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Band zwei der neuen Lake-Porter-Serie von Lynn Blackburn mit ganz viel Romantik & Spannung – jeder Teil der Serie ist in sich abgeschlossen. Als Ermittler Adam Campbell mit seinem Tauchteam eine Leiche aus einem versunkenen Auto birgt, macht er eine furchtbare Entdeckung: Auf dem Bauch der Frau steht sein Name! Welche Verbindung gibt es zwischen ihm und der toten Buchhalterin? Hilfe suchend wendet sich Adam an Dr. Sabrina Fleming, die kluge Computerforensikerin mit der großen Brille und dem besonderen Lächeln, das Adams Herz höher schlagen lässt. Kann sie dem jungen Ermittler den entscheidenden Anhaltspunkt geben? Als Beweise auftauchen, dass jemand aus Adams Familie mit modernem Sklavenhandel zu tun hat, müssen er, Sabrina und der Rest des Tauchteams alles riskieren, um den Fall zu lösen.
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Seitenzahl: 504
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Lynn Blackburn
Deutsch von Johanna Utsch
Copyright © 2018 by Lynn H. Blackburn
Originally published in English under the title In Too Deepby Revell, a division of Baker Publishing Group,Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.
All rights reserved.
Die Bibelzitate aus Psalm 19,15 sind der Übersetzung Hoffnung füralle® entnommen,
Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Bliblia Inc.®.Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis.
© 2020 Brunnen Verlag GmbH, Gießen
Lektorat: Carolin Kotthaus, Heide Müller
Umschlagfoto: Alicia Magnuson Photography/Stocksy
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
Satz: DTP Brunnen
ISBN Buch 978-3-7655-0740-3ISBN E-Book 978-3-7655-7562-4
www.brunnen-verlag.de
Für Drew – meinen jüngsten Lieblingsjungen
Mein kleiner Kämpfer. Vom ersten Tag an hast du mich um deinen kleinen Finger gewickelt. Du bist stark und sanft zugleich, ernsthaft und urkomisch. Dankbar staune ich immer wieder, dass ich deine Mom sein darf. Ich weiß, dass Gott Großes mit dir vorhat. Auch wenn du dir mit dem Großwerden ruhig Zeit lassen kannst, bin ich doch sehr gespannt, was Gott für dich geplant hat. Ich liebe dich!
HERR, lass dir meine Worte und Gedanken gefallen! Du bist mein schützender Fels, mein starker Erlöser!
Psalm 19,15
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Die Ruhe vor dem Sturm
Kapitel 1
Das schrille Klingeln seines Handys brachte Adam Campbell einen grimmigen Blick seiner Tante Margaret ein. Seine Cousins blickten alle auf ihre Teller. Einige konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, als der Ermittler für Wirtschaftskriminalität aufstand. Er richtete den Blick auf seine Familie, die sich um den Tisch versammelt hatte, bevor er die Matriarchin der Familie anschaute. „Großmutter, ihr Lieben – es tut mir leid. Ich muss drangehen.“
Großmutter rümpfte die Nase. „Na schön.“
Die Unterhaltung kam wieder in Gang, als Adam um den Esstisch herumlief. Er vermied es, nach unten zu schauen oder wie ein verängstigter Schuljunge wegzulaufen. Er ging gemessenen Schrittes und schaute jeden an, der gerade zufällig in seine Richtung blickte. Es gab nichts, wofür er sich schämen musste.
Seine Eltern waren bis Donnerstag in Italien. Wäre seine Mutter hier, würde sie ihm jetzt ein ermutigendes Lächeln schenken. Na ja.
Seinen Bruder starrte nie jemand an, wenn er Rufbereitschaft hatte und das Handy während des Essens klingelte. Großmutter zuckte nicht einmal mit der Wimper, wenn Alexander das Sonntagsessen verpasste, weil er Chirurg war. Aber Gott bewahre, wenn Adam nicht da sein konnte! Für die Sicherheit der Bürger von Carrington, North Carolina, zu sorgen, war in den Augen seiner Großmutter zwar ein respektabler Job – aber doch nicht für einen Campbell!
Großvater Campbell blickte ihn an – und zwinkerte.
Adam konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er den Raum verließ. Sein Großvater war sein Fels in der Brandung. Sie trafen sich einmal in der Woche zum Frühstück im Pancake Hut und Adam erzählte ihm dann immer Geschichten aus dem Büro des Sheriffs.
Das Schnellrestaurant war sehr beliebt bei den Polizisten und Medizinern in Carrington und Adams regelmäßiges Frühstückstreffen mit seinem Großvater hatte seit Adams Start als Ermittler viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Denn das Pancake Hut war kein Ort, an dem sich jemand aus der Familie Campbell üblicherweise aufhielt. Doch Charles Campbell hatte großen Wert darauf gelegt, Adams Kollegen persönlich kennenzulernen, und sie hatten schnell gemerkt, dass er vielleicht milliardenschwer, aber kein Snob war.
Es war ein mehr schlecht als recht gehütetes Geheimnis, dass Charles Campbell die Angewohnheit hatte, die Rechnung für alle Polizisten im Pancake Hut zu übernehmen, wenn er da war – ob nun in Begleitung von Adam oder nicht.
Großmutter wusste nichts von dieser Verabredung.
Es dauerte nicht lang, da kamen sowohl Polizeibeamte als auch Ermittler zu Adam und sagten: „Hey, Campbell. Ich habe eine Geschichte für Ihren Großvater. Er wird seine Freude daran haben!“ Oder sie blieben an ihrem Tisch im Restaurant stehen und erzählten, was ihnen während ihrer Streife passiert war. Großvater genoss es in vollen Zügen.
In den letzten paar Jahren hatte Großvater immer mal wieder Stipendien für Polizeibeamte übernommen und war völlig dem Zauber der Mordermittlerin Anissa Bell verfallen, die die Mannschaftsführerin der Polizeitaucheinheit von Carrington County war. Anissa musste nur andeuten, dass sie ein neues Ausrüstungsstück für das Team gesehen hatte – schon sorgte Großvater dafür, dass das Team es bekam.
Auch von dieser Vereinbarung wusste Großmutter nichts.
Adam blieb im Flur stehen und schaute erneut auf die Nachricht auf seinem Handy, die ihm eine weitere Stunde Familienpolitik erspart hatte.
Oh, oh!
Schnellen Schrittes lief er durch die Bibliothek und das Musikzimmer, bis er auf den Marmorboden in der großen Eingangshalle trat.
„Alles in Ordnung, Mr Adam?“ Als er die besorgten Worte des langjährigen Familienbutlers hörte, verlangsamte er seine Schritte.
„Nicht wirklich, Marcel. Ein Auto ist von der Straße abgekommen und über den Damm der Doppelbrücke gestürzt. Wahrscheinlich letzte Nacht. Ein Bootsfahrer hat es heute Morgen gefunden.“
Die Doppelbrücke überspannte den Lake Porter und verband die touristische Seite des Sees mit der Stadt Carrington. Das Auto war wahrscheinlich ein paar Hundert Meter über unebenes Gelände neben dem Brückenpfeiler geschlittert, bis es ins Wasser gestürzt war.
Bremsversagen?
Aggressive Fahrweise?
Selbstmord?
Das war alles schon früher vorgekommen.
„War jemand im Auto?“ Marcel stellte die Frage mit leiser Stimme.
Als Adam bejahend nickte, schüttelte Marcel bestürzt den Kopf.
Adams Familie – und Marcel gehörte zur Familie – war am Boden zerstört gewesen, als Adams jüngerer Bruder Aaron im viel zu jungen Alter von zehn Jahren durch einen Autounfall ums Leben gekommen war. Keiner von ihnen war jemals vollständig darüber hinweggekommen.
„Müssen Sie runtertauchen? Es ist ziemlich kalt.“ Marcel reichte Adam seinen Mantel.
„Wir haben Trockenanzüge“, entgegnete Adam. „Das geht schon.“
„Passen Sie auf sich auf.“ Marcel öffnete die Tür und Adam fing an zu laufen. „Danke, Marcel. Halten Sie die Stellung!“
Marcels leises Lachen drang an seine Ohren, als er sich ans Steuer setzte. Er wendete in der langen Einfahrt in einer Geschwindigkeit, mit der er sicher auf Großmutters schwarzer Liste gelandet wäre, wenn er nicht ohnehin schon darauf gestanden hätte.
Es dauerte fünfzehn Minuten, bis er bei der Doppelbrücke ankam. Die Brücke hatte zwar einen offiziellen Namen – nach einem lokalen Politiker aus den Dreißigerjahren –, aber keiner verwendete ihn.
Adam bremste seinen Wagen, als er die Straßensperre erreichte, und parkte hinter seinem Kollegen vom Tauchteam, dem Mordermittler Gabriel Chavez. Gabriel stieg als Erster aus und trat an Adams Fahrertür. Er stieß einen leisen anerkennenden Pfiff aus, als er einen Blick auf Adams Audi warf. „Und wann darf ich mal mit diesem Baby fahren?“
Genau das war der Grund, warum Adam es sonst vermied, mit seinem Privatfahrzeug zum Tatort zu fahren. Aber manchmal hatte er einfach keine Wahl. Seine Großmutter hatte ihm das Auto zum College-Abschluss geschenkt – obwohl er ihr gesagt hatte, dass er es nicht brauchte. Sie hätte es keinesfalls gebilligt, wenn er mit dem Zivilfahrzeug, mit dem er zur Arbeit fuhr, zum Sonntagsessen aufgetaucht wäre.
Adam stieg aus und hielt Gabriel die Schlüssel hin. „Jederzeit.“
Gabriel betrachtete den Schlüsselbund. Der Wunsch nach einer Spritztour stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Eines Tages werde ich darauf zurückkommen.“
Adam holte seine Tasche von der Rückbank, schloss das Auto ab und steckte die Schlüssel in die Tasche. Er schaute die Reihe von Wagen an, die am Straßenrand standen.
„Wer ist noch hier?“
„Ryan nicht. Der ist mit Leigh zum Wandern in den Bergen“, sagte Gabriel. Ryan Parker, einer der Ermittler der Mordkommission, war der stellvertretende Leiter des Tauchteams. Seine Freundin Leigh Weston hatte im letzten Frühjahr einen Angriff eines Serienmörders überlebt.
„Zum Wandern? Oder für einen Heiratsantrag?“
Gabriel grinste. „Ich glaube, das erfahren wir, wenn sie zurückkommen. Er hat die Nachricht über den Vorfall hier erhalten, aber Anissa hat ihm gesagt, dass er sie ignorieren soll.“
„Du hast mit Anissa gesprochen?“ Nachdem die Mannschaftsführerin des Tauchteams, Mordermittlerin Anissa Bell, Gabriel vor ein paar Jahren aus dem Tauchteam geworfen hatte, waren die beiden lange Zeit nicht gut miteinander ausgekommen. Seine Undercover-Arbeit hatte ihn damals immer wieder vom Tauchtraining abgehalten. Aber seit er zur Mordkommission zurückgekehrt war und zwei ihrer Taucher das Team verlassen hatten – einer aus medizinischen Gründen, der andere wegen seiner Pensionierung –, hatte sie ihn ins Tauchteam zurückgeholt. Anissas und Gabriels Beziehung war dennoch angespannt geblieben – bis zu ihrem Serienmörderfall im letzten Frühjahr, der Leigh fast das Leben gekostet hatte. Ab da hatte sich die Spannung zwischen den beiden gelockert. Zumindest etwas.
„Ja, ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat mir den Kopf abgerissen, weil ich am falschen Ende der Stadt war, und gesagt, ich soll mich beeilen. Sie und Lane seien bereits am Tatort.“
„Mich hat sie nicht angerufen“, bemerkte Adam.
Gabriel grinste. „Mensch, es ist der zweite Sonntag im Monat. Wir wissen alle, wo du warst …“
Adam verkniff sich eine scharfe Erwiderung. Er liebte seine Familie, auch wenn er manche Familienmitglieder weniger mochte als andere. Aber das war doch in den meisten Familien so. Und um einiges besser als bei vielen Familien, die er in seinen Polizeieinsätzen kennengelernt hatte. Auch Großmutters Missbilligung, die ihn ohne Ende ärgerte, war eine Art, ihm ihre Liebe zu zeigen. Zumindest behauptete Großvater das. Er war überzeugt, dass sie sich insgeheim viel mehr Sorgen um ihren Enkel machte, als sie es mit ihrem frostigen Verhalten zeigte.
Gabriel knuffte ihn in den Arm. „Mach dir keine Gedanken, Mann. Wir sammeln hier nur Beweise. Wir hätten nichts für das Opfer tun können – selbst wenn wir im Wasser auf das Auto gewartet hätten.“
„Wie kannst du das wissen?“
„Der Mann, der es gefunden hat, sagt, dass er um die Mittagszeit hier war und das Auto gesehen hat. Er sei hineingetaucht und hätte den Körper herausgezogen. Wahrscheinlich hat er dabei tonnenweise Beweise zerstört. Als er die Frau schlaff in ihrem Gurt hängen sah, dachte er angeblich, sie sei nur bewusstlos. Erst als er sie ans Ufer zog, merkte er, dass sie sich wohl das Genick gebrochen hatte.“
Adam wehrte sich gegen das Bild, das sich bei Gabriels Worten in seinem Kopf formte. Das Opfer tat ihm leid. Er war entsetzt von der Todesart, egal ob es ein schrecklicher Unfall oder ein erfolgreicher Selbstmordversuch gewesen war. Doch er war auch erleichtert – darüber, dass nicht er ihren Körper aus dem Wasser hatte ziehen müssen.
Er stieg den Hang hinunter zum Ufer des Sees. In diesem Fall brauchten sie ihre moderne Unterwasserschallausrüstung nicht. Er konnte das Auto von hier aus sehen. Anissa und der Polizeibeamte Lane Edwards trugen Trockenanzüge und überprüften gerade die Tanks und Geräte.
„Wird auch Zeit!“, begrüßte Anissa ihre Kollegen. „Wir sind unterbesetzt. Chavez, du skizzierst den Tatort. Und Campbell, zieh dich schon mal um, falls wir dich doch im Wasser brauchen, und kümmere dich ansonsten um die Beweise an Land. Versuch den Weg des Autos nachzuvollziehen und so weiter … Ich möchte, dass das alles dokumentiert wird, bevor wir das Auto herausziehen und den Tatort kontaminieren.“ Anissa zeigte auf einen provisorischen Umkleidebereich – eine Reihe von Planen, die an ein paar Bäumen aufgehängt worden waren. „Beeilt euch! Wir möchten es noch bei Tageslicht schaffen.“
„Zu Befehl, Boss!“, sagte Adam.
Gabriel starrte Anissa einen Moment lang an, bevor er zu einem Notizblock griff und sich an die Arbeit machte. „Das war wohl als Gemeinheit gedacht, aber ich wollte heute sowieso nicht nass werden.“
Adam gab keine Antwort auf Gabriels Gemurmel. Teilweise, weil er nicht wusste, ob Anissa tatsächlich gemein sein wollte. Seiner Ansicht nach hatte sie ihm den schlechtesten Job gegeben. Es dauerte fünfzehn Minuten, bis er seine Straßenkleidung abgelegt, seinen Trockenanzug angezogen und seine Tanks und Messgeräte vorbereitet hatte, damit alles bereit war, wenn Anissa oder Lane Hilfe brauchten.
Adam versuchte, die eingehüllte Leiche in der Nähe des Wassers zu ignorieren. Es war nicht mehr ungeschehen zu machen, dass hier Beweise vernichtet worden waren, als der Mann in den See gesprungen war und versucht hatte, das Opfer zu retten.
Konzentriert beobachtete Adam, wie Anissa und Lane das Auto für die Bergung vorbereiteten. Es befand sich im flachen Wasser, sodass sie keine Hebesäcke benötigten, um es an die Oberfläche zu treiben. Sie würden es ohne Abschleppfahrzeug aus dem Wasser ziehen können. Anissa nutzte diese Gelegenheit, Lane als Takler einzusetzen. Lane würde eine Kette ein paarmal um die Achse des Autos wickeln und sie anschließend an Land werfen, wo sie mit einem Haken an einem Abschleppwagen befestigt werden würde. Anissa überwachte alles und stand bereit, mit anzupacken, wenn Lane sie brauchte.
„Adam.“ Anissas Stimme klang durch den Kopfhörer, den Adam trug. „Es sieht so aus, als ob du schon mal Sabrina anrufen könntest.“
Dr. Sabrina Fleming war Professorin für Cybersicherheit und Computerwissenschaft an der örtlichen Universität.
„Was habt ihr gefunden?“, fragte Adam.
„Einen Laptop.“
Das Büro des Sheriffs von Carrington County hatte zwar ein wunderbares Forensik-Team, das großartige Arbeit leistete, aber Sabrina hatte ein Labor mit der neuesten Ausrüstung und auch alles andere, was erforderlich war, um an Informationen aus dem wasserdurchtränkten Computer zu gelangen.
„Okay, ich rufe sie an.“ Adam holte sein Handy aus der Tasche. Sabrinas Nummer musste er nicht in seinen Kontakten suchen. Er kannte sie auswendig.
Sie nahm sofort ab.
„Anissa“, sagte Adam kurze Zeit später, „Sabrina kann sofort kommen. Wie lange dauert es noch, bis ihr den Laptop an Land bringt?“
Unterwasserermittler holten niemals einfach so etwas aus dem Wasser. Der Laptop würde in eine Spezialbox gepackt werden, die mit Seewasser gefüllt war. Etwas von der Festplatte wiederherzustellen, war tatsächlich schwerer, wenn sie unsachgemäß trocknete.
„Sag ihr, dass sie kommen kann“, erwiderte Anissa. „Bis sie hier ist, sind wir fertig.“
Adam verkniff sich ein Lächeln. Das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Jemand hatte sein Leben gelassen. Dennoch: Er würde Sabrina heute Nachmittag sehen!
Ein plötzliches Schotterrieseln machte ihn auf den steilen Abhang um ihn herum aufmerksam. Er nickte Dr. Sharon Oliver, der Gerichtsmedizinerin, zu, die gerade die Böschung zur Leiche hinunterstieg.
„Hatten Sie letztes Wochenende nicht schon Rufbereitschaft?“
Sie schnaubte, als sie ihre Tasche neben der Leiche abstellte. „Hatte ich. Und ich habe auch in den nächsten beiden Wochen Bereitschaftsdienst, während Dr. Sherman seinen 35. Hochzeitstag mit einer Reise durch Europa feiert.“
Adam lachte. Sie klang pikiert, aber er wusste, dass sie es nicht war.
„Sie sind ja nur neidisch.“
Sie warf ihm ein boshaftes Grinsen zu. „Da haben Sie recht.“ Dann wandte sie sich dem Opfer zu. „Okay, Liebes. Dann schauen wir doch mal, was du uns erzählen kannst. Und dann bringen wir dich von den neugierigen Blicken weg.“
Gabriel trat zur Leiche und machte einige Fotos, während Dr. Oliver sie untersuchte. „Sie meinen wohl unsere fliegenden Freunde da oben?“
Er blickte zum Himmel empor, wo ein Nachrichtenhubschrauber seine Kreise drehte.
„Ganz genau.“
Adam sah auf die Wasseroberfläche. Er war froh, dass er eine Ausrede hatte, nicht die Leiche anschauen zu müssen.
Aber Gabriels leiser Pfiff war schwer zu ignorieren.
„Ähm, Campbell?“
„Was?“
Er drehte sich nicht zu Gabriel um.
„Das musst du dir ansehen.“
Blödmann! Gabriel wusste, wie es Adam mit Leichen ging. Jeder wusste das. Er konnte keinen Toten anschauen, ohne an Aaron zu denken.
„Ich muss gucken, was Anissa –“
„Adam!“ Gabriels Tonfall war ernst. Was war denn nur los?
Gabriel legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich hab das Geschehen im Wasser im Blick. Du musst mit der Rechtsmedizinerin reden.“
„Wieso –“
Gabriel schüttelte den Kopf und wies auf die Leiche. Adam schaute die Rechtsmedizinerin an. Sie zeigte ebenfalls auf den toten Körper. Warum bestanden sie so darauf, dass er sich die Leiche ansah?
Na gut …
Herr, hilf mir!
Er warf einen raschen Blick auf das Opfer.
Dann verharrten seine Augen ungläubig auf der Leiche.
Denn auf dem Bauch des Opfers standen mit Edding sieben Wörter geschrieben:
SIE HABEN MICH UMGEBRACHT.FRAGT ADAM CAMPBELL.
Sabrina verlangsamte ihren MINI Cooper, als sie sich der Polizei sperre an der Doppelbrücke über den Lake Porter näherte. Ein junger Polizist kam mit erhobener Hand zu ihrem Auto.
„Es tut mir leid. Sie müssen den Umleitungsschildern folgen und außen herumfahren.“
Sie reichte ihm eine Visitenkarte. „Adam Campbell hat mich angerufen“, sagte sie. Wo war Adam? Er war sonst immer so zuvorkommend. Sie konnte sich an kein einziges Mal erinnern, an dem er sie nicht an der Polizeisperre erwartet und hereingewunken hatte.
Eigentlich brauchte sie hier keine Beweise zu sammeln. Dieses Tauchteam wusste, was es tat. Sie hatte noch nie Beweisstücke von ihnen erhalten, die nicht ordnungsgemäß behandelt worden waren. Keine Laptops in Plastikbeuteln. Keine USB-Sticks in Styropor. Keiner nahm einen Föhn und versuchte ein Handy zu trocknen, bevor sie es zu ihr schickten.
Sie konnte ihnen vertrauen. Und sie vertraute ihnen.
Sie mochte sie auch.
Sehr.
Und einige von ihnen sogar mehr als andere.
Sabrinas Freundesliste war nicht lang. Wenn sie Leute als ihre Freunde betrachtete, war es ihr wichtig, sie langfristig an ihrer Seite zu wissen. Und es war immer eine gute Idee, Freunden zu helfen. Deshalb hatte sie die Gelegenheit ergriffen, den Laptop abzuholen. Das würde sie zumindest sagen, wenn jemand sie fragen sollte.
Der Polizist lächelte. „Warten Sie einen Moment.“ Er duckte sich unter dem Absperrband durch und gab jemandem ein Zeichen. Ein paar Minuten später erschien Gabriel Chavez auf der anderen Seite des Bands und winkte sie durch.
Sie lächelte, nickte und kämpfte insgeheim gegen die Enttäuschung an, dass es nicht Adam war, der sie begrüßte.
Der Polizist kehrte zurück und zeigte ihr, wo sie ihr Auto abstellen konnte. Dann begleitete er sie zu der Stelle, an der Gabriel mit verschränkten Armen stand.
„Hi Doc. Es tut mir leid, dass wir dich an einem Sonntag stören müssen.“ Gabriel schenkte ihr ein etwas angespanntes Lächeln.
„Kein Problem.“ Sie konnte es nicht vermeiden, mit ihren Augen den Tatort unten abzusuchen. Wo war Adam? War er unter Wasser?
„Möchtest du runter? Oder soll ich dir die Box nach oben bringen?“, fragte Gabriel. „Mir ist es egal.“
„Ich komme nach unten, wenn das in Ordnung ist.“
„Natürlich. Pass auf. Es ist steil.“
Vorsichtig stiegen sie den Hügel hinunter.
„Zumindest hast du die passende Kleidung an“, bemerkte Gabriel. „Schönes T-Shirt. Das habe ich noch nicht gesehen. Ist es neu?“
Das war eine Sache am Tauchteam, die sie sehr mochte. Sie gaben keine dummen Kommentare zu ihrer Standardkleidung von sich – Superhelden-T-Shirts mit Skinny Jeans und Converse Chucks. „Alt. Ich habe es schon seit zehn Jahren.“
„Cool. Unser Schönling ist hier im Sonntagsanzug aufgetaucht. Wahrscheinlich hat er sich seine teuren Schuhe ruiniert.“
Sabrina ignorierte den Kommentar über den Schönling. Sie war sich nicht sicher gewesen, was sie von Gabriel hatte halten sollen, als sie ihn vor ein paar Monaten kennengelernt hatte. Sie hatte sich jedes Mal gesträubt, wenn er eine spitze Bemerkung über einen seiner Kollegen gemacht hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie schließlich erkannt hatte, dass viele seiner Kommentare witzig und nicht böse gemeint waren. Adam mochte Gabriel und arbeitete gern mit ihm zusammen, das reichte ihr nun aus.
„Sonntagsessen mit der Familie?“, fragte Sabrina.
„Erraten.“
Armer Adam. Er empfand eine Hassliebe gegenüber diesen Mittagessen. Er liebte die Leute und hasste das Drama.
„Ist er im Wasser?“ Sie versuchte, ihre Frage nicht zu neugierig klingen zu lassen. Unangemessen war sie nicht, denn schließlich hatte Adam sie angerufen.
„Ähm, nein.“
Bei Gabriels Worten blickte sie auf und sah ihn an. Sie hätte ihn schon vorher danach fragen sollen. Gabriel war nicht so heiter wie sonst. Für seine Art war er beinahe … ernst.
„Geht es ihm gut?“ Sie versuchte erneut, die Frage professionell klingen zu lassen. Aber an der Art, wie Gabriels Augenbrauen nach oben schossen, sah sie, dass ihr das nicht gelungen war.
„Das hängt von deiner Definition von ‚gut‘ ab“, meinte er. „Körperlich geht es ihm gut. Er war auch nicht im Wasser.“
Sie erreichten den Fuß des Abhangs und Sabrina blieb stehen, um alles in sich aufzunehmen. Die Gerichtsmedizinerin beugte sich über eine Leiche zu ihrer Linken. Der Van des Tauchteams parkte nahe der Küste – sie mussten über die Anliegerstraße, die von den öffentlichen Versorgungsbetrieben benutzt wurde, hierhergefahren sein. Zwei Taucher liefen um das Auto herum.
Aber immer noch kein Adam …
Gabriel wies mit seinem Kopf nach links und sie blickte an der Leiche vorbei.
Dort war er!
Adam lief am Rand des Sees entlang in Richtung der Doppelbrücke.
Sie konnte sich auf nichts einen Reim machen.
„Darf ich fragen …?“ Dieses Mal flüsterte sie nur.
„Ich bin der leitende Ermittler in diesem Mordfall und unter normalen Umständen dürfte ich dir nicht viel sagen. Aber es gibt eine Entwicklung, über die ich mit dir sprechen muss und über die du Bescheid wissen musst, wenn du mit der Untersuchung dieses Laptops beginnst.“
Gabriel bedeutete ihr, ihm zur Gerichtsmedizinerin zu folgen.
Das hier wurde immer verrückter.
Sie blieben ein paar Meter vor der Leiche stehen. „Dr. Oliver, haben Sie Dr. Fleming schon kennengelernt?“ Gabriels förmliche Vorstellung überraschte Sabrina.
Dr. Oliver richtete sich auf. „Ich würde Ihnen die Hand geben, aber …“ Sie zeigte auf ihre behandschuhten Hände. „Ich weiß nicht, ob wir uns schon mal offiziell begegnet sind oder nicht. Auf jeden Fall habe ich schon viel Gutes von Ihnen gehört, Dr. Fleming. Ich bin Sharon.“
„Ich von Ihnen ebenfalls, ich bin Sabrina.“
„Ich möchte, dass Sabrina sieht, was Sie uns vor Kurzem gezeigt haben“, sagte Gabriel zu Dr. Oliver. „Sie wird versuchen, alles wiederherzustellen, was der Laptop noch hergibt. Auch wenn wir versuchen, dieses Beweisstück aus den Medien herauszuhalten, ist es wichtig, dass sie Bescheid weiß. Ich vertraue ihr bedingungslos.“
Sharon warf Sabrina einen prüfenden Blick zu. „Haben Sie schon mal eine Leiche gesehen?“
Warum um alles in der Welt musste sie sich das arme Opfer ansehen? Sabrina schluckte. „Ja, habe ich“, entgegnete sie.
„Sie werden auch nicht ohnmächtig?“, vergewisserte Sharon sich.
„Nein.“ Sabrina fühlte sich nicht angegriffen wegen dieser Frage. Sharon Oliver hatte keine Ahnung, was sie schon alles gesehen hatte. Der Anblick des bedauernswerten Opfers war natürlich auch für sie belastend, aber noch gar nichts im Vergleich zu den Albträumen, die sie immer wieder plagten.
Sharon zog die Plane von der Leiche. Eine Frau. Wahrscheinlich Ende 40, Anfang 50. Pixie Cut. Etwas an ihr kam ihr bekannt vor.
Warum hob Sharon das T-Shirt der Frau hoch?
Als die Worte, die auf den Bauch der Frau geschrieben waren, in ihr Blickfeld gerieten, blinzelte Sabrina ein paar Mal und kniete sich neben das Opfer. Sie sagte nichts. Sie wollte nicht riskieren, dass sie jemand belauschte, obwohl in einem Umkreis von über fünf Metern keiner zu sehen war.
Sabrina richtete sich auf und versuchte, das Gesehene zu verarbeiten.
SIE HABEN MICH UMGEBRACHT.FRAGT ADAM CAMPBELL.
Sie schaute sich das Gesicht des Opfers genauer an.
Nein, das konnte nicht sein! „Habt ihr schon einen Namen?“, fragte sie Gabriel.
„Ja“, antwortete er nickend. „Sie heißt Lisa Palmer. Sie ist –“
„Buchhalterin“, fiel Sabrina ihm ins Wort.
„Kennst du sie?“, „Nur vom Hörensagen.“ Wer hatte sie umgebracht? Warum? Und was wusste Adam darüber?
„Was kannst du mir über sie sagen?“, fragte Gabriel.
„Nicht viel“, antwortete Sabrina. „Sie war die Buchhalterin meines Vaters. Ich habe sie einmal gesehen, als sie das Haus verlassen hat, bin ihr aber nie persönlich begegnet.“
„Sie war die Buchhalterin deines Vaters?“ Gabriel runzelte die Stirn. „Hat er sie entlassen?“
„Nein. Er ist gestorben.“
Ein Polizist rief Gabriel und bedeutete ihm, zur Straße zu kommen.
Gabriel zeigte auf Sabrina. „Wir sind noch nicht fertig.“
Na toll! In Gedanken ging sie die möglichen Auswirkungen durch. All ihre Familiengeheimnisse würden Gegenstand einer öffentlichen Aussage werden. Adam würde herausfinden, dass –
„Ich bin gleich zurück, um deine Aussage aufzunehmen.“
„Gut.“ Sie deutete auf Adam. „Kann ich inzwischen mit ihm sprechen?“
„Du kannst es versuchen. Nachdem ich seine Aussage aufgenommen hatte, hat er sich gleich wieder angezogen und gesagt, dass er gerne allein sein möchte. Aber für dich würde er bestimmt eine Ausnahme machen.“
„Ich weiß nicht. Wenn er doch allein sein möchte …“
„Geh schon. Er braucht jemanden zum Reden. Vielleicht spricht er mit dir.“
Sie konzentrierte sich wieder auf Adam. Er war stehen geblieben und hatte sich auf einen umgefallenen Baumstamm am Ufer gesetzt. Jetzt starrte er aufs Wasser, vielleicht betete er auch. Sie wusste es nicht.
Gabriel nickte ihr aufmunternd zu und ging in Richtung Straße.
Auf diesem Gebiet hatte sie keine Erfahrung. Sie war gut in einer Welt, in der Fakten regierten. Bei Gefühlen suchte sie oft vergebens nach Worten.
Und sagte dann doch das Falsche.
Aber selbst aus dieser Entfernung war es unverkennbar, wie schlecht es ihm ging, und das schmerzte sie. Ihre Füße bewegten sich auf ihn zu, noch bevor ihr Verstand registrierte, was sie da tat.
Herr, ich brauche jetzt deine Hilfe – dringend!
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie Adam erreichte. Obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass er ihr Kommen bemerkt hatte, zeigte er keine Reaktion.
Das war untypisch für Adam. Sehr sogar! Auch an Tagen, an denen er sehr beschäftigt war, war er sonst immer außerordentlich galant.
„Hi“, begrüßte sie ihn.
Er nickte, gab aber keine Antwort.
„Darf ich mich zu dir setzen?“
Ein Achselzucken.
Wow! Das fing ja gut an … Keine Begrüßung. Kein Hallo.
Sie hatte ihn schon in den unterschiedlichsten Verfassungen erlebt. Frustriert. Überwältigt. Sogar verzweifelt, als sie im letzten Frühjahr dachten, sie hätten Leigh verloren. Aber noch nie hatte sie ihn so mutlos gesehen.
Sie setzte sich neben ihn und er rückte ein paar Zentimeter beiseite, um ihr Platz zu machen. Ihr linkes Bein berührte trotzdem noch seinen rechten Oberschenkel. Sie wusste nicht, was sie mit ihren Händen machen sollte, also faltete sie sie und stützte sich mit den Ellbogen auf ihre Knie.
Herr, wo bleibt die Hilfe, die ich von dir erbeten habe? Wenn du bald damit anfangen würdest, wäre das großartig. Mir gehen die Ideen aus.
Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie völlig falsch mit der Situation umging. Aber da sie nicht wusste, was sie daran ändern sollte, blieb sie einfach nur stumm neben Adam sitzen.
Wenn es ihm nicht so schlecht ginge und 50 Meter weiter keine Leiche liegen würde, hätte sie es sogar genossen.
Adam hatte sie meistens auf professionelle Distanz gehalten. Das letzte Mal, als sie sich so nahegekommen waren, war im Frühjahr gewesen, als sie den Anruf erhalten hatten, dass Leigh in Sicherheit war. Ihr waren vor Erleichterung die Tränen gekommen und er hatte sie in seine Arme genommen, sie an sich gedrückt und ihr ins Ohr geflüstert, sie habe großartige Arbeit geleistet. Und kurz war ihr so gewesen, als habe er sie auf den Kopf geküsst.
Aber seitdem war nichts mehr gelaufen.
Eine Bewegung rechts von ihr holte sie in die Gegenwart zurück. Dr. Oliver überwachte den Abtransport der Leiche.
„Ich kenne sie nicht.“ Adams schroffe Stimme erschreckte sie. „Aber ich denke, dass sie meinetwegen umgebracht wurde.“
„Du hattest nichts mit ihrem Tod zu tun.“
„Nur weil ich ihr Auto nicht über die Böschung gestoßen habe, heißt das nicht, dass ich –“
„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Es gibt nichts Logisches an dieser Aussage.“ Sabrina berührte sein Knie mit ihrer Faust.
Adam zog das Knie weg. „Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für Logik, Sabrina.“ Der gequälte Unterton in seiner Stimme nahm seinen Worten ein wenig die Schärfe. Aber eben nur ein wenig. Nicht ganz.
Ich vermassele das hier, Herr. Ich weiß nicht, wie ich die Logik aus allem rausnehmen soll.
„Tut mir leid.“ Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Aber jetzt war bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, um ihm mitzuteilen, dass das Opfer wahrscheinlich mehr über ihren Vater wusste als sie.
„Ihr Name ist … war … Lisa Palmer“, sagte Adam. „Gabriel konnte sie über ihr Auto identifizieren. Sie kam letzte Woche ins Büro und wollte mich sprechen, aber ich war nicht da. Einer der anderen Ermittler hat versucht, ihr zu helfen, aber sie hat gesagt, dass sie nur mit mir reden will. Er hat in meinen Kalender geschaut und mit ihr einen Termin für Montag vereinbart. Als ich zurück ins Büro kam, erzählte er mir davon und das war das letzte Mal, dass ich über sie nachgedacht habe, bevor ich eben meinen Namen auf ihrem Bauch sah.“
Er vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie in Gefahr ist, hätte ich mich am Samstag mit ihr treffen können.“
„Aber du wusstest es nicht.“ Sie versuchte, ihn mit diesen Worten zu trösten. Er warf ihr diesmal nicht ihre Logik vor. Vielleicht machte sie ja kleine Fortschritte.
„Wo warst du letzte Woche?“, fragte sie.
„Wie bitte?“ Seine Hände dämpften die gemurmelten Worte und er schaute sie noch immer nicht an.
„Warum warst du letzte Woche nicht im Büro?“
Er richtete sich auf. „Ich war im Gericht.“
„Um welchen Fall ging es?“
Sein Gesicht verzerrte sich vor Sorge. „Missbrauch an älteren Personen.“
Sabrina legte zögernd die Hand auf seinen Arm. „War es schlimm?“
Er seufzte. „Ein Mann hat seine Eltern um ihre Lebensersparnisse gebracht. Jahrelang haben sie hart gearbeitet und gespart und ihr eigener Sohn betrügt sie einfach! Jetzt können sie sich weder Essen noch medizinische Versorgung leisten. Das haben sie einfach nicht verdient! Es ist aber eine ausweglose Situation. Sie wissen zwar, was mit ihrem Geld passiert ist, aber ihr einziger Sohn kommt jetzt ins Gefängnis und dadurch haben sie keinen mehr, der ihnen hilft.“
„Wie schlimm!“, sagte sie mitfühlend. „Warst du die ganze Woche im Gericht?“
„Der Fall wurde Freitagmittag abgeschlossen. Die Beweise waren erdrückend. Die Jury hat ihn um drei verurteilt. Er wollte einen Deal aushandeln, aber der Staatsanwalt hat das abgelehnt.“ Er blickte sie an. „Ich weiß, was du vorhast.“
Sie versuchte, eine unschuldige Miene aufzusetzen. „Was?“
„Du versuchst mir klarzumachen, dass ich nicht im Büro war, weil ich meinen Job gemacht und in einer schrecklichen Situation für Gerechtigkeit gesorgt habe.“
„Ich glaube, das hast du ganz gut formuliert.“
„Aber eine Frau ist umgekommen. Sie ist nicht einfach nur arm. Oder traurig. Sie ist tot! Und ich hätte sie –“
„Adam!“ Sie konnte es nicht mehr aushalten. „Du trauerst ihretwegen und fühlst dich schuldig, weil sie tot ist, und du denkst, du hättest es verhindern können. Aber da irrst du dich gewaltig! Ich weiß, dass du momentan nicht logisch darüber nachdenken möchtest, und ich will auch nicht deine Gefühle wegdiskutieren, aber du musst dir bewusst machen, dass du hier nur ein Teil eines komplizierten Puzzles bist.“
Er widersprach nicht, daher fuhr sie fort. „Wenn in der Nachricht ‚Fragt Sabrina Fleming‘ gestanden hätte, würde ich mich auch so fühlen. Aber das Schicksal der Welt liegt nicht in deinen Händen. Und wenn wir als Menschen etwas nicht verstehen können, müssen wir darauf vertrauen, dass Gott es versteht und in keiner Weise überrascht davon ist.“
„Ich weiß nicht, ob ich dich jemals zuvor von Gott habe sprechen hören.“
Das traf sie schmerzlich. Hatte er sie wirklich noch nie über ihren Glauben sprechen hören? „Leider meinen viele meiner Kollegen, dass Wissenschaft und Glaube nicht zusammenpassen, anstatt zu erkennen, wie wunderbar sie in Wirklichkeit miteinander verknüpft sind. Im Laufe der letzten Jahre ist mein Glaube immer mehr zur Privatsache geworden. Darauf bin ich nicht unbedingt stolz …“
Er legte eine Hand auf ihr Knie und drückte es. „Das verstehe ich. Ich spreche mit meiner Familie auch nicht viel über meinen Glauben. Sie besuchen zwar regelmäßig einen Gottesdienst, sind aber der Meinung, dass ihr Glaube ihr soziales Leben nicht beeinträchtigen darf und keiner zu fanatisch werden sollte.“
Sabrina konnte sich vorstellen, dass Margaret Campbell Lawson so etwas sagte.
„Stolz bin ich darauf auch nicht“, sagte Adam. „Ich bin noch dabei, meinen Weg zu finden. Aber ich verstehe einfach nicht, dass Gott es nicht so geführt hat, dass ich im Büro war, um das hier zu verhindern.“ Er deutete mit seiner Hand auf das Ufer, an dem bis vor ein paar Minuten noch die Leiche gelegen hatte.
„Du wirst es vielleicht nie erfahren“, entgegnete Sabrina. „Momentan musst du einfach darauf vertrauen, dass du letzte Woche das getan hast, was Gott von dir wollte, und dass das Treffen mit Lisa Palmer nicht dazugehörte. Und diese Woche ist es eben deine Aufgabe herauszufinden, warum sie dich sprechen wollte und wie du ihr Gerechtigkeit verschaffen kannst. Ich will dich hier eigentlich nicht herumkommandieren, aber wenn du den ganzen Abend nur herumsitzt, wirst du nie herausfinden, was passiert ist.“
Er drückte wieder ihr Knie. „Du hast recht. Wie immer.“
Er rückte auf dem Baumstamm auf sie zu und sie musste sich mit ihrem Arm abstützen, um nicht seitlich abzurutschen.
Er griff nach ihren Armen und hielt sie fest. „Tut mir leid.“
„Ist ja nichts passiert“, sagte Sabrina grinsend.
„Ich meinte nicht, dass ich dich gerade beinahe vom Stamm geschubst hätte, sondern das, was ich eben gesagt habe. Das mit der Logik.“
„Ist schon in Ordnung. Ich weiß, dass ich nicht so gut darin bin, Leute zu trösten. Und generell auch im Umgang mit Gefühlen. Oder über Gefühle zu sprechen. Oder in allem, das nicht mit einer Tabelle oder einem Diagramm erklärt werden kann.“
Adam lachte. „Du bist großartig!“
Diesen Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sie in letzter Zeit schon öfter mal gesehen, aber sie wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Auch von anderen kannte sie diesen Blick. Ryan schaute Leigh oft so an. Das beste Wort, das sie dafür finden konnte, war Bewunderung. Aber auch damit wusste sie nichts weiter anzufangen. Wahrscheinlich hatte sie es einfach falsch interpretiert.
Ein Ruf vom Ufer her ersparte ihr, etwas zu sagen. Bestimmt hätte sie sowieso nur Blödsinn geredet. Gabriel winkte ihnen zu. Sie konnte seine Worte nicht genau verstehen, aber ihre Bedeutung war klar. Sie mussten sich auf den Weg machen.
Adam stand auf und zog sie mit sich hoch. „Danke.“
Sabrina wusste nicht, was sie erwidern sollte, also sagte sie einfach gar nichts, sondern machte zwei Schritte Richtung Ufer. „Aua!“ Beim Tritt auf einen Stein war sie mit dem Fuß abgerutscht und hatte sich den Knöchel angeschlagen. Unbeholfen versuchte sie ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen und seufzte. Dummer Fuß! Sie war noch nie besonders grazil gewesen.
Adam sagte nichts zu ihrer Unbeholfenheit, aber er bot ihr seinen Arm. „Möchtest du dich einhaken?“
Seltsam, wie dieser Mann es schaffte, dass sie sich beschützt fühlte, ohne ihr den Eindruck zu vermitteln, dass sie seinen Schutz benötigte. Er lief neben ihr her, bis sie am Fuß des Hügels ankamen, und wich auch nicht von ihrer Seite, als sie den felsigen Hang hinaufstiegen.
„Der Laptop ist hier oben“, rief Gabriel Sabrina zu. „Ich brauche noch deine Unterschrift. Die Forensik hat bereits mit ihrer Arbeit im Haus des Opfers begonnen und ich muss auch hinfahren. Aber morgen sprechen wir noch mal.“
Das hatte ihr gerade noch gefehlt. „Okay, ich nehme ihn mit ins Labor und schaue ihn mir an.“
Als sie alles unterschrieben hatte, klopfte Gabriel mit dem Stift auf das Klemmbrett, das er verwendet hatte. „Fährst du jetzt ins Labor?“
Sie nickte. „Ja, aber es wird eine Weile dauern, bis der Laptop getrocknet ist.“
„Es ist Sonntagabend.“
Sabrina hatte keine Ahnung, was Gabriel damit meinte. „Eigentlich ist es erst später Nachmittag, aber es ist ja schon fast dunkel, daher –“
„Nachmittag. Abend. Was auch immer. Das spielt doch keine Rolle. Es ist dunkel, bis du bei der Universität ankommst. Ist überhaupt noch jemand da?“
„Ich begleite sie“, beschwichtigte ihn Adam, der hinter ihnen stand. Gabriels Gesicht und seine Haltung entspannten sich.
„Ich bin ziemlich oft allein in meinem Labor.“ Sabrina blickte Adam an. „Das ist in Ordnung für mich.“
Sie drehte sich rechtzeitig um, um zu sehen, wie Gabriel seinen Kopf schüttelte und Adam einen verständnislosen Blick zuwarf. Es fiel ihr oft schwer, in Gesprächen die Untertöne wahrzunehmen und sie verstand Körpersprache oft falsch, aber sogar sie hatte bemerkt, dass irgendetwas los war. „Was hab ich hier gerade verpasst?“
Adam scharrte ein wenig mit den Füßen. Er wollte Sabrina keine Angst machen, aber sie musste begreifen, wie gefährlich das hier war. „Jemand hat diese Frau umgebracht. Vielleicht wusste die Person etwas von dem Laptop im Auto, vielleicht auch nicht. Vielleicht wusste sie, dass eine Nachricht auf ihrem Bauch stand, vielleicht auch nicht. Wir haben einfach keine Ahnung, mit was oder mit wem wir es zu tun haben.“
Er schaute sich in der immer dunkler werdenden Umgebung um. Gabriel ebenfalls.
„Heute waren Nachrichtenhubschrauber hier.“ Gabriels Abneigung gegen Nachrichtenhubschrauber hatte in den letzten Jahren nicht nachgelassen, seitdem eine gewisse Reporterin einen verwendet hatte, um eine höchst wichtige und geheime Drogenfahndung auffliegen zu lassen. „Bestimmt wissen die Verbrecher, dass du hier bist. Davon sollten wir wohl sicherheitshalber ausgehen. Sie könnten dir jederzeit folgen, wenn du wegfährst. Es wäre nicht ratsam für dich, den Laptop bei dir zu haben, ohne dass jemand zu deinem Schutz da ist.“
Adam versuchte, seine Erleichterung nicht offensichtlich werden zu lassen. „Ich kann sie heute Abend begleiten“, bot er an. „Ihr Labor ist sicher. Sobald wir dort sind, ist es in Ordnung, denke ich.“
„Okay.“ Gabriel deutete auf Sabrina. „Ich wäre nicht überrascht, wenn wir ihre Hilfe noch bei weiteren Objekten benötigen würden. Ich habe bereits mit der Mannschaftsführerin gesprochen und sie hat mir die Erlaubnis gegeben, alles direkt an dich zu schicken. Und Adam, du arbeitest jetzt ebenfalls offiziell an diesem Fall. Anscheinend ist das, worüber sie mit dir sprechen wollte, das Herzstück daran. Daher gehe ich davon aus, dass wir zuerst den wirtschaftskriminalistischen Teil lösen müssen, um den Mörder zu finden.“
Ausgezeichnet! Adam unterdrückte ein Grinsen. Nun musste er nicht darum kämpfen, an dem Fall dranbleiben zu dürfen. Sabrinas Zuspruch musste mehr bei ihm bewirkt haben, als er gedacht hatte. Vor einer Stunde hatte er sich noch davor gefürchtet, sich in den Fall zu stürzen. Nun konnte er es kaum erwarten, ihn zu lösen – der Frau Gerechtigkeit zu verschaffen, der er zu Lebzeiten nicht hatte helfen können.
„Ich schaue morgen bei der Gerichtsmedizinerin vorbei, wegen der Autopsie“, sagte Gabriel. „Sie will um neun anfangen.“ Gabriels Gesichtsausdruck veränderte sich leicht. „Adam.“
Oh, oh. Was hatte dieser Tonfall zu bedeuten?
„Da du den Abend heute mit Sabrina verbringst, könntest du es vielleicht übernehmen, ihre Aussage zum Opfer aufzunehmen. Dann hätte ich später eine Sache weniger auf der Liste.“
„Aussage? Welche Aussage?“
Sabrina blickte auf ihre Schuhe und vermied jeden Augenkontakt.
„Hat sie es dir nicht erzählt?“, fragte Gabriel.
„Wir sind noch nicht dazu gekommen.“ Sabrina sprach leise, aber in ihren Worten lag eine Abwehrhaltung, die Adam nicht einordnen konnte.
„Gut, dann kommen wir jetzt dazu“, meinte Gabriel. „Unser Opfer war die Buchhalterin ihres verstorbenen Vaters. Ich habe keine Ahnung, ob es für unseren Fall eine Rolle spielt, aber nimm doch bitte ihre Aussage auf, bevor ihr Feierabend macht.“
Sabrina nickte Gabriel kurz zu.
Adams Gedanken überschlugen sich. Er hatte gewusst, dass Sabrinas Vater ein Pflegefall gewesen war. Durch eine früh einsetzende Demenz hatte er schon seit mehreren Jahren nicht mehr klar denken können. Aber wann war er gestorben? Warum hatte Sabrina ihm nichts davon erzählt?
Und das Opfer war seine Buchhalterin gewesen? Was hatte es mit alldem auf sich?
So viele Fragen, doch Sabrinas trotziger Gesichtsausdruck zeigte, dass sie nicht darüber sprechen wollte.
Gabriel schien ihr Missfallen gar nicht zu bemerken. „Wollt ihr euch morgen mit mir zum Mittagessen treffen und wir besprechen dann, was wir haben?“
„Gerne“, antwortete Adam.
Sabrina schaute ihn mit einem Ausdruck an, den er nicht deuten konnte, aber etwas war nicht in Ordnung.
„Ich brauche keinen Babysitter“, stellte sie fest.
„Ich bin nicht dein Babysitter. Ich bin dein Personenschutz für heute Abend.“
Ihr Gesicht verfinsterte sich.
„Komm schon, Sabrina.“ Gabriels Stimme klang so, als würde er flirten. Sie hörte sich ganz sanft an und sein spanischer Akzent war deutlicher zu vernehmen als sonst. „Ich weiß, dass es kein Vergnügen ist, einen Abend mit dem Schönling zu verbringen, aber du würdest uns vieles erleichtern, wenn du uns diesen Gefallen tätest. Nur für heute Abend. Ich verspreche dir, ich besorge dir ein paar stattliche Polizisten, die in den nächsten Tagen jeden deiner Schritte im Labor verfolgen.“
Sabrina blickte Gabriel an. „Ich weiß nicht, wie lange es heute Abend dauern wird. Adam braucht etwas Schlaf.“
Oh! Glaubte sie etwa, dass er so zerbrechlich war? „Hey, ich bin kein kleines Kind mehr! Keiner von uns wird in den nächsten achtundvierzig Stunden viel Schlaf bekommen.“
Gabriel schob sich zwischen Adam und Sabrina. „Adam hat recht. Ich werde wahrscheinlich vor Montagnacht kein Auge mehr zutun. Und dann auch nur, wenn ich Glück habe. Wir haben zu viel Dringendes zu tun. Du kannst ihn ja einfach draußen vor dein Labor setzen, wenn du möchtest. Aber mach ein Foto von ihm und schicke es mir, damit ich es im Büro ans Schwarze Brett hängen kann.“ Gabriel lachte über seinen eigenen Witz, doch Sabrinas Gesichtsausdruck änderte sich nicht.
„Glaubt ihr wirklich, dass ich nicht selbst auf mich aufpassen kann?“
Das brachte Gabriels Lachen zu einem abrupten Ende. „Ich denke, du solltest es nicht müssen.“
Sabrina blinzelte ein paarmal und ihre Mundwinkel entspannten sich ein wenig. Adam trat näher an sie heran und zwang Gabriel damit zurückzutreten. „Bitte. Auch wenn du es mir nicht erlaubst – ich bleibe draußen vor dem Labor sitzen.“
Sabrina seufzte. „Na schön.“
„Danke.“ Gabriel reichte ihr die Kiste, die den Laptop enthielt. „Da ich jetzt weiß, dass du in guten Händen bist, kann ich mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren.“ Gabriel winkte Adam zu. „Wir bleiben in Kontakt.“
Als er außer Hörweite war, murmelte Sabrina leise: „Ich finde es immer noch lächerlich. Du bist ein Ermittler. Kein Kindermädchen.“
Adam grinste. „Dann bin ich ja froh, dass wir das geklärt hätten. Ich hatte in meiner Kindheit mehrere Kindermädchen. Sie waren alle schrecklich.“ Er tat so, als liefe ihm ein Schauer über den Rücken.
Doch Sabrina lachte nicht über seinen Versuch, witzig zu sein. Okay, es war ein lahmer Versuch gewesen, aber sie hätte zumindest seine Bemühung anerkennen können.
Sie blieb bei ihrer Autotür stehen. „Ich hatte ein wundervolles Kindermädchen.“ Ihr Blick schweifte in die Ferne und auch in der Dämmerung war der tiefe Schmerz in ihren Augen unverkennbar. „Sie hat so viel für mich geopfert. Ich möchte nicht, dass das irgendjemand sonst noch mal für mich tun muss.“
Bevor Adam etwas erwidern konnte, lief sie zur Heckklappe ihres Autos, öffnete sie und stellte die Beweiskiste hinein. Sie schlug den Kofferraumdeckel heftiger zu, als es nötig gewesen wäre, und rannte beinahe zur Fahrertür. „Wir sehen uns im Labor.“ Mit einem grimmigen Nicken stieg sie ein und fuhr los, bevor sie sich auch nur angeschnallt hatte.
Was war hier eigentlich gerade passiert?
Adam ging im Laufschritt zu seinem Auto und sprang hinein. Es dauerte eine Minute, bis er Sabrina auf der Landstraße eingeholt hatte. Als er sich hinter ihr eingereiht hatte, versuchte er, die Bedeutung ihrer Unterhaltung zu verstehen.
Er kannte Sabrina jetzt seit zwei Jahren. Sie hatte damals den Sheriff kontaktiert und eine Partnerschaft vorgeschlagen, mit der das Büro des Sheriffs von dem Labor und der Hightech-Ausrüstung der neuen Forensikabteilung der Universität profitieren könnte. Der Sheriff hatte ihn daraufhin gebeten, Sabrina beim Erstellen der Vorgehensweisen und operativen Leitlinien zu helfen, und mit der Zeit waren er und Sabrina Freunde geworden.
Er konnte nicht leugnen, dass er sie anziehend fand. Schon vom ersten Tag an. Sie war anders als alle Frauen, die er bis jetzt kennengelernt hatte.
Seine Familie hatte immer mal wieder Vorschläge, mit wem er sich treffen könnte. Alles Frauen, an denen er kein Interesse hatte. Sie waren zwar immer hübsch und meistens auch intelligent, aber zu oft machten sie sich nur Gedanken darüber, wie lange die letzte Pediküre her war und in welchem angesagten Stadtteil sie gerade lebten. Ihre Gesprächsthemen bestanden entweder aus dem letzten großen Event oder ihrem nächsten Urlaub. Und obwohl daran an sich nichts falsch war, konnte er sich nicht dafür begeistern.
Aber Sabrina war anders. Sie machte sich Gedanken über Dinge, die wirklich wichtig waren. Ihre Arbeitsmoral beeindruckte ihn. Sie interessierte sich nicht für Kleidung oder Frisuren oder wie groß das Poolhaus war.
Er würde lieber mit ihr im Labor sitzen, während sie Daten von einer Festplatte zog – die Haare zu einem Messy Bun hochgebunden und mit einer ständig herabrutschenden Brille auf der Nase –, als mit einer der eleganten Damen, die im Kreis seiner Familie verkehrten, in einem der nobelsten Restaurants von Carrington zu dinieren.
Gabriel und Ryan zogen ihn bereits ihretwegen auf und er versuchte immer, es herunterzuspielen. Doch er konnte es nicht ändern: Er hatte sich in Sabrina Fleming verliebt! Und dies, obwohl er sie nicht haben konnte. An dem Tag nämlich, an dem er beschlossen hatte, sie nach einem Date zu fragen, hatte er sie beim Essen gesehen. Mit seinem Cousin Darren.
Für ihn war klar: Er würde sich nicht in eine Beziehung einmischen. Vor allem nicht in Darrens. Darren war in Ordnung und er konnte es Sabrina nicht verübeln, dass sie sich für ihn interessierte.
Also hatte er versucht, mit einer Freundschaft zufrieden zu sein. Die hatte ihm auch sehr viel bedeutet, obwohl Sabrina immer ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit gemacht hatte. Aber heute Abend hatte sich ein Fenster zum geheimen Innenleben von Sabrina Fleming geöffnet.
Und nun fragte er sich unwillkürlich, ob Darren wohl von Sabrinas Vater wusste. Oder von dem aufopfernden Kindermädchen.
Irgendwie bezweifelte er es.
Fünfzehn Minuten später fuhr er auf den freien Parkplatz neben ihrem Auto und trat ihr entgegen, als sie ausstieg. Gabriel hatte recht gehabt. Außerhalb des Lichtkegels der Straßenlaterne, unter der Sabrina geparkt hatte, war es völlig dunkel.
Er sollte wegen der Beleuchtung hier draußen am besten eine E-Mail an die Campus-Security schicken. Es gab einfach viel zu viele dunkle Ecken und Winkel. Mit den Augen suchte er die Gegend um Sabrina herum ab, als sie die Beweiskiste aus dem Auto hob. Er trat näher und achtete konzentriert auf die Geräusche um sie herum.
„Ein bisschen paranoid?“
Er hörte Sabrinas geflüsterte spitze Bemerkung, aber antwortete nicht. Sie konnten sich unterhalten, wenn sie in ihrem Labor angekommen waren – wo man die Türen verschließen konnte.
Adam bot sich nicht an, ihr die Kiste abzunehmen. Sie hätte es wahrscheinlich gar nicht angenommen – sie brauchte keine Hilfe beim Tragen. Aber der eigentliche Grund war, dass er die Hände freihaben wollte, um mögliche Bedrohungen abzuwehren, ohne sich Gedanken über Beweise machen zu müssen. Er war dankbar für die Ausrede, dicht neben ihr herlaufen zu dürfen, und legte ihr eine Hand auf den Rücken, als sie in das Gebäude gingen.
Es war übers Wochenende abgeschlossen, daher gab Sabrina die Sicherheitscodes für die Außentür und dann für den Aufzug ein, bevor sie die Tür zum Forensiklabor erreichten. Auch hier gab sie einen Code ein und beugte sich dann über einen Iris-Scan, durch den das Türschloss entriegelt wurde.
Adam konnte sich erst entspannen, als die Außentür hinter ihnen zugeschnappt war und die bewegungsempfindlichen Lichter aufflackerten, die den ganzen Raum erleuchteten.
Sabrina stupste ihn mit dem Ellbogen an, bevor sie wegtrat und die Beweiskiste auf eine lange Reihe von Tischen stellte. „Danke für deine Hilfe, Officer Campbell.“ Ihre Worte trieften vor Spott.
Er lachte. „Machst du dich über mich lustig?“
„Ich versuche es. Funktioniert es?“
„Ja.“
„Gut“, sagte sie mit einem selbstzufriedenen Grinsen.
Adam zeigte auf einen Stuhl neben der Tür. „Bin ich dir da im Weg?“
„Überhaupt nicht. Fühl dich ganz wie zu Hause.“ Sie deutete auf eine große, glänzend silberne Maschine. „Außer bei der. Fass die nicht an.“
„Jawohl, Ma’am!“
Im letzten Sommer hatte er bei keinem seiner Fälle ihre Hilfe benötigt, daher war es schon eine Weile her, dass er in ihrem Labor gewesen war.
Es war ein rechteckiger Raum. Ein Computer nach dem anderen stand am Rand, jeder mit mehreren großen Monitoren und Tastaturen. Über jedem hing ein abgeschlossener Schrank an der Wand. In der Mitte gab es mehrere kleine Computer, ebenfalls mit großen Monitoren. Er wusste von früher, dass Sabrina gerne im Stehen arbeitete.
Ihr Büro konnte durch eine Tür am anderen Ende des Raums erreicht werden. Er mochte es – es spiegelte ihre besondere Persönlichkeit wider und war eher gemütlich als formell eingerichtet.
Jetzt allerdings ging Sabrina nicht in ihr Büro, sondern tippte auf einigen Tastaturen herum und brachte dann die Beweiskiste zu einem niedrigen Tisch neben einer Wand. Dort sah es aus wie in einem medizinischen Labor. Schachteln mit Handschuhen, winzigen Ampullen und verschiedensten Aufklebern standen auf kleinen Regalen an der Wand, zusammen mit Druckluft und typischen Büroartikeln wie Tackern und Stiften.
Sabrina öffnete den Schrank über dem Tisch und holte eine Schüssel und eine große Tüte mit Reis heraus. Sie streifte Latexhandschuhe über, schüttete den Reis in die Schüssel und richtete erst dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Laptop.
„Dann schauen wir mal, was wir hier haben“, sagte sie.
„Was versprichst du dir davon?“, fragte Adam.
„Na ja“, nuschelte sie mit einem kleinen Schraubenzieher im Mund, „wenn das Opfer nicht gerade irgendwelche verrückten Veränderungen an diesem Laptop vorgenommen hat, sollten wir hier ein schönes Festkörperlaufwerk haben.“
„Richtig.“ Sie hatte ihm schon früher einmal davon erzählt. „Von Festkörperlaufwerken kann man die Daten besser wiederherstellen, oder? Kannst du mir noch mal sagen, warum das so ist?“
Sie arbeitete weiter und nahm den Laptop mit der Sorgfalt eines Herzchirurgen auseinander. „Sie haben innen keine sich drehende Platte. Diese Dinger brechen nämlich leicht und es ist viel schwerer, ihnen Beweise zu entlocken, wenn sie nass geworden sind. Ein Festkörperlaufwerk ist eigentlich nichts anderes als ein Memory-Stick auf einer Platine.“
„Hast du schon mal Daten von einer sich drehenden Platte gerettet?“
Ihr kleines Lächeln beantwortete seine Frage schon. „Ja. Aber es ist eine Herausforderung.“
„Doch du bist die Beste.“
Sie schnaubte. „Nicht wirklich. Ich bin sehr gut. Aber manchmal habe ich einfach mehr Glück als Verstand. Man kann nichts wiederherstellen, was es nicht mehr gibt.“
Sabrina arbeitete weitere fünf Minuten, bevor sie die Festplatte herausnahm und sie in die Schüssel mit Reis legte.
Sie nahm die Bestandteile des Laptops und legte sie in einen separaten Behälter, dann brachte sie alles in ein Beweislager in einem großen Schrank. Von außen sah er aus wie ein großer Besenschrank – für den ein Iris-Scan erforderlich war.
„Ich bin in ein paar Minuten fertig“, sagte sie, während sie die Arbeitsstation aufräumte. „Musst du nicht noch eine Aussage aufnehmen?“
Sabrina sah die Überraschung, die ganz kurz über Adams Gesicht huschte, bevor er wieder eine professionelle Miene aufsetzte.
Vielleicht ginge es ihr besser, wenn sie Adam nicht dabei anschauen würde.
Kann ich es ihm erzählen? Alles? Kann ich ihm vertrauen?
Sie zwang sich dazu, ihre Gefühle zu analysieren. Wovor hatte sie Angst? Schämte sie sich für die Dinge, die ihre Familie ohne ihre Einwilligung getan hatte? Ja, das war auf jeden Fall ein Grund. Ein ganz wesentlicher sogar.
Aber … das war nicht alles. Sie gab es nur ungern zu, sogar vor sich selbst, aber sie hatte auch Angst davor, wie Adam reagieren würde. Oder was seine Familie sagen würde, wenn …
Aber was machte sie sich eigentlich vor? Es wäre doch sowieso egal. Männer wie Adam Campbell würden sich vielleicht für eine kurze Weile für jemanden wie sie interessieren, aber schließlich würden sie jemanden heiraten, der der Familie gefiel.
Und eine solche Frau war sie nun einmal nicht.
Sie riskierte einen Blick auf Adam, der sich gegen einen ihrer großen Tische gelehnt hatte. Anscheinend hatte er sich einen Notizblock und einen Stift von einer der Arbeitsstationen genommen, die vor ihm standen. Als ihre Blicke sich trafen, lächelte er sie traurig an.
„Wir müssen das nicht machen“, sagte er. „Gabriel kann das übernehmen. Ich sehe es dir an, dass du lieber mit jemand anderem als mit mir darüber sprechen willst.“
„Adam. Ich wollte nie mit irgendjemandem darüber sprechen.“
Er sagte nichts, sondern wartete nur geduldig, als ob es keinen Ort auf der Welt gäbe, wo er jetzt lieber wäre.
Dann klopfte er auf den Tisch. „Würde es dir helfen, beim Reden spazieren zu gehen?“
„Ja, schon. Aber wie willst du dir dann Notizen machen?“
„Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis“, meinte er. „Ich schreibe es später auf. Du kannst es lesen, bevor ich es an Gabriel schicke, um sicherzugehen, dass ich alles richtig verstanden habe.“
„Denkst du, dass es sicher ist? Hier draußen?“
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Zweifelst du etwa gerade daran, dass ich dich beschützen kann?“
„Natürlich nicht. Ich … ich …“
Adam lachte. „Ich mache nur Spaß, Bri. Die Hauptsorge um deine Sicherheit bestand darin, dass jemand dich hätte angreifen können, um an den Laptop zu kommen, bevor du ihn hättest untersuchen können. Ich denke zwar, dass wir etwas vorsichtig sein müssen, aber wenn ich wirklich vermuten würde, dass jemand hinter dir her ist, würde ich darauf bestehen, dich heute Nacht in Schutzhaft zu nehmen.“
„Oh.“
Er legte den Notizblock und den Stift zurück und wartete an der Tür auf sie. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, warum es dir so schwerfällt, darüber zu reden, aber ich verspreche dir, alles, was du mir erzählst, mit der größten Vertraulichkeit und dem größten Respekt zu behandeln.“
„Danke.“ Sabrina sah sich im Labor um. Alles war wieder ordentlich an seinem Platz. Und wenn man nicht gerade den Lagerschrank öffnete, würde niemand sehen, dass jemand am Wochenende im Labor gewesen war.
„Alles erledigt?“, fragte er.
Anstelle einer Antwort nahm Sabrina ihre Jacke und folgte Adam aus dem Labor. Sie blieb noch einmal stehen, um sich zu versichern, dass wirklich alles abgeschlossen war. Dann ging sie zufrieden auf Adam zu, der ein paar Schritte weiter wartete. Er streckte seinen Arm aus und sie hängte sich bei ihm ein.
Adam führte sie nach draußen auf das Campusgelände.
„Wohin gehen wir?“, fragte sie.
„Ich dachte, ein Spaziergang um den Teich wäre schön.“
„Beim Rauschen des Springbrunnens kann uns niemand belauschen. Und die Beleuchtung ist ausgezeichnet“, pflichtete Sabrina ihm bei.
Adam grinste. „Ja. Deshalb ist es ja so schön.“
„Hattest du nicht gesagt, ich sei nicht in Gefahr?“
„Ich denke auch nicht, dass du es bist, aber ich möchte nichts riskieren.“
Sie liefen schweigend weiter, bis der Weg um den Teich in ihr Blickfeld kam. Adam drängte Sabrina nicht zu sprechen, und sie waren schon halb um den Teich herumgelaufen, bevor sie ein paar Worte hervorbrachte.
„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, begann sie.
„Versuche es mit dem Anfang.“
„Ich bin mir nicht sicher, wo der ist“, entgegnete sie. Sie war sich bei nichts sicher.
Er legte seine linke Hand auf ihre. „Es ist in Ordnung, wenn du abschweifst. Das hier ist keine Vorlesung. Es ist ein Gespräch. Es muss nicht chronologisch sein. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, hättest du jetzt wahrscheinlich gerne eine Tabellenkalkulation, richtig? Oder eine Powerpoint-Präsentation?“
Sabrina unterdrückte ein Grinsen. „Du kennst mich sehr gut.“
Adam antwortete nicht.
„Obwohl – momentan denkst du wahrscheinlich, dass du mich längst nicht so gut kennst, wie du gedacht hättest.“
Er drückte ihre Hand. „Ich wünsche mir einfach, dass du mir genug vertraust, um zu wissen, dass sich, egal was du sagst, nichts ändert an …“
Er räusperte sich.
„Was ändert sich nicht?“
„Alles.“
Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen, aber sie hatte nicht die Energie, sich jetzt Gedanken darüber zu machen.
Vater, hilf mir.
Vielleicht sollte sie mit dem Schlimmsten anfangen. Dann wäre der Rest einfacher. So wie wenn man ein Pflaster abzieht.
„Ich habe absolut keinen Beweis, aber den sehr starken Verdacht, dass mein Kindermädchen eine Sklavin war.“
Adam blieb nicht stehen. Obwohl sie sich darauf eingestellt hatte, dass er von ihr zurückweichen würde, zog er sie stattdessen näher zu sich hin. Sie wehrte sich nicht dagegen. Sich gegen ihn zu lehnen, gab ihr Mut weiterzusprechen.
„Meine Eltern waren beide Workaholics“, erzählte sie. „Mein Vater war Physikprofessor mit einer befristeten Stelle. Es war ein Job nach dem Motto ‚Veröffentliche etwas oder du bist dem Untergang geweiht‘. Er arbeitete unzählige Wochenstunden. Meine Mutter war damit beschäftigt, die Karriereleiter in ihrem Unternehmen hochzusteigen.“
„Wo arbeitete sie denn?“, fragte Adam.
„Sie ist Geschäftsführerin bei YTT Healthcare.“
„Präsens? Das heißt also jetzt noch?“
„Ja, ich bezweifle, dass sie jemals in Rente geht. Wahrscheinlich stirbt sie irgendwann an ihrem Schreibtisch.“ Er hörte die Bitterkeit aus ihrer Stimme heraus. „Stell dir vor, deine Tante Margaret wäre Geschäftsfrau.“
Adam erschauderte.
„Genau.“
„Sie war vermutlich viel weg, als du Kind warst?“, fragte er.
„Oh ja. Manchmal war sie zwei Wochen am Stück nicht da. Und mein Vater war immer am Arbeiten. Mein Kindermädchen hat mich großgezogen. Sie hieß Rosita.“ In Sabrinas Augen standen Tränen und sie blinzelte sie weg. „Meine Eltern stammten beide aus wohlhabenden Familien und waren unheimlich auf Erfolg bedacht. Eine Schwester meiner Mutter ist Bundesrichterin. Eine andere ist Konzertpianistin. Ihr Bruder ist Senator.“
„Was für Versager“, bemerkte Adam mit einem Augenzwinkern.
„Ich weiß, dass du scherzt, aber mein Großvater wäre mit dir einer Meinung gewesen“, sagte sie. „Keiner von ihnen hat je etwas so schnell oder so gut gemacht, dass er zufrieden gewesen wäre.“
„Er scheint ja hinreißend zu sein.“
Sabrina konnte das Kichern nicht unterdrücken, das aus ihr herausbrach. „Du bist schrecklich.“
Er drückte ihre Hand und lachte mit ihr. „Tut mir leid.“
„Das glaub ich dir nicht“, konterte sie. „Aber so ist es eben. Zu anderen Leuten war er tatsächlich sehr nett, aber zu Hause war er ein Albtraum. Und die Familie meines Vaters war nicht besser. Sein Vater war Chirurg. Mein Vater war ein Einzelkind, aber seine Mutter stammte aus einer Familie, die ihr Vermögen mit Zeitungen gemacht hatte – in einer Zeit, als das noch lukrativ war. Während die Familie meiner Mutter von ihr erwartete, reich und erfolgreich zu werden, sollte mein Vater nach dem Willen seiner Familie etwas Bedeutendes in der Welt bewegen. Sie bläuten ihm ein, dass es ein Verbrechen wäre, mit seiner Intelligenz gesegnet zu sein und sie nicht zu Größerem zu gebrauchen.“
„Das ist ja ein enormer Druck.“
„Ja, das stimmt. Aber es ist keine Entschuldigung dafür, was meine Eltern allem Anschein nach getan haben.“
„Worauf gründet sich dein Verdacht?“ Adam stellte die Frage mit einer solchen Sanftheit, dass Sabrina erneut in Tränen auszubrechen drohte. Sie blickte in Richtung See, damit er sie nicht sah.
„Nicht lange, nachdem ich Christ geworden war, kam ich in Kontakt mit einer Organisation gegen Menschenhandel in Virginia. Das war ausschlaggebend für mein Interesse an Computerforensik. Ich habe einem meiner Professoren dabei geholfen, Fotos von einer Festplatte zu ziehen, die der Täter hatte zerstören wollen. Die Fotos führten uns zu einem Prostitutions-Menschenhändlerring. Diese Fotos … Weißt du, ich bin eine sehr visuell veranlagte Person, und auch wenn ich kein fotografisches Gedächtnis habe, kann ich mir Sachen, die ich einmal gesehen habe, sehr gut merken. Deshalb werde ich diese Fotos nie mehr vergessen.“
„Das verstehe ich“, sagte Adam.
„Aber so schrecklich es auch war und ist, ich wusste einfach: Wenn ich von ein paar Fotos schon so traumatisiert war, dann brauchten die Frauen und Kinder auf diesen Fotos, die das alles durchgemacht haben, unbedingt Hilfe – Hilfe, die ich ihnen geben konnte. Was blieb mir also anderes übrig, als alles in meiner Macht Stehende dafür zu tun, ihnen zu helfen?“
„Es braucht tiefes Mitgefühl, um jemandem in seiner Not zu helfen, anstatt wegzulaufen“, meinte Adam. „Die meisten würden weglaufen.“
„Ich weiß nicht. Die meisten würden sich wohl dafür entscheiden, gar nicht erst hinzusehen.“
„Das stimmt.“
„Wie auch immer, zuerst dachte ich, bei Menschenhandel ginge es nur um Prostitution. Ich habe nicht gewusst, dass es heutzutage auch noch richtige Sklaverei in den USA gibt, und gedacht, dass so etwas nur in Übersee passiert. Und dass die einzigen Sklaven, die in meine Nähe kämen, wegen Sex verkauft würden.“
Sie hielten sich auf ihrem Weg ganz rechts, um einen Jogger vorbeizulassen.
„Aber dann habe ich von Zwangsarbeit gehört und erfahren, dass dabei jeder ein Opfer sein kann. Der Mann, der im Restaurant meinen Tisch abräumt, die Frau, die im Hotel das Bett neu bezieht.“ Sie atmete kräftig aus. „Das Kindermädchen, das mich jeden Abend ins Bett gebracht hat.“
„Du hast in deinem eigenen Zuhause Anzeichen von Zwangsarbeit erkannt?“