Die Tochter der Drachenkrone - Sabrina Qunaj - E-Book

Die Tochter der Drachenkrone E-Book

Sabrina Qunaj

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Beschreibung

Gegen ihre eigenen Brüder kämpft sie für die Freiheit ihres Landes 

Wales, 1197: Nach dem Tod ihres Vaters muss die Fürstentochter Gwenllian um die Unabhängigkeit und Einheit ihrer Heimat kämpfen. Die größte Bedrohung geht dabei nicht von den Normannen aus, sondern ausgerechnet von ihren rivalisierenden Brüdern. Gwenllian muss sich entscheiden, auf wessen Seite sie steht, und geht eine Bündnisehe mit einem einflussreichen Krieger ein. Im Angesicht größter Gefahr erkennen die beiden ihre Gefühle füreinander. Doch hat ihre Liebe eine Chance, solange es keinen Frieden gibt? 

Der Auftakt des großen historischen Epos vor atemberaubender walisischer Kulisse 

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Seitenzahl: 792

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Über das Buch

Schon immer musste sich die walisische Heimat von Fürstentochter Gwenllian gegen Überfälle der Normannen und des englischen Königs verteidigen. So tritt sie nach dem Tod ihres Vaters an die Seite ihres Bruders Gruffydd und kämpft für ein starkes Wales – bis unerwartet ihr Bruder Maelgwn auftaucht und Anspruch auf das Erbe erhebt. Gwenllian steht fest an der Seite von Gruffydd. Doch als er sie mit dem Sohn des größten Feindes, einem Normannen, verheiraten will, um seine Macht zu sichern, weigert sie sich und zahlt dafür einen hohen Preis. Gwenllian ist fest davon überzeugt, dass ihr ein Weg auf der Seite der Briten vorbestimmt ist. Schließlich entscheidet sie sich für eine Bündnisehe mit einem Krieger vom Hof des starken walisischen Fürsten Llewelyn. Die Verbindung dient in erster Linie ihrem Land, aber als Gwenllian ihrem Ehemann zum ersten Mal gegenübersteht, spürt sie sofort, dass das Schicksal sie zusammengeführt haben muss ...

Über Sabrina Qunaj

Sabrina Qunaj wuchs in einer Kleinstadt in der Steiermark auf. Nach der Matura an der Handelsakademie arbeitete sie in einem internationalen College ehe sie das Schreiben zum Beruf machte. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Steiermark und hat bereits mehrere erfolgreiche historische Romane veröffentlicht. Die Bände der »Elfensaga« Elvion sind bei Aufbau Digital lieferbar.

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Sabrina Qunaj

Die Tochter der Drachenkrone

Historischer Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Dramatis Personae

Prolog

Painscastle, Ostwales

September 1196

8 Monate später

St. Davids, Westwales

Mai 1197

Aberystwyth, Westwales

Juni 1197

Aberystwyth, Westwales

Juni 1197

Ein Jahr später

Aberystwyth, Ceredigion, Westwales

August 1198

Painscastle, Powys, Ostwales

September 1198

3 Jahre später

Aberystwyth, Ceredigion, Westwales

Juli 1201

3 Jahre später

Dinerth, Westwales

Oktober 1204

Dinerth, Westwales

März 1205

Dolwyddelan, Gwynedd, Nordwales

April 1205

3 Jahre später

Dolwyddelan, Gwynedd, Nordwales

Oktober 1208

2 Jahre später

Dolwyddelan, Gwynedd, Nordwales

Juli 1210

1 Jahr später

Snowdon, Gwynedd, Nordwales

August 1211

1 Jahr später

Aberdyfi, Gwynedd, Westwales

Mai 1212

5 Jahre später

Abergwyngregyn, Gwynedd, Nordwestwales

Ostern 1217

Rhos‑on-Sea, Gwynedd, Nordwales

Mai 1217

1 Jahr später

Dolwyddelan, Gwynedd, Nordwales

Juni 1218

1 Jahr später

Dolwyddelan, Gwynedd, Nordwales

Mai 1219

Anhang

Stammbäume

Nachwort

Danksagung

Impressum

Wer von diesem historischen Roman begeistert ist, liest auch ...

Dramatis Personae

Historische Persönlichkeiten sind mit einem * gekennzeichnet

Um Ihnen das Lesen der walisischen Namen etwas zu erleichtern, finden Sie manche Aussprachen phonetisch geschrieben in Klammern. Dabei ist zu beachten, dass es im deutschen Alphabet oftmalig keinen Buchstaben gibt, um einen Laut des Walisischen korrekt auszudrücken. So soll dies nur eine Annäherung sein. Auch gibt es sprachliche Unterschiede zwischen Nord und Süd. Wissenswert ist noch, dass das »R« in den meisten Fällen stark gerollt wird wie im Spanischen, das »LL« einem deutschen »Ch«-Laut wie bei »Becher« gleicht, mit einem anschließenden »L«, und das »W« fast immer wie im Englischen, zum Beispiel bei »with«, ausgesprochen wird.

Deheubarth (De-Hay-Barf), Südwales

Gwenllian ferch Rhys* (Gwen-Chli-An)

Rhys ap Gruffydd* (Ries)ihr Vater, Fürst von Südwales

Maredudd ap Rhys* (Ma-Re-Dif)ihr blinder Halbbruder

Gruffydd ap Rhys* (Grif-fif)ihr Bruder, ältester legitimer Sohn und Erbe

Morgan ap Rhys*ihr Halbbruder, Gruffydds Hauptmann

Maelgwn ap Rhys* (Mel-gwin)ihr Halbbruder, ältester Sohn (illegitim) und Gruffydds Widersacher

Matilda de Braose*Gruffydds Ehefrau

Rhys ap Gruffydd (der Jüngere)*Gruffydds und Matildas Sohn

Owain ap Gruffydd*Gruffydds und Matildas Sohn

Angharad ferch Rhys*Gwenllians verheiratete Schwester

EfaMatildas Vertraute

Bleddynein Krieger in Matildas Haushalt, Efas Mann

Madogein Krieger in Matildas Haushalt

Idwalein Knecht in Aberystwyth

Dafyddder Priester in Aberystwyth

Ceridweneine Witwe in Aberystwyth

Hywel (Hau-Wel)der Rechtsgelehrte unter Gruffydd

Helendie Tochter des Pfeilmachers in Aberystwyth

Erindie Frau eines Rinderhirten in Aberystwyth

Cynwrig (Sin-Wrig)Maelgwns Hauptmann

Elis Hauptmann der Garnison in Dinefwr

Cadwgan (Ka-Du-Gan)Krieger für Gruffydd und seine Söhne

EurionKrieger für Gruffydd und seine Söhne

CristynTochter des Falkners

MonaCristyns Mutter

Powys (Pau-Is), Ostwales

Gwenwynwyn* (Gwen-Win-Win)der Herr von Powys

Trahaiarn* (Tra-Hern)sein Vetter

Rhian und Sianzwei Mägde in Painscastle

Seisyll ap Dyfnwal*Opfer des Massakers von Abergavenny

Gwynedd (Gwin-Ef), Nordwales

Llewelyn* (Chlu-We-Lin)Fürst von Nordwales

Ednyfed Fychan* (Ed-Ni-Ved)der Seneschall des Fürsten

Tangwystl* (Teng-Wistl)Ednyfeds erste Frau und Llewelyns einstige Geliebte

Angharad ferch Ednyfed*Ednyfeds Tochter aus

erster Ehe

Tudur ap Ednyfed*Ednyfeds Sohn aus erster Ehe

Llewelyn ap Ednyfed*Ednyfeds Sohn aus erster Ehe

SusannaEdnyfeds Schwester

ArturKrieger in Ednyfeds Gefolge

GarwenArturs Frau

Cynan ap MeurigLandhalter in Gwynedd

ReinerusBischof von St. Asaph

Die Normannen (Freinc)

William de Braose*der Oger von Abergavenny, mächtiger Adeliger

Maud de St. Valery*seine Frau

William de Braose* (der Jüngere)der älteste Sohn und Erbe

Reginald de Braose*ein jüngerer Sohn

Giles de Braose*ein jüngerer Sohn und Kirchenmann

Gilbert de Clare*ein Knappe im Dienst der Familie de Braose, Sohn eines mächtigen Adeligen

Maud de Clare*Gilberts Schwester und Frau von William de Braoses (des Jüngeren)

John of Monmouth*Mündel der Familie de Braose, Erbe von Monmouth

Peter de Leia*Bischof von St. Davids

Henry II*verstorbener König und Widersacher der Waliser

Richard I* (Löwenherz)der abwesende König von England, Henrys Sohn

Prinz John*Henrys jüngster Sohn, Kämpfer gegen die Waliser

Joan*Prinz Johns illegitime Tochter

In lieber Erinnerung an meinen Papa

Prolog

Painscastle, Ostwales

September 1196

»Er ist so gut wie tot.« Rhys ap Gruffydd, Fürst von Südwales und unangefochtener Anführer aller Briten zog mit einer geschmeidigen Bewegung die Flachssehne zurück. Die andere Hand drückte er nach vorne, um den Starkbogen zu spannen. Das Holz ächzte kaum vernehmlich, ein paar Herbstblätter raschelten im Wind, lösten sich von den Zweigen und fielen tanzend auf ihn herab. Sie sammelten sich auf dem Kragen seines Umhangs, bronzene Tupfen auf dem weißen Hermelinfell.

Gwenllian hielt den Atem an. Sie betrachtete das konzentrierte Gesicht ihres Vaters, jede Falte in seiner Haut, den grauen Schnurrbart, der in zwei Strängen seitlich an seinem zusammengekniffenen Mund vorbei nach unten führte und sein Kinn umrahmte. Die grünen, von Krähenfüßen umrahmten Augen hielten das Ziel fest in ihrem Blick, sein Mund öffnete sich, Luft strömte zwischen den Lippen hindurch.

»Was geschieht gerade?«, flüsterte ihr Bruder Maredudd an ihrer Seite und drehte den Kopf, um besser hören zu können.

»Scht!« Gwenllian drückte fest seine Hand. »Er hat ihn gleich.«

Der Pfeil zischte von der Sehne. Gwenllian drehte sich um, verfolgte die Flugbahn durch den Nebel. Der Hirsch zeichnete sich als dunkle Silhouette zwischen den Baumgerippen ab, im nächsten Moment ragte das gefiederte Pfeilende aus seiner Stirn. Er brach mit einem leisen Stöhnen zusammen, und Jubel brandete um sie herum auf, so laut, dass Maredudd sich die Hände auf die Ohren presste.

»Ein wahrhaft fabelhafter Schuss, mein Fürst.« Der Oberjägermeister erhob sich aus seiner Deckung und blies in sein Horn. Kurz darauf war das Gebell der Hunde zu hören, die hatten zurückbleiben müssen, da der Fürst den ersten Hirsch hatte selbst erlegen wollen. Jetzt kamen sie von einem Wildwechsel zwischen den dicht gewachsenen und teils ineinander verschlungenen Bäumen heran, zerrten an ihren Leinen, und die Jungen, die sie führten, hatten ihre liebe Mühe, sie festzuhalten. Einige Männer der fürstlichen Haushaltstruppe folgten, die besten Krieger des Landes, die sich nie weit von ihrem Herrscher entfernten. Ihnen kam die übrige Jagdgesellschaft nach, Freunde und Verbündete ihres Vaters mit ihrem Gefolge.

»Er hat getroffen, Maredudd.« Gwenllian zog ihrem Bruder die Hände von den Ohren und rückte ihm das Tuch zurecht, das seine blinden Augen verdeckte. »Er hat einen prächtigen Hirsch erlegt. Du hättest sehen sollen, wie …« Sie biss sich auf die Unterlippe und verstummte. Ja, er hätte es sehen sollen, aber das konnte er nicht, würde es nie wieder können. Er war genauso alt wie sie, zwölf Jahre, aber für ihn blieb die Welt für immer dunkel. So kurze Zeit nur hatte er all die Farben und Schönheiten dieser Erde sehen dürfen.

»Wie sieht er aus? Beschreibe mir, wie er aussieht.«

Gwenllian kniff die Augen ein wenig zusammen und versuchte, den Hirsch in der Ferne mitten im Nebel genauer auszumachen. »Nun, er war sehr groß, und er hatte ein riesiges Geweih …«

»Wie viele Enden?«

»Ich … ich weiß nicht. Komm mit, dann kannst du ihn fühlen.« Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn durch den kniehohen Farn näher zu dem hingestreckten Tier. Die vom nächtlichen Regen nassen Blätter durchtränkten ihr Kleid, aber das kümmerte sie nicht. Sie war so glücklich, bei der Jagd dabei sein zu dürfen, und sog tief die leicht modrig riechende Luft des feuchten Waldes ein. Wenigstens das konnte auch Maredudd noch wahrnehmen. Sie hatten ihm nicht alles nehmen können.

»Na, was sagt ihr?«, wollte ihr Vater mit seiner tiefen, ernsten Stimme wissen, als sie näher kamen. Er stand gerade aufgerichtet neben dem Hirsch, der rote Drache Britanniens prangte an seiner Brust. »Habt ihr gut aufgepasst? Kraft im Körper ist wichtig, aber nicht alles. Es geht um einen ruhigen Geist, um Konzentration, darum, alles, was um euch herum geschieht, auszublenden. Nur das Ziel zählt. Nicht nur auf der Jagd, im ganzen Leben.« Er sah Gwenllian direkt in die Augen. »Wenn du das verstanden hast, Tochter, dann kannst du alles erreichen.«

»So wie Ihr, mein Fürst«, antwortete Gwenllian und wählte dabei bewusst die förmliche Anrede. Sie wollte ihm zeigen, wie sehr sie ihn respektierte und bewunderte. In ihren Augen war er auch mehr ihr Fürst als ihr Vater. Er war diese große, unsterbliche Persönlichkeit, der jeder mit Hochachtung begegnete. Zudem sah sie ihn nur selten, er war fast ein Fremder. Beinahe alles, was sie in ihren zwölf Jahren über ihn erfahren hatte, kannte sie aus Erzählungen. Umso glücklicher war sie, dass er ihr und Maredudd erlaubt hatte, die Jagd zu begleiten. Sie lebten beide bei ihrem älteren Bruder Gruffydd auf der Burg Aberystwyth oder eher bei seiner Familie. Denn auch Gruffydd war nicht oft zu Hause. Genauso wie ihr Vater war er ständig in irgendwelche Kämpfe verwickelt. Aber jetzt hatte der Fürst seinen Erben zu sich bestellt und ihm aufgetragen, auch Gwenllian und Maredudd mitzubringen. Seine letzte unverheiratete Tochter und seinen jüngsten Sohn, der nie in den Kampf ziehen würde.

Ein schmerzlicher und zugleich tröstender Gedanke. Denn von Maredudd musste sie sich nie mehr verabschieden. Ihm musste sie nicht mehr hinterhersehen und sich Tag für Tag fragen, ob er lebend zurückkehrte. Nein, das hatte sie hinter sich. Sie hatte sich vor einem Jahr von ihm trennen und sich um ihn sorgen müssen, um dann vor drei Monaten den Schmerz zu ertragen, als er gebrochen zu ihnen zurückgeschickt worden war. Aber das war vorbei. Von nun an würde er für immer zu Hause bleiben, an ihrer Seite.

»Maredudd ist ebenfalls klug und stark«, sagte sie, denn auch wenn sie sich über die Aufmerksamkeit ihres Vaters freute, wollte sie nicht, dass er seinen jüngsten Sohn vergaß.

»Ich studiere unsere Gesetze«, ließ sich ihr Bruder auch schon stolz vernehmen. »Bei unserem Rechtsgelehrten. Ich will nützlich sein, wenn nicht im Kampf, dann zumindest mit meinem Kopf. Ich merke mir alles sehr schnell.«

Ihr Vater lächelte, aber es war ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Zum Glück konnte Maredudd es nicht sehen. Denn in den grünen Augen des Fürsten lag Schmerz, wenn er seinen Sohn betrachtete. »Du wirst mir immer von großem Nutzen sein, Maredudd«, sagte er und legte ihm die Hand auf den Scheitel. »Allein schon deine Anwesenheit ist nützlich, schenkst du mir doch allein damit schon große Freude.«

Maredudd strahlte. Das erkannte sie, obwohl ein Tuch die Hälfte seines Gesichts verdeckte. Vielleicht spürte sie es auch mehr. Und sie war ihrem Vater so dankbar. Bestimmt war er auch für Maredudd ein Held, und diese anerkennenden Worte bedeuteten ihm offensichtlich viel.

»Wir sind bereit, mein Fürst«, sagte dann der Oberjägermeister, der mit einem Messer in der Hand über dem Hirsch stand.

»Sehr schön. Fangen wir an.«

»Vielleicht möchtest du lieber zurückgehen, Gwenllian«, sagte Gruffydd, der an ihre Seite kam, ihr großer, starker Bruder, der Kriegsherr. Er deutete nach hinten zur Lichtung. »Matilda und die Kinder warten dort.«

Zu Matilda gehe ich auf keinen Fall!, wollte Gwenllian erwidern, aber ihr Vater kam ihr zuvor.

»Ein totes Tier wird sie nicht verstören«, erwiderte er, bevor sie antworten konnte, und sie war so froh darüber. »Gwenllian ist stark, wie alle Frauen, die ihren Namen tragen.«

Stolz reckte sie die Brust vor. In diesem Moment fühlte sie sich als etwas ganz Besonderes. Ihr Vater hatte viele Kinder, darunter eine Handvoll Töchter, und Gwenllian war die Jüngste. Er hätte diesen Namen schon ihren Schwestern geben können, aber er hatte ihn aufgespart. Für sie.

Seine Mutter hatte Gwenllian geheißen. Sie war eine Prinzessin aus dem Norden gewesen und hatte sich in den Fürsten von Südwales verliebt – ihren Großvater. Die beiden waren zusammen fortgelaufen, hatten geheiratet und dann gemeinsam gekämpft. Sie war in der Schlacht gefallen, als Heldin. Auch Gwenllians Mutter hatte denselben Namen getragen. Sie war aus Powys gewesen, dem Land im Osten, in dem sie sich jetzt befanden. Es war eine aus politischen Gründen geschlossene Ehe gewesen, aber wenn ihr Vater von ihr sprach, war stets seine Zuneigung herauszuhören. Sie war bald nach Gwenllians Geburt gestorben, und Gwenllian war von ihr nichts als ihr Name geblieben.

Sie blickte auf den Hirsch hinunter, der mit geweiteten trüben Augen gen Himmel starrte, und Gwenllian sah bewusst nicht weg. Der Anblick konnte sie nicht schrecken, es war nicht das erste Mal, dass sie dergleichen sah. Schließlich drehte die Köchin zu Hause in Aberystwyth mitten im Hof die Köpfe der Hühner um, und der Schlachter hängte die Schweine zum Ausbluten direkt vor seiner Kate im Dorf auf.

Sie fühlte sich mächtig, weil sie hier bei all den Männern stand und mit Gruffydd und ihrem Vater die beiden starken Felsen ihrer Familie um sich hatte.

Gruffydd hatte nach außen hin nicht viel mit ihrem Vater gemein, er war untersetzt und muskulös, ganz anders als der hochgewachsene, schlanke Fürst. Auch trug Gruffydd seine schwarzen Haare lang und im Nacken zusammengebunden – vielleicht um die kahlen Stellen zu verbergen, die sich mit Mitte dreißig schon gebildet hatten. Ein dichter Bart umrahmte seinen Mund, während ihr Vater sein Gesicht bis auf die Oberlippe regelmäßig rasierte und auch die mittlerweile grauen Haare immer kurz geschnitten hielt. Aber so unterschiedlich sie auch aussahen, sie waren beide Kämpfer und Gwenllian bewunderte sie.

»Komm her, Junge, du kannst mir helfen.« Der Oberjägermeister kniete neben dem Hirsch nieder und winkte Maredudd zu sich, der das aber nicht sehen konnte. Gwenllian führte ihn vorsichtig näher, und Maredudd ging neben dem Hirsch auf die Knie, ein breites Lächeln im Gesicht, das ihr Herz erwärmte.

»Deine Hände sind jetzt, was ich brauche«, erklärte der Oberjägermeister. »Wir tasten den Hirsch nach Geschwüren ab, sehen nach, ob er Krankheiten hat, die das Fleisch ungenießbar machen würden. Deine Hände sehen bestimmt mehr als meine Augen.«

»Ja, das kann ich tun«, sagte Maredudd ganz atemlos vor Aufregung. Gwenllian war so froh, dass er nicht ausgeschlossen wurde und der Oberjägermeister ihm eine Aufgabe gab. Dieser Tag war etwas ganz Besonderes. Für sie beide.

Sie sah zu, wie Maredudd gewissenhaft über das Fell des Tieres strich, den Kopf leicht schief gelegt, den Schimmer der Morgensonne, die sich durch den Nebel kämpfte, in seinen schwarzen Haaren. Wie gerne würde sie ihm das Tuch abnehmen, um sein Gesicht richtig sehen zu können. Aber sie wusste, dass er das nicht wollte, und Gruffydd hatte sie gewarnt, dass der Anblick nicht leicht zu ertragen wäre.

»Das wird ein Festmahl heute«, erklang unvermittelt eine tiefe Stimme in einer anderen Sprache. Eine Sprache, die Gwenllian auf Drängen ihres Vaters hin erlernt hatte und somit verstand – die Sprache des Feindes, der Freinc.

Sofort breitete sich bei diesem Klang Anspannung in Maredudds Körper aus, er sank auf die Fersen zurück, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Kein Wunder, schließlich war er von dieser Sprache umgeben gewesen, als man ihm das Augenlicht genommen hatte.

Schnell ging Gwenllian neben ihm auf die Knie und legte den Arm um ihn. »Keine Angst«, flüsterte sie und hielt ihn ganz fest. »Dir geschieht nichts, dir geschieht nichts.« Sie strich ihm über den Rücken, auf und ab, als könnte sie so seine Furcht wegwischen. »Wir sind alle bei dir, sie können dir nichts tun, niemand wird dir je wieder etwas antun.«

Schwere Schritte kamen von hinten näher, Gwenllian blickte über die Schulter zurück. Sie hatte sich nicht getäuscht. Und obwohl sie an Maredudds Seite stark sein wollte, schlich sich nun auch Angst in ihr Herz. Angst und Hass.

William de Braose trat heran – der Oger von Abergavenny, wie er in ihrem Volk genannt wurde. Und obwohl er tatsächlich aussah wie ein Oger mit seinem runden, fast haarlosen Kopf, der – abgesehen von ein paar schwabbeligen Hautfalten, die den Hals erahnen ließen – direkt in die Schultern überzugehen schien, verdankte er den Namen einzig seinen Taten. Jedes britische Kind hatte schon von ihm gehört. Davon, wie er britische Lords mit ihren Familien zu einem Weihnachtsfest zu sich eingeladen und sie dann in seiner Halle kaltblütig ermordet hatte, selbst einen siebenjährigen Jungen in den Armen seiner Mutter. Das Massaker von Abergavenny nannten es die Geschichtenerzähler. William de Braose war ein Monster. Gwenllian hasste ihn aus tiefstem Herzen, ihn und seine ganze Familie, sein ganzes Volk, seinen König und vor allem den Bruder des Königs, der Maredudds Augenlicht gestohlen hatte. »Den nächsten werde aber ich schießen, schließlich ist dies hier mein Land.« William de Braose hob seine Hände und legte die rechte auf die Schulter ihres Vaters und die linke auf die ihres Bruders. Eine unerträglich respektlose Geste, wie sie fand. Und auch die beiden spannten sich ob dieser falschen Vertrautheit sichtbar an.

»Ja, dank meiner Gnade«, erwiderte ihr Vater rau.

Wieso ließ er sich solches Verhalten überhaupt gefallen? Er war der Fürst von Südwales, niemand stand über ihm, nur der Herrgott. Damit war er genauso bedeutend wie ein König bei den Freinc. Er war der rote Drache, und Gruffydd sein Erbe. Und wer war de Braose? Ein Monster. Ein niemand! Irgendein freincischer Lord. Ein Lord, der gegen ihren Vater aufbegehrt hatte und jetzt von ihm besiegt worden war. Ein Lord, der heimtückisch Frieden zugesichert hatte, nur um dann doch wieder zu betrügen. Für diesen Frieden hatte Gruffydd vor Jahren de Braoses Tochter Matilda heiraten müssen. Es war ein Bündnis mit dem Feind gewesen. Und trotzdem hatte de Braose das Abkommen gebrochen und benahm sich jetzt nach seiner Niederlage wieder so, als wäre er Teil der Familie, ja fast schon ebenbürtig.

Ihr wurde schlecht. Vor allem, da ihr Vater de Braose nicht vernichtet hatte, obwohl er dazu in der Lage gewesen war. Zählte es wirklich so viel, dass de Braose Gruffydds Schwiegervater war, wenn de Braose auch nichts darauf gab? Ihr Vater verhandelte mit diesem Scheusal und ließ ihm auch noch seine Burg. Vor nur wenigen Tagen waren sie sich als Feinde begegnet, de Braose in seiner Burg verschanzt und ihr Vater der Belagerer. Von Gruffydd wusste sie, dass ihr Vater Belagerungen hasste und dem Feind sogar einmal Proviant geschickt hatte, weil er nicht durch Hunger gewinnen wollte, sondern im ehrlichen Kampf. Dabei hätte de Braose ein wenig Hunger nicht geschadet. Sein dicker Bauch quoll ober- und unterhalb des Schwertgurtes hervor. Allein der Gedanke, dass er sich den Wanst vollstopfte, während britische Bauern unter ihm hungerten, ließ ihr die Galle hochsteigen.

»Werden sie mich mitnehmen?«, flüsterte Maredudd mit zitternder Stimme, während der Oberjägermeister ein Messer zückte und damit anfing, den Hirsch aufzubrechen. Gwenllian rutschte mit ihrem Bruder ein Stück zurück.

»Natürlich nicht. Du gehst nirgendwo hin, das lasse ich nicht zu. Und Vater und Gruffydd auch nicht.«

»Was macht dann der Freinc hier?«

»Das ist Matildas Vater. Gruffydd hat uns doch erklärt, dass Vater mit ihm verhandeln will.«

Maredudd atmete zitternd ein und aus. »Aber nicht, dass er an der Jagd teilnehmen wird, dass er frei herumläuft …«

»Vater hat ihn geschlagen, er stellt keine Bedrohung mehr dar.«

»Man darf ihm nicht trauen. Man darf ihnen allen nicht trauen.«

»Das tun wir nicht, Maredudd, glaube mir. Wir sind wachsam.«

»Ich habe ihm vertraut«, flüsterte er weiter, während er sich vor und zurück wiegte, die Arme um den eigenen Körper geschlungen. »Als sie mich gefangen hielten, da vertraute ich einem der Wachmänner – Thomas. Er sagte mir, dass mir nichts geschehen würde, dass ich unversehrt zu euch zurückgeschickt werde, aber dann war er es, der …« Ein Schluchzen kam ihm über die Lippen, und er presste sich schnell die Faust gegen den Mund.

Gwenllian biss die Zähne zusammen vor lauter Wut auf die Männer, die ihren Bruder so misshandelt hatten.

Geiseln für das Wohlverhalten eines Fürsten zu stellen war ein weit verbreiteter Brauch, und Maredudd war solch eine Geisel gewesen. Er hatte zu den Freinc gehen müssen, um dort zu leben und gleichzeitig zu garantieren, dass ihr Vater die Freinc in seinem Land nicht länger angriff. Aber ihr Vater hatte sich eine Burg genommen, die ihm zustand, und dafür hatten die Freinc ihrem Bruder als Strafe sein Augenlicht genommen. In ihrer Familie waren schon viele Geiseln von Freinc getötet worden, sie sollten wohl froh sein, dass Maredudd noch lebte. Und trotzdem hasste Gwenllian sie alle.

Vor langer Zeit hatte es nur Briten in diesem Land gegeben, aber dann waren die Angeln und Sachsen über das Meer gekommen und hatten einen Großteil der Insel erobert. Sie hatten die Briten zurückgedrängt in den bergigen Westen, den sie nicht einzunehmen vermochten. Irgendwann hatten sie dann einen Wall von Nord nach Süd errichtet und das Land damit in zwei Teile geteilt. Den Westen mit den übrigen Briten hatten sie Wales genannt – Land der Fremden – und das britische Volk Waliser – Fremde. Den übrigen, von ihnen eroberten Teil hatten sie England genannt, Land der Angeln und Sachsen. Aber dann, nach vielen Generationen, hatte es bei den Angelsachsen keine klare Erbfolge mehr gegeben und wieder waren Eindringlinge übers Meer gekommen und hatten England in nur einer entscheidenden Schlacht erobert. Es waren die Freinc aus der Normandie gewesen, und diese hatten nicht nur England und sein Volk, die Angelsachsen, erobert, sondern waren auch nach Wales, in ihre Heimat, das Land der Briten, vorgedrungen. Ein Sieg in einer einzigen Schlacht wie in England, über das sie jetzt schon über Generationen herrschten, war ihnen aber nicht gelungen und so kämpften die Freinc seit über hundert Jahren in Wales, und Gwenllians Volk verteidigte sich.

Das waren die Geschichten und Lieder, mit denen Gwenllian aufgewachsen war, Geschichten über Kämpfe und Heldentaten im Kampf gegen die Freinc, Geschichten von den Gräueln, die die Freinc ihrem Volk antaten. Ihre Großeltern waren im Kampf gegen die Eindringlinge gefallen, ihr Urgroßvater, ihre Onkel und Vettern. Die Narben in ihrer Familie waren tief, und so ertrug sie den Anblick de Braoses kaum.

Die drei Männer hinter ihr redeten Freincisch miteinander, und Gwenllian gab sich alle Mühe, ihre Worte zu verstehen, während sie gleichzeitig Maredudd weiter streichelte. Sie wollte wissen, wie es weitergehen sollte, was ihre Pläne waren. Wie lange würde der Frieden halten? Gwenllian hoffte, dass es nie einen wahren Frieden mit de Braose gab. Zwar hatte sie Angst um ihren Vater und ihren Bruder, um alle Männer ihrer Familie, wenn sie in die Schlacht zogen. Aber sie hatte auch schon von klein auf gelernt, wer der Feind war, was er getan hatte und warum er aus ihrem Land verschwinden musste.

»Komm, Gwenllian, das hier ist kein Ort für dich«, erklang plötzlich Matildas leise, piepsige Stimme hinter ihr. Sie sprach einigermaßen gut Britisch, trotzdem war ihr in jedem Wort die freincische Herkunft anzuhören.

»Ich bleibe bei Maredudd«, erwiderte Gwenllian, ohne sich umzudrehen.

»Er sollte auch mitkommen.« Matilda kam um sie beide herum und streckte die Hand nach ihrem Bruder aus. »Maredudd?«

Er wollte schon gehorchen und aufstehen, aber Gwenllian hielt ihn fest.

»Vater hat nichts dagegen, wenn wir hierbleiben«, erklärte sie bestimmt und sah zu ihm zurück, in der Hoffnung, dass er ihr zustimmte, aber er war immer noch im Gespräch mit Gruffydd und de Braose vertieft.

»Na, jetzt kommt schon.« Matilda machte eine auffordernde Handbewegung und Gwenllian sah ein, dass sie nicht länger widersprechen konnte. Vielleicht war es für Maredudd auch wirklich besser, von de Braose und dem freincischen Gespräch wegzukommen, auch wenn Matildas Anwesenheit nicht viel besser war, schließlich hörte man ihr die freincische Herkunft mit jedem Wort an.

Wie konnte Gruffydd nur mit ihr verheiratet sein, Kinder mit ihr haben und gleichzeitig zusehen, was ihre Familie und ihr Volk in diesem Land anrichteten? Ja, er hatte keine Wahl gehabt, ihr Vater hatte diese Verbindung beschlossen, um des Friedens willen. Aber sie mussten doch sehen, dass die Freinc auf solche Verbindungen nichts gaben.

»Seid ihr hungrig?« Matilda legte ihr die Hand auf die Schulter und führte sie zurück in Richtung Ponys, wo andere Frauen, Kinder und ein paar Krieger warteten. Maredudd hielt sich an Gwenllian fest, um den Weg zu finden. »Ich habe etwas gepökeltes Fleisch, Brot und Käse dabei. Wir können uns bei der Lichtung hinsetzen und essen, während die Männer den Hirsch verarbeiten.«

»Was hast du dir gewünscht?«, fragte Gwenllian, woraufhin Matilda kurz stockte und sich ihr mit fragend hochgezogenen Brauen zuwandte. Sie war nur wenig größer als Gwenllian, von nobler Blässe und mit rotgoldenen Haaren, deren Farbe jetzt aber nur durch ihre Augenbrauen zu erkennen war. Die Haare hatte sie mit einem weißen Leinentuch verdeckt. »Was meinst du?«

»Während der Belagerung.« Gwenllian blieb stehen und deutete zurück. »Gruffydd und mein Vater haben deinen Vater belagert. Welchen Ausgang hast du dir gewünscht? Dass dein Ehemann siegt? Oder dein Vater?«

»Natürlich ihr Vater, der Oger«, ließ sich Maredudd bitter vernehmen. Er wollte weitergehen, aber Gwenllian streckte den Arm aus und hielt ihn somit auf. Auffordernd sah sie Matilda an, auf eine Antwort wartend.

Matilda presste die schmalen Lippen aufeinander, wodurch sie fast unsichtbar wurden. »Ich habe mir Frieden gewünscht«, sagte sie dann sanft und wollte ihr erneut die Hand auf die Schulter legen, aber Gwenllian wich einen Schritt zurück, also fuhr Matilda fort. »Ich bin glücklich über diesen Ausgang. Es kam zu keiner Schlacht, sondern zu einer Einigung. Menschenleben wurden auf beiden Seiten geschont. Ist es nicht auch das, was du dir wünschst?«

»Nein«, erwiderte Gwenllian und sah Matilda gerade in die Augen. »Ich wünsche mir, dass alle Freinc aus diesem Land verschwinden.« Und damit ergriff sie Maredudds Hand und ging mit ihm hinüber zu den Kriegern ihres Vaters, die gerade einen Schlauch mit Ale herumreichten. Den überraschten, ja sogar verletzten Blick Matildas versuchte sie dabei zu verdrängen. Trotzdem machte sich der Hauch eines schlechten Gewissens in ihr breit. Gruffydds Frau hatte ihr ja eigentlich nie etwas getan. Im Gegenteil. Seit Gwenllian in Aberystwyth lebte, hatte sie sich immer bemüht, freundlich zu ihr zu sein. Aber Gwenllian hatte sich lieber in der Nähe der Britinnen gehalten, bei den Frauen der Krieger. Denn wie groß wäre ihr schlechtes Gewissen erst, wenn sie sich mit dem Feind anfreundete, mit der Tochter des Ogers? Sie wäre eine Verräterin an ihrem Volk, an allen, die im Kampf gegen die Freinc gestorben waren, an jenen, die William de Braose heimtückisch abgeschlachtet hatte, an Maredudd.

Das durfte sie nicht zulassen. Sie war die Tochter des großen Fürsten Rhys, sie trug das Blut britischer Könige, das Blut des Drachens in sich, ihre Vorfahren waren Herrscher bis zurück zu den Römern. Nein, sie musste stark bleiben.

Ihr Blick fiel zurück zu Gruffydd, ihrem Vater und de Braose. Die drei Männer standen um den niedergestreckten Hirsch herum, der nichts mehr von seiner majestätischen Pracht hatte. Sein Blut benetzte den Farn mit roten Spritzern und floss als Rinnsal über den aufgeweichten Waldboden in ihre Richtung.

Der Anblick sollte sie nicht verstören und trotzdem machte sich plötzlich ein sonderbar beklemmendes Gefühl in ihr breit. Auch ihr Vater war mächtig und majestätisch. Er hatte seinen Erben an seiner Seite und einen Feind, den er bezwungen hatte. Er war auf dem Höhepunkt seiner Macht, niemand konnte es mit ihm aufnehmen. Selbst der freincische König in England hatte es aufgegeben, Truppen gegen ihn zu schicken und ihn stattdessen als Herrscher in Südwales anerkannt. Und trotzdem sah sie jetzt ihn dort liegen, blutend und vernichtet. Immer wieder blitzte das Bild ihres toten Vaters vor ihrem inneren Auge auf, derart echt und bedrohlich, dass ihr die Luft wegblieb.

Ihre Brust zog sich zusammen, ihr Magen verkrampfte sich und Schweiß brach ihr aus. Die Bäume um sie herum drehten sich plötzlich im Kreis, der Wind frischte auf, wirbelte die bunten Blätter durch die Luft. Sie rang um Atem, ihre Knie waren plötzlich ganz weich.

»Gwenllian? Gwenllian, was ist los?« Das war Maredudds Stimme, aber sie hörte sich weit weg an, wie durch Wasser hindurch.

»Helft ihr!«, rief Maredudd, und Hände umschlossen ihre Schultern, die tiefen Stimmen von Kriegern übertönten die kindliche Maredudds.

Sie tastete um sich, Halt suchend, aber die Schwärze gewann, hüllte sie ein und nahm sie mit in ein seliges Nichts.

8 Monate später

St. Davids, Westwales

Mai 1197

Es war still, niemand sagte ein Wort. Zu hören waren nur das Fauchen der Peitsche und das schreckliche Klatschen ihres Aufpralls auf Haut und Fleisch. Gwenllian wartete auf den schmerzerfüllten Schrei, wenigstens ein Stöhnen, irgendein Zeichen von den Lippen ihres geliebten Vaters, aber er blieb stumm.

Er war tot. Keinen der Hiebe spürte er noch, und Gwenllian sollte froh darüber sein, sie wollte ihn nicht leiden sehen. Aber würde er jetzt schreien, hieße das, sie hätte ihn nicht für immer verloren, ihre Vorahnung hätte sich nicht erfüllt und er wäre noch da, bei ihr.

»Geht es dir gut?«, flüsterte Maredudd an ihrer Seite. Er musste ihr Zittern gespürt haben. Seit sie im Herbst auf der Jagd die Sinne verloren hatte, sorgte er sich um sie. Er wich ihr kaum noch von der Seite, fragte sie nach weiteren Vorahnungen, obwohl sie nie wieder eine gehabt hatte, und versuchte, sie zu stützen, wann immer er konnte. Dabei sollte es doch andersherum sein.

»Alles in Ordnung«, erwiderte sie leise und drückte kurz seine Hand. Dann ließ sie ihn los und ging ein wenig weg von ihm, um besser atmen zu können. Ihm passierte nichts, er hatte viele Menschen um sich, aber gerade diese Menschen, die Mauern um den Vorplatz der Kathedrale und besonders seine Fürsorge, drohten sie gerade zu erdrücken.

Sie näherte sich ihrem Bruder Gruffydd, dem neuen Fürsten von Südwales, der statuengleich an der Seite seiner Frau Matilda stand. Sie hielten sich ein wenig abseits des Halbkreises an Menschen, auf der grasbewachsenen Anhöhe, von wo sie alles überblickten.

Ein weiterer Peitschenhieb knallte durch die Luft. Gwenllian presste die Lippen aufeinander, um ihr Schluchzen zu unterdrücken, und trat an Gruffydds Seite. Sie wusste nicht, was sie von Maredudd weg und hin zu Gruffydd geführt hatte. Vielleicht war es der Wunsch, seine Stärke zu spüren. Für Maredudd fühlte sie sich verantwortlich, bei ihm musste sie alles unter Kontrolle haben, aber Gruffydd konnte ihr Fels sein.

»Es ist gleich vorbei«, sagte er, tonlos, kalt. Er legte den Arm um sie, aber Gwenllian spürte die Berührung kaum. Sie stand da und atmete ein und aus. Etwas anderes konnte sie nicht tun. Weiteratmen. Es war Herausforderung genug.

Die Vormittagssonne brannte auf sie herunter, die trutzigen Steinmauern der Kathedrale von St. Davids warfen hier keine Schatten. Schweiß floss ihr über die Stirn in die Augen, aber sie hatte keine Kraft, ihn wegzuwischen. Ihre Arme hingen schlaff herunter, ihre Finger fühlten sich taub und trotz der Hitze eiskalt an. So viele Menschen standen hier herum, immer noch viel zu nah, sie gaben ihr das Gefühl, zu ersticken. Da war nicht nur ihre Familie, sondern auch der Hofstaat ihres Vaters, die Männer seiner Kriegstruppe, Adelige, die Land für ihn gehalten hatten, aber auch völlig Fremde – Pilger zum Grab des heiligen Davids, die zufällig auf das Spektakel stießen. Alle sahen mit an, wie der Körper des größten Fürsten, den dieses Land je gesehen hatte, geschunden wurde.

Gwenllians Blick ging hinüber zum Tor der Kathedrale, vor dem der alte Bischof Peter de Leia stand. Mit zufriedener Miene hielt er sich neben seinen Schergen, die er Messdiener nannte, und zählte die Schläge auf ihren Vater.

Sie hasste ihn. Nicht nur, weil er ein Freinc und damit Diener des englischen Königs war. Nein, sie hasste ihn, weil er sich geweigert hatte, ihren Vater in geweihtem Boden begraben zu lassen. Vor Jahren hatte ihr Vater de Leias Burg angegriffen und seine Pferde gestohlen. Dafür hatte der Bischof ihn exkommuniziert. Nur durch die Schändung seines leblosen Körpers konnte ihr Vater noch Vergebung und eine ihm angemessene letzte Ruhestätte bekommen. Der Bischof ergötzte sich an der Macht, die er über einen so großen Mann erlangt hatte. Gwenllian sah es deutlich in seinem alten, ausgezehrten Gesicht.

»Er wird seine Strafe auch noch bekommen«, raunte Gruffydd mit demselben Hass in der Stimme, den Gwenllian in ihrem Herzen spürte. »Sieh ihn dir an. Er hält sich kaum noch auf den Beinen. Er ist schwach. Schon bald wird er dem Teufel gegenübertreten.«

Gwenllian hörte Matilda scharf Atem holen. Sie hielt sich an Gruffydds anderer Seite und umklammerte jetzt seinen Arm. »Sag so etwas nicht!«, flüsterte sie energisch, die Angst über die blasphemischen Worte war ihr anzuhören.

Gruffydd aber sah auf Gwenllian hinunter, in seinen sonst so warmen braunen Augen loderte Rachsucht. Er sagte nichts mehr, aber das musste er auch nicht, sie verstand ihn auch so.

»Ich sehe mir das nicht länger an«, sagte sie leise und wandte sich ab. Sie hatte kein schlechtes Gewissen, die Beisetzung ihres Vaters zu versäumen, denn es war keine würdige Zeremonie, sondern glich einer Bestrafung und Erniedrigung.

Zu ihrer Überraschung folgte Gruffydd ihr. Wollte er sie nicht allein gehen lassen? Auf sie aufpassen? Dafür könnte er eine seiner Wachen schicken. Gwenllians Fehlen bei dieser Farce würde niemandem auffallen, aber wenn der Fürst wegging, blieb das bestimmt nicht unbemerkt. Und trotzdem hielt er sich in geringem Abstand hinter ihr, den Protest Matildas ignorierend. Vermutlich wollte auch er die Demütigung seines Vaters nicht länger mitansehen, und Gwenllian war froh darüber.

Sie entfernte sich von der imposanten Kathedrale, verließ den Vorplatz durch das offen stehende Tor im Mauerring und folgte einem gepflasterten Pfad, der von Schatten spendenden Bäumen gesäumt wurde. Endlich Kühle, endlich Ruhe.

Schließlich trat sie auf die Marmorbrücke, die über einen Bach zum Friedhof hinüberführte. Kräftige Eichen, die das Ufer säumten und die aufsteigende Kälte des Wassers gaben ihr endlich das Gefühl, besser atmen zu können. Sie blieb auf der Brücke stehen und blickte hinunter auf das klare Rinnsal, das sich leise plätschernd zwischen Steinen hindurchwand. Wenn sie nur eintauchen könnte in das kalte Nass, bis ihr ganzer Körper taub wäre. Dabei sehnte sie sich gar nicht danach, dass ihr Körper nichts mehr spürte, sie wollte nur den Schmerz in ihrem Herzen betäuben.

»Siehst du, wie glatt der Marmor ist?« Gruffydd trat an ihre Seite und strich mit der Spitze seines braunen Lederstiefels über den Stein. »Das kommt von den Abertausenden Menschen, die schon darübergeschritten sind.«

Gwenllian senkte den Blick und betrachtete den Marmor genauer. Jede Ablenkung war ihr jetzt willkommen. »Da ist ein Riss.«

Gruffydd nickte, ging in die Hocke, wodurch der Saum seines knielangen Hemds genauso wie die Schwertscheide über den Boden strich, und legte seine kräftige Hand auf den Marmor. »Man nennt die Brücke llechllafar.«

»Sprechender Stein?«

»Über diese Brücke werden die Toten zum Friedhof getragen, und einst soll sie gerade in einem solchen Moment gesprochen haben. Das Sprechen verursachte diesen Sprung im Stein.«

Gwenllian verdrehte die Augen. Sie war kein kleines Kind mehr, dem er irgendwelche Geschichten erzählen musste, damit es ihr besser ging. »Unsinn.«

»Vielleicht.« Gruffydd erhob sich mit einem Seufzen wieder und ließ seinen Blick über den Friedhof schweifen. »Du weißt ja, wie die Leute reden. Aber der Wahrsager Myrddin soll einst prophezeit haben, dass ein englischer König auf dieser Brücke seinen Tod finden wird. Ein König, der Irland eroberte, und von einem Mann mit einer roten Hand verwundet wurde. Vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren kam dann König Henry auf einer Pilgerreise nach St. Davids und hörte diese Geschichte. Also stellte er sich auf die Brücke und schimpfte Myrddin einen Lügner, denn ihm geschah nichts.«

»König Henry.« Gwenllian sprach den Namen mit all ihrer Abscheu aus, denn König Henry war ein steter Widersacher ihres Vaters gewesen und sein Sohn John hatte Maredudd blenden lassen. Eigentlich war der älteste Sohn Richard, den sie Löwenherz nannten, jetzt König. Aber er war nie im Land, sondern auf Kreuzzügen und in Kriegen in Frankreich. So regierte sein jüngerer Bruder John.

»Schade, dass Henry nicht in unserem Land hingestreckt wurde und sich stattdessen über die Prophezeiungen unseres Volkes lustig machen konnte.«

»Nun, wie wir heute wissen, gelang es König Henry nie, ganz Irland zu erobern und damit ist er auch nicht der König aus der Prophezeiung.«

Gwenllian setzte sich wieder in Bewegung, verließ die Brücke und ging weiter auf den gepflasterten Pfad, der durch die Grünfläche des Friedhofs führte. »Wie konnte Myrddin die Zukunft vorhersehen?«, fragte sie nachdenklich. Die Bestrafung ihres Vaters musste vorbei sein, sie hörte bis auf das Zwitschern der Vögel in den Baumkronen nichts mehr. Ihr war bewusst, dass Gruffydd zurückmusste, auch sie sollte dort drüben sein. Aber dieser gestohlene Moment mit ihrem Bruder war ihr wichtiger als das Gerede der anderen.

Gruffydd schloss sacht seine Hand um ihren Arm und ließ sie damit innehalten. »Du hast Vaters Tod nicht vorausgesehen«, sagte er ernst und lehnte sich zu ihr vor, um ihr tief in die Augen zu sehen. Natürlich hatte er sofort geahnt, warum sie nach Myrddin gefragt hatte. »Du hast vor über einem halben Jahr ein schlechtes Gefühl gehabt, das ist alles. Und das ist ganz natürlich, bedenkt man, wie gefährlich wir leben. Jeder hat einmal Sorge und Angst. Aber Vater starb an dem Fieber, das so viele andere in dieser Gegend ebenfalls dahinraffte, das hast du nicht vorhergesehen. Das konntest du nicht sehen.«

»Ich wusste es trotzdem«, erwiderte sie und trat einen Schritt zurück. »Seit diesem Moment bei der Jagd wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen wird.«

»Du hattest Angst.«

»Ich hatte eine Vorahnung.«

Gruffydd seufzte schwer und strich sich über den dichten Bart um seinen Mund. »Hör auf, so etwas zu sagen, Gwenllian. Wenn Matilda das hören sollte … du weißt, die Kirche der Freinc ist anders als unsere und nimmt solche Dinge nicht leicht. Sie würden dich sofort einsperren und behaupten, du wärst mit dem Teufel im Bunde.«

Gwenllian legte den Kopf schief und musterte ihren Bruder, der mit seinen vierunddreißig Jahren auch ihr Vater hätte sein können. »Liebst du sie?«

Seine Augen verengten sich. »Matilda?«

»Du hast sie dir nicht ausgesucht. Es war Politik. Sie ist eine Freinc. Kannst du mit ihr glücklich sein?«

Gruffydd wandte sich von ihr ab und schien auf einen der Grabsteine zu starren, die Hand schloss er um den Knauf seines Schwertes, sein ganzer Körper befand sich in Anspannung. »Sie hat mir zwei Söhne geschenkt.«

»Zwei freincische Söhne.«

Er fuhr zu ihr herum, und fast wich sie einen Schritt zurück. Sie kannte ihn nicht gut genug, um ihn und seinen Zorn einzuschätzen, aber irgendetwas in ihr ließ sie verharren und standhalten. »Sie werden nicht wissen, wo ihr Platz ist, sie werden zerrissen sein zwischen ihrer freincischen und britischen Herkunft. Sie werden Bündnisse mit den Freinc schließen …«

»So wie wir es tun, seit die Freinc einen Fuß auf diese Insel setzten!« Seine Stimme schwoll an, all die Anspannung und der Schmerz über den Tod ihres Vaters waren ihm jetzt anzusehen, aber aus irgendeinem Grund war Gwenllian vollkommen ruhig. Denn sie wusste, was sie sagte, war die Wahrheit. Es war das, woran sie glaubte.

»Wir tun es, um Zeit zu gewinnen«, erwiderte sie, ungerührt von seinem Zorn, »um Macht zu gewinnen, im Wissen, dass wir das Bündnis brechen, sobald der Augenblick günstig ist, um die Freinc für immer zu vertreiben. Wir tun es nicht, um uns mit ihnen abzufinden.«

Gruffydd schüttelte den Kopf. »Du bist dreizehn Jahre alt, Gwenllian, dazu ein Mädchen, du weißt nicht, wovon du sprichst. Du weißt nicht, was es heißt, Verantwortung über ein ganzes Volk zu tragen, in den Krieg zu ziehen und Männer, deine Familie, deine Freunde sterben zu sehen. Wenn du Söhne hast, wirst du es verstehen.«

Sie mochte erst dreizehn Jahre alt sein, aber sie fühlte sich älter – so viel hatte sie schon erlebt, so viel gesehen und viel verloren. »Ich habe Brüder und ich hatte einen Vater, ich habe Familie, und viele sind gestorben. Ich muss keine Söhne haben, um den Krieg zu verstehen. Ich …«

»Mit jedem deiner Worte beweist du nur, dass du ein einfältiges Kind bist.«

»Und trotzdem bist du diesem einfältigen Kind gefolgt, fort von deiner Verpflichtung als neuer Fürst, als ältester Sohn und Erbe, fort von deinen Männern, deiner Frau und deinen Kindern. Du hast dich für meine Gesellschaft entschieden, weil du die Freinc genauso hasst wie ich. Nur wagst du nicht, es in der Nähe eines freincischen Bischofs und deiner freincischen Frau laut auszusprechen. Vater ist tot, und du bist wütend, und du kannst es nur vor mir zeigen.«

Gruffydd starrte sie an, und Gwenllian reckte ihr Kinn vor. »Ist es nicht so?«

Er schüttelte den Kopf, müde. »Ich bin jetzt der Fürst. Schwarz-Weiß-Denken kann ich mir nicht mehr erlauben. Du wirst das lernen. Spätestens, wenn du verheiratet bist.«

Ein Lachen entfuhr ihr. »Ja, aber ich werde einen Briten heiraten, und dieser wird den Kampf für unser Land verstehen.«

Gruffydd wandte sich wieder von ihr ab, allerdings nicht schnell genug, um diesen sonderbaren Ausdruck in seinem Gesicht zu verbergen. Ein Ausdruck, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

»Ich werde einen Briten heiraten«, wiederholte sie und lief um ihn herum, um seinen Blick einzufangen. »Einen Briten, der gegen die Freinc kämpft.«

Gruffydd zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen.«

»Wir werden sehen? Was meinst du damit? Hast du etwa schon jemanden in Aussicht? Du bist erst wenige Tage Fürst, und schon willst du mich weggeben?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

Ihr wurde schwindelig. »Versprich mir, dass es nie ein Freinc sein wird! Versprich es mir!« Sie packte ihn am Ärmel seines Hemds und krallte ihre Nägel in seine Haut. Nie zuvor hatte sie auch nur an die Möglichkeit gedacht, einen Freinc heiraten zu müssen. Wieso hatte sie das nicht getan? Gruffydd hatte recht, sie war ein einfältiges Kind. Er hatte schließlich auch eine Freincin zur Frau genommen und ihre Schwester Angharad war mit einem Freinc verheiratet. Sie lebte weit weg in Bristol, auf der anderen Seite des Flusses Severn. Auf der englischen Seite. Warum war ihr der Gedanke nie gekommen, dass auch ihr ein ähnliches Los blühte? Weil all ihre anderen Schwestern Briten geheiratet hatten? In ihrem Kopf war es immer ein Brite gewesen, ein Kämpfer für die Freiheit ihres Volkes, jemand, den sie bewunderte und respektierte, wie ihren Vater. Aber was, wenn sie wirklich einem Freinc gegeben wurde? Das wäre etwas anderes als bei Gruffydd. Ihr Bruder konnte weiterhin Brite bleiben und für die Briten kämpfen, egal, welche Herkunft seine Frau hatte. Aber Gwenllian müsste weggehen, zu den Freinc und unter ihnen leben, eine von ihnen werden.

»Gruffydd!« Die freincische Aussprache seines Namens hallte in ihr nach, wie das Echo ihrer schrecklichen Zukunftsängste.

Sie fuhr herum, und wie erwartet war es Matilda, die über die Brücke auf den Friedhof gelaufen kam, die Röcke gerafft und blanker Schreck im Antlitz.

Gruffydd ging an Gwenllian vorbei auf seine Gemahlin zu. »Was ist los?« Er klang ungeduldig und gab sich nicht die Mühe, seinen Ärger über die Störung zu verbergen.

»Maredudd ist weg.«

Ein weiterer Schlag, der sie wie ein Fausthieb in den Magen traf. »Was soll das heißen, Maredudd ist weg?« Sie ging auf Matilda zu. »Es waren so viele Menschen um ihn!« Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle. Sie hätte ihn nicht allein lassen dürfen, das war selbstsüchtig gewesen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn bereits ertrunken im Bach oder abgestürzt vor einer Mauer liegen. Wie sollte er allein zurechtkommen? Wieso war er weggegangen? War er das überhaupt, oder hatte ihn jemand mitgenommen? So viele Fragen rasten ihr durch den Kopf, so dass Matildas Stimme kaum bis zu ihr durchdrang.

»Ich weiß es nicht«, wimmerte die Freincin und warf einen Blick zurück zur Kathedrale. »Sie haben den Leib des Fürsten in den Sarg gebettet, alle Augen waren darauf gerichtet, und dann fragte Morgan plötzlich, wo Maredudd sei.«

Morgan! Wieso hatte er nicht auf Maredudd aufgepasst? Wieso …? Nein, sie durfte ihn nicht verurteilen, es wäre ihre Aufgabe gewesen, bei Maredudd zu bleiben. Morgan war nur wenig jünger als Gruffydd und genauso wie Maredudd ein Halbbruder Gwenllians. Sie alle waren Kinder des Fürsten, aber Morgan und Maredudd hatten andere Mütter und waren illegitimer Abstammung. Natürlich hatte auch Morgan sich auf seinen toten Vater konzentriert, natürlich trauerte auch er und dachte nicht zuallererst an Maredudd.

»Und niemand hat gesehen, wie er sich entfernte?« Gruffydd ballte die Hände zu Fäusten.

Matildas Unterlippe fing an zu zittern, während sie den Kopf schüttelte. Gruffydd fluchte und stürmte los, Matilda konnte gerade noch zur Seite ausweichen. Gwenllian eilte ihm hinterher, Angst schloss sich wie eine eiserne Faust um ihr Herz. Plötzlich war nichts anderes mehr wichtig. Vaters Beerdigung, die Aussicht auf eine Heirat, die Freinc. Wenn es nur Maredudd gut ging!

Sie überquerte die Marmorbrücke und lief durchs Tor zurück zum Vorplatz der Kathedrale, über den sie ihren Blick schweifen ließ. Auch hier kümmerte sich niemand mehr um den Sarg vor der Schwelle zur Kathedrale, die Menschen zerstreuten sich, sahen sich um, Maredudds Name scholl durch den Morgen, hallte von den Mauern wider.

Gruffydd hielt direkt auf Morgan und die Männer seiner Kriegstruppe zu, Gwenllian hingegen blieb stehen. Wieso war Maredudd weggegangen? Was hatte ihn angetrieben, wenn es wirklich sein eigener Wunsch gewesen war? Wenn es ihr gelang, seine Gedanken nachzuvollziehen, dann wüsste sie auch, wohin er gegangen war, blind, durch die Schwärze, die ihn umgab. Weit konnte er unmöglich gekommen sein.

»… als hätte er sich in Luft aufgelöst«, hörte sie eine Frauenstimme. Es war Efa, die Gemahlin eines Kriegers.

»Er konnte doch gar nicht sehen, was man seinem Vater antat, was mag ihn da so aufgeregt haben, dass er wegläuft?«, wunderte sich eine andere.

Gwenllian hörte nicht länger hin. Sie ging zur Steinmauer, die den Platz säumte und vor der Gwenllian zusammen mit Maredudd und so vielen anderen Menschen nur eine Stunde zuvor gestanden hatte. Sie legte ihre Hände auf den warmen Stein, blickte über die Mauer hinweg hinüber zum Bischofspalast, der auf der anderen Flussseite lag, und versuchte, sich in Maredudd hineinzuversetzen. Er musste sich entlang der Mauer bewegt haben, um sich festzuhalten und zu orientieren, aber in welche Richtung war er gegangen? Zum Ausgang und zur Straße in Richtung Palast? Oder entlang der Kathedrale? Hoffentlich letzteres, denn das Bild von Maredudd im Fluss Alun war noch einmal sehr viel schlimmer als das im kleinen Bachlauf zum Friedhof hinüber.

»Maredudd?«, rief nun auch sie, und sie sah sich noch einmal in alle Richtungen um. Aber inmitten all der durcheinanderlaufenden Menschen konnte sie ihn nicht entdecken. Wieso hatte sie jetzt keine Vorahnung wie damals bei der Jagd? Wieso sah sie keine deutlichen Bilder vor sich, sondern nur solche, die ihre Angst heraufbeschwor? Gruffydd behauptete, auch bei der Jagd wäre es nur ihre Angst gewesen, aber damals hatte sie alles gesehen und gespürt. Es war so real gewesen, dass es ihr die Sinne geraubt hatte. Doch jetzt hatte sie lediglich ein ungutes Gefühl, Befürchtungen befielen sie. Was aber geschehen würde, wusste sie nicht. Konnte sie eine Vorahnung herbeiführen? Konnte sie dieses Sehen kontrollieren und nutzen, wenn sie es brauchte? Was war das damals gewesen? Wieso war es nur einmal gekommen? Sie brauchte es jetzt!

»Maredudd, bitte!« Sie ging los, in jene Richtung, in die ihre Intuition sie leitete, zwischen der Kathedrale mit den hohen Bogenfenstern und der Mauerbegrenzung hindurch. Ihr Weg führte eine grasbewachsene Anhöhe hinauf. Diese Seite der Kirche sah ein wenig sonderbar aus, weil die anfangs so hohen Mauern immer kürzer wurden, um die Steigung des Bodens auszugleichen. War Maredudd wirklich hier hochgegangen?

Die Stimmen der anderen waren nur noch ein ferner Hall, verschluckt von der Kathedrale, die nun zwischen ihnen lag.

»Maredudd?« Sie lehnte sich erneut über die Mauer, überblickte das Umland bis zum Friedhof hinüber, aber nirgendwo sah sie einen Jungen mit schwarzem Schopf und leinener Augenbinde. »Wo bist du nur?« Sie drehte sich wieder um, lehnte sich an die Mauer und dann fiel ihr die Tür im Seitenschiff auf. Sie war einen Spaltbreit geöffnet.

Gwenllian sah sich in alle Richtungen um. Nach wie vor war niemand auf diese Seite gekommen, um nach Maredudd zu suchen, es war auch kein Mensch zu sehen, der vielleicht aus der Kathedrale herausgekommen war. Also war jemand hineingegangen.

Entschlossen stieß sie sich von der Mauer in ihrem Rücken ab und ging hinüber zur Tür. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihr Atem kam ihr plötzlich laut vor. Vielleicht weil sie das Gefühl hatte, etwas Verbotenes zu tun. Der Bischof würde es nicht gerne sehen, wenn sie unbeaufsichtigt die Kathedrale betrat. Aber Maredudd war jetzt wichtiger.

Sanft schob sie die knarzende Tür weiter auf und spähte ins Innere. Goldener Kerzenschein erleuchtete die Bogengänge vor ihr, die ins Mittelschiff führten, und die vielen Reihen simpler Holzbänke. Gwenllian trat ein, zog die Tür hinter sich zu und nahm den Geruch von feuchtem, kaltem Stein und Weihrauch in sich auf. Fackeln in Wandhaltern beleuchteten das Gewölbe an ihrer Seite, aber keine Spur von Maredudd. Sie ging vor ins Mittelschiff, darauf bedacht, keinen Lärm zu verursachen, aber die Kathedrale schien ohnehin verlassen. Ihr Blick fiel hinauf zum Altar, über dem ein hölzernes Kreuz mit dem Abbild des gekreuzigten Jesu hing. Und vor dem Altar mit dem fein gestickten Tuch aus Goldbrokat kniete ein Kind.

Ein Japsen entfuhr ihr, und sie eilte los.

»Maredudd!«, flüsterte sie, und er fuhr zu ihr herum, so abrupt, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor. Er sank zurück auf die Fersen und seufzte.

»Gwenllian.«

»Ja, ich bin es. Gott sei Dank ist dir nichts passiert! Was machst du hier?«

»Ich bin weggegangen, so wie du.« Der Hauch eines Vorwurfs schwang in seiner Stimme mit, und Gwenllian presste die Lippen aufeinander. Er hatte recht.

»Ich weiß, dass du nicht ständig bei mir sein kannst«, sagte er dann versöhnlicher und rappelte sich auf. »Ich weiß, ich bin oft anstrengend.«

»Das ist nicht wahr.«

Da war nur das Tuch, das seine zerschundenen Augen verdeckte. Und trotzdem war es, als träfe sie sein Blick, aus dem sprach, dass er ihr nicht glaubte. Als könnte sie durch das Tuch hindurchsehen, als hätte sie den Maredudd vor sich, der vor einem Jahr weggegangen war, gesund und unversehrt. Ja, es war wohl mehr die Erinnerung daran, wie er früher ausgesehen, wie er sie früher angesehen hatte.

»Es war vorhin zu viel für mich«, erklärte sie und ging auf ihn zu. Sie nahm seine Hand in ihre, seine kalte Kinderhand.

Es war schon erstaunlich, wie jung ihr Maredudd erschien, obwohl er zwei Monate älter war als sie. Aber Gwenllian überragte ihn um eine Handspanne, und seit seinem Aufenthalt bei den Freinc kam er ihr noch kleiner und zerbrechlicher vor. Sie waren beide dreizehn Jahre alt, aber in ihren Augen war sie selbst erwachsen und er noch ein kleines Kind.

»Ich weiß«, sagte er und drückte ihre Hand. »Es ging mir genauso.«

»Wie hast du hierher gefunden?«

»Ich war schon ein paar Mal hier … früher, mit Vater. Ich erinnerte mich an den Weg und tastete mich voran.«

»Erstaunlich.«

Er lachte unfroh auf. »Du siehst, ich komme auch allein zurecht.«

Gwenllian lächelte wehmütig und führte ihn ein Stück zurück zur ersten Kirchenbank, wo sie ihn sacht niederdrückte. Dann setzte sie sich an seine Seite und blickte hoch zum Holzkreuz. »Wir sollten wohl zurückgehen, alle sind ganz aufgeregt und suchen dich.«

»Ja, wir sollten wirklich zurück.«

Keiner von ihnen beiden bewegte sich.

»Was wird nun aus uns?«, fragte Maredudd schließlich bang. Er schob die Hände zwischen die Knie und ließ den Kopf hängen. »Jetzt, da Vater nicht mehr da ist.«

»Wir leben weiterhin bei Gruffydd. Er ist jetzt Fürst, und wir waren doch immer schon bei ihm. Für uns ändert sich nichts.«

»Und wenn Gruffydd mich nicht haben will? Vater bestimmte, dass ich bei ihm leben soll, aber Vater ist nicht mehr da, und Gruffydd will vermutlich keinen Krüppel in seinem Haushalt.«

Gwenllian packte seinen Arm. »Sag so etwas nicht! Du bist kein Krüppel, du bist der Bruder des Fürsten, der Sohn des großen Rhys …«

»Der Bastard des großen Rhys und der Halbbruder des Fürsten.«

Ihre Augen verengten sich, während sie ihn musterte, wie er so geschlagen dasaß. »Du redest wie ein Freinc. Du weißt genau, dass es bei uns keine Bastarde gibt, Vater hat dich anerkannt, das ist alles, was zählt.«

»Vielleicht hast du recht. Ich … ich habe einfach Angst. Alles ist jetzt anders.«

»Ja, ich weiß.« Auch Gwenllian fürchtete sich vor dem Ungewissen. Aber sie musste an Gruffydd glauben. Er war jetzt Fürst, und sie musste darauf vertrauen, dass er das Richtige tat, für sie und Maredudd.

Aberystwyth, Westwales

Juni 1197

»Gwenllian, ich bitte dich!« Matilda kam entlang des Wehrgangs auf sie zu, die Röcke mit einer Hand gerafft, mit der anderen hielt sie den Schleier auf ihrem Kopf fest, damit er ihr im frischen Wind nicht davonflog. »Wir haben dich schon überall gesucht. Du solltest doch mit uns zusammen am Altartuch arbeiten. Was machst du denn hier draußen?«

»Warten«, erwiderte Gwenllian und wandte sich wieder dem wunderbaren Ausblick zu. Sie umschloss die beiden Holzlatten des Palisadenzauns rechts und links mit beiden Händen und blickte zwischen ihnen hindurch aufs tosende Meer hinaus. Ein Sturm zog im Westen auf. Schwarze Wolken türmten sich am Horizont über dem grauen Wasser und kamen immer näher.

Gwenllian atmete tief den salzigen Duft ein und genoss, wie der auffrischende Wind ihr die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht blies. Sie hatte das Gefühl, wenn sie jetzt die Arme ausstreckte, könnte der Wind sie vom Wehrgang der Burg emporheben und sie bis in den Himmel tragen. Sie konnte es kaum erwarten und freute sich auf das Donnern, die Blitze und das Heulen des Windes, auf die Dunkelheit und die Gewalt des nahenden Unwetters. Denn das waren die Momente, die sie beruhigten, in denen alles in ihr still wurde. Wenn der Sturm endlich nicht in ihrem Kopf wütete, sondern dort draußen.

»Komm, wir müssen hineingehen, es ist hier nicht länger sicher.« Und wie um ihre Worte zu bekräftigen, fuhr ein Blitz aufs Meer herab. Matilda japste nach Luft und streckte die Hand nach ihr aus, aber Gwenllian rührte sich nicht, ihr Blick haftete weiterhin auf den weißen Schaumbergen, die sich an die Felsen der Landzunge warfen.

»Nur noch einen Moment«, bat sie und verstärkte den Griff um das raue Holz. »Das Gewitter ist noch weit weg.«

»Zu nah für meinen Geschmack. Komm, Gruffydd und die Noblen sind bestimmt schon fertig mit ihrer Besprechung in der Halle und wenn er herauskommt und uns bei diesem Wetter hier sieht …«

»Ich habe keine Angst vor meinem Bruder.«

»Ja, aber …« Matilda verstummte und Gwenllian wandte sich ihr zu. Der Tonfall ihrer Schwägerin ließ sie aufhorchen. Als hätte sie sagen wollen: Ja, aber ich. Sie kaute jetzt auf ihrer Unterlippe herum.

»Gruffydd ist ein guter Mann«, sagte Gwenllian und sah der Freincin in die Augen. »Er ist stark und fähig, er ist der Fürst in diesen Ländereien und er wird uns vor weiteren Einfällen der Freinc schützen.«

Nun trat Mitleid in Matildas Augen, ein Ausdruck, den Gwenllian nicht erwartet hatte und der sie zutiefst irritierte. Für gewöhnlich reagierte Matilda auf Gwenllians Widerworte verletzt oder auch erbost, aber Mitleid?

Die Freincin musste nichts sagen, denn ihr Blick sprach Bände. Sie gab Gwenllian damit zu verstehen, dass sie lediglich ein ahnungsloses Kind war, das nichts von der Welt verstand, aber was wusste denn schon Matilda?

»Gruffydd ist hundertmal besser als jeder Freinc«, stieß Gwenllian aus und ballte die Hände zu Fäusten. »Besser als dein Vater. Du wirst schon noch sehen. Vielleicht bringt Gruffydd deinen Vater ja auch einfach um und holt sich doch noch seine Burg. Er wird jeden Freinc umbringen, der sich in unserem Land breitmacht.«

Matilda seufzte nur und schüttelte den Kopf, dann schloss sie ihre Hand fester um Gwenllians Arm und zog sie sacht mit sich. »Komm, wir sollten jetzt wirklich hineingehen.«

Aber Gwenllian riss sich los. »Ich bleibe hier.« Sie sah an Matilda vorbei zu Madog und Bleddyn hinüber, zwei Wachen, die ein Stück weiter weg an der Palisade standen und ihnen verstohlene Blicke zuwarfen. Vielleicht überlegten sie, dazwischenzugehen, aber das war Gwenllian egal, denn sie wusste, auf wessen Seite die beiden standen. Zwar gehörten sie zu Matildas persönlichem Haushalt, aber wenn es hart auf hart kam, standen sie bestimmt nicht auf der Seite der Freinc, sondern auf der Seite der Tochter des großen Fürsten Rhys. Immerhin waren sie Briten.

»Gwenllian, es ist jetzt wirklich genug. Es wird Zeit, dass du Benehmen lernst. Wie soll dein Bruder einen Ehemann für dich finden, wenn du dich aufführst, als wärst du bei den Wölfen aufgewachsen?«

»Ich werde ohnehin einen Briten heiraten, die mögen selbstständige Frauen. Meine Großmutter ritt sogar in die Schlacht.«

»Jaja, du hast deinen Standpunkt wieder einmal klargemacht, aber jetzt komm endlich. Maredudd hat schon nach dir gefragt.«

Gwenllian verengte die Augen, wütend über die Waffe, die Matilda benutzte. Natürlich wusste die Freincin genau, dass Maredudd Gwenllians wunder Punkt war.

Matilda ergriff ein weiteres Mal Gwenllians Arm und obwohl Gwenllian wirklich lieber hier draußen geblieben wäre, um das Näherrücken des Sturms weiter zu beobachten, sah sie ein, dass es nun Zeit war hineinzugehen. Nicht nur wegen Maredudd. Denn ungeachtet dessen, was sie zu Matilda gesagt hatte, wollte sie nicht, dass Gruffydd herauskommen und sie holen musste. Ihr Bruder sollte nicht schlecht von ihr denken oder sie für schwierig halten, er sollte sie bewundern, so wie sie ihn bewunderte.

Gwenllian ging an Matildas Seite an Madog und Bleddyn vorbei, den einzigen Wachen auf der Meerseite, da von hier aus ein Angriff ohnehin unwahrscheinlich war. Krieger würden es nur schwer über die Felsen hinaufschaffen, einzelne vielleicht, aber kein ganzes Heer.

Die beiden Männer lächelten ihr zu, dann nahm sie die Holztreppe hinunter in den Hinterhof, der einer gepflegten Gartenanlage mit blühenden Apfelbäumen und Beerensträuchern glich.

»Efa arbeitet schon am Altartuch«, sagte Matilda übertrieben gut gelaunt, als wollte sie Gwenllian damit auch ein wenig Begeisterung abringen. »Du und Maredudd, ihr mögt doch so gerne, wie sie singt. Wenn du sie bittest, wird sie euch bestimmt etwas vorsingen. Vorhin hat sie den anderen Kindern Geschichten erzählt und …«

»Ich bin kein Kind mehr«, erwiderte Gwenllian bestimmt und beschleunigte ihre Schritte, um Matilda irgendwie loszuwerden. Der Wind wehte hier unten nicht ganz so stark, die Palisade bremste ihn ein wenig ab, aber jetzt, da sie nicht mehr oben stand und dem Tosen des Meeres zusehen konnte, war er ihr plötzlich unangenehm. Die einzelnen Böen krochen ihr durch das Leinen ihrer Kleider bis auf die Knochen.

Sie umrundete die Hütten für die Wintervorräte, ging die Längsseite der großen Halle entlang und erreichte den vorderen Hof. Ein paar Hühner kreuzten ihren Weg, die im festgetretenen Boden Körner suchten. Gwenllian scheuchte sie weg, als sich unvermittelt das große Haupttor der Burganlage auf der anderen Seite des Platzes öffnete. Sie blickte auf, gespannt und aufgeregt über nahenden Besuch. Durch den Spalt zwischen den beiden Flügeln preschten augenblicklich zwei Reiter herein.