Die ultimativen Don'ts für Lehrerinnen und Lehrer - Benny Regenauer - E-Book

Die ultimativen Don'ts für Lehrerinnen und Lehrer E-Book

Benny Regenauer

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Beschreibung

Als Lehrkraft musst du stets konsequent sein, alles ausgiebig erklären, dich verantwortlich für alle Schüler:innen fühlen und perfekt performen? – Quatsch! Bücher darüber, wie Lehrende sich selbst optimieren können, gibt es zur Genüge. Doch wie darf bzw. sollte eine Lehrkraft sich hierfür konkret nicht verhalten? Benny Regenauer räumt mit Klischees und verkrusteten Denkweisen auf. Mithilfe von persönlichen, unterhaltsamen, ernsten oder witzigen Einblicken und Praxisbeispielen aus seiner langjährigen Lehrtätigkeit beschreibt er, wie Lehrende es schaffen können, zumindest keine schlechten Lehrkräfte zu sein. Wer allerdings eine perfekte Liste an Ausschlusskriterien erwartet, dem sei bereits Don't Nr. 6 mit auf den Weg gegeben: Fehler vermeiden wollen.

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Benny Regenauer

Die ultimativen Don’ts für Lehrerinnen und Lehrer

Ehrlich(er) und gelassen(er) durch den Schulalltag

VANDENHOECK & RUPRECHT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2024 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA;

Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland;

Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink,

Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung und Illustrationen: © Sascha May

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99316-4

»[D]as Scheitern [ist] Ihr Freund […].Es ist das Rohmaterial des Erfolgs.Laden Sie es ein.Lernen Sie von ihm.Und lassen Sie es erst ziehen,wenn Sie es ausgeraubt haben.«

Scott Adams 2014, S. 326

Inhalt

Vorwort

Die ewigen Leiden der Lehrerinnen und Lehrer

Einleitung

Warum weniger manchmal mehr ist

Don’t 1

Zu viel quatschen!

Don’t 2

Konsequent handeln wollen!

Don’t 3

Deinen Humor verlieren!

Don’t 4

Zynisch sein!

Don’t 5

Deine Selbstkritik verlieren!

Don’t 6

Fehler vermeiden wollen!

Don’t 7

Deinen Einfluss auf die Schüler überschätzen!

Don’t 8

Herablassend zu deinen Schülern sein!

Don’t 9

Glauben, der Nabel der Welt zu sein!

Don’t 10

Medienkonsum dem Tun vorziehen!

Don’t 11

Aufgeben!

Don’t 12

… (Jetzt bist du dran!)

Schlusswort

Nach den Don’ts ist vor den Don’ts

Literatur

Vorwort

Die ewigen Leiden der Lehrerinnen und Lehrer

»Der Leidensdruck ist groß . Würden Lehrer

von vorneherein darauf vorbereitet, dass sie

neben ihrer Rolle als Fachexperten vorrangig

Beziehungsarbeit zu leisten haben, könnten

Frustrationen und langfristig auch Burn-outs

sicherlich vermieden werden. Wenn all dies

bekannt ist – warum steht das Schulklima dann

nicht seit Jahrzehnten ganz oben auf der Agenda

von Schulleitern und Bildungspolitikern?«

(Eichel 2014, S. 358)

Die vorangestellten Zeilen aus Christine Eichels Buch »Deutschland, deine Lehrer« aus dem Jahr 2014 beschreiben die Problematik des Lehrjobs genau – damals wie heute. Die Leiden der Lehrerinnen und Lehrer waren groß, sind groß und werden es in Zukunft wohl auch bleiben.

Ähnliche Klagen hören wir, wenn wir uns an den deutschen Schulen umhören. Es wird gelitten und gejammert, als gäbe es kein Morgen. In den Lehrkollegien, unter den Schulleiterinnen und Schulleitern, in den Elternhäusern – auch die Schüler meckern, wo es nur geht. Es wird sich über diese faulen Lehrkräfte, die zu wenig machen und sich auf ihrem Beamtenstatus ausruhen, ausgelassen. Oder man beschwert sich über jene, die übermotiviert die Ängste und Sorgen ihrer Schülerinnen und Schüler außenvor lassen und sie stattdessen mit einer Vielzahl an Aufgaben und Übungen überfordern. Die Lehrenden hingegen verdrehen die Augen, wenn es um die Eltern geht, die sich nicht kümmern oder – in Rasenmäher-Manier – zu viel kümmern. Im Lehrerzimmer wird abgehetzt, was das Zeug hält: über die ebenfalls faulen Schülerinnen und Schüler oder das komplette deutsche Bildungssystem. Es wird sich darüber echauffiert, dass keine Hausaufgaben gemacht werden oder die Bildungspolitik nicht genügend Geld in die Hand nimmt. Dass gegen den Lehrkräftemangel nichts unternommen wird und die Lerngruppen immer noch zu groß sind. Als positives Gegenbeispiel wird dann oft die Schulpolitik in den skandinavischen Ländern herangezogen. Wie war es aber damals?

»Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe«, wurde bereits in einem Keilschrifttext um das Jahr 2000 vor Christus entziffert. »Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten«, stand auf einer Babylonischen Tontafel um circa 1000 vor Christus. »Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer«, beschwerte sich der oft zitierte Sokrates um das Jahr 400 vor Christus. Dann ein großer Sprung: »Der grenzenlose Mutwille der Jugend ist ein Zeichen, daß der Weltuntergang nah bevorsteht«, gab Melanchton um 1530 zum Besten. Und zum Abschluss: »Es ist die Wahrnehmung gemacht worden, daß bei der Schuljugend die früher kundgegebene Anständigkeit und das sittliche Benehmen […] mehr und mehr verschwinde«, stand 1852 im Regierungsbericht (alle historischen Zitate zit. nach Gilfert 2015).

Es scheint, als hätte sich über die Jahrtausende irgendwie nichts geändert: Die Jugend war und ist immer noch anstrengend. Erziehungsarbeit ist demnach wohl immer anstrengend und fordert einem alles ab. Aber warum nur? Weil diese Arbeit immer auch Beziehungsarbeit ist – und Menschen sind nun mal anstrengend. Doch muss diese Beziehungsarbeit bis in alle Ewigkeit anstrengend bleiben? Können wir denn wirklich gar nichts dagegen tun?

Mittlerweile sollten alle angehenden Lehrkräfte doch eigentlich wissen, worauf sie sich einlassen, so denkt man. Das stimmt schon. Aber die Themen Beziehungsarbeit, Umgang mit Störungen im Klassenraum, Gesprächsführung und anderes aus der Pädagogischen Psychologie spielen im Lehramtsstudium – leider immer noch – kaum eine Rolle. Sie florieren stattdessen immer mehr in der Ratgeberliteratur und finden dort fleißige Abnehmerinnen und Abnehmer.

Und wie sieht es im Anwärterdienst mit solchen Themen aus? Ähnlich mau. Da stehen überwiegend didaktische und methodische Inhalte im Vordergrund. Unterrichtsvorbereitung, Fachterminologie, Unterrichtseinstiege, Übergänge in den Stunden, Differenzierung oder Lernsicherung: Das sind meist die Themen, mit denen sich angehende Lehrkräfte beschäftigen. Das sind wichtige Inhalte, die ihre Berechtigung haben, ja. Aber das, worauf es später, in den 40 Jahren nach der Ausbildung, wirklich ankommt, ist nun einmal: Kriege ich einen Draht zu meinen Schülerinnen und Schülern? Und: Wie kann ich mit dem täglichen Sozialstress zurechtkommen und gelassener damit umgehen?

Hinzu kommt, dass es keine Bücher gibt, die deutlich (und praxisnah) beschreiben, wie wir Lehrkräfte konkret an der viel zitierten Lehrer-Schüler-Beziehung arbeiten können. Alle reden nur davon, dass sie wichtig sei. Da menschliche Beziehungen immer individuell unterschiedlich wahrgenommen werden, ist es logischerweise auch ein sehr schwieriges Unterfangen. Und es ist fast unmöglich, eine objektive und universelle Hilfestellung zu geben.

Genau das hat mich motiviert, das Unmögliche möglich zu machen und ein Buch zu schreiben, das die menschliche Komponente in den Vordergrund stellt und konkrete, persönliche Hilfestellung gibt. Die Persönlichkeit einer guten Lehrerin oder eines guten Lehrers ist eben nicht gottgegeben. Durch gewisse Kniffe und Verhaltenstricks können wir vieles auch erlernen. Dass das einfach ist, sage ich nicht. Einen Anspruch auf Objektivität habe ich dabei ebenfalls nicht. Ein Rosarote-Brille-und-gute-Laune-Buch darf man auch nicht erwarten. Ein ehrliches allemal. Denn gerade durch meine sehr subjektive Herangehensweise schaffe ich es – hoffentlich –, dass meine Wörter berühren, inspirieren, einen als Lehrperson nicht kaltlassen und in einem selbst etwas in Gang bringen. Entgegen einer weit verbreitenden Beschwerdekultur.

Eigener Schulkosmos

Seit nunmehr zwölf Jahren bin ich selbst Lehrer in Rheinland-Pfalz und unterrichte überwiegend die Fächer Mathematik und Sport an Realschulen plus. Ich übe meinen Beruf meistens gern aus. Es gibt viele überwältigende Momente und ich habe grundsätzlich das Gefühl, den jungen Menschen viel mitgeben zu können. Auf der anderen Seite komme ich auch manchmal gerädert nach Hause, wenn Schülerinnen und Schüler mal wieder genau das machen, was ich nicht von ihnen will, oder Elterngespräche total misslingen. Ganz normaler Berufsalltag also.

An einem sogenannten »ganz normalen Tag« passieren so einige Dinge, die ich erst einmal verarbeiten muss. In vielen Situationen bleibt mir gar nichts anderes übrig, als spontan zu reagieren. Danach habe ich aber meistens zu wenig Zeit, mir adäquat darüber Gedanken zu machen. Ob das nun gut war oder nicht und was ich überhaupt alles über den lieben, langen Tag so gemacht habe. Mir – und allen anderen Lehrerinnen und Lehrern natürlich auch – wird viel abverlangt und es kommen gefühlt immer mehr Tätigkeitsbereiche auf uns zu, in denen wir uns auskennen sollen. Dabei stoßen wir manchmal auch an unsere persönlichen Grenzen.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir im Alltagsstress folgendes im Blick behalten: Wir können auf manche Kinder einen recht großen Einfluss haben, sollten diesen aber grundsätzlich nicht überschätzen. Wir sollten uns nicht überschätzen. Stattdessen sollten wir uns auf die Dinge konzentrieren, auf die wir Einfluss haben, wie zum Beispiel die eigene Haltung oder die Planung des eigenen Unterrichts. Fange klein an und versuche nicht gleich, die Welt zu retten. Wir sind ja schließlich (nur) Lehrerinnen und Lehrer, nicht GNSL – Germanys Next Super Lehrer.

Und manchmal ist es besser, nicht zu viel zu quatschen, was uns Berufspädagoginnen und -pädagogen hin und wieder schwerfällt. Lass lieber Taten sprechen – ganz im Sinne von Jesper Juul: Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun.

Oder passend umgeschrieben für dieses Buch: Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir nicht tun.

In diesem Sinne: Viel Freude beim Lesen und frohes Nicht-tun.

Einleitung

Warum weniger manchmal mehr ist

»Perfektion ist nicht dann erreicht,

wenn man nichts mehr hinzufügen,

sondern nichts mehr weglassen kann.«

(Antoine de Saint-Exupéry)

Lehrerinnen und Lehrer sollten konsequent sein, oder? Sie sollten auch ausgiebig erklären und sich verantwortlich für ihre Schülerinnen und Schüler fühlen, nicht wahr? Weiterhin sollten sie natürlich ihren Job ernst nehmen, ihren Sprösslingen immer etwas beibringen wollen und dabei selbstverständlich keine Fehler machen. Würdest du1 das alles so unterschreiben? Ich selbst bin mir da nicht mehr so sicher …

Unabhängig davon ist eines aber klar: Ein Lehrer2 kann didaktisch und methodisch perfekt ausgebildet, in seinem Fach der ungekrönte Alleswisser sein. Wenn er es aber nicht versteht, seine Schülerschaft zu begeistern und mit seinem Auftreten, seiner Persönlichkeit und seiner Ansprache die Schülerherzen zu erreichen, wird es ihm nie gelingen, den Unterrichtsinhalt über einen längeren Zeitraum im Schülerhirn zu archivieren. Und gerade sein Verhalten, wie er sich seinen Schülerinnen und Schülern präsentiert und wie er mit ihnen interagiert, was er zu ihnen sagt und was er zu ihnen nicht sagt, macht ihn zu einem Vorbild, einem Motivator oder zu einem Demotivator oder gar einer »Hassfigur«.

Don’ts and Don’ts – oder die Geschichte zur Entstehung von Michelangelos David-Statue

Die Diskussion über die Frage »Was sollte eine gute Lehrkraft alles tun?« ist meiner Ansicht nach überstrapaziert. Während so gut wie niemand darüber spricht, was eine Lehrerin konkret alles nicht tun sollte. Ich gehe wie angekündigt diesen anderen Weg und kümmere mich in diesem Buch darum, was nicht getan werden sollte: Keine Dos and Don’ts – ausschließlich Don’ts and Don’ts! Nicht aus rechtlicher, sondern aus pädagogischer Perspektive.

Ich beschreibe, was Lehrer im Umgang mit Schülerinnen, Schülern und sich selbst tunlichst vermeiden sollten, um irgendwann gute Lehrer zu sein – was schwer genug ist. Das Positive vorweg: Jeder und jede kann das lernen. Mit viel Bewusstheit und Übung.

Vorschnell könnten wir an dieser Stelle behaupten, dass es durchaus leichter ist, etwas nicht zu tun, als etwas zu tun. Wir müssen nicht selbst aktiv werden und können alles laufen lassen wie bisher. Doch weit gefehlt! Diese eilige Schlussfolgerung trügt bei genauerem Hinsehen. So einfach, wie es sich anhört, ist es dann doch nicht – leider. Der Denkansatz ist ein anderer: Wir vermeiden gewisse Dinge oder lassen sie weg, um uns dem Ziel, »eine gute Lehrerin zu sein«, anzunähern – was sich als andauernder und anstrengender Prozess darstellt.

Ähnlich dem künstlerischen Schaffen der Hochrenaissance-Ikone Michelangelo: Seine Kreativität fand unter anderem in der imposanten um das Jahr 1500 hergestellten David-Statue Ausdruck. Michelangelo schlug diese gut fünf Meter hohe Figur aus einem einzigen Marmorblock heraus und es schien ihm laut Überlieferung keine größeren, geistigen Anstrengungen abzuverlangen. Nachdem Michelangelo vom Papst gefragt wurde, worin denn das Geheimnis seines Genies bestünde, sagte er nämlich frech Folgendes: »Ganz einfach. Ich nehme einfach alles weg, was nicht David ist« (Taleb 2012, S. 410).

Übertragen auf dieses Buch heißt das: Ich nehme einfach alles weg, was keine gute Lehrkraft ist. Kurz gesagt: Weniger ist mehr.

Aber zugegeben: so einfach, wie es sich jetzt anhört, ist es dann doch nicht. Ich setze mich hier zwar intensiv damit auseinander, machen muss es aber jeder selbst. Den Marmorblock freihauen – oder genauer gesagt: die ganzen negativen Do nots im Berufsalltag vermeiden, um schlussendlich eine gute Lehrkraft zu werden.

Um was geht es in den Don’ts genau?

Die im Buch ausgeführten Don’ts sollen dazu anregen, das eigene pädagogische Handeln zu reflektieren und grundsätzlich an der eigenen Haltung als Lehrkraft zu arbeiten. Es sind unkonventionelle, aber dafür umso konkretere und persönlichere Aufforderungen, etwas nicht zu tun. Sie geben tiefe Einblicke in die Lehrerpsyche und bringen manch schwerverdauliche Erkenntnis auf den Punkt.

Die Don’ts stellen keine hierarchische Rangfolge dar und erheben auch sonst keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich behaupte weiterhin auch nicht, dass sie für jeden passend sind – sie basieren nur auf meinen ganz eigenen Erfahrungen und Einschätzungen. Und nur, weil ich mir dessen bewusst bin und hier davon schreibe, heißt das noch lange nicht, dass ich mich selbst immer an die Don’ts halte, geschweige denn von mir selbst behaupte, ein guter Lehrer zu sein. Was wäre ich dann für einer, wenn ich dies täte?

Viel zu oft ertappe ich mich selbst dabei, wie ich in das ein oder andere Don’t-Fettnäpfchen trete, es beispielsweise tierisch bereue, nach einem Tür- und-Angel-Gespräch genau das gesagt zu haben, was ich gesagt habe. Mehr dazu in den folgenden Kapiteln.

Was sagt die Wissenschaft? Empirie versus persönliche Erfahrung

Während der Darstellung der verschiedenen Don’ts mache ich mal kleinere, mal größere Schlenker in die Wissenschaft. In einigen Fällen werden Studien herangezogen, welche die Don’ts aus wissenschaftlich-empirischer Sicht bekräftigen. Ich zitiere dabei häufig aus dem Buch »Kenne deinen Einfluss!« von 2021, das aus einer Kooperation zwischen dem neuseeländischen Bildungswissenschaftler John Hattie und dem deutschen Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer heraus entstand – und meiner Meinung nach zur Pflichtlektüre für jede Lehrerin und jeden Lehrer ernannt werden sollte.

Deutlich öfter jedoch plaudere ich in Form kurzer Schulanekdoten (grau unterlegt mit Brillen-Icon) aus meinem persönlichen Nähkästchen. Meiner Ansicht nach macht genau das es nämlich aus: sich mit den persönlichen Erfahrungswerten und den subjektiv wahrgenommenen Situationen intensiv auseinanderzusetzen. Man schenkt ihnen dadurch die verdiente, nötige Priorität und Aufmerksamkeit für den Praxisalltag. Ich erhebe somit die persönlichen, selbst gewonnenen Erfahrungen über die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Empirie.

Nach jedem der zwölf Don’ts gebe ich zusammenfassend die wichtigsten Tipps des Kapitels und beziehe mich abschließend auf ein prägnantes Praxisbeispiel aus dem Schulalltag. Don’ts, die ich selbst gemacht oder erlebt habe und nun der Öffentlichkeit preisgebe. Nach den meisten Praxisbeispielen folgt eine in meinen Augen bessere, alternative Handlungsmöglichkeit. Zweimal werden positive Praxissituationen dargestellt, die für sich sprechen und keiner Alternative bedürfen.

Ich kann versprechen, dass alle Beispiele der Wahrheit entsprechen (nur die Namen wurden geändert) und ich sie genau so erlebt habe. Mal witzig, mal ernst, mal peinlich, mal zum Kopfschütteln – immer echt.

Nur nichts Negatives sagen

Der Schreibstil dieses Buches ist bewusst etwas provokant und plakativ. An das, was man seit Beginn des Lehramtsanwärterinnendaseins eingetrichtert bekommt, halte ich mich ganz und gar nicht: nämlich positiv zu formulieren und immer schön die Stärken in den Vordergrund zu stellen. Ich formuliere stattdessen häufiger mit erhobenem Zeigefinger und hebe bewusst die Dinge hervor, die man eben nicht tun sollte.

Beim Mentalcoaching im Sport beispielsweise würde es als No-Go gelten, sich vor einem Wettkampf den Satz »Heute werde ich nicht verlieren, wie beim letzten Mal« vorzusagen, da man die Begriffe »verlieren« und »wie beim letzten Mal« durchweg mit negativen Emotionen verbindet. Besser wäre es logischerweise so: »Heute zeige ich es allen und mache mein bestes Spiel.« Verhaltenspsychologisch gesehen mache ich auf den ersten Blick also so ziemlich alles falsch: Ich stelle die Negation in den Vordergrund und fokussiere mich auf das, was schlecht ist. Auf den zweiten Blick jedoch und in Anlehnung an Michelangelos David-Statue mache ich gerade deshalb alles richtig.

Insbesondere bei der Leistungsbeurteilung verfehlen die oft zwanghaft positiv formulierten Ausführungen nach meinen Erfahrungen klar das Ziel. Ist einem Kind wirklich geholfen, wenn im Zeugnis »beteiligte sich in für ihn sinnstiftenden Unterrichtssequenzen sehr zögerlich am Unterricht«, statt »verweigerte fast kontinuierlich die Mitarbeit« steht? Wird das Kind seine Mitarbeit verbessern, wenn es liest, dass es im Unterricht ab und an mitmacht?

Meines Erachtens muss man manche Dinge einfach beim Namen nennen, damit Bewegung ins »Spiel« kommt. Die Message wird dadurch einprägsamer. Man muss die Wörter nicht unnötigerweise umformulieren und nicht immer alles in Watte packen, sollte gewisse Dinge einfach frei Schnauze aus- und deutlich ansprechen. Die Realität ist manchmal auch ungeschönt und brutal ehrlich – der Lerneffekt ist dabei umso größer.

Kinder sind dabei robuster als man denkt, halten vieles aus und können mit Kritik oft besser umgehen als die Älteren, wenn man es nicht verletzend vorträgt. Also seien wir ehrlich und trauen es ihnen zu!

Gleiches gilt für den Umgang unter Erwachsenen: Seien wir ehrlich, direkt, reden mehr miteinander und beschweren uns weniger übereinander. Denn wie wir wissen, sollten nicht nur Kinder, sondern auch Lehrpersonen ein Leben lang lernen – und das geht nur mit Konfrontation, neuen Impulsen und Eigenmotivation.

Dies versuche ich mit meinen Wörtern zu bewirken, auf eine manchmal unkonventionelle, aber umso deutlichere Art und Weise. Das Buch hält einem dabei, schonungslos ehrlich, den Spiegel vors Gesicht – spricht manchmal unliebsame Wahrheiten aus und bricht mit manch gängigen Klischees (siehe Fragen zu Beginn der Einleitung) und verkrusteten Denkweisen – motiviert einen im besten Fall und stärkt den eigenen Willen, sich stetig weiterzuentwickeln.

Es ist ein sehr persönlicher, dennoch zeitloser, pädagogischer Ratgeber für Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen, in einer krisengebeutelten, schnelllebigen und digitalisierten Zeit, in der die Lehrerinnen-Schüler-Beziehung wichtiger ist als je zuvor.

Doch bevor wir uns aufmachen, diese oft erwähnte Beziehung zu unseren Schülern verbessern zu wollen, sollten wir erst einmal folgendes tun: an unsselbst arbeiten!

1Unter Kolleginnen und Kollegen duzt man sich, oder? Ich fand es für dieses Buch passender, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet.

2Ich verwende im Text in zufälliger Folge die männliche und weibliche Form sowie geschlechtsneutrale Ausdrücke. Im Sinne der gendersensiblen Sprache mögen sich bitte alle mitgemeint fühlen.

Don’t 1

Reden ist Silber, Schweigen ist (manchmal) Gold. Du bist zwar Lehrerin, musst aber deshalb nicht die ganze Zeit reden. Der Lehrberuf ist nicht mit einem Rednerberuf gleichzusetzen. Du bist auch kein Dozent. Höre mehr zu. Mach’ mal eine Pause. Lass mal die Schülerinnen aussprechen.

Du musst auch nicht auf alles Gesagte reagieren oder Feedback geben. Du kannst Gesagtes und Getanes auch ruhig mal so stehen lassen. Schüler sind mindestens sieben bis ungefähr 60 Jahre jünger als du. Sie sind aber nicht doof und verstehen oft schnell, was gesagt wird oder wurde. Sie brauchen auch kein Echo und gewisse Sachverhalte müssen nicht zwei- oder dreimal (von dir) wiederholt werden. Gewisse Situationen und neue Lerninhalte haben deine Schülerinnen im Vergleich zu dir zwar noch nicht gesehen oder gehört, aber nur, weil du sie oft wiederholst, heißt das noch lange nicht, dass sie plötzlich besser zuhören.

Wenn Schülerinnen und Schüler das Erklären übernehmen, ist es jedoch eine andere Sache. Wenn sie ihren Mitschülern Unterrichtsinhalte nochmals verdeutlichen, kann das zu positiven Lerneffekten führen.

Damit ist schon viel gesagt. Du musst auch nicht immer das sagen, was du gerade denkst. Klingt einfach, ist es aber nicht. Überlege dir genau, wer vor dir steht. Es ist in der Regel kein Erwachsener. Es ist ein Heranwachsender. Rede mit einer Elfjährigen anders als mit einer Siebzehnjährigen. Klingt ebenfalls einfach, ist es aber auch nicht. Ich möchte meinen Kolleginnen und Kollegen hier tatsächlich zu nahetreten. Einige reden nämlich mit allen gleich. Sie halten vor Elfjährigen fünfminütige Monologe, die hochintelligente Erwachsene nicht verstehen würden. Manch andere reden mit Achtzehnjährigen wie mit Kleinkindern. Kurz gesagt: Mache dir klar, mit wem du sprichst. Wer ist gerade deine Zielgruppe?

In den allermeisten Fällen gilt: Quatsch nicht so viel! Hör dir zuerst einmal deine Schülerinnen und Schüler an.

Die Kunst der klaren, kurzen Anweisung

Im Unterricht hilft es, klare Anweisungen zu geben, wenn Arbeitsaufträge anstehen. Eindeutige, direkte Instruktionen, ganz im Sinne der gleichnamigen Einflussgröße aus der 2008 veröffentlichten Hattie-Studie (2013 ins Deutsche übersetzt) – auf die ich noch an anderen Stellen im Buch detaillierter eingehen werde.

Überlege dir vorher gut, was und wie du es sagst. Schäme dich nicht, auch nach zehnjähriger Berufserfahrung deine Ansagen und Lernziele konkret aufzuschreiben. Dann machst du dir auch genügend Gedanken und erklärst nicht spontan vor der Klasse. Du reflektierst zu Hause bereits deine verbale Anweisung und wirst merken, wie viel Interpretationsspielraum es oft dabei gibt, die Formulierung doch anders zu verstehen. Den Schülerinnen und Schülern geht es in der Stunde oft genauso.

Versteh mich nicht falsch: Hattie oder mir geht es nicht darum, den eher frontalen Unterricht zu bevorzugen. Eine direkte Instruktion soll nicht heißen, dass die Lehrerin vor der Tafel etwas erklärt und die Kinder arbeiten allein und still an ihrem Platz vor sich hin. Die Methodik ist außen vor. Es spielt in diesem Fall keine Rolle, wie du deine Methode passend zu deinem Unterrichtsinhalt auswählst. Entscheidend ist nur, dass du dir – egal in welcher Position du vor der Klasse stehst oder in welchen Gruppierungen die Lernenden arbeiten – über die Klarheit der eigenen Worte Gedanken machen solltest.

Was wäre der Lohn für diese Auseinandersetzung mit einer klaren, direkten Arbeitsanweisung? Es würde dir helfen, kürzer und präziser zu formulieren, und besser noch: Es würde den Schülern helfen, besser zu verstehen. Und je einfacher und genauer du formulierst, desto weniger Worte wirst du brauchen.

Weiterhin kann ein gutes Bild zu Beginn eines neuen Themas oder das Zeigen eines Realobjekts oft tausendmal besser sein als fünf Sätze vorzutragen. Lass Bilder sprechen: Setze Hilfskärtchen mit Bildern ein, anstatt auf jede Schülerinnenfrage ad hoc zu antworten. Es bedeutet mehr Arbeit zu Hause, erleichtert dir die Arbeit im Klassenraum aber ungemein. Und die Schülerinnen werden eher davon profitieren, da sie sich bei Hilfskärtchen oder mithilfe von Bildern noch mehr mit dem entsprechenden Lerninhalt auseinandersetzen müssen und dabei lernen, selbst zu denken. Anstatt die vorgefertigte Antwort von der Lehrerin »auf dem Silbertablett präsentiert« zu bekommen – ein weiteres Mal über den in der Schule oft überstrapazierten auditiven Kanal.

Körpersprache und Stimmlage vor Inhalt

Für die Reaktion auf Störungen jeglicher Art im Unterricht gilt grundsätzlich auch dasselbe: Quatsch nicht so viel! Gib mehr nonverbale Zeichen. Arbeite vermehrt bewusst mit deiner eigenen und individuellen Mimik, Gestik und Stimmlage.

Passend hierzu sei auf die Studien von Albert Mehrabian aus dem Jahr 1967 hingewiesen. Hierbei geht es um die Tatsache, dass die Gewichtung von Körpersprache – sprich Mimik, Gestik und Stimmlage – höher anzurechnen ist als der Inhalt des Vorgetragenen.

Blöderweise werden diese Erkenntnisse oft missverstanden und von Coaches und Referentinnen aller Art auf die 7-38-55-Regel heruntergebrochen. Von dem, was jemand sagt, blieben demnach nur 7 Prozent inhaltlich hängen, 38 Prozent von Stimme und Mimik und 55 Prozent von der Körpersprache. Das große Missverständnis dabei ist: Wahrgenommene Kommunikation bestehe zu 93 Prozent aus nonverbaler Kommunikation. Das ist schlichtweg falsch. Richtig aber ist, dass der stimmliche Ausdruck im Vergleich zum Inhalt stärker ins Gewicht fällt, wenn es einen Widerspruch zwischen ebendiesen gibt.

Beispiel: Das Wort »Glück« wird traurig vorgetragen. Dann überwiegt die Wahrnehmung der Stimmlage – und zwar fällt diese 5,4 mal so stark ins Gewicht.

Es wurde weiterhin festgestellt, dass die Gesichtsausdrücke wiederum ausschlaggebender sind als die stimmlichen Elemente – und zwar 1,5 mal so stark. So kamen die angesprochenen Zahlen zustande (vgl. Mehrabian 1967; Mehrabian & Ferris 1967).

Wie könnte man die Studien jetzt genauer, aber immer noch kurz und verständlich, zusammenfassen? Ich gebe hier einen Versuch ab: Wenn ich einer Person zuhöre, ist es wohl sehr viel wichtiger (gut fünfmal), wie die Stimmlage der Rednerin im Vergleich zum reinen Inhalt der vorgetragenen Wörter ausfällt. Und die Körpersprache ist nochmals wichtiger (ungefähr 1,5 mal) als die Stimmlage. Der Inhalt ist allerdings nicht egal. Man kann demnach nicht sagen, dass nur 7 Prozent des Gesagten beim Empfänger ankäme. Die Körpersprache steht nur über allem und ist wohl entscheidend bei der Kommunikation unter Menschen – dicht gefolgt von der Stimmlage.