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Woher haben die Thüringer eigentlich ihren Namen? Was passierte beim Sängerkrieg auf der Wartburg wirklich? Wie weit ging die Liebe Lucas Cranachs zu seinem Mäzen? Und warum ließ sich Goethe von Napoleon zum Deppen machen? Diese und andere welthistorisch bedeutsamen Fragen beantwortet Ulf Annel, indem er mit Akribie die Fußnoten der Weltgeschichte einsammelt. Verbrieftes und Erfundenes fügen sich zur Chronik eines Bundeslandes, das für viel mehr steht als Rostbratwurst, Klöße und Gartenzwerge.
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Seitenzahl: 294
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Impressum
ISBN eBook 978-3-359-50051-3
ISBN Print 978-3-359-02489-7
© 2015 (2011) Eulenspiegel Verlag, Berlin
Umschlaggestaltung: Verlag
Zeichnungen von Ioan Cozacu
Die Bücher des Eulenspiegel Verlags erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.
www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de
Ulf Annel
Die unglaubliche Geschichte Thüringens
Eulenspiegel Verlag
»Unter allen den Unheilsmächten, welche unserem Volke den Weg zur staatlichen Größe erschwerten, steht die durchaus unpolitische Geschichte dieser Mitte Deutschlands vielleicht obenan. Fast alle anderen deutschen Stämme nahmen doch irgend einmal einen Anlauf nach dem Ziele politischer Macht, die Thüringer niemals. Unsere Cultur verdankt ihnen unsäglich viel, unser Staat gar nichts.«
Heinrich von Treitschke,
Nicht-Thüringer Historiker, 1882
»Daheimsein ist alles!«
Baron Kuh-Bertäng,
Thüringer Landadeliger, 1996
»Das war nun so, nämlich es war nicht so.«
Johann Georg August Galletti,
Thüringer Denker, um 1800
Vor-Geschichte
Kennen Sie Thüringen? Ja? Sind Sie sicher? Nicht so ganz, nicht wahr. Natürlich, Sie kennen Thüringen als das Land der zwei gastronomischen Großereignisse, das Land der Thüringer Rostbratwurst und des Thüringer Kloßes. Und dann war da auch noch ein Wald gleichen Vornamens. Na, da wissen Sie doch schon recht viel. Eigentlich könnten Sie jetzt dieses Buch beiseitelegen und in Gesprächen – wenn diese denn ausnahms- und erstaunlicherweise doch einmal auf das Thema Thüringen hinlenken sollten – auf Ihrem breiten Wissen über dieses Land in der Mitte Deutschlands herumreiten. Ach, da fällt Ihnen noch etwas ein: Thüringen – das grüne Herz Deutschlands. Da sind Sie aber ein bisschen spät! Wo heutzutage nur noch jeder dritte, vierte Baum in diesem Thüringer Wald auch wirklich die Bezeichnung Baum verdient. Der kleine Rest ist – nun, sagen wir es mal etwas dental umschreibend – etwas kariös und parodontös. Doch in nächster Zeit könnte sich das Verhältnis zwischen gesunden und hinfälligen Bäumen auch ändern. Man weiß noch nicht genau, in welche Richtung, denn es ist statistisch noch etwas unklar, ob es gelang, für den Bau der Autobahn quer durch den Thüringer Wald mehr gesunde oder kranke Bäume abzuhacken.
Sieh da, die Autofahrer unter Ihnen horchen auf. Auch sie wissen etwas von Thüringen, nämlich dass sich dort eine Thüringer Waldautobahn (Welch schönes Wort: Wald-Auto-Bahn) entlangschlängelt, zu Ruhm und Ehre der freien Bürger, die auf freier Fahrt bestehen. Vorwärts zu neuen Horizonten, die sich öffnen, weil es den bösen, bösen Wald endlich nicht mehr gibt, dafür viel freie Sicht. Aber genau dieses »Vorwärts!« ist für unser Buch von untergeordneter Bedeutung.
Es soll rückwärts gehen. Die Vorfahren haben hier Vorfahrt. Wir wollen gemeinsam die drei berühmten Anfangsworte daherbeten: Es war einmal! Doch, märchenhaft könn- te es durchaus werden. Sagenhaft auch! Schließlich geht es hier um die sagenhaft reiche Geschichte eines Menschenschlags inmitten der deutschen Bundesländer, der es über Jahrhunderte verstanden hat, in der geschriebenen Geschichte so gut wie nicht existent zu sein. Das ist das Hohelied der Tarnung. Es ist wie in der Geschichte mit dem Filmschauspieler, der in einem größeren Film eine kleinere Rolle spielte, dann aber herausgeschnitten wurde, wobei man aus Kostengründen den Namen im Abspann beließ. Nur umgekehrt.
Die Thüringer sind so gesehen wohl die besten Schauspieler in der deutschen Geschichte. Oft im geografischen Mittelpunkt Deutschlands siedelnd, haben sie sich jedoch nie als Nabel der Welt gesehen. Wenn schon Nabel, dann wohnten sie tief drinnen in der Höhle der eingeschnurpelten Nabelschnur. Darum ist es auch verteufelt schwierig, die Spuren der Thüringer in der Geschichte zu finden. Zu ihrer Höhlenmentalität – die sich bis in die Neuzeit erhalten hat, Thüringer sind mit Abstand die fleißigsten Häuslebauer der neuen Bundesländer, auch schon bevor Thüringen wiedererstand und ein neues Bundesland ward – … Das war jetzt ein zu langer Einschub in einen angefangen Satz, also von vorn: Zu ihrer Höhlenmentalität gesellte sich noch die Fähigkeit, die eigenen Spuren zu verwischen.
Apropos Spuren: Da sind wir gleich bei einer weiteren Charakterstärke der Thüringer. Sie haben eigentlich immer gespurt. Welche Spur welcher Herr – aus welcher Himmelsrichtung auch immer kommend – vorzog, die Thüringer zogen nach. So ist es auch kein Wunder, dass, trotz fehlender Thüringer Geschichte, die Thüringer selbst immer da waren und alles und alle überlebten. Einzig die Ausnahmefälle, die sich aufmüpfig zeigten (und auf deren Geschichten in dieser Geschichte natürlich nicht verzichtet werden sollte, weil ja die Ausnahmen immer die Regel bestätigen), die verkürzten ihr Leben, oft durch zwangsweise Verkürzung der Personenlänge. Tja, es kommt immer darauf an, ob man Schilderträger der herrschenden Partei ist oder deren Schwert zu spüren bekommt. So ist auch erklärlich, dass ein Thüringer Wahlspruch lautet: Lieber spuren als spüren!
Was nun? Sie in eine Geschichte hineinziehen, die Ihnen am Ende vielleicht die Lehre vermittelt, dass es sich immer gut beziehungsweise bezahlt macht, fein artig zu sein, nicht aufzufallen, sich den Gefahren des Lebens möglichst nicht auszusetzen, sondern alles auszusitzen. Entweder ist diese Lehre für Sie ein so neuer deutscher wie alter Hut oder eine Führung in die Irre. Egal, zu welcher der beiden Lehrmeinungen Sie tendieren, lassen Sie sich einfach mal ziehen – um nicht führen zu sagen – mitten hinein in das Thüringer Becken, sozusagen hinein in die Urkesselsuppe der Nation, die wir heute sind.
Sie wollen sich nicht so ganz hineinziehen lassen? Sie sind mehr der etwas distanzierte Typ, der alles erst einmal mit Abstand betrachtet? Macht nichts, macht alles nichts. Dann setzen Sie sich eben in das große Welttheater hinein. Gegeben wird das Stück »Thüringen«. Es kann ein langer Abend werden, denn das Stück wird es zu einer beträchtlichen Anzahl von Akten bringen, vielleicht sogar im sexuellen Sinne (denn ohne die kommt weder das Welttheater aus noch das moderne). Machen Sie es sich also bequem im Theatersessel. Eintritt ist bezahlt mit dem Kauf dieses Buches. Die stark distanzierten Damen und Herren, die den Rang vorgezogen haben, bitte die Operngläser auspacken.
Ach ja, eines müsste man vielleicht noch vorausschicken. Nein, keinen reitenden Boten. Schließlich ist dies hier nicht klassisches Theater, sondern nackte Vergangenheit. Man sollte in diesem Stück nicht alles für bare Münze nehmen, auch wenn es oft für bare Münze zu bekommen war – das Welt-theater!
Sie müssten sich an eine Art Improvisationstheater gewöhnen. Die ganze Weltgeschichte war nämlich, da macht die Welt der Thüringer keine Ausnahme, eine einzige Improvisationsstrecke.
Ach, und noch etwas: Sie müssen mit mir vorliebnehmen. Ich und kein anderer, den Sie vielleicht lieber gehabt hätten, hat dieses Buch geschrieben. Tut mir leid für Sie! Sie müssen mich, einen Erfurter Kabarettisten, und meine Spielwut ertragen. Diese Wut tobe ich besonders gern auf der Wortspielwiese aus. Wenn also die Wortstämme im Unterholz der Thüringer Geschichte durcheinanderpurzeln, lassen Sie sie fallen wie Feste und feiern Sie einfach mit. Feuern Sie das Buch nicht in die Ecke. Das ist meist nicht sehr dekorativ.
Manche historische Person spricht und spielt dabei übrigens das Spiel der Worte mit, aber das ist auch nur so, weil ich der Person die Worte in den Mund gelegt habe. Wer weiß, wie die Leute damals wirklich gesprochen haben. Wissen Sie es? Also!
Das war es jetzt aber an Vorbemerkungen. Oder?
Nein, doch noch eine. Aber das ist nun wirklich die letzte. Der Autor, um jetzt einmal das »Ich« aus den Zeilen zu treiben, der Autor also ist Vertreter einer solchen Kabarettistengattung, die es immer noch mit fröhlicher Aufklärung versucht. Da schnippt schon ab und an der pädagogische Zeigefinger in die Höhe, was natürlich dieselbe ist bei einem so eigenständig denkenden Leser wie Ihnen – beziehungsweise der selbstverständlich ebenso eigenständigen Leserin. Macht nichts, macht alles nichts! Wickeln Sie einfach Ihr Taschentuch um diesen Finger, lassen Sie es etwas wehen. Mal sehen, wie der Wind der Geschichte steht. Mal sehen, woher er kommt. Mal sehen, wie’s kommt.
Jetzt kommtse, wie ich leicht thüringisiert sagen darf. Was kommt? Na, die Thüringer Geschichte. Und zwar von Anfang an.
1. Kapitel
… in dem Thüringen noch gar nicht existiert; ein Ur-Thüringer erfährt die Zweischneidigkeit des Fortschritts; außerdem geht es um das Salz in der Ursuppe
Da stehen also unsere Vorfahren. So wie die aussehen, möchte ich
kein Vorfahr gewesen sein.
Drei Homo erectusse, alle drei ziemlich stark behaart, die Rücken gekrümmt. Aber aus dem Samen dieser behaarten Affen mit den krummen Rücken werden einmal Thüringer entstehen. Das ist hier schon absehbar. Die Behaarung wird lichter werden, der Rücken wohl oder übel so bleiben. Alle drei sind nicht mehr als mittelgroß. Die Bäuche beweisen, dass diese Kerle schon etwas von Vorratswirtschaft verstehen. Da sie noch keinen festen Wohnsitz haben, schleppen sie ihre fettigen Reserven mit sich herum.
»Wisst ihr, warum wir uns eigentlich hier treffen, Freunde?«, fragt der am stärksten behaarte Kerl.
Der zweite Kerl, die Stimme etwas tiefer, antwortet: »Das ist der blanke Zufall! Außerdem müssen wir uns erst einmal etwas beschnüffeln, um herauszukriegen, wer hier mit wem wirklich Freund sein kann.«
Da hat der zweite gleich einen wichtigen Satz gesagt, weil ja unsere Vorfahren sich immer der Nase nach durch die zaghaft anhebende Thüringer Weltgeschichte tasteten. Die drei Kerle schleichen ein paar Minuten umeinander herum und befinden dann, dass man sich halbwegs gut riechen kann.
»Und nun, Zufall oder nicht, was liegt an?«, fragt der dritte Kerl.
Der erste schiebt sich etwas in Positur: »Es ist etwas Schreckliches geschehen!«
»Und das wäre?«
»Von meinem Vater hab ich es gelernt, der von seinem Vater und so fort von deren Urvätern, dass man sich seine Frau vornimmt in der Art aller lebenden Wesen, also mit Blick auf die Rückenpartie.«
Die anderen beiden grunzen zustimmend.
Der, der seine Sätze immer mit »und« beginnt sagt: »Und was ist daran so schrecklich? Solange man sie nur riechen kann, tut man’s so.«
»Aber diesmal hat sie sich rumgedreht. Sie hat mich angeschaut, hat mir dabei zugeschaut wie ich mit ihr, na, ihr wisst schon.«
»Wie?«, fragt der zweite. »Das funktioniert?«
»Sogar sehr gut, leider.«
»Und das sagst du uns erst jetzt. Nichts wie heim und ausprobiert.«
»Halt! Genau das ist es ja, wovor ich euch warnen möchte.« Ein Zeigefinger steigt empor. »Das ist der Fortschritt.«
»Und wenn schon! Wenn dieser Fortschritt den Spaß erhöht, sollten weder Mann noch Frau sich ihm verschließen. Die Frau schon gar nicht.«
»Er hat recht«, stimmt der zweite zu.
»Nein, hat er nicht. Es ist der Untergang. Wenn ein Weib damit anfängt, so neumodische Sachen einzuführen, werden es bald alle Weiber erfahren. Ob du willst oder nicht, es wird zu einem Stellungskrieg Mann gegen Frau kommen. Wenn dann das Neue zur Gewohnheit geworden ist, dann fällt den Weibern garantiert noch etwas Neueres ein. Dann wollen sie vielleicht obendrauf liegen. Wollt ihr etwa, dass eines Tages die Weiber kommen und nicht wir sie, sondern sie uns Männer an den Haaren in ihre Höhlen zerren?«
Die anderen zwei murren und knurren.
»Es könnte sogar noch schlimmer kommen. Die Schlauheit der Weiber eingerechnet, überlassen sie uns Männern die ganze Arbeit am Fortschritt, um dann die Früchte zu genießen. Oder weiß einer von euch, was uns der Fortschritt alles bringen wird an Freud und Leid? Na?«
Die beiden anderen zucken mit den Schultern und lächeln gequält.
»Na also. Ich sage euch, lasst alles weiter so stattfinden, wie es heutzutage ist, dann werden auch noch unsere Söhne und deren Söhne und so fort in Ruhe und Zufriedenheit lie- äh leben.«
»Und«, hebt der, der seine Sätze immer mit »und« anfängt, zu sprechen an.
»Keinerlei Unds mehr. Basta!«
»Und wer bestimmt das?«, zischelt es zurück.
»Jedenfalls nicht einer, der seine Sätze immer mit ›und‹ anfängt!«
In null Komma nichts wird das Gebiss gefletscht, Keule und Steinbeil gepackt und bestimmt, wer in Zukunft noch weiterreden darf. Der am stärksten behaarte Kerl haut dem Undser das Beil auf die Fontanelle, was allen weiteren Widerspruch beendet. Ein Triumphschrei gellt durch das später so genannte Thüringer Becken, der aber sogleich erstirbt, weil der Dritte im Bunde ein wenig hinterrücks, aber treffsicher und hart zuschlägt.
Als sich der dritte Homo erectus überzeugt hat, dass seine beiden Freunde in die ewigen Jagdgründe eingegangen sind, dreht er sich um und trottet los. Im Weggehen murmelt er noch: »Jetzt hole ich mir die Frauen der beiden. Dann wird ein bisschen experimentiert. Mal sehen, was dabei rauskommt.«
Noch so eine Lebensmaxime der Thüringer seit Anbeginn: Mal sehen, was dabei rauskommt. Im Fall unseres siegreichen Homo erectus und großen Experimentators meist wieder Ur- oder genauer Vor-Thüringer. Aber jede Veränderung zieht neue Veränderungen nach sich. Ändert sich eine Stellung – zack, verändert sich die Lage.
Der Ur-Vor-Thüringer schnappt sich also zu seiner noch die zwei anderen Frauen. Jetzt hat er drei, und die mit dem Blickkontakt beim Sex überzeugt ihn so sehr, dass er die gesamte Nachkommenschaft nur noch mit ihr herstellen möchte. Das traute Familienleben funktioniert fortan nach dem Motto: Der Ersten die Arbeit und mit der Dame das Vergnügen. Die Dienstälteste schmeißt den Steinzeit-Haushalt, hält das Feuer in Gang, schabt die Felle sauber und kaut sie weich. Die Zweite hilft beim Kochen und fängt an, ein wenig hobbymäßig zu töpfern. Und der arbeitsgeteilte Fortschritt ist nicht aufzuhalten.
Ganz so fix geht es natürlich auch in Ur-Thüringen nicht mit dem Fortschritt. Es gibt Rückfälle in der Steinzeit. Unser Freund und Sieger-Typ kann wohl die alten Gewohnheiten nicht so schnell ablegen, und darum legt er sich auch zu seiner Ersten. Weil es dem Homo erectus gerade so Spaß macht, sich zu erregen, wird sich gleich auch noch zu der Zweiten gelegt. Darum ist von dreien immer mindestens eine schwanger. So kann diese Keimzelle der Gesellschaft nicht mehr locker herumnomadisieren. Also sucht man sich eine Alternative und findet diese in einer gewissen Sesshaftigkeit. Mit dem Resultat: Thüringen wird dauerhaft besiedelt.
Wir machen jetzt etwas Chinesisches, einen großen Sprung. Ein paar Jährchen vergehen, so rund dreihunderttausendachtundfünfzig, bis sich der Thüringer mal wieder in der Geschichte meldet. Das allerdings gleich mit Pauken und Trompeten, wobei das mit den Pauken und den Trompeten nicht wörtlich genommen werden sollte, denn beide Musikinstrumente waren höchstwahrscheinlich erst im Stadium von Muschelhorn und hohlem Baumstamm vorhanden. Aber heute würde es eben echt blöd und töricht klingen, wenn der Autor geschrieben hätte: Die Thüringer melden sich mit Muschelhorn und hohlem Baumstamm in der Geschichte zurück.
Es bewahrheitet sich in diesem Falle wieder einmal die Theorie, dass die Thüringer Spezialisten im Abtauchen waren. Unter dem Deckmantel der Tarnkappe bringen sie das Kunststück fertig, so um das Jahr 58 unserer Zeitrechnung plötzlich und gut gewappnet in der Gegend des heutigen Bad Salzungen wie aus dem Nichts wieder aufzutauchen, um daselbst eine recht erfolgreiche Schlacht zu schlagen.
Und warum? Weil der Mutti das Salz ausgegangen ist, das so wertvolle. Fehlendes Salz im Haushalt kann die häusliche Szene mit Krieg überziehen.
»Mutter«, spricht Herman, der Hermundure, und verzieht dabei das Gesicht, »wie schmeckt denn heute das Fleisch so fade. Da hat man nun den Fortschritt hinter sich gebracht, all die schönen alten salzlosen Bandkeramikzeiten, die Trichterbecher-, Schnurkeramik- und Glockenbecherkultur, und dann schmeckt das Fleisch wie eingeschlafene Füße!«
»Vater«, rügt Freydrun, des Hermunduren Hermans Frau, »du redest wie ein Mann, der sich mit den Dingen des Haushalts nicht beschäftigt.«
»Was soll ich mich auch mit den Dingen des Haushalts beschäftigen, wenn mich ganz andere Dinge beschäftigen.«
»Beschäftigung nennst du das, das Herumliegen auf Bärenhäuten, das Metsaufen und Herumgrölen. Dass ihr euch nicht schämt. Als kürzlich die römische Delegation da war, konntet ihr euch kaum auf den Beinen halten. Einen schönen Eindruck habt ihr hinterlassen.«
»Die Römer hatten sich nicht angemeldet.«
»Wenn sie demnächst mal wieder mit ein paar Legionen vorbeikommen, werden sie sich auch nicht vorher anmelden.«
»Ha! Ich glaube nicht, dass die Römer vergessen haben, wie Hermann der Cherusker die Legionen des Varus zerlegt hat. Wenn die Römer doch vergesslich sind und erstens ganz zufällig wieder herfinden, haben wir zweitens unsere Körper unheimlich ertüchtigt. Aber sollte das Fleisch weiterhin so schmecken wie alter, abgehangener Bär, Mutter, dann sind die gebildeten Muskeln wieder hin.«
»Alles was du kannst, ist, deine unschuldige Frau anzuschreien«, schluchzt Mutti Freydrun plötzlich los. »Wie soll man das Fleisch würzen, wenn das Salz im Hause fehlt?«
Ja, das Salz. Nicht nur, dass Hermunduren-Hermans Fleisch fade schmeckt. Ohne Salz fühlen sich die Hermunduren so, wie wir heute ohne gefülltes Portemonnaie. Salz ist bares Geld. Darum ziehen die Hermunduren samt Herman in das Werra-Gebiet, um dort Salz zu machen. Das Problem sind allerdings die Chatten, ein anderer Germanenstamm, der sein eigenes Süppchen und das Salz der Werra von der westlichen Seite aus kocht.
»Diese Westgermanen!«, kocht Herman vor Wut. »Es ist jedes Mal dasselbe, kommen wir aus dem Osten, schmeißen die sich in Positur und tun so, als wären sie schon immer hier gewesen. Hermunduren, wenn unser Fleisch jemals wieder so schmecken soll, wie es früher schmeckte, müssen die Chatten ins Reich der Schatten geschickt werden.«
Die Hermunduren schlagen ihre Speere an ihre Schilde, was so viel wie »Einverstanden!« bedeutet.
Nur einer schlägt nicht an sein Schild, der kleine, dünne Olfo. Das bleibt nicht unbemerkt.
Herman schreitet heran und schreit ihn an: »Wieso klopft deine Frame nicht auf dein Schild, mein über alles geschätzter Olfo?«
Herman kriegt das mit der Ironie nicht so hin, denn er ist ernsthaft sauer auf den kleinen Dünnen.
»Müssen wir denn wirklich gegen die Chatten ziehen? Können wir nicht mit den Brüdern aus dem Westen einen kleinen Vertrag schließen und das Salz teilen.«
»Teilen?!?«, schreien die versammelten Hermunduren-Krieger. »Mit den Chatten?!? Wieso sollen wir teilen, noch dazu mit Ausländern?«
»Man weiß nie, wie es mal kommt. Vielleicht brauchen wir die Westgermanen dereinst, wenn es im Osten mal nicht so läuft.«
»Was gleich läuft, ist dein Blut, mein Olfo«, brüllt Herman.
»Muss das sein? Ich esse sowieso lieber salzarm. Das ist gesünder.«
Da erst in der Demokratie die Mehrheit bestimmt, freut sich die Mehrheit hier darüber, dass Herman befiehlt, den Olfo ans Pferd zu binden und als ersten in die Schlacht zu schicken. Doch wie so oft kommt es erstens anders als man zweitens denkt. Olfos Pferd ist, im Gegensatz zu seinem gebundenen Reiter, dem Salz der Werra nicht abhold. So steht es, genüsslich an einer Salzlecke lutschend, da, und rundherum wogt die Schlacht am Salzfluss. Olfo sind nicht nur die Beine, sondern auch die Hände gebunden. Olfo gibt den Part des unfreiwilligen Zuschauers. Und was sieht Olfo? Dass die hermundurische Körperertüchtigung und eine gewisse Überzahl an Kriegern letztlich den Ausschlag dafür geben, dass die Chatten vernichtend geschlagen werden.
Das »vernichtend« ist übrigens wörtlich zu nehmen, denn die Hermunduren hatten ihre Gegner den Kriegsgöttern geweiht, was bedeutet, dass die Chatten einen gepfefferten Preis für ihre Niederlage am Salzfluss zu zahlen haben. Alles Chattische wird mit Ross und Reiter dahingemetzelt. Ja, auch mit Ross, die Tierschützer waren noch nicht so aktiv damals. Nun, die Zeiten waren eben etwas roh. Aber wenigstens wurde schon das Fleisch gebraten gegessen.
Olfo übrigens wird mit Schimpf und Schande aus dem Stamm vertrieben. Wie sonst soll man erklären, dass der römische Geschichtsschreiberling Tacitus, der zur Zeit der Salzschlacht gerade mal drei Jahre alt war, in seinen »Annalen« dieselbe beschreibt. Olfo wird bei ihm auf der Ottomane gelegen haben, um sich sein Salzschlacht-Trauma von der Seele zu quatschen. Und dieser Tacitus hat sich dann mit fremder Leute Geschichten Weltruhm erschlichen.
»Was geht mich Tacitus an?«, fragt Freydrun. »Wichtig ist, dass der schief hängende Haussegen in meiner bescheidenen Hütte wieder geradegerückt ist. Herman, dem Hermunduren, was mein Mann ist, schmeckt es wieder.«
Na, und das sollte doch ein paar hingemetzelte Chatten wert sein.
Aufmerksame Leser und Leserinnen werden jetzt sicher fragen: Wieso sind diese beiden Geschichten eigentlich der erste Akt der Thüringer Geschichte, wenn doch nur Vor-Thüringer in der Steinzeit auftreten und auch in dieser Salzschlacht keiner mitschlachtet, der sich Thüringer nennt. Die Thüringer sind als Thüringer bis weit hinein in die Zeit nach Beginn der Zeitrechnung noch nicht existent. Vereinfacht gesagt: Es sagt noch keiner Thüringer zu ihnen.
Eine Meisterleistung der Tarnkunst.
Ja, denn sie waren schon da. Man führt sie nicht unter T, sondern unter H wie Hermunduren.
2. Kapitel
… in dem der Name »Thüringer« etwas erklärt wird; außerdem die Thüringer das erste Mal im Geschichtsbuch auftauchen, um sich sofort wieder zu verabschieden
Tja, woher kommt eigentlich die Mengenbezeichnung »Thüringer«? Was sagen uns die Sagen und die sagenhaft wissenden Wissenschaftler? Was war wahr?
Es waren einmal die Vorfahren der Thüringer im gleichnamigen Becken, die sich an der größten Pfadfinderbewegung der Welt, der Völkerwanderung, nicht beteiligten. Und das kam so:
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