Mercedes Holterkamp-Ruiz, der persönliche Referent Andreas Mücklich, die stellvertretende Vorsitzende der Regierungspartei Ariane Etekar und die Ständige Beraterin Thea Winterborn.

»Ich habe ja nicht gesagt, daß wir das sofort eins zu eins übernehmen müssen. Aber nachdenken sollten wir darüber schon, Kalle. Wir können doch nicht beim öffentlichen Dienst Quoten durchsetzen und diese demnächst auch von der Privatwirtschaft verlangen, während die Regierung ...«