Die Sonntagsevangelien im Lesejahr C - Anke Lechtenberg - E-Book

Die Sonntagsevangelien im Lesejahr C E-Book

Anke Lechtenberg

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Beschreibung

"Neuevangelisierung" der Gesellschaft als Allheilmittel ohne gravierende Kirchenreform? Das ist nicht die Vision des Lukasevangeliums. Mit beinahe jedem Wort stellt es Bilder einer neuen Welt vor Augen, die sich in der Schar der Jüngerinnen und Jünger Jesu verwirklichen soll und verwirklichen kann – vorausgesetzt, die Botschaft Jesu bliebe kein Bekenntnis, sondern würde zum Lebensstil. Ob der Evangelist Lukas schon zu seiner Zeit vor allem herausfordern und aufregen wollte, um anregend zu wirken? – Möglich. Im 21. Jahrhundert ist seine Frohe Botschaft eine geradezu erschütternde Erinnerung daran, was und wie Kirche sein könnte, und ein heilsames Kontrastprogramm auf der Suche nach einem christlichen Lebensstil.

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Die Sonntagsevangelien im Lesejahr C

Anke Lechtenberg

Die SONNTAGSEVANGELIENim Lesejahr C

Auslegungen für Predigt und Meditation

Verlag Friedrich Pustet

Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2024 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | [email protected]

ISBN 978-3-7917-3535-1

Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de

Umschlagbild: Majestas Domini, Krypta der Kathedrale von Auxerre (11. Jh.),

Foto: Hervé Champollion / akg-images

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2024

eISBN 978-3-7917-6262-3 (epub)

Unser gesamtes Programm finden unter

www.verlag-pustet.de

Inhalt

Vorwort

Als geistliche Menschen leben Einführung

ADVENT

Teil des Problems oder Teil der Lösung? Erster Adventssonntag: Lk 21, 25–28.34–46

Wenn Gott geschehen darf Zweiter Adventssonntag: Lk 3,1–6

Was uns wandelt Dritter Adventssonntag: Lk 3,10–18

Annehmen Vierter Adventssonntag: Lk 1,39–45

DIE WEIHNACHTSZEIT

Gottes Initium als bleibender Anfang Weihnachten – In der Heiligen Nacht: Lk 2,1–14

Lesehilfe Gotteswort Weihnachten – Am Morgen: Lk 2,15–20

Das Reifen der Gotteskinder Fest der Heiligen Familie: Lk 2,41–52

Wenn Christen an einen Juden glauben Hochfest der Gottesmutter Maria: Lk 2,16–21

Wann wird die Wahrheit an uns sichtbar? Zweiter Sonntag nach Weihnachten: Joh 1,1–18 (oder Weihnachten – Am Tag)

Ein weiteres Wort zum Wort Zweiter Sonntag nach Weihnachten: Joh 1,1–18

Von der Bedeutsamkeit des Irregulären Erscheinung des Herrn: Mt 2,1–12

Kein Gott der Sintflut Taufe des Herrn: Lk 3,15–16.21–22

FASTENZEIT

Teuflische Kompensationen Erster Fastensonntag: Lk 4,1–13

Wi(e)der Ägypten in unseren Herzen Zweiter Fastensonntag: Lk 9,28b–36

Die Pädagogik Jesu Dritter Fastensonntag: Lk 13,1–9

Von zwei verlorenen Söhnen Vierter Fastensonntag: Lk 15,1–3.11–32

Gesetz und Gnade Fünfter Fastensonntag: Joh 8,1–11

DIE KAR- UND OSTERTAGE

Den Traum Gottes mitträumen Palmsonnntag: Lk 19,28–40

Nach dem Bilde deines Sohnes bilde uns Gründonnerstag: Joh 13,1–15

Die Bombe fällt nie Karfreitag: Joh 18,1–19,42

Sich hineinziehen lassen Ostern in der Nacht: Lk 24,1–12

Von der Fülle der Leere Ostersonntag am Tag: Joh 20,1–18

DIE OSTERZEIT

Stärker als der Tod ist die Liebe Ostermontag: Lk 24,13–35

Von der Notwendigkeit des Zweifels Zweiter Ostersonntag: Joh 20,19–31

Die Hebammenkunst der Liebe Dritter Sonntag der Osterzeit: Joh 21,1–19

Stimmig werden Vierter Sonntag der Osterzeit: Joh 10,27–30

Lieben lernen, wie er dich liebt Fünfter Sonntag der Osterzeit: Joh 13,31–33a.34–35

Wie findet man den Himmel auf der Erde? Christi Himmelfahrt: Lk 24,46–53

In Anspruch genommen als Christusbeweis Siebter Sonntag der Osterzeit: Joh 17,20–26

Verbundenheit Pfingsten: Joh 20,19–23

HERRENFESTE IM JAHRESKREIS

Wahrheit in Beziehung Dreifaltigkeitssonntag: Joh 16,12–15

Gegen den Tod am Brot allein Fronleichnam: Lk 9,11b–17

Wi(e)der die Moral Heiligstes Herz Jesu: Lk 15,3–7

SONNTAGE IM JAHRESKREIS

Kein magenschonender Kamillentee 2. Sonntag im Jahreskreis: Joh 2,1–11

Worte, die man glaubt 3. Sonntag im Jahreskreis: Lk 1,1–4; 4,14–21

Anders als gedacht – immer 4. Sonntag im Jahreskreis: Lk 4,21–30

Lebendig werden und lebendig machen 5. Sonntag im Jahreskreis: Lk 5,1–11

Die Kraft der Sehnsucht 6. Sonntag im Jahreskreis: Lk 6,17–18a.20–26

Universale Menschlichkeit 7. Sonntag im Jahreskreis: Lk 6,27–38

Feindesliebe – ein zweiter Anlauf 7. Sonntag im Jahreskreis: Lk 6,27–38

Schönheit kommt von innen 8. Sonntag im Jahreskreis: Lk 6,39–45

Herrschaftswechsel 9. Sonntag im Jahreskreis: Lk 7,1–10

Gottes Aufstand gegen die Tode 10. Sonntag im Jahreskreis: Lk 7,11–17

Die Ordnung Gottes 11. Sonntag im Jahreskreis: Lk 7,36–8,3

Von der Ohnmacht der Liebe 12. Sonntag im Jahreskreis: Lk 9,18–24

Nach vorn 13. Sonntag im Jahreskreis: Lk 9,51–62

Neuevangelisierung, intern 14. Sonntag im Jahreskreis: Lk 10,1–12.17–20

Erbarmen – sonst nichts 15. Sonntag im Jahreskreis: Lk 10,25–37

Berufung, jenseits der Rollenklischees 16. Sonntag im Jahreskreis: Lk 10,38–42

Beten im Sinne Jesu 17. Sonntag im Jahreskreis: Lk 11,1–13

Richtig herum leben 18. Sonntag im Jahreskreis: Lk 12,13–21

Wo du gerade stehst, ist heiliges Land 19. Sonntag im Jahreskreis: Lk 12,32–48

Fehlende Wandlungsbereitschaft 20. Sonntag im Jahreskreis: Lk 12,49–53

Die enge Tür des eigenen Herzens 21. Sonntag im Jahreskreis: Lk 13,22–30

Grundgesetz des Gottesreiches 22. Sonntag im Jahreskreis: Lk 14,1.7–14

Liebe ist Arbeit 23. Sonntag im Jahreskreis: Lk 14,25–33

Er trägt uns alle nach Hause 24. Sonntag im Jahreskreis: Lk 15,1–32

Lernen, wovon wir leben 25. Sonntag im Jahreskreis: Lk 16,1–13

Unterm Blickwinkel der Ewigkeit 26. Sonntag im Jahreskreis: Lk 16,19–31

Vergebungsbereitschaft 27. Sonntag im Jahreskreis: Lk 17,5–10

Dankbarkeit pro nobis 28. Sonntag im Jahreskreis: Lk 17,11–19

Mit Gott um Gott ringen 29. Sonntag im Jahreskreis: Lk 18,1–8

Gnadenloses Monologisieren 30. Sonntag im Jahreskreis: Lk 18,9–14

Herunterkommen 31. Sonntag im Jahreskreis: Lk 19,1–10

Vom „Ich bin da“ im Leben und im Sterben 32. Sonntag im Jahreskreis: Lk 20,27–38

Nüchternes Vertrauen 33. Sonntag im Jahreskreis: Lk 21,5–19

Befreit von falschen Gottesbildern Christkönigssonntag: Lk 23,35b–43

Dank

Literatur

Vorwort

Angesichts rasant sinkender Kirchenmitgliedszahlen geht seit geraumer Zeit verstärkt die Rede von der Notwendigkeit einer sogenannten „Neuevangelisierung“ der Gesellschaft. Gemeint ist dann meistens, dass die christliche Botschaft intensiver verkündet werden müsse, um die Menschen neu zu Gott und/oder zur Kirche zu „bekehren“.

Der Evangelist Lukas, dessen Botschaft das Lesejahr C prägt, erzählt ganz anderes. Er, der „Kirchen-Evangelist“ schlechthin, stellt seinen Leserinnen und Lesern mit beinah jedem Wort Bilder einer neuen Welt vor Augen, die sich in der Schar der Jüngerinnen und Jünger Jesu verwirklichen soll und verwirklichen kann – vorausgesetzt, die Botschaft Jesu bliebe kein Bekenntnis, sondern würde zum Lebensstil. Gemessen an den lukanischen Visionen liegt so die Erkenntnis geradezu auf der Hand, dass die vielbeschworene Neuevangelisierung zuallererst die Kirche selbst betrifft. Dazu allerdings bräuchte es die Bereitschaft, die Orientierung am Evangelium höher zu stellen als die Tradition der Tradition um der Tradition willen. Im Horizont des Lukas-Evangeliums mutet es jedenfalls geradezu grotesk an, dass ausgerechnet diejenigen, die die Zukunft der Kirche in der Neuevangelisierung der Gesellschaft sehen, damit vielfach die Idee verbinden, die Kirche selbst könne bleiben, wie sie ist.

Wer – wie Religionslehrerinnen und Religionslehrer – intensiv mit jungen Menschen zu tun hat, die oder der weiß, dass sie weder gottlos noch selbstverliebt noch leidenschaftslos sind. Wie alle Generationen vor ihnen suchen sie nach Sinn, nach Tiefe im Leben, nach dem, was uns Menschen hält und trägt. Sie schätzen Authentizität, lassen sich begeistern für das Gute und engagieren sich großherzig, wenn sie fühlen, dass sie etwas bewegen können. Sie treffen aber auf ein kirchlich verfasstes Christentum, das – wie die Schülerin einer Abiturklasse sich ausdrückte – „den aufregenden Charme eines Kühlschranks versprüht und noch dazu undemokratisch rüberkommt und von alten, weißen Männern dominiert wird. Wen soll das interessieren?“ Es ist die Kirche selbst, die sich exkulturiert hat, indem sie die Zeitgenossenschaft, die das II. Vatikanische Konzil als Relevanzkriterium und Auftrag formulierte, durch mangelnde Wandlungsbereitschaft aufgekündigt hat. Deutliche Protestrufe, dass es so nicht weitergehen könne, gab es in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder: 1995 das Kirchenvolksbegehren, 2011 das sogenannte Theologenmemorandum, zuletzt der Synodale Weg. Eine Kirchenhierarchie, die all das als irrelevant abtut oder die sich anmaßt, es als ungeistlich abzuwerten, darf sich nicht wundern, wenn sie die Früchte erntet und selbst als ungeistlich und irrelevant erfahren wird. Schlimm, wirklich schlimm ist allerdings, dass sie so auch die Botschaft, für die sie steht, unter ihre eigenen Räder kommen lässt.

Ob der Evangelist Lukas schon zu seiner Zeit vor allem herausfordern und aufregen wollte, um anregend zu wirken – möglich. Im 21. Jahrhundert ist seine frohe Botschaft eine geradezu erschütternde Erinnerung, die als heilsames Kontrastprogramm nach vorne wirksam werden will. Dafür lässt Lukas nicht locker.

Als geistliche Menschen lebenEinführung

„Das, was die Lebendigkeit, die Authentizität, die Verständlichkeit und die Glaubwürdigkeit des Christentums in unserer Zeit und in unserer Welt erneuern kann, ist eine Kultur des geistlichen Lebens“, so Tomáš Halik,1 Professor für Soziologie und Pfarrer der Akademischen Gemeinde Prag. Wieviel Wahres da dran ist, lässt gerade der Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen erfahrbar werden. Junge Menschen, die auf dem Sprung sind, in ihr eigenes Leben hineinzufinden, reagieren mit großem Interesse, wo immer Religion und Glaube so erschlossen werden, dass deutlich wird: Es geht ums echte Leben, um die tiefste Sehnsucht menschlicher Herzen, um persönliche Beziehung zu dem, was wir Gott nennen, und um Selbstwerdung, das heißt: ums lebenslange Hineinreifen in die schönste Variante unserer selbst, die Gott in uns angelegt hat. Damit ist keine privatisierende Innerlichkeit gemeint, sehr wohl aber das Abenteuer, die Verbundenheit mit Gott das alltägliche Leben durchdringen zu lassen.

Genau das ist ja ursprünglich gemeint, wenn früheren Generationen sehr missverständlich verkündet wurde, Ziel menschlichen Lebens sei es, in den „Himmel“ zu kommen. „Himmel“ ist nicht „Jenseits“, sondern Ausdruck der Transzendenz, der verborgenen Gegenwart des Göttlichen mitten im Leben und dann darüber hinaus. Deshalb besteht auch „Sünde“ nicht eigentlich darin, sich moralisch verfehlt zu haben, sondern der Verbundenheit mit Gott und unserer Selbstwerdung im Wege zu stehen. Jesus, in allem uns gleich außer der Sünde (Hebr 4,15), ließ Gott durch sein ganzes Leben hindurchstrahlen. Er lebte so transparent für Gott, dass Menschen ihn als „Sohn Gottes“ bezeichnen konnten. Als geist licher Mensch zu leben, meint deshalb, in der Spur Jesu selber zu werden, was wir im Innersten sind: Töchter und Söhne Gottes.

So verstanden wird deutlich, dass Christ-Sein kein zwanghafter Krampf moralisch angestrengter Anständigkeit ist und sich ebenso wenig darin erschöpft, Kirchengebote oder Sonntags „pflichten“ zu erfüllen. Stattdessen geht es darum, Christus ähnlich und also heilig, das heißt: „ganz“ und heil, zu werden. Der Christ, die Christin ist und soll sein ein „alter Christus“, ein anderer Christus, so konnte es der Kirchenvater Cyprian auf den Punkt bringen – nicht als Gleichmacherei mit Jesus, sondern durch die eigene Persönlichkeit hindurch, mit den eigenen Talenten und in den individuellen (Aus-)prägungen der persönlichen Biografie. Das heißt aber auch: Alles muss mit auf diesen Weg der Wandlung: alle Lebenserfahrungen, alle Ängste, alle Verletzungen, alle inneren Widerstände.

Spätestens an dieser Stelle könnte und müsste man zu Recht natürlich fragen: Wie soll denn das gehen, wo uns die Psychologie seit Sigmund Freud erklärt, wie viele Persönlichkeitsanteile unserem bewussten Zugriff entzogen sind? Fußt die angestrengte Moralverkündigung der letzten christlichen Jahrhunderte nicht auch auf der irrigen Vorstellung, wir könnten durch bloßen Willensentschluss und mit guten Vorsätzen bessere Menschen werden? Bereits der Apostel Paulus beklagte doch: „Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will.“ (Röm 7,20) Welch ein psychisch „normal-gestörter“ Mensch, so könnte man im Anschluss an seine Worte fragen, will denn schon absichtlich und aus freien Stücken wirklich böse sein? Sind es, wenn man genau hinschaut, nicht eher Unglück, Verzweiflung, Ängste, innere Prägungen und tiefgreifende Muster …, die Menschen aus uns machen, die wir eigentlich gar nicht sein wollen?

Stimmt, weiß die spirituelle Tradition des Christentums zu solchen Einwänden zu sagen: Wir können im geistlichen Leben von uns aus gar nichts bewirken. Die Wandlung, um die es geht, bewirkt Gottes Wirken in uns. Unsere Aufgabe liegt darin, ihm dabei möglichst wenig im Weg zu stehen. Was es braucht, ist unsere Offenheit, Gott an uns geschehen zu lassen. „Harmlos“ ist das dennoch nicht, denn es geht um nicht weniger als ums Neugeboren-Werden, wie es Jesus im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus formuliert (vgl. Joh 3,3).

Wie aber „geht“ das nun konkret? Am intensivsten in der regelmäßigen Pflege von Stille und Meditation. Jesus rät seinen Jüngern, sich in ihre Kammer zurückzuziehen, wenn sie beten (vgl. Mt 6,6), denn der unmittelbare Raum göttlichen Wirkens liegt innen, in uns selbst. Deshalb braucht es „Zeit-Räume“, sich dem Geist Gottes, der verwandelnd in uns wirkt, zu öffnen. Große und viele Worte gilt es dabei nicht zu machen, ganz im Gegenteil: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden“, sagt Jesus (Mt 6,7). Es genügt, unsere Seelenlandschaft wie einen Acker still vor Gott auszubreiten, ihn zu bitten, nach uns zu schauen, und ihm wie einem behutsamen Gärtner zu erlauben, den Boden zu lockern, das Unkraut zu sammeln, seine Liebe auszusäen und die sprießenden Pflänzchen zu hüten und zu hegen. Er wird es tun. Und in uns reift seine Gegenwart – ganz so, wie Jesus es vom Sämann und der selbstwachsenden Saat beschrieben hatte: Es wird Tag und Nacht, „der Same geht auf und wächst – und er weiß nicht wie.“ (Mk 4,27)

1Tomáš Halik, Die Zeit der leeren Kirchen, 199.

Dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter.

(Lk 21,28)

Teil des Problems oder Teil der Lösung? Erster Adventssonntag: Lk 21, 25–28.34–46

Der Advent jedes Lesejahres beginnt damit, uns apokalyptische Szenarien vor Augen zu führen. Gibt es nichts Wohltuenderes zu sagen in die vor uns liegenden Wochen? Krisen haben wir doch selbst bereits genug – so sehr, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff „Krisenmodus“ 2023 zum Wort des Jahres wählte. Sie begründete diese Entscheidung mit der Feststellung, der krisenhafte Ausnahmezustand sei inzwischen zum Dauerzustand geworden.

Genau darin allerdings unterscheiden sich unsere Krisen von der, die die jüdische Apokalyptik beschreibt. Sie lässt nämlich keinen endlos furchtbaren Dauerzustand anklingen. Sie erzählt den Untergang des Alten als Sehnsucht nach dem Rettungshandeln Gottes, das in Wandlung und Neuwerden mündet. Deshalb besteht die Sinnspitze der Apokalyptik nicht darin, Angst zu verbreiten vor dem Ende der Welt, sondern die Hoffnung auf Gott groß zu halten und sich ihr hier und jetzt zur Verfügung zu stellen. Aus diesen Zusammenhängen gewinnt der Advent seinen Ernst und seine Tiefe, und das gilt auch für die Krisen unserer Zeit:

Wir plündern die Erde aus als hätten wir eine zweite im Gepäck. Unser Wohlstand verursacht Hunger und Armut in vielen anderen Ländern. Die ungebremste Klimaerwärmung ruiniert die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Populisten befinden sich auf dem Vormarsch, und als Kirche verweigern wir uns den wirklichen Herausforderungen unserer Zeit, indem wir die besten Energien in internen Diskussionen verpuffen lassen, die seit 50 Jahren bereits dieselben sind.

Wenn wir die Trauer zulassen, dass so viel guter Wille ins Leere läuft und so viele Chancen vertan werden, ahnen wir, aus welcher Tiefe die Bitten des Advents aufsteigen, Gott möge den Himmel aufreißen und herabkommen. Dann aber fühlen wir auch die Leidenschaft dieser Sehnsucht und die Größe der adventlichen Hoffnung. Sie reicht tiefer als die Bitte der Kinder, es möge nun endlich Weihnachten werden, tiefer auch als das Verlangen nach gemütlichen Stunden. Es geht im Advent um die Sehnsucht erwachsener Menschen, die sich nicht damit abfinden können und wollen, dass die Welt ist, wie sie ist.

Jesus fordert dazu auf, sich aufzurichten, das Haupt zu erheben und wach zu sein; sich innerlich weder wegzubeamen noch stumpf mit dem Alltagsgeschäft zufriedenzugeben. Er will uns als aufmerksame Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die darum wissen, dass Gott nicht (nur) in den frommen Ecken des Lebens auf uns zukommt, sondern in der ganzen Wirklichkeit, die uns umgibt. In diesem Bewusstsein gilt es, die Krisen und die Traurigkeit, die Verwirrung und die Sehnsucht, die sie in unseren Herzen auslösen, als ein Hintreten vor den Menschensohn lesen zu lernen und zu begreifen: Krise ist nicht Untergang, sondern – apokalyptisch im besten Sinne – der Aufruf zu einer Entscheidung. Gottes Kommen kommt auch als Frage auf uns zu, und sie lautet: Wie will ich am Ende gelebt haben, um nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung gewesen zu sein?

Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes.

(Lk 3,2)

Wenn Gott geschehen darfZweiter Adventssonntag: Lk 3,1–6

Der Evangelist Lukas lässt die Vorgeschichte des öffentlichen Wirkens Jesu mit einem Paukenschlag beginnen: Er präsentiert die politischen und religiösen Größen seiner Zeit in der Absicht, sie mit einem einzigen Verb direkt wieder von der Bühne zu fegen. „Egeneto“ heißt es und versteckt sich hinter der deutschen Übersetzung „Da erging in der Wüste das Wort Gottes“. Wörtlicher müsste es heißen: „Da geschah in der Wüste das Wort Gottes“.

Für die bibelkundigen Leserinnen und Leser des Lukas korrespondiert „egeneto“ mit dem hebräischen Verb „wajehi“ zu Beginn des Schöpfungsberichts und assoziiert: Jetzt geht Gott selbst ans Werk. Jetzt tritt etwas ins Leben, das man nicht selber machen kann; etwas, das man geschehen lassen muss, dem man sich höchstens öffnen kann, um ihm möglichst wenig im Wege zu stehen. Deshalb sind die vermeintlich großen Größen aus Politik und Religion überhaupt nicht von Belang, meint Lukas. Was wirklich wichtig ist, geschieht, wenn Gott geschehen darf. Für diesen Perspektivwechsel steht Johannes der Täufer und seine „Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“.

Wir sind es gewohnt, den Begriff „Sünde“ mit moralischen Verfehlungen zu assoziieren. Die Bibel definiert die Sünde sehr viel tiefer als den menschlichen Hang, nicht Gott geschehen zu lassen, sondern das Leben lieber in die eigene Hand zu nehmen. Als treibendes Grundgefühl identifiziert sie in der symbolischen Erzählung vom Sündenfall Misstrauen und Angst. Angst hat viele Gesichter, doch ihr letztes ist hinter jeder Angst die Fratze des Todes, die Angst, zugrunde zu gehen. Angst giert deshalb nach Macht und Kontrolle. Sie verleitet uns, eng und knauserig zu denken, Mauern zu errichten und die Menschen um uns herum als feindlich zu empfinden. Angst kann verführen, Sicherheit durch Eindruck zu generieren und sich über das eigene „Normalmaß“ hinaus aufzublähen. Oder sie verlockt zum Gegenteil: sich klein zu machen und auf falsche Weise anzupassen.

Der Täufer Johannes muss verstanden haben, dass angesichts der Angst als Wurzelgrund der Sünde moralische Ermahnungen nicht genügen. Wenn die Umkehr, zu der er aufruft, wesentlich werden soll, muss sie tiefer reichen. So beginnt er zu taufen und schafft damit eine Erfahrung, die über die bekannten rituellen Selbstwaschungen des Judentums weit hinausreicht: Wer zu Johannes in den Jordan steigt, wird eingeladen, tatsächlich zugrunde zu gehen. Doch anders als in allen anderen Religionen taucht man sich nicht selber unter, man wird getaucht. Darin liegt die Erfahrung, im Zugrundegehen nicht ins Nichts zu fallen, sondern dem wahren Grund des Lebens zu begegnen, der uns hält und trägt.

Umkehr besteht deshalb nicht bloß darin, ein moralisch besserer Mensch zu sein; auch nicht darin, alle religiösen Regeln und Gebote pflichtgetreu erfüllen zu wollen. Bemerkenswert ist ja, dass Johannes am Tempel und seinem Kultbetrieb „vorbei tauft“ und das heißt: Es geht um Existenzielleres als das Erfüllen moralischer oder religiöser Vorgaben. „Metanoia“ als Umlernen und Neuwerden entsteht daraus, den Himmel unmittelbar nah zu wissen und sich der Güte Gottes (wieder) anzuvertrauen. Solche Umkehr braucht die Bereitschaft, das Loslassen zu üben, um Gott geschehen zu lassen und ihm nicht mit unserer Angst um uns selbst im Weg zu stehen.

Es kommt aber einer, der stärker ist als ich.

(Lk 3,16)

Was uns wandelt Dritter Adventssonntag: Lk 3,10–18

Johannes der Täufer stellte den Menschen seiner Zeit einen Messias vor Augen, der erst einmal ordentlich aufräumen wird, der die Schaufel schon in der Hand halte, um seine Tenne zu reinigen, und der die Spreu in nie erlöschendem Feuer verbrennen werde. Doch der, der dann kam, war ganz anders, denn er wird nicht müde werden, von einem Gott zu erzählen, der das Verlorene sucht und dem Verirrten nachläuft. Zärtlichkeit statt Strafe, gütige Geduld statt Zorn – so hat Jesus Gott bezeugt. Nicht mit Druck und niemals mit erhobenem Zeigefinger kommt er auf uns zu, sondern immer in Liebe. Und warum? Weil wir Menschen uns nicht durch Drohungen oder unter Druck verändern. Wir passen uns den widrigen Umständen vielleicht besser an oder wir lernen es, uns geschickter zu schützen. Doch von innen her verwandeln können uns nur Wohlwollen und Liebe. Angenommen zu sein, bejaht zu werden, vertrauen zu dürfen – das ist der Sommerwind, der aus erstarrten Eiswüsten blühende Seelen-Landschaften macht. Nur geliebte Menschen reifen zu liebenden Menschen heran. Die Liebe aber ist das Wirken des Heiligen Geistes in unseren Herzen und das Feuer, mit dem Jesus taufen wird. Es wärmt und heilt, reinigt und läutert, aber es vernichtet nicht.

So besehen ist der Täufer, der sich als Vorläufer versteht, dem Kommen des Messias nicht nur zeitlich voraus. Auch seine Messias-Vorstellungen sind vorläufig. Und doch wird Jesus ihn später als den Größten bezeichnen, der jemals von einer Frau geboren wurde (vgl. Lk 7,28). Warum? Johannes scheint mehr als irgendein Prophet vor ihm die Tiefe und die Tragik menschlicher Schuldverstrickung erkannt zu haben. Deshalb belässt er es nicht bei bloßen Umkehrpredigten, sondern schafft mit der Taufe ein Ritual, das es so noch nie gab. Sein Kern besteht in der verwandelnden Erfahrung, in allen Fluten, in die uns das Leben zu tauchen vermag, gehalten und getragen zu sein und aus solchem Vertrauen neu anfangen zu dürfen mit Gott, mit den anderen und mit sich selbst.

Aus neuem Vertrauen entsteht aber ein neues Verhalten und deshalb zunächst ein neues Fragen: „Was sollen wir also tun?“ Wie lebt man denn anders und neu? Erstaunlich ist, dass die Empfehlungen des Johannes unterm Strich nun ausgesprochen moderat klingen: Teilen, nicht betrügen, niemanden misshandeln oder erpressen. Genaugenommen handelt es sich dabei nur um die „Basics“ der Fairness, um Einfachheit und Aufrichtigkeit. Doch indirekt wird deutlich, wie unfair, verwirrend und belastend ein Leben aus Angst sich gestaltet.

Das Heilmittel: Bleib im Vertrauen! Folge der tiefen Sehnsucht deines Herzens, frei, liebevoll und aufrecht zu leben, geradlinig, friedlich, in unaufgeregter Einfachheit. Dann wirst du zu erkennen beginnen und erfahren, wie sehr dich Gottes Güte hält und trägt und in allen Dingen reichlich beschenkt.

Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.

(Lk 1,45)

Annehmen Vierter Adventssonntag: Lk 1,39–45

„Elisabet ist die Kusine, zu der sich Maria von Nazaret auf den Weg machte: verlobt, aber schwanger von jemand anderem als Josef und noch bevor sie ‚zusammengekommen waren‘. (Matthäus 1,18) Und unverheiratet – ein Umstand von großer Tragweite: sowohl in religiöser als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. In einer jüdischen Gemeinde riskierte eine schwangere, unverheiratete Frau nicht nur Ablehnung, sondern sogar den Tod. Geächtet zu werden war ihr sicher. Aber Elisabet, im Bruch mit sämtlichen Traditionen und gegen jeden gesunden Menschenverstand, nahm Maria in ihr Haus auf. (…) Und mehr noch: Elisabet erkannte in Maria den immensen Reichtum, der einmal aus dieser Situation entstehen würde, die alle anderen für eine große Schande hielten.“2 Mit diesen Worten würdigt die US-amerikanische Benediktinerin Joan Chittister den „Elisabet-Faktor“ weiblicher Freundschaften und definiert ihn als Annahme. „Annahme ist die Fähigkeit, mit einem hörenden Herzen die Freundin zu empfangen, die der gesellschaftlichen Sprache der Zeit widerspricht.“3

Maria – eine Frau, die der gesellschaftlichen Sprache der Zeit widerspricht? In der Tat! Die kleinen, aber feinen Details, die der Evangelist Lukas heute erzählt, haben es in sich. „In jenen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa“, schreibt er. Von einer männlichen Begleitung sagt er nichts. Was in unseren Ohren harmlos klingen mag, war für damalige Gepflogenheiten skandalös. Als Frau aus eigenem Antrieb quer durchs Land und unbegleitet unterwegs zu sein – ein no go! Und als sei dies noch nicht deutlich genug, erzählt Lukas ganz Ähnliches von Marias Ankunft: „Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet.“ Nicht dem pater familias, dem Hausherrn, gehört ihr erster Gruß, wie es in einer patriarchal verfassten Gesellschaft erwartbar gewesen wäre, sondern seiner Frau. Und beide, Elisabet und Maria, beginnen im Haus des Priesters Zacharias, der durch seinen Unglauben verstummt ist, prophetisch zu reden und die Revolution des Erbarmens Gottes zu preisen: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen!“

Damit aber auch der letzte Leser, die letzte Leserin versteht, dass in der Freiheit Marias die Befreiungsgeschichte Gottes zu wirken beginnt, kennzeichnet der Evangelist Lukas ihren Aufbruch zu Elisabet mit dem Wort anastasia und das heißt: Auferstehung. Auferstehung geschieht, wenn ein Mensch Gottes Wort in sich Raum gibt und es Fleisch werden lässt: „Selig, die geglaubt hat, was der Herr ihr sagen ließ.“

Um einzuschwingen in diesen adventlichen Auferstehungsglauben, brauchen auch wir die annehmende Haltung der Elisabet – und zwar den befreienden, gottgewirkten Impulsen unserer eigenen Seele gegenüber. Sie nur deshalb als unschicklich, störend, lächerlich oder peinlich abzutun, weil sie dem eigenen Selbstbild, den Erwartungen anderer oder weil sie Konventionen und Traditionen widersprächen, könnte bedeuten, Gottes geistgewirkte Freiheitsgeschichte in uns selbst zu ersticken. Gott aber ersehnt es, sich auch unserem Leben so intensiv einzuschreiben, wie er sich dem Leben Marias eingeschrieben hat.

2Joan Chittister, Freundschaft verbindet, 47.

3Ebd.

Denn ein Kind wurde uns geboren,

ein Sohn wurde uns geschenkt.

(Jes 9,5)

Gottes Initium als bleibender AnfangWeihnachten – In der Heiligen Nacht: Lk 2,1–14

„Wenn einer in sein dreißigstes Jahr geht, wird man nicht aufhören, ihn jung zu nennen. Er selber aber (…) wird