Die Sonnentänzerin - Bharti Kirchner - E-Book
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Die Sonnentänzerin E-Book

Bharti Kirchner

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Beschreibung

Wenn Heim- und Fernweh so dicht beieinander liegen: Der berührende Indien-Roman »Die Sonnentänzerin« von Bharti Kirchner jetzt als eBook bei dotbooks. Meena ist eine starke und unabhängige Frau, sie hat einen tollen Job in San Francisco und Menschen, die sie lieben. Eigentlich ist sie eine typische Amerikanerin – mit einem Unterschied: Sie wurde als junges Mädchen aus einem Dorf in Indien adoptiert. Tief in ihrem Herzen hat Meena nie die kleinen Lehmhütten, die feinen Gewürze und Gerüche ihrer Heimat vergessen – und erst recht nicht den Mann, dem sie dort vor vielen Jahren ihr Herz versprochen hat … Und so macht sie sich auf den Weg nach Indien, auf die Suche nach ihrer Vergangenheit und ihrer verlorenen Liebe. Nie hätte Meena jedoch damit gerechnet, dass auch der Schriftsteller Antoine, der sie auf ihrer Reise begleitet, zarte Gefühle in ihr wecken könnte … Sehnsüchte, Träume und die Suche nach sich selbst – Bharti Kirchner entführt uns in ihrem ergreifenden Roman in die Farbenpracht Indiens und wagt es gleichzeitig, den Blick auch auf die Schattenseiten des einfachen Lebens in diesem faszinierenden Land zu richten. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der gefühlvolle Liebesroman »Die Sonnentänzerin« von Bharti Kirchner – ein Indien-Roman über Sehnsucht, Heimat und eine alte Liebe. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 551

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Über dieses Buch:

Meena ist eine starke und unabhängige Frau, sie hat einen tollen Job in San Francisco und Menschen, die sie lieben. Eigentlich ist sie eine typische Amerikanerin – mit einem Unterschied: Sie wurde als junges Mädchen aus einem Dorf in Indien adoptiert. Tief in ihrem Herzen hat Meena nie die kleinen Lehmhütten, die feinen Gewürze und Gerüche ihrer Heimat vergessen – und erst recht nicht den Mann, dem sie dort vor vielen Jahren ihr Herz versprochen hat … Und so macht sie sich auf den Weg nach Indien, auf die Suche nach ihrer Vergangenheit und ihrer verlorenen Liebe. Nie hätte Meena jedoch damit gerechnet, dass auch der Schriftsteller Antoine, der sie auf ihrer Reise begleitet, zarte Gefühle in ihr wecken könnte …

Sehnsüchte, Träume und die Suche nach sich selbst – Bharti Kirchner entführt uns in ihrem ergreifenden Roman in die Farbenpracht Indiens und wagt es gleichzeitig, den Blick auch auf die Schattenseiten des einfachen Lebens in diesem faszinierenden Land zu richten.

Über die Autorin:

Bharti Kirchner, geboren in Indien, war lange Zeit in der IT-Branche tätig, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie mehrere preisgekrönte Kochbücher und ist heute als freie Journalistin für zahlreiche bekannte Zeitschriften und Tageszeitungen tätig. Kirchner lebt mit ihrem Mann in Seattle.

Bharti Kirchner veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Der Duft von süßen Mandeln« und »Die Gärten von Darjeeling«.

Die Website der Autorin: www.bhartikirchner.com

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/Bharti-Kirchner/

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eBook-Neuausgabe Januar 2019

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1998 by Bharti Kirchner

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Shiva Dancing« bei Dutton, an imprint of Dutton NAL, a member of Penguin Putnam Inc., New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1999 by Econ Verlag München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Published by arrangement with Bharti Kirchner.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Arlo Magicman, Sofia Zhuravetc, Skyprayer 2005

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-254-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

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blog.dotbooks.de/

Bharti Kirchner

Die Sonnentänzerin

Roman

Aus dem Aus dem Amerikanischen von Gabriele Weber-Jaric

dotbooks

Meiner Familie in Indienund Tomfür das, was ich bin

Danksagung

Den ersten Roman zu schreiben ist ein enormes Unterfangen. Ohne die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde hätte ich es nie gewagt, dieses Buch in Angriff zu nehmen. Mein inniger Dank geht an Dick Gibbons, Diane Ste. Marie, Barbara Galvin, Leon Billig, Peter Holman-Smith, Daniel Goldsmith, Bruce Dodson und Barbara Graven aus der Seattle Writers Association. Ebenso an die Stammgäste des Montagskreises – Ann Adams, Tom McGovern, Pat Trammel, Mike Simonton, Stever Ladd, Wally Lane, Jean Seidemann und June Dragger. Und an Lynn Brusten, Alle Hall, Suzanne Greenberg, Marie Herreras und Candace Dempsey. Eure Kommentare und Anregungen haben dazu beigetragen, dem Buch Form zu geben.

Ich danke meinen Freunden Gary Boynton und Judy Boynton für die Ermunterung.

Dem Artist Trust und der Seattle Arts Commission für die Unterstützung, die sie mir gewährt haben.

Nancy Pearl für die Bereitstellung des C. K. Poe Writers Room.

Michael Anthony für die Fahrten durch Rajasthan und das geduldige Beantworten meiner Fragen.

Kakababy, weil sie an mich geglaubt hat.

Meinem Mann, Tom Kirchner, für seine Hilfe und sein Verständnis. Dieses Buch ist auch das seine.

Und zu guter Letzt danke ich Jane Dystel, Miriam Goderich und Rosemary Ashern, den Fachleuten. Ich hatte Glück, daß ich mit einem so hervorragenden Verlagsteam zusammenarbeiten konnte.

Ich schulde Euch allen sehr viel.

BUCH I

Kapitel 1

Sieben ist die Zahl der Verheißung. Das glaubte ihr Volk schon so lange, wie man nur denken konnte. Alle sieben Jahre nahm das Leben einen neuen Lauf.

Aus diesem Grund kam es Meena Kumari auch ganz natürlich vor, daß sie an ihrem siebten Geburtstag, am Tag des Vollmonds, Vishnu Chauhan heiraten würde. Auch Vishnu war sieben Jahre alt. Sie waren zusammen in Karamgar aufgewachsen, einem kleinen Dorf mit nicht einmal hundert Lehmhütten am Rande der großen Wüste Rajasthans. Seit Meena denken konnte, waren sie und Vishnu Freunde. Morgens gingen sie zusammen in die Schule, und nachmittags spielten sie in den Sandhügeln, ließen Drachen steigen, flochten Kränze und Ketten aus Ringelblumen und scheuchten die wilden Pfauen, die in den Dorfstraßen nach Nahrung stöberten.

Am Morgen des Hochzeitstages schaute Meena zu, wie ihre Mutter den braunen Lehmboden ihrer Hütte mit dem Bambusbesen ausfegte. Dies war etwas, das sie jeden Morgen tat, um den Sand zu entfernen, den der Wind über Nacht zu ihnen hereingeblasen hatte. Die runde strohgedeckte Behausung mit den beiden Zimmern lag so dicht an den umliegenden Sanddünen, daß die Kamele ihnen in die Töpfe spucken konnten – jedenfalls sagte das ihr Großvater immer. Die Silhouette ihrer Mutter hob sich im Türrahmen ab, dunkel und groß gegen das Sonnenlicht. Aus ihren schwarzen Zöpfen ringelten sich kleine goldene Härchen in die Luft. Es sah wunderschön aus. Sie trug einen langen Rock, ein weiches, schmiegsames Oberteil und einen breiten Schal, der ihr vom Kopf gerutscht war. Man konnte sie alles fragen. Mataji wußte auf alles eine Antwort.

»Mataji, gehe ich hinterher wieder mit dir nach Hause?« fragte Meena.

Mataji hielt mit der Arbeit inne und schenkte dem kleinen Mädchen ein liebevolles Lächeln. »Habe ich dir das denn noch nicht oft genug erklärt? Ihr beide seid noch zu jung, um zusammenzuleben. Du ziehst erst zu Vishnu, wenn du vierzehn bist.« Sie lachte fröhlich. »Danach wirst du ganz schön viel zu tun haben. Das Haus von Vishnus Familie ist doppelt so groß wie unseres. Aber du wirst dich daran gewöhnen. Genau wie ich damals, als ich zu deinem Vater und seiner Familie gezogen bin. Alle Frauen tun das. Schon seit ewigen Zeiten.«

Vierzehn. Das waren noch einmal sieben Jahre! Noch einmal ein ganzes Leben. Aber es war nur ein kurzer Spaziergang bis zu Vishnus Haus. Kein Grund also, den Kopf hängen zu lassen.

Meena sah aus dem Fenster. Die Sonne schien viel heller als sonst und tauchte alles in ein warmes, goldgelbes Licht. Sie fragte sich, was Vishnu wohl gerade tat.

Am Vortag waren sie nach der Schule bis an den Rand des Dorfes gelaufen und hatten sich dabei zum ersten Mal an den Händen gehalten. Als Meena auf einem Schattenfleck am Boden einen hellen Kieselstein entdeckte, hatte sie ihm den geschenkt und gesagt, er müsse ihn immer behalten. Bis an sein Lebensende. Danach hatten sie an einer Stelle gespielt, wo die Sanddünen an den Feldweg reichten. Sie hatten zugeschaut, wie die Eidechsen aus ihren Löchern huschten, und hatten sich geschworen, daß »Eidechse« von nun an ihr geheimes Losungswort sein würde. Wenn Freunde oder Fremde zu einem von ihnen kämen und »Eidechse« sagten, würden sie immer wissen, daß sie nun eine Nachricht von dem anderen erhielten. Wenn Vishnu zum Beispiel auf die bessere Schule in der großen Stadt geschickt würde, so wie es seine Mutter vorhatte, würden sie sich mit diesem Wort immer nahe sein. Danach waren sie von den Sanddünen aus um die Wette gerannt, bis zu dem Laden mit den Süßigkeiten, der in der Mitte des Dorfes lag. Meena hatte gewonnen, aber der Mann, dem der Laden gehörte, hatte ihr mit dem Finger gedroht und gesagt: »Mädchen rennen nicht! Und schon gar nicht schneller als die Jungen.«

Meena hatte weggeschaut und statt dessen die Lagen Laddoo beäugt, die sich in seinem Schaufenster türmten. Auf der ganzen Welt gab es nichts Besseres als Laddoo aus gestoßenen goldglänzenden Kichererbsen. Vishnu hatte ihre sehnsüchtigen Blicke bemerkt und die wenigen Münzen, die in seiner Hosentasche klimperten, geopfert, um ihr ein Stückchen zu kaufen. Sie hatte gleich die Hälfte davon gegessen. Die andere Hälfte hatte sie Vishnu in den Mund gesteckt. Es gab niemanden, dem sie sonst noch etwas davon abgegeben hätte, außer vielleicht Mataji. Dafür bekam sie solche guten Sachen viel zu selten geschenkt.

»Meena, hör auf zu träumen und komm!« rief die Mutter jetzt.

»Ich bin ja schon da.« Meena flitzte ins Schlafzimmer. Sie hörte, wie der Großvater im Nebenzimmer schnarchte.

Mataji kramte in einer Schublade der alten Kommode und holte eine Dose mit Henna hervor. Sie nahm ein wenig davon heraus, vermischte es in einem Töpfchen mit Wasser und erklärte Meena, daß Rot die heilige Hochzeitsfarbe war und daß drei Teile ihres Körpers damit bedeckt sein mußten, die Fußsohlen, die Handflächen und die Nägel von Zehen und Fingern.

»Aber zuerst wäschst du dir die Füße«, sagte sie. Dann summte sie die Takte eines Brautliedes. Meena fand, daß es ein wenig traurig klang.

Sie nahm den großen Messingkrug, goß sich das Wasser über die Füße, schrubbte sie sauber und trocknete sie ab. Dann setzte sie sich auf den einzigen bequemen Hocker, den es im Haus gab, und sah zu, wie Mataji ihr die Fußsohlen mit der braungrünen Hennapaste bestrich. Es fühlte sich kühl an und kitzelte. Meena wackelte mit den Zehen. Nach kurzer Zeit färbten sich ihre Füße rot. »Weißt du, was das bedeutet?« fragte Mataji schmunzelnd. »Es ist ein sicheres Zeichen, daß Vishnu dich liebt.«

Ihre Berührung war sanft, als sie Meenas Handflächen und Fingernägel bestrich. Meena kam es so vor, als würde Matajis Liebe durch ihre Hände und Füße fließen und von dort aus in den ganzen Körper steigen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte sich vor Freude im Kreise gedreht.

»So, und jetzt ziehen wir dich an«, sagte Mataji.

Später würde Meena sich daran erinnern, wie sie in einen knöchellangen scharlachroten Rock stieg, der mit winzigen achteckigen Spiegelchen verziert war, und wie sie ein passendes kurzärmeliges Oberteil überzog. Diese schönen Sachen konnte man nicht mit den einfachen Baumwollkleidchen vergleichen, die sie sonst immer trug. Mataji hatte lange gespart, um den Stoff zu kaufen, und hatte alles selbst genäht. Meena streifte ein Fußkettchen mit kleinen Silberglocken über, die bei jedem Schritt klingelten. Ihre Arme wurden mit Armreifen und Bändchen voller Schneckenmuscheln geschmückt, und auf ihren Kopf setzte Mataji eine dünne Goldtiara mit Rubinen, die in der Luft zitterte, sobald Meena sich bewegte.

Danach wurde ihr eine goldene Halskette mit einem Medaillon umgelegt. Meena spürte, wie schwer sie war.

»Diese Kette hat meine Mutter mir an meinem Hochzeitstag geschenkt«, sagte Mataji. »Wie oft habe ich daran gedacht, sie zu verkaufen, wenn wir zuwenig Geld hatten! Aber ich habe es nie übers Herz gebracht.«

Als letztes legte Mataji ihr vorsichtig einen durchsichtigen bunten Musselinschleier über den Kopf. Während sie das tat, murmelte sie den Hochzeitssegen. »Möge dieser Schleier dir Freude und Glück für das ganze Leben bescheren.«

Bei dem Geräusch von Schritten, die von draußen kamen, rannte Meena mit gebauschtem Rock zur Tür. Dort stand Tantchen Teelu, Matajis Cousine. Sie war bei weitem nicht so schön wie Mataji, aber sie konnte reden wie der Wind und war die Wortführerin der Dorffrauen. Tantchen Teelu war auf ihrer täglichen Runde durch die Hütten. Eine nutzlose Schwatztante, nannte Mataji sie manchmal hinter ihrem Rücken.

Gähnend und sich den Kopf kratzend, trat nun auch der Großvater aus seinem Zimmer.

»Schau an, da ist ja meine Kleine.« Tantchen Teelu beugte sich nieder und berührte Meenas Kopf, um sie zu segnen. Dann wandte sie sich an Mataji und sagte: »Weißt du was, Gangabai? Meena ist von allen Bräuten die Schönste.«

An diesem Tag sollten achtzehn Jungen und Mädchen in einer gemeinsamen Zeremonie verheiratet werden. Meena kannte die anderen natürlich alle.

»Sie hat so wundervolle grüne Augen«, plapperte Tantchen drauflos und betrachtete Meena entzückt. »Und dann das lange schwarze Haar! Ihr Gesichtchen sieht aus wie das der Göttin Sita. Du kannst wirklich stolz sein, Gangabai.«

Dann setzte sie sich auf einen Hocker und fing an, ihnen haarklein zu berichten, was im Dorf vor sich ging. Wie die Frauen sich tummelten, um sich zurechtzumachen, wie sie das Festmahl zubereiteten und wie bereits die ersten Musikinstrumente gestimmt wurden. Immerhin fand die Hochzeit der Kinder nur einmal im Jahr statt. Wie schön, dachte Meena, daß heute alle glücklich sein konnten und nichts anderes zu tun hatten, als nur zu feiern.

»Ich mache mich dann wohl besser auch mal fertig«, sagte Großvater. »Muß mich noch ein bißchen waschen.« Er spähte in den Messingkrug und stellte fest: »Aber da ist ja kein Tropfen mehr drin!«

»Meena, hast du das ganze Wasser aufgebraucht?« fragte Mataji.

»Ja, aber das wollte ich eigentlich gar nicht«, erwiderte Meena zerknirscht.

»Ich laufe schnell noch einmal los und hole frisches«, sagte Mataji und eilte aus dem Haus zum Dorfbrunnen.

Tantchen Teelu verkündete, daß sie jetzt auch aufbrechen und sich um die anderen Familien kümmern müsse, in denen heute geheiratet würde. Meena konnte hören, wie einer der Nachbarn auf seinem Instrument übte. Es klang wie ein dünner Klageton, der mit dem Wind in die Wüste zog.

Mataji blieb länger fort als gewöhnlich. Nach einer Weile fing Meena an, ungeduldig zu werden. Als die Mutter endlich zurückkehrte, war der Krug nur zur Hälfte gefüllt, und ihr Gesicht war schmerzverzerrt.

»Ich bin gestolpert und habe mir den Fuß verstaucht«, klagte sie. »Deshalb hat es auch so lange gedauert.«

Arme Mataji. Sie hatte so hart für die Hochzeit gearbeitet, war lange nicht richtig zur Ruhe gekommen. Und nun so etwas! Meena lief zu ihr hin und stützte sie. Mataji ließ sich aufseufzend auf den Hocker sinken, aber als sie Meenas bekümmerte Miene sah, sagte sie tröstend: »Schau nicht so geknickt, mein Schätzchen. Gleich geht es mir schon wieder besser.«

Meena bückte sich und begann, ihr den Fuß zu massieren.

Großvater runzelte die Stirn, als er die dicke Schwellung sah. »Schaut gar nicht gut aus«, murmelte er vor sich hin.

»Wieso? Was meinst du denn damit?« wollte Mataji wissen.

Meena wußte nicht, warum ihr Herz plötzlich so heftig pochte.

»Ach, nichts«, erwiderte Großvater. »Gar nichts.«

Etliche der Nachbarn, die von Matajis Mißgeschick gehört hatten, kamen herein und boten ihre Hilfe an. Sie gingen jedoch gleich wieder, nachdem Mataji sie beschwichtigt hatte. »Macht euch keine Sorgen«, sagte sie zu jedem, »der Fuß ist nur ein bißchen angeknackst.«

Kurz danach war es wieder still im Haus.

Mittlerweile hatte Großvater den weißen Anzug mit dem Kasack angelegt, den Schnurrbart getrimmt und sich einen langen fünffarbigen Turban um den Kopf gewunden. Meena fiel auf, daß er trotz der schönen Kleidung weiterhin besorgt dreinschaute.

»Du siehst wundervoll aus, Großvater«, sagte sie, um ihn aufzuheitern. »Und du auch, Mataji.« Mataji glänzte mittlerweile in einem feinen weißen Baumwollsari, den sie nur bei besonderen Anlässen trug.

An den Großvater gewandt, sagte Mataji: »Ich wünschte, Meenas Vater könnte am Hochzeitstag seines kleinen Mädchens dabeisein.« In ihren Augen schimmerten Tränen.

In diesem Moment war es Meena, als ob ihr plötzlich etwas sehr Wichtiges fehle und sie sich gar nicht mehr richtig freuen könne. Ihr Papa war an Malaria gestorben, als sie noch sehr klein war. Sie erinnerte sich nur noch an eine große Gestalt, die sie ab und zu auf den Arm genommen hatte. Mataji hatte ihr oft erzählt, wie sehr sie geweint hatte, als er starb, und daß man ihn hätte retten können, wenn sie genug Geld für die Medizin gehabt hätten.

»Wir müssen uns allmählich sputen«, sagte Großvater und ging auf seinen Stock gestützt nach draußen.

Es war schon später Nachmittag, als sie den schmalen Pfad einschlugen, der sich von ihrer Hütte auf den Hochzeitspavillon zuschlängelte. Unterwegs nickten Meena kleine Ziegen zu, und die Büffel grunzten vor sich hin. In dem satten Sonnenlicht färbten sich der alte Tempel und die kegelförmigen Hüttendächer rotgold. Meena wurde wieder fröhlich, als sie das sah.

Der Weg führte durch ein smaragdgrünes Hirsefeld, wo sich die Halme sachte im Wind wiegten. Während der kurzen Wanderung machte Großvater das, was er am liebsten tat – er erzählte Meena Geschichten aus dem alten Rajasthan.

»Du darfst die große Vergangenheit unseres Volkes niemals vergessen, mein Kind«, begann er. »Dies ist das Land der Rajputen. In uns fließt das Blut von Königen und Kriegern.«

Es waren immer dieselben Geschichten, aber Meena konnte sich trotzdem nie satt hören. Großvaters Stimme wurde wieder volltönend und kräftig, wenn er davon sprach, und nur manchmal begann er zu flüstern, als sei das, was er berichtete, ein Geheimnis, das nur wenige erfahren durften.

»Unsere Könige beherrschten das Land lange bevor die Engländer kamen«, sagte er jetzt und schaute in die Weite. Dann fuhr er seufzend fort: »Aber jetzt ist alles anders geworden. Die Engländer sind weg, doch sie haben uns arm zurückgelassen. Wo sind nur unsere Reichtümer geblieben, und wo ist unser Land? Trotzdem, Meena – denke immer daran, daß wir Rajputen sind. Und darauf sind wir stolz.« Er zwirbelte die Enden seines Schnurrbarts. »Und du bist jetzt eine kleine Prinzessin«, sagte er augenzwinkernd, »die im Begriff ist zu heiraten.«

Meena nahm sich vor, nur zierliche Schrittchen zu machen, so wie es sich für eine Hoheit gehörte.

»An meinem Hochzeitstag«, erzählte Mataji mit feuchten Augen, »habe ich deinen Vater noch gar nicht richtig gekannt. Er kam aus einem anderen Dorf. Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich gefürchtet habe. Du und Vishnu, ihr habt es gut und seid bereits Freunde – das ist viel wert.« Sie blieb stehen und zupfte Meena am Ellbogen. »Schau mal, da vor dir, mein Schatz.«

Hinter einem sanft abfallenden Hügel stand ein großer, goldbestickter Tragehimmel, der sich glitzernd aus dem Wüstensand erhob. Er war über vier Holzpfosten gespannt und mit Seilen und Pflöcken im Boden verankert. Das war der Hochzeitspavillon. Wie ein Zelt ohne Wände. Meena blieb überwältigt stehen.

Großvater deutete auf die Girlanden aus Ringelblumen, die sich in Spiralen um die Pfosten wanden. »Die Blumen sind für den Sonnengott«, erklärte er feierlich.

Meena war so aufgeregt, daß ihr die Kehle eng wurde. Dies war wirklich ein ganz besonderer Tag.

Sie schaute zum Himmel auf. Im Westen hingen tiefe Wolken, schwarz wie Rauch. Meena konnte sich nicht erinnern, jemals so viele dunkle Wolken auf einmal gesehen zu haben.

»Du weißt doch, daß wir Rajputen ein starkes und tapferes Volk sind, nicht wahr?« hörte sie Großvater sagen. »Deine Urururgroßmutter hat früher einmal das Dorf gegen muslimische Eindringlinge verteidigt. Selbst als ihr Mann gefallen war, hat sie nicht aufgegeben. ›Jeden Tropfen meines Blutes werde ich opfern‹, hat sie gerufen, ›doch niemals mein Land!‹«

Als Meena den Pavillon betrat, hallten ihr diese Worte noch immer in den Ohren. Sie ergriff den langen Rock mit beiden Händen, raffte ihn ein wenig in die Höhe und setzte sich auf die Bambusmatte neben Vishnu, ihren zukünftigen Ehemann. Vishnu trug eine weite, weiße Hose, ein weißes Hemd mit Perlknöpfen und eine glänzende blutrote Weste, die mit winzigen Spiegeln besetzt war. Über den dichten geschwungenen Augenbrauen thronte ein schöner roter Turban. Er wirkte älter und ernster, gar nicht mehr wie der lustige Spielkamerad vom Vortag. Meena fiel wieder ein, daß Mataji sie ermahnt hatte, ihm vor dem Ende der Zeremonie nicht in die Augen zu schauen, denn so verlange es der Hochzeitsbrauch der Hindus. Nun, das konnte ihr nur recht sein, denn sie spürte, daß sie mit einem Mal sehr verlegen wurde und ohnehin nicht wollte, daß Vishnu ihr das von den Augen ablas.

Sechzehn weitere prächtig gekleidete, juwelengeschmückte Kinder, die aussahen wie eine Ansammlung bunter Wüstenblumen, saßen sich in zwei Reihen gegenüber. Janu, Meenas Freundin, sprang immer wieder auf und lief zu ihrer Mutter, die sie tröstend in die Arme schloß und dann an ihren Platz zurückführte. Arme Janu, sie haßte ihren Bräutigam, der ihr ständig an den Zöpfen zog. Janus Mutter hatte ihn für sie ausgesucht. Meena wußte, daß sie Glück gehabt hatte. Von allen Jungen im Dorf war Vishnu der Beste und Schönste.

Tantchen Teelu trat mit drei anderen Frauen in das Hochzeitszelt. Sie trugen Tabletts voller Ketten aus weißem Jasmin. Jedes Kind bekam eine davon um den Hals gelegt. Meena atmete den süßen Geruch ein und lauschte den Klängen der Flöte, die angefangen hatte zu spielen.

In der Zwischenzeit hatten sich die Erwachsenen in zwei Kreise um die Kinder gesetzt und die Handflächen aneinandergelegt. Etliche der Frauen hielten Säuglinge an der Brust. Jeder war da – außer Onkel Arvind, der jüngere Bruder von Mataji. Er war Getreidehändler im Nachbardorf und kam immer zu spät.

Meena hob den Blick und sah, wie der Priester unter den Baldachin trat. Er trug ein bodenlanges, safrangelbes Gewand und schritt bis zum Ende der Kinderreihe, wo er sich im Lotussitz niederließ. Sein Kopf war kahlrasiert, und die Brust war frei – bis auf die heilige Schnur, die sich über den Oberkörper spannte und allen verkündete, daß er zu den Weisen gehörte. Auf seiner Stirn befand sich das Priesterzeichen aus weißer Sandelholzpaste. Meena versuchte, sich kleiner zu machen. Noch nie hatte sie eine so wichtige Person von nahem gesehen. Feierlich begann er die Zeremonie. Der Priester sprach von der Entstehung der Erde und davon, wie Gott Brahma Mann und Frau erschaffen hatte. Als er die Eigenschaften der Frau aufzählte, lächelte Meena stolz.

»Zart wie der Morgentau,sanft wie das Reh,stark wie die Löwinund mutig wie die Tigerin.«

Wie gut es doch ist, eines Tages eine Frau zu sein, dachte sie. Mataji sagte immer, daß die Frauen im alten Indien hohes Ansehen genossen hatten.

Mit geschlossenen Augen sandte der Priester die Hochzeitsgebete an Gott Ganesch, den dickbäuchigen Gott mit dem Elefantenkopf.

»O Herr des Glücks ...lenke diesen Hochzeitstag,schenke das Mädchen mit reinem Herzendem würdigen Bräutigam ...«

In bestimmten Abständen öffnete der Priester die Augen, tauchte die Finger in eine Schale mit geschmolzener Butter und schnipste ein paar Tropfen der Flüssigkeit in die Flammen des Feuers, das vor ihm brannte. Dieses Feuer, das die Gottheit Agni symbolisierte, war Zeuge der heiligen Handlung. Die Butter zischte, eine der Flammen loderte auf und brannte heller. Ein nußartiges Aroma erfüllte den Raum und vermischte sich mit dem Moschus des brennenden Sandelholzes. Meena zog die süßen Duftschwaden durch die Nase in sich hinein.

Nachdem der Priester die Gottheiten angerufen hatte, forderte er die Hochzeitspaare auf, das Feuer siebenmal zu umrunden. Dazu verknotete er den Hemdsaum des Bräutigams mit dem langen Schleierende der Braut; dieser Knoten stand für den Bund der Ehe. Während der ersten drei Umrundungen mußten die Jungen vorangehen, doch bei den letzten vier Malen waren es die Mädchen, die vor den Jungen einherschritten. Der Priester erklärte, daß die Mädchen den Kreis deshalb einmal mehr anführen durften, damit sie später diejenigen waren, die den Haushalt regierten. Meena ging ganz langsam. Sie konnte den Blick nicht von den Flammen lösen. Bestimmt macht das Feuer mich stark, dachte sie, für später, wenn Mataji nicht mehr bei mir ist.

Der Priester sagte ihnen das Ehegelübde vor, das sie Satz für Satz nachsprachen. »Mit diesen sieben Kreisen wirst du der Gefährte meines Lebens. Wir vermählen Hände, Sinne und Herz, so daß sie bei dem, was wir tun, gemeinsam handeln.« Der Gesang des Priesters schwoll an. Meena wurde es ein bißchen schwindlig, während sie den letzten Kreis vollendete. Sie war erleichtert, als der Priester sie aufforderte, zurück an ihre Plätze zu gehen.

»Nimm deine Braut bei der Hand«, unterwies er danach die Jungen, die ihn mit ernsten Augen ansahen. »Damit gelobst du, sie zu schützen und zu ehren.«

Vishnu umschloß Meenas Hand mit seinen schmalen Fingern, und Meena fing ganz leicht an zu zittern. Die liebevolle Berührung, zaghaft und doch schon voller Kraft, würde sich für alle Zeiten in ihre Seele graben.

Der Priester setzte die Gebete fort. Sie machten Meena schläfrig, doch dann knuffte Vishnu sie einmal ganz kurz mit dem Ellbogen in die Seite, und sie war wieder hellwach. »Und nun, Kinder«, sagte der Priester schließlich, »legt euch die Ketten um. Immer eine Kette um ein Paar, damit aus zweien eines wird.«

Meena hob die Jasminkette hoch, um sie um Vishnus Hals zu legen, doch als sie sie über seinen Kopf streifte, löste sich eine Blüte und fiel zu Boden. Sie erschrak, denn sie wußte, daß dies ein böses Omen war.

Danach trug ihnen der Priester auf, sich in die Augen zu sehen. Meena wurde rot. Das hatte sie absichtlich noch nie getan, und sie wollte nicht, daß Mataji ihr dabei zuschaute. Aber sobald sie Vishnu anblickte, gab es nur noch ihn. Seine Augen leuchteten wie zwei Sterne. Meena wurde es ganz froh ums Herz, und sie lächelte ihm zu wie einem Menschen, den man sehr liebhat.

»Jetzt seid ihr Mann und Frau.« Der Priester ließ segnende Reiskörner auf sie herabregnen, die mit Kurkuma und Rosenblätter gefärbt worden waren. Danach war die Zeremonie zu Ende. Meena stand auf und ließ ihre Armreifen gegen die von Janu und der anderen Bräute klirren. Wie auf ein Stichwort brach dabei die untergehende Sonne durch die Wolken, und die Gesichter erstrahlten.

Dann hörte Meena, wie Mataji zusammen mit den anderen Müttern in hohen Tönen ein Freudenlied anstimmte, das von dem zarten Klang der Zimbeln untermalt wurde.

Vor dem Tragehimmel begann Vishnus Vater, auf der Tabla zu trommeln, und kündigte damit den Beginn des eigentlichen Festes an. Nach kurzer Zeit wirbelten seine Finger so schnell durch die Luft, daß man ihnen kaum noch mit den Augen folgen konnte. Anschließend spielte Janus Vater eine wehmütige Melodie auf der einsaitigen Ektara. Die Hochzeit, das wußte Meena, war zugleich ein frohes wie trauriges Ereignis für die Braut, denn um dem Mann in ein neues Leben zu folgen, mußte sie das vertraute Heim und die Eltern verlassen.

Inmitten eines Tanzlieds trat Tantchen Teelu mit einer Schar anderer Frauen unter die Feiernden. Sie trugen riesige Tabletts, auf denen sich Süßigkeiten in allen Farben des Regenbogens türmten. Meena nahm sich ein mit Kardamom gewürztes Cremestückchen. Als der erste Bissen in ihrem Mund zerschmolz, schloß sie selig die Augen. Ob Vishnu auch einmal davon kosten wollte? Sie drehte sich zu ihm um, doch seine Blicke hafteten an einer Gruppe von Volkstänzern, die gerade eine knifflige Schrittabfolge durchführten. Bei anderen Hochzeiten, auf denen Meena gewesen war, hatte sie sich jedesmal daruntergemischt und mitgetanzt. Aber heute ging das nicht, heute war sie die Braut. Sie war ein bißchen enttäuscht, daß sie nur zusehen durfte.

Als es Abend wurde und sich die Dämmerung auf sie herabsenkte, lösten sich die Hochzeitsgäste in Grüppchen auf und zogen langsam wieder zurück ins Dorf. Meena hätte sich ihnen gern angeschlossen, denn die Aufregungen dieses Tages hatten sie müde gemacht.

»Bleibt nicht zu lange, Gangabai«, warnte Tantchen Teelu Mataji, während sie ihre Siebensachen zusammenraffte. »Wenn es dunkel ist, kann alles mögliche passieren. Schau nur, wie tief die Wolken am Himmel hängen.«

»Ich muß noch auf Arvind warten. Er nimmt uns später auf seinem Kamel mit zurück«, erwiderte Mataji. »Außerdem kann ich mit dem Fuß noch immer nicht so recht auftreten. Kümmere dich nicht um uns, Teelu. Uns geschieht schon nichts.«

Eine Familie nach der anderen brach auf. Meena sah, wie Vishnu ihr ein Aufwiedersehen zuwinkte und seinen Eltern folgte. Doch auf dem Weg drehte er immer wieder den Kopf zu ihr um.

Meena winkte ihm nach. Sie würde gleich am nächsten Morgen zu ihm laufen, um mit ihm zu spielen.

Es verstrich eine weitere halbe Stunde. Ein paar Leute blieben noch zurück, machten Ordnung und sangen ein Abschiedslied. Meena wurde ungeduldig. Der Großvater hustete, und Matajis Knöchel war jetzt so dick angeschwollen, daß sie die Sandale ausziehen mußte. Noch immer keine Spur von Onkel Arvind.

»Mein nichtswürdiger Bruder«, schnaubte Mataji. »Wieder einmal läßt er uns im Stich. Wahrscheinlich macht er gerade wieder ein wichtiges Geschäft.«

Da stieg am Horizont eine Staubwolke auf, und man sah, wie zwei Kamelreiter näher kamen. Ob das Onkel Arvind war, der mit einem Freund zu ihnen geritten kam? »Sieh mal, Mataji!« Meena stupste ihre Mutter an und deutete nach Westen.

»Na endlich«, sagte Mataji.

Sie wanderten den Reitenden entgegen, wobei Mataji bei jedem Schritt das Gesicht verzog. Großvater humpelte auf seinen alten Beinen neben ihnen her, hieb mit dem Stock nach den Disteln, die ihnen im Weg standen, und grummelte etwas vor sich hin.

Weit hinten am Horizont zuckte ein Blitz über den Himmel, und dann brach der Donner los. Es war, als hätte eine böse Hexe ihre Dämonen entfesselt.

Die Männer auf den Kamelen konnte man jetzt schon besser erkennen. Sie trugen perlenbestickte schwarze Westen, die in der Dämmerung schimmerten. Es war schon so lange her, seit Meena Onkel Arvind und seine Freunde zum letzten Mal gesehen hatte, daß sie nicht recht wußte, ob sie sie wiedererkennen würde.

Plötzlich packte Mataji sie am Arm und riß sie an sich.

Die Männer hielten die Kamele an und glitten von den Rücken hinab. Der erste von beiden, der groß und kräftig aussah, eilte auf sie zu und streckte die Arme aus. Das ist gar nicht Onkel Arvind, ging es Meena durch den Kopf.

Mataji stellte sich schützend vor sie und fing an, wütend auf den Mann einzuschlagen. Als er sie zurückstieß, krallte sie sich an ihn und zerkratzte ihm den Arm.

»Na warte«, knurrte er, als er das Blut auf dem Arm hervortreten sah. Er schwang einen Knüppel und hieb ihn Mataji über den Kopf. Mataji stieß einen Klagelaut aus, fiel zu Boden und blieb stöhnend liegen. Er schlug noch einmal zu und noch einmal, bis sie sich nicht mehr bewegte.

»Mataji!« Meenas Schrei klang wie der eines Tieres. Mataji hob den Kopf und schaute zu ihr hin. Doch dann wurden ihre Augen glasig, und ihr Kopf fiel zurück. Ein Schauder ging durch ihren Körper. Danach lag sie ganz still. Leuchtendrotes Blut sickerte aus der Stelle an ihrer Stirn, wo sie der erste Schlag getroffen hatte. Der lotusweiße Sari färbte sich im Wüstensand gelb.

»Du hast sie erledigt«, sagte der zweite, kleinere Mann, der nun ebenfalls näher gekommen war.

Meena stand wie erstarrt. Was sagte er da? Er konnte doch nicht etwa glauben, Mataji sei tot! Das war ja gar nicht möglich.

Großvater ließ sich neben Mataji auf die Knie fallen und legte den Kopf an ihre Brust. Anschließend richtete er sich auf und verfluchte die Männer mit lauter Stimme.

Der kleinere Mann, dessen tätowierte Stirn von dunklen Locken bedeckt wurde, grinste Meena an. Mit groben Händen stieß er sie auf die Knie und griff nach der rubinbesetzten Tiara. Meena fiel mit dem Gesicht auf den Sand. Die goldene Halskette fand er jedoch nicht, denn sie war unter ihrem Leibchen verborgen. Er stopfte sich die Tiara ins Hemd. Dann drehte er sich zu seinem Kamel um und brüllte: »Runter!« Das hellbraune Tier sank auf die Knie und ließ sich dann auf den Hinterbacken nieder. Ehe Meena wußte, wie ihr geschah, hatte der Mann sie am Arm gepackt, hochgerissen, über den Sattel geworfen und war hinter sie geklettert. Großvater schaffte es, wieder aufzustehen und mit dem Stock nach ihm zu schlagen.

Doch der Mann wand ihm den Stock aus den Händen und schleuderte ihn in das nahe gelegene Gestrüpp. Mit einem hämischen Lachen rief er: »Troll dich nach Hause, Alter! Du hast hier nichts mehr verloren.« Er riß die Zügel nach hinten und zwang das Kamel wieder hoch auf die Knie.

»Laß mich los!« schrie Meena gellend. Der Mann stieß ein höhnisches Gelächter aus. Das Kamel stellte sich auf die Beine, machte ein paar Schritte rückwärts und setzte sich dann langsam in Bewegung. Meena spürte, wie sich der Säbelgriff des Mannes in ihren Rücken bohrte.

»Mataji ... Großvater ...« rief sie. Ihr Körper flog auf und ab, Sie schaute zurück. Auch der große Mann hatte sein Tier bestiegen und ritt nun hinter ihnen her. Mataji lag auf dem Boden, ein heller Fleck auf der dunklen Erde. Wenn ich doch nur nicht das ganze Wasser aufgebraucht hätte, dachte Meena, dann wäre Mataji nicht umgeknickt und hätte mit uns weglaufen können.

Sie sah, wie einer der Hochzeitsgäste aus dem Zelt gestürmt kam und hinter ihnen herrannte. Aber er war zu langsam für die Kamele, die nun anfingen zu traben. Schon nach kurzer Zeit wurden die strohgedeckten Hütten, der Tempel und die Getreidesilos immer kleiner und verschwanden schließlich ganz aus Meenas Blick.

Wieso kommt nicht das ganze Dorf hinter uns her, um die Männer zu verfolgen? fragte sie sich verzweifelt. Doch dann fiel ihr ein, daß niemand im Dorf ein Kamel besaß.

Anschließend verlor sie jedes Zeitgefühl. Es kam ihr vor, als würden sie ewig unter dem Vollmondhimmel über die karge Ebene reiten.

Der Wind wurde immer kräftiger und trieb dicke Staubwolken vor sich her. Das Kamel hinter ihr stieß seltsame Grunzlaute aus.

Der große Mann brüllte: »Es kommt ein Sandsturm auf!«

Meena erinnerte sich an die Geschichte eines Nachbarn, der in der Wüste in einen solchen Sturm geraten war und von dem man nie wieder etwas gehört hatte.

»Zieh dir den Schleier über«, befahl ihr der kleine Mann von hinten. Als Meena sich umblickte, stellte sie fest, daß er sich ein Tuch um das Gesicht geknotet hatte.

Sie gehorchte. Sie hatte bereits Sand eingeatmet, der ihr in der Kehle kratzte. Mit einem Mal packte ein Windstoß den Schleier und riß ihn mit sich fort. Der bunte Stoff flatterte in der Luft und verschwand aus ihren Augen. Sie preßte das Gesicht in das Kamelfell und biß die Zähne zusammen. Sie würde nicht weinen.

Nach langer Zeit ließ der Wind so plötzlich nach, wie er eingesetzt hatte. Der Himmel klarte auf, und auch der Mond war wieder zu sehen. Eine Weile später ließen sie die Wüste hinter sich und gerieten auf eine befestigte Straße. Meena setzte sich auf. Die Blüten ihrer Jasminkette waren weggeweht, übriggeblieben war nur noch die Schnur um ihren Hals. Meena faßte sie an und kam sich sehr klein und verlassen vor. Es war das erste Mal, daß sie von ihrer Mataji getrennt worden war. Alles, alles würde sie dafür geben, um wieder dorthin zu gelangen, wo sie hingehörte. Vielleicht konnte sie es ja schaffen zu entkommen, wenn sie sich einfach von dem Kamel hinunterfallen ließe! Nein, das war zu hoch. Sie würde sich weh tun und bestimmt nicht mehr laufen können.

Eigentlich hätte sie jetzt doch gern geweint, aber dann drangen ihr die Worte des Großvaters wieder ans Ohr. Sie war eine kühne und tapfere Prinzessin, eine Rajputin, die sich weder fürchtete noch anfing zu weinen. Sie setzte sich gerade hin und schwor ihren Vorfahren, daß sie sich verhalten würde, wie es der Tradition entsprach.

Die Sterne standen schon hoch am Himmel, als sie eine Bahnstation erreichten, die, trotz der späten Stunde, noch fast so belebt war wie am Tage.

»Na, da haben wir es wenigstens bis Bikaner geschafft«, sagte der kleine Mann hinter ihr. Er befahl den Kamelen, sich hinzulegen. Dann stieg er ab, packte Meena mit seinen schmutzigen Händen und zog sie zu sich auf den Boden.

Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete sie ihre Umgebung. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie einen solchen Lärm gehört oder so viele Menschen auf einmal gesehen. Sie ließ den Blick an dem gelben Sandsteingebäude hochwandern. Als sie in die Lampen schaute, die auf dem Dach befestigt waren, schloß sie geblendet die Augen. Ganz aus der Nähe hörte man das Knattern von Motorrollern und das Kreischen von Autobremsen – Geräusche, mit denen sie kaum etwas anzufangen wußte. Fast hätte sie vor Staunen vergessen, daß sie in den Händen von Räubern war.

Mit einem Mal stieß ein dritter Mann zu ihnen. Auch er trug eine schwarze Perlenweste. Nachdem er ein paar Worte mit dem großen Mann gewechselt hatte, zog er die Kamele hoch und führte sie fort.

Dann ertönte plötzlich ein ganz neues Geräusch. Meena blickte verwirrt um sich und entdeckte einen Zug, der näher keuchte und schnaufend zum Stehen kam. Er stieß dicke Rauchwolken aus, die Meena einhüllten. Bis zu diesem Augenblick hatte sie nur aus Erzählungen gehört, daß es Züge gab. Sie fand, daß der Zug wie Rayana aussah, der Dämon, der die Göttin Sita entführt hatte.

»Ich will nach Hause«, rief sie und wollte sich umdrehen, um wegzulaufen.

Der kleine Mann packte sie, legte ihr eine schmierige Hand auf den Mund und sagte drohend: »Du gibst jetzt keinen Mucks von dir, du kleines Luder, sonst kannst du was erleben.« Er deutete auf den Säbel an seinem Gürtel und fing schallend an zu lachen, als er die Angst in ihren Augen sah.

Meena schaute trotzig zu Boden. Dann würde sie mit dem Fortlaufen eben noch warten.

Als die Räuber sie in den überfüllten Zug schoben, fing sie lauthals an, zu schreien und um sich zu treten, doch die anderen Passagiere, die darauf aus waren, freie Sitzplätze zu ergattern, nahmen keine Notiz von ihr.

Im Abteil warfen ihr die beiden Räuber böse Blicke zu und setzten sie zwischen sich auf eine rohe Holzbank. Meena schaute sie wütend an, sagte aber nichts mehr, obwohl es ihr nach dem langen Ritt weh tat, auf der harten Bank zu sitzen. Außerdem hatte sie schrecklichen Durst. Der kleine Mann legte die Weste ab und zog sich das Hemd über den Kopf. Dabei streifte er seine Haare hoch, und Meena erkannte, daß die Tätowierung auf seiner Stirn aus dem Wort »Dieb« bestand. Als er ihren Blick bemerkte, strich er sich die Haare rasch wieder zurück. Sein Rücken war schweißnaß, und sein Körper roch wie alter Reis. Er mußte sich schon sehr lange nicht mehr gewaschen haben.

Der große Mann, dessen Augenränder so gelb verfärbt waren wie der Bauch einer Eidechse, musterte Meena von der Seite. Dann stieß er seinem Kumpan den Ellbogen in die Rippen und sagte feixend: »Mann, da haben wir uns ja ein nettes kleines Miststück geschnappt.« Die Kratzspuren auf seinem Arm, deren Blut jetzt getrocknet war, hatten sich dunkel verfärbt.

Miststück! Meena wußte, daß man Mädchen so nicht nennen durfte. Nur die bösen Jungen in der Schule benutzten solche Ausdrücke. Der kleine Mann kicherte. »Wir werden ja sehen, wieviel die uns in Delhi bringt.«

In Delhi? Meena stockte der Atem. Sie war schon mal dabeigewesen, als die Leute sich Geschichten erzählten von Räubern, die Mädchen aus Dörfern in große Städte verschleppten, um sie dort zu verkaufen. Wenn man sich wehrte, wurde man getötet. Sie bekam eine Gänsehaut. Doch sie riß sich sofort wieder zusammen und ermahnte sich, daß eine Rajputin keine Furcht zeigen durfte. Irgendwie mußte es ihr gelingen zu fliehen, ehe der Zug Delhi erreichte.

Die beiden Männer hatten mit ihr eine Sitzbank belegt, auf der noch weitere Leute Platz finden konnten. Ein Junge, der ein Bündel an sich gepreßt hielt, wollte sich zu ihnen setzen, doch der große Mann stieß ihn grob zu Boden und zischte: »Hau ab, Kleiner!« Der Junge machte, daß er schleunigst wieder auf die Beine kam, und verschwand in dem Gewühl der anderen Fahrgäste.

Nachdem der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, streiften Meenas Blicke durch das Abteil. Bei den Fahrgästen handelte es sich hauptsächlich um Männer, die sich, wenn sie keinen freien Sitz gefunden hatten, überall dort hingehockt hatten, wo zwischen Getreidesäcken, zusammengerolltem Bettzeug und hochbeladenen Körben Platz vorhanden war. Meena nahm den süßen Geruch von Mangofrüchten wahr. Als sie den Kopf in den Nacken legte und nach oben schaute, sah sie, daß ein Junge über ihr im Gepäcknetz lag. Ein Mann spuckte auf den Fußboden und wurde von seinen Nachbarn ausgeschimpft. Ein anderer nieste mehrmals hintereinander und zog die Nase hoch. Trotzdem war in Meenas Augen keiner der anderen so schmutzig und abstoßend wie die beiden, die sie geraubt hatten. Die Nacht zog sich dahin. Gelegentlich fing einer der anderen Fahrgäste ihren Blick auf und begann daraufhin eine geflüsterte Unterhaltung mit seinem Nachbarn. Meena hätte gern gewußt, ob sie etwas ahnten. Vielleicht sollte sie einfach vom Sitz aufspringen und um Hilfe rufen.

Der kleine Mann schien ihre Gedanken zu lesen, denn er knurrte etwas zwischen den Zähnen hervor und umklammerte ihren Arm. Seine Blicke durchbohrten sie wie Schwerter. Der große rückte noch dichter an sie heran.

Mittlerweile quälte Meena ein unerträglicher Durst. Sie dämmerte in halbwachem Zustand vor sich hin und stellte sich vor, wie sie Großvater von diesem Erlebnis berichten würde. Im Geiste sah sie ihn vor sich auftauchen und hörte ihn sagen: »Diese Unmenschen werden dich nicht bei sich behalten. Du bist stärker als sie.« Danach lächelte er ihr beruhigend zu und trat wieder in die Dunkelheit zurück.

Der Zug fuhr in die nächste Bahnstation ein. »Chai«, rief ein Verkäufer auf dem Bahnsteig. Meena setzte sich auf und hoffte, daß man ihr eine Schale Tee kaufen würde.

»Du bezahlst«, befahl der kleine Mann dem großen.

»Hab' aber diesmal kein Bargeld erwischt«, beschwerte der sich. »Nur Schmuck.« Er kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche, stand auf und ging ans Fenster.

Meena reckte den Hals und erblickte einen Teeverkäufer. Es war ein junger Mann in weißem Baumwolldhoti, der draußen auf dem Bahnsteig Tee in Tonschalen schenkte und sie den Fahrgästen ans Fenster hielt.

Für sie wurde kein Tee gekauft. Meena schaute zu, wie die Räuber den Tee mit gierigen Zügen schlürften und sich danach schmatzend die Lippen leckten. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Sie warf einen flehenden Blick auf einen alten verhutzelten Mann mit Turban, der einen Korb voller Mangofrüchte neben sich stehen hatte.

Er sah zu ihr hin und fragte dann den großen Räuber: »Möchte Ihr Töchterchen denn nicht auch ein wenig Chai?«

»Sie hat keinen Durst«, kam es schroff zurück.

Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Aber es ist doch schon spät«, sagte er, »und sie ist noch so klein. Das Kind muß doch etwas zu trinken bekommen.«

»Peetaji, bitte«, sagte Meena zu dem großen Räuber. »Verehrter Vater« hieß das. Sie schämte sich augenblicklich, daß sie gebettelt hatte.

Der Alte starrte den großen Mann vorwurfsvoll an, woraufhin dieser widerwillig mit den Achseln zuckte und knurrte: »Macht, was ihr wollt.«

Der alte Mann reichte Geld aus dem Fenster und hielt Meena eine gefüllte Teeschale hin. Er hatte zittrige Hände, aber das faltige Gesicht und die freundlichen Augen glichen denen von Großvater. Meena trank den Tee mit großen Schlucken und schloß dabei die Augen, weil es so guttat. Als sie ausgetrunken hatte, machte sie es den anderen Fahrgästen nach und warf die leere Schale aus dem Fenster. Sie zerbarst auf dem Bahnsteig, aber das Geräusch ging im Pfeifen der Lokomotive unter, die sich erneut in Bewegung setzte.

Meena schloß die Augen und fiel in einen unruhigen Dämmerschlaf. Als der Zug zu einem abrupten Halt kam, schreckte sie auf. Die beiden Männer neben ihr schliefen. Der kleinere schnarchte mit offenem Mund. In der schwachen Beleuchtung des Abteils traf ihr Blick auf den des alten Mannes. Er legte den Finger auf die Lippen und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Dann richtete er sich auf und rief ein über das andere Mal: »Der Schaffner kommt« – so lange, bis die Räuber aufwachten und sich die Augen rieben.

Meena merkte, wie es in ihrem Bauch anfing zu kribbeln, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

Die Fahrgäste, die keine Fahrkarte besaßen, rafften Taschen und Kisten zusammen und drängten sich hastig zum Ausgang. Die beiden Räuber fingen an, miteinander zu tuscheln.

»Seit wann wird denn im Nachtzug kontrolliert?« fragte der Kleinere. »Meinst du, der Schaffner schmeißt uns raus?«

»Wahrscheinlich muß man ihm was in die Hand drücken«, erwiderte der Große. »Womöglich erkundigt er sich auch nachdem kleinen Miststück hier. Komm, laß uns verschwinden. Wir nehmen den nächsten Zug.« Er stand auf.

»Los, Mädchen, mach, daß du auf die Beine kommst!« schnauzte der Kleine Meena an. Er packte sie an ihrem Leibchen und zerrte sie hinter sich her dem Ausgang zu.

»Nein – laß mich hier!« rief sie, beugte sich vor und biß ihm in die Hand. Er stieß einen Wutschrei aus und ließ sie los. Meena duckte sich unter ihm weg und drängte sich an den Aussteigenden vorbei ins Abteil zurück. Wie eine Rajputin habe ich das gemacht, dachte sie triumphierend. Einer der Fahrgäste nutzte die Gelegenheit und stieß den Räuber in den Rücken, so daß er hinter seinem Kumpan aus dem Zug taumelte.

Meena hatte unterdessen bei dem alten Mann Zuflucht gesucht und spähte aus dem Fenster. Sie sah, daß der Kleinere draußen stolperte und ihm dabei die Tiara aus dem Hemd fiel.

»Haltet ihn!« rief sie und beugte sich aus dem Fenster. »Er ist ein Dieb. Es steht auf seiner Stirn. Er hat meine Tiara gestohlen!«

Der große Mann drehte sich um, schüttelte die Faust und rief: »Das wird dir noch mal leid tun – dafür werde ich sorgen!«

Im Schein der Bahnhofslampen funkelten Rubine. Meena sah, wie die Tiara unter die Füße der aussteigenden Fahrgäste geriet. Sie ließ das Fenster los und wollte aus dem Zug stürzen, um sie zu retten, aber eine Hand packte sie und hielt sie zurück.

»Vergiß die Tiara«, besänftigte sie der alte Mann. »Der da darf dich nicht mehr in die Finger bekommen.« Er deutete aus dem Fenster. Der Zug hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Draußen lief der große Räuber am Wagen entlang. »Gebt mir meine Tochter raus«, rief er. »Die Kleine ist meine Tochter, und –«, aber was auch immer er noch hinzufügte, wurde vom Kreischen der Räder verschluckt.

Ein magerer, einäugiger Mann streckte den Kopf aus dem Fenster. »Hau ab«, rief er dem großen Mann zu. »Hau ab, du Drecksack.« Der Zug wurde schneller. Meena linste hinaus. Der große Räuber lief noch ein paar Meter mit, aber dann blieb er stehen und schaute hilflos hinter ihnen her.

Meena setzte sich auf die Holzbank. Im Zug war es still geworden. Die anderen Fahrgäste starrten sie neugierig an.

Doch ehe jemand etwas sagen konnte, ging die Abteiltür auf und der Schaffner trat ein. Als er Meena entdeckte, schaute er in die Runde und fragte: »Zu wem gehört die Kleine?«

Mit einem Mal hatte jeder etwas zu sagen. »Einer nach dem anderen, bitte«, befahl der Schaffner, woraufhin alle verstummten.

»Sie ist die Tochter des Königs der Diebe.« Ein schmächtiger Mann gestikulierte aufgeregt mit den Armen. »Die Tochter von Krishna Dev. Er wird von der Polizei gesucht. Sehen Sie nicht, wie ähnlich sie ihm ist?«

Meena wollte den Mund aufmachen und etwas sagen, doch ein anderer Mann kam ihr zuvor. »Erzähl doch keinen Quatsch«, schnaubte er verächtlich. »Das ist Jaya, die jüngste Prinzessin von Bikaner. Die Mistkerle haben sie geraubt, um Lösegeld zu fordern. Ist doch klar – sonst wäre sie doch nicht so schön und hätte auch nicht so feine Sachen an. Außerdem hat sie genauso grüne Augen wie die Prinzessin Jaya. Wenn ihr nichts dagegen habt, bringe ich sie später wieder zurück.«

Grüne Augen wie die Prinzessin Jaya? Mataji hatte Meena erzählt, daß sie die Augen ihres Vaters hatte, der von den Pathanen im Nordwesten des Landes abstammte.

»Ich habe die Männer zwar nur flüchtig gesehen, als sie hinter dem Zug herliefen«, sagte der Schaffner zu den Umstehenden, »aber ich glaube, ich weiß, wer sie sind. Keine Sorge, die werden schon noch geschnappt.«

Er winkte Meena freundlich zu sich. »Du kommst mit mir. Ich suche dir ein ruhigeres Plätzchen.«

Er öffnete die schwere Eisentür zum nächsten Abteil. Meena folgte ihm. Sie gingen durch etliche Wagen, bis sie ein Abteil erreichten, das viel größer war als die anderen und gepolsterte Sitze besaß. Es war leer, bis auf ein Paar mittleren Alters, das ihnen verwundert entgegenblickte.

»Jetzt bist du in der ersten Klasse«, sagte der Schaffner. »Hier kannst du den Rest der Nacht schlafen, und niemand tut dir etwas zuleide. Morgen früh sind wir in Delhi, und dann gehen wir zur Polizei. Mal schauen, ob die uns helfen können.«

Meena setzte sich auf einen der weichen Sitze. Sie entdeckte, daß ihr Rock zerrissen und ihr Leibchen schmutzig geworden war. Ihr schönes Hochzeitskleid! Sie spürte die Blicke des Paares auf sich, sah zu ihnen hoch und erschrak. Die Augen, die ihr entgegenschauten, waren so blaß wie der frühe Morgenhimmel. Meena hatte gar nicht gewußt, daß es Menschen mit solch einer Augenfarbe gab.

Die Haut der beiden war hell, fast weiß. Meena vermutete, daß es Europäer waren, von denen sie im Schulbuch Abbildungen gesehen hatte. Der Mann war größer als Großvater und schon ein bißchen kahlköpfig. Die Frau, die ein wenig fülliger war als Mataji, trug ein dunkles Kleid und eine Brille. Ihre Lippen waren so rot wie Hibiskusblüten und die Locken so gelb wie Ringelblumen. Ein großer hellgrauer Schal lag um ihre Schultern. Sie machte den Mund auf und redete in einer Sprache mit dem Schaffner, von der Meena annahm, daß es sich um Englisch handelte. Meena selbst kannte nur das englische Alphabet und ein paar einfache Wörter, deshalb verstand sie nicht, worüber geredet wurde. Aber jedesmal, wenn sie einer von ihnen ansah, wurde sie unruhig.

Die Frau griff in eine schwarze Tasche und zog etwas bunt Eingewickeltes daraus hervor, das sie Meena hinhielt. Meena nahm es vorsichtig in die Hand. Es war hart, aber das Papier glänzte silbrig. Zu guter Letzt machte sie es auf. Drinnen befand sich eine dunkelbraune Kugel. Die Frau lächelte sie an und bedeutete ihr, sie in den Mund zu stecken. Meena gehorchte. Es schmeckte süß und gut. Sie schloß die Augen, rückte sich auf dem Sitz zurecht und lehnte den Kopf an die weichgepolsterte Wand. Nach einer Weile war sie eingeschlafen.

Am Morgen wurde sie vom Quietschen der Bremsen geweckt. Der Zug rollte in den Bahnhof von Delhi. Am Fenster zogen graubraune Rauchschwaden entlang, und die Luft roch seltsam. Der große graue Schal der Frau war über sie gelegt worden. Er hatte sie warm gehalten, während sie schlief.

Wieder bemerkte Meena, daß die blassen Augen auf ihr ruhten. Sie schaute aus dem Fenster auf den langgestreckten Bahnsteig. Dort schliefen Kinder auf Strohmatten, ungeachtet der zerlumpten Kulis, die mit schweren Koffern auf dem Kopf über sie hinwegstiegen. Auf einer Bank saß eine Frau, die aussah wie Mataji. Sie flocht die Zöpfe eines kleinen Mädchens. Händler schoben Karren aneinander vorbei, die mit allem möglichen beladen waren, von Spielsachen bis zu Flaschen mit Mandelmilch. Ein Bettler ohne Arme wand sich durch die Menge. Meena überlief ein Schauder. Jetzt war sie also in der großen Stadt Delhi! Was für ein lautes, schreckliches Durcheinander hier herrschte.

Der Schaffner kam in das Abteil zurück. »Na, hast du ein bißchen geschlafen?« erkundigte er sich.

Meena nickte. Sie war hungrig. Aber noch stärker als der Hunger war ihre Ungeduld, endlich wieder nach Hause zu gelangen. »Wann kann ich zu meiner Mataji?« wollte sie wissen.

»Sobald wir erfahren, wo deine Mataji wohnt«, erwiderte der Schaffner.

Er unterhielt sich einen Moment lang mit dem fremden Paar und wandte sich dann erneut an Meena. »Das sind Mr. und Mrs. Gossett. Die Herrschaften nehmen uns mit zum Polizeirevier. Ihr Fahrer wartet draußen vor dem Bahnhof.«

Während der Schaffner noch ein paar Dinge erledigte, wartete Meena mit Mr. und Mrs. Gossett im Bahnhofsgebäude. Ein Händler kam an ihnen vorbei. Seine dunklen Augen spähten unter einem großen flachen Korb hervor, den er auf dem Kopf trug. »Jilebi!« rief er. »Frische Jilebi!« Beim Duft der in Sirup getränkten Schmalzkringel lief Meena das Wasser im Mund zusammen. Offenbar bemerkten ihre neuen Begleiter das, denn sie winkten den Händler zu sich und kauften ihr zwei davon. Sie wurden ihr auf einem Tellerchen aus geflochtenen Bambusblättern gereicht. Meena brach einen der Kringel auseinander. Sie wollte nicht schlingen und stopfte sich zuerst nur ein kleines Stückchen in den Mund. Doch dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen und machte sich gierig über den Rest her. Zum Schluß leckte sie sich die Siruprestchen von den Fingern ab.

Im Polizeirevier, einem häßlichen Backsteingebäude, in dessen Vorgarten kümmerliche Pflanzen wuchsen, wimmelte es von Männern in Khakiuniformen. Einige von ihnen trugen Gewehre über der Schulter.

Mr. und Mrs. Gossett, der Schaffner und Meena nahmen auf einer harten Bank Platz und warteten, bis sie an die Reihe kamen. Zwischendurch erhob sich der Schaffner einmal, ging hinaus und kam mit Bechern voller Tee zurück, die er bei einem Straßenhändler gekauft hatte.

Nach endlos langer Zeit trat ein Polizeioffizier aus einem der Büros und gab ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen. Meena erblickte einen riesigen Schreibtisch, auf dem kaum etwas lag, ein paar wacklige Stühle und Aktenberge, die in schiefen Türmen auf dem Fußboden in die Höhe ragten. An der Wand tickte eine Uhr. Der Polizeioffizier zog einen Block hervor, schlug ihn auf und begann, ihnen Fragen zu stellen. Als erstes sprach er mit dem Schaffner in Hindi und danach mit dem Paar englisch. Die Antworten schrieb er alle fein säuberlich nieder.

Schließlich wandte er sich an Meena. »Kannst du mir sagen, wie die beiden Räuber ausgesehen haben?«

Meena fing an, die beiden zu beschreiben. Der Polizeioffizier hörte ihr aufmerksam zu, nickte ab und zu mit dem Kopf und meinte zuletzt empört: »Wie es scheint, machen die beiden wieder die alten Mätzchen. Aber wir kriegen sie schon noch. Jetzt sagst du mir erst einmal genau, wo du herkommst, ja?«

»Aus Karamgar«, antwortete sie stolz. »Es liegt in der Wüste.«

»Das ist bestimmt im Nordwesten von Rajasthan«, warf der Schaffner ein.

»Da hast du aber einen ganz schön weiten Weg hinter dich gebracht, mein Kind.« Der Polizeioffizier zog die Schreibtischschublade auf, entnahm ihr eine Karte, studierte sie eine Weile und schüttelte dann den Kopf. »Ein Dorf mit dem Namen Karamgar gibt es hier nicht. Bist du ganz sicher, daß dein Dorf so heißt?«

Natürlich war sie sicher! Meena machte den Mund auf, um ihm das zu sagen, aber er winkte ab.

»In Indien gibt es mehr als fünfhunderttausend Dörfer. Auf der Karte sind nur die Orte verzeichnet, in denen es ein Postamt gibt. Und da ist kein Karamgar bei.«

Von Postämtern wußte Meena nichts.

Der Polizeioffizier stand auf, bedeutete ihnen jedoch, sitzen zu bleiben. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er.

Die Uhr an der Wand schlug elfmal. Meena wurde unruhig. Es wurde höchste Zeit für sie, nach Hause zu kommen. Sie mußte nachsehen, wie es Mataji ging, ihr helfen, die Wäsche zu waschen, Körner zu stampfen und das Essen zuzubereiten. Wer würde denn für Großvater Wasser schöpfen gehen? Und was war mit dem Lehrer in der Schule? Würde er jetzt nicht glauben, daß sie einfach geschwänzt hätte? Und Vishnu erst! Er würde gar nicht begreifen, daß sie nicht gleich am Morgen wieder zu ihm gekommen war.

Endlich kehrte der Polizeioffizier zurück. Er klappte den Block aufseufzend zu und sagte an den Schaffner gewandt: »Immer das gleiche Spiel. Als hätten wir nicht schon genug Kinder, von denen keiner weiß, wo sie hingehören.«

»Läßt sich denn gar nichts unternehmen?« wollte der Schaffner wissen.

»Kein Mensch weiß, wo dieses Nest liegt. Offenbar gibt es dort weder Post noch Telefon. Und wir haben weiß Gott nicht genug Leute, um nach einem Dorf zu suchen, dessen Name nirgendwo verzeichnet ist. Sie kann hier warten, bis wir sie in einem Waisenhaus untergebracht haben.«

Der Schaffner und das Ehepaar fingen an, auf den Polizeioffizier einzureden. Meena verstand, daß sie den Polizeibeamten bewegen wollten, mit größerer Sorgfalt nach ihrem Dorf zu suchen.

Schließlich hob der Polizist die Hände in die Höhe und sagte auf Hindi: »Es bleibt dabei. Wir haben nun einmal nicht genug Personal. Außerdem kann es sein, daß die Familie sie gar nicht mehr will. Immerhin ist sie geraubt worden. Für die Leute da hinten in den Wüstendörfern bedeutet das häufig, daß sie entehrt ist.« Er hielt inne und sagte zu dem Schaffner: »Wenn sie das Schicksal nicht mit diesen Herrschaften zusammengeführt hätte, wäre sie auf der Straße gelandet.«

Danach schloß sich ein längeres Gespräch mit Mr. und Mrs. Gossett an, an dessen Ende er ihnen etliche Formulare überreichte, die sie unterschrieben.

Mrs. Gossett hockte sich zu Meena nieder, so daß sie sich auf einer Augenhöhe befanden, und lächelte freundlich. Mr. Gossett schaute zu ihr hinab und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Meena wich an die Wand zurück.

»Die Herrschaften kommen aus Amerika«, erklärte ihr der Schaffner. »Zur Zeit leben sie in Delhi. Du wirst jetzt mit ihnen gehen. Sie haben keine Kinder. Du hast großes Glück gehabt.«

»Ich will zu meiner Mataji!«

»Das geht nicht«, sagte der Schaffner. »Aber mach dir keine Sorgen. Mr. und Mrs. Gossett werden sich gut um dich kümmern.«

Meena sah den Polizeioffizier an. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.

Meena spürte, wie sich alles in ihr sträubte. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden geworfen und um sich geschlagen. Ich bleibe nicht bei euch, schwor sie sich. Mataji kommt ohne mich gar nicht zurecht, und Vishnu wird außer sich sein vor Kummer. Ich werde allen Leuten im Dorf fehlen. Ich bin dort geboren, und ich kehre auch wieder dorthin zurück. Das werdet ihr schon noch sehen. Immerhin bin ich eine Rajputin.

Und dann fing sie an zu weinen.

BUCH II

Kapitel 2

Meenas erster Arbeitstag nach Moms Tod war ein Alptraum. In ihrem Eingangskorb türmten sich drei Wochen alte Papierberge, und auf dem Computerbildschirm vor ihr befand sich eine endlos lange Reihe von unbeantworteten E-Mail-Nachrichten. Das Telefon klingelte ohne Unterlaß.

Zum ungezählten Mal an diesem Tag hob sie den Hörer ab und meldete sich mit »SIC, Software International, Meena Gossett am Apparat.« Als sie sich vorbeugte, um den Notizblock näher zu ziehen, verhedderte sich die Schnur des Telefons in einem Papierstapel aus Memos und anderen Unterlagen, und die Blätter segelten zu Boden. Meena unterdrückte einen Fluch, drehte den Sessel zum Fenster und schaute hinaus auf das Finanzviertel von San Francisco.

»Hallihallo«, tönte es ihr entgegen. »Ich weiß, daß morgen der große Tag ist. Die Drei und die Fünf, stimmt's?«

Als Meena Kazukos Stimme erkannte, breitete sich ein Lächeln über ihrem Gesicht aus. Nun mußte die Arbeit eben noch ein bißchen länger warten. Sie lehnte sich im Sessel zurück und legte die Füße auf die Fensterbank.

»Ob du es glaubst oder nicht«, sagte sie. »Das hätte ich beinahe vergessen.«

Meine Güte, wie rasch das vergangene Jahr verflogen war! Sie warf einen Blick auf das Gesicht, das sich im Fensterglas spiegelte. Die Frau, die ihr entgegensah, machte einen verbissenen Eindruck und glich einer Hundertjährigen. Na ja, vielleicht nicht ganz so schlimm. In den vergangenen Wochen und Monaten hatte es einfach zu wenig Grund gegeben, unbeschwert und fröhlich zu sein. Gut, daß ihr wenigstens die langen schwarzen Haare noch bis zur Taille reichten; dadurch sah sie wenigstens halbwegs fraulich aus.

»Fünfunddreißig ist eine wichtige Zahl«, teilte Kazuko ihr gerade mit. »Alle sieben Jahre bekommen wir einen neuen Körper, wußtest du das? Das habe ich jedenfalls gelesen. Es ist, als trennten wir uns von – oh, warte mal – hier kommt gerade ein anderes Gespräch. Ich bin gleich wieder da.«

Fünfunddreißig. Fünf mal sieben. War sie wirklich schon durch fünf Zyklen gegangen? An ihrem siebten Geburtstag hatte sie geheiratet und war danach in einen Wirbelsturm geraten, der sie bis nach San Francisco geführt hatte. Mit vierzehn hatte sie dort den großen Forschungspreis der Lick Wilmerding High School gewonnen und sich nebenbei zu einer der fünf schnellsten Läuferinnen der Schule entwickelt. Und Mom hatte die Nase gerümpft und gesagt, daß sie mit ihrem klugen Köpfchen nun wirklich nicht auch noch sportlich sein müsse. Als sie einundzwanzig wurde, hatte sie zu Dads großer Freude ihr Informatikstudium in Stanford aufgenommen und war außerdem bis über beide Ohren in einen Mann verliebt gewesen, der ein Motorrad besaß und damit Rennen fuhr. Letzteres hatten weder Mom noch Dad verstanden, und sie selbst eigentlich auch nicht, wenn sie ehrlich war. Als Achtundzwanzigjährige war sie bereits seit fünf Jahren Chefprogrammiererin bei SIC – Software International. Kurz darauf wurde sie zur Entwicklungsleiterin für das Datenbanksystem COSMOS befördert. Mom und Dad waren im siebten Himmel gewesen, und sie selbst auch.