Verbotenes Wissen - Stephen R. Donaldson - E-Book

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Stephen R. Donaldson

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Beschreibung

Vom Regen in die Traufe

Morn Hyland ist ihrem Peiniger Angus Thermopyle zwar entronnen, hat aber niemandem verraten, dass es ihr illegal ein Implantat ins Gehirn eingesetzt hat, mit dem er sie kontrollieren konnte. Im Austausch für ihr Schweigen erhält sie das Kontrollgerät. Nun lebt sie an Bord von Nick Succorsos Schiff, der für ihre Rettung gewisse Gegenleistungen von Morn erwartet. Doch die ehemalige Polizistin ist schwanger – von Angus Thermopyle. Weil an Bord kein Platz für uneheliche Kinder ist, fliegt Succorso eine Raumstation der Amnios an. Die Bio-Ingenieure kennen eine Möglichkeit, Föten binnen Stunden reifen zu lassen und die Entwicklung von Kindern radikal zu beschleunigen. Morn Hyland steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens …

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STEPHEN R. DONALDSON

 

 

 

VERBOTENES

WISSEN

 

Zweiter Roman des Amnion-Zyklus

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der Originalausgabe
THE GAP INTO VISION: FORBIDDEN KNOWLEDGE
Aus dem Amerikanischen von Horst Pukallus
Überarbeitete Neuausgabe Copyright © 1991 by Stephen R. Donaldson Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: Das Illustrat, München Satz: Thomas Menne
ISBN 978-3-641-20720-5V003
www.penguinrandomhouse.de

Das Buch

Morn Hyland ist ihrem Peiniger Angus Thermopyle zwar entronnen, hat aber niemandem verraten, dass er ihr illegal ein Implantat ins Gehirn eingesetzt hat, mit dem er sie kontrollieren konnte. Im Austausch für ihr Schweigen erhält sie das Kontrollgerät. Nun lebt sie an Bord von Nick Succorsos Schiff, der für ihre Rettung gewisse Gegenleistungen von Morn erwartet. Doch die ehemalige Polizistin ist schwanger – von Angus Thermopyle. Weil an Bord kein Platz für uneheliche Kinder ist, fliegt Succorso eine Raumstation der Amnios an. Die Bio-Ingenieure kennen eine Möglichkeit, Föten binnen Stunden reifen zu lassen und die Entwicklung von Kindern radikal zu beschleunigen. Morn Hyland steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens …

 

 

 

 

Der Autor

Stephen Reeder Donaldson, am 13. Mai 1947 in Cleveland, Ohio geboren, verbrachte seine Kindheit in Indien, wo seine Eltern als Missionare in einem Leprosarium tätig waren. Die Familie kehrte 1963 in die Vereinigten Staaten zurück, und Donaldson machte 1968 seinen Abschluss am College of Wooster, Ohio. Während des Vietnamkriegs arbeitete er zwei Jahre lang in einem Krankenhaus, weil er den Kriegsdienst verweigerte, ehe er sein Studium an der Kent State University fortsetzte. 1971 wurde er zum Magister promoviert, unterbrach aber sein Promotionsstudium bis 1993, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. 1977 erschien sein Fantasy-Roman »Lord Fouls Fluch«, der Auftakt der »Chroniken von Thomas Covenant dem Zweifler«, der ihm zum internationalen Durchbruch verhalf und zu dem er bis 2013 neun Fortsetzungen schrieb. 1994 erwarb der inzwischen mehrfach ausgezeichnete Autor, der unter anderem den John W. Campbell Award und den World Fantasy Award gewann, den Schwarzen Gürtel in Shōtōkan-Karate. In den Neunzigerjahren legte Donaldson mit dem Amnion-Zyklus seine ersten Science-Fiction-Romane vor. Er lebt und arbeitet heute in New Mexico.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

 

 

 

Für

COLIN BAKER

Wer weiß, wie viel Gutes

er mir getan hat?

Angus

 

Milos Taverner strich stöhnend mit der Hand über seine fleckige Schädeldecke, als wollte er sich davon überzeugen, dass er den Rest seines Haars noch hatte, während er eine neue Nik anzündete. Dann senkte er den Blick auf die Festkopie des Vernehmungsprotokolls, die auf seinem Schreibtisch lag, und versuchte sich einen Ansatz zu überlegen, der sich bewähren könnte, ohne soviel Schwierigkeiten auszulösen, dass die Personen, die zufriedenzustellen man ihn bezahlte, sich gegen ihn wandten.

Er trug die Verantwortung für das fortdauernde Verhör Angus Thermopyles.

Es lief nicht allzu gut.

Darüber freuten sich einige Leute, während andere darum in Rage gerieten.

Angus' Verurteilung hatte sich dank der Art und Weise, wie man solche Verfahren abwickelte, ziemlich reibungslos vornehmen lassen. Der Sicherheitsdienst der KombiMontan-Station hatte entwendete Vorräte entdeckt. Die Durchsuchung der Strahlenden Schönheit, Angus' Raumschiff, bei der man die Vorräte gefunden hatte, war juristisch hinlänglich abgedeckt gewesen. Mit einer Anzahl ärgerlicher Ausnahmen vager Natur stützte das aus dem Data-Nukleus des Raumschiffs gemolkene Beweismaterial die gegen ihn eingereichte Anklage; jedenfalls ihre weniger schwerwiegenden Anschuldigungen. Anscheinend weil er um die Aussichtslosigkeit wusste, hatte er auf jede Verteidigung verzichtet. Alles vollzog sich korrekt und ordnungsgemäß; man befand Angus Thermopyle als im Sinne der Anklage schuldig.

Andererseits hatte man trotz dramatischer Gerüchte um Zonenimplantate, Vergewaltigung, Mord und die Vernichtung des VMKP-Zerstörers Stellar Regent keinerlei Beweise aufspüren können, die es erlaubt hätten, ihn wegen eines ernsteren Delikts als der Entwendung von Stationsvorräten zu verurteilen. Das Urteil lautete auf lebenslängliche Haft im Gefängnis der KombiMontan-Station; doch man konnte das Gesetz nicht so weit beugen, um ein Todesurteil zu fällen.

Das Gericht schloss den Fall ab.

Dagegen hatte der Stationssicherheitsdienst keineswegs die Absicht, es dabei bewenden zu lassen.

Milos Taverner hatte in dieser Hinsicht gemischte Gefühle. Er musste zu viele Prioritäten, die einander widersprachen, in Einklang bringen.

Als Stellvertretender Sicherheitsdienstleiter der KombiMontan-Station fielen Verhöre in seine Zuständigkeit. Es stimmte, man hatte die gegen Angus Thermopyle erhobenen Beschuldigungen mit ausreichendem Beweismaterial untermauert; ebenso jedoch stimmte es, dass die Beweise keine weitergehende Anklage rechtfertigten. Aber der Sicherheitsdienst kannte Angus seit langem. Sein Piratentum galt als zwar nicht nachweisbare, jedoch moralisch-faktische Gewissheit; seine geschäftlichen Beziehungen zu Illegalen jeder Couleur, von Drogenbaronen über Psychotikern bis hin zur Weltraumerz-Schattenwirtschaft in all ihren Tarnungen, blieben im dunkeln, standen allerdings außer Frage. Seine Besatzungsmitglieder hatten eine betrübliche Tendenz zu spurlosem Verschwinden. Außerdem erachtete man die unaufgeklärte Kette von Ereignissen, die dazu geführt hatte, dass Angus in Begleitung einer VMK-Polizistin, die eigentlich an Bord der Stellar Regent hätte in den Tod gegangen sein müssen, zur KombiMontan-Station zurückkehrte, als zutiefst rätselhaft, gar nicht davon zu reden, dass derartige Vorgänge Anlass zur Betroffenheit boten.

Alles in allem besehen, konnte Milos die Richtigkeit der Entscheidung, Angus Thermopyle in der Mangel zu behalten, bis er nach- oder den Geist aufgab, nicht anzweifeln.

Dennoch legte der Stellvertretende Sicherheitsdienstleiter wenig Wert auf die Ehre, mit diesem Auftrag betraut zu sein. Dafür hatte er eine ganze Reihe von Gründen.

Als ein persönlich wählerischer Mensch empfand er Angus als abstoßend. Soviel irgendwer wusste, verkörperte die Nikotinabhängigkeit Milos' einziges Laster. Selbst Leute, auf deren Wohlwollen er keine Rücksicht nahm, mussten ihm Sauberkeit, Umsichtigkeit und Korrektheit in seinen gesamten Verfahrensweisen einräumen. Und kein geistig normaler Augenzeuge hätte diese Tugenden auch Angus zugesprochen.

Mehr als allem anderen ähnelte Angus einer von Bösartigkeit aufgedunsenen Kröte. Er hatte bezüglich seines Körpers widerwärtige Angewohnheiten: Ausschließlich wenn die Aufseher ihn zum Betreten der Hygienezelle zwangen, duschte er, und nur bei unter die Nase gehaltenem Stunnerknüppel zog er eine frische Gefängniskluft an. Deshalb und aufgrund seiner heftigen Transpiration stank er wie ein Schwein. Seine Haut hatte die Farbe festgetretenen Drecks. Angus' bloße Existenz bereitete Milos leichte Übelkeit; seine Gegenwart verursachte ihm ein ausgeprägtes Ekelgefühl.

Zudem glomm in Angus' trüben Augen eine streitbare Schlauheit, die bewirkte, dass Milos sich exponiert vorkam, auf bedrohliche Weise durchschaut.

Angus zeichnete sich durch Gerissenheit und Listigkeit aus; seine Hinterhältigkeit stand seiner Liederlichkeit nicht nach. Und sich mit solchen Typen herumschlagen zu müssen, bedeutete ein Risiko. Sie logen so, dass sie die Vernehmenden in ihren Fehlschlüssen bestätigten. Sie lernten aus den an sie gerichteten Fragen, erlangten dadurch soviel Kenntnisse, wie sie preisgaben – oder in Angus' Fall vielleicht sogar mehr –, und sie benutzten das neue Wissen, um ihre Lügen zu vervollkommnen; um mit dieser Taktik, selbst wenn sie auf nichts Greifbares aufzubauen und Experten sie regelmäßig bekniet hatten, um sie zur Umgänglichkeit zu bewegen, auf das Unheil der Vernehmenden hinzuarbeiten. Wenn sie am schwächsten hätten sein sollen, zeigten sie sich am boshaftesten.

Angus vermittelte dem Stellvertretenden Sicherheitsdienstleiter den Eindruck, als sei Milos derjenige, dessen Lebensführung man untersuchte, dessen Heimlichkeiten ergründet werden könnten; als sei er es, den man mit Fragen bedrängen müsste.

Und als genügte das alles, mit dem er sich abplagte, noch nicht, musste Milos sich täglich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das Verhör potentiell explosiven Charakter hatte. Angus Thermopyle war als Erzpirat tätig gewesen. Also musste er Abnehmer gehabt haben. Offensichtlich hatte er die Strahlende Schönheit, wenngleich dafür kein Beweis vorlag, durch illegale Mittel oder Methoden erworben, sie unter illegalen Umständen ausgerüstet. Folglich hatte er Zutritt zu Schwarzwerften gehabt. Einiges seiner Bordtechnik roch nach Alien-Herkunft; und seine Aufzeichnungen präsentierten sich, obschon er sie unanfechtbar im Data-Nukleus seines Raumschiffs gespeichert hatte, als geradezu unglaubhaft einwandfrei. Und alle diese Schlussfolgerungen, alle diese Häufungen gewisser Anzeichen, wiesen in eine einzige Richtung.

Den Bannkosmos.

Angus Thermopyle stand – direkt oder indirekt – in Beziehung zu Geheimnissen, deren Destruktivität ausreichte, um überall im ausgedehnten kommerziellen Imperium der Vereinigten Montan-Kombinate das Machtgleichgewicht zu verschieben. Diese Geheimnisse konnten die Sicherheit jeder Weltraumstation gefährden; sie mochten sogar bedrohlich für die Sicherheit der Erde sein.

Milos Taverner war sich keineswegs sicher, ob er überhaupt wünschte, dass man diese Geheimnisse aufdeckte. Vielmehr neigte er mit der Zeit immer stärker zu der Auffassung, dafür sorgen zu müssen, dass sich an ihrer Verborgenheit nichts änderte. Angus' Schweigen brachte die meisten der Leute, die zufriedenzustellen man Milos bezahlte, schier zur Raserei; offenbarte man seine Geheimnisse, wäre das für andere Personenkreise ein Grund zu Wutanfällen. Aber die Leute, die Angus' Schweigen erbitterte, machten für Milos eine weniger unmittelbare Gefahr aus.

Andererseits erfolgte eine Aufzeichnung buchstäblich jedes Augenblicks, den Milos mit Angus Thermopyle verbrachte. In der Station geschah in regelmäßigen Abständen eine Sichtung der Protokolle. Die VMKP erhielt routinemäßig Kopien. Der Stellvertretende Sicherheitsdienstleiter der KombiMontan-Station konnte seine Aufgabe, ohne aufzufallen, unmöglich anders als mit lediglich nicht ganz so entschiedener Beharrlichkeit angehen, wie man sie von ihm erwartete.

Kein Wunder, dass es ihm misslang, sich die Niks abzugewöhnen. Er betrachtete diese Sucht bei anderen Menschen als widerlich; trotzdem schaffte er selbst es nicht, sie abzulegen. Manchmal glaubte er, die Niks seien das einzige, das ihn den Stress zu ertragen befähigte.

Zum Glück weigerte sich Angus Thermopyle, bei seiner Vernehmung gutwillig mitzuwirken.

Er widerstand den Fragen mit unerbittlicher Feindseligkeit und gänzlichem Schweigen. Er verkraftete Stunner-Entladungen, bis er nachgerade das Gedärm auskotzte und seine gesamte Zelle auf nicht mehr behebbare Weise nach Flüssigkeiten miefte; aber er plauderte nicht. Unnachgiebig durchlitt er Hunger, Durst und Entzug der Sinneseindrücke. Das einzige Mal, dass er Schwäche an den Tag legte, fand statt, als Milos ihn darüber informierte, dass man die Strahlende Schönheit demontierte, sie zwecks Ersatzteilerlangung ausschlachtete und ansonsten verschrottete. Aber da hatte er nur wie ein Tier geheult und sich alle Mühe gegeben, das Vernehmungszimmer zu demolieren; erzählt hatte er nichts.

Nach Milos' Meinung war es ein Fehler gewesen, Angus das Schicksal der Strahlenden Schönheit mitzuteilen. Diese Einschätzung hatte er seinen Vorgesetzten, nachdem er erhebliche Sorgfalt aufgewandt hatte, um sie ihnen vorab zu suggerieren, offen ins Gesicht gesagt. Angus' Verstocktheit würde dadurch verstärkt. Doch sie hatten auf ihre Absicht bestanden. Immerhin erregte die Lage ja den Anschein, dass nichts anderes noch half. Das Ergebnis entsprach ungefähr Milos' Befürchtungen. Wenigstens das war ein kleiner Sieg.

In Bezug auf alles übrige lieferten die Vernehmungssitzungen zumeist keinerlei Aufschluss.

Wie haben Sie Morn Hyland kennengelernt?

Keine Antwort.

Was haben Sie zusammen unternommen?

Keine Antwort.

Wie kommt es, dass eine VMKP-Polizistin für einen Halsabschneider und Illegalen wie Sie Crewmitglied gespielt hat?

Keine Antwort.

Was haben Sie mit ihr angestellt?

Angus' Blick blieb fest.

Wie sind Sie in den Besitz der Versorgungsgüter gelangt? Wie haben Sie in die Lagerräume eindringen können? An den computerisierten Schlössern ist nicht herumgepfuscht worden. Den Wächtern ist nichts zugestoßen. Es fehlt jeder Hinweis darauf, dass Sie eine Wand durchbrochen hätten. Die Lüftungsschächte sind für die Kisten zu eng. Wie haben Sie das ausgeführt?

Keine Antwort.

Wie ist die Stellar Regent verunglückt?

Keine Antwort.

Wie hat Morn Hyland das Unglück überlebt?

Keine Antwort.

Sie hat geäußert, sie traue dem Stationssicherheitsdienst nicht. Sie behauptet, an der Stellar Regent sei Sabotage verübt, diese Sabotage hier begangen worden. Warum hat sie statt uns Ihnen vertraut?

Keine Antwort.

Warum sind Sie dort gewesen? Wieso haben Sie sich zufällig in der Nähe befunden, als das Pulsator-Triebwerk der Stellar Regent explodierte?

Keine Antwort.

Sie haben ausgesagt – Milos schlug in der Festkopie nach –, Sie wären so nahe gewesen, dass Sie die Explosion per Scanning beobachten konnten. Sie hätten daraus abgeleitet, dass eine Havarie vorgefallen sein müsste, und Beistand leisten wollen. Ist das wahr?

Keine Antwort.

Ist es in Wahrheit nicht so gewesen, dass die Stellar Regent Sie verfolgt hat? War es in Wirklichkeit nicht so, dass Sie von ihr bei einem Verbrechen observiert worden sind? Kam es nicht so, dass Sie auf der Flucht eine Kollision hatten? Waren nicht das die Umstände, unter denen die Strahlende Schönheit beschädigt worden ist?

Keine Antwort.

Indem er an der Nik saugte, damit er nicht zu zittern anfing, sah Milos Taverner abwechselnd die Decke und den Stapel Festkopien an, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag; gelegentlich musterte er Angus' schmutzige Visage. Früher hatte Angus' feiste Wangen gehabt, so aufgetrieben wie sein Wanst; diese Zeiten waren vorbei. Jetzt hingen die Backen ihm von den Kiefern, und die Gefängniskluft schlotterte um seine Gestalt. Die ihm aufgedonnerte Strafe hatte ihn Gewicht gekostet. Doch sein körperlicher Verfall beeinträchtigte nicht die Unerschütterlichkeit des trübsinnigen, bedrohlichen Blicks, mit dem er seinen Peinigern begegnete.

»Raus mit ihm!«, befahl Milos mit einem Aufstöhnen den Wachen. »Machen Sie ihn weich. Noch einmal.«

Scheiße, dachte der Stellvertretende Sicherheitsdienstleiter der KombiMontan-Station, sobald er allein im Zimmer saß. Eigentlich mochte er keine unflätige Sprache; ›Scheiße‹ blieb das stärkste Kraftwort, das er sich gestattete.

Du scheißt. Ich scheiße. Er scheißt. Wir scheißen.

Wem soll ich denn nun die Treue halten?

Er kehrte in sein Büro um und verfasste die üblichen Berichte, erledigte seine alltäglichen Pflichten. Danach fuhr er mit dem Lift in die Kommunikationsabteilung hinunter und bediente sich einer für den Sicherheitsdienst reservierten Funkfrequenz, um mehrere, in seinem Privatcode verschlüsselte Richtstrahlfunksprüche abzusenden, die die Computer nicht speicherten. Nur um sich ein Gefühl des Rückversichertseins einzuflößen, veranlasste er eine Datenanfrage, deren Beantwortung ihn über den aktuellen Stand des Bankkontos informieren sollte, das er unter anderem Namen in Station Sagittarius OHG hatte. Dann setzte er Angus Thermopyles Verhör fort.

Was hätte er sonst tun können?

Seine einzige aussichtsreiche Chance, den Gefangenen kleinzukriegen, ergab sich, als Angus einen Ausbruchsversuch unternahm.

Trotz seiner persönlichen Kompromisslosigkeit und seines offenkundigen Soziopathentums bedeutete die Mitteilung, die Milos ihm über das Ende der Strahlenden Schönheit gemacht hatte, für Angus einen schweren Schlag. Nach Abklingen seines Kollers der Wut oder des Kummers ließ sich bei ihm in keiner erkennbaren Weise irgendeine Bereitschaft zu mehr Nachgiebigkeit feststellen. Natürlich schwanden seine Kräfte, die physischen Strapazen der Befragungen und des Stunnings verschlissen sie; aber zumindest vor Milos Taverner behielt er seine unversöhnliche Haltung bei. Dennoch stellte man ein abgewandeltes Betragen bei ihm fest, wenn er allein in der Zelle hockte. Nach und nach aß er immer weniger; stundenlang kauerte er auf seiner einfachen Pritsche und starrte nur die Wand an. Beobachter meldeten einen Hang zur Gleichgültigkeit, beinahe Reaktionslosigkeit; dass seine Augen sich nicht regten, wenn er die Wand anglotzte, er den Eindruck erweckte, gar nichts mehr wahrzunehmen. Vorschriftsmäßig speiste Milos die Informationen dem Psychoprofil-Computer des Sicherheitsdienstes ein. Die Paradigmen des Programms verwiesen darauf, Angus Thermopyle verlöre den Lebenswillen oder hätte ihn schon verloren. Unter diesen Umständen riet es von dem Einsatz des Stunnings als Möglichkeit zur Verschärfung des Verhörs ab. Andernfalls könne Angus sterben.

Milos hegte die Auffassung, dass Angus den Verlust des Lebenswillens vortäuschte, um sich Hafterleichterungen zu erschwindeln. Der Stellvertreter des Sicherheitsdienstchefs missachtete den Computer.

Dadurch konnte er für sich einen zweiten kleinen Sieg verbuchen. Es bestätigte seine Beurteilung, als es Angus gelang, einen Aufseher zusammenzudreschen und aus der Zelle zu fliehen. Er brachte es fertig, immerhin den Wartungsschacht der Müllverarbeitungsanlage zu erreichen, bevor man ihn einfing.

Scheiße, wiederholte Milos immer wieder in Gedanken. Er benutzte das Wort zu oft, damit brachte er sich um die Möglichkeit, um seinem tiefen Abscheu Ausdruck zu verleihen. Er wünschte nicht, dass Angus' Vernehmung zum Erfolg führte – doch jetzt hatte er gegen Angus ein Druckmittel, und es zu ignorieren, ließe man ihm nicht durchgehen.

Nachdem er bestimmte, sehr eindeutige Anweisungen erteilt hatte, die sicherstellten, dass nichts seine privaten Pläne untergrub, gewährte er den Wärtern für ein Weilchen die Gelegenheit, ihren Frust an Angus auszutoben. Anschließend ordnete er seine erneute Vorführung an.

In gewisser Beziehung eignete das Stunning sich wenig, um angestauter Wut ein Ventil zu verschaffen; das Ergebnis befriedigte kaum. Es hatte eine kraftvolle Wirkung, doch blieb sie unpersönlich; die Konvulsionen, die es hervorrief, entstanden lediglich durch neuromuskuläre Reizung mittels elektrischer Ladungen. Deshalb hatten die Wärter diesmal vom Stunning Abstand und stattdessen ihre Fäuste, Stiefel und vielleicht ein, zwei Totschläger genommen. Die Folge war, dass Angus, als er diesmal das Vernehmungszimmer betrat, kaum noch laufen konnte. Er setzte sich wie jemand, der gebrochene Rippen hatte; über sein Gesicht und aus den Ohren sickerte Blut; man hatte ihm ein paar Zähne ausgeschlagen; eine Schwellung verschloss ihm das linke Auge, als hätte er vor, durch eine groteske Parodie Warden Dios lächerlich zu machen.

Milos bewertete Angus' Zustand als scheußlich. Gleichzeitig jagte er ihm Schrecken ein, weil er seine Erfolgsaussichten erhöhte. Trotzdem lobte er die Wärter, ehe er sie hinausschickte.

Er und Angus blieben allein.

Während er dermaßen wildentschlossen Niks rauchte, dass die Klimaanlage kaum mithalten konnte, ließ er Angus auf seinem Platz schmoren, gab unterdessen an seiner Computerkonsole eine Reihe von Befehlen ein. Es mochte sein, dass das Schweigen Angus' Starrsinn zermürbte. Genauso gut konnte es sein, dass sich im Laufe der Atempause seine Abwehrhaltung wieder verfestigte. Milos war es gleich. Er brauchte etwas Zeit, um die gewagte Strategie einzuleiten, für die er sich im Interesse der eigenen Sicherheit entschieden hatte, obwohl der Gedanke an die Risiken, die er damit einging, ihm einen Tremor in den Fingern verursachte, er dabei im Bauch ein Gefühl hatte, als schlotterten ihm die Därme.

Er bereitete den Computer so vor, dass er zwei Aufzeichnungen dieser Vernehmungssitzung anfertigte. Die eine Aufzeichnung sollte die echte werden, die andere eine Fälschung sein, die ihm im Notfall den Rücken deckte.

Im Anschluss an das Vernehmungsgespräch konnte er die Version vorlegen, die er benötigte, und die andere spurlos tilgen. Als Stellvertreter des Sicherheitsdienstchefs wusste er, wie man aus einem Computer alle Beweise irgendwelcher Speichervorgänge löschte.

Aber falls man ihn vorher erwischte …

Dann würde die ziemlich zwiespältige Natur seiner Pflichttreue enthüllt. Und das wäre sein Untergang.

Tief im Innern hasste er Angus dafür, ihn in diese Klemme gebracht zu haben.

Doch er durfte keine Laschheiten zeigen. Sobald er seine Vorbereitungen beendet hatte, versteckte er seine Hände hinter der Computerkonsole und heftete den Blick über den Schreibtisch hinweg auf Angus. Indem er seine Beunruhigung mit Forschheit kaschierte, vergeudete er keine Zeit und kam sofort zur Sache.

»Der Wärter ist seinen Verletzungen erlegen.« Das war eine Lüge, aber Milos hatte vorgesorgt, damit niemand Angus die Wahrheit verriet. »Nun können wir Ihnen einen Mordprozess anhängen. Sie werden jetzt reden. Ich habe keine Absicht, Ihnen irgendeinen Handel anzubieten. Sie werden sprechen, mir alles erzählen, was Sie wissen, alles was Ihnen einfällt, und Sie können nur hoffen, dass wir Ihre Aussagen als wertvoll genug einstufen, um von einer Hinrichtung abzusehen.«

Angus gab keine Antwort. Diesmal schaute er den Vernehmungsführer nicht an. Er ließ den Kopf hängen; er baumelte ihm vom Hals, als wäre das Genick gebrochen.

»Haben Sie mich verstanden?«, fragte Milos. »Haben Sie noch soviel Grips in der Rübe, um zu kapieren, was ich sage? Wenn Sie nicht auf mich hören und tun, was ich will, werden Sie sterben. Man schnallt Sie an und sticht Ihnen eine Nadel in den Arm. Und danach sind Sie schlicht und einfach tot, nicht einmal das werden Sie noch wissen, und kein Mensch wird sich je wieder dafür interessieren, was aus Ihnen wird.«

Mit dem letzten Satz unterlief ihm ein Fehler: Milos ahnte es, kaum dass er ihn geäußert hatte. Einen Moment lang zuckten Angus' Schultern. Es hätte so sein müssen, dass er weinte – jeder andere Gefangene mit einem Restchen menschlicher Schwäche hätte geweint –, doch das war nicht der Fall. Sobald Angus den Kopf hob, erkannte Milos, dass er zu lachen versuchte.

»Was aus mir wird?« Angus' Stimme klang, wie sein Gesicht aussah, nach Zerschlagenheit und Blut. »Sie Schweinepriester!«

Unglücklicherweise handelte es sich bei ›Schweinepriester‹ um ein Schimpfwort, das Milos besonders nachdrücklich ablehnte. Ohne es verhindern zu können, lief er rot an. Er versuchte, sein Unbehagen mit dem Entzünden einer neuen Nik zu überspielen, aber er wusste, Angus hatte seine Reaktion bemerkt. Er vermochte das Zittern seiner Hände nicht zu unterbinden.

Durch die Verunstaltung seiner Gesichtszüge wirkte Angus regelrecht wie ein irrsinniges Scheusal. »Also gut, ich rede«, sagte er, stierte Milos an. »Sobald Sie die Mordanklage einreichen, packe ich aus. Ich plaudere gegenüber jedem, der mich etwas fragt.«

Milos erwiderte Angus' Blick. Zwar war es Angus, der schwitzte, doch Milos spürte, dass als einziger im Zimmer er selbst sich fürchtete.

»Ich sage aus«, erklärte Angus, »dass es beim Sicherheitsdienst einen Verräter gibt.« Er sprach den Satz aus, als könnte er seine Behauptung jederzeit beweisen. »Ich decke sogar auf, wer er ist. Ich erzähle, woher ich's weiß. Ich kann erläutern, wieso außer Zweifel steht, dass ich die Wahrheit sage. Reichen Sie nur erst die Mordanklage ein. Gegen Nennung des Namens fordere ich Straffreiheit. Oder vielleicht« – höhnisch verzog Angus die Fratze – »sogar Rehabilitierung.«

Um das Rumoren in seiner Magengegend zu unterdrücken, spannte Milos energisch den ganzen Körper an. »Wer ist es denn?«

Angus hielt seinem Blick stand. »Warten Sie, bis die Mordanklage vorliegt.«

Milos tat, was er konnte, um die Gefahr abzuwenden. »Sie bluffen.«

»Sie sind's, der hier blufft«, entgegnete Angus. »Sie betreiben keine Mordanklage. Sie möchten ja gar nicht offenlegen, was ich weiß. Von Anfang an wollten Sie's nicht. Sie sind doch bloß« – letzteres fügte er voller diebischen Vergnügens hinzu – »so 'n Schweinepriester.«

Milos biss auf seine Nik. Aufgrund seiner Neigung zur Reinlichkeit verspürte er kein Bedürfnis, gegen den Gefangenen tätlich zu werden. Womöglich Angus' Schweiß und Schmerz mit eigenen Händen zu fühlen, widerstrebte ihm. Stattdessen drückte er eine Taste, die die Wärter hereinbeorderte. Als sie eintraten, befahl er ihnen, Angus abzuführen. Danach befiel ihn unvermittelt vollkommene Ruhe.

Das Zittern seiner Finger hatte geendet, als er im Computer die echte Aufzeichnung des Verhörs löschte und an ihre Stelle seine Fälschung speicherte. Danach stupste er die Nik aus. Was für eine grässliche Angewohnheit, dachte er. Ich höre damit auf. Er entsann sich, in der Vergangenheit schon ähnliche Vorsätze gefasst zu haben. Dieses Mal wirklich, bekräftigte er seinen Entschluss. Im Ernst.

Zur selben Zeit dachte er in einem Teil des Verstands, der sich plötzlich, wie eine Computerdatei, die man nicht ohne Kenntnis eines geheimen Codeworts laden konnte, von seinem restlichen Geist abgesondert hatte, immerzu nur: Scheiße, Scheiße. Scheiße-Scheiße-Scheiße.

Äußerlich bewahrte er eine durchweg normale und vollauf korrekte Fassade, während er nochmals die Kommunikationsabteilung aufsuchte und zwei bis drei Richtstrahlfunksprüche absandte, die man nicht verzeichnen, nicht nachweisen und, falls ein Uneingeweihter sie auffing, mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht entziffern konnte. Anschließend kehrte er in sein Büro zurück und setzte sich wieder an seine reguläre Arbeit.

Das Protokoll seiner letzten Vernehmung Angus Thermopyles erregte keine sonderliche Aufmerksamkeit und hatte auch gar keine erhöhte Beachtung verdient.

Angus blieb bei seinem bösen, melancholischen Blick und seinem hartnäckigen Schweigen.

Nichts änderte sich in der KombiMontan-Station.

Es bestand die Möglichkeit, dass Milos Taverner in keiner Gefahr mehr schwebte.

Trotzdem stieß Milos, als die Anordnung eintraf, Angus Thermopyle tiefzugefrieren, einen Seufzer rein persönlicher, schadenfroher Erleichterung aus.

1

 

Von dem Moment an, als Nick Succorso Morn Hyland am Arm packte, um sie durch das Chaos in Mallory's Bar & Logis zu schieben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er und seine Besatzung sie zu den Docks führten, wo seine Interspatium-Barkentine Käptens Liebchen verankert lag, ließ sie den Mund beharrlich geschlossen. Sein Griff war hart, so fest, dass er ihr den Unterarm betäubte und in den Fingern Kribbeln erzeugte, und für Morn glich das Zurücklegen des Wegs einer Form der Flucht, bewältigt in Furcht, beinahe Verzweiflung. Mit all ihrem Mut rannte sie quasi, obwohl Nick nie schneller als in zügigem Schritttempo lief, vor Angus davon. Trotzdem umklammerte Morn in ihrer Tasche vehement das Kontrollgerät des Zonenimplantats, hielt beide Fäuste in die Taschen der Bordmontur gestemmt, um zu verheimlichen, dass sie etwas verbarg, und ließ sich von Nicks Griff leiten.

In den Passagen und Korridoren herrschte ungewohnte Leere. Für den Fall, dass Angus' Verhaftung sich zu einem Kampf auswuchs, hatte der Sicherheitsdienst sie geräumt. Die Stiefel von Nicks Crewmitgliedern hallten auf den Deckplatten: Es schien, als bewegte die Gruppe von Männern und Frauen, die Morn vor jeder Intervention seitens der Stationsoffiziellen schützten, sich inmitten der Andeutung eines Donners von metallischem, unheilvollem Klang fort; sie gebärdete sich so aggressiv, als ob Angus und Mallorys Gästehorde sie verfolgten. Morns Herz wummerte gegen ihre Lunge, sie spürte Druck in ihrem Brustkorb. Hätte jetzt irgendjemand sie aufgehalten, wäre sie zu keiner Verteidigung gegen den Vorwurf eines Vergehens imstande gewesen, hätte es auch die Todesstrafe nach sich gezogen. Aber sie beließ den Blick starr geradeaus gerichtet, hielt den Mund und ballte in den Taschen die Fäuste, während Nicks Kumpanei sie vorwärtstrieb.

Sie gelangten zu den Astro-Parkbuchten. Nicks Raumschiff hing hinter dem Wirrwarr von Kabeln und Schienen, das sich unter den Portalkränen erstreckte, am Außenrumpf der Station. Morn stolperte über ein Stromkabel, konnte ihre Hände nicht benutzen, um sich abzufangen; doch Nick riss sie hoch, zerrte sie weiter voran. Hier drohte am stärksten die Gefahr, angehalten zu werden. Der Sicherheitsdienst der Station war überall präsent, bewachte die Docks und überwachte die Frachtinspektoren, Transportwagenfahrer, Kranführer und Stauer. Sollte Nicks Abmachung mit dem Sicherheitsdienst eine Farce gewesen sein …

Aber niemand machte Anstalten, Morn oder den Leuten, die ihren Schutz übernommen hatten, den Weg zu vertreten. Die Stationsschleuse stand offen; an der Käptens Liebchen blieb die Schleuse zu, bis ein Besatzungsangehöriger sie per Tastencode öffnete.

Nick geleitete Morn hinein, schubste sie kraft seines nachgerade gewalttätigen Griffs beinahe durch die Schleusenkammer.

Nach der Weiträumigkeit des Dockbereichs hatte Morn jetzt das Empfinden, in winzige Räumlichkeiten überzuwechseln – fast das Gefühl, in die Enge gedrängt zu werden. Im Vergleich zu den Bogenlampen des Docks schien die Interspatium-Barkentine im ersten Moment eine beklemmend schummrige Beleuchtung zu haben. Morn hatte alles getan, was sie hatte tun können, um aus Angus' Nähe fortzugelangen; als sie das Kontrollgerät des Z-Implantats entgegennahm, hatte es kein Zurück mehr gegeben. Doch jetzt, da sie anfängliche Eindrücke der Umgebung erhielt, in die sie floh, die beengten Gänge eines unbekannten Raumschiffs, wäre sie am liebsten noch einmal ausgerissen.

Die Käptens Liebchen war eine Falle: Soviel kam Morn zu Bewusstsein. Für einen Moment drohte die Verdeutlichung des Umstands, dass sie soeben an Bord eines anderen Raumschiffs ging – eines anderen Raumschiffs –, wo es für sie kaum Hoffnung und keinesfalls irgendwie Hilfe gab, vor Grausen ihre Muskulatur zu verkrampfen, sie zu lähmen wie ein spastischer Anfall.

Dann befanden alle Crewmitglieder Nicks sich zur Stelle, und Morn hatte keine Zeit für solche Mätzchen. Die Schleuse fiel zu. Nick Succorso fasste Morn an den Schultern: Er hatte die Absicht, seine Arme um sie zu schlingen. Aus diesem und keinem sonstigen Grund hatte er sie gerettet; er hatte sie aus Angus' Klauen befreit, um sie für sich zu gewinnen. Morn geriet in die erste Krise ihres veränderten Lebens, während noch derartige Verstörung sie verunsicherte, dass sie ihn jetzt liebend gerne geschlagen, seine Pfoten abgeschüttelt hätte.

Aber sie besaß genügend Geistesgegenwart, um ihn auf andere Weise abzulenken. »Keine hohe G-Belastung«, bat sie.

Mehr noch seelisch als körperlich fühlte Morn Hyland sich bis in Mark und Bein erschöpft. Das Vorteilhafteste, was sich unter den gegebenen Umständen über sie hätte konstatieren lassen, wäre wohl die Feststellung gewesen, dass Vergewaltigung, Hyperspatium-Syndrom, Grauen, Panik und Angus' Missbrauch des ihr eingepflanzten Z-Implantats sie halb um den Verstand gebracht hatten. Während der Wochen in Angus' Gewalt hatte sie Dinge getan und erlebt, die sie in grelle Albträume gestürzt hätten, wäre bei ihr überhaupt noch ausreichende Kraft zum Träumen vorhanden gewesen. Und danach hatte sie ihm trotz allem das Leben geschenkt. Man hätte meinen können, sie wäre von der Art desperater Weichheit überkommen worden, die die Opfer von Terroristen bisweilen bewog, zu ihnen Zuneigung zu entwickeln.

Doch der Anschein trog. Sie hatte sich keineswegs nachträglich in Angus verliebt: Vielmehr hatte sie sich auf einen Handel eingelassen. Der Preis bestand darin, dass sie jetzt hier weilte, auf Nicks Raumschiff, und von seiner Gunst abhing. Als Gegenleistung hatte sie das Kontrollgerät des Zonenimplantats in der Tasche.

Angus zu decken, mochte ohne weiteres die einzige kaltblütige Verrücktheit ihres relativ jungen Lebens gewesen sein.

Aber auch wenn die Erlebnisse ihre geistige Gesundheit geschmälert hatten, sie war nur halb übergeschnappt. Keine völlig Irrsinnige hätte diese kritische Situation der Besonnenheit durchstehen können, die Morn bewies, als sie Nick Succorso mit ihrem unvermuteten Anliegen überraschte. »Bitte keine hohe G-Belastung. Nicht ohne mich vorzuwarnen.«

Womöglich war sie in die Enge gedrängt; aber sie war nicht am Ende.

Ihr Schachzug zahlte sich aus. Nick verhielt, blickte sie befremdet an. Morn konnte ihm sein Misstrauen ansehen. Er begehrte sie. Aber wissen, was ihr Ersuchen besagte, wollte er ebenfalls. Und er musste sein Raumschiff von der KombiMontan-Station fortfliegen.

»Was ist los?«, fragte er. »Bist du krank, oder was?«

»Ich bin zu schwach. Er …« Morn brachte ein Achselzucken zuwege, das so beredt war wie Angus' berüchtigter Name. »Ich brauche Zeit, um mich zu erholen.«

Dann fegte sie willentlich ihr Gemüt von allem frei, wie sie es so häufig während der Aufdringlichkeiten Angus' praktiziert hatte, damit ihr ausgeprägter Widerwille gegen jede Berührung durch irgendeinen Mann sie nicht zu einer Dummheit verleitete, zum Beispiel, Nick das Knie in den Unterleib zu rammen, sobald er sie umarmte.

Nick war an Frauen gewöhnt, die vor Hingerissenheit ausrasteten, wenn er sie sich nahm. Zu erfahren, wie Morn in seiner Nähe wirklich zumute wurde, hätte ihn nicht unbedingt gefreut.

Ebenso wenig hätte es ihn erfreut, wäre ihm der wahre Grund bekannt gewesen, weshalb Morn hohe G-Belastungen scheute.

Starke Schwerkraft gab bei ihr den Auslöser des Hyperspatium-Syndroms ab, stürzte sie in Wahnsinn. In einer derartigen Verfassung hatte sie die Havarie der Stellar Regent herbeigeführt – eine Handlung, die auf einen Versuch der Selbstvernichtung hinauslief –, obwohl ihr eigener Vater als Kapitän der Stellar Regent diente, viele Besatzungsmitglieder gleichfalls ihrer Familie angehörten; obschon das Raumschiff ein VMKP-Zerstörer gewesen war und kurz zuvor beobachtet gehabt hatte, wie Angus Thermopyle eine komplette Wühlknappschaft in ihrem Lager massakrierte.

Das Hyperspatium-Syndrom lieferte die einzige überhaupt vorstellbare Rechtfertigung für das ihr durch Angus ins Gehirn gepflanzte Zonenimplantat sowie das entsprechende Kontrollgerät, das sie jetzt in ihrem Besitz hatte. Und dies Kontrollgerät war ihr einziges Geheimnis; ihr einziger Schutz, als sie sich an Bord der Käptens Liebchen wagte. Sie hätte jeden umzubringen versucht, der auf die Idee verfallen wäre, es ihr fortzunehmen.

Um Nicks Argwohn zu begegnen, war sie bereit, ihm soviel über die Stellar Regent zu erzählen, wie er zu hören wünschte, obgleich das Raumschiff insgesamt als Geheimobjekt gegolten hatte und Morn den Beruf einer Polizistin ausübte. Als letztes Hilfsmittel gedachte sie ihm sogar zu enthüllen, was die Zerstörung der Stellar Regent bewirkt hatte. Aber niemals gedachte sie ihm zu offenbaren, dass Angus ihr ein Z-Implantat eingepflanzt – und ihr später das Kontrollgerät überlassen hatte.

Niemals.

Sie war Polizistin: Darin lag das Problem. Ein ärgeres Einzelverbrechen als die ›missbräuchliche Anwendung‹ eines Zonenimplantats konnte sie, Hochverrat ausgenommen, als Polizistin nicht begehen. Die Tatsache, dass sie Angus Thermopyle begünstigte, indem sie das Kontrollgerät des eigenen Z-Implantats versteckte, verschlimmerte den Sachverhalt um so mehr. Sie hatte ihr Leben der Bekämpfung solcher Menschen wie Angus Thermopyle und Nick Succorso verschrieben, der Ausmerzung von Übeln wie Raumpiraterie und Missbrauch von Zonenimplantaten.

Doch sie wusste genau, welche Bedeutung das Gerät für sie hatte. Unbeabsichtigt, aber nachhaltig hatte Angus es sie gelehrt. Das Gerät war ihr wichtiger als der Eid geworden, den sie beim Dienstantritt als VMKP-Polizistin abgelegt hatte, kostbarer als ihre Ehre. Sie hatte nicht vor, es jemals herauszugeben.

Statt die Wahrheit über sich selbst durchblicken zu lassen, tat sie ihr Bestes, um ihr Bewusstsein möglichst ›abzuschalten‹, um nicht, falls Nick sie küsste, zu reagieren, als wäre er Angus.

Zum Glück bewährte sich ihr Kniff. Nick musste sich um unmittelbarere, dringendere Angelegenheiten kümmern. Und der Gedanke, dass Angus' Rüpelhaftigkeit Morn in Mitleidenschaft gezogen, er sie zerschunden hatte, leuchtete auf Anhieb ein. Unversehens nahm Nick die Hände von ihr und wandte sich ab.

»Teil ihr 'ne Kabine zu«, befahl er über die Schulter seiner Ersten Offizierin. »Gib ihr was zu essen. Und Kat, wenn sie will. Weiß Gott, was der Saukerl mit ihr angestellt hat.«

Morn hörte weitere Äußerungen, während er sich entfernte. »Wir legen ab, und zwar unverzüglich.« Aus seiner Stimme klang Begierde, und die Narben unter seinen Augen hatten sich auffällig verfärbt. »Der Sicherheitsdienst möchte nicht, dass wir hier rumlungern. Das zählt zur Vereinbarung.«

Morn wusste, auf was seine Gier abzielte. Doch nun blieb ihr eine kurze Frist, um sich darauf vorzubereiten.

Sie schwitzte derart, dass sie die eigenen Ausdünstungen roch.

Nicks Erste Offizierin, eine Frau namens Mikka Vasaczk, hatte es eilig. Möglicherweise wollte sie schleunigst auf die Brücke. Oder vielleicht sah sie in Morn eine Nachfolgerin und hatte deshalb etwas gegen sie. Was auch der Grund sein mochte, sie benahm sich hastig und schroff.

Das sollte Morn recht sein.

Auf dem sanften Druck der Hydrauliken fuhren sie mit dem Lift hinab – ›unten‹ verwandelte sich in ›oben‹, sobald die Käptens Liebchen ablegte und interne Rotationsschwerkraft generierte – aufs Kabinendeck, das man rund um die Lagerräume, Antriebsaggregate, Datenbanken sowie Scanneranlagen und Geschützbatterien des Schiffs angeordnet hatte. Nach allen Standardmaßstäben konnte die Käptens Liebchen mit luxuriösem Interieur prunken, und für Passagiere stand mehr als eine Kabine zur Verfügung. Mikka Vasaczk brachte Morn zu einer dieser Kabinen, schob sie hinein, zeigte ihr, wie man das Code-Türschloss und den Interkom-Apparat bediente. »Wollen Sie irgendwas?«, erkundigte die Erste Offizierin sich zum Schluss in einem Ton, der nicht ganz den gängigen Höflichkeitsnormen entsprach.

Morn wünschte sich so vieles, dass die bloße Vorstellung sie entmutigte. »Es geht schon«, antwortete sie mit einiger Mühe. »Ich brauche bloß Schlaf. Und Sicherheit.«

Mikka hatte ausdrucksfähige Hüften; sie bewegte sie, als verstünde sie sie auf mancherlei verschiedene Weise zu nutzen. Die Art, wie sie sie jetzt zur Seite schwang, deutete Aggression an.

»Darauf verlassen Sie sich mal nicht.« Sie gab ein spöttisches Brummen von sich. »Solange Sie an Bord sind, ist keiner von uns sicher. Seien Sie lieber vorsichtig. Nick ist gescheiter, als Sie glauben.«

Sie ging, ohne eine Erwiderung abzuwarten. Die Tür glitt automatisch hinter ihr zu.

Am liebsten hätte Morn geweint. Sie fühlte sich danach, sich zusammenzurollen und in einen Winkel zu drücken. Aber für Tränen und Feigheit fehlte ihr die Zeit. Ihr nacktes Überleben stand in Frage. Wenn sie nun keine Möglichkeit fand, um sich Schutz zu verschaffen, böte sich ihr keine zweite Chance.

Als erstes tippte sie am Türschloss einen Code in die Tastatur, nicht weil es dann irgendjemand ernsthaft am Eintreten hinderte – die Bordcomputer konnten ihren Code, sobald es Nick darauf ankam, jederzeit durch Korrektursteuerung annullieren –, sondern weil es ein Eindringen verlangsamte; wenn jemand vor ihrer Tür aufkreuzte, würde sie vorgewarnt.

Anschließend holte sie das Kontrollgerät ihres Zonenimplantats heraus.

Das kleine, schwarze Kästchen stellte den Inbegriff ihres Niedergangs dar. Es hielt ihr vor Augen, wie teuer es sie gekommen war, sich ihm zu entziehen, wie tief die Verkrüppelungen reichten, die er ihr zugefügt hatte. Ihre Erniedrigung hatte ein so gründliches Ausmaß erlangt, dass sie um des Kontrollgeräts willen, das ihr die Macht übers eigene Z-Implantat garantierte, nicht davor zurückschreckte, sich innerlich von ihrem Vater, der VMK-Polizei und sämtlichen Idealen abzuwenden, die sie früher als vertretenswürdig erachtet hatte, ja sogar der Rettung durch den Sicherheitsdienst der KombiMontan-Station, der Befreiung, die ihr jede Form von Unterstützung und Trost zugänglich gemacht hätte, die die VMKP bieten konnte, und überdies Angus' Exekution gewährleistet hätte, zu entsagen.

Doch gleichzeitig wusste sie, dass das Kontrollgerät ihre letzte Hoffnung bedeutete. Das blieb ein Faktum, wohin sie auch ginge; ihr Aufenthalt an Bord der Käptens Liebchen machte es nicht wahrer oder unwahrer, sondern lediglich offensichtlicher. Durch das Z-Implantat hatte Angus Thermopyle sie zu weniger degradiert, als zu sein sie ertragen konnte. Er hatte ihr eingebläut, dass es sich bei ihrem leiblichen und seelischen Wesen um verachtenswerte Gegebenheiten handelte, bloße Dinglichkeiten, die man ungestraft gebrauchen oder missbrauchen und danach wegwerfen durfte, falls sie keine Befriedigung mehr bereiteten, unzulänglich geratene Gebilde ohne Anspruch auf Respekt. Dank der gleichen Logik jedoch verlieh ihr das Z-Implantat die einzige Handhabe, durch die sie mehr werden konnte, als sie von sich aus verkörperte. Es versah sie mit der einzigen Aussicht, über ihre Kleinheit hinauswachsen, die Geringfügigkeit ihrer Abhilfen überschreiten zu können. Es gab ihr Macht, und sie hatte zu lange gänzliche Ohnmacht erdulden müssen. Ohne das Gerät könnte sie nie von den Schädigungen genesen, die sie erlitten hatte. Nichts anderes hatte die erforderlichen Eigenschaften, um den ihr durch Angus eingebimsten Lektionen entgegenzuwirken.

Darum befand sie sich in Abhängigkeit von dem Gerät; und folglich musste sie auf jede Art äußeren Beistands verzichten. Die KombiMontan-Station und die VMK-Polizei hätten für sie alles getan, was im Bereich des ihnen Möglichen lag; aber man hätte ihr das Gerät weggenommen – und damit hätte man sie im Endeffekt ihren Minderwertigkeitsgefühlen ausgeliefert.

Überlassen Sie mir das Kontrollgerät, hatte sie einmal Angus angefleht. Ich brauche es, um gesund zu werden. Aber damals hatte er sich geweigert, und jetzt steckte sie in noch weit gebieterischeren Nöten.

Momentan allerdings hatten sie vornehmlich dringende Natur.

Falls Nick wusste – oder ahnte –, dass sie ein Z-Implantat im Kopf hatte, wie lange könnte sie den Besitz des Kontrollgeräts geheim halten? Mehr als alles andere musste sie frische Kräfte sammeln. Ihre Furcht niederzuringen, erforderte Kraft; es verlangte Kraft, sich mit ihm abzugeben. Sie musste Kraft haben, um seine Aufmerksamkeit zu zerstreuen.

Das Zonenimplantat konnte ihr zu diesen Kräften verhelfen. Unter anderem hatte es die Funktion, das unentbehrliche Vermögen des Hirns zu neutralisieren, Müdigkeit zu erkennen. Leider wusste Morn nur, welche Funktionen das Implantat hatte; wie man sie am besten nutzte, davon verstand sie nichts. Natürlich konnte sie die über den Tasten aufgedruckten Beschriftungen lesen; aber sie hatte keine Ahnung, wie sie sich aufeinander abstimmen, miteinander kombinieren ließen, um spezielle Wirkungen hervorzubringen. Gegenwärtig konnte sie ihrem Implantat lediglich grobes Funktionieren entlocken.

Das musste sich ändern. Sie blieb in fatalem Umfang im Nachteil, solange sie keine vollständige Herrschaft über das Kontrollgerät hatte – über sich selbst –, bis sie ihre eigenen Nerven und Synapsen so zu steuern vermochte, wie Angus Thermopyle es getan hatte.

Um diese Art der Steuerung zu lernen, brauchte sie Zeit. Viel Zeit.

Im Moment durfte sie sich nur ein paar Stunden Gnadenfrist erhoffen.

Solange Sie an Bord sind, ist keiner von uns sicher. Morn verdrängte die Bemerkung. Seien Sie lieber vorsichtig. Nick ist gescheiter, als Sie glauben. Außer ihrem unmittelbaren Problem wies sie vorerst alles von sich. Sie fand ihrer Kabine eine gesonderte Hygienezelle mitsamt eigenem Wasserbehälter angeschlossen; und in einem der Einbauschränke neben dem Behälter ein für Gäste bestimmtes Sortiment an Toilettenartikeln und sonstigen Utensilien, darunter auch eine kleine Dose mit Nähzeug zum Flicken zerrissener Bordmonturen. Sie suchte eine Pinzette heraus und brach damit das Gehäuse des Kontrollgeräts auf; dann kratzte sie mit einer Nähnadel eine minimale Lücke in die Schaltkreise des Geräts – genau an dem Abschnitt, der die Option ermöglichte, sie in einen Zustand der Hilflosigkeit zu versetzen, indem es die Verbindung zwischen Gehirn und Körper blockierte. Angus hatte diese Funktion häufig benutzt; sie hatte es ihm gestattet, mit ihrem wehrlosen Fleisch, während ihr Geist es nur mitverfolgen und bejammern konnte, zu treiben, was ihm behagte.

So gut sie es konnte, stellte sie sicher, dass nie wieder irgendjemand diese Gewalt über sie ausüben durfte. Wenigstens in dieser Sache half ihr die an der Akademie genossene Elektronikschulung.

Als sie fertig war, zitterten ihre Finger, sie hatte schreckliche Furcht, einen Fehler begangen zu haben. Doch sie konnte sich jetzt keine Furchtsamkeit leisten. Solange Sie an Bord sind, ist keiner von uns sicher. Ebenso wenig durfte sie Fehler machen. Nick begehrte sie. Aber für sie waren sexuelle Lust und Angus eins geworden; für sie bedeutete sie nichts anderes als Brutalität und Vergewaltigung. Nick ist gescheiter, als Sie glauben. Sie unterdrückte das Zittern, schloss das Gehäuse des Kontrollgeräts. Mit überlegter Umsichtigkeit deponierte sie die Werkzeuge ihrer Manipulation – Pinzette und Nähnadel – wieder in der Hygienezelle. Dann hockte sie sich auf die Koje, lehnte den Rücken ans Schott, nahm das Kontrollgerät zur Hand und betätigte eine Taste.

Sofort durchströmte sie ein wunderbares Gefühl der Gelassenheit. Eine Ruhe erfüllte ihren Körper, als wäre ihr gerade eine Kat-Injektion verabreicht worden. Wohltuende Dösigkeit breitete sich in ihren Gliedern aus, besänftigte die Enden gereizter Nerven, beschwichtigte alte, eingefleischte Ängste. Langsam entspannte Morn sich am Schott, der Kopf sank ihr auf die Brust.

Heil. Sicherheit. Friede.

Fast schlief sie, ehe die Verzweiflung, die sie bei Angus erlernt hatte, sie aufschreckte.

Diese Anwandlung des Schauderns gab ihr die Kraft, um das Kontrollgerät auszuschalten.

Als die Wahrnehmungen der Realität in ihre Muskeln und Neuronen zurückkehrten, trieb ihr die pure, abgrundtiefe Enttäuschung Tränen in die Augen.

Doch sie wusste längst, dass das Leben mit einem Zonenimplantat kein Zuckerschlecken war; sie erwartete nicht, dass es leicht würde: Was sie anstrebte, war die Beherrschung dieses Daseins.

Die gefühlsmäßige Sorge marterte sie, dass sie sich zuviel abverlangte, kein Mensch schaffen und durchhalten könnte, was sie sich vorgenommen, das Gesetz gegen ›missbräuchliche Anwendung‹ von Z-Implantaten seine volle Berechtigung hatte. Um das Z-Implantat wirklich effektiv für sich einsetzen zu können, hätte sie über etwas verfügen müssen, das an Hellsichtigkeit grenzte, eine Art von Kristallkugel. Allerdings hatte das Kontrollgerät auch einen Zeitschalter, der ihr nützlich sein mochte. Einmal angenommen jedoch, sie gönnte ihrem Körper die Erholung, nach der er lechzte. Woher sollte sie wissen, wie lange sie ungefährdet schlafen durfte? Oder einmal unterstellt, sie verscheuchte ihre Müdigkeit – in der Absicht, eine Phase hoher G-Belastung durchzustehen, ohne in Irrsinn zu verfallen – und aktivierte all ihre Kraftreserven. Wodurch sollte sie darüber Klarheit haben, wie viel Kraft sie brauchte, wie lange ihr Körper die Anspannung vertrug? Oder noch grundsätzlicher: Wie sollte sie wissen, welche Zentren ihres Gehirns mit dem Hyperspatium-Syndrom zusammenhingen, welche Bereiche ihrer selbst sie dämpfen musste, um gegen den Zustand geistig anomalen Gleichmuts vorzubeugen, in dem das Universum zu ihr sprach und ihr einflüsterte, was sie zu vernichten hatte?

Bei jedem Schritt ihres Erkundungswegs musste sie sich auf Vermutungen stützen. Jeder Irrtum, jede Fehlberechnung, jedes Missgeschick konnte ihr Geheimnis Nick enthüllen.

Doch die Problematik saß noch tiefer. Die Misshandlungen durch Angus hatten sie, obwohl er ihr zwischendurch regelmäßig Gelegenheit zum Ausruhen einräumte, halb verrückt gemacht und vollkommen ausgelaugt. Inwiefern konnte sie sicher sein, dass Verrücktheit und Erschöpfung beim Gebrauch eines Z-Implantats nicht als zwangsläufige Begleiterscheinungen auftraten? Wie könnte sie die Gewissheit haben, dass ihre Bemühungen, sich zu schützen, nicht erst recht ihr Verhängnis anbahnten?

Diese Gewissheit gab es für sie nicht. Um zur Abklärung so diffiziler Fragen zielgerecht an sich herumpfuschen zu können, mangelte es ihr ganz einfach an Fachwissen.

Andererseits war sie gerade deshalb jetzt hier, weil Angus sie halb zur Verrücktheit getrieben hatte. Sie sah keinen Ausweg, der nicht auch mit Wahnsinn verknüpft gewesen wäre.

Ein dumpfer Stoß dröhnte durch den Raumschiffsrumpf – der fürs Ablegen charakteristische Ruck. Jeder an Bord merkte es, wenn die Kabel und Verankerungen sich lösten.

Morns Frist lief ab.

Indem die Käptens Liebchen von der Station ablegte, verschwand die Schwerkraft. Infolge Morns unwillkürlicher Kontraktion der Muskeln, mit der sie auf die plötzliche Eigenbewegung des Raumschiffs reagierte, hatte zum Ergebnis, dass sie in die Höhe schwebte.

Aber schon wenige Sekunden später zirpte aus dem Interkom eine Warnung, und die Diensthabenden auf der Brücke setzten die Rotation in Gang, die bordinterne Gravitation produzierte. Die Koje drehte sich in ihrer Aufhängung in eine andere Lage. Morn sank auf die neue Horizontale hinab.

Mit derartigen Manövern kannte sie sich aus. Statt beunruhigt zu sein, war sie vielmehr darüber froh, dass Nick so rasch auf bordinterne Schwerkraft umgeschaltet hatte. Die meisten Kapitäne flogen nach dem Ablegen erst einmal eine beachtliche Strecke – um sich davon zu überzeugen, dass sie komplett losgemacht hatten und um ihre Erinnerung an das Erlebnis der Nullschwerkraft aufzufrischen –, bevor sie sich wieder den Trägheitsgesetzen der Eigenrotation und ihrer Lahmheit unterwarfen.

Grimmig drückte Morn eine andere Taste.

Die falsche, eine falsche Taste: Diesmal verursachte sie sich Schmerz, die gesamte Oberfläche ihrer Haut schien in Flammen zu stehen. Angus hatte ihr erzählt, ihr Vater sei, als sie das Pulsator-Triebwerk der Stellar Regent sprengte, vom Explosionsblitz geblendet worden. So mochte sich danach sein Gesicht angefühlt haben, nichts als Brennen und Qual, jeder Nerv musste unerträglich wund gewesen sein.

Morns Muskulatur zuckte in Spasmen glutheißer Pein und grausamer Erinnerung. Wirr tippte sie auf das Kontrollgerät, versuchte die AUS-Taste zu treffen.

Sie verfehlte sie. Stattdessen drückte sie die Taste, die sie schon erprobt hatte, die Funktion, die Seligkeit auslöste.

Das Ergebnis verdutzte sie. Augenblicklich vollzog sich in ihr eine Veränderung.

Die Wirkung hatte etwas von Magie an sich, ähnelte einer Art neuraler Alchemie. Aus grenzenlosen Beschwerden wechselte sie über in ein Befinden, dessen sie dringlicher bedurfte als bloßer Kräfteerneuerung, eine innere Eingestimmtheit, die sie dazu befähigte, Nick zu bewältigen – in eine Verfassung, deren Auslösung von Angus nie bei ihr probiert worden war, entweder aus Unkenntnis der Folgen, oder weil er es nicht gewünscht hatte.

Auf gewisse Weise minderte die Funktion, die sie eingeschaltet hatte, den Schmerz nicht, wenigstens nicht vollständig. Allerdings transformierte sie ihn auf nahezu wundersame Art in etwas völlig anderes, nämlich geschlechtliches Verlangen, das sich in den empfindsamsten Körperteilen konzentrierte, so dass ihre Brustwarzen glühten, als könnten nur Küsse ihnen Linderung verschaffen, ihr Mund und der Unterleib im Handumdrehen heiß waren und feucht, ein männliches Glied herbeisehnten.

Einige Augenblicke lang fühlte Morn sich durch die Empfindungen der Lust dermaßen frappiert, dass sie sie nicht beenden konnte. Sie merkte nicht, dass sie sich lüstern in der Koje wälzte, bis auf einmal Schub die Käptens Liebchen schüttelte, sie überraschte und aus dem Gleichgewicht warf, so dass sie auf den Fußboden purzelte.

Nur schwacher Schub – gerade genug, um das Raumschiff zu beschleunigen. Doch der Plumps brachte Morn zur Besinnung; sie grapschte nach dem Kontrollgerät und schaltete es ab.

Danach klammerte sie sich an die Koje und atmete schwer, versuchte das enorme Staunen, das die Mächtigkeit der erlebten Begierde und die Tragweite der Entdeckung ihr bereiteten, zu verwinden.

Sie hatte die Lösung ihres nächstliegenden Problems gefunden: einen Weg, wie sie auf Nick eingehen konnte, ohne dass Ekel mitspielte. Jetzt hatte sie eine Voraussetzung, um bis auf weiteres seine Berührungen hinnehmen zu können.

Und falls zu Nicks Geilheit, wie bei Angus, auch der Hang zählte, ihr Leid zuzufügen, wäre es ihr möglich, es in Vergnügen umzumünzen. Von nun an hatte sie Schutz gegen alle Arten dieser Gelüste …

Kein Wunder, dass Angus diese kombinierten Funktionen nie benutzt hatte. Morn wäre dadurch auf paradoxe Natur unantastbar geworden: allem ausgeliefert zwar, was sein Hass ihm eingab, aber gefeit gegen jeden Schrecken.

Nun durfte sie sich Ruhe genehmigen. Momentan galt es nur noch, einigermaßen zutreffend zu erraten, wann Nick sich bei ihr einfand. Wie viel Zeit verblieb ihr bis dahin? Der Schub komplizierte die Stabilisierung der Gravitation an Bord der Käptens Liebchen; Morn konnte sich nur umständlich in der Kabine umherbewegen. Um so mehr hatte sie Anlass, sich in der Koje gemütlich einzumummeln, behaglich in Sicherheit zu wiegen und sich dem Erschöpfungsschlaf hinzugeben. Wenn Nick kam, musste sie sich seinem Misstrauen stellen, welche Fragen es auch betreffen mochte. Aber bis dahin …

Sie tat es nicht. Angus Thermopyle hatte sie mehr gelehrt, als sie beide währenddessen begriffen. Noch hatte sie Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, musste sie mittels gewisser Vorkehrungen die Wahrheit tarnen.

Sie machte sich noch einmal am Code-Türschloss an die Arbeit.

Diesmal programmierte sie es so, dass die Tür sich auf mündliche Aufforderung öffnete, allerdings erst mit fünf Sekunden Verzögerung und einem Läuten zur Ankündigung.

Dann ging Morn, indem sie sich gegen das Ziehen ungleichmäßiger Gravitation stemmte, in die Hygienezelle, pellte sich aus der ihr von Angus überlassenen Bordmontur, die ihr ohnehin nicht passte, warf sie in den Abfallschacht und nahm eine ausgedehnte Dusche. Sie beendete sie erst, als ihre Arme vom langen Waschen bleischwer zu sein schienen, und die Warmluftdüsen der Duschkammer sie restlos getrocknet hatten. Von ihrem Verbrechen konnte sie sich nicht reinwaschen, doch zumindest fühlte sie sich dank des Duschens wieder wohler in ihrer Haut.

Schließlich streckte sie sich nackt auf der Koje aus und versteckte das Kontrollgerät ihres Z-Implantats unter dem Kopfende der Matratze; sie zog sich die Decke bis unters Kinn hoch und schloss die Anti-G-Gurte.

Während die Schubkraft das Raumschiff von der KombiMontan-Station entfernte – von der Normalität und aller denkbaren Hilfe –, schmiegte Morn ihren sauberen Leib in die saubere Koje und fing an, soweit es momentan überhaupt möglich war, für künftige Eventualitäten Pläne zu schmieden. Unter dem Einfluss des Z-Implantats konnte sie voraussichtlich keine klaren Überlegungen anstellen. Sie musste sich jetzt auf das gefasst machen, was ihr bevorstehen mochte.

Vielleicht hatte es für sie einen Vorteil, von Angus so häufig zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Ganz gleich, was in ihrem Kopf ablief, wie ihre Seele empfand, ihr Körper brauchte eigentlich noch keinen Schlaf.

Zweifellos vollführte die Käptens Liebchen nach dem Start eine gewisse Mindestanzahl von Manövern, um Außeninstallationen und Verankerungsvorrichtungen, Antennen, Abzugsrohren und Gerüsten, Schleppern und anderen Raumschiffen auszuweichen, und zudem, um fürs Einschwenken auf den Kurs die geeignete Fluglage und richtige Trajektorie anzusteuern. Das beanspruchte wahrscheinlich Nicks Aufmerksamkeit für eine beträchtliche Weile. Selbstverständlich bestand seinerseits keinerlei Verpflichtung, irgendetwas Derartiges persönlich zu beaufsichtigen; die Brückenbesatzung konnte es bestimmt allein abwickeln. Mikka Vasaczk hinterließ den Eindruck, allem gewachsen zu sein. Aber die Mehrheit aller Raumschiffskapitäne hatte eine Neigung, die Ereignisse beim Abflug von einer Weltraumstation bewusst auszukosten. Die Verständigung mit der Stationszentrale und die Routineentscheidungen konnte man samt und sonders anhand eingefahrener Gewohnheiten durchführen; doch anscheinend tat es gut, alten Gewohnheiten zu folgen, goutierte eine gewisse Sorte Kosmo-Skipper es, die Prioritäten und Notwendigkeiten des Kommandierens gelegentlich zu bekräftigen. Tatsächlich dachten die wenigsten Kapitäne daran, die Brücke zu verlassen, bevor sie ein ganzes Stück weit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der jeweiligen Station flogen und man die Wahrscheinlichkeit, anderen Raumschiffen zu begegnen, als gering einstufte. Soviel Geduld erwartete Morn gar nicht von Nick Succorso; jedoch glaubte sie, dass er sich bestimmt davon überzeugte, mit der Käptens Liebchen einen einwandfreien Start bewerkstelligt zu haben, ehe er das Kommando Untergebenen überließ.

Soviel Aufschub blieb ihr, nahm sie an, bevor er sich eingehender mit ihr beschäftigte.

 

Sie behielt recht. Ob mit oder ohne Absicht, er gewährte ihr diesen Aufschub.

Als er zu ihr kam, hatte sie sich, so gut die Verhältnisse es zuließen, darauf vorbereitet.

Um dazu imstande zu sein, musste sie ihren Verstand unterteilen, als wäre er ein Schrank voller Schubladen: Angus Thermopyle in eine Schublade tun; in eine andere alles, was er verbrochen hatte. Für alles hatte sie eine Schublade. Für die schauderhafte Havarie der Stellar Regent. Das Hyperspatium-Syndrom. Für den Abscheu. Die Furcht vor Entlarvung. Alles Bedrohliche, all das, was ihr Handeln lähmen oder sie verstören könnte, musste voneinander abgesondert und getrennt gehalten werden, sollte es ihr möglich sein, wenigstens annähernd vernünftige Entschlüsse zu fassen.

Willenskraft hatte Ähnlichkeit mit dem Z-Implantat: Sie separierte Geist und Körper, Tat und Konsequenz.

Auch das hatte Angus ihr beigebracht, ohne es zu ahnen.

Als das Türschloss läutete, durchfuhr sie neues Erschrecken, wallte in ihr Panik empor, raubte ihr den Atem. Aber sie hatte sich aus eigener Wahl in eine Welt der krassesten Risiken getraut, in der nichts und niemand außer sie selbst das Werkzeug ihrer Rettung sein konnte. Bevor die Tür sich öffnete, langte sie unter die Matratze und drückte die Kombination der zwei Tasten, von der nun ihr Leben abhing. Dann wälzte sie sich herum und blickte dem Mann entgegen, der sie Angus' Krallen entrissen hatte.

Nick Succorso sah aus, als wollte er den romantischen Geschichten, die in der KombiMontan-Station über ihn kursierten, in der Tat völlig entsprechen; als wären alle diese Geschichten wirklich wahr. Er hatte glutvolle Augen und trug das Grinsen eines Freibeuters zur Schau, und er trat mit der Art von männlichem Selbstbewusstsein auf, die jeder seiner Bewegungen verführerische Eigenschaften verlieh. Sichtlich hatten seine Hände sich in Zärtlichkeiten geübt; aus seiner Stimme klang die Begabung zum Schmachten. Schon diese Vorzüge allein hätten ihn für Frauen begehrenswert gemacht.

Darüber hinaus jedoch galt er als gefährlich; berüchtigt gefährlich. Die Narben unter seinen Augen deuteten Hitzigkeit an. Wenn Leidenschaft diese Narben dunkel verfärbte, legten sie die Schlussfolgerung nahe, dass er ein Mann war, der bis aufs Blut ging und doch immer die Oberhand gewann.

Er betrat Morns Kabine, als hätte er längst die Gewissheit, dass sie ihm nicht widerstehen könnte.

Morn Hyland wusste über ihn buchstäblich nichts. Er war Pirat, ein Konkurrent Angus Thermopyles; wie er durch und durch Illegaler. Und er war, genau wie Angus, ein Mann. Die Unterschiede zwischen ihm und Angus ließen sich höchstens als kosmetischer Natur bezeichnen, so wenig tangierten sich ihrer beider Wesen. Nur weil er sich auf den Beistand eines Verräters beim Sicherheitsdienst der KombiMontan-Station hatte verlassen können, war es Nick möglich geworden, Angus über den Tisch zu ziehen. Das war alles, an was Morn anknüpfen konnte.

Dennoch schwebte sie in keiner Gefahr, Nick unter romantischen Gesichtspunkten zu sehen. Sie wusste zu gut darüber Bescheid, dass Piraterie – und Männlichkeit – ihre Opfer kostete.

Aber anstatt Widerwillen, Panik oder das tiefgründige, trostlose Grausen, das seit der Zerstörung der Stellar Regent stets, ob im Wachen oder Schlafen, im Hintergrund ihres Gemüts lauerte, spürte sie in sich die Wärme sexuellen Gelüsts aufsteigen. Ihr Blut schien sich in eine Art flüssiger Lust umzuwandeln, ihr Fühlen sich mit einem Mal, vergleichbar mit der schlagartigen Schärfung eines Scannerbilds, stärkstens in den Nerven ihrer Haut zu ballen. Diese Empfindungen halfen ihr dabei, die Hände zu heben, als legte sie darauf Wert, dass Nick ihr unverzüglich in die Arme fiele.

Zur Antwort lächelte er, die Narben unterstrichen seine Augen; doch als er in der Kabine stand, die Tür sich hinter seinem Rücken geschlossen hatte, kam er nicht näher. Hochgradig aufmerksam, obwohl sein Gebaren locker blieb, musterte er Morn. »Wir haben keine Wahl, was die hohe G-Belastung angeht«, sagte er nach einem kurzen Moment des Schweigens. »Der Schweinehund hat unser Schiff beschädigt. Mein Bordtechniker meint, der Ponton-Antrieb ist am Flattern. Es könnte sein, dass wir aus 'm Hyperspatium, wenn wir in die Tach gewechselt sind, nicht mehr rauskommen. Um irgendwo hinzufliegen, müssen wir also allen Schub einsetzen, zu dem wir fähig sind.«

Er verstummte; offenbar versprach er sich dazu eine Stellungnahme Morns. Nick ist gescheiter, als Sie glauben. Aber sie entgegnete nichts. Das G-Problem drängte nicht mehr; es sorgte sie nicht, während heißes Sehnen durch ihre Adern pulsierte, jeden Zentimeter ihrer Haut zu höchster Sensibilität erregte. Solange Nick sich in ihrer Kabine aufhielt, war sie vor dem Hyperspatium-Syndrom sicher. Gegenwärtig drohte keine Aussicht, dass die Käptens Liebchen den Schub verstärkte: Bei hoher Beschleunigung könnte er seine Geilheit nicht befriedigen.

Sie streckte ihm die Arme entgegen und wartete. Sie sah ihr eigenes Gesicht nicht; aber ihm musste ihrer Miene unmissverständlich ablesbar sein, was sie fühlte.

Er näherte sich ein wenig, sein Gleichgewichtssinn glich die Bewegung des Raumschiffs mühelos aus. Mit einer Hand ratschte er die Anti-G-Gurte der Decke auf, unter der Morn lag, schlug sie zur Seite. In einer ihrer geistigen Schubladen zuckte ein Teil Morns zusammen, wollte die Decke wieder über sie gebreitet haben. Doch die Schubladen war zu und abgesperrt. Morns ganzer Leib ersehnte Nicks Zuwendung. Sie bog den Rücken, wölbte ihre Brüste aufwärts.

Noch immer rührte er sie nicht an; er stürzte sich nicht in ihre Umarmung. Stattdessen langte er nach der Id-Plakette, die ihr an der dünnen Kette um den Hals hing.

Naturgemäß konnte er die Codes nicht entziffern; nicht ohne die Plakette mit einem Computer zu untersuchen. Und auf die vertraulichen Daten könnte er ausschließlich mit einem Computer des Sicherheitsdiensts oder der VMKP zugreifen. Aber wie wirklich jede erwachsene Person im Human-Kosmos wusste er, was das eingestanzte Signum bedeutete.

»Du bist 'ne Astro-Schnäpperin«, stellte er fest.

Aus seiner Stimme sprach keine Überraschung.

Keine Überraschung.

Er müsste überrascht sein, dachte Morn, obwohl ihre sexuelle Spannung wuchs. Dann begriff sie: nein. Er hat einen Komplizen im KombiMontan-Sicherheitsdienst. Er mochte schon von dem Tag an wissen, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, dass sie den Beruf einer Polizistin ausübte.

Diese Möglichkeit wirkte sich vielleicht zu ihren Gunsten aus. Wenn Morn bei ihm Gedanken an geheime Zusammenarbeit und Verräterei weckte, verhinderte es, dass er im Zusammenhang mit Z-Implantaten und Wehrlosigkeit an sie dachte.

»Du hast mich gerettet.« Morns Stimme klang heiser, strotzte von Begehrlichkeit, die jede Vernunft oder Furcht überstieg. »Für dich bin ich alles, was du willst.«

Damit sagte sie zumindest im Augenblick die Wahrheit. Das Z-Implantat machte es wahr. Sie fasste seine Hand, zog sie an ihren Mund, küsste seine Finger. Sie hinterließen auf ihrer Zunge eine Spur von Salzgeschmack; den Schweiß seiner Konzentration, die er gebraucht hatte, um die Käptens Liebchen von der Station fortzusteuern, den Schweiß seiner Wollust.

Und doch, trotz der Art und Weise, wie ihr ganzer Leib ihn verlockte, hielt er sich zurück. In Morn schwollen die durchs Z-Implantat verursachten Bedürfnisse zur Übermächtigkeit an; ihrem Einfluss entzogene Synapsen übermittelten dringliche Botschaften der Brunst. Sie hatte kein Interesse daran, dass er jetzt mit ihr redete; sie wollte ihn haben, in sich spüren, sie wünschte, dass er seine Mannheit in der Hitze ihrer Leibesmitte erschöpfte.

»Ist das die Tour, wie du Kaptein Thermogeil ausgetrickst hast? Bist du deshalb noch am Leben?«

»Nein«, widersprach sie, ohne zu überlegen, völlig unwillkürlich. »Nein.« Aber sie musste überlegen, musste klar denken, denn tat sie es nicht, lautete vielleicht ihr nächster Satz: Diese Tastenkombination hat er nie benutzt.

Ihr lustvolles Verlangen erzeugte in ihrem Gehör ein Rauschen wie von einem Wasserfall. Angestrengt schluckte sie, um in ihren Ohren den Druck auszugleichen, versuchte es mit der schlichtesten Antwort, auf die Nick hereinfallen mochte. »Du hast ihn doch gesehen. Ich bin ihm deinetwegen abgehauen. Für ihn konnte ich nicht so wie für dich empfinden.«

Sie wusste nichts über ihn. Vielleicht verblendete seine Eitelkeit ihn dermaßen, dass er diese Auskunft fraglos akzeptierte.

Doch es verhielt sich nicht so. Oder er zeichnete sich durch derartig tiefverwurzelte Eitelkeit aus, dass sich ihr so leicht nun auch wieder nicht schmeicheln ließ. Er regte sich nicht; sein Lächeln bezeugte Hintersinn und Blutdurst. »Du hast noch einen Versuch.«

Noch einen Versuch. Noch einen Versuch. Morn konnte nicht richtig denken. Während das Z-Implantat diese Wirkung auf sie hatte, sah es kein klares Denken vor. Was könnte sie Nick erzählen, das genügend Wahrheitsgehalt hatte, um glaubhaft zu sein, und genug von der Wahrheit abwich, um sie zu schützen?

»Bitte, Nick«, sagte sie, wimmerte fast vor Brünstigkeit. »Können wir darüber nicht später reden? Ich will dich jetzt.«

Er lächelte und lächelte, aber lenkte nicht ein. Lediglich mit einer Hand strich er über ihren Busen, kreiste mit den Fingerspitzen um ihre Brüste. Wieder bog Morn, diesmal unfreiwillig, den Rücken nach oben. Weder bemerkte sie in seinem Lächeln eine Warnung, noch in seinen Augen, ehe er mit einem Fingernagel grob gegen ihre Brustwarze schnippte.

Für einen Sekundenbruchteil verschob sich die ausgewogene Justierung des Z-Implantats zur Schmerzseite. Morn japste; fast hätte sie aufgeschrien.

»Dein Name ist Morn Hyland«, sagte Nick nahezu gutmütig. »Du gehörst zur VMKP. Und Angus Thermogeil ist der schmierigste Illegale zwischen Erde und Bannkosmos. Er ist nichts als Abschaum, aber du zählst zur Elite, du arbeitest für Min Donner. Eigentlich hätte er dich auf jeden Fall beseitigen müssen. Es wäre am sinnvollsten für ihn gewesen, dich in deine Atome zu zerstäuben und sich nicht mehr zur KombiMontan-Station zurückzutrauen. Also erklär mir, wieso du am Leben geblieben bist.«

Zum Glück erneuerten die am Kontrollgerät eingeschalteten Funktionen des Z-Implantats Morns Empfänglichkeit für Nicks Nähe beinahe augenblicklich. Ihr Schrei verflog, als hätte er ihr nie zu entfahren gedroht.

»Weil er ein Crewmitglied benötigt hat«, antwortete sie. Darin steckte soviel Wahrheit, dass es glaubwürdig klang. »Er war allein in der Strahlenden Schönheit. Und ich allein in der Stellar Regent, ich bin die einzige Überlebende gewesen.« Damit äußerte sie genug Unwahres, um sich abzusichern. »Ich konnte nichts tun, was für ihn eine Gefahr bedeutet hätte. Darum habe ich mit ihm eine Vereinbarung getroffen. Er hätte mich dem Tod überlassen können.« Zu klaren Gedankengängen war sie noch immer nicht fähig, aber sie hatte sich innerlich hinlänglich darauf vorbereitet, ihm Auskünfte zu erteilen. »Ich bin am Leben geblieben, weil er ein Besatzungsmitglied nötig hatte.«