Die Weinfestengel - Susanne Bonn - E-Book

Die Weinfestengel E-Book

Susanne Bonn

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Beschreibung

Lukas hat die Schule satt, erst recht die Lehrer und die schlechten Noten. Außerdem wartet zu Hause die Jungfrau auf ihn. Jeden Freitag zeigt sie sich an einer Wand bei ihm im Hinterhof. Mit ihr kann Lukas reden. Sie erteilt ihm bald immer größere Aufträge: Die ganze Stadt soll er in ihrem Namen einnehmen. Aber sie hat nicht nur Mitstreiter, sondern auch Widersacher. Einer davon ist der Lateinlehrer Benno Schwertfeger. Lukas macht er das Leben schwer genug, aber der Jungfrau kann er doch nichts anhaben. Oder? Benno Schwertfeger, Lateinlehrer und Organist, wird von einem Engel besessen. Nicht von einem Sänger der himmlischen Chöre, sondern von einem Krieger, der auf der Erde den Kampf gegen dämonische Mächte aufnehmen soll. Wer sind die wahren Feinde, mit welchen Waffen kann man sie wirklich besiegen? Benno und sein Engel müssen ungewohnte Wege gehen, um das herauszufinden. Lisa Deiling ist eigentlich Künstlerin und Musikerin. Um ihren Brotjob aufgeben zu können, sucht sie einen Mann, der ihr materielle Sicherheit bietet – den alleinstehenden Studienrat Benno Schwertfeger. Doch als sie ihn mit einem Liebeszauber an sich binden will, betritt ein charmanter, gut aussehender Mann die Bühne, dem sie sich kaum entziehen kann. Aber warum versperrt ihm ein geisterhafter Keiler den Weg zu ihrer Tür? Und was will der weiße Hase von ihr? Content Notes: Alkoholmissbrauch, Vernachlässigung von Kindern, sexuelle Übergriffigkeit, Tod (u. a. von Kindern), Suizidversuch

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Susanne Bonn

Die Weinfestengel

Der folgende Text ist ein Roman. Handlung, Schauplätze und Figuren sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind unbeabsichtigt und zufällig. Content Notes: Alkoholmissbrauch, Vernachlässigung von Kindern, sexuelle Übergriffigkeit, Tod (u. a. von Kindern), Suizidversuch

Inhaltsverzeichnis

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVI

XXXVII

XXXVIII

XXXIX

XL

XLI

XLII

XLIII

XLIV

XLV

XLVI

XLVII

LXVIII

XLVIII

XLIX

L

LI

LII

LIII

LIV

LVI

LV

LVII

Impressum

I

Die Frühlingssonne schien blass in einen schmalen Hof zwischen zwei Reihen Garagen und malte einen Lichtfleck auf die schmutziggelbe Hauswand dahinter. Ein gut versteckter Lautsprecher verströmte mystischen Gesang. Auf zwei Brauereibänken und einer Sammlung abgenutzter Stühle saßen ein knappes Dutzend Frauen unterschiedlichen Alters und verschiedenster Herkunft. Manche unterhielten sich gedämpft mit ihrer Sitznachbarin, andere summten leise. Alle warteten.

Eine junge Frau kam eilig die Straße entlang, blieb am Eingang zum Hof stehen und legte etwas in das Körbchen, das dort bereitstand. Sie atmete tief auf, zog das lila Schultertuch enger um sich, dann ging sie langsam zum letzten freien Stuhl ganz hinten. Eine Ältere in der Reihe vor ihr sah sie finster an, wandte sich aber schnell wieder zur Garagenwand um.

Schließlich trat ein schlaksiger Junge mit sandblondem Pferdeschwanz aus dem Durchgang zwischen Haus und Garagen. Ohne einen Blick auf die Versammelten drehte er sich zu der Hauswand und dem hellen Fleck um, hob die Hände und begann zu beten.

An der Wand erschien nach und nach eine Figur, eine Frau, die in rote und blaue Gewänder gehüllt war. Ein Seufzen ging durch die Reihen. Die Stimme des Vorbeters wandelte sich in Gesang. Die Zuschauerinnen summten mit oder murmelten Ave Marias.

Niemand bemerkte Benno Schwertfeger, als er den Hof betrat und auf der Höhe der ersten Garage stehen blieb. Hier also steckte Lukas Sperl, während er eigentlich in der Schule sein sollte. Und was tat er da genau? Wenn das, was er redete, Latein sein sollte, reichte die wohlverdiente Fünf nicht mehr aus, man müsste die Notenskala erweitern.

Die Zuschauerinnen starrten wie hypnotisiert auf das Bild an der Wand, die Hände gefaltet oder in einer Pseudo-Mudra im Schoß. Gemeint war wohl die Jungfrau Maria, auch wenn Benno die originale Plastik, die da reproduziert wurde, nicht identifizieren konnte.

Während Lukas seine unverständliche Zeremonie vollführte, überlegte Benno, wo der Projektor stehen musste. Vielleicht sollte er einfach durch den Lichtstrahl gehen und einen Schatten auf das Andachtsbild werfen. Er richtete sich auf und schritt in die Richtung, die er vermutete.

Als er gerade gegenüber der Wand stand, spürte er einen Ruck, als ob er gegen einen Elektrozaun gelaufen wäre. Für einen Augenblick erschien sein Schatten klein und schwarz auf dem roten Gewand der Madonna an der Garagenwand. Aber er verschwand gleich wieder, und Benno wurde vorwärts gestoßen.

Hinter ihm befand sich niemand.

Offenbar hatte keine der Zuschauerinnen diese Aktion bemerkt. Sie betrachteten die Wand noch genauso andächtig wie vorher. Nur Lukas blickte empört in Bennos Richtung.

Dieser blieb nach dem kleinen Zwischenfall ruhig im Hintergrund stehen und besah sich das Publikum eingehender, fast als hätte er eine Klassenarbeit zu beaufsichtigen. In der Tat saßen einige Schülerinnen auf den Bänken, nicht nur aus seiner Klasse. Aber auch eine Lehrerin. Heiderose Fischer-Bramberg. Kunsterziehung, zugegebenermaßen. Trotzdem. So viel Verstand sollte sie haben, sich von solchen Veranstaltungen fernzuhalten.

* * *

In den nächsten Tagen wartete Lukas nervös, ob der Schwertfeger wieder auftauchen würde. Wenigstens in den Ferien wollte er seine Ruhe vor dem grauen Herrn haben. Was ging den das überhaupt an, was Lukas in seiner Freizeit tat? Wie kostbar die Gespräche mit der Jungfrau waren, würde der sowieso nie verstehen.

Der Lateinlehrer kam nicht mehr zur Garage, und bei seinem Ferienjob im Mühlenlädchen fühlte Lukas sich sicher. Drei Stunden am Tag räumte er dort Regale ein oder klebte Preisschilder auf Mehltüten. Dafür gab es ein bisschen Geld, und niemand störte ihn in seinen Gedanken.

Bis am letzten Freitag in den Osterferien doch der Schwertfeger im Laden stand.

»Hallo Lukas«, sagte er mit dieser Besserwisser-Stimme, wie sie Lehrer im Lauf der Zeit entwickelten. Zum Glück war gerade keine von den Verkaufstussis vorne. Die mussten nicht mithören, wenn es Stress gab.

»Hallo.«

»Deine Mutter hat mir gesagt, dass ich dich hier finden könnte.«

»Aha.«

»Hast du vor, am Montag wieder zum Unterricht zu kommen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Gibt es dafür einen Grund?«

Die Fünf in Latein, du Arsch. »Weiß nicht.«

»Auch wenn es dieses Jahr nach einer Ehrenrunde aussieht, musst du nicht gleich alles hinschmeißen ...«

Lukas ließ ihn reden. Sommerkurs, bla, Nachprüfung, blubb. Beraten sollte er sich lassen. »Jo«, sagte er schließlich. »War’s das, oder wollten Sie noch was kaufen?«

Der Schwertfeger verzog den Mund zu einem fiesen Grinsen. »Was hast du mir denn anzubieten?«

Er schaltete den Verkaufssingsang ein, wie ihn die Tussis immer draufhatten, und schob ihm einen pissgelben Beutel hin. »Dinkelschrot, ideal für die Ernährung nach Hildegard von Bingen. Vier zwanzig das Kilo.«

»Vielen Dank, ich glaube, ich nehme lieber ein Mühlenbrot.« Der Schwertfeger deutete ins Regal, als ob Lukas schwer von Begriff wäre. Er zog den Gummihandschuh über, packte den Laib ein und rechnete drei fünfzig ab.

»Danke schön. Ich hoffe, wir sehen uns am Montag.«

»Fick dich doch ins Knie, Mann«, murmelte Lukas, als die Ladentür wieder geschlossen war.

Hinter ihm im Lager klappte eine Tür und eine hohe Stimme trällerte Wir wollen alle fröhlich sein. So Zeug kannte in diesem Laden nur die Deiling aus der Verwaltung. Was hatte die sich hier unten herumzudrücken und zu lauschen? Bevor Lukas den Job in der Mühle aufgab, würde sie auch noch ihr Fett wegkriegen.

II

Lukas Sperl erschien am folgenden Montag nicht zum Unterricht. Benno hatte nicht viel anderes erwartet. Weitere Versuche, ihn zurück auf den Pfad der Tugend zu bringen, dürften vergeblich sein. Ab jetzt sollte sich die Schulleitung um den Jungen kümmern.

In Erinnerung an das Schattentheater um die Muttergottes von der Garagenwand behielt Benno die Kollegin Fischer-Bramberg im Auge. Sie unternahm jedoch nichts, um Lukas trotz der vielen Fehltage und verhauenen Klassenarbeiten wieder in Gnade zu bringen. Die leidliche Note in Kunsterziehung, die sie ihm geben wollte, wirkte sich nicht auf seinen Erfolg in diesem Schuljahr aus.

Dafür fiel Benno eine andere Sache auf. Fischer-Bramberg lief mit einem Mal in seltsamer Bekleidung umher. Bisher waren es immer auf Figur geschnittene Hosenanzüge oder schlauchartige Kleider gewesen – die ihr sogar standen; dagegen war nichts einzuwenden. Trotzdem stellte sie in der Woche nach den Osterferien auf burnusartige Gewänder um. Über Hosen trug sie faltenreiche Kittel, allenfalls mit einer kleinen Raffung am Busen, die den nicht vorhandenen Bauch zur Geltung brachte. Kleider waren von nun an weit und schienen nur aus Stoffvierecken unterschiedlicher Größe zu bestehen, die mehr oder minder kreativ miteinander vernäht waren. Und sie strahlte, wenn sie durch die Gänge flatterte. Alle, die ihr begegneten, bedachte sie mit einem seligen Lächeln, und wenn niemand in der Nähe war, summte sie falsch, aber fröhlich vor sich hin.

Benno fühlte sich an seine Schwester erinnert, die mehrere solcher Verwandlungen mitgemacht hatte, wenn ein neuer Neffe oder eine neue Nichte ihre Ankunft angekündigt hatten. Ob es wohl anging, den Chef danach zu fragen?

Das erwies sich als unnötig. Am Freitag brachte Fischer-Bramberg eine Dose selbst gebackene Muffins mit ins Lehrerzimmer und verkündete: »Ich bin schwanger!«

Allgemeiner Jubel brach aus, und zwischen Umarmungen und Glückwünschen wollten es auf einmal alle schon gewusst haben.

»Wird auch langsam Zeit«, murmelte die Lateinkollegin Rupprecht.

»Wieso?« Benno war mit dem Privatleben der anderen Lehrer nicht wirklich vertraut.

»Na, die hat doch schon alles Mögliche probiert, Pillen geschluckt, sich operieren lassen. Ich glaube, sie hat sogar eine Wallfahrt nach Lourdes gemacht.«

»Und jetzt hat Unsere Liebe Frau von der Versifften Garage geholfen«, spottete Benno.

»Bitte wer?«

»Lukas Sperl aus dem Dritte-Fremdsprache-Kurs ...«

»Ach, bei dir ist er gelandet. Aber immer noch nicht in die Puschen gekommen, oder wie?«

»So ist es. Er schwänzt eigentlich nur noch, und so wird das halt nichts mit dem Theologiestudium.«

»Was, Theologie? Der? Bei der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters?«

Benno schüttelte den Kopf. »Nein, ganz brav bei den Katholiken, mit Zölibat und allem.«

»Dass er bei den Mädels besonderen Erfolg hat, kann man wirklich nicht behaupten. Aber was hat das mit der Fischer-Bramberg und ihrer Schwangerschaft zu tun?«

Immerhin mutmaßte sie jetzt nicht, Lukas hätte sich mit der Kunst-Kollegin vergessen oder ähnlichen Blödsinn. »Lukas glaubt, dass er einen besonderen Draht zum Himmel hat, und einen noch besseren zur Jungfrau Maria«, erwiderte Benno. »Seit es in der Schule nicht mehr so gut für ihn läuft, hat er daraus seine Geschäftsidee gemacht. Er projiziert ein Bild von der Muttergottes an eine Garagenwand hinten in der Siedlung und spielt Gottesdienst.«

»Und da findet er Publikum?«

Benno nickte. »Allerhand ältere Frauen mit Migrationshintergrund – Ost- und Südosteuropa, meine ich –, ein paar Mädels im richtigen Alter, und eben auch die Kollegin Fischer-Bramberg.«

Die Rupprecht schaute ihn zweifelnd an. »Hast du sonst nichts zu tun, als die zu beobachten?«

»So prinzipiell ist er ja schon noch mein Schüler.«

»Stimmt auch wieder. Liegt den wenigstens ordentlich was im Klingelbeutel?«

»Ich habe nicht nachgezählt, aber es sah recht gut aus. Auf jeden Fall ist es weniger Arbeit als der Ferienjob in der Neuen Klostermühle.«

III

Der letzte Akkord der Harfe verklang. Die Zuhörer applaudierten, Lisa Deiling stand auf und verbeugte sich. Fotoapparate blitzten aus allen Richtungen. Ehe sie sich versah, hatte sie ein Glas Sekt in der Hand.

Vroni stieß mit ihr an: »Auf deinen Erfolg als Künstlerin!«

»Auf meine tapferen Unterstützer«, erwiderte Lisa.

Vroni hatte ihr am Tag zuvor geholfen, ein gutes Dutzend ihrer Textilbilder in diesem Saal im Haus der Kirche aufzuhängen.

»Da meinst du doch bestimmt den Hausmeister«, sagte Vroni. »So schöne Löcher in den Tag gucken kann sonst niemand.«

Lisa lachte leise. Aber eigentlich war sie mit ihren Gedanken und Sinnen woanders. Ein schlanker Rücken im silbergrauen Pullover verließ zielstrebig den Saal. Benno hatte es offenbar eilig, zum Organistenkonvent zu kommen und keine Zeit, einen Sekt zu trinken oder gar mit Lisa zu plaudern. Als ob sie nichts miteinander zu tun hätten.

»Auf unsere Starsopranistin«, dröhnte dafür Gerhard Meier, Tenor in ihrem Kirchenchor und Einkaufssachbearbeiter in der Mühle.

»Sie haben gar nichts davon gesagt, dass Sie zum Chortag kommen«, ergänzte seine Frau ein wenig spitz.

Lisa fing sich schnell wieder und spulte ihre vorbereitete Ausrede ab. »In den letzten Jahren war die Resonanz ja immer sehr verhalten. Wir haben viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt, und wenn es so weit war, wollte niemand mehr mitfahren.«

»Da haben Sie allerdings recht«, gab Frau Meier zu. »Nehmen Sie auch an einem Workshop teil?«

»Nein, ich bleibe hier und präsentiere meine Arbeiten.«

Frau Meier ließ den Blick kurz über die von Blau nach Rot sortierten Bilder wandern. »Dann wünsche ich viel Erfolg. Wir gehen jetzt zu Edith, Madrigale singen.« Sie begann, ihren Mann in die gewünschte Richtung zu schieben.

»Viel Spaß«, erwiderte Lisa.

Sie schaute den beiden hinterher, aber eigentlich meinte sie nicht das Ehepaar Meier. Sie meinte Benno. Für ihn hatte sie sich die neue Haarfarbe Kupferrot zugelegt und passend dazu die meergrüne Tunika und den Bronzeschmuck herausgeholt. Aber der Herr Studienrat schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Für eine Schülerin war das vielleicht ein angenehmer Zustand, für Lisa nicht.

»Soll ich jetzt schon was abtransportieren?«, fragte Vroni und holte sie in die Gegenwart zurück.

Sie schüttelte die Gedanken an Benno ab; mit denen konnte sie sich im weiteren Verlauf des Tages noch lange genug beschäftigen. »Die Harfe«, sagte sie. »Ich glaube, es kommt nicht gut, wenn ich hier Hintergrundmusik mache. Die Tischdeko vielleicht.«

Die beiden machten sich ans Aufräumen und verstauten das, was nicht mehr gebraucht wurde, in Vronis Auto. Als sie auch den quadratischen Tisch an seinen angestammten Platz zurückgebracht hatten, kam der Hausmeister in den Saal. »Soll ich Ihnen helfen, den Tisch rübertragen?«

»Der steht schon da, wo wir ihn geholt haben«, erklärte Lisa.

Der junge Mann schaute verwirrt hin und her. »Ach so«, stellte er dann fest, »da brauche ich ja gar nix zu machen.«

Er ging wieder.

Lisa war allein, mindestens bis zur Mittagspause, wenn sich nicht zufällig Passanten von der Straße hereinverirrten und Interesse für ihre Bilder zeigten. Die Chorsänger sangen, die Organisten orgelten. Die Aufmerksamkeit, die sie sich davon erhofft hatte, die Eröffnung ihrer Ausstellung mit dem Kirchenmusiktag zusammenzulegen, blieb aus.

Aber Lisa hatte vorgebaut und etwas zum Lesen mitgebracht. Ein Buch, das ihr helfen sollte, mit ihrem aktuellen Problem weiterzukommen.

In allen Ratgebern zum Thema stand, man sollte sich Ziele setzen und einen Zeitpunkt bestimmen, zu dem man sie erreicht haben wollte. Der Beginn eines neuen Schuljahrs schien ihr dafür ein geeigneter Anlass. Bis zu den nächsten Sommerferien konnte sie noch warten. Dann wollte sie Frau Schwertfeger werden.

Die meisten Bücher verrieten ihr nichts Neues. Sie achtete auf ihr Äußeres und glaubte, die richtige Mischung zwischen professionell und attraktiv gefunden zu haben. Zu dick durfte sie nicht auftragen, sonst kam Gerhard Meier auf noch mehr Ideen.

Das Cover ihres neuesten, hoffentlich hilfreicheren Ratgebers glänzte mystisch dunkelblau, darauf eine halb abgewandte Frau, die kleine rosa Herzen von ihrer Hand zu einer weißen Mondsichel blies. Die Liebeszauber der Hexen stand in verschnörkelten Buchstaben darauf.

Mit Magie konnte Lisa nicht viel anfangen. Sie nannte es lieber Spiritualität. Letzten Endes waren die psychologischen Grundlagen dieselben wie in den anderen Ratgebern, nur mit mehr Action und Spaßfaktor. Ihren Bildern und ihrer Musik taten solche mit Ritualen verbundenen Meditationen jedenfalls gut.

Diesem Buch zufolge musste eine anständige Hexe unbedingt eine Badewanne zu Hause haben, denn für jeden Zauber wurde zur Vorbereitung ein Vollbad mit einem passend parfümierten Zusatz empfohlen. Ein Duschbad wirkte mit Sicherheit nicht richtig.

Außerdem brauchte sie einen »Ort, den du mit deinem Liebsten in Verbindung bringst«. Das war leicht, die Kirche. Das Hexenbuch schlug außer dem obligatorischen Platz in der Natur auch das Büro, ein Fitness-Studio oder einen Club vor. Viel ungeeigneter als das konnte eine Kirche auch nicht sein.

Jetzt musste sie nur noch einen passenden Zauber auswählen. Sie blätterte fahrig hin und her.

Bevor sie sich entschieden hatte, entdeckte sie das Kapitel »So schützt du dich vor unerwünschter Aufmerksamkeit«. Vielleicht sollte sie das einmal an Gerhard Meier ausprobieren. Wenn es klappte, konnte sie sich mit mehr Hoffnung an das Projekt Benno Schwertfeger machen. Ein guter Termin für ihr eigentliches Vorhaben wäre Anfang August. Bis dahin hätte der Test bestimmt ein Ergebnis gebracht, wenn er etwas taugte. Leise summend las Lisa sich die Arbeitsanweisungen durch und schrieb ihren Einkaufszettel.

Publikum kam in diesen Stunden tatsächlich keins. Lisa ging vor ihren Bildern auf und ab, erinnerte sich an die Situationen und Stimmungen, in denen die Werke entstanden waren. Immer stand irgendwo Benno Schwertfeger im Hintergrund.

Außer bei einem Motiv, das sich von den anderen deutlich unterschied. Es war bei einem Spaziergang im Grünen Band zu ihr gekommen, als sie wie gewohnt einen großen Bogen um das Kriegerdenkmal machte. Das Bild war sehr gegenständlich geworden. Ein weißer Hase saß unter einem Vogelbeerstrauch bei einem Steinkreis. Die Steine sahen neu aus und zeigten verschlungene Muster. Rechts hing wie die Mondscheibe eine bemalte, mit Federn und Perlen verzierte Schamanentrommel. Der Hintergrund leuchtete orange und war mit kräftigen dunklen Linien abgesetzt. Lisa fragte sich noch immer, was es bedeuten sollte. Aber das Bild war so deutlich gewesen, als sie von ihrem Spaziergang zurückkehrte, es ließ sich leicht mit allen Details zeichnen und ausarbeiten. Also hatte sie es fertiggestellt und mit zur Ausstellung gebracht.

»Hm, Hase«, sagte sie. »Das hättest du wohl nicht gedacht, dass sich keine Wutz für dich interessiert. Dabei bist du richtig hübsch geworden. Du hast bestimmt noch eine spannende Reise vor dir.«

Gegen Mittag drifteten die Kolleginnen und Kollegen vorbei, um sich ein belegtes Brötchen und den nötigen Kaffee zu holen. Wenn jemand Lisa ansprach, dann auf ihren Chor. Sie gab immer die gleichen nichtssagenden Antworten, die Leute gingen schnell wieder zu den Themen des Musiktags über.

Benno ließ sich in der Mittagspause nicht sehen.

Lisa verbuchte den Tag als Fehlschlag. Immerhin hatte sie jetzt einen Plan, der ihr durchführbar und erfolgversprechend erschien.

Sie überlegte nur, ob sie den Testzauber nicht lieber im Büro in der Mühle durchführen sollte. Da gab es schließlich keine Kräfte, die ihm entgegenwirkten. Nur neugierige Kollegen. Aber die fürchtete Lisa mehr als himmlisches Eingreifen. Im Gegenteil, das könnte sogar nützlich sein. In der Kirche fiel es außerdem nicht auf, wenn Kerzen herumstanden, Blumen, Zweige, Schleifchen, ungelenk gezeichnete Bilder irgendwo lagen. Ein Ritual war eben ein Ritual, ganz gleich, wer es ausführte und warum.

Sie stellte sich den Kirchenraum vor und darin den Chor, wie er sich bei den Proben aufbaute. Dort drüben stand der Tenor, Gerhard Meier immer an vorderster Front. Schließlich wollte er gut zur Geltung kommen. Dementsprechend musste Lisa ihr Schild in der ersten Bankreihe links platzieren.

In den nächsten Tagen probierte sie, sorgfältig wie damals in der Grundschule, unsichtbare Tinten aus. Zitronensaft funktionierte, das wusste sie noch. Im Internet fand sie auch Essig und Milch als Tipp. Man sollte das Geschriebene wieder lesen können, wenn man es erwärmte. Der Saft tat auf Anhieb, was sie von ihm erwartete. Lisa presste eine halbe Zitrone aus, tauchte die Feder hinein und schrieb: »Lieber Benno«.

Dann brach sie ab. Das sollte da nicht stehen. Das brauchte auch niemand zu lesen, weder mit Geheimtinte noch ohne. So weit war sie noch nicht. Sie hielt das Papier dicht unter die Schreibtischlampe. Und da stand es, braun auf weiß: »Lieber Benno«.

Sie zerriss das Blatt in viele kleine Fetzen.

Stattdessen brauchte sie einen anderen Spruch, den sie jetzt erfinden musste. »Gerhard Meier, siehe, dies ist deine Frau Sonja, die dir von Gott anvertraut wurde.« Lisa kam nicht oft zu Trauungen, aber irgendwie so hieß das doch.

Es klang ihr nur zu lieb. »Gerhard Meier, du sollst nicht ehebrechen.« Das ging schon mehr in die Richtung. Laut ihrem Buch konnte sie noch ein paar Flüche anhängen. Sie entschied sich für: »Mögen dir alle Haare ausfallen.« Das war nicht lebensgefährlich, tat nicht weh, traf aber das Opfer an einer empfindlichen Stelle. Kichernd formulierte sie den Satz aus.

Dann zündete sie die fünf Kerzen an, legte Edelsteine bereit und räucherte mit Salbei. Nach einer kurzen Meditation mit passendem Gesang nahm sie das blütenweiße Blatt Papier und ihre Glasfeder, tauchte sie in den Zitronensaft und schrieb, so schön sie konnte, ohne das Ergebnis zu sehen, den vorbereiteten Spruch ab.

Am liebsten hätte sie ihn noch einmal durchgelesen, aber das ging natürlich nicht. Sie schloss die Augen und ließ die Energie ausstrahlen in Richtung Gerhard Meier.

Vor der Chorprobe am Mittwoch steckte sie den Brief zu ihren Noten und packte auch einen kleinen Edelstein mit in die Tasche. Sie beeilte sich, um rechtzeitig vor dem Chor in der Kirche einzutreffen.

Dort legte sie ihr Schreiben auf erste Bank links, rückte noch ein paarmal daran herum, bis sie glaubte, dass es richtig lag. Dann nahm sie den Edelstein heraus, hielt ihn zwischen beiden Händen und konzentrierte sich auf das Ritual, das sie vor kurzem mit dem Stein durchgeführt hatte. Als sie die Energie von jenem Abend wieder spürte, legte sie den Stein auf das Blatt.

Sie trat einen Schritt zurück. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, der Pfarrer kam herein. Er sang mehr aus Pflichtbewusstsein im Chor als wegen seiner guten Stimme, aber im Bass füllte er auf und störte nicht.

»Nabend, Frau Deiling. Sonst noch keiner da? Wollen die alle Fußball gucken?«

Darauf war sie noch gar nicht gefasst. Sie musste erst die Energie in die richtige Richtung lenken. »Läuft da überhaupt noch was? Dann machen wir eben eine Stimmprobe mit Sopran und Alt«, sagte ihr Mund, während sie über die feinen Lichtfäden staunte, die von dem Edelstein ausgingen.

Der Pfarrer schien das nicht zu bemerken. Er holte Notenpulte und Mappen aus der Sakristei, stellte das E-Piano zurecht.

Lisa musste sich sputen und normale Dinge tun. Zum Beispiel ihre Noten auf dem Instrument aufbauen. Dabei hatte sie noch gar nicht richtig überlegt, was sie heute Abend machen wollte. Wenn die Männer wirklich so dünn besetzt waren, konnte sie die vierstimmigen Sätze wohl streichen.

Dann nutzte außerdem ihr ganzer schöner Zauber nichts. Gehörte Gerhard Meier zu denen, die unbedingt wissen mussten, was in der Sportwelt los war? Sie schüttelte den Kopf. So weit sie sich erinnern konnte, war er zu jeder Probe da gewesen. Seinen Berichten nach lockten ihn am ehesten Formel-1-Rennen, und die liefen oft sonntags nachmittags.

* * *

Auf ihrem Schreibtisch in der Neuen Klostermühle legte Lisa einen Notizblock bereit und wartete auf anzügliche Bemerkungen von Gerhard Meier. Vergebens. Zwei Wochen lang ließ er nicht einen unangenehmen Spruch fallen, weder zu Mitarbeiterinnen in der Mühle noch zu den Sängerinnen im Kirchenchor. Dann konnte Lisa ihren Testzauber wohl als Erfolg ansehen. Jetzt war es Zeit, den eigentlichen Plan in die Tat umzusetzen.

IV

Zur nächsten Chorprobe schleppte sie einen Rucksack voll Material mit. Nachdem alle Sänger samt dem Pfarrer gegangen waren, kehrte sie in die Kirche zurück und stieg, das Buch mit den Liebeszaubern in Griffweite, zur Orgelempore hinauf. Nur gut, dass Benno den Zweitschlüssel anscheinend völlig vergessen hatte, um den sie ihn vor langer Zeit einmal gebeten hatte. Hier oben konnte keiner aus Versehen in den Kreis stolpern. Außer Benno hatte hier niemand etwas zu suchen. Darauf wies Zettel an der Tür mit »Vade retro!« in 36-Punkt-Schrift deutlich hin.

Lisa sprengte mit einem Birkenzweig Wasser auf die Kreislinie, die sie sich vorstellte. Zwischen dem Spieltisch, der Balustrade und den Säulen, auf denen die Pfeifen standen, war das nicht ganz einfach. Dann stellte sie fünf rote Kerzen auf; die Anordnung erinnerte sie vage an einen Adventskranz. Als alle brannten, legte sie ein Foto von Benno in die Mitte.

Auf diesem Bild fand sie ihn sogar fast attraktiv. Es war das Zeitungsfoto von einem Orgelkonzert aus dem letzten Advent. Benno trug eine blaugrüne Seidenweste und strahlte stolz in die Kamera. Das wirkte gleich ganz anders als sein alltägliches Grau zum strengen Lateinlehrer-Gesicht.

Lisa setzte sich außerhalb des Kreises zurecht und betrachtete das Bild. Sie stellte sich vor, wie Benno die Treppe heraufkam und zielstrebig auf die Orgelbank zuging. Dabei trat er in den Kreis, und die Fäden magischer Energie fingen ihn ein. Sie spürte das Knistern an ihren Händen. Damit würde sie ihn zu sich ziehen.

Sie ließ ihn eine Weile mitten im Kreis stehen und umspann ihn immer enger mit den Strahlen aus blauem Licht, die von ihren Fingern ausgingen. Dann fühlte sie die Wärme, die sein Körper ausstrahlte und die durch die Fäden zu ihr hinfloss. So dürfte es weitergehen. Aber sie spürte bald, dass ihre Kraft nachließ. Sie konnte nicht mehr denken, die Konzentration nicht mehr aufrechterhalten, die sie brauchte, um die Energie zu lenken und Benno im Kreis festzuhalten.

Sie stellte sich vor, wie das Licht sich von ihren Fingern löste und endgültig das Netz um Benno schloss. Das Bild verglomm vor ihren Augen.

Erschrocken sah sie auf, als das real existierende Foto in der Mitte des Kreises zu qualmen und zu stinken begann. Sie warf einen schnellen Blick auf die Kerzen, die alle ruhig brannten. Dennoch blies Lisa sie hastig aus und spuckte dann auf die Ränder des Zeitungsausschnitts, die sich schon braun färbten.

»Was soll das?«, fragte sie laut.

Sie glaubte fast, als Antwort leises Gelächter zu hören. Sie stand auf und schritt den Kreis in die Gegenrichtung ab. Etwas öffnete sich.

Lisa fuhr herum, als sie hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Oder hatte sie sich doch getäuscht? Jedenfalls sah sie jetzt niemanden dort. Sie sammelte ihr Material ein und warf einen letzten prüfenden Blick auf den Boden. Keine Spuren mehr vorhanden. Damit ging sie die Treppe hinunter, ohne sich noch einmal umzuschauen. Laut Hexenbuch war das sehr wichtig. Um sich abzulenken, summte sie Wicki und die starken Männer vor sich hin.

Trotzdem ließ sie sich auf dem Weg nach unten und nach draußen viel Zeit. Sie wusste selbst nicht, worauf sie wartete. Einen Blitz? Das plötzliche Erscheinen von Benno? Aber da war ja noch dieser Karton mit Chorheften, der in der Sakristei stehen sollte. Den würde sie suchen. Dann hätte sie jedenfalls eine Ausrede, falls jemand noch Licht in der Kirche sah. Oder so ähnlich.

* * *

Haniel hob den Kopf, als hätte er aus der Ferne ein Geräusch gehört. War da etwa ein Dämon auf die Erde gelangt? Wie hatte er das fertiggebracht? Aber noch wichtiger war die Frage: Wo steckte er jetzt und was hatte er vor?

Haniel hob sein Schwert und ließ es im Licht des Himmels funkeln. Damit würde er den Gegner niederstrecken. Die Kerle fürchteten den Himmelsstahl.

Er öffnete seine Sinne, um jedes Lebenszeichen eines Höllenwesens wahrzunehmen. Es traf ihn wie ein Schlag. Der Dämon steckte in einer Kirche.

Ein mächtiges Wesen, aber Haniel war sicher, dass er ihn besiegen konnte, und ganz bestimmt an diesem, für den Gegner nachteiligen Schauplatz. Haniel suchte sich einen Weg in die Kirche.

* * *

Kolar bog die federnde Klinge seines Schwertes. Ausgerechnet Haniel war sein Gegner. Bei all den vielen unfähigen Schlappschwänzen, die die Gegenseite aufbieten konnte, war einer der Wenigen hier aufgekreuzt, die wussten, wie man eine Waffe richtig hielt. Am Ende würde Kolar sich tatsächlich anstrengen müssen.

Er wippte in den Knien und schlug ein paar klassische Hiebe, um dem anderen zu zeigen, dass er das Handwerk beherrschte. Aber der Engel stand einfach nur da, auf sein langes, breites Schwert gestützt, und grinste.

Kolar stieß mit einem Ausfallschritt zu. Haniel bewegte seine Klinge eine Winzigkeit zur Seite. Das genügte, um den Schlag abzuwehren. Schon stand er wieder ruhig wie ein Denkmal, noch immer grinsend. Kolar hatte gute Lust, es ebenso zu machen wie der Engel, einfach abzuwarten. Aber der Raum kämpfte gegen ihn. Er konnte hier einen Fuß auf den Boden bekommen, wenn er den Engel besiegte. Das sollte der Auftakt zu einer Eroberung werden, die ihm und seinen Gefährten viel bedeutete.

Kolar setzte nach, zielte auf Haniels Knie. Der trat ungerührt einen Schritt beiseite und schlug Kolar die Breitseite seines Schwertes quer über den Rücken. Der rollte sich ab – und sogleich wieder zurück, um den Gegner endlich von den Beinen zu holen, aber der stieg ganz geruhsam über ihn hinweg.

Haniel hob sein Schwert und setzte zu einem vernichtenden Hieb an. Da erscholl ein markerschütternder Schrei. Der Engel fuhr herum, um zu sehen, wem er helfen könnte.

Nur für einen Augenblick, aber der genügte Kolar, um seinem Gegner das Schwert in den Rücken zu rammen. Ein paar weiße Federn fielen zu Boden, als er sich auflöste.

Kolar ließ sie liegen. Gewiss konnten die Menschen damit etwas anfangen.

* * *

Lisa starrte entsetzt zur Orgelempore hinauf. Dort waren zwei Männer, keiner davon Benno, und einer hatte ein Schwert. Das hob er jetzt hoch über den Kopf, als wollte er den anderen mitten entzweischlagen. Lisa schrie.

Der Mann mit dem Schwert drehte sich zu ihr um und brach zusammen. Höhnisches Gelächter erfüllte den Kirchenraum. Eine weiße Feder segelte von der Empore. Dann war niemand mehr zu sehen.

Lisa lauschte. Die Bodendielen der Empore knarzten bei jedem Schritt, den jemand dort oben tat. Also ...

Aber sie hörte nichts.

Sie kniff sich in den Arm. Vielleicht hatte sie sich alles nur eingebildet? Aber es hatte so echt ausgesehen, viel echter als im Fernsehen.

Sie fingerte nach ihrem Handy, überzeugte sich, dass es geladen und eingeschaltet war. Dann duckte sie sich zwischen die Bänke links vom Altar. Von dort aus konnte sie die Tür zur Sakristei und damit den Aufgang zur Orgel im Auge behalten.

Die Tür blieb geschlossen.

Sie zählte bis zehn und noch einmal bis zehn. Dann verließ sie ihr unbequemes Versteck und trat einen Schritt näher. »Ist da wer?«, fragte sie unsicher, und bekam natürlich keine Antwort. »Benno?«, rief sie sicherheitshalber. Aber der war erst recht nicht hier. Hatte sie am Ende doch geträumt? Aber wo kamen dann die Federn her? Irgendwo war eine Scheibe kaputt, vielleicht hatte sich eine Taube hereinverirrt. So spät am Abend?

Sie schüttelte den Kopf, schaute sich noch einmal aufmerksam um, entdeckte aber nichts Verdächtiges. Wie ferngesteuert hob sie die Feder vor dem Altar auf. Dann ging sie zum Ausgang und wurde das Gefühl nicht los, dass ihr jemand folgte, sehr dicht hinter ihr. Sie schnaubte und riss sich zusammen.

---ENDE DER LESEPROBE---