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Wildblumen sind stark. Widerstandsfähig. Sie gedeihen unter den widrigsten Bedingungen und biegen sich im stärksten Sturm. Aber sie brechen nicht. Niemals. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich erkennen konnte, dass es in manchen Momenten notwendig ist loszulassen. Egal, wie stark die Liebe ist. Manchmal gibt es jemanden, für den man stark sein und weitermachen muss und der einen mehr braucht. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Eine folgenreiche Entscheidung. Und trotzdem hoffe ich, dass eines Tages die Liebe zu mir zurückfindet. Fortsetzung der Wildflower Duet Reihe von Micalea Smeltzer. Wir empfehlen, die Bücher in der korrekten Reihenfolge zu lesen.
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Seitenzahl: 449
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Wildblumen sind stark. Widerstandsfähig. Sie gedeihen unter den widrigsten Bedingungen und biegen sich im stärksten Sturm. Aber sie brechen nicht. Niemals.
Es hat einige Zeit gedauert, bis ich erkennen konnte, dass es in manchen Momenten notwendig ist loszulassen. Egal, wie stark die Liebe ist.
Manchmal gibt es jemanden, für den man stark sein und weitermachen muss und der einen mehr braucht.
Ich habe eine Entscheidung getroffen. Eine folgenreiche Entscheidung.
Und trotzdem hoffe ich, dass eines Tages die Liebe zu mir zurückfindet.
Fortsetzung der Wildflower Duet Reihe von Micalea Smeltzer. Wir empfehlen, die Bücher in der korrekten Reihenfolge zu lesen.
Micalea Smeltzer lebt mit ihren beiden Hunden Ollie und Remy in Nord-Virginia. Wenn sie nicht gerade Bücher schreibt, liebt sie es, sich selbst in einem spannenden Buch zu vergraben.
Als Empfängerin einer Nierentransplantation setzt sie sich dafür ein, das Bewusstsein für die Auswirkungen von Nierenerkrankungen, Dialyse und Transplantation zu schärfen und die Menschen über Lebendspenden aufzuklären.
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Micalea Smeltzer
Die Rückkehr der Wildblumen
Aus dem Amerikanischen von Anne Morgenrau
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
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Triggerwarnung
Widmung
Zitat
Prolog — Salem
Kapitel 1 — Salem
Kapitel 2 — Salem
Kapitel 3 — Salem
Kapitel 4 — Salem
Kapitel 5 — Salem
Kapitel 6 — Salem
Kapitel 7 — Salem
Kapitel 8 — Thayer
Kapitel 9 — Salem
Kapitel 10 — Thayer
Kapitel 11 — Salem
Kapitel 12 — Thayer
Kapitel 13 — Salem
Kapitel 14 — Salem
Kapitel 15 — Salem
Kapitel 16 — Thayer
Kapitel 17 — Salem
Kapitel 18 — Thayer
Kapitel 19 — Salem
Kapitel 20 — Salem
Kapitel 21 — Thayer
Kapitel 22 — Salem
Kapitel 23 — Salem
Kapitel 24 — Salem
Kapitel 25 — Salem
Kapitel 26 — Thayer
Kapitel 27 — Salem
Kapitel 28 — Thayer
Kapitel 29 — Salem
Kapitel 30 — Salem
Kapitel 31 — Thayer
Kapitel 32 — Salem
Kapitel 33 — Thayer
Kapitel 34 — Salem
Kapitel 35 — Thayer
Kapitel 36 — Salem
Kapitel 37 — Salem
Kapitel 38 — Salem
Kapitel 39 — Salem
Kapitel 40 — Thayer
Kapitel 41 — Salem
Kapitel 42 — Salem
Kapitel 43 — Salem
Kapitel 44 — Salem
Kapitel 45 — Thayer
Kapitel 46 — Salem
Kapitel 47 — Salem
Kapitel 48 — Thayer
Kapitel 49 — Thayer
Kapitel 50 — Salem
Kapitel 51 — Salem
Kapitel 52 — Salem
Kapitel 53 — Thayer
Kapitel 54 — Salem
Epilog — Salem
Dank
Triggerwarnung
Impressum
Lust auf more?
Liebe Leser:innen,
in Die Rückkehr der Wildblumen sind potenziell triggernde Inhalte enthalten.
Hierzu findet Ihr am Ende dieses Buches entsprechende Hinweise.
Wir wünschen Euch ein schönes Leseerlebnis.
Eure Aufbau Verlage
Für all jene, die unvorstellbare Schmerzen erleiden und deshalb stärker werden mussten
»Blumen erwachsen aus dunklen Momenten.«
Corita Kent
Salem
Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass man Menschen und Situationen manchmal loslassen muss, egal, wie sehr man sie liebt. Ein sinkendes Schiff kann man nicht retten.
Manchmal musst du für einen anderen Menschen stark sein, der dich noch mehr braucht.
Du triffst deine Wahl.
Sie ist verheerend.
Und du hoffst, dass jener Mensch vielleicht irgendwann zu dir zurückkommen wird.
Salem
In Hawthorne Mills ist der Frühling meine liebste Jahreszeit. Seit ich vor sechs Jahren fortgegangen bin, war ich nicht mehr hier. In jenem Sommer kam ich ein paarmal zurück in der Hoffnung, dass der Nachbar, den ich liebte, wieder zur Vernunft kommen und mich sehen, zu mir zurückfinden würde, aber dazu kam es nicht.
Thayer Holmes war für mich verloren, also zog ich mich zurück und versuchte, ihn zu vergessen.
Ich suchte mir einen Job als Kellnerin in einem Diner in der Nähe von Laurens Wohnung. Ich sparte jeden Penny, den ich entbehren konnte. Caleb und ich redeten wieder häufiger miteinander, dann wurden wir erneut ein Paar, und knapp ein Jahr nach Georgias Hochzeit bat er mich, ihn zu heiraten. Ich sagte Ja. Zwei Monate später waren wir ein Ehepaar. Er schloss das College ab, und wir zogen nach Kalifornien. Es gefiel mir dort sehr, fast so gut wie hier, aber vor einem Jahr bekam Caleb ein Jobangebot aus Boston, und wir kehrten in diese Gegend zurück.
Trotzdem habe ich nie wieder einen Fuß in das Haus meiner Kindheit gesetzt.
Caleb wusste, warum, und es verletzte ihn.
Ich habe ihn ständig verletzt.
Also ließ ich ihn gehen.
Unsere Scheidung war einfach, so wie alles zwischen uns. Ich weiß, dass er immer ein Teil meines Lebens bleiben wird, aber jetzt ist er frei und kann nach der Art von Liebe suchen, die ich einmal kennengelernt habe. Wenn du sie einmal erlebt hast, gibt es nichts Vergleichbares mehr, so sehr du es auch versuchst, so viel Arbeit und Mühe du auch hineinsteckst.
Es ist, als versuchte man, ein Puzzleteil an einer Stelle einzufügen, an der es nicht passt.
Ich öffne die Autotür und betrete die Einfahrt.
Obwohl ich geschworen habe, nie wieder hierherzukommen, an diesen Ort, zu ihm, gab es letztlich doch etwas, das mich zurückbringen konnte. Ich betrete das Haus und treffe meine Mutter in ihrem provisorischen Bett im Wohnzimmer an.
»Hi, Mom.« Es kostet mich all meine Kraft, die Tränen zurückzuhalten. Sie soll mich nicht weinen sehen.
»Da ist ja mein Mädchen«, begrüßt sie mich lächelnd und winkt mich mit ihrer blassen, dünnen Hand zu sich.
Mom liegt im Sterben.
Der Krebs ist zurückgekommen, und diesmal kann sie nichts dagegen tun. So sehr sie auch kämpft, er ist stärker, und nun hat sie noch zwei Monate zu leben – vielleicht sogar weniger.
Meine Schritte klingen mir laut in den Ohren, während ich ins Wohnzimmer gehe und mich über sie beuge, um sie zu umarmen.
»Du hast Georgia um ein Haar verpasst«, sagt Mom und erwidert meine Umarmung nur schwach. Sie hat kaum noch Muskeln und Fett am Körper, verkümmert unter unseren Augen. »Ich sehe sie bestimmt später noch«, sage ich.
»Die Kinder haben nach euch gefragt.«
Lächelnd streichle ich die papierene Haut ihrer Wange. »Sie werden uns bald sehen.«
Georgia und Michael haben inzwischen zwei Kinder, ein drittes ist unterwegs. Zu behaupten, dass sie alle Hände voll zu tun haben, wäre untertrieben, aber sie sind glücklich. »Brauchst du irgendetwas?«
»Im Moment ist alles in Ordnung. Vielleicht können wir einen Film schauen oder so, wenn du deine Sachen hereingeholt hast?«
»Das klingt gut, Mom.«
Caleb und ich wohnen nach der Scheidung noch zusammen. Es erschien uns vernünftig, solange mir noch nicht klar war, was ich als Nächstes tun würde, aber als sich Moms Zustand verschlechterte, wusste ich, dass es an der Zeit war, nach Hause zurückzukehren. Es war an der Zeit, ihr in ihren letzten Tagen beizustehen, Georgia eine Atempause zu verschaffen, das Haus auszuräumen, wenn das Unvermeidliche geschehen würde, und dann zu überlegen, wie es weitergehen soll.
Was schwer ist, denn meine Zukunft ist zurzeit ein einziges Fragezeichen. Ich werde dieses Jahr sechsundzwanzig, und genau wie mit achtzehn habe ich meinen Kram nicht auf der Reihe. Aber vielleicht ist dies ja die Wahrheit über das Erwachsensein, die einem niemand sagt: dass wir alle nur improvisieren.
Draußen weigere ich mich standhaft, das Nachbarhaus zur Kenntnis zu nehmen. Ich weiß, dass er noch dort wohnt, Mom erwähnt ihn von Zeit zu Zeit. Manchmal frage ich mich, ob sie es aus Neugier auf meine Reaktion tut. Ich habe ihr nie erzählt, was mit Thayer passiert ist. Weil mein Herz gebrochen war, und ich akzeptiert hatte, dass die Sache mit uns tatsächlich vorbei war, sah ich keinen Sinn darin.
Ich schaffe es, mein Zeug ins Haus zu bringen, ohne einen einzigen verstohlenen Blick auf das Nebenhaus zu werfen.
Nein, das ist gelogen.
Ich habe einmal ganz kurz hingesehen.
Gerade lange genug, um das fertige Baumhaus im Garten und einen Teil vom Dach eines Gewächshauses zu sehen.
»Hast du alles reingeholt?« Sehr leise dringt die krächzende Stimme meiner Mutter aus dem Wohnzimmer an mein Ohr.
»Ja. Ich bringe jetzt ein paar Sachen nach oben.«
»In Ordnung. Ich glaube, ich mache … einfach ein bisschen die Augen zu.«
Sie kann mich in der Küche nicht sehen, aber mir kommen die Tränen.
Sie entgleitet uns. Was ein langes Leben hätte werden können, bemisst sich jetzt nach Wochen, Stunden, Minuten, ja Sekunden, und jede davon ist kostbar.
Salem
Mein Zimmer ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Aus irgendeinem Grund habe ich damit gerechnet, dass Mom es umgestaltet hat, aber nein. Es ist sauber, da Georgia und ich eine Putzfrau bezahlen, die einmal pro Woche vorbeikommt. Nirgendwo ist ein Stäubchen zu sehen. Das Bett ist frisch gemacht, die Ränder der Decken liegen exakt aufeinander.
Da Mom schläft und in nächster Zeit nicht in der Lage sein wird, einen Film zu schauen, packe ich meine Kleidung und die Kosmetikartikel aus, und dann rufe ich Caleb an.
»Hey«, sagt er mit tiefer Stimme. »Bist du gut angekommen?«
»Ja, danke der Nachfrage.«
»Wie geht’s deiner Mom?«
Seufzend reibe ich mir die Stirn. »Sie schläft. Sie ist gebrechlicher, als ich gedacht hätte.«
»Das tut mir leid.« Ich höre die Aufrichtigkeit in seiner Stimme. Auch nach unserer Trennung ist Caleb einer der liebsten Menschen, die ich kenne.
»Jemand versucht gerade, mir das Telefon zu klauen«, sagt er und lacht leise.
Auch ich lache. »Gib sie mir ruhig.«
»Mommy!« Die Stimme meiner Tochter wirkt wie Balsam auf einer Wunde. Mit einem einzigen Wort schafft sie es, dass ich mich besser, geerdeter fühle.
»Hi, Schätzchen. Wie war dein Tag?«
»Gut. Daddy hat mich von der Schule abgeholt, und wir waren im Supermarkt. Ich habe einen Lolli bekommen.«
Im Hintergrund höre ich Caleb lachen. »Das sollte doch unser Geheimnis bleiben.«
»Ups!« Sie kichert.
Seda war die Überraschung, die Thayer mir hinterlassen hat. Sie ist das Geschenk, von dem ich nicht gewusst hatte, dass ich es wollte und brauchte. Dass ich ihre Mutter bin, gibt mir das Gefühl, eine Superheldin zu sein.
»Ich vermisse dich jetzt schon«, sage ich.
»Ich dich auch, Mommy. Gib Grandma ein Küsschen von mir … du sagst doch immer, Küsschen machen alles besser.«
Oh verdammt. Gleich muss ich weinen. Ich wünschte, Tränen könnten meine Mutter heilen, aber ich glaube, Krebs lässt sich auch mit magischen Küssen nicht bekämpfen.
»Mache ich«, versichere ich meiner Tochter. »Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Mommy!« Sie legt auf, und es wird still in der Leitung.
Als ich wieder unten bin, schläft Mom immer noch, darum beschließe ich, das Abendessen vorzubereiten. Georgia sagt zwar, dass Mom in letzter Zeit kaum noch isst, aber ich muss es wenigstens versuchen.
Beim Durchsuchen der Küchenschränke stoße ich auf eine Flasche Wein, vermutlich von Georgia dort gebunkert, bevor sie erneut schwanger wurde. Ich öffne die Flasche, gieße mir ein Glas ein und trinke es beim Kochen. Eigentlich trinke ich nur wenig Alkohol, aber heute kann ich ein bisschen Wein zur Beruhigung meiner Nerven gut gebrauchen.
»Salem?«, ruft Mom nach mir, und ich wende mich von dem brodelnden Topf ab.
»Ja?«, rufe ich zurück, überrascht, dass sie wach ist. Ich hatte damit gerechnet, sie wecken zu müssen.
»Kannst du mir ein bisschen Wasser bringen?«
Ich fülle eine Tasse, gebe einen Trinkhalm hinein, gehe zu ihr und halte ihr die Tasse vor den Mund. Sie trinkt gierig und mit dankbarem Blick. Ich stelle das Wasser ab und frage: »Brauchst du noch etwas? Ich mache gerade Abendessen.«
»Nein, Wasser reicht.« Sie tätschelt mir liebevoll die Hand. »Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin, bevor wir einen Film schauen konnten.«
»Ist schon in Ordnung. Ich lasse beim Essen einfach einen laufen.«
Traurig sieht sie mir ins Gesicht, und ich frage mich, was sie denkt. »Bist du glücklich, Salem? Du siehst nicht so aus.«
»Ich bin so glücklich, wie ich im Augenblick eben sein kann.«
»Tja, das muss dann wohl reichen.«
Ich lächle sie traurig an und gehe aus dem Zimmer, um das Abendessen fertigzumachen.
Als die Spaghetti gar sind, bringe ich zwei Teller davon und etwas Knoblauchbrot ins Wohnzimmer. Ich richte das Kopfteil des Krankenbetts auf, stelle Mom ein Tablett auf den Schoß und sorge dafür, dass sie es bequem hat, bevor ich selbst zum Essen Platz nehme.
Der Film läuft, aber ich schaue kaum hin.
Ich lasse ihn weiterlaufen, während ich unser schmutziges Geschirr spüle. Mom hat die Spaghetti kaum angerührt, aber ich weiß, dass sie so viel gegessen hat, wie sie konnte.
Als ich ein paar Minuten später zurück ins Wohnzimmer komme, ist sie wieder eingeschlafen.
Es ist sowieso schon spät, darum schalte ich den Fernseher aus und decke Mom bis zum Kinn mit der Wolldecke zu. Ich sorge dafür, dass sie Wasser hat und dass ihr Handy in greifbarer Nähe ist, falls sie mich braucht.
»Ich liebe dich, Mom«, sage ich und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.
Eine Träne stiehlt sich aus meinem Augenwinkel. Ich wische sie weg, steige leise die Treppe hinauf und dusche, ehe ich selbst zu Bett gehe. Es war ein langer Tag, und ich brauche meinen Schlaf.
Nach der Rückkehr von meinem morgendlichen Lauf betrete ich die Küche durch die Seitentür und lächle, als ich Mom am Tisch sitzen sehe. Heute Morgen hat ihre Haut ein bisschen mehr Farbe, ist eher rosig als grau, was hoffentlich bedeutet, dass sie gut geschlafen hat.
»Hey«, sage ich lächelnd und bringe meinen Pferdeschwanz in Ordnung. »Hast du Hunger?«
»Ich habe ein bisschen Müsli gegessen«, erklärt sie, während sie in einer Illustrierten blättert.
»Mom«, sage ich leise, »du weißt doch, dass du nicht einfach herumlaufen sollst, wenn niemand da ist, der dir helfen kann.«
Es besteht das Risiko, dass sie stürzt, und sie weiß es.
Aber in ihrer Situation wäre ich wahrscheinlich auch hin und wieder ein bisschen störrisch. Es ist bestimmt schwierig, damit klarzukommen, dass man einen anderen Menschen braucht, um grundlegende Dinge zu erledigen wie sich zu waschen oder zur Toilette zu gehen.
»Ich hatte meine Stoppersocken an.«
»Mom, du weißt doch, dass die nichts bringen«, ermahne ich sie.
Sie seufzt. »Heute Morgen ging es mir gut. Ich wollte mich einfach allein im Haus bewegen.«
»Na schön, aber sei vorsichtig«, lenke ich ein.
»Salem«, sagt sie leise. Ich stehe mit dem Rücken zu ihr, um mir einen Kaffeebecher zu nehmen, und drehe mich nun um. »Du weißt, dass ich sterben werde, oder?«
Ich senke den Kopf. Ja, ich weiß es. Georgia weiß es. Wir alle wissen es.
»Ja.«
»In der kurzen Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich einfach ich selbst sein. In Ordnung?«
Ich nicke kaum merklich, versuche die Tränen zurückzuhalten, die aus mir herausbrechen wollen. Es ist schlimm, um jemanden zu trauern, der noch am Leben ist.
»Ich dachte«, fährt sie fort, »wir könnten heute mal ein paar Cupcakes zusammen backen. Weil es mir ja ganz gut geht.«
Meine Schultern werden starr. Nachdem ich zuletzt welche für Thayer gebacken hatte, habe ich nie wieder Cupcakes gemacht. Danach war es zu schmerzhaft, denn ich hätte jedes Mal an ihn denken müssen.
»Wir … äh … okay, können wir machen.«
Auf keinen Fall werde ich meiner sterbenden Mutter einen Wunsch abschlagen.
»Ich dachte, wir könnten Cookie Dough machen. Die mochtest du doch immer am liebsten. Es war auch die Lieblingssorte von Thayer nebenan. Früher habe ich ihm immer Cupcakes gebracht, weißt du. Bevor ich zu krank zum Backen war.«
Meine Schultern spannen sich noch stärker an.
»Äh … ja«, stammele ich. »Die mochte er sehr, ich erinnere mich.«
Sie mustert mich durchdringend, und ich halte ihrem Blick stand. »Er ist ein netter Mann. Was damals passiert ist, war einfach furchtbar. Sein armer Sohn. Ich glaube, an seiner Stelle hätte ich wegziehen müssen, aber er ist geblieben.«
»Mom, möchtest du vielleicht etwas trinken oder so?«, frage ich, um das Thema zu wechseln.
»Eigentlich nicht.« Sie schlägt die Zeitschrift zu und schiebt sie über den Tisch von sich weg. »Er mäht mir den Rasen, weißt du?«
Noch immer spricht sie über Thayer. Ich will nichts mehr von ihm hören. Ich will es nicht wissen. Es ist zu schmerzhaft, aber das kann ich ihr nicht sagen. Mit dem Rücken zu ihr stehend, gebe ich etwas Sahne und Zucker in meinen Kaffee. Meine Hände zittern, aber ich weiß, dass sie es von ihrem Platz aus nicht sehen kann. »Er kommt manchmal rüber. Ich glaube, er ist einsam. Und dann trinken wir zusammen etwas …«
»Bist du in ihn verliebt?«, platze ich heraus, ehe ich es verhindern kann, und zucke sofort zusammen.
An Thayer und meine Mom zusammen will ich nicht mal denken. Ich glaube, ich muss kotzen …
»Himmel, nein.« Sie lacht, aber das Lachen geht in ein Husten über.
Ich nehme ihr gegenüber Platz und beobachte sie, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut geht.
»Aber es war schön, jemanden zum Reden zu haben. Du bist auf die andere Seite des Landes gezogen, und Georgia war mit ihrer Arbeit und der Familie beschäftigt. Ich brauchte einen Freund.«
»Na ja, freut mich, dass ihr euch gefunden habt.«
Fick dich, Thayer Holmes. Mit meiner Mutter kann er sich unterhalten und sogar befreundet sein, aber mit mir kann er nicht mal reden?
Ich denke an all die Zeit, die ich mit dem Versuch verbracht habe, wieder Zugang zu seinem Herzen zu bekommen. Ich wusste, dass er mich noch genauso liebte wie ich ihn, aber das war offensichtlich nicht genug, und schließlich gab ich auf. Allein konnte ich nicht reparieren, was zerstört worden war. Er hätte sich auch ein bisschen Mühe geben müssen, hat es aber nicht getan.
»Wenn die Cupcakes fertig sind, kannst du ihm ein paar bringen.«
Ich trommle mit den Fingern auf den Tisch und setze ein Lächeln auf. »Klingt super.«
Es ist sechs Jahre her. Ich müsste über ihn hinweg sein. Hätte längst weiterziehen müssen.
Aber ich weiß nicht, ob man seine einzig wahre Liebe jemals wirklich hinter sich lassen kann.
Salem
In der Küche duftet es nach Cupcakes, und ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich nicht schwach werde, nicht dem Bedürfnis nachgebe, einen zu essen. Sie schmecken so gut, wie ich sie in Erinnerung habe, und das Backen hat Spaß gemacht. Es war so einfach wie Fahrradfahren. Ich glaube, ich habe mir nur nicht eingestanden, wie sehr es mir gefehlt hat.
»Ich muss mich … eine Weile hinsetzen.« Mom klingt atemlos, die Schwäche holt sie wieder ein.
»Kein Problem.« Um die Küchentheke herum eile ich zu ihr und reiche ihr den Arm, damit sie sich festhalten kann. Ich führe sie ins Wohnzimmer und spüre, wie sie sich beim Gehen immer stärker auf mich stützt. »Möchtest du auf der Couch oder im Bett sitzen?«
Sie denkt kurz nach. »Im Bett.«
»Okay.« Ich helfe ihr in das Krankenbett und decke sie zu. »Ruh dich aus, Mom«, sage ich und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Vergiss nicht, Thayer ein paar Cupcakes zu bringen.«
Ich unterdrücke ein Stöhnen. »Klar, mache ich.«
Im Stillen bete ich, dass er nicht da ist, wenn ich sie rüberbringe.
Moms Lider werden schwer, und noch bevor ich den Raum verlasse, ist sie eingeschlafen.
Mein Handy klingelt. Es ist Georgia.
»Hey.« Ich stelle sie auf Lautsprecher, damit ich beim Reden die Küche aufräumen kann. »Was gibt’s?«
»Wie geht es ihr heute?«
»Heute Morgen hatte sie ein bisschen Energie, aber jetzt hält sie ein Nickerchen. Wir haben gebacken.«
»Oh.« Ich höre das Lächeln in ihrer Stimme. »Das ist gut. Sehr gut.«
»Das habe ich mir auch gedacht«, versetze ich und räume die Spülmaschine ein.
»Danke, dass du gekommen bist und bei ihr bleibst. Ich weiß, dass du es eigentlich nicht wolltest, was ich dir nicht verübeln kann, denn ich verstehe, dass du …«
»Georgia, sie ist unsere Mom. Du musst dich nicht bei mir bedanken. Ich will hier sein. Ich muss es sogar.«
Meine Schwester räuspert sich, und ich weiß, dass es ihr vor Rührung fast die Sprache verschlägt. »Ich muss mich jetzt wieder an die Arbeit machen. Ich rufe dich später noch mal an.«
»Es geht uns gut.« Okay, meine Schwester ist die Krankenpflegerin, nicht ich, trotzdem bin ich durchaus in der Lage, mich um Mom zu kümmern. Georgia hat schon genug auf dem Zettel, auch ohne die Sorge um das, was hier passiert.
»Vielleicht kann ich nach dem Dienst mit Fastfood oder so vorbeikommen.«
»Sag einfach Bescheid.«
Wir verabschieden uns und legen auf. Die Küche ist wieder makellos sauber, also bleibt mir nichts anderes übrig, als den Teller Cupcakes zu Thayer zu bringen.
Dass er sich mit Mom angefreundet hat, sollte mich eigentlich nicht stören, ich weiß, aber es stört mich trotzdem. Mit ihr hat er gesprochen, aber er hat nie auch nur versucht, mich zu erreichen.
Arschloch.
Ich lege die Cupcakes auf einen Teller und bedecke sie mit Frischhaltefolie. Die Glasur wird ein paar Risse bekommen, aber das ist mir egal.
Ich atme tief durch und mache mich darauf gefasst, Thayer nach vielen Jahren das erste Mal zu begegnen.
Ich schaffe das schon.
Ich bin eine starke, beeindruckende Frau.
Doch als ich am Zaun entlanggehe, steht kein Fahrzeug in seiner Einfahrt.
Das ist gut … nehme ich an.
Aber solange ich bei Mom wohne, spielt es sowieso keine Rolle.
Früher oder später werde ich ihm begegnen, und ich weiß nicht, wie ich mich dann fühlen werde.
Georgia kommt mit Tüten voller Essen zur Seitentür herein. Ihre OP‑Bluse spannt über ihrem gerundeten Bauch, und ich muss lächeln.
»Wow, sieh mal einer an«, sage ich leise. »Darf ich mal fühlen?« Ich nehme ihr die Tüten ab und stelle sie auf den Tisch.
Seufzend streckt sie den Bauch heraus. »Klar. Dieses Kind ist genau wie sein Vater. Es kann einfach nicht still sitzen. Ich bin erschöpft. Mit seinen Tritten hält er mich die ganze Nacht wach.«
»Weißt du schon, dass es ein Junge wird?«
Sie grinst von einem Ohr zum anderen. »Ja, hab’s erst vor Kurzem erfahren. Drei Jungs, ist das zu glauben? Ich habe immer geglaubt, ich wäre eine Mädchenmama. Aber weißt du was? Ich würde es gar nicht anders haben wollen.« Sie legt ihre Hand neben meine auf ihren Bauch. »Willst du keine Kinder mehr?«
»Ich glaube, mit dem einen habe ich schon genug zu tun.«
»Wie hältst du es nur aus, von Seda getrennt zu sein?«, fährt Georgia fort. »Ich meine, ich kenne deine Gründe, aber …« Wir schauen beide zu Mom hinüber, die im Wohnzimmer noch immer schläft. Seit sie sich hingelegt hat, ist sie nicht mehr aufgewacht.
»Es ist schrecklich, von ihr getrennt zu sein, aber sie soll ihre Grandma nicht in diesem Zustand sehen.« Ich deute auf die medizinischen Geräte und die zerbrechliche Gestalt unserer schlafenden Mutter. »Sie ist noch zu klein. Außerdem ist sie bei Caleb in guten Händen, und wir sprechen so oft wie möglich über FaceTime miteinander.«
Georgia schüttelt den Kopf, nimmt eine Schachtel Pommes frites von Wendy’s heraus und schiebt sich fünf Stück auf einmal in den Mund. »Ich war schockiert, als du mir gesagt hast, dass ihr euch scheiden lasst. Ich dachte immer, ihr hättet alles im Griff. Ich meine, der Knabe war immerhin bereit, dich zu heiraten, obwohl du von einem anderen schwanger warst.«
Ich senke den Kopf. Für unsere Familien ist es kein Geheimnis, dass meine Tochter nicht von Caleb ist. Wir wollten weder unsere Angehörigen noch das Kind selbst über seine Abstammung belügen, aber außer Caleb und Lauren weiß niemand, wer ihr leiblicher Vater ist.
Ich erinnere mich noch lebhaft an den Hass, den Calebs Mutter versprüht hat, als wir es ihr erzählten. Sie konnte nicht verstehen, dass er mich zurückgenommen, ja sogar geheiratet hat, obwohl ich ein Kind von einem anderen erwartete.
Direkt danach hörte sie auf, mit ihm zu reden. Sie ist nicht mal zur Hochzeit gekommen.
Das habe ich mir selbst nie verziehen. Ich war zwar nie ein großer Fan von ihr, aber sie ist Calebs Mom. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn zu fragen, ob sie nach der Scheidung wieder Kontakt zu ihm aufgenommen hat.
»Caleb ist ein guter Mensch«, sage ich und stöbere in den Essenstüten. »Aber er ist nicht der richtige Mann für mich.«
Sie schüttelt den Kopf, schnalzt mit der Zunge. »Nimm’s mir nicht übel, aber du bist doof.«
Lachend nehme ich einen eingewickelten Burger aus einer Tüte. »Ich weiß.«
Glaubt mir, ich bin mir meiner Fehler und Sünden nur allzu bewusst. Und Caleb steht ganz oben auf der Liste. Am schlimmsten finde ich, dass er immer noch mein bester Freund ist. Aber das macht die Dinge im Hinblick auf Seda wahrscheinlich einfacher. Sie ist ebenso sehr seine wie meine Tochter. Nicht nur die DNA macht einen Menschen zu Mutter oder Vater, sondern auch sein Verhalten, und Caleb ist der beste Vater, den ich mir für unser kleines Mädchen vorstellen kann. Er hat sie nie, kein einziges Mal, behandelt, als wäre sie nicht sein Kind.
Georgia senkt die Stimme zu einem Flüstern. »Was meinst du, bleibst du hier oder ziehst du wieder nach Boston, wenn Mom …?«
»Ich bleibe nicht in Boston«, falle ich ihr ins Wort. Ich war noch nie ein Stadtmädchen, und in den letzten Jahren habe ich mehr als genug Stadtleben gehabt. »Aber ich weiß auch nicht, ob ich hier wohnen werde.«
Nachdenklich schaut sie sich um. »Das Haus ist gut. Falls du beschließen solltest, zu bleiben.«
»Ich glaube nicht, dass ich hier leben könnte.«
Es geht nicht nur um Thayer, obwohl er durchaus eine Rolle spielt. Das hier ist Moms Haus, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es jemals als meines betrachten werde.
»Klar.« Traurig senkt Georgia den Kopf. Ihr Blick wandert in Richtung Nebenzimmer, in dem Mom gerade schlummert. »Das verstehe ich. Tatsächlich wüsste ich auch nicht, ob ich es könnte.« Sie schiebt sich die Haare über eine Schulter nach vorn und fährt fort: »Christy, eine befreundete Kollegin, hat angeboten, dieses Wochenende rund um die Uhr bei Mom zu bleiben. Ich dachte, du möchtest die Zeit vielleicht nutzen, um Seda zu sehen, aber ich wollte erst mit dir darüber reden, bevor ich ihr zusage.«
»Das wäre super«, sage ich und spüre die Erleichterung in meiner Brust.
Ich weiß, dass es Seda bei Caleb sehr gut geht, aber ich hasse es, von meiner kleinen Tochter getrennt zu sein. Ich möchte nicht, dass sie in Moms Nähe ist, während sie im Sterben liegt. Der Tod ist unausweichlich, aber kein Kind sollte erleben müssen, wie sich ein geliebter Mensch vor seinen Augen praktisch auflöst. Natürlich darf sie ihre Großmutter sehen, aber ich will nicht, dass sie rund um die Uhr in diesem Haus ist. Außerdem geht sie in Boston zur Schule, und ich wollte sie wenige Wochen vor dem Ende des Schuljahrs nicht aus ihrem Umfeld herausreißen.
»Super, dann sage ich ihr Bescheid. Sie ist ein toller Mensch und eine wunderbare Krankenschwester, du musst dir also keine Sorgen machen. Mom ist bei ihr in besten Händen.«
So ist Georgia – sie ist zwar nur eine Art Joker, aber sie lässt uns nie im Stich.
»Ich liebe dich«, sage ich.
»Aww, ich liebe dich auch. Und ich bin echt froh, dass du wieder hier bist, egal, wie lange es dauert.«
»Danke. Es ist schön, zurück in der Stadt zu sein.«
Und überraschenderweise ist es nicht einmal gelogen.
Salem
Ich fahre zu dem Lebensmittelladen im Ort, parke und zögere einen Moment, ehe ich das Geschäft betrete. Der Kühlschrank zu Hause ist fast leer, und ich möchte ein paar Sachen zum Kochen einkaufen. Dennoch graut mir vor diesem Ausflug, weil ich bestimmt jemandem begegnen werde, den ich kenne, und Kleinstädter lieben das Drama. Dass ich nach der Scheidung wieder in der Stadt bin … ist eine wichtige Nachricht für alle.
Bevor ich losgefahren bin, habe ich eine Einkaufsliste geschrieben, damit ich in dem Laden nicht darüber nachdenken muss, was ich alles brauche.
Trotzdem braucht das Einkaufen natürlich Zeit.
Ich greife nach meiner Handtasche, steige aus dem SUV und husche mit gesenktem Kopf in den Laden. Ich nehme mir einen Einkaufswagen und mache mich auf den Weg in die Obst- und Gemüseabteilung. Wer mich beobachtet, amüsiert sich garantiert darüber, wie schnell ich gehe. Aber je schneller ich bin, desto eher komme ich hier wieder raus, und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand anspricht.
Ich bin bereits an der Tiefkühltheke angekommen, da ruft jemand nach mir.
»Thelma!« Ich lächle, und das Lächeln ist echt … obwohl sie eine neugierige Wichtigtuerin ist. »Wie geht es dir? Und dir auch, Cynthia. Freut mich, euch zu sehen, und auch noch zusammen.«
Schulterzuckend beugt sich Thelma zu Cynthia hinüber und küsst sie auf die Wange. »Wir sind zu alt, um uns noch länger zu verstecken. Bist du wegen deiner Mutter wieder in der Stadt?«
Ich nicke.
»Es ist einfach schrecklich. Sie ist noch so jung … na ja, zumindest für jemanden in meinem Alter, nicht wahr, und …«
»Ich bin gerade mit dem Einkaufen fertig und eigentlich schon auf dem Rückweg«, sage ich, greife in die Tiefkühltheke und nehme aufs Geradewohl einen Becher Eiscreme heraus. »Ich muss dann mal los.«
»Hast du deinen Mann schon gesehen?«
Ich lege den Kopf schief. »Wen?«, frage ich, und mein Herz rast. Ich weiß genau, wen sie meint.
»Nun zier dich mal nicht so, Mädchen.« Sie schnipst mit den Fingern, ihre Augen funkeln. »Du weißt genau, von wem ich rede.«
»Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Aha.« Erneut schnalzt sie mit der Zunge. »Interessant.«
»Er hat mich längst vergessen«, sage ich schulterzuckend. »Das Ganze ist sechs Jahre her, es kann also gar nicht anders sein.«
Thelma lacht, als hätte ich ihr den besten Witz aller Zeiten erzählt. »Haha, der war gut, Mädchen. Dieser Mann …« Sie zögert. »Er hat dich nicht vergessen. Und ich glaube, du ihn auch nicht.« Sie mustert mich von Kopf bis Fuß. »Sonst wärst du schon viel früher zurückgekommen.«
Und damit entfernen sich Thelma und Cynthia von mir und gehen den Gang entlang.
Ich senke den Blick auf den Eisbecher, den ich herausgenommen habe.
Erdnussbutter-Oreo.
Widerlich.
Ich stelle ihn wieder in die Truhe und greife nach Cookie Dough.
Viel besser.
»Mom, bin wieder da!«, rufe ich, als ich die erste Ladung Lebensmittel ins Haus trage. Ich habe versucht, alles auf einmal hineinzubringen, stellte aber sehr bald fest, dass das nahezu unmöglich ist. »Hast du Hunger? Ich dachte, ich mache uns Hühnchen-Sandwiches zum Abendessen?«
Ich stelle alles ab und schaue um die Ecke. Nur mit Mühe dreht sie den Kopf zu mir und gähnt.
»Ich habe nicht so viel Hunger.«
»Wie wär’s mit etwas Eiscreme?«
Sie zieht die Nase kraus, und ich erkenne, dass ihr bereits die Vorstellung widerstrebt. »Nein.«
»In Ordnung.« Ich werde mich auf keinen Fall beirren lassen. »Möchtest du etwas anderes? Egal, was?«
Sie schüttelt den Kopf, ihr Blick schweift zum Vorderfenster.
Es schmerzt, zu wissen, dass sie uns sekündlich mehr entgleitet.
»Sag mir Bescheid, wenn du es dir anders überlegst.« Ich werde sie nicht unter Druck setzen. Vielleicht habe ich Glück, und sie isst später noch eine Kleinigkeit.
Ich bringe auch den Rest noch ins Haus und atme erleichtert auf, weil mir das gelungen ist, ohne Thayer in die Arme zu laufen. Mir ist klar, dass sich eine Begegnung auf Dauer nicht vermeiden lässt, aber ich werde ihm so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Ich weiß, es ist feige, aber ich habe auch nie behauptet, stark zu sein, wenn es um Thayer geht.
Ich räume die Lebensmittel weg und fange an, das Abendessen zuzubereiten, auch eine Kleinigkeit für Mom, damit etwas fertig ist, wenn sie Hunger bekommt.
»Wollen wir uns einen Film anschauen?«, frage ich, als ich mich mit meinem Teller auf die Couch setze.
»Ich habe mir überlegt …«, setzt sie an, aber ihre Kehle ist so trocken, dass sie sich räuspern muss.
Sofort springe ich auf und halte ihr das Wasserglas hin, damit sie in kleinen Schlucken trinken kann.
»Würdest du mir ein Buch vorlesen? Es gibt da eins, das ich gern lesen würde, aber …«
»Welches denn?«, frage ich und schaue mich suchend um.
»Es liegt da vorne.« Sie deutet auf das Buch, das auf dem Couchtisch liegt. »Georgia hat es für mich aus dem Regal geholt, aber ich habe es noch gar nicht aufgeschlagen.«
Ich greife nach dem Buch, setze mich und ziehe die Beine unter mich. Meinen Teller stelle ich auf die Armlehne der Couch, dann schlage ich das Buch auf.
Als ich zu lesen beginne, lächelt sie.
Im Geist mache ich ein Foto von diesem Moment, denn ich weiß, dass er mir für immer im Gedächtnis bleiben wird.
Salem
»Mommy!«
Sobald ich die Tür des eleganten Backsteinhauses geöffnet habe, kommt Seda auf mich zugelaufen.
Ich gehe in die Hocke und fange sie auf, als sie sich in meine Arme wirft. »Mein Mädchen«, flüstere ich und atme ihren Duft ein. Sie riecht nach Gras, als hätte sie draußen gespielt, vermischt mit ihrem Wassermelonen-Shampoo.
»Ich habe dich so vermisst, Mommy.« Sie nimmt mein Gesicht in ihre kleinen Hände. »Geht es Grandma gut?«
»Ja, es geht ihr gut.« Ich lege meine Hände auf ihre. »Aber sie wird nicht mehr sehr lange bei uns bleiben.«
»Wann kann ich sie besuchen? Ich vermisse sie. Ich habe ein Bild für sie gemalt. Warte, ich zeig’s dir.« Und schon stürmt sie davon, um nach der Zeichnung zu suchen.
Ich stehe auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Caleb aus der Küche kommt und sich in den bogenförmigen Durchgang lehnt. »Sie hat ununterbrochen von deiner Mom geredet.«
Ich atme aus und merke jetzt erst, dass ich die Luft angehalten habe. »Ich habe versucht, es ihr zu erklären, aber ich glaube, sie begreift noch nicht ganz, was passiert.«
»Sie ist erst fünf«, gibt er zu bedenken und wirft sich ein Küchenhandtuch über die Schulter. »Hast du Hunger? Ich wollte gerade die Reste wegräumen.«
»Und wie.« Mit einem Blatt Druckerpapier kommt Seda wieder auf mich zu gerannt.
»Sieh mal, Mommy«, sagt sie und hält es hoch. »Das da ist Grandma in ihrem Bett«, sie deutet auf ein Strichmännchen mit gelbem Haar, »und das da ist mein Bruder. Er ist ein Engel und wartet auf sie.«
Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. Caleb und ich haben uns bemüht, mit ihr über Thayer und Forrest zu sprechen. Sie weiß, dass Caleb ihr Dad ist, sie aber noch einen anderen Vater hat, der sehr traurig war, als ihr Bruder starb, und der deswegen nicht zu ihrem Leben gehören kann. Die Situation ist kompliziert, und manchmal ist es schwer, ihr die Dinge auf eine Art zu erklären, die sie versteht.
Außerdem hat sie schon als Baby Schwimmunterricht bekommen. Ich wollte sichergehen, dass sie alle Hilfsmittel kennt, falls einmal etwas passiert.
Ich nehme sie in die Arme und lege das Kinn auf ihren Scheitel. »Ja, Kleines, das tut er.«
Sie schlingt mir ihre kleinen Arme um den Hals … okay, so klein sind sie gar nicht mehr, aber sie werden mir wahrscheinlich ihr Leben lang so vorkommen. »Er wird aufpassen, dass es ihr gut geht, damit du nicht weinen musst, Mommy.« Noch immer hält sie meine Wangen umfasst und blickt mich mit Augen in derselben Farbe wie Thayers an. Warmes Schokoladenbraun. »Weinen ist nicht schlimm«, wiederholt sie mein ständiges Reden, »aber ich mag es nicht, wenn du traurig bist.«
Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und versichere ihr: »Ich bin nicht traurig, mein Schatz. Nur sehr stolz auf dich.« Ich stehe auf und halte mich krampfhaft an ihrer Zeichnung fest. »Mommy hat Hunger. Willst du dich beim Essen zu mir setzen?«
»Ich möchte noch ein bisschen malen, bevor ich ins Bett gehe.«
Als sie davonläuft, muss ich lachen. Ich habe sie eindeutig mehr vermisst als sie mich.
Caleb gibt bereits etwas von dem Essen, das er gekocht hat, auf einen Teller und stellt ihn in die Mikrowelle.
»Das hätte ich doch machen können«, sage ich und nehme mir eine Limonade aus dem Kühlschrank.
»Ich weiß.« Er stützt die Hände auf die Arbeitsfläche, seine Armmuskeln spannen sich an. »Wie geht es deiner Mutter?«, fragt er so leise, dass Seda es nicht hören kann.
Kopfschüttelnd nehme ich auf dem Barhocker Platz. »Nicht gut, wie erwartet, aber sie spricht mit uns, und mit manchen Dingen kommt sie noch allein klar … vor allem, weil sie stur ist und jedes Hilfsangebot möglichst ablehnt.«
Caleb lacht in sich hinein. Er nimmt den Teller aus der Mikrowelle, legt eine Gabel darauf und stellt ihn vor mir ab. »Klingt ganz nach Allison.«
»Ich verspreche dir, wenn all das vorbei ist, bist du mich los.« Unwillkürlich lasse ich den Blick durch die Küche schweifen, betrachte die Schränke, die ich bei der letzten Renovierung ausgesucht habe, die gepunkteten Dosen für Mehl und Zucker, die ich aus einer Laune heraus gekauft habe.
Caleb verdreht die Augen und nimmt sich ein Bier. »Wir sind immer noch Freunde. Und das werden wir auch bleiben.« Ein Schatten huscht über sein Gesicht. »Und selbst wenn dieser Idiot wieder auftaucht, werde ich immer für Seda da sein. Du kannst sie mir nicht wegnehmen, und er auch nicht.«
»Beruhige dich«, sage ich und nehme etwas Hackbraten auf die Gabel. »Darüber haben wir doch geredet. So etwas würde ich dir niemals antun. Seda liebt dich … der DNA nach bist du vielleicht nicht ihr Vater, aber du bist es in allen wichtigen Belangen. Ich weiß besser als jeder andere, dass die DNA einen Mann nicht zum Vater macht.«
Caleb senkt den Kopf, und er sieht mich unter dichten Wimpern hindurch an. »Danke.«
Das Einzige, worüber wir uns während der Scheidung gestritten haben, war Seda. Caleb hatte schreckliche Angst, dass ich sie ihm wegnehmen und er sie nie mehr wiedersehen würde. So grausam könnte ich nicht sein. Caleb hat sich dieser Herausforderung gestellt, Seda und mir zuliebe, als ich Thayer in seiner Trauer nicht mehr erreichen konnte. Wenn ich Seda von Caleb fernhielte, würde ich nicht nur ihn bestrafen, sondern auch Seda verletzen.
»Es tut mir leid«, fügt er hinzu und fährt sich mit einer Hand durch die blonden Haare. »Jetzt, wo du wieder dort bist, ist mir einfach mulmig zumute.«
»Hey«, sage ich leise und greife über die Theke, um meine Hände auf seine zu legen. »Was Seda betrifft, hast du nichts zu befürchten.«
Er räuspert sich, und ich merke, dass er gerührt ist. »Ich gehe jetzt fernsehen.«
»In Ordnung.«
Schweigend esse ich auf, dann stelle ich den Teller in die Spülmaschine. Die Küche ist bereits makellos sauber, also gehe ich in das Spielzimmer im Obergeschoss, wo ich meine Tochter sicherlich antreffen werde.
Sie kritzelt wild auf einem Blatt Papier herum und erschafft ein weiteres Meisterwerk. »Zeit zu baden, Fräulein«, sage ich und bleibe im Türrahmen stehen.
»Aber Mom …«
»Nichts aber.« Mit einem Kopfschütteln zeige ich ihr, dass argumentieren zwecklos ist. »Wenn du fertig gemalt hast, ist es Zeit zum Baden, und danach geht es ins Bett.«
Ihr Blick bekommt etwas Schelmisches. »Liest du mir eine Gute-Nacht-Geschichte vor?«
»Eine«, sage ich, hebe einen Finger und wackle damit. »Und nur eine. Zu mehr lasse ich mich heute Abend nicht überreden.« Ich strecke ihr die Zunge heraus, und sie kichert. Wir wissen beide, wie wankelmütig ich bin, wenn es um ihre Wünsche geht. Nicht, dass ich schwach wäre, aber ich liebe es, Zeit mit meiner Kleinen zu verbringen. Diese Momente der Kindheit sind flüchtig, sie gehen schnell vorbei. Ich möchte sie genießen und besondere Erinnerungen mit ihr erschaffen. Zumal ich nicht weiß, ob ich noch weitere Kinder bekommen werde. Diese Frage hat maßgeblich zu unserer Scheidung beigetragen. Caleb möchte eigene Kinder haben, und daran werde ich ihn nicht hindern.
Während Seda ihre Zeichnung fertigstellt, gehe ich mit meiner Tasche nach oben ins Gästezimmer, in dem ich vor Monaten meine Sachen untergebracht habe. Caleb wollte mich überreden, das Schlafzimmer zu nehmen, meinte, er käme gut mit dem kleineren Zimmer zurecht, aber ich habe ihm in Erinnerung gerufen, dass ich im Gegensatz zu ihm nicht vorhabe, weiterhin in diesem Haus zu wohnen.
»Hi, Binx.« Ich streiche meinem geliebten Kater, der auf der Bettdecke liegt, über den Kopf. »Du hast mir gefehlt.«
Er öffnet ein grünes Auge und starrt mich an. Ich weiß, er ist stinksauer, weil ich ihn alleingelassen habe. So bedürftig ist er, aber anstatt jetzt nach meiner Rückkehr meine Liebe und Aufmerksamkeit anzunehmen, straft er mich mit Schweigen. Katzen, aber echt mal.
Ich packe die Klamotten aus, die ich bei Mom gewaschen habe, und lege andere in meine Reisetasche. Warum nicht ein bisschen Abwechslung ins Leben bringen? Ich bin müde von der Woche und kann es kaum erwarten, ins Bett zu gehen, aber vorher möchte ich unbedingt noch Zeit mit Seda verbringen.
Als ich aus dem Zimmer komme, taucht sie gerade oben an der Treppe auf. »Ich bin fertig. Ich schätze, dann bin ich wohl zum Baden bereit«, sagt sie, aber es klingt absolut nicht danach.
»Geh und such dir einen Schlafanzug aus. Ich lasse inzwischen das Wasser ein.«
»Okay!« Darüber freut sie sich.
Im Badezimmer schalte ich das Licht ein, stecke den Stöpsel in den Abfluss der Wanne und lasse das Wasser einlaufen, wobei ich darauf achte, dass es weder zu heiß noch zu kalt ist.
Mit ihrem neonpinken Prinzessinnenpyjama in der Hand kommt sie ins Bad gerannt. »Den hier.« Sie lässt ihn fallen und zieht sich ohne Aufforderung rasch aus.
»Weißt du schon, welches Buch du möchtest?«, frage ich, während ich ihr die Haare nass mache, um sie zu shampoonieren.
»Das Buch mit Prinzessin Seda«, sagt sie und legt kichernd den Kopf zurück. Sie liebt es, wenn ich ihr das Shampoo in die Kopfhaut massiere.
»Warum überrascht mich das nicht?«, sage ich lächelnd und zwicke sie spielerisch in die Wange. Als sie noch ein Baby war, hat Mom uns ein Buch geschenkt, in dem Seda die Protagonistin ist, und seit dem Kleinkindalter ist dieses Buch ihr Favorit.
»Es ist mein Lieblingsbuch, Mom«, sagt sie mit theatralischer Stimme, als wüsste ich es nicht, und verdreht als Zugabe die Augen.
Seda ist fünf, benimmt sich aber, als wäre sie fünfzehn.
Als ihre Haare sauber sind und sie sich mit dem Waschlappen, den ich ihr gegeben habe, gründlich gewaschen hat, hebe ich sie aus der Wanne und wickle sie in ein Badetuch.
»Eierspiel!«, ruft sie, und ich höre ihre Füße über den Boden tapsen, als sie in ihr Zimmer läuft.
Mit dem Pyjama in der Hand laufe ich ihr hinterher. Sie lässt sich auf den Boden fallen und deckt sich mit dem violetten Handtuch zu.
»Was ist das denn?«, frage ich und gehe um sie herum. »Ist es ein Ei? Was für ein ungewöhnlich großes Ei. Und dann auch noch lila? Mhm.« Ich tippe mir mit dem Finger auf die Lippen. Ihr Körper fängt an zu zucken. »O mein Gott, es bewegt sich!« Ich lächle, als ich Caleb bemerke, der im Türrahmen steht und uns ebenfalls lächelnd zusieht. »Siehst du dieses geheimnisvolle Ei? Schau mal, es bewegt sich!«
»Ich zerbreche!«, schreit Seda und zuckt noch wilder auf dem Boden herum. »Krach!« Sie wirft das Handtuch ab und steht auf. »Sieh mal, Mommy! Eine Seda!« Wie ein Hund sein Fell schüttelt sie ihr nasses Haar.
»Na sieh mal einer an. Wer hätte gedacht, dass sich so etwas in dem Ei versteckt?«
Sie kichert.
»Zeit für den Schlafanzug«, sage ich und halte das Oberteil hoch.
Sie nimmt es mir ab und schlüpft hinein. Dann entdeckt sie Caleb und fragt lächelnd: »Hast du das gesehen, Daddy? Ich war ein Ei!«
Er lacht leise. »Ja, ich hab’s gesehen. Du bist mein Lieblingsei.«
Unsere Blicke kreuzen sich, und ich spüre, dass er immer noch traurig ist. Wir kommen gut miteinander aus, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er die Scheidung nicht wollte und mich nach wie vor liebt.
»Mommy liest mir eine Geschichte vor. Hilfst du ihr? Ich finde es toll, wenn ihr die verschiedenen Stimmen macht.«
Er sieht mir in die Augen, checkt, ob ich einverstanden bin. Ich nicke.
»Aber sicher, Kleines.« Er hebt das nasse Handtuch auf und lässt es in den Wäschekorb fallen.
Seda greift nach ihrem Buch und steigt ins Bett. Caleb liegt auf ihrer einen, ich auf der anderen Seite.
Sie hält das Buch in Händen, blättert um und liest mit, so gut es geht.
Als wir fertig sind, sind ihre Lider schwer geworden.
Wir küssen sie auf die Stirn und decken sie für die Nacht zu.
Draußen im Flur sieht Caleb mich an, als wollte er etwas sagen, überlegt es sich dann aber anders.
Ich sehe ihn den Flur entlang und die Treppe hinunter gehen.
Ich bin ein Feigling, denn ich folge ihm nicht, um ihn zu fragen, was ihn beschäftigt.
Stattdessen gehe ich ins Bett. Das ist die einfachere Lösung.
Salem
»Mom?«, rufe ich, nachdem ich die Haustür aufgeschlossen habe.
Christy hat mich vor einer halben Stunde während meiner Fahrt hierher angerufen und mir mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei, sie aber los müsse und nicht auf mich warten könne.
Als ich in die Einfahrt fahre, ignoriere ich standhaft den Pick‑up, der nebenan parkt. Er ist größer als der, den Thayer früher gefahren ist, aber ich bringe es trotzdem fertig, so zu tun, als hätte ich ihn nicht gesehen, indem ich meine Haare als Schutzschild benutze.
»Hier drin, Liebes!«, ruft sie aus dem Wohnzimmer.
»Hey.« Es klingt wie ein erleichterter Seufzer. Ihre Haut wirkt heute ein bisschen wärmer, ist leicht gerötet, und sie sieht weniger müde aus, obwohl sie im Bett liegt. Auf ihrem Schoß steht ein Tablett, und sie malt Mandalas aus. »Wie hübsch«, sage ich mit Blick auf das Blumenmuster, das sie sich ausgesucht hat. Sie füllt die Flächen mit Violett- und Petrolnuancen aus. »Die hier hat mir Seda für dich mitgegeben.« Ich greife in meine Handtasche, um die Zeichnungen meiner Tochter herauszuholen.
»Oh.« Mom nimmt sie entgegen, lächelt und sieht sich jede an. »Wie lieb von ihr. Hattet ihr eine schöne Zeit zusammen?«
Ich nicke und setze mich auf die Couch, um meine Riemchensandalen auszuziehen. »Ja, aber es ist immer schön. Ich liebe sie sehr, sogar wenn sie mich auf die Palme bringt.«
Mom lächelt, in ihren Augenwinkeln bilden sich Fältchen. »Muttersein ist das Großartigste, was du je erleben wirst. Aber es ist nichts für schwache Nerven.«
»Allerdings.« Schaudernd denke ich an Georgias kleine Jungs. Einmal erzählte sie mir, dass der älteste eine Maus gefangen und sie mit ins Haus gebracht hatte. So was macht ja nicht mal Binx.
»Geht es Caleb gut?«
Obwohl meine Mutter mich in Sachen Scheidung voll unterstützt hat, liebt sie Caleb und möchte ihn nicht aus den Augen verlieren.
»Ja, alles in Ordnung.«
»Trifft er sich mit jemandem?«, hakt sie nach und malt weiter, als wäre nichts gewesen.
»Ich weiß es nicht«, sage ich und nehme ein paar Malbücher von dem Stapel auf dem Fußboden. »Über solche Sachen reden wir nicht. Es steht ihm frei, Dates zu haben, wenn er das möchte.«
»Liebt er dich noch?«
Meine Schultern werden starr, mein ganzer Körper ist plötzlich angespannt. »Mom!«, sage ich flehend.
»Ich meine es ernst, Salem.« Sie bedenkt mich mit diesem mütterlichen Blick … der, bei dem sie die Brauen hochzieht, als wollte sie sagen: Wehe, du antwortest mir nicht.
»Ja.« Auf der Suche nach einem Motiv zum Ausmalen blättere in einem Buch. Sie scheint mich mit dem Blick durchbohren zu wollen, aber ich ignoriere sie.
»Du hast das einzig Richtige getan, weißt du.«
Ihre Worte überraschen mich so sehr, dass ich ruckartig den Kopf hebe. Ein schwaches Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht.
»Du liebst ihn, das weiß ich, aber er liebt dich mehr. Also war es richtig, ihn loszulassen.«
Zitternd atme ich aus. »Ich dachte, wenn ich mir mehr Mühe gebe, könnte ich ihn genauso sehr lieben, wie er mich liebt.«
»Aber das konntest du nicht.«
»Nein«, antworte ich, obwohl es keine Frage war. »Und als er davon anfing, dass er Kinder will, konnte ich einfach …« Ich presse die Lippen aufeinander, suche nach den richtigen Worten. »Ich konnte einfach nicht mehr. Er ist großartig, der Beste von allen, und ich liebe ihn, aber nicht so, wie er es verdient.«
Ich blicke auf die zuletzt aufgeschlagene Seite, das schwarz-weiße Bild verschwimmt hinter dem Schleier aus Tränen, der meinen Blick trübt. Ich wollte Caleb nie verletzen. Weder damals noch heute. Aber ich bin nicht perfekt, niemand ist das, und wer es zu sein glaubt, irrt sich. Wir alle tun Dinge, auf die wir nicht stolz sind. Ich werde meine Zeit mit Caleb niemals bereuen. Das ist nicht möglich. Aber ich bedaure, dass ich ihn nicht genug geliebt habe. Das Schlimmste ist, dass Caleb und ich wahrscheinlich gut zusammengepasst hätten, wäre ich nicht Thayer begegnet und hätte nicht erfahren, wie markerschütternd und allesverzehrend Liebe sein kann.
Aber ich bin Thayer begegnet, und dieser Moment hat den Verlauf meines Lebens für immer verändert.
»Bitte, nicht weinen«, sagt Mom und greift nach der Schachtel Papiertaschentücher auf dem Tisch neben ihrem Bett.
Ich nehme ihr das Taschentuch ab, um mir die Augen abzutupfen. »Ich bin ein schrecklicher Mensch, Mom. Der schlechteste überhaupt. Er liebt mich so sehr. Warum kann ich seine Gefühle nicht erwidern?«
Mitfühlend sieht sie mich an. »Liebes«, sagt sie leise, »du musst dir selbst verzeihen. Du hast das Richtige getan.«
»Es ist egal, ob es richtig war oder nicht«, sage ich und trockne mir erneut die Tränen. »Ich habe ihn trotzdem verletzt.«
»Der Schmerz wird vorübergehen.«
»Ach ja?« Ich lache freudlos bei dem Gedanken daran, wie Thayer mir vor sechs Jahren das Herz gebrochen hat. Dieser Schmerz ist absolut nicht vorübergegangen, aber vielleicht lägen die Dinge anders, wenn ich keine Tochter von ihm hätte. Sie ist das Beste auf der ganzen Welt, aber sie ist auch eine ständige Erinnerung an ihn.
»Du bist sehr stark.«
»Mom«, sage ich kopfschüttelnd, »die Starke hier bist du.«
Sie lacht. »Vielleicht sind wir ja beide stark.«
»Ja, das stimmt«, sage ich und schnäuze in das Papiertaschentuch.
Plötzlich verfinstert sich ihre Miene, und sie mustert mich besorgt. »Ich möchte, dass du glücklich bist, Salem. Das habe ich immer gewollt.«
»Ich bin glücklich«, sage ich, und es stimmt. Könnte ich glücklicher sein? Ja. Aber unglücklich bin ich nicht.
»Du bist zufrieden. Das ist etwas anderes.«
Da hat sie recht. »Eines Tages werde ich etwas finden, das mich glücklich macht.«
»Ja, das wirst du.« Ihr Lächeln ist traurig. »Ich wünschte nur, ich würde es noch erleben.«
Und damit bekommt mein ohnehin geschundenes Herz einen weiteren Riss.
Um sieben Uhr morgens wache ich auf und steige in meine Laufklamotten. Ich habe keine Alpträume mehr – okay, nur noch selten, weil ich wieder in Therapie bin und dranbleibe –, aber manche Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und ich liebe es, frühmorgens zu laufen. Ich mache es nur nicht mehr vor fünf Uhr. Ich stecke mir die In‑Ear-Hörer in die Ohren und starte meine Cardio-Playlist, während ich mich in der Einfahrt dehne. Anstatt an Thayers Haus vorbeizulaufen, wie ich es früher immer getan habe, entscheide ich mich nun für die entgegengesetzte Richtung. Diese Schleife habe ich nie besonders gemocht, weil sie hügeliger ist, aber ich bin kleinmütig genug, um meine alte Route zu meiden.
Als ich kehrtmache, um zurückzulaufen, bin ich schweißnass, und meine Haare wollen nicht im Pferdeschwanz bleiben.
Beim Einbiegen in die Straße, die zu unserem Haus führt, kommt aus der entgegengesetzten Richtung ein Jogger auf mich zu.
Große, kräftige Statur. Eindeutig ein Mann.
Ich gerate ins Stolpern, als wir beide den Schritt verlangsamen – ich vor Moms Haus, er vor dem daneben. Ich nehme die Knöpfe aus den Ohren, und meine Lippen öffnen sich beim ersten Blick auf den Mann, den ich vor langer Zeit zurückgelassen habe.
»Thayer«, erwecke ich seinen Namen flüsternd zum Leben.
Er legt den Kopf schief und mustert mich, Verwunderung in den braunen Augen. »Salem.«
Salem
Der Mann, der vor mir steht, sieht ganz anders aus als der, den ich verlassen habe, und gleichzeitig ist er ihm sehr ähnlich. Er ist jetzt siebenunddreißig, fast achtunddreißig, wenn ich richtig gerechnet habe. Ich bin zu verblüfft, um zusammenhängend zu denken. An seinen Schläfen ist eine Spur Grau zu sehen, dezent, aber doch vorhanden, und dieselbe Farbe sprenkelt den Dreitagebart auf seinen Wangen. Ich wusste nicht, dass graue Haare mich anmachen, aber bei Thayer törnt mich vermutlich alles an. Er betrachtet mich genauso begierig wie ich ihn. Die Fältchen um seine Augen sind tiefer geworden, sein Blick wirkt heller und klarer als bei unserer letzten Begegnung.
Es war das Ende jenes Sommers, und meine Hoffnung hatte sich verflüchtigt. Ein letztes Mal ging ich zu ihm, flehte und bettelte ihn an, aufzustehen, zu leben, denn das war es, was Forrest gewollt hätte. Thayer versoff sein Leben und entglitt mir völlig. Was ich auch tat, es reichte nicht. Schließlich rief ich seinen Bruder an, sagte ihm, dass Thayer ihn brauchte, und ging zu Lauren nach New York City. Ich hatte ein Kind zu versorgen, was bedeutete, dass ich stark sein musste, auch wenn ich am liebsten selbst zusammengebrochen wäre.
Ich betrachte seine Laufsachen und ‑schuhe und versuche angestrengt, das Lächeln zu unterdrücken, das sich in meinem Gesicht ausbreiten will. »Hi«, sage ich dümmlich.
Noch immer mustert er mich von Kopf bis Fuß. »Hi.«
Ich warte darauf, dass sich Verlegenheit in meiner Brust breitmacht … schließlich ist dies Thayer, den ich seit einer Ewigkeit nicht gesehen habe, aber es kommt mir nur natürlich vor. Genau wie früher.
Er sieht anders aus, als ich erwartet habe.