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Dieses Buch soll Sri Aurobindos oft zitierte Aussage: „Yoga ist nichts anderes als angewandte, praktische Psychologie“ bestätigen. Im Allgemeinen werden unter Yoga bestimmte körperliche Übungen, Regeln und Verhaltensnormen verstanden, die sich auf das äußere Leben beziehen. Im Gegensatz dazu wird in diesem Buch „Die vielen Aspekte unserer Persönlichkeit“ Yoga als Weg dargestellt, der im Wesentlichen aus einer inneren psychologischen Arbeit besteht, die eine Transformation des Bewusstseins erreichen will.
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Seitenzahl: 377
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Praktische yogische Psychologie
Auszüge aus den Werken von
Sri Aurobindo und der Mutter
Zusammenstellung und Einführung
A.S. Dalal
Deutsche Übersetzung Petra Ried
SRI AUROBINDO ASHRAM
PUDUCHERRY
SRI AUROBINDO
DIGITAL EDITION
SRI AUROBINDO BHAVAN
BERCHTESGADENER LAND
www.sriaurobindo.center
© Copyright 2024
AURO MEDIA
Verlag und Fachbuchhandel
Wilfried Schuh
Deutschland
www.auro.media
eBook Design
SRI AUROBINDO DIGITAL EDITION
Deutschland, Berchtesgaden
Buchausgabe
Die vielen Aspekte unserer Persönlichkeit
Titel der englischen Ausgabe
Our Many Selves
Deutsche Übersetzung: Petra Ried
Erste deutsche Ausgabe 2019
ISBN 978-93-5210-140-5
© SRI AUROBINDO ASHRAM TRUST
Verlag: Sri Aurobindo Ashram Publication Department
Puducherry 605 002, Indien
Web http://www.sabda.in
Druck: Sri Aurobindo Ashram Press
Puducherry, Indien
E-BOOK
Die vielen Aspekte unserer Persönlichkeit
Deutsche Übersetzung: Petra Ried
2. Aufl. 2024
ISBN 978-3-96387-073-6
© Fotos und Textauszüge Sri Aurobindos und der Mutter:
Sri Aurobindo Ashram Trust
Puducherry, Indien
Titelseite
Copyright
Zitate
VORWORT
EINFÜHRUNG
Zwei Systeme der Organisation unserer Person
Das äußere Wesen
Das Innere Wesen (Das Subliminale)
Das innerste Wesen – das psychische Wesen
Das Unbewusste und das Unterbewusste
Das Überbewusste
Das psychische Wesen und die Transformation
1. UNSER VIELFÄLTIGES WESEN
Unser vielfältiges Wesen
2. EBENEN UND TEILE UNSERES WESENS
Die Ebenen und Teile unseres Wesens
Das Physische
Das Vitale
Das Mentale
Das Unterbewusstsein
Das Unbewusste
Das Subliminale – Das innere Wesen
Das Umgebungsbewusstsein
Das Überbewusste
Der höhere Verstand
Der erleuchtete Verstand
Intuition
Das Übermental (Overmind)
Das Supramental (Supermind)
Atman – das Selbst – das spirituelle Wesen
Jivatman – Das zentrale Wesen
Seele und psychisches Wesen
Das wahre Wesen und das Ego
3. ZU EINEM INDIVIDUUM WERDEN
Zu einem Individuum werden
4. BEWUSST WERDEN
Bewusst werden
5. INNERE ORDNUNG, HARMONISIERUNG, VEREINIGUNG
Innere Ordnung, Harmonisierung, Vereinigung
6. EINIGE ANTWORTEN UND ERKLÄRUNGEN
Die Komplexität des Wesens und Vorherbestimmung des Schicksals
Die Bildung des Körpers und des Charakters
Einfluss der Vererbung auf die Entwicklung
Individualität zu erreichen ist eine Eroberung
Der gewöhnliche Zustand der Menschen – Innere Identität und Zerstreuung
Warum der Mensch sich selbst in Frage stellt
Was man „Mich Selbst“ nennt
Die Wahrheit des Wesens
Der Schatten
Das höchste Bewusstsein in sich selbst wahrnehmen
Der Beobachter im eigenen Wesen
Von der Notwendigkeit, zwischen dem Äußeren und Inneren eine Beziehung herzustellen
Die Notwendigkeit, die Instrumente des äußeren Bewusstseins zu verbessern
Askese und Meisterschaft (Selbst-Beherrschung)
Eigenschaften einer „Welt-Persönlichkeit“
Ist die persönliche Bemühung immer egoistisch? Unterscheidung zwischen „selbstsüchtig“ und „egoistisch“
Eine andere Seele erkennen; sich selbst betrachten
Wissen, was die Seele weiß
Intuition und ihre Entwicklung
Aufrichtigkeit und Gespaltenheit im Wesen
Spontaneität
Wie man etwas will
Mentale Ehrlichkeit
Zwei Arten der Selbsttäuschung
Seine inneren Gefühlsregungen überprüfen
Vergnügen und Freude
Die Substanz des Psychischen
Der Unterschied zwischen „spirituell“ und „psychisch“
Was in jedem Menschen nach dem Göttlichen strebt
Macht jeder Mensch immer innerlich Fortschritte?
Das psychische Wesen und der individuelle innere Fortschritt
Innerer Fortschritt von Leben zu Leben
Das Weiterleben der mentalen Person und Unsterblichkeit
Die Entdeckung der Seele
ANHANG
Glossar
Quellenangaben
Cover
Inhaltsverzeichnis
Start
… So wie das Sein eins ist und dennoch gleichzeitig vielfältig, so bestimmt dasselbe Gesetz auch uns selbst und die verschiedenen Teile unserer Persönlichkeit. Der spirituelle Geist, der Purusha, ist unteilbar eins, aber er passt sich den Ausdrucksweisen der Natur an. Jeder Aspekt unseres Seins wird von einer Ausdruckskraft des spirituellen Geistes geleitet; wir haben etwas in uns, das wir entdecken, wenn wir tief genug in uns nach innen gehen, ein mentales Selbst, ein vitales Selbst und ein physisches Selbst. Es gibt ein inneres Wesen des Denkens in uns, den mentalen Purusha, der etwas von sich selbst an unserer Oberfläche ausdrückt, in unseren Gedanken, Wahrnehmungen und den Aktivitäten unserer mentalen Natur, und es existiert ein Wesen der vitalen Lebenskraft in uns, das etwas von sich selbst in den Impulsen, Gefühlen, Empfindungen, Wünschen und den äußeren Aktivitäten unseres vitalen Lebens ausdrückt, sowie ein inneres physisches Wesen, ein körperliches Selbst, das etwas von sich in unseren Instinkten, Gewohnheiten, Aktivitäten und in unserer körperlichen Gestalt ausdrückt. Diese Teilaspekte des Selbst sind Ausdruckskräfte des spirituellen Geistes und deshalb nicht begrenzt durch ihre zeitweilige Ausdrucksform, denn was auf die jeweilige Weise ausgedrückt wird, stellt nur einen Bruchteil seiner unendlichen Möglichkeiten dar. Dieser spezielle Ausdruck erschafft in uns eine zeitlich begrenzte, denkende, fühlende, physische Persönlichkeit, die wächst und sich entwickelt, ebenso wie das psychische Wesen oder die Seelenpersönlichkeit in uns wächst. Jede dieser Ausdrucksformen des göttlichen Geistes hat ihre eigene ausgeprägte individuelle Natur, ihr Einfluss und ihre Prägung wirkt als Ganzes auf uns; aber während sie entstehen, mischen sich diese Einwirkungen und Einflüsse an der Oberfläche unseres Wesens und erschaffen eine Oberflächenpersönlichkeit, die aus einem Gemisch all dieser Einflüsse besteht, eine Vermischung aller zusammen, die eine äußerlich beständige und doch veränderliche und bewegliche Gesamtpersönlichkeit für den Zweck dieses jeweiligen Lebens und seiner begrenzten Erfahrung bildet.
Sri Aurobindo, CWSA, Bd. 21-22, S. 929
Wenn du eine philosophische Denkweise hast, dein Denken philosophisch orientiert ist, stellst du dir wahrscheinlich die Frage: „Wer bin ich selbst? Bin ich dieser Körper – er ändert sich ständig, er bleibt nicht derselbe. Bin ich das, was ich fühle? Meine Gefühle verändern sich andauernd. Bin ich das, was ich denke? Aber auch Gedanken entstehen und vergehen ununterbrochen. Das alles bin nicht ich selbst. Wo befindet sich mein Selbst? Was gibt mir das Gefühl von Kontinuität?“ Wenn du aufrichtig weiterfragst und ein paar Jahre in die Vergangenheit zurück gehst, wird das Problem immer komplizierter. Du kommst zu der Beobachtung: Alles ist nur meine Erinnerung. Aber selbst wenn man seine Erinnerung verlieren würde, wäre man immer noch man selbst. Wenn man diese tiefgreifende Suche ernsthaft weiterführt, kommt ein Moment, in dem alles verschwindet, und nur noch Eines existiert und das ist das Göttliche, die göttliche Gegenwart. Alles verschwindet, löst sich auf, alles schmilzt wie Butter in der Sonne… Wenn man diese Entdeckung gemacht hat, wird einem bewusst, dass man nur aus Gewohnheiten bestand. Es redet immer der Teil in einem selbst, der das Göttliche nicht kennt und sich des Göttlichen nicht bewusst ist. In jedem Menschen gibt es Hunderte und Aberhunderte von Identitäten des „Selbst“, die auf Hunderte, völlig verschiedene Arten sprechen – unbewusste, wechselnde, fließende Identitäten des Selbst. Das Selbst, das heute redet, ist nicht dasselbe, das gestern gesprochen hat; und wenn du in die Zukunft schaust, ist das Selbst verschwunden. Es gibt nur Eines, das beständig existiert. Das ist das Göttliche. Es ist das Einzige, das als immer gleich angesehen werden kann.
Die Mutter, CWM, Bd. 5, S. 17
VORWORT
Yoga wird allgemein mit bestimmten festgelegten Übungen wie Yoga-Körperstellungen, Atemübungen, mit Meditation und dergleichen in Verbindung gebracht. Zusätzlich wird Yoga so verstanden, dass er aus bestimmten Verhaltensregeln und Normen besteht, die sich auf Aspekte des äußeren Lebenswandels beziehen, wie die Ernährungsweise, die Lebensführung und sonstige Gewohnheiten. Sri Aurobindo lehrt hingegen, dass Yoga aus einer inneren psychologischen Arbeit besteht, die eine Änderung und Transformation des Bewusstseins anvisiert. Er erklärt: „Yoga ist nichts anderes als angewandte praktische Psychologie“1; „…die gesamte Methode des Yoga ist psychologisch; man könnte sie fast als die umfassende praktische Anwendung eines perfekten psychologischen Wissens bezeichnen.“2
Dieses Buch, das eher für den allgemeinen spirituellen Sucher gedacht ist als für den Praktizierenden des Integralen Yoga von Sri Aurobindo, beschäftigt sich nur mit den ersten vorbereitenden Schritten bis zu der radikalen Änderung des Bewusstseins, die der Integrale Yoga anvisiert. Diese anfänglichen Auf gaben für ein psychisch-spirituelles Wachstum sind: aufzusteigen aus dem unbewussten Zustand, in dem man mehr oder weniger ein mit der kollektiven Masse verschmolzener Teil ist als ein unabhängiges Individuum, um das zu werden: „der wirklich mentale Mensch, der für sich selbst denkt, der frei ist von allen äußeren Einflüssen, der eine Individualität besitzt, die in ihrer Realität bestehen kann.“ Dazu gehört auch, ein zunehmend tieferes Verständnis seiner selbst zu entwickeln, das sich mehr und mehr der Komplexität des eigenen Wesens bewusst wird, um die Ursprünge des eigenen Handelns zu unterscheiden, die in den verschiedenen Teilen unserer Persönlichkeit entstehen und so Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung ausüben zu können, die Harmonie und Ordnung in den unterschiedlichen Teilen unseres Wesens schafft, die normalerweise in einem Zustand von Unordnung sind und in Konflikt miteinander geraten. Daraus erfolgt die Entdeckung der Einheit unseres eigentlichen wahren inneren Selbst, das alle Teile unseres Wesens anleitet und organisiert, die sonst durch Teilung und Uneinigkeit charakterisiert sind.
Der Leser wird bemerken, dass die Mehrzahl der Passagen in diesem Buch den Werken der Mutter entnommen sind, denn ihre Schriften bestehen überwiegend aus den Gesprächen, die sie mit den jungen Schülern der Ashram-Schule führte, denen sie die praktische Anleitung für die vorbereitende Arbeit für das innere Wachstum lehrte, wie wir sie oben besprochen haben.
Sich selbst zu verstehen, ist der erste Schritt auf diesem Weg. Wie die Mutter bemerkt:
„Lerne dich zuerst gründlich selbst kennen und dann, dich zu kontrollieren.“3
„Um vollkommen zu sein, muss man sich zuerst seiner selbst bewusst werden.“4
„Die besondere Eigenschaft des Menschen ist seine mentale Natur“5, sagt Sri Aurobindo. Deswegen versteht sich der Mensch natürlich zuerst durch das Nachdenken über sich selbst. Das mentale Selbstverständnis beruht darauf, intellektuell die vielen unterschiedlichen und komplexen Teile seines eigenen Wesens zu unterscheiden. Das erfordert „ein langes Training und eine lange Disziplin des Selbst-Studiums und der Selbst-Beobachtung“6, um die jeweiligen Ursprünge seiner Gedanken, Gefühle, Handlungen und Stimmungen zu erkennen. Es bedeutet, dass man fähig ist, den verschiedenen Seiten unserer Veranlagung, die die vielen Teile unserer Persönlichkeit ausmachen, eine Bezeichnung geben zu können. Für viele Menschen ist der Begriff „Etikett“ oder „etwas mit einem Etikett versehen“ negativ besetzt, weil er mit einem rein mentalen oder intellektuellen Prozess assoziiert wird, der ein wirkliches Verstehen der so bezeichneten Sache vermissen lässt und ein Hindernis für ein echtes Verständnis darstellt. Ein mentales Verständnis ist jedoch nicht notwendigerweise ein Nachteil. Im Gegenteil, es kann eine große Hilfe und ein Schritt zu einem tieferen Erkennen sein. Alles mentale oder intellektuelle Begreifen als reines „Etikettieren“ abzulehnen, ignoriert die oben genannte Tatsache, dass der besondere Charakter des Menschen seine denkende Wesensart ist, und deswegen ist es nur natürlich, mit einem mentalen Verständnis zu beginnen und stufenweise eine tiefer gehende Erkenntnis zu entwickeln. Es gibt nur selten Individuen, die so eine tiefe Selbst-Erkenntnis besitzen, dass sie die verschiedenen inneren Beweggründe der vielen Teile ihres Selbst unterscheiden können, ohne vorher gelernt zu haben, diese mental zu bezeichnen. Wie die Mutter einmal zu den Kindern der Ashram-Schule sagte:
„… Wenn dich nie jemand gelehrt hat, was das psychische oder das vitale Wesen ist, kannst du keine Auffassung der Sache besitzen. Du kannst nur sagen: „Heute fühle ich mich gut, gestern nicht.“ Bis ich 24 Jahre alt war, wusste ich nichts über all diese Dinge, und doch konnte ich sehr gut meine inneren Beweggründe unterscheiden. Ich habe zwar nicht diese Bezeichnungen benützt, weil sie mich nie jemand gelehrt und ich nichts darüber gelesen hatte, aber ich konnte in bestimmten Momenten sehr deutlich den Unterschied der Ursprünge meines Wesens erkennen und in welchem Bewusstseinszustand ich mich gerade befand.
Aber weil ihr hier (im Ashram) seid und nach allem, was ihr darüber gehört und gelesen habt und was ich euch gelehrt habe, solltet ihr mit allen Beweggründen in euch selbst vertraut sein und fähig, ihnen ein kleines Etikett zu geben: dieses Motiv ist so begründet und kommt aus diesem Teil meines Wesens, das ist ein anderes usw.“7
Sri Aurobindo erklärt, dass es nicht nur um der intellektuellen Klarheit willen notwendig ist, die verschiedenen Teile seines Wesens deutlich unterscheiden zu können, sondern auch, um in den Erfahrungen in der Sadhana Verwirrung zu vermeiden.8 Zum Beispiel im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem individuellen Selbst (Jivatman) – das ein einzelnes Zentrum der Vielfalt des Göttlichen darstellt – und dem alles umfassenden Göttlichen Selbst, bemerkt Sri Aurobindo: „Es ist wichtig diese Unterscheidung zu treffen; denn sonst, wenn man nur den geringsten vitalen Egoismus besitzt, könnte man sich selbst für einen Avatar halten…“9
Ein anderes Beispiel für Konfusion betrifft den Unterschied zwischen dem psychischen Wesen oder der Seele und den mentalen und emotionalen Teilen des Wesens, die nur unter dem Einfluss des psychischen Wesens stehen, aber oft mit ihm verwechselt werden.
Was die Wichtigkeit einer solchen Unterscheidung angeht, schreibt Sri Aurobindo:
„Es gibt das wahre Psychische, das immer gut ist, und es gibt die psychische Öffnung in die mentalen, vitalen und andere Welten hinein, die alle möglichen Dinge enthalten, gute und schlechte, neutrale, wahre, falsche oder halbwahre, Gedanken, Suggestionen aller Art und auch alle möglichen Botschaften. Es ist nötig, dass du dich all dem nicht unvoreingenommen und unparteiisch auslieferst, sondern ausreichend Wissen, Erfahrung und genügend Unterscheidungsvermögen entwickelst, um dein Gleichgewicht zu halten und die Falschheit, Halbwahrheiten und Vermischungen auszusortieren. Die Notwendigkeit zur Unterscheidung sollte man nicht ungeduldig ablehnen mit der Begründung, das sei reiner Intellektualismus. Die Unterscheidung muss nicht intellektuell sein, obwohl auch das etwas ist, was man nicht verachten darf.“10
Also ist auch eine rein intellektuelle Unterscheidung, die sich noch nicht auf Erfahrung gründet, wertvoll und „nicht etwas, was man verachten darf.“
Eine wesentliche Unterscheidung, die man auf dem spirituellen Weg machen muss, ist die zwischen „psychisch“ und „spirituell“. Aufgrund ungenügenden Wissens über yogische Psychologie werden psychische Phänomene, die zum inneren oder subliminalen Bewusstsein gehören, das gleichzeitig ein Bereich von Dunkelheit wie von Licht ist, oft mit spirituellen Erfahrungen verwechselt, die zu dem höheren Bewusstsein gehören. Zu der ungenauen und verschwommenen Weise, wie der Begriff „spirituell“ nicht nur in der gängigen Literatur verwendet wird, bemerkt die Mutter:
„… Philosophische, yogische und andere Systeme verwenden das Wort „spirituell“ auf sehr lockere und unklare Weise. Was auch immer nicht physisch ist, ist spirituell! Im Vergleich mit der physischen Welt sind alle anderen Welten spirituell! Alle Gedanken, alle Bestrebungen, die nicht auf das Materielle ausgerichtet sind, werden als spirituelle Bemühung bezeichnet. Jede Absicht, die nicht ausschließlich egoistisch oder humanistisch ist, wird als spirituelle Orientierung bezeichnet. Dieses Wort passt zu allem.“11
Die Unterscheidung zwischen dem inneren oder supraphysischen Bewusstsein und dem höheren spirituellen Bewusstsein ist einer der wertvollsten Aspekte yogischer Psychologie, um das Verständnis des eigenen Selbst des spirituell Suchenden zu fördern.
Sich selbst zu verstehen, muss zur Selbstmeisterung führen. Wie die Mutter den Satz: „Sich zu kennen und zu kontrollieren“, erklärt:
„Das bedeutet, sich seiner inneren Wahrheit bewusst zu sein, die verschiedenen Teile seines Wesens und ihre entsprechenden Funktionen zu kennen. Du musst wissen, warum du dies oder das tust, du musst deine Gedanken und Gefühle kennen, all deine Handlungen, deine Beweggründe, wozu du fähig bist usw. Und es genügt nicht, sich selbst zu kennen: dieses Wissen muss eine bewusste Kontrolle mit sich bringen. Man muss sich selbst vollständig kennen, um sich vollkommen unter Kontrolle zu haben.“12
Diese Aussagen beinhalten, dass ein Verständnis der verschiedenen Teile unseres Wesens, die unseren unterschiedlichen Selbstausdruck ausmachen, zu Selbstkontrolle und Selbstmeisterschaft führen müssen, wenn das mentale Verstehen zu einer wahren Selbst-Erkenntnis werden soll. Aber wahre Selbst-Meisterung kann nur zustande kommen, wenn die verschiedenen Teile des Wesens – die normalerweise voneinander getrennt und im Konflikt miteinander sind – vom innersten Zentrum unseres Wesens, der Seele oder dem psychischen Wesen, geeint und angeleitet werden. Wie die Mutter bemerkt: „Diese Vereinigung ist unerlässlich, wenn man innerlich Meister seines Wesens und all seiner Handlungen sein möchte.“13
Traditionell wurde der Begriff „Yoga“ – der wörtlich Vereinigung mit dem Göttlichen bedeutet – allgemein als ein Weg verstanden, der die Vereinigung des individuellen Selbst mit dem universalen Selbst anstrebt, um die Befreiung von der Ignoranz und dem Leiden des Lebens auf der Erde zu erreichen. In Sri Aurobindos Yoga, der sich nicht nur die Befreiung der individuellen Seele zum Ziel macht, sondern auch die Umwandlung des irdischen Lebens, bedeutet Yoga nicht nur die Vereinigung der individuellen Seele mit dem Göttlichen, sondern auch die Vereinigung der äußeren Persönlichkeit mit der Seele und die Einigung unseres Wesens um die Seele herum, denn nach Sri Aurobindo und der Mutter kann sich das Göttliche nur durch diese Einigung unseres Wesens manifestieren und das irdische Leben transformieren.
A.S.D.
1 Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, CWSA, Band 23-24, Seite 39.
2 Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, CWSA, Band 23-24, Seite 517.
3 Die Mutter, Words of The Mother, CWM, Band 14, Seite 272.
4 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 33.
5 Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, CWSA, Band 20, Seite 73.
6 Die Mutter, Questions and Answers 1957-58, CWM, Band 9, Seite 308.
7 Die Mutter, Questions and Answers 1954, CWM, Band 6, Seite 7.
8 Sri Aurobindo, Letters on Himself and the Ashram, CWSA, Band 35, Seite 128.
9 Sri Aurobindo, Letters on Himself and the Ashram, CWSA, Band 35, Seite 266.
10 Sri Aurobindo, Autobiographical Notes, CWSA, Band 36, Seite 371.
11 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 226.
12 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 34.
13 Die Mutter, Some Answers from The Mother, CWM Band 16, Seite 396.
EINFÜHRUNG
„Das Selbst eines Menschen ist eine einzige Person, aber in seinem Selbstausdruck ist er auch eine Multipersönlichkeit.“1 Mit dieser Aussage macht Sri Aurobindo eine Unterscheidung, die für das Verständnis seiner Erklärung der Natur des Menschen grundlegend ist – die Unterscheidung des Selbst und seiner vielen Persönlichkeiten. Diese Unterscheidung ist für unsere normale Wahrnehmung keineswegs offensichtlich.
„Gewöhnlich versteht sich der Mensch nur als ein Ego, in dem alle Abläufe seiner Natur ungeordnet sind und indem er sich mit diesen Bewegungen in seiner Natur identifiziert, denkt er: „Ich tue dies, ich fühle das, ich denke, freue mich oder ich bin in Sorge usw.“ Der Anfang wirklicher Selbsterkenntnis beginnt, wenn du dich selbst von der Natur und ihren Bewegungen in dir gelöst hast, und dann siehst du, dass da in dir viele Teile deines Wesens, viele Persönlichkeiten existieren, die jede für sich selbst und auf ihre eigene Weise handeln.“2
Wir besitzen keine Selbsterkenntnis, weil wir uns selbst nicht als die innere Person sondern als Ego wahrnehmen, das die Identifikation dieser inneren Person mit den vielen Persönlichkeiten darstellt, die die äußere Natur unseres Wesens ausmachen. In Begriffen der Sankhya Philosophie kennen wir uns selbst nicht als die innere Person (den Purusha), weil wir uns mit der Natur (Prakriti) identifizieren. In diesem Zustand der Identifikation mit unserer Natur, bleibt uns die komplexe Beschaffenheit unseres Wesens verborgen.
„Für den durchschnittlichen Menschen, der in seinem persönlichen oberflächlichen Wachbewusstsein lebt, der nicht die Tiefen seines Selbst und die unermesslichen Weiten hinter dem Schleier der äußeren Erscheinungen kennt, ist seine psychologische Verfassung ziemlich einfach. Sie besteht aus einer kleinen aber lärmenden Gesellschaft von Wünschen, einigen unentbehrlichen intellektuellen und ästhetischen Vorlieben, ein paar Geschmacksrichtungen und einigen beherrschenden oder herausragenden Ideen, inmitten eines großen Stroms von unverbundenen oder zusammenhanglosen und meist trivialen Gedanken. Sie besteht zudem aus einer Anzahl von mehr oder weniger dringenden vitalen Bedürfnissen, dem Wechsel von körperlicher Gesundheit und Krankheit sowie aus einer verstreuten und unlogischen Aufeinanderfolge von Freude und Kummer, aus häufigen kleineren Störungen und Wechselfällen des Lebens, aus Unruhe und Aufruhr seines Körpers oder seines Verstandes und selten aus einem starkem Suchen. Durch all das hindurch arrangiert seine Natur diese Dinge, teilweise mit Hilfe seiner Gedanken und seines Willens oder auch ohne sie oder gegen sie und bringt sie auf eine grobe praktische Art und Weise in eine einigermaßen tolerierbare, unregulierte Ordnung – das ist das Material seiner Existenz.“3
Wirkliches Selbstwissen beginnt, wenn zwischen Purusha und Prakriti eine Trennung stattfindet, zwischen dem inneren Selbst und seiner äußeren Natur. Wir erkennen dann „die außerordentliche Komplexität unseres eigenen Wesens, die stimulierende aber gleichzeitig auch verwirrende Vielfalt unserer Persönlichkeit, die reiche, endlose Konfusion der Natur.“4
Wir merken auch, dass die zahlreichen Persönlichkeiten, die an der Oberfläche unseres Wesens vermischt sind, von unserem Inneren aus betrachtet, voneinander unabhängig und eigenständig sind. Jede dieser Persönlichkeiten stellt einen Teil des Wesens dar, das seine eigene komplexe Individualität und unterschiedliche Natur besitzt und seine eigenen Forderungen, die weder mit sich selbst noch mit denen der anderen Teile der Persönlichkeit übereinstimmen. Indem er die „ganz normale Teilbarkeit der verschiedenen Bestandteile des Wesens“ anspricht, sagt Sri Aurobindo:
„An der äußeren Oberfläche unserer Natur sind Verstand, Psyche, Vitalität und körperliches Empfinden alle miteinander vermischt und es bedarf einer starken Kraft der Innenschau, der Selbst-Analyse und genauer Selbstbeobachtung, um die Fäden von Gedanken, Gefühlen und Impulsen, die Zusammensetzung unserer Natur und die Beziehungen und Interaktionen dieser Teile, ihre gegenseitigen Beeinflussungen und ihr Zusammenwirken zu entwirren. Aber wenn wir nach innen gehen… finden wir den Ursprung all dieser Aktivitäten an der Oberfläche unseres Wesens und dort, tief in uns, sind die Teile unseres Wesens ganz separat und deutlich voneinander zu unterscheiden. Wir fühlen sie wirklich wie verschiedenartige Wesenheiten in uns und genau wie zwei verschiedene Leute etwas gemeinsam tun, können wir sehen, dass auch diese Teile in uns sich gegenseitig beobachten, kritisieren, helfen oder ablehnen oder einander beeinträchtigen. Es ist so, als wären wir ein Gruppen-Wesen, in der jedes Mitglied der Gruppe einen separaten Platz mit einer eigenen Funktion innehat, und alle werden von einem zentralen Wesen geleitet, das manchmal über den anderen im Vordergrund steht und manchmal hinter den Kulissen agiert.“5
Aus Sri Aurobindos Sicht ist der Mensch untrennbar eins mit dem universalen Wesen. Es gibt, so sagt er: „Zwei Systeme, die gleichzeitig in der Organisation unseres Wesens und seiner Teile aktiv sind“6 – ein konzentrisches und ein vertikales System.
Die äußere Person und das innere Wesen dahinter machen unsere phänomenale oder instrumentale Person aus und gehören zur Natur oder Prakriti. Sie bringen drei entsprechende Teile hervor – das Physische ( das körperliche Wesen), das Vitale (das vitale Gefühls-Wesen) und das Mentale (das mentale, denkende Wesen). Das innerste Wesen ist das wahre Wesen, der Purusha. Im Purusha gibt es eine innerste mentale Ebene, die innerste vitale Ebene und eine innerste physische Ebene und ganz im innersten Kern das psychische Wesen oder die Seele. Das psychische Wesen wird meist als das innerste Wesen bezeichnet (Bild 1).
1. Das konzentrische System
Das vertikale System ist wie eine Treppe aufgebaut, die aus verschiedenen Abstufungen, Ebenen oder Einteilungen des Bewusstseins besteht, die vom untersten – dem Unbewussten – bis zum höchsten, Sachchidananda, reichen (Bild 2).
2. Das vertikale System
Anmerkung: Alte indische Weisheit teilte das menschliche Wesen, den Mikrokosmos sowie das Welt-Wesen, den Makrokosmos, in eine höhere Hemisphäre, Parardha und eine niedere Hemisphäre, Aparardha. In der höheren Hemisphäre regiert perfekt und ewig der göttliche Geist (Spirit); in der unteren Hemisphäre ist der göttliche Geist durch den Verstand, das Leben und den Körper verhüllt. Das Übermentale (der Overmind) ist die dazwischen liegende Ebene, die die zwei Hemisphären teilt.
Die hauptsächlichen Teile und Ebenen des Wesens, wie sie Sri Aurobindo beschreibt, werden unten erklärt.
Die äußere Person oder die Person an der Oberfläche der Existenz besteht aus drei Hauptteilen: dem Verstand (das Mentale), der Lebenskraft (das vitale Gefühl) und dem Körper (das Physische). Jeder Teil besitzt seinen eigenen ausgeprägten Typ des Bewusstseins, obwohl wir in unserer normalen Wahrnehmung zwischen den mentalen, vitalen oder physischen Bestandteilen unseres Bewusstseins nicht unterscheiden können und dazu tendieren, all diese unterschiedlichen Elemente einfach als unser „Denken“ zu betrachten. In der Psychologie des Yoga jedoch bezieht sich der Begriff „Verstand“ speziell auf den Teil unserer Person, „der mit Erkenntnis und Intelligenz zu tun hat, mit Ideen, mit mentalen oder gedanklichen Vorstellungen, mit den Reaktionen der Gedanken auf Dinge, mit den wirklich mentalen Gedankenströmen und der Gedankenbildung.“7 Das vitale Wesen oder die Natur der Lebenskraft besteht aus Wünschen, Gefühlen, Instinkten und Impulsen.
Die Lebensenergie, die den Körper animiert (Prana), ist ein Aspekt der vitalen Natur. Der Körper selbst besitzt auch sein eigenes Bewusstsein, das in den unwillkürlichen Funktionen der körperlichen Organe und der physiologischen Systeme operiert. Das Körperbewusstsein ist nur ein Teil des physischen Bewusstseins. Das letztere beinhaltet auch den physischen Verstand und das physische Mentale, das noch erklärt wird.
Obwohl sie separat und unterschiedlich sind, sind die drei Teile des äußeren Wesens miteinander verbunden und wirken aufeinander ein, wodurch etliche unterscheidbare Unterteilungen in ihnen entstehen. So entsteht neben dem denkenden Verstand (dem eigentlichen Verstand) der vitale Verstand, das ist der Teil des Verstandes, der mit den Gefühlen vermischt ist. Der vitale Verstand wird nicht wie der denkende Verstand durch die Vernunft geleitet, sondern wird von den Wünschen und Impulsen des vitalen Gefühls dominiert.
Eine andere Unterteilung ist der physische Verstand, das ist der Teil des Verstandes, der mit dem rein körperlichen Bewusstsein vermischt ist und die typischen Merkmale des physischen Bewusstseins zeigt wie Trägheit, Verdunkelung und mechanische Wiederholungen, die sich im physischen Verstand als mentale Schläfrigkeit, als Konservatismus, als Zweifel und obsessive Gedanken ausdrücken. Der Teil des Verstandes, der dem physischen am nächsten ist, ist der mechanische Verstand; sein Merkmal ist das einer Maschine, die anfängt sich im Kreis zu drehen sobald ein Gedanke in ihr auftaucht. Eine andere Unterteilung, die für das eigene Selbstverständnis wichtig ist, ist das physische Vitale; es ist der Teil des vitalen Gefühls, der vollständig auf materielle Dinge ausgerichtet ist, es ist voller Wünsche und Verlangen nach den Freuden der physischen Ebene. Eng mit ihm verbunden ist das vitale Physische, der Teil der vitalen Lebenskraft, die das nervliche Wesen bildet; es ist der Träger der nervlichen Antworten des Körpers, und steht in Beziehung zu den Reaktionen, Wünschen und Empfindungen des Körpers.
Hinter der Oberfläche des Bewusstseins des äußeren Wesens befindet sich das innere oder subliminale Bewusstsein auf allen drei Ebenen – der physischen, vitalen und der mentalen. So entsteht der innere Verstand, das innere vitale Gefühl und das innere Physische. Der innere Verstand ist in Berührung mit dem universalen Verstand, das innere vitale Gefühl mit den universalen Lebenskräften und das innere physische Bewusstsein mit den universalen physischen Kräften um uns herum. Während deshalb das äußere Wesen die Dinge nur indirekt im äußeren Kontakt durch die Sinne und den äußeren Verstand wahrnimmt, nimmt das innere Wesen direkt die uns umgebenden universalen Kräfte wahr, die durch uns aktiv sind.
Das Umgebungsbewusstsein
Das innere oder subliminale Wesen empfängt die Kontakte der Umwelt durch das Umgebungsbewusstsein, eine Ausformung des subliminalen Bewusstseins, die sich über die Grenzen des Körpers hinaus projiziert.
„Durch dieses Umgebungsbewusstsein dringen die Gedanken, Gefühle etc. von anderen Menschen in uns ein – und hierdurch kommen auch die universalen Kräfte wie Wünsche, Sex etc. in uns hinein und ergreifen Besitz vom Verstand, dem vitalen Gefühl oder dem Körper.“8
„Jeder Mensch hat sein persönliches Bewusstsein in seinem Körper verwurzelt und steht nur durch seinen Körper, seine Sinne und den Verstand, der die Sinne benutzt, in Verbindung mit seiner Umgebung.
Und doch strömen die ganze Zeit die universalen Kräfte in ihn ein, ohne dass er es wahrnimmt. Er nimmt nur die Aktivitäten von Gedanken, Gefühle etc. wahr, die an der Oberfläche seines Bewusstseins auftauchen und nimmt sie als seine eigenen an. In Wirklichkeit jedoch kommen sie von außen in Gedanken-Wellen, in vitalen Wellen, in Wellen von Gefühlen und Empfindungen etc., die in ihm eine bestimmte Form annehmen und in den Vordergrund seines Bewusstseins dringen, nachdem sie in ihn hineingelangt sind.
Aber sie gelangen nicht sofort in seinen Körper hinein. Der Mensch trägt um sich herum ein Umgebungsbewusstsein mit sich, (das von den Theosophen die Aura genannt wird), in die sie zuerst eindringen. Wenn du dir deines dich umgebenden Selbst bewusst werden kannst, kannst du den Gedanken, die Leidenschaft, die Suggestion oder die Kraft der Krankheit ergreifen und sie daran hindern, in dich einzudringen.“9
Sri Aurobindo gebraucht den Begriff „psychisches Wesen“ (aus dem griechischen psukhe, die Seele) für die innerste Seele, die die äußeren und die inneren Seiten unseres Wesens unterstützt. Das psychische Wesen, auch Psyche oder psychische Entität genannt, ist in seiner Substanz ein Funke oder ein Teil des Göttlichen, der in allen Dingen und Geschöpfen lebt. Im Laufe der Evolution wächst die Seele im Menschen zu einer individuellen psychischen Persönlichkeit heran und wird dann als psychisches Wesen bezeichnet.
Während das universale Selbst, der Atman, niemals auf der Erde eine Geburt annimmt, also „ungeboren“ bleibt und somit über den evolutionären Entwicklungsprozessen steht und durch sie nicht beeinflusst wird, ist das psychische Wesen die sich entwickelnde Seele, die sich durch die Zyklen von Geburt und Tod, von Leben zu Leben weiter entwickelt, obwohl sie in ihrer Substanz unsterblich ist.
„Das psychische Wesen kann zuerst nur einen verborgenen, unvollständigen und indirekten Einfluss auf Verstand, Leben und Körper ausüben, weil diese Teile der Natur sich erst entwickeln müssen, um zu einem Instrument des Selbstausdrucks des psychischen Wesens zu werden, und lange Zeit wird es darin durch deren Evolution beschränkt. Dazu bestimmt, den Menschen durch die Ignoranz der Unwissenheit zum Licht des göttlichen Bewusstseins zu führen, entwickelt es die Essenz aller Erfahrungen in der Unwissenheit, um zunächst einen Kern des seelischen Wachstums in der Natur zu formen; den Rest verwandelt das psychische Wesen in ein Material für zukünftiges Wachstum der Instrumente, die es gebrauchen muss, bis sie so weit sind, das Göttliche als erleuchtete Ausdrucksmittel zu reflektieren. Es ist die göttliche Persönlichkeit in uns, die als der Heilige, der Weise oder der Visionär erblüht. Wenn das psychische Wesen seine volle Stärke erlangt, richtet es die Person auf das Wissen des Selbst und des Göttlichen aus, auf die höchste Wahrheit, das höchste Gute, die höchste Schönheit, Liebe und höchste Freude, auf die göttlichen Höhen und Weiten, und es öffnet uns für die Berührung von spiritueller Sympathie, Universalität und Einheit.“10
Das Unterbewusste liegt unterhalb des Verstandes und des bewussten Lebens sowie das subliminale Bewusstsein sich hinter dem äußeren Bewusstsein befindet. Während das subliminale Bewusstsein, verglichen mit dem Oberflächenbewusstsein, ein inneres und weiteres Bewusstsein darstellt, ist das Unterbewusste ein niederes, geringeres und beeinträchtigtes Bewusstsein.
„Das Unterbewusste umfasst die rein physischen und vitalen Elemente der Konstitution des körperlichen Wesens, die ohne Gedanken und vom Verstand unbeobachtet und in ihren Handlungen unkontrolliert ablaufen. Es enthält das dumpfe, dunkle Bewusstsein, das in den Zellen und Nerven operiert, das zwar dynamisch ist, von uns aber nicht wahrgenommen wird sowie alle körperlichen Vorgänge und es regelt deren Lebensprozesse und ihre automatischen Reaktionen. Es enthält auch die niedersten Funktionen des unterbewussten sinnlichen Verstandes, der mehr im Tier und im pflanzlichen Leben aktiv ist. In unserer menschlichen Evolution haben wir die Notwendigkeit einer uns leitenden Funktion dieses unterbewussten Elementes überschritten, trotzdem arbeitet es abgetaucht und dunkel unterhalb unserer bewussten Natur weiter. Diese dunkle Aktivität dehnt sich nach unten bis zum Untergrund einer verborgenen mentalen Substanz aus, die vergangene Eindrücke enthält, und all das, was vom oberflächlichen Verstand zurückgewiesen wurde und dorthin hinabsinkt. Dort bleibt der Inhalt schlafend liegen und kann von hier im Schlaf oder in der Abwesenheit des kontrollierenden Verstandes wieder nach oben auftauchen, indem er die Form von Träumen annimmt oder mechanische Sinnesabläufe oder Suggestionen bildet oder Formen automatischer vitaler Reaktionen oder Impulse oder Formen physischer Abnormalität oder nervöser Störungen oder auch Formen von Zerfall, Krankheit oder Unausgeglichenheit. Aus diesem Unterbewusstsein bringen wir normalerweise so viel nach oben ins Bewusstsein wie unsere wache Sinneswahrnehmung und Intelligenz für ihren Zweck brauchen. Indem wir sie so nach oben bringen, sind wir uns ihres Ursprungs, ihrer Natur und ihrer Handlungsweise nicht bewusst und erkennen sie nicht in ihrem eigenen Ausdruck, sondern übersetzen sie in den Ausdruck unserer wachen Sinne und unserer Intelligenz. Aber das Aufsteigen des Unbewussten, seine Wirkungen auf Verstand und Körper geschehen meist automatisch, unaufgefordert, und unfreiwillig; denn wir haben keinen Einblick in das Unterbewusste und deshalb keine Kontrolle darüber.“11
Unterhalb des Unterbewussten ist das Unbewusste, die niederste Ebene des Bewusstseins. Es ist nicht völlig ohne Bewusstsein wie der Begriff sagt, sondern eine Ebene der Bewusstheit, die eine vollständige Involution des Bewusstseins darstellt, die „umgekehrte Abbildung des höchsten Bewusstseins.“12 Evolution beginnt mit dem Unbewussten, das erste Auftauchen aus ihm ist die Materie.
Das Überbewusste besteht aus höheren Ebenen des Bewusstseins, die über dem gewöhnlichen Verstand liegen, von denen das höhere Bewusstsein in die niederen Ebenen des Wesens herabkommt. „Die Aufgabe des Überbewussten ist es, aus dem mentalen Menschen, der halb Tier war, den spirituellen Menschen zu entwickeln.“13 Das Überbewusste umfasst die höheren Ebenen des Verstandes – den höheren Verstand, den erleuchteten Verstand, die Intuition und das Übermental – sowie das, was jenseits des Verstandes liegt, den Supermind und die höchste Wirklichkeit, Sachchidananda (Sein, Bewusstsein, höchste Freude). Die überbewussten Einteilungen des Bewusstseins werden hier kurz von Sri Aurobindo beschrieben.
Höherer Verstand
„Ich bezeichne mit dem höheren Verstand eine erste Ebene des spirituellen Bewusstseins, auf der man dauerhaft und nah das Selbst erkennt, das Eine überall und die Dinge konstant mit dieser Wahrnehmung sieht und versteht. Das spielt sich jedoch noch immer sehr stark auf der Ebene des Denkens ab, obwohl die Wahrnehmung in ihrer Essenz spirituell ist; eine erhöhte Gedankenkraft sowie eine alles umfassende mentale Schau ist das Instrument dafür – sie wird nicht durch eine der intensiveren höher gelegenen Lichter der Erkenntnis erleuchtet, sondern strahlt wie in einem hellen, starken, klaren Tageslicht. Der höhere Verstand ist ein Zustand der Erkenntnis zwischen dem menschlichen Geist und dem Wahrheitslicht darüber. Er kommuniziert das höhere Wissen in einer Form, die der erweiterte, intensivierte, spirituell subtiler gewordene Verstand empfangen kann ohne durch das Licht einer Wahrheit, die jenseits von ihm liegt, geblendet oder gar blind zu werden.“14
Erleuchteter Verstand
„… Dieser Verstand besteht nicht mehr aus höheren Gedanken, sondern aus spirituellem Licht. Die Klarheit der spirituellen Intelligenz, ihr ruhiges Tageslicht, unterwirft sich oder wird ersetzt durch den intensiven Glanz, das Strahlen und die Erleuchtung des spirituellen Geistes: ein Zusammenspiel von Blitzen spiritueller Wahrheit und Macht bricht von oben in das Bewusstsein herein und ergänzt die stille, weite Erleuchtung und die grenzenlose Herabkunft eines Friedens, welche die Aktion des größeren konzeptionell-spirituellen Prinzips charakterisieren oder begleiten, eine feurige Glut der Realisation spiritueller Verwirklichung und eine höchst glücklich machende Ekstase des Wissens.“15
Intuition
Anmerkung zur Intuition: Normalerweise versteht man unter Intuition die Fähigkeit, Dinge direkt zu erkennen, ohne dass Überlegungen nötig sind. In diesem Sinn kann die Intuition sich auf ein Gefühl gründen oder ein schneller „unterbewusster Gedankengang“ sein, der auf unterschwelligen Hinweisen basiert, die nicht bewusst wahrgenommen werden. Aber Sri Aurobindo verwendet den Begriff Intuition, indem er sich auf die überbewusste Ebene über dem erleuchteten Verstand bezieht, und dadurch erhält er eine viel tiefere Bedeutung.
„Intuition ist eine Kraft des Bewusstseins, die dem ursprünglichen Wissen durch Einssein vertrauter ist und ihm näher steht, denn sie entspringt immer direkt aus dem Wissen einer verborgenen Identität mit allem. Wenn das Bewusstsein des Subjekts auf das Bewusstsein des Objekts trifft, es durchdringt und die Wahrheit dieses Kontakts fühlt und mit ihr vibriert, springt die Intuition durch den Schock dieses Zusammentreffens wie ein Funke oder Blitz hervor; oder wenn das Bewusstsein, sogar ohne so ein zusammentreffen, in sich selbst hineinschaut und dort direkt und intim eine oder mehrere Wahrheiten fühlt oder wenn das Bewusstsein die verborgenen Kräfte hinter den äußeren Erscheinungen kontaktiert, dann führt auch das zu einem Ausbruch von intuitivem Licht; oder wenn das Bewusstsein auf die höchste Realität oder die spirituelle Realität der Dinge und Geschöpfe trifft und damit die Einheit eines Kontakts spürt, dann wird in ihren Tiefen der Funke, der Strahl oder die Glut einer intimen Wahrheits-Wahrnehmung entzündet.“16
Über dem Verstand, das Übermental (Overmind)
„Das Übermental weiß, dass das Eine die Unterstützung, die Essenz, die grundlegende Kraft aller Dinge der Schöpfung ist, aber in dem ihm eigenen dynamischen Spiel der Kräfte betont das Übermental seine unterscheidende Kraft der Vielfalt und gibt jeder individuellen Kraft, jedem Aspekt der Schöpfung die volle Chance, sich zu manifestieren, indem es auf die allem zugrunde liegende Einheit vertraut, um Disharmonie und Konflikte zu vermeiden. Jede Gottheit kreiert sozusagen ihre eigene Welt, ohne in Konflikt mit anderen zu geraten; im Übermental kann jeder Aspekt, jede Idee, jede Kraft der Dinge in ihrer ganz separaten eigenen Energie oder ihrem Glanz gefühlt werden und kann ihre entsprechenden Wertvorstellung ausarbeiten, ohne dass daraus eine Disharmonie entsteht. Denn das Übermental besitzt die Wahrnehmung der Unendlichkeit der Schöpfung und in der wahren (nicht räumlichen) Unendlichkeit sind viele Ausdrucksformen der Unendlichkeit möglich, die miteinander übereinstimmen.“17
„In seiner Natur und in seinem Gesetz ist das Übermental ein Delegierter des Bewusstseins des Supramentalen, sein Abgesandter für die Unwissenheit der Schöpfung. Oder wir könnten es als einen beschützenden Doppelgänger bezeichnen, eine Leinwand, durch die das Supramental indirekt auf die Unwissenheit der Schöpfung einwirken kann, deren Dunkelheit den direkten Einfluss eines höchsten Lichts nicht empfangen oder ertragen könnte. Es ist sogar so, dass durch die Projektion dieser leuchtenden Korona des Übermentals die Verbreitung eines abgeschwächten Lichts in der Unwissenheit der Schöpfung und durch den gegensätzlichen Schatten, den es warf, der in sich alles Licht verschluckte, die Unbewusstheit der Schöpfung überhaupt erst möglich wurde. Denn das Supramental übermittelt dem Übermental all seine Realitäten, überlässt es ihm aber, diese in einem Akt von Schöpfung und entsprechend einer Wahrnehmung umzusetzen, die zwar immer noch eine Vision der Wahrheit beinhaltet, doch gleichzeitig den ersten Ursprung der Unwissenheit der Schöpfung bildet.“18
Das Supramental (der Supermind)
Anmerkung zum Supermind: Der Begriff „Supermind“ könnte im Sinne eines „super-hervorragenden Verstandes“ aufgefasst werden, dessen Kapazität die eines normalen Verstandes bei weitem übertrifft. Sri Aurobindo versteht darunter jedoch eine überbewusste Ebene der Existenz, die nicht nur über dem Verstand, sondern auch außerhalb von ihm liegt, und sich grundlegend vom Verstand unterscheidet. Sie befindet sich nicht nur in Beziehung zum gewöhnlichen Verstand außerhalb und darüber, sondern auch im Vergleich mit den überbewussten Ebenen des Verstandes, und zwar dem Höheren Verstand, dem Erleuchteten Verstand, der Intuition, und dem Übermental. Denn während all diese überbewussten Ebenen des Verstandes Mischungen von Licht und Dunkelheit, von Wissen und Unwissenheit beinhalten, ist das Supramental, der Supermind, das Wahrheitsbewusstsein, das von jeglicher Unwissenheit vollkommen frei ist.
„Der Supermind ist in seinem Innersten Kern ein Wahrheitsbewusstsein, ein Bewusstsein, das immer frei von der Unwissenheit ist, die das Fundament unserer gegenwärtigen natürlichen evolutionären Existenz bildet, von der aus die Natur in uns versucht, zu einem Selbst-Wissen und einem Welt-Wissen, einem wirklichen Bewusstsein und der richtigen Nutzung unseres Lebens im Kosmos zu gelangen. Dem Supramental ist dieses Wissen und diese Macht des wahren Daseins innewohnend, weil es ein Wahrheits-Bewusstsein ist; sein Weg verläuft gerade und führt direkt zum Ziel, sein Bereich ist weit und kann unermesslich ausgedehnt werden. Das ist deshalb so, weil seine eigene Natur Wissen ist: er braucht das Wissen nicht zu erlangen, sondern erlangt es aus sich selbst heraus. Seine Schritte der Entwicklung beginnen nicht vom Nichtwissen oder der Unbewusstheit aus hinein in ein unzulängliches Licht, sondern führen von einer Wahrheit in eine größere Wahrheit, von der richtigen geistigen Wahrnehmung hin zu tieferer Erkenntnis, von Intuition zu Intuition, von Erleuchtung zu völligem und grenzenlosem Glanz, von zunehmender Weite zu riesigen Ausdehnungen, bis hin zur eigentlichen Unendlichkeit. Auf seinen Gipfeln besitzt er die göttliche Allwissenheit und Allmacht, aber sogar in der evolutionären Bewegung einer stufenweisen Selbst-Manifestation, durch die er schließlich seine eigenen höchsten Höhen offenbaren würde, ist er in seiner ureigenen Natur im Grunde frei von Ignoranz und Irrtum: er beginnt mit der Wahrheit und dem Licht und handelt immer in der Wahrheit und im Licht.“19
Sachchidananda (Sein-Bewusstsein-höchste Freude)
„Sachchidananda ist das ewige Sein, das auch wir sind, ein ewiges Bewusstsein, das seine eigenen Werke in uns und anderen erkennt, ein ewiger Wille oder eine ewige Kraft dieses Bewusstseins, das sich selbst in unendlichen Tätigkeiten darstellt, eine grenzenlose Freude, die sich an sich selbst und all ihrem Wirken unbeschränkt erfreut. Es ist in sich selbstsicher, unveränderlich, zeitlos, unbegrenzt, das Höchste über allem, in sich selbst still ruhend, in der Unendlichkeit seiner Tätigkeiten der Gestaltung seiner Schöpfungen nicht veränderbar durch deren Abweichungen, nicht geteilt durch ihre Vielfalt, nicht erhöht oder vermindert durch ihr Zuströmen und Verebben in den Meeren von Zeit und Raum, nicht verwirrt durch ihre scheinbaren Gegensätze oder gebunden durch ihre gottgewollten Begrenzungen. Sachchidananda ist die Einheit der Vielseitigkeit der manifestierten Schöpfung, die ewig währende Harmonie all ihrer Unterschiede und Gegensätze, die unendliche Perfektion, die ihre Begrenzungen rechtfertigt, und Sachchidananda ist das Ziel ihrer Unvollkommenheit.“20
Der traditionelle Weg des Wissens (Jnana-Yoga) in Indien zielt darauf ab, nacheinander den Körper, das Leben und den Verstand aufzulösen und sich mit einem direkten Sprung in die suprakosmische Realität von Sachchidananda zu stürzen und damit zu verschmelzen. Für ein integrales Selbst-Wissen jedoch, sagt Sri Aurobindo, ist es notwendig, in der Passage zum Sachchidananda durch jede der überbewussten Ebenen einschließlich des Supramentals aufzusteigen.
„Die Methode des traditionellen Weg des Wissens, all diese Dinge, (Körper, Leben, Verstand) zu eliminieren, gelangt zu der Auffassung und zur Verwirklichung einer reinen bewussten Existenz, sich seines höchsten Selbst bewusst, glückselig, unbeeinträchtigt durch Verstand, Leben und Körper, zu einer endgültigen positiven Erfahrung des Atman, des höchsten Selbst, der ursprünglichen und wesentlichen Natur unseres Daseins. Hier haben wir endlich etwas im Kern Wahres, aber in ihrer blinden Hast dorthin zu gelangen, geht diese Lehre davon aus, dass zwischen dem denkenden Verstand und dem Höchsten, budde paratshtu sah – das Höchste über Buddhi ist Er – nichts existiert, und indem es im Samadhi seine Augen dafür verschließt, versucht es, durch all diese Ebenen, die tatsächlich dazwischenliegen, hindurch zu eilen, ohne diese großen leuchtenden Königreiche des Geistes auch nur zu sehen. Vielleicht erreicht das Wissen sein Ziel, aber nur, um im Unendlichen einzuschlafen. Oder, wenn der Verstand wach bleibt, ist es die höchste Erfahrung der höchsten Realität, in die der sich selbst auslöschende Verstand vordringen kann, er gelangt jedoch nicht in das höchste Bewusstsein des Allerhöchsten, paratpara. Der Verstand kann das höchste Selbst nur in einer gedanklichen spirituellen Verdünnung aufnehmen, nur ein durch den Verstand widergespiegeltes Sachchidananda. Die höchste Wahrheit, die integrale Selbst-Erkenntnis wird nicht erreicht durch diesen selbst verneinenden Sprung in das Absolute, sondern durch ein geduldiges Durchgehen über den Verstand hinaus in das Wahrheits-Bewusstsein, wo das Unendliche erkannt, gefühlt und in der ganzen Fülle seiner unerschöpflichen Reichtümer erfahren werden kann.“21
In der spirituellen Erfahrung existiert ein einziges Wesen, ein einziges Sein, das alle Geschöpfe und lebenden Dinge im Universum in sich vereint und in der spirituellen Verwirklichung als das Eine Selbst aller Dinge und Lebewesen erfahren wird. Aber in unserer alltäglichen Erfahrung nehmen wir in der Welt eine Vielzahl von Menschen und Dingen wahr, die außerhalb von uns selbst existieren. Das ist so, weil unser wahres Selbst, das vorher als Purusha beschrieben wurde, der mit dem Selbst aller Lebewesen und Dinge eins ist, sich durch die Unwissenheit mit Prakriti identifiziert hat, unserer äußeren instrumentellen Natur aus Körper, Leben und Verstand. Diese Identifizierung des Purusha mit Prakriti hat in uns zur Entstehung eines körperlichen, vitalen und mentalen Egos geführt, das uns die Wahrnehmung eines Selbst gibt, das vom Rest des Universums getrennt ist. Deshalb ist es das Ego, das in uns eine Trennung entstehen lässt, zwischen dem, was wir als uns selbst fühlen und dem übrigen Universum, das wir als Nicht-Selbst wahrnehmen, die in unserem alltäglichen Bewusstsein tief verwurzelt ist. Es ist auch das physische, vitale und mentale Ego, das wegen seiner Komplexität und Uneinheitlichkeit zur Bildung mehrerer Persönlichkeiten und Ich-Strukturen in uns führt, die Spaltungen, Konflikte, Disharmonien und Desorganisation in unserem äußeren Leben verursachen. Harmonisierung und Einheit des äußeren Wesens kann nur erreicht werden durch die Entdeckung unseres innersten Wesens – Chaitya Purusha oder das psychische Wesen – indem wir das äußere um das innere Wesen herum, als sein Zentrum und leitendes Prinzip ordnen.
In der Vergangenheit war das Ziel spiritueller Suche im Allgemeinen, Befreiung zu erlangen vom Leidensdruck, der durch die täuschende Wahrnehmung eines getrennten Selbst entsteht und dadurch dem unaufhörlichen Kreislauf von Geburt und Tod zu entkommen. Nach Sri Aurobindo führt das Ziel spiritueller Evolution über diese Befreiung hinaus und besteht in der Transformation der Instrumente des spirituellen Geistes – Verstand, Leben und Körper –, um das Königreich des spirituellen Geistes auf der Erde zu etablieren. Wenn das äußere Wesen mit dem psychischen Wesen vereint ist und von ihm geleitet wird, wird die Transformation von Verstand, Leben und Körper möglich werden. Wie Sri Aurobindo sagt:
„Das psychische Wesen unterstützt den Verstand, das Gefühl und den Körper und wächst in uns durch deren Erfahrungen, es trägt unsere Natur von Leben zu Leben… Zunächst bleibt es hinter unserem Denken, Fühlen und den körperlichen Aktivitäten verborgen, aber während es wächst, wird es fähig, in den Vordergrund unserer Gedanken, Gefühle und des Körperbewusstseins zu treten und deren Ausdruck zu bestimmen. Im Durchschnittsmenschen ist es für seinen Selbstausdruck von ihnen abhängig und kann sie nicht für sich einnehmen und frei gebrauchen. Auf dieser Stufe der Entwicklung ist das Leben tierisch oder menschlich geprägt, noch nicht göttlich. Wenn das psychische Wesen durch Sadhana dominant wird und die Instrumente unserer Wesensart frei gebraucht, dann wird der impulsive Anstoß zur göttlichen Entwicklung hin vollständig und nicht nur ihre Befreiung, sondern die Transformation von Verstand, Gefühl und Körper wird möglich.“22
A.S. DALAL
Die Auszüge in diesem Kapitel sind den gesammelten Werken von Sri Aurobindo, CWSA (Collected Works of Sri Aurobindo), entnommen. Die Bezugsquellen werden unten in abgekürzter Form wiedergegeben.
1 The Life Divine – CWSA 21-22:931.
2 Letters on Yoga – CWSA 28:120.
3 The Synthesis of Yoga – CWSA 23-24:144.
4 The Synthesis of Yoga – CWSA 23-24:74.
5 Letters on Yoga – CWSA 30:197.
6 Letters on Yoga – CWSA 28:84.
7 Letters on Yoga – CWSA 28:168.
8 Letters on Yoga – CWSA 31:601.
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