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Felix Rexhausen, der bereits mit seiner witzigen Schrift «Mit Bayern leben!» erhebliches Aufsehen erregte, ist es leid, daß Sex immer nur als «Lebenshilfe» geboten wird oder als mühsam in Romanen versteckte «Stellen». Der namhafte Satiriker will das endlich ändern und kommt für alle, die gern Sexbücher lesen (oder selbst welche schreiben wollen!) sofort zur Sache. In 21 parodistisch-authentischen Anleitungen präsentiert er seinen Spezialsex für bisher sträflich vernachlässigte gesellschaftliche Gruppen – wie Frauen im Urlaub, notorische Junggesellen, grüne Witwen, Studienräte, Jäger im grünen Rock, entschlossene Pommern, Sportler, Geistliche, sehr alte Altersheimbewohner, Polizisten und so weiter.
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Seitenzahl: 177
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Felix Rexhausen
Die Sache
21 Variationen
Ihr Verlagsname
Felix Rexhausen, der bereits mit seiner witzigen Schrift «Mit Bayern leben!» erhebliches Aufsehen erregte, ist es leid, daß Sex immer nur als «Lebenshilfe» geboten wird oder als mühsam in Romanen versteckte «Stellen». Der namhafte Satiriker will das endlich ändern und kommt für alle, die gern Sexbücher lesen (oder selbst welche schreiben wollen!) sofort zur Sache. In 21 parodistisch-authentischen Anleitungen präsentiert er seinen Spezialsex für bisher sträflich vernachlässigte gesellschaftliche Gruppen – wie Frauen im Urlaub, notorische Junggesellen, grüne Witwen, Studienräte, Jäger im grünen Rock, entschlossene Pommern, Sportler, Geistliche, sehr alte Altersheimbewohner, Polizisten und so weiter.
Felix Rexhausen, geboren am 31. Dezember 1932 in Köln, studierte Wirtschaftswissenschaften und promovierte bei Günter Schmölders. Von 1960 an arbeitete er als Journalist, anfangs beim Westdeutschen Rundfunk, später beim «Kölner Stadt-Anzeiger» und beim «Spiegel», lebte dann als «selbständiger Gewerbetreibender» (freier Schriftsteller) in Hamburg.
«Und sie erkannten, daß sie nackt waren. Da flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schürzen daraus. Aber von Stund’ an brannte es in ihrem Herzen, daß unter jeder Hülle sie nackt staken.»
Alte Überlieferung
«… und solange schon Sechsjährige so verbildet sind, daß sie Puppenjungen mit Penis als unanständig empfinden – solange werden Folgeerscheinungen wie das Geschäft mit der Sexualität bestimmend auf die Konstitution der Gesellschaft einwirken.»
«Die Zeit» Nr. 29/XXIII
Für Ursula, Barbara, Renate, Bettina und Suzy, Marianne, Mirjam, Wulffin
Satire auf Sprache ist Satire auf die Sprechenden – Satire auf das, was viele gern lesen, ist Satire auf viele Lesende.
Doch, auch satirische Bücher können etwas ausrichten – Lichtenberg: «Es hatte die Wirkung, die gemeiniglich gute Bücher haben: es machte die Einfältigen einfältiger, die Klugen klüger, und die übrigen Tausende blieben ungeändert.»
Manche Menschen schreiben Bücher, und die Bücher werden gedruckt und gebunden und in Katalogen aufgeführt – der Verfasser aber geht weiter seiner Arbeit als Verlagslektor oder Urkundsbeamter nach: Breiter Ruhm und erst recht viel bares Geld bleiben ihm versagt. Andere Menschen, die auch gern Bücher schreiben würden, machen sich, da sie nicht wissen, wie man damit zu breitem Ruhm und viel barem Geld kommen könnte, gar nicht erst ans Werk.
Der hier vorgelegte Ratgeber hat nur den einen Sinn, allen erfolglosen oder von vornherein mutlosen Autoren den Rat zu geben und zu erläutern: Schreiben Sie ein Sexbuch! Sehen Sie sich die Statistik der erfolgreichen Bücher der letzten Jahre an, und Sie werden einsehen: Das sicherste Geschäft auf dem Buchmarkt ist ein Sexbuch. Der Autor eines Sexbuches kann zuversichtlich sein: 2000 Jahre europäische Geschichte helfen ihm, sein Buch zu einem Erfolg werden zu lassen.
Durch viele lange Jahrhunderte hat das christliche Abendland Sex als böse, gemein, schlecht, schweinisch verdrängt. Durch viele lange Jahrhunderte haben die abendländischen Normen dem Anspruch des Menschen auf sinnliche Glückserfüllung widersprochen und haben diesen Anspruch zur niederen Sinnlichkeit degradiert. Als der Christenglaube selbst schon begann, schwächer zu werden, verlor doch die Idee, Sexualität und Unsittlichkeit seien identisch und sexuelle Handlungen bedürften der Entschuldigung durch die Familienordnung oder wenigstens durch übergroße Liebe, keineswegs an Kraft; sie ist in den Köpfen unserer spätchristlichen und nachchristlichen Kleinbürger auch heute noch ganz virulent.
So ist der Sex zu einer ihm durchaus unangemessenen Wichtigkeit gelangt: was reizvolle Natur ist, das hat, über seinen natürlichen Reiz hinaus, den Reiz des Verbotenen. Die einen versuchen noch immer, Sex an die äußerste Peripherie des Daseins zu schieben, möglichst ganz hinauszukomplimentieren; die anderen widmen sich mehr oder minder stark engagiert der «Emanzipation», und wenn sie auch noch so sehr glauben, ein «vernünftiges» Verhältnis zu den Sexdingen zu haben, so wühlt in ihrem Blut doch immerzu die Auseinandersetzung mit den Mustern und Werten ihrer Voreltern, ihrer Umwelt, ihrer Erziehung.
Für die einen wie für die anderen – und also für uns alle – gilt: von «Selbstverständlichkeit» des Sex, von «Gelassenheit» ihm gegenüber kann keine Rede sein. Wenn einer wirklich gelassen wäre, so wäre er den einen ein «Schwein» und den anderen ein «Mucker».
Der außerordentlichen Wichtigkeit, die dem Sex beigemessen wird, entsprechen die außergewöhnlichen Erwartungen, die mit ihm verknüpft werden: Liegt nicht irgendwo hinter den Gittern, die uns vor dem Sex heruntergelassen worden sind, doch eine berauschende Wunderwelt, ist nicht irgendwo da das ganz andere, das alles ändern würde?
Und darum gilt stets: «Der wahre Sex ist immer erst der nächste Sex.» Dieser nächste Sex wird so erwartet und erhofft wie der nächste Urlaub: «Der wahre Urlaub ist immer erst der nächste Urlaub.» Der endlich dann ein Füllhorn ungeahnter Reichtümer in das Leben schüttet, unvermutbare Erfahrungen, unausdenkbare Veränderungen. Der diesem Leben neue Dimensionen, Höhen, Tiefen, Weiten erschließt – so sehr, daß dies Leben sich nicht mehr gleicht und man «den alten Menschen auszieht und einen neuen anzieht», wie das schon den frühen Christen eine süße Vorstellung war.
Nicht von Gott wird nun solche Veränderung erwartet, sondern vom Urlaub und vom Sex; denn ein großer Teil der Urlaubserwartungen sind Sexerwartungen. Der Urlaub wird einen von der alltäglichen Person befreien – und dazu gehört, daß er einen auch von dem alltäglich spärlichen oder alltäglich gewöhnlichen Sex befreit: Nun muß sich alles alles wenden.
DARUM wollen die Leute Sexbücher.
Zugleich wollen sie mit Hilfe solcher Bücher sich über die Gleichmäßigkeit und Eintönigkeit ihres eigenen Lebens auch auf diese Weise hinwegtrösten können: «So was» gibt es nur in Büchern, und im Grunde verrucht ist es auch, das eigene Leben ist am sympathischsten und in Ordnung. (Deswegen empfiehlt es sich für einen Autor oft, den «ganz wilden Sex» nur von relativ unsympathischen Figuren seines Buches ausführen zu lassen – das erleichtert dem Leser die Feststellung, daß er selbst ein solches Leben nicht würde haben wollen.)
Eine historisch verankerte Fehlhaltung zum Sex also begründet den dauernden Bedarf an Sexbüchern und den Erfolg von Büchern, die Sexbücher sind oder von den Käufern dafür gehalten werden. Denn das Wörtchen «Sex» weckt die Assoziation «Unzucht», und keiner weiß, was denn wirklich «Unzucht» sein könnte – ein jeder, mag er fromm oder wüst leben, weiß nur das eine: Wirkliche Unzucht ist das, was in meinem Leben nie nie vorkommt.
Deutsche Richter lassen noch heute Bücher «unzüchtigen Charakters» einstampfen. Der einzige Vorwurf aber, den sie – unjuristischerweise – gegen manchen solchen Autor erheben könnten, wäre der, daß er die Menschen auf bloße Sexwesen reduziert – das heißt: den Sex genauso ungeheuer wichtig nimmt wie sie, die Richter, Volkswarte, Zuchtwächter.
Die folgenden Ratschläge und Vorlagen beantworten die Frage:
Wie müssen die Bücher aussehen, die die Leute gerne lesen möchten? Für die Beantwortung dieser Frage hat sich der Verfasser des Ratgebers nicht auf seine Phantasie verlassen, sondern einerseits die einzelnen Gruppen des lesenden Publikums und ihre Einstellungen genau untersucht und andererseits eine lange Reihe von Büchern studiert, die in den letzten Jahrzehnten besonders erfolgreich gewesen sind, von Heftchenromanen und «Angélique» bis zu Henry Miller und Rainer Maria Rilke.
Die entscheidende erste Frage, ehe man zu schreiben anfängt, muß immer sein: «Womit mache ich dem von mir gewählten Leserkreis die größte Freude?»
Was Jungarbeitern Freude macht, das ist erstens die Vorstellung, auf einem wie großen Fuße, wie hemmungslos und wie lustvoll ein junger Mensch leben kann, wenn er nur reich ist. Zum zweiten die Vorstellung einer jungen Dame der Art, die kostbar, schön und unerreichbar stets in den Illustrierten abgebildet ist, zumal auf den Modeseiten – eines Mädchens, das nicht nur bildhübsch, sondern auch elegant und wohlhabend ist und, unabhängig, nur eines im Sinn hat: Sexlust. Die dritte Vorstellung schließlich, die einem Jungarbeiter Freude macht, das ist die Vorstellung, durch einen glücklichen Zufall würde einmal ein Mann wie er ein solches Mädchen besitzen können und das luxuriöse Geschöpf würde dabei berauscht sein von der Erkenntnis, daß alle ihre sonstigen Partner nicht viel wert sind im Vergleich zu eben diesem, gerade in seiner Einfachheit so großartigen Mann.
Aus diesen drei Vorstellungen ergibt sich die schriftstellerische Aufgabe; das Werk sollte ihnen allen dreien ungefähr zu gleichen Teilen entsprechen.
Lio hatte sich ganz entspannt gegen die hellen Lederpolster gelehnt. Sie fuhr mit fast träumerischer Sicherheit. Ihr weißer Alfa Romeo glitt über die Hügelstraße durch das karge Bergland der Provence wie ein Flugzeug. Lio war fast in Versuchung, die Augen zu schließen, so sehr genoß sie die Geschwindigkeit, genoß sie den sanften Druck des sommerlich warmen Fahrtwindes in ihrem Haar.
In knapp zwei Stunden, am frühen Nachmittag, würde sie in Antibes sein. Lio Markholt wußte ganz gut, was sie in Antibes erwartete. Gewiß: vielleicht hatte Fred Pagel wirklich irgendeinen Vertrag in der Tasche und würde irgendwo an der Côte d’Azur ein paar Aufnahmen von ihr machen – Frühjahrskollektion, Ferienmoden des nächsten Jahres, irgend so etwas. Aber dieser jüngste aller berühmten Modefotografen hatte das Modell Lio Markholt nicht «auf Termin» nach Antibes bestellt – er hatte sie eingeladen, für ein paar Tage auf seiner Yacht «Aphrodite» zu wohnen, auszuspannen … Ein paar Tage, so wie vor eineinhalb Jahren auch …
Ja, nur zu … Oh, sie kannte die Yacht «Aphrodite» sehr gut. Lio blies den Rauch ihrer Zigarette in den Wind und ließ einen raschen Blick über ihre langen glatten Oberschenkel gleiten, an denen der kurze Wildlederrock fast bis zu den Strumpfhaltern hochgerutscht war. Sie gab noch etwas Gas zu.
Wahrhaftig, sie kannte die Yacht. Und sie kannte die Art von jungen Männern, die Fred einzuladen pflegte, wenn er auf der Yacht lebte. Und sie hatte auch eine gewisse Vorstellung, mit was für einer Sorte Mädchen sich diese Gesellschaft unterhielt. Sie selbst war im vorigen Frühjahr die einzige Europäerin auf der Yacht gewesen – sechs junge und sehr schöne Orientalinnen waren schon seit einem halben Tag an Bord, als sie damals eintraf. Wie und wo Fred diese braunhäutige Schar aufgetrieben hatte, blieb ihr rätselhaft – wie sie sich benahmen und welche Behandlung sie erwarteten, das hatte Lio damals nur in das eine Bild fassen können: Sklavinnenzauber aus 1001 Nacht.
Nackt hatten sie kleine Tabletts mit glühend heißem Mokka auf dem Kopf balanciert und ihn dann mit halbgeschmolzenen Zuckerstücken gewürzt, die sie tief hinter ihren Schamlippen bereithielten. Später hatten sie auf einen kurzen Befehl hin mit unnachahmlicher Grazie Kopfstand gemacht, sich brennende Kerzen zwischen die auseinandergewinkelten Beine eingelassen und so, sechs Leuchter aus braunem Fleisch, ihre exotischen betörenden Lieder gesungen, indes das in den Kerzen enthaltene Räucherwerk die Kajüte mit schwerer berauschender Süße füllte. Noch später hatten sie sich vom Hals bis zu den Knien dick mit einem Teig aus Milch, Ingwer, Kakao und Zucker einreiben müssen, den, als er halb erstarrt schien, die Lippen und Zähne der Männer gierig wieder fortnahmen – zuletzt freilich von da, wo das Fleisch unter diesen Spezereien am meisten brennen mußte: von den Brustknospen und der Scham. Und auch dabei hatten die sechs jene Lieder gesungen.
Ja, Lio kannte die Yacht «Aphrodite». Sie selbst war damals eine weiße Königin von Saba auf dem Schiff gewesen: weiß hatte ihre Haut von dem Diwan geleuchtet, der etwas erhöht für sie aufgestellt worden war. Eine Königin auch deswegen, weil der Herr der Yacht, weil Fred Pagel immer wieder zu ihrem Diwan herangetreten war und ihr mit seiner aufgerichteten Mannheit fast demütig die Fußsohlen geküßt hatte.
Lio sah auf ihre schmale Uhr: In einer guten Stunde würde sie auf die Yacht klettern. Doch noch war sie weit vom Meer: die Straße zog durch die Vorläufer der Seealpen, wand sich zwischen den Bergrücken dahin, stieg an, fiel ab. Von mancher Wegbiegung aus sah Lio in einem Tal eine vereinzelte Zypresse stehen: stolz und doch leidenschaftlich wie ein aufgerichteter Phallus. Lio seufzte: Eigentlich war es noch sehr weit bis zur «Aphrodite». Die Straße kam an der Ruine eines Tempels vorbei, den die alten Römer hier den Berggeistern errichtet hatten, und Lio sah wieder den dunklen Park der Villa Borghese vor sich, spürte wieder die herrische Rute des römischen Leutnants in ihren Schoß eintreten.
Da wurde plötzlich ihr Alfa langsamer, Lio trat den Gashebel durch – vergeblich. Zudem hörte sie ein lautes Geräusch aus dem Motor, das sie schon einmal daraus gehört hatte. Der Wagen wurde noch langsamer. «Verdammt!» sagte das schöne Mädchen laut und bremste; zum Glück lief die breite Straße hier einige hundert Meter weit gerade. Der weiße Alfa hielt. Lio stieg aus. Sie hatte das bereits erlebt, und sie wußte, was hier not tat: eine neue Einrastmuffe für den Vergaserkegel einsetzen lassen. Lio mußte irgendwo einer Werkstatt Bescheid sagen. Der Nachmittag war hin; es fehlte nicht viel, und sie hätte mit Tränen gekämpft.
Tapfer stellte sie sich neben ihren Alfa und winkte. Ein großer Citroën hielt – ein Franzose, dessen fettig glänzendes rundes Gesicht zu Lio herlächelte, noch ehe er ausstieg. Ein dicklicher, nicht sehr großer Mann von Ende Vierzig, dazu ganz deutlich ein Mann mit Geld. Aber Lio faßte einen Entschluß: als der Mann sie fragte, was er für sie tun könne, und schnelle und unverständliche Sätze über ihren Wagen sagte, schüttelte sie nur den Kopf. «Non. Un erreur, Monsieur! J’attends seulement! Ein Irrtum, ich warte nur!» Der Dicke redete weiter auf sie ein, zunehmend unfreundlicher; endlich stieg er wieder in seinen Citroën und sauste davon.
Verächtlich stieß Lio die Luft durch die Nase. «Ein bißchen schicker mußt du schon sein, wenn du mir helfen willst!» sagte sie ins Leere und begann wieder zu winken. Gewiß, sie wollte nur zu der nächsten größeren Tankstelle gebracht werden, von der aus sie telefonieren konnte. Aber Lio hatte ihre Prinzipien: wegen solcher Männer mit Hängebauch und Hängehintern hatte sie sich in Flugzeugen schon auf den ungünstigsten Platz weggesetzt. Nun näherte sich ein Wagen mit einer deutschen Nummer – ein uralter Volkswagen. Lio winkte erst einmal weiter.
Der Fahrer des Volkswagens glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Konnte es wahr sein? Da stand ein elegantes, bildhübsches Mädchen mit hinreißenden Knien unter einem superkurzen Wildlederrock, stand neben einem Alfa Romeo und winkte! Ihm! Heinz Hellmer hielt. Drei Minuten später saß Lio neben dem jungen Deutschen, der für ein paar Monate in einer Elektronikfabrik bei Marseille arbeitete, und er fuhr wieder an.
Lio beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Der Mund saftig – das war gut. Die Brust kräftig – das gefiel ihr. Die Männlichkeit in seiner engen Baumwollhose heftig – das gab ihr ein Gefühl von Behaglichkeit. Sie schloß die Augen.
Heinz Hellmer hatte, wenn er geradeaus sah, doch immer die beiden Knie, den Anfang ihrer langen glatten Schenkel im Blickfeld. Er biß sich auf die Lippen. Lios verführerisches Parfum raubte ihm fast die Sinne.
Sie sprachen wenig. Heinz war vor Begierde verlegen, und Lio genoß es, ihn nach einem rettenden Vorschlag suchen zu lassen. Dann beschloß sie, ihm die Sache zu erleichtern. Als sie weit vor ihnen rechts einen Fuhrweg abzweigen sah, sagte sie leichthin: «Irgendwo hier müssen die berühmten Seealpenwiesen sein!» Heinz reagierte blitzschnell: «Gut, daß Sie das sagen – soweit ich weiß, da rechts!» Und als ob er das «rechts» unterstreichen wollte, bewegte er sein Knie kurz und kräftig gegen ihren Oberschenkel. Im gleichen Moment schon holperte der Volkswagen in den Fuhrweg.
Der führte bald aus dem dichten Wald hinaus; hie und da war sogar ein karges Feld. Am Rande einer Wiese sah Heinz eine kleine Scheune stehen, vielleicht auch eine Notunterkunft für Landarbeiter, wie sie hier, wo die Dörfer weit auseinander lagen, häufig war.
Heinz hielt. «Das ist jedenfalls eine Seealpenwiese!» sagte er und stieg aus. Beide gingen sie ziemlich direkt auf den Scheunenverschlag zu. Ein großes Vorhängeschloß hing an der schmalen Seitentür. Solche Türen hatten Scheunen nicht! «Dies ist eine Art Herberge», sagte Heinz, «wir woll’n reinschauen, nicht?» «Zu!» antwortete Lio schnippisch, aber schon hatte Heinz ein paar winzige Schraubenzieher aus seiner Brusttasche genestelt. «Kommt jemand?» «Ich sehe keinen», erwiderte sie. Fünf Minuten später zog Heinz stolz das Schloß aus den Ringen und öffnete die Tür: «Bitte schön!», und als sie an ihm vorbei in das Häuschen trat, gab Lio ihm einen festen Kuß auf seine vollen energischen Lippen.
Es dauerte nicht lange, bis das Einbrecherpaar auf einem der primitiven breiten «Betten» lag – einer Strohschütte mit ein paar Decken darüber. Bebend vor Lust preßte Lio ihre Zähne in die großen harten Fingerkuppen des jungen Mannes, in seine von ganz leichter Hornhaut überhauchte Handfläche, indes er mit der freien Hand fast brutal an ihrem kurzen Rock zerrte, unter dem sie schon sein starkes Knie fühlte. Endlich flog der Rock auf den Boden, und Heinz sah die feine, wunderbar gepflegte Haut ihres Schoßes über dem Slip, das edle, Verwöhntheit und Langeweile atmende Fleisch ihres Schenkelansatzes. Mit fiebernder Gewalt zog er Lios Strümpfe herunter, riß ihr die Bluse, den Büstenhalter fort, und Lio liebkoste Quadratzentimeter um Quadratzentimeter seines rauhen, durchgearbeiteten jungen Körpers.
Und seine starken Knie! Auf dem rechten fand sie eine winzige, doch harte Schwiele – gierig sogen sich ihre so sorgsam gemalten Lippen daran fest! Was scherte es sie, daß der energische Mund da ihr den kalifornischen Busenlack von den Brustspitzen biß, den sie heute früh so stundenlang hatte fest werden lassen für Fred und die «Aphrodite»! Nein, dieser hier war ein Mann – ein Mann, wie etwa Fred mit seiner verspielten Arbeit und seinem dreimaligen Duschen pro Tag nie einer werden würde.
«Sekt, das ist Sekt!» ging es Heinz durch den Kopf, und wie Sekt schlürfte er das erlesene Parfum ihrer Schamhaare. «Das große Los! Heute habe ich das große Los gezogen!»
Sie verabschiedeten sich vor der Tankstelle, in der sie telefonieren wollte. Er blieb im Wagen; sie waren beide guter Laune. «Ich bedank mich schön!» sagte Lio und machte die Tür auf. «Oh, es war mir ein Vergnügen!» sagte Heinz lachend zurück und winkte ihr nach.
Nach einer guten halben Stunde erschien ein alter Mechaniker mit der Einrastmuffe und fuhr Lio zu ihrem Alfa Romeo zurück. Gegen halb sieben hatte sie es geschafft: vor ihren Augen, zu ihren Füßen lag Antibes. Ein erregender Duft von Pernod, Seewind und köstlichen Sonnenölen kam ihr entgegen. Und dort an der Reede erkannte sie die «Aphrodite» – erkannte sie an der hellen Fahne, auf die ein klassischer Topf, ein Mörser, mit einem darin stampfenden Stößel gestickt war.
Einige hunderttausend Bürger der Bundesrepublik verstehen sich, oft schon in der zweiten Generation, als Heimatvertriebene und glauben an das Glück, das sie nicht haben, aber gewiß haben würden, wenn Schlesien, die Sudeten, Ost- und Westpreußen oder Pommern zum Deutschen Reich der Bundesrepublik gehörten.
Diese Menschen haben nicht nur ein Recht auf Heimat, sondern – mehr noch als geborene Münsterländer oder Allgäuer – auch ein Recht auf heimatverbundene Sexbücher. Auf sexverbundene Heimatbücher, auf in Bücher gebundenen Heimatsex. Wer es unternimmt, diesem berechtigten Verlangen nachzukommen und beispielsweise für bewußte Pommern ein Sexbuch zu schreiben, muß zweierlei bedenken: Erstens hat ganz allgemein ein wirkliches Heimatbuch nicht von der Realität zu handeln, sondern hat deren Verklärung zum Inhalt und zum Ziel; zweitens darf ein Heimatbuch für Leser, die ihre Heimat verlassen haben (gleich ob freiwilliger- oder gezwungenerweise), nur jene Realität verklären, von der der Leser glaubt, sich an sie als «typisch» erinnern zu können.
Ein Sexbuch etwa für bewußte Pommern muß also jene verlorene Heimat preisen, natürlich – und zwar vor allem dadurch, daß es den wundervollen unwiederbringlichen, nirgend sonst wiederholbaren Sex der verlorenen Heimat preist. Das bedeutet: Das Buch muß verklärende Bilder von der heimatlichen Landschaft, den heimatlichen Menschen, Tieren und Gegenständen zur Grundlage verklärender Bilder von dem heimatlichen Sex machen. Der heimatliche Sex hat unkompliziert, frisch und erdig zu erscheinen; komplizierte oder mißvergnügliche Aspekte sexueller Beziehungen sowie Verderbtheiten aller Art sollte der Autor nur mit Personen in Verbindung bringen, wie sie in der Heimat als Fremdkörper galten (und heute dort den Ton angeben).
Ein Buch ist vor allem dann erfolgreich, wenn es den Leser das glauben macht, was er glauben möchte; das ist hier: die Heimat als eine heile Welt, in der es oft deftig, immer gesund und stets sauber zuging.
Fast vier Monate war Adalbert von Gastrow in der Fremde gewesen. Früh am Morgen war es, als er nun aus dem Zug stieg – schon erwartet von dem treuen Schullke, der seinem Vater als Kutscher und Fahrer diente seit Adalberts frühesten Kindheitserinnerungen. Nach einer guten Stunde Fahrt, während derer Adalbert noch ein wenig vor sich hindöste, kamen sie auf Gut Tulzin an, dem prachtvollen und behaglichen Herrensitz derer von Gastrow seit Jahrhunderten.