Die wahre Geschichte - Stephen R. Donaldson - E-Book

Die wahre Geschichte E-Book

Stephen R. Donaldson

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nichts als die Wahrheit

Angus Thermopyle ist ein skrupelloser, aber wenig erfolgreicher Pirat. Jeder, der mit ihm fliegt, endet entweder im Gefängnis oder in einem Sarg. Als er in Begleitung der wunderschönen Ex-Polizisten Morn Hyland in Mallory’s Bar & Logis in der Delta-Sektion auftaucht, ist allen klar, dass die junge Frau Thermopyles Geisel sein muss. Doch sie macht keinen Versuch, ihm zu entkommen, und keiner der Anwesenden wagt es, sich mit dem Verbrecher anzulegen – außer Nick Succorso. Doch was nach einem langen Kampf zwischen den beiden Piraten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aussieht, ist erstaunlich schnell vorbei. Succorso hat Thermopyle offenbar hinter Gitter gebracht und Morn Hyland befreit. Doch das ist nicht die wahre Geschichte …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 358

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



STEPHEN R. DONALDSON

DIE WAHRE

GESCHICHTE

Erster Roman des Amnion-Zyklus

Das Buch

Angus Thermopyle ist ein skrupelloser, aber wenig erfolgreicher Pirat. Jeder, der mit ihm fliegt, endet entweder im Gefängnis oder in einem Sarg. Als er in Begleitung der wunderschönen Ex-Polizistin Morn Hyland in Mallory's Bar & Logis in der Delta-Sektion auftaucht, ist allen klar, dass die junge Frau Thermopyles Geisel sein muss. Doch sie macht keinen Versuch, ihm zu entkommen, und keiner der Anwesenden wagt es, sich mit dem Verbrecher anzulegen – außer Nick Succorso. Doch was nach einem langen Kampf zwischen den beiden Piraten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aussieht, ist erstaunlich schnell vorbei. Succorso hat Thermopyle offenbar hinter Gitter gebracht und Morn Hyland befreit. Doch das ist nicht die wahre Geschichte …

Der Autor

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

THE GAP INTO CONFLICT:

THE REAL STORY

Aus dem Amerikanischen von  Horst Pukallus

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1991 by Stephen R. Donaldson

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Für

LOUund DENNIS LIBERTY,

die mir Mut gemacht haben,

als es darauf ankam.

1

Die meisten Gäste in Mallory's Bar & Logis in der Delta-Sektion hatten von dem, was wirklich geschah, keine Ahnung. Was sie betraf, handelte es sich lediglich um ein neues Beispiel animalischer Leidenschaft für Männer und Frauen, die ihre Wollust zueinandertrieb – die Art von Vorkommnis, die jeder nachvollziehen konnte, oder etwas, wovon man wenigstens träumte. Als einzige ungewöhnliche Besonderheit galt in diesem Fall, dass bei der Leidenschaft anscheinend eine Portion gesunden Menschenverstands mitspielte. Nur wenige Personen wussten, dass es damit mehr auf sich hatte.

In der DelSek zählte Neugierde nicht zu den einem Überleben förderlichen Eigenschaften; zumindest verhalf sie nicht zu den Annehmlichkeiten, die sie in der Alpha-Sektion erschließen mochte, der alternativen Vergnügungs- und Hotelsektion der Kombinats-Montan-Station. Durchreisende Kosmokumpel, diskreditierte Asteroidenpiloten, Trinker und Träumer sowie eine Anzahl Männer, die nie zugaben, Astrobriganten zu sein – die Leute, die entweder nicht nach Alpha passten oder dort unwillkommen blieben –, alle hatten auf die harte Tour lernen müssen, sich Neugier zu verkneifen. Seitdem hielten sie sich für zu schlau, um am verkehrten Ort die falschen Fragen zu stellen oder um zum ungünstigen Zeitpunkt ungelegene Vorgänge zur Kenntnis zu nehmen. Keiner von ihnen wollte Ärger.

Bei ihnen hinterließ die Geschichte einen im Grunde genommen ganz einfachen Eindruck.

Sie begann, als Morn Hyland mit Angus Thermopyle in Mallory's Bar & Logis aufkreuzte.

Das Paar erregte Aufmerksamkeit, weil es offensichtlich nicht harmonierte. Abgesehen von der veralteten Bordmontur, die Morn trug, die zudem, als wäre sie von ihr aus einem fremden Spind geklaut worden, nicht ihre Größe hatte, bot sie einen wundervollen Anblick, ihre Figur ließ Säufer des erloschenen Triebs wegen aufstöhnen, und ihr Gesicht zeichnete sich durch eine zierlich-blasse Schönheit aus, die Träumern zu Herzen ging. Im Gegensatz zu ihr verkörperte Angus Thermopyle eine üble, anrüchige Erscheinung, vermutlich den verrufensten Menschen, der je bei der Station Reederechte genossen hatte. Breitheit und Straffheit seiner Visage bildeten ein bräunliches, von Schmuddel fleckiges Froschgesicht mit struppigem Schnauzbart. Zwischen seinen starken Armen und den dürren Beinen bauchte sich sein Wanst wie ein durch Galligkeit und Bösartigkeit aufgeblasener Gummiwulst aus.

Tatsächlich wusste niemand, wie er es so lange geschafft hatte, seine Reederechte oder überhaupt bloß seine vergammelte Blechbüchse von Raumfrachter zu behalten. Seiner Reputation zufolge endete jeder, der sich mit ihm einließ, ob als Genosse, Crewmitglied oder als sein Gegner, entweder als Leiche oder in Haft. Die Mehrzahl der Leute, die ihn kannten, sagten voraus, mit ihm müsste es auch einmal so ein Ende nehmen, er würde entweder umkommen oder bis zum Schwarzwerden im Knast sitzen.

Er und Morn wirkten zusammen dermaßen grotesk – sie blieb trotz in ihrer Miene offensichtlichen Widerwillens bei ihm, er scheuchte sie, während seine hintersinnigen Augen glänzten, umher wie ein Sklävchen –, dass keiner der Männer in unmittelbarer Umgebung der Versuchung widerstehen konnte, harmlos einige intrigante Überlegungen anzustellen, sich verträumten Blicks ein paar Spekulationen hinzugeben: Wenn ich sie ihm ausspannen könnte … Wenn sie zu mir gehörte … Doch die Geschichte stand ja erst am Anfang. Niemanden überraschte die beinahe fühlbare Spannung, die über die Köpfe der Gäste hinweg eine Brücke schlug, als Morn Hyland und Nick Succorso sich das erste Mal sahen.

Nick Succorso gab in mancherlei Hinsicht den beneidenswertesten Mann in der DelSek ab. Er besaß ein eigenes Raumschiff, eine schnittige, kleine Interspatium-Barkentine mit Ponton-Antrieb und erfahrener Crew. Er hatte die Art von Piratenleumund, der es ihm ermöglichte, statt als blutrünstiger Schurke als verwegener Satanskerl dazustehen. Die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit hatte die Wirkung, dass Männer taten, was er verlangte, Frauen ihm anboten, was er wünschte. Und der einzige Makel in seiner kavalierhaften Attraktivität bestand aus den Narben unter seinen Augen, den alten Schmissen, die jeden seiner Blicke unterstrichen und sich dunkler färbten, sobald er etwas sah, das er haben wollte. Manche Leute behaupteten, er hätte sich aus reiner Effekthascherei die Schnitte selbst beigebracht, doch solche Äußerungen erklärten sich aus Neid und Missgunst. Niemand konnte so begehrenswert wie Nick aussehen, ohne zu ein paar bissigen Bemerkungen Anlass zu geben.

Dagegen lautete die Wahrheit, dass jemand ihm diese Narben vor Jahren zugefügt hatte, und zwar beim einzigen Mal, dass er in schwere Bedrängnis geriet. Die Schnittwunden hatten ihn verunstalten, ein Zeichen der Verachtung für seine Aufsteigerarroganz sein sollen; die Frau, die ihn so zurichtete, hatte es nicht als der Mühe wert erachtet, ihn zu töten.

Aber daraus hatte er gelernt. Er hatte gelernt, sich nicht mehr unterkriegen zu lassen; dafür zu sorgen, dass er nur noch Konflikte mit ungleichen Karten durchstehen musste, bei denen alles zu seinen Gunsten sprach. Er hatte zu warten gelernt, bis er vollen Einfluss auf die Ereignisse ausüben konnte. Er orientierte sich am gesunden Menschenverstand.

Später räumten Mitglieder seiner Crew ein, sie hätten seine Narben nie so dunkel wie in dem Moment werden sehen, als er Morn Hyland erblickte. Und ihrer bleichen Schönheit merkte man an, dass sie – aus Leidenschaft oder Verzweiflung – sofortige Sehnsucht nach ihm verspürte, plötzlich leuchteten ihre Augen, die in Angus Thermopyles Gegenwart stumpf blieben. Als Überraschung empfand man es lediglich, dass keiner von beiden, weder Morn noch Nick, irgendetwas unternahm. Die gegenseitige Anziehungskraft zwischen ihnen ließ sich dermaßen stark gewahren, dass keiner der Augenzeugen verwundert gewesen wäre, hätten Morn und Nick sich die Kleidung vom Leib gerissen und wären noch in der Bar übereinander hergefallen.

Meistenteils hatten die Gäste keine Ahnung, was sie hinderte. Morn freilich bedeutete ein Rätsel. Aber wenigstens Nick sagte man keine Zurückhaltung nach.

Doch fast zwei Wochen danach taten sie, was jeder erwartete. Als der Sicherheitsdienst der KombiMontan-Station bei Mallory hereinplatzte und Angus Thermopyle wegen eines hinlänglich ernsten Verbrechens festnahm, das sogar in der DelSek einer Verhaftung Erfolgsaussichten verlieh, sah man Morn Hyland auf einmal an Nicks Seite. Und ebenso unversehens verschwanden beide. Wollust und gesunder Menschenverstand. Die Gelüste des Fleisches trieben einen zum anderen; und Morn setzte sich im richtigen Moment von Angus ab.

Sie und Nick verschwanden, lieferten den Kern für die Sorte von Geschichten, die Trinker und Träumer sich am frühen Standardmorgen der Station erzählten, wenn bei Mallory noch Ruhe herrschte, die dünnen Wände aus Metalllegierung wirkten, als böten sie ausreichende Obhut gegen das feindselige Vakuum des Weltalls und den verführerischen Wahnsinn des Hyperspatiums.

Die letzte Mitteilung, die man zu hören bekam, hatte zum Inhalt, dass Angus nach Verurteilung zu Lebenslänglich, wie vorausgesagt, im Stationsknast schmorte.

Aber daraus bestand natürlich nicht die wahre Geschichte.

2

Einige der Leute, die bei Mallory in der trüben Beleuchtung lungerten, wussten es besser. Es handelte sich um jene in den Winkeln, die weniger tranken, als sie den Eindruck machten, weniger rauchten, weniger redeten. Diese Menschen, die ihre Becher inmitten der Kondensation im Kreis schoben, die das Plastik ausschwitzte, weil in der DelSek die Klimatisierung nie so gut funktionierte, wie es hätte sein müssen, so dass man bei Mallory nicht ohne gehörig zu transpirieren hocken konnte, verstanden sich aufs Zuhören, sie hatten Übung im Fragenstellen, die Fähigkeit zu deuten, was sie sahen, und sie merkten, wann es sich lohnte, sich um zusätzliche Informationen an jemand anderes zu wenden.

Mehrheitlich hatten sie ein etwas höheres Alter, benahmen sie sich weniger egozentrisch; vielleicht äußerten sie ihren Zynismus mit ein wenig scharfsinnigeren Worten. Sah man unter ihnen Piloten, hielten sie sich hier keineswegs auf, weil Suff oder Drogen, Inkompetenz oder Fehler sie um ihre Laufbahn gebracht hätten, sondern weil sie da die ihnen bekannte und verständliche Lebensweise fanden, den Lebensstil, den sie sich zu leisten vermochten. Waren es Kumpel, die keine Arbeit mehr bekamen oder gar keine mehr suchten, saßen sie in der Bar, um in der Nähe der Vorlieben und Träume des Prospektorentums zu sein, der Hoffnung auf den großen Fund, einer so gewaltigen, so puren Erzader, dass ihre Entdeckung jeden gewöhnlichen Reichtum übertraf. Befanden sich geborene oder eingebürgerte Stationsbewohner unter ihnen, durfte man ihrer Anwesenheit den Zweck unterstellen, der Kundschaft ihrer jeweiligen Waren oder Dienste Gesellschaft zu leisten, oder womöglich die Absicht, offenen Ohrs den Markt nach den Gerüchten und Hinweisen auszuhorchen, die derartiger Umgang gewöhnlich vermittelte.

Die Augen solcher Menschen durchschauten viel genauer, was sie sahen.

Nachdem Morn Hyland und Angus Thermopyle Mallory's Bar & Logis betreten hatten, fiel den Personen in den Ecken die Weise auf, wie sich praktisch Morns ganze Gestalt gegen Angus' Nähe sträubte, wenn sie direkt neben ihm saß. Sie hörten den matten, fast leblosen Klang ihrer Stimme, wenn sie sprach, einen Tonfall des Bedrücktseins, wie man ihn von niemandem erwartete, der sich mutmaßlich wochen- oder monatelang fernab anderer Menschen und besserer Getränke aufgehalten hatte. Und sie beobachteten, dass Angus stets eine zur Faust geballte Hand in der Tasche seiner schmierigen, versauten Bordmontur ließ.

Sobald Angus sich mit Morn aus dem Lokal getrollt hatte, gingen einige dieser Leute ebenfalls – jedoch nicht etwa, um die beiden zu beschatten. Stattdessen knüpften sie schlichte, scheinbar beiläufige Gespräche mit Personen, die Zugriff auf die Id-Dateien in den Computern der KombiMontan-Station hatten.

Die Geschichte, die sie sich dadurch zusammenreimen konnten, umfasste so manches Interessantere als animalische Leidenschaft und gesunden Menschenverstand.

Auf die eine oder andere Weise erfuhren sie, es gab für die Tatsache, dass niemand in der DelSek Morn Hyland kannte, eine völlig plausible Erklärung. Sie hatte die DelSek vorher noch nie aufgesucht gehabt. Bei ihrem einzigen zuvorigen Aufenthalt in der KombiMontan-Station hatte sie in der AlSek übernachtet.

Sie kam an Bord des Erzfrachters einer der wirklich finanzschweren, unabhängigen Transportfirmen von der Erde, eines so erfolgreichen Familienbetriebs, dass sie und ihre Verwandten sich bei allem, was sie anfingen, Erstklassiges erlauben konnten. Nach Durchquerung des Hyperspatiums hatten die Hylands an der KombiMontan-Station angelegt, aber nicht, um VMK-Erz für die Orbital-Schmelzhütten zu bunkern, die um die Erde kreisten, sondern um Proviant einzukaufen; sie befanden sich zum Asteroidengürtel unterwegs. Und weil sie weder als erfahrene Prospektoren galten, noch je zuvor den Asteroidengürtel angeflogen hatten, konnte es für ihren Flug nur einen Grund geben: sie mussten irgendwo die Positionsdaten eines Asteroiden von derartiger Ergiebigkeit erworben oder gestohlen haben, dass die Gewinnaussichten genügt hatten, um sie von ihren üblichen Aktivitäten fortzulocken. Der Traum hatte auch sie angesteckt, und so machten sie sich auf den Weg, um seine Verwirklichbarkeit am harten Gestein des Asteroidengürtels zu erproben.

Bis dahin ergab sich daraus keine außergewöhnliche Vorgeschichte. Daheim auf der Erde verlangten Zivilisation und politische Macht Erz. Ohne die Rohstoffe, die Einrichtungen wie die KombiMontan-Station lieferten, konnte keine Regierung im Amt bleiben. An gewissen Kriterien gemessen, fungierten die Vereinigten Montan-Kombinate, die Gründer der KombiMontan-Station, im Human-Kosmos als einzige effektive Regierung. Als natürliche Folgeerscheinung hauste in jeder Stadt oder Weltraumstation von einiger Größe zumindest ein ernsthafter, unehrlicher oder heruntergekommener Händler in Asteroidengürtelkarten, den Schatzkarten des Kosmos. Fortwährend erstanden Männer und Frauen mit einer gewissen Art von Gier im Bauch ›akkurate‹, ›geheime‹ Karten und riskierten alles, um durch das Hyperspatium zu reisen und sich als Prospektoren zu betätigen.

Ein erfolgreiches Familienunternehmen wie die Firma Hyland tat so etwas normalerweise nicht. Wenn sie trotzdem ihr profitables Erztransportgeschäft unterbrach und ihr Frachtraumschiff zum Schürfen einsetzte, durfte zweierlei als sicher betrachtet werden.

Sie hatte eine Karte.

Die Karte taugte etwas.

Diese Art von Neuigkeit musste in der AlSek größtes Aufsehen erregt haben. Andernfalls hätte man es in der DelSek nie erfahren. Insbesondere Angus Thermopyle hätte nie davon gehört. Im allgemeinen gaben die Snobs, Industriebarone, Regierungsbonzen, Intellektuellen und hochklassigen Gesetzesbrecher, die die AlSek frequentierten, keine Informationen an die Bürger der Delta-Sektion weiter. Und Angus hatte die AlSek wahrscheinlich nie im Leben betreten.

Weil die menschliche Natur nun einmal ihre charakteristischen Eigenschaften aufwies, hätten Habgier und kaltschnäuzige Gleichgültigkeit gegenüber allen Skrupeln zweifellos jede Menge Claim-Räuber oder Piraten dazu verleitet, dem Raumschiff der Hylands, der Stellar Regent, als es die KombiMontan-Station verließ, zu folgen. Allerdings hatten früher Claim-Räuber und Piraten schon so lang ordentliche Prospektoren und Montan-Investigatoren belästigt – und wenn abgeflogene Raumschiffe Verfolger abzuschütteln versuchten, hatten so heftige Gefechte stattgefunden –, dass die Station heute aus Prinzip auf jeden Raumer feuerte, der Anstalten machte, einem Raumschiff nachzufliegen, das von der Reede startete. Es hatte den Anschein, dass die Hylands unbehelligt ablegten.

Doch der Schein musste getrogen haben. Oder vielleicht hatte man sie ausgetrickst. Sie verfügten über keinerlei Erfahrungen im Asteroidengürtel, mit Schürferei, Claim-Räubern oder Piraten. Und Angus Thermopyle sollte sich märchenhaften Reichtum angeeignet haben, ohne jemals im geringsten ehrliche Arbeit zu leisten – und ohne dass er je seine Einkünfte mit Geschäftspartnern, Finanziers oder einer Crew geteilt hätte. Das Raumschiff der Hylands kehrte nie heim.

Aber Morn Hyland kam wieder.

Sie kehrte in Angus' Begleitung zurück. Mit mattem, beinahe leblosem Tonfall ihrer Stimme, mit allen Anzeichen dafür, dass seine körperliche Nähe sie abstieß.

Und er hielt wie zur Drohung in der Tasche seiner Bordmontur die Faust geballt.

Die Leute, die das alles beobachteten, zogen daraus, weil sie es sich nicht anders erklären konnten, die einzige Schlussfolgerung, die für sie einen Sinn machte; eine Schlussfolgerung, die sowohl Angus' Reputation wie auch ihrem eigenen Zynismus entsprach.

Ohne jeden handfesten, offensichtlichen Beweis verlegten sie sich auf die Ansicht, er müsste ihr ein Zonenimplantat eingesetzt haben. Und das Kontrollgerät dafür hielt er in der Tasche.

Selbstverständlich unterlagen Z-Implantate einem Verbot. Man hatte sie so streng verboten, dass man den unrechtmäßigen Gebrauch mit der Todesstrafe ahndete. Aber das bloße Verbot hinderte abgebrühte Subjekte, die den Asteroidengürtel auf- und abflogen, nicht daran – auch das verstand sich von selbst –, für alle Fälle welche zur Hand zu haben.

Im wesentlichen bestand ein Zonenimplantat aus einer per Funk steuerbaren Elektrode, die sich durch die Nähte des Schädels schieben und im Hirn platzieren ließ, in dem ihre Emissionen eine bemerkenswerte Effektivität hatten. Ihre Entwicklung verdankte man einem Arzt, der versucht hatte, damit epileptischen Anfällen des Grand-mal-Typus zu begegnen; die Emissionen unterdrückten die neutralen Turbulenzen eines derartigen Anfalls. Bei aktiviertem Implantat wirkte ein Epileptiker ›wie ein Zombie‹; Uninformierte dachten, dass die gängige Bezeichnung ›Z-Implantat‹ daher stammte. Tatsächlich jedoch ging sie darauf zurück, dass medizinische Forschungen bald enthüllt hatten: Modifikationen der Implantatsemissionen erreichten vielerlei unterschiedliche Resultate, wenn man das Implantat auf verschiedene Zonen des Gehirns adjustierte. Gewalttätige Geisteskranke vermochte man zu zähmen. Manische Verhaltensweisen ließen sich mäßigen. Katatonische Zustände konnte man beheben – aber genauso gut hervorrufen. Adäquate Emissionen verwandelten Verstocktheit in Kooperationsbereitschaft. Schmerz war in Wohlgefühl ummodulierbar geworden.

Man hatte damit die Möglichkeit, die Willenskraft zu paralysieren. Ohne das Bewusstsein zu mindern oder die körperlichen Abläufe zu beeinträchtigen.

Mittels eines multifunktionalen Zonenimplantats konnte eine gewissenlose Person im Besitz des Kontrollgeräts unabhängige Menschen in intelligente, effiziente und treue Sklaven umkrempeln. Sogar die einfacheren, weniger vielfältig verwendbaren Implantate erzielten ungefähr vergleichbare Ergebnisse, indem sie Personen physisch zu Marionetten erniedrigten oder man ihnen durch Nervenreizung nachhaltige Strafen oder verlockende Belohnungen verabreichte.

Die illegale Benutzung eines Z-Implantats hatte automatisch und unausweichlich die Todesstrafe zur Folge; dagegen gab es keine Berufung und kein Gnadengesuch.

Doch trotz der Rechtslage – und des möglichen Missbrauchs – erachteten selbst ansonsten respektable Kumpel und Piloten, Prospektoren und Erzspediteure Z-Implantate als unentbehrliche medizinische Ausstattung.

Das hatte einen ganz schlichten Grund. Die medizinische Wissenschaft hatte vollständig idiotensichere Methoden erarbeitet, um selbst die kompliziertesten Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln; Verfahren zur prothetischen Wiederherstellung zerschmetterter Glieder und sogar zermalmter Organe; Therapien für verirrt gewesene, in Stupor verfallene Asteroidenpiloten, um die Schädigungen zu heilen, die sie durch defekte oder unzulängliche Ausrüstung erlitten hatten. Leider jedoch fehlte trotz umfangreicher Forschungen nach wie vor ein Mittel gegen das Hyperspatium-Syndrom, die seltsamen Ausfallerscheinungen des Geistes, die vielleicht eine von hundert Personen befielen, die die Interdimensionalität überbrückten, sie zu einem psychotischen Mörder veränderten, einem Nullwellenhirnchen, einem Fall aggressiver Bulimie oder bösartigen Selbstflagellantismus, einem Pädophilen oder Pillensüchtigen. Anscheinend existierte bei einem unter hundert Menschen irgendeine Art unentdeckbarer Schwäche im Hirngewebe; und wenn man diesen Schwachpunkt durch die unwägbaren physikalischen Gegebenheiten des Hyperspatiums beförderte, manchmal Lichtjahre weit, geschah damit irgendetwas. Sonst gänzlich gesunde Individuen verloren auf unweigerlich frappante, oft absurde, bisweilen lebensgefährliche Weise die Gewalt über ihr Dasein.

Gegen das Hyperspatium-Syndrom kannte man kein Heilmittel. Aber es gab eine Abhilfe.

Das Zonenimplantat.

Der Betrieb von Raumschiffen sowie Prospektor- und Schürfunternehmungen blieben stets risikoreich; das Leben jedes Mitarbeiters hing von jedem anderen Beteiligten ab. Deshalb betrachteten auch völlig normale und gesetzestreue Leute es als untragbares Wagnis, das Hyperspatium zu durchqueren oder durch die Dunkelheit des interstellaren Raums zu fliegen, ohne Z-Implantate disponibel zu haben. Für unerwartete Vorkommnisse, zum Beispiel, wenn der Nebenmann plötzlich einen Schlauch packte und Mineralsäure nach allen Seiten zu verspritzen anfing, empfahl es sich einfach, darauf zurückgreifen zu können.

Eine ›gerechtfertigte Anwendung‹ eines Z-Implantats lag vor, sobald die gesamte Crew eines Raumschiffs oder das vollzählige Personal einer Schürflokation aussagte, es hätte ohne Benutzung des Z-Implantats zur Bändigung eines vom Hyperspatium-Syndrom Befallenen das Leben verloren, und wenn die von der Implantierung betroffene Person bestätigte, dass man sie in keiner anderen Situation der Willensfreiheit beraubt hatte.

Die VMK-Polizei erzwang die Respektierung des Prinzips der ›gerechtfertigten Anwendung‹ mit nahezu schadenfroher Unparteiigkeit.

Zum Teil beruhte es auf diesem Umstand, dass nachgewiesener Missbrauch eine Seltenheit blieb. Doch es kursierten immerzu Gerüchte. Soundso wäre auf eine reiche Erzader in einem so weit entfernten Asteroiden gestoßen, dass er nicht auf den Karten verzeichnet sei, einem Asteroiden in so großer Entfernung, dass der Entdecker und seine Crew zuwenig Proviant gehabt hätten, um sich dort festzusetzen und zu schürfen, und er hätte das Problem gelöst, indem er jedem außer sich ein Z-Implantat verpasste, danach die Crew ohne Nahrung, Wasser oder Schlaf schuften ließ, bis das letzte Besatzungsmitglied tot umsank. Soundso wäre allein auf Prospektorflug gewesen und hätte sich mit dem Ladebaum seines Raumers das Bein gebrochen; in seinem Schmerz, im Delirium, hätte er die reguläre medizinische Behandlung vernachlässigt und sich stattdessen mit einem Z-Implantat versehen, um die Beschwerden in Wohlbefinden zu konvertieren – mit der Folge, dass ihn das Glücksgefühl um den Verstand gebracht hätte und er verblutet sei.

Am häufigsten allerdings redeten die Männer in den Bars und Absteigen der DelSek über Frauen. Auf Montan-Stationen und an Schürforten traf man nur wenige Frauen an. Noch seltener begegnete man Single-Frauen. Und Prostituierte betätigten sich dort in so geringer Zahl, dass sie es sich erlauben konnten, schier unerschwinglich teuer zu sein; das hieß, ihre Mehrheit arbeitete in der AlSek. Männer, die nichts Besseres zu tun hatten, dachten kaum an etwas anderes als Frauen. Wunderbare Frauen. Überwältigend schöne Frauen. Frauen mit Z-Implantaten im Kopf, die alles ausführen müssten, was ein vom Suff benebelter oder zynischer Männerbrägen aushecken konnte, weil sie keine Wahl hätten, egal wie sehr sie verabscheuen mochten, was mit ihnen passierte.

Frauen wie Morn Hyland.

Also musste es, überlegte man sich, so gewesen sein, dass Angus Thermopyle einen Weg gefunden hatte, das Raumschiff der Hylands nach dem Abflug von der KombiMontan-Station zu verfolgen.

Denn wer wusste schon, wie viel hochmoderne Ortungsinstrumente er an Bord seiner schäbigen Klapperkiste von Frachter versteckte? Berücksichtigte man die etlichen Schürforte, die er durch Claim-Raub für sich belegt, die vielen Erzladungen, die er durch Piratenakte anderen abgejagt haben sollte, all die Raumschiffe, die angeblich von ihm zu Wracks zerschossen worden sein sollten, mussten ihm enorme finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Man nahm mit Sicherheit an, dass er sich Dinge leisten konnte, von denen selbst ein erfolgsgewohnter Renommierpirat wie Nick Succorso nur träumen durfte. Für sich persönlich vergeudete er offenbar kein Geld. Wer einmal bei Mallory in seinem Umkreis gesessen hatte, wäre zu schwören bereit gewesen, Angus hätte seit der Erfindung des Ponton-Antriebs nicht mehr die Bordmontur gewechselt. Nie bestellte er teure Getränke; nie trank er mehr als ein paar Gläser billigen Zeugs. Und absolut niemals ließ er sich mit kostspieligen Frauen ein. Was sein Raumschiff anbelangte, das den merkwürdigen, unpassenden Namen Strahlende Schönheit trug, so hatte außer ihm noch niemand es von innen gesehen; die externen Rumpfplatten und Luken, Antennen und Scanner erweckten den Eindruck, als hätte er das Schiff durch einen Meteorschwarm gesteuert und dann das Äußere der Korrosion überlassen. Die einzige erkennbare Sorgfalt, die er aufbot – das ausschließliche Anzeichen überhaupt irgendeines Interesses an seinem Frachter –, bestand darin, dass er beiderseits des Kommandomoduls den aufgemalten Namen regelmäßig mit frischer schwarzer Farbe nachzog.

Was trieb er mit all seinem Geld?

Was sonst, außer dass er es in sein ›Geschäft‹ investierte? Er verwendete es, um die Sorte Vakuumvestigatoren, Partikelanalysatoren und Dopplersensoren zu kaufen, die sogar die meisten Piloten, die auf der KombiMontan-Station verkehrten, nur dem Vernehmen nach kannten; die Apparatemodelle, die es ihm ermöglicht haben müssten, dem Raumschiff der Hylands zu folgen, ohne bei dessen Crew oder auf der Station Verdacht zu erregen.

Dennoch blieben Fragen offen. Jeder wusste, dass ein Raumschiff mit den Ausmaßen der Strahlenden Schönheit für Flug und Bordbetrieb mindestens zwei, am günstigsten aber sechs Personen brauchte. Auch wenn man unterstellte, dass Morn Hyland ihm während des Rückflugs Hilfsdienste geleistet hatte, musste Angus wenigstens ein weiteres Besatzungsmitglied an Bord gehabt haben, als er die Verfolgung der Stellar Regent aufnahm. Wer könnte dieser oder diese Unbekannte gewesen sein? Vermutlich irgendjemand, der es fertiggebracht hatte, auf der KombiMontan-Station ohne Id-Erfassung zu kommen und zu gehen, denn die Computer enthielten keine Vermerke über Crewangehörige der Strahlenden Schönheit. Was also mochte aus ihm beziehungsweise ihr geworden sein? Oder ihnen?

Welches Schicksal hatte das Raumschiff der Hylands und die übrigen Menschen an Bord ereilt?

Niemand wusste es. Aber Angus Thermopyle musste das Raumschiff bis zu der Erzfundstätte verfolgt haben. Irgendwie hatte er die Hylands überlistet, das Schiff zerstört, die Familie ausgesetzt oder ermordet; und nur Morn verschont, die unter dem Einfluss eines Z-Implantats den ganzen Reiz eines wahr gewordenen Wunschtraums gewann.

Und zwar – so lautete die Spekulation –, weil er sie hasste.

Natürlich keineswegs aus persönlichem Anlass. Angus hasste alles. Er hasste jeden. Die Leute, die auf so etwas achteten, vermochten es praktisch zu riechen. Sein Leben ähnelte einem Pfuhl dumpfen Hasses, der von Destruktivität und Unberechenbarkeit brodelte. Dann hatte sein Hass sich auf Morn fixiert, er begehrte, was er hasste. Er wollte sie so, wie nur ein Z-Implantat sie machen konnte.

Schön und gedemütigt. Zu jeder Erniedrigung fähig, die seine schmutzigen Gelüste ausbrüteten – und darunter zu leiden imstande.

Die wenigen Männer in Mallory's Bar & Logis, die über das nachdachten, was sie in Bezug auf sie als Wahrheit auffassten, fühlten sich davon angewidert. Weil sie selbst Charaktere unterschiedlicher Moralbegriffe hatten, sahen wahrscheinlich einige von ihnen darin ein Verbrechen; der Rest empfand es vermutlich nur als Affenschande, dass das Kontrollgerät ihres Z-Implantats in Angus Thermopyles Tasche stak.

Nick Succorso behielt seine Meinung zu diesem Thema für sich. Vielleicht übte Morn eine dermaßen starke Anziehungskraft auf ihn aus, dass seine Überlegungen sich mit nichts anderem mehr beschäftigten.

Doch trotz aller Reize Morns und Nicks Reputation als Erfolgstyp hinderte ihn aller Wahrscheinlichkeit nach die Aussicht auf das, was Angus möglicherweise anstellte, falls er ihn herausforderte, an unverzüglichem Aktivwerden. Auf das natürlich, was er Morn Hyland antäte. Aber auch dem, der ihm in die Quere käme. Man sagte ihm nach, er hätte sich bisher immer seiner Feinde entledigt. Statt überstürzte Hilfe zu versuchen, wartete Nick und plante ein Komplott. Er mochte Krimineller oder Antiheld sein, Detektiv, Agent oder Söldner; ein Dummkopf war er jedenfalls nicht. Und an Fehlschlägen fand er ganz und gar keinen Geschmack.

Sein Ziel bestand – so mutmaßten die scharfsichtigen Zyniker – in der Verhaftung Angus' durch den Sicherheitsdienst, während er das Kontrollgerät zu Morns Z-Implantat in der Tasche hatte. Damit wäre Angus die Todesstrafe gewiss; das Implantat würde entfernt, und Morn Hyland wäre frei, könnte Nick Succorso die einzige Belohnung geben, auf die er vorstellbaren Wert legte.

Sich selbst.

Als am schwierigsten daran galt die Aufgabe, Angus' Festnahme zu erwirken. Er verkörperte kein leichtes Opfer. Piraterie, Betrügerei und Mord bildeten geradezu sein ureigenstes Element.

Trotzdem schaffte Nick es, seine Inhaftierung zu arrangieren.

Auch in dieser Beziehung bewegten alle Bemühungen, das Geschehen zu erklären, sich auf dem Gebiet der Spekulation. Angus lehnte es ab, im Stationsknast mit irgendwem zu reden. Und Nick Succorso befand sich mit seiner Crew wieder im All unterwegs, hatte Morn Hyland mitgenommen. Diesmal jedoch stützten die Spekulationen sich immerhin auf ziemlich festen Boden. Wer Nick kannte, wusste zumeist mit recht erstaunlicher Genauigkeit zu erraten, wie er agierte.

Seine Herkunft blieb im Unklaren. Seine Id-Datei in den Stationscomputern vermittelte zwar den Anschein völliger Rechtschaffenheit, beschränkten sich aber offensichtlich auf nur oberflächliche Informationen. Überwiegend wussten die Leute lediglich, dass er eines Tages seine schmucke Interspatium-Barkentine, Käptens Liebchen, an der KombiMontan-Station verankert, die Inspektion bestanden, seine Crew in der DelSek geführt und, anscheinend rein zufällig, Mallory's Bar & Logis als Anlaufstelle ausgesucht hatte. Seitdem verkehrte er dort, wenn er die Station anflog, als Stammgast. Nur die Gestalten in den Ecken, die Personenkreise, die hinter das Vordergründige schauten, erfuhren darüber hinaus, wie er die Inspektion bestand.

Da sie weder im Dienst schliefen noch Schuppen auf den Augen hatten, stellten die Stationsinspektoren beinahe umgehend fest, dass seitlich im Rumpf der Käptens Liebchen ein Loch in der Größe eines Spieltischs klaffte.

Sie sind beschossen worden, sagten sie ihm ins Gesicht. Das sieht wie ein Treffer einer Materiekanone aus.

Es ist einer, hatte er bestätigt.

Weshalb hat man auf Sie gefeuert?

Ich bin nicht beschossen worden.

Nicht? Die Inspektoren deuteten gehörige Zweifel an.

Nein. Ich habe bloß versucht, in einen dieser Asteroiden mit ungünstigen Abmessungen hineinzugelangen, zu klein für die normale Ausrüstung, zu groß, um mit handbetriebenen Laser-Portionierern zerkleinert zu werden. Also habe ich beschlossen, den Brocken auseinanderzusprengen. Irgendwie hat der Strahl eine glasierte Fläche getroffen und ist reflektiert worden. Liebenswürdig grinste Nick. Ich habe sozusagen selbst auf mich geschossen.

Das klingt nicht sonderlich überzeugend, Kapitän Succorso. Überlassen Sie uns Ihren Data-Nukleus, damit wir Ihre Angaben nachprüfen können.

Nein, wiederholte Nick. Jetzt grinste er weniger freundlich. Wenn Sie keine Beweise dafür haben, dass ein Verbrechen begangen worden ist, bin ich nicht verpflichtet, Ihnen Einsicht in meinen Data-Nukleus zu gestatten. So besagt das Gesetz es. Ist ein Verbrechen verübt worden?

Am Ende kam Nick durch die Inspektion. Das Raumschiff, von dem man annahm, es hätte ihn beschossen, musste wohl bei dem Schusswechsel vernichtet worden sein, so dass keine Anzeige irgendeines Verbrechens erfolgte.

Indem er auf eine Weise lächelte, die den Frauen in der DelSek Herzflimmern verursachte, die Hingabe seiner Crew genoss und Geld verschleuderte, als hätte er bei den VMK Kredit, nistete er sich bei Mallory ein und tat nichts anderes, als es sich bestens gehen zu lassen, während man Käptens Liebchen reparierte. Offenbar hatte er ein Talent dafür, das Leben auszukosten, und seine Gutgelauntheit steckte so sehr an, wie seine unübersehbare Männlichkeit ausstrahlte. Nur jene Leute, die die Narben unter seinen Augen beobachteten, merkten ihm an, dass er sich auch mit ernsteren Angelegenheiten als bloß Zecherei beschäftigte. Und wenn er in Mallory's Bar saß, konnten diese ›Angelegenheiten‹ nur eines bedeuten: er spitzte die Ohren, siebte und ordnete das Erlauschte, schätzte es ein, schloss Kontakt mit neuen Informationsquellen.

Wenn er die KombiMontan-Station verließ, geschah es plötzlich. Und wenn er zurückkehrte, feierte er.

Durch irgendeinen Zufall ergab es sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit, dass während seiner Abwesenheit fremde Raumschiffe ›überfällig‹ wurden.

Selbst ein Nullwellenhirnchen hätte voraussagen können, dass bei Morn Hylands Anblick alles in Nick auf sie ansprechen musste. Falls er sich wirklich als Pirat betätigte, präsentierte er sich jedenfalls als Schillergestalt von Pirat, vergleichbar mit der Art von Säbelschwingern, die sich in romantischen Videos mit Feuer und Schwert die Gasse zur bedrohten Tugend freikämpften. Und Morn sah ebenso schön aus, wie sie sich offenkundig in bemitleidenswerter Lage befand; sollte es je einen Inbegriff der jungen Dame in Bedrängnis gegeben haben, dann sie in ihrem Misshandeltsein, ihrer Wehrlosigkeit. Ganz zu schweigen von der herausfordernden Tatsache, dass sie mit einem anderen umherlief, einem Piraten, von dem es hieß, er sei sogar noch erfolgreicher als Nick Succorso. Aber nur die Personen, die es nicht besser verstanden, verdutzte es, dass er nicht sofort einschritt, um ihr zu helfen. Die Anwesenden in den Ecken wussten sein Vorgehen durchaus abzusehen.

Jemand wie er versuchte erst gar nicht, einem Mann wie Angus Thermopyle die Frau auf direktem Weg abspenstig zu machen. Für so etwas war er zu schlau. Mit anderen Worten, er hegte zuviel Respekt vor Angus Thermopyles zu erwartenden Gegenmaßnahmen. Und Angus verhehlte seine Schwächen – geradeso wie er seine Ausschweifungen verheimlichte –, indem er sie unzugänglich an Bord der Strahlenden Schönheit verbarg. Nick hätte, um seine Alarmanlagen überlisten zu können, die Unterstützung des Stationssicherheitsdienstes haben müssen.

Nein, Nick setzte sich hin und wartete ab, stierte zu Morn Hyland hinüber, bis die Narben unter seinen Augen schwarz wirkten, lauerte auf seine Chance; wartete darauf, dass Angus Thermopyle irgendetwas anfing.

Er hatte vor, Angus' nächste Aktivität sich abzeichnen zu sehen und zu durchschauen. Er wollte etwas einfädeln, das der Sicherheitsdienst nie bewältigt hatte: Angus' Geheimhaltung zu hinterblicken. Und sobald er wusste, was Angus als nächstes zu tun gedachte, beabsichtigte er, die Aktion zu observieren, um sie schließlich auffliegen zu lassen. Der Moment, in dem man Angus verhaftete, mochte Nicks einzige realistische Gelegenheit werden, um ihm Morn wegzuschnappen.

Er wollte sie.

Aber gleichzeitig interessierte es ihn, sich mit Angus Thermopyle zu messen.

Falls er noch weitere Beweggründe hatte, ließ er sich davon in der DelSek nichts anmerken.

Wie es sich ergab, entstand schneller eine Gelegenheit, als man es erwartet hätte. Es konnte sein, dass Angus sich mit Morn an seiner Seite besonders nassforsch fühlte und es ihm darauf ankam, sein Draufgängertum zu beweisen. Möglicherweise trieb ihn Gier zum Handeln – falls er überhaupt noch gieriger werden konnte, als er sich ohnehin längst aufführte. Oder vielleicht bot sich ihm ein einfach zu großer Köder, als dass er ihn hätte ignorieren können. Was auch der Grund gewesen sein mochte, kaum zwei Wochen nachdem er sich das erste Mal mit Morn bei Mallory hatte blicken lassen, stand er auf zu neuen Taten.

Das angekündigte Versorgungsraumschiff von der Erde – es flog aus irgendwelchen Gründen mehrere Wochen früher als sonst an – befand sich in Schwierigkeiten. Jeder Funkempfänger in oder rund um die Station fing den Notruf auf, ehe die Verbindung endete. Anscheinend hatte das Hyperspatium-Syndrom ein Crewmitglied befallen. Nach Rückkehr des Raumschiffs in den Normalraum kam dies unglückselige Individuum auf die ebenso unglückliche Idee, eine Brechstange in die Speicherbank des Navigationscomputers zu rammen. Als seine Kameraden den Betroffenen gebändigt hatten, ließ das Raumschiff sich nicht mehr steuern, die genaue Position nicht mehr ermitteln. Der Umstand, dass der Notruf plötzlich verstummte, deutete darauf hin, dass die Beschädigung des Computers sich irgendwie – vielleicht durch einen Brand – auf die Kommunikationsapparaturen ausgewirkt hatte.

Anders ausgedrückt, Lebensmittel, Ausrüstungsgegenstände und Medikamente für ein volles Standardjahr schwebten irgendwo im bestirnten Schwarz des Alls, um gerettet, geborgen oder geplündert zu werden.

Selbstverständlich verhängte die KombiMontan-Station, sobald sie von der Havarie erfuhr, ein Startverbot über die Reede, untersagte jedem Raumschiff das Ablegen, bis man die Crew zur Beteiligung an der offiziellen Suche verpflichten und vereidigen, zur Überwachung der Raumfahrer Sicherheitsdienstangehörige an Bord schicken konnte. So verlangte es die vorgeschriebene Prozedur. Im allgemeinen richtete man sich danach; auch seitens der Piraten und Claim-Räuber. Alle Raumschiffe, die an der Suche teilnahmen, verdienten sich damit auch einen Anteil an der Belohnung, ungeachtet dessen, welches Raumfahrzeug die letztendliche Rettungs- oder Bergungsaktion durchführte, wogegen Schiffe, die das Startverbot missachteten, die Kooperation verweigerten oder sich eigenmächtige Umtriebe erlaubten, per Gesetz sich selbst zu Vogelfreien abstempelten, auf die ungestraft geschossen werden durfte.

Diesmal gingen nur die Strahlende Schönheit und die Käptens Liebchen das Risiko ein, in diese Situation zu kommen. Irgendwie gelang es sowohl Angus Thermopyle wie auch Nick Succorso, ihre Raumer von den Anlegeplätzen abzukoppeln, unmittelbar bevor man das Startverbot bekanntgab, und so zumindest den formellen Anschein eines rechtmäßigen Starts aufrechtzuerhalten.

Indessen blieb die Stationszentrale von solchen Täuschungsversuchen unbeeindruckt. Sie funkte Anordnungen zur Umkehr und zum Wiederverankern; man feuerte sogar Warnschüsse ab.

Mit einer Leichtigkeit, die an Geringschätzung grenzte, verschwand die Käptens Liebchen aus dem Erfassungsbereich der Stationsscanner.