Der Jahrmarkt zu Jakobi - Susanne Bonn - E-Book
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Der Jahrmarkt zu Jakobi E-Book

Susanne Bonn

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Beschreibung

Ein brutaler Mord vor der schillernden Kulisse des Mittelalters: „Der Jahrmarkt zu Jakobi“ von Susanne Bonn jetzt als eBook bei dotbooks. Lindenfels in der Kurpfalz, 1338: Zum Festtag des Heiligen Jakobus kommen jedes Jahr zahlreiche Händler und Gaukler in das kleine Städtchen im Odenwald. Auch die Spielleute rund um die geschäftstüchtige Alheit nutzen die Gelegenheit – die Geldkatzen sind prall gefüllt. Doch als Gaukler Hardo eines Morgens tot aufgefunden wird, sind Alheit und ihre Freunde entsetzt – alle anderen interessiert die grausige Bluttat jedoch nicht. Fest entschlossen, den Mord an Hardo nicht ungesühnt zu lassen, machen sie sich selbst auf die gefährliche Suche nach dem Täter und geraten dabei in Machenschaften, die weitreichender sind, als sie ahnen können … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Kriminalroman „Der Jahrmarkt zu Jakobi“ von Susanne Bonn. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 420

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Über dieses Buch:

Lindenfels in der Kurpfalz, 1338: Zum Festtag des Heiligen Jakobus kommen jedes Jahr zahlreiche Händler und Gaukler in das kleine Städtchen im Odenwald. Auch die Spielleute rund um die geschäftstüchtige Alheit nutzen die Gelegenheit – die Geldkatzen sind prall gefüllt. Doch als Gaukler Hardo eines Morgens tot aufgefunden wird, sind Alheit und ihre Freunde entsetzt – alle anderen interessiert die grausige Bluttat jedoch nicht. Fest entschlossen, den Mord an Hardo nicht ungesühnt zu lassen, machen sie sich selbst auf die gefährliche Suche nach dem Täter und geraten dabei in Machenschaften, die weitreichender sind, als sie ahnen können …

Über die Autorin:

Susanne Bonn, geboren 1967, lebt im Odenwald. Sie übersetzt Spiele und Bücher zum Thema Freizeitgestaltung und schreibt Historisches und Fantastisches. Der Jahrmarkt zu Jakobi ist ihr erster Roman.

Die Autorin im Internet: www.sbonn.de

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 2008 Gmeiner-Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von thinkstock/Photos.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-95824-684-3

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Susanne Bonn

Der Jahrmarkt zu Jakobi

Roman

dotbooks.

Prolog

Sankt Veits Tag

KONRAD VON WINSTEIN erhob sich langsam von seinem Lager. Jede Bewegung fiel ihm schwer. Vielleicht war das noch ein Rest der gestrigen Schwäche.

Am vergangenen Tag hatten sie den Vormittag vergeudet, weil immer wieder einer vom Pferd steigen musste, um sich zu entleeren. Als sie um die Mittagszeit die Stadt Lohr erreichten, hatte Konrad entschieden, dass sie eine Herberge suchen und bis zum anderen Morgen rasten sollten. Zu Schiff, wie er es vorgehabt hatte, kamen sie nicht weiter, denn der Main führte um diese Jahreszeit zu wenig Wasser. Aber nach einer erholsamen Nacht würden sie es auch zu Pferd schaffen. Wenn sie nicht dem Fluss folgten, sondern geradewegs nach Südwesten ritten, konnten sie die verlorene Zeit wettmachen und Miltenberg gegen Abend erreichen.

Neben ihm saß Ulrich und nestelte unentschlossen an seiner Kleidung. Dabei sollte er sich bereits nach dem Frühstück umsehen.

»Gott grüße dich«, sagte Konrad. »Hat der Wirt schon etwas zu essen für uns?«

»Ich weiß nicht, Herr«, murmelte Ulrich.

»Dann geh und schau nach!«, befahl Konrad. »Von deinem gedörrten Zeug will ich nichts mehr essen.«

Abwesend sah Ulrich auf. »Glaubt Ihr, das hat uns gestern so mitgenommen?« Er sprach schleppend, als ob er getrunken hätte.

Konrad nickte. »Ganz sicher. Und bevor wir aufbrechen, wirfst du alles in den Abort.«

»Aber Herr, Ihr wisst doch gar nicht, was ...«

»Ich möchte nicht noch mehr Tage wie gestern erleben, bis wir herausfinden, ob nun Fleisch, Fisch, Pilze, Beeren oder Obst verdorben waren«, erwiderte Konrad. »Wir decken uns hier mit Brot und Rauchfleisch für einen Tag ein, und heute Abend sind wir, so Gott will, in Miltenberg.«

Ulrich nickte bedrückt, blieb aber auf seiner Decke sitzen.

Insgeheim fühlte sich Konrad weniger sicher, als er vorgab. Natürlich war der Weg durch den Spessart kürzer und die Gegend war nicht völlig verlassen. Wenn sie an diesem Tag nicht bis nach Miltenberg gelangten, würden sie in Altenbuch ein Quartier, ein warmes Essen und neue Vorräte für den letzten Teil der Reise bekommen.

Aber Ulrich wirkte noch recht mitgenommen. Was, wenn die Krankheit nicht vorüber war? Wenn sie heute wieder nicht vorankamen? Niemand würde sie je finden.

»He, Anselm, was ist mit dir?«, rief Konrad seinen zweiten Knappen an. »Hast du noch nicht ausgeschlafen?«

Anselm lag, in seinen Mantel gerollt, auf der anderen Seite des Bettes und machte keine Anstalten aufzustehen. Konrad stieß ihn an. Da erst lockerte sich das Bündel, der Mann richtete sich auf und öffnete die Augen. Er murmelte etwas Unverständliches.

Im Sitzen schüttelte er den Kopf und riss noch einmal wie mit Gewalt die Augen auf.

Der zweite Versuch zu sprechen gelang besser. »Verzeiht, Herr.« Mühsam stand er auf und ging schwankend in Richtung Abort.

Konrad kniff die Augen zusammen und betrachtete seine beiden Knappen genauer. War Anselms Gesicht wirklich gelb verfärbt, oder schien es nur so?

»Fällt dir an mir etwas auf?«, fragte er Ulrich.

Der schüttelte den Kopf. »Was sollte es denn sein, Herr?«

»Sieh dir Anselm an, wenn er wiederkommt.«

Aber Ulrich sagte nichts, als Anselm sich zu ihnen gesellte. Vielleicht hatte sich Konrad doch getäuscht.

Ulrich nahm den Weinschlauch auf, dann gingen sie zu dritt in die Küche. Der Wirt machte sich bereits am Feuer zu schaffen.

»Dauert nicht mehr lang«, sagte er statt einer Begrüßung. »Haferbrei ist gut für den inneren Menschen.« Dabei rieb er sich grinsend den Bauch.

»Spotte nicht, Wirt«, erwiderte Konrad. »Sag uns lieber, wo wir gutes Brot und Rauchfleisch bekommen.«

»Oh, da weiß ich euch einen. Mein Junge kann deinen Mann nachher hinführen.«

Konrad und seine beiden Begleiter setzten sich an den langen Tisch. Ulrich schenkte jedem einen Becher Wein ein und holte dann die Schüssel mit dem Haferbrei. Für Konrad füllte er einen eigenen Teller, Anselm und er aßen aus der Schüssel. Verstohlen beobachtete Konrad die beiden. Sie aßen nicht viel, tranken aber umso mehr. Das schien ihm ein gutes Zeichen.

Als sie fast fertig waren, trat der vierte Übernachtungsgast ein. Seinem langen, vielfarbigen Überkleid nach mochte er ein Spielmann sein, der vor einiger Zeit einem hohen Herrn zu Gefallen gespielt hatte. Er grüßte bescheiden und setzte sich neben Anselm.

Nach der Mahlzeit zog Ulrich los, um neuen Proviant zu kaufen. Anselm sattelte inzwischen die Pferde.

Konrad kehrte in die Stube zurück und untersuchte das Gepäck. Nein, der fremde Fahrende hatte ihre Schwäche nicht ausgenutzt. Das Reisegeld und die anderen Kostbarkeiten waren noch vorhanden. Auch der Pilgerbrief, der ihn allen Häusern des Deutschen Ordens empfahl, und selbst der Bernsteinschmuck, den er Jutta schenken wollte. Er stellte sich vor, wie die Fibeln, Armreife und Ringe, die Haubennadeln an seiner Braut aussehen würden, und lächelte in sich hinein.

Zu Kilian würden sie heiraten. Das war ein guter Tag, um zu feiern. Danach hatte er Zeit genug, um mit seiner jungen Frau über Land zu ziehen und rechtzeitig, bevor der Herbst oder gar das Eis kam, wieder in Preußen einzutreffen.

Noch ein glücklicher Winter wie der vergangene – drei Dörfer hatte er ihm eingebracht –, dann war er nicht mehr einer von vielen möglichen Erben auf einer engen Burg, sondern ein Herr im eigenen Recht. Insgeheim freute er sich darauf, seinem Bruder und den anderen Gemeinern{i} gegenüberzutreten, im neuen Samtrock, und die Geschenke auszubreiten, die er für sie mitgebracht hatte.

Konrad schrak auf, als Ulrich zu ihm trat. »Die Pferde sind bereit, Herr.«

War er wieder eingeschlafen? Im Sattel, draußen unter freiem Himmel, würde die Müdigkeit verfliegen. Anselm und Ulrich trugen ihre Bündel hinaus in den Stall und beluden die Pferde. Schließlich saßen sie auf und ritten zur Stadt hinaus. Konrad hatte noch immer das Gefühl, dass er sich viel langsamer bewegte als sonst. Doch er trabte seinen Leuten voran, nach Südwesten in den Wald hinein.

Sankt Christinen Tag

1

AM VORABEND DES JAKOBIMARKTES 1338 lief allerlei Volk in Lindenfels zusammen. Damit hatte Alheit gerechnet, deshalb war sie hier mit ihrer kleinen Schar. Sie machte sich sogar Hoffnungen, dass die Herren Pfalzgrafen selbst in der Stadt sein könnten.

Aber großer Zulauf hatte auch seine Nachteile. Vor dem Fürther Tor, auf der steilen Straße von Ellenbach herauf, warteten große und kleine Händler mit ihren Waren, bis man sie einließ.

Am Tor standen zwei gerüstete Wächter, um die Hereindrängenden aufzuhalten, und ein in schlichtes Blau gekleideter Mann, der neben den Bewaffneten fast zierlich wirkte. Ernst und wortkarg wickelte er seine Geschäfte mit den Händlern ab.

Dennoch brauchte der Einlass seine Zeit. Schwere Wagen anzuhalten und bergan wieder in Bewegung zu setzen, war nicht einfach. Die Umstehenden legten Keile unter die Räder oder halfen beim Anschieben.

Endlich hatte der Händler, dessen mit Fässern und Ballen beladener Planwagen vor Alheit und ihrer Gesellschaft stand, seinen Zoll bezahlt und zog weiter.

Alheit schritt durch das Tor. »Wir sind Spielleute«, versuchte sie zu erklären, doch der Zolleinnehmer in seiner blauen Cotte{ii} beachtete sie nicht. Dafür winkte er Franz, die Kiepe abzusetzen.

Jedes einzelne Bündel mussten sie öffnen, die Laute, die Flöten und die Schalmei auspacken, den Deckel der Drehleier aufklappen. Dann erst war der Zolleinnehmer überzeugt, dass sie nichts mitbrachten, was sie verkaufen wollten. Er winkte ihnen, weiterzugehen.

Doch sie hielten sich in der Nähe, denn nun folgten Baldwin und Hardo mit dem Marschgepäck und ihren Waffen auf dem Handkarren. Baldwin zog den Karren. Schwer atmend blieb er vor den Wächtern stehen und kramte in seiner Ladung.

Die Wächter schnappten fast gleichzeitig nach Luft, der Mann in Blau beugte sich vor, als die Schwerter zum Vorschein kamen.

Doch bevor jemand etwas sagen konnte, hatte Baldwin wieder genug Luft für eine Erklärung: »Wir sind Klopffechter, Herr.«

Er zog ein Schwert aus dem Bündel und reichte es einem der Wächter. »Hier habt ihr unser Handwerkszeug. Wollt selbst sehen, dass es keine Gefahr damit hat.«

Der Mann in der blauen Cotte nahm dem Wächter das Schwert aus der Hand und besah es genau. Die Spitze war gerundet, die Schneiden so breit wie ein kräftiger Bindfaden. Er nickte. »Besser, wenn so was nicht scharf ist.« Er untersuchte auch die anderen stumpfen Schwerter.

Er würde die beiden doch nicht wegschicken? Alheit trat zu ihm und fragte: »Was gibt es?«

Die Wächter beachteten sie nicht.

Hardo, noch immer rot im Gesicht vom Karren schieben, zog eine Grimasse. »Der Herr Pater meldet unsere Waffen an. Das dauert immer so lange.«

»So gehört sich das aber«, sagte Alheit.

Schließlich waren die Wächter und der Zolleinnehmer zufrieden. Hardo schob den Wagen an, und die fünf zogen im Schatten der Granitmauern zu beiden Seiten der Straße weiter den Berg hinan. Wohl eine Mannslänge über ihnen standen rechts und links zwei wehrhafte Häuser. Die Steinmauern mit wenigen kleinen Öffnungen darin wirkten abweisend und ließen den Durchgang noch dunkler erscheinen. Wer auf diesem Weg in die Stadt einfallen wollte, hatte kein leichtes Spiel.

Auf der Höhe der Straße verschloss ein Gitter eine Nische in der Mauer zur Rechten. Auf dem Boden lag ein wenig schmutziges Stroh. Alheit hatte solche Kämmerchen in anderen Städten bereits kennengelernt. Sie sandte ein Stoßgebet zur heiligen Kümmernis, dass sie keinen ihrer Leute aus diesem Gefängnis würde loskaufen müssen.

Schließlich erreichten sie die ebene Gasse, die vom Haupttor der Stadt in Richtung Burg führte. Rechts von ihnen lag der Marktplatz im Schatten einer Linde.

Doch Alheit warf nur einen flüchtigen Blick auf die Stände, die dort aufgebaut wurden. Zielstrebig führte die Frau ihre Schar zu Peters Herberge am Haupttor. »Hier haben wir schon öfter gewohnt, Franz und ich«, erklärte sie Hardo. »Peter wird uns wohl auch zu fünft aufnehmen.«

Doch der Wirt schüttelte zunächst den Kopf, als er seine neuen Gäste sah. Alheit wusste, dass sie zum Anstarren herausforderte, groß und blond, wie sie war, in ihrem einstmals leuchtend roten Kleid. Daneben wirkte Franz fast unscheinbar in seiner braunen Cotte. Aber die Leute sollten ja mit ihr verhandeln, nicht mit ihm.

Auch über Gretel schaute der Wirt schnell hinweg. Das abgetragene blaue Kleid und der graue Schleier verbargen ihre schlanke Gestalt und die feinen, goldglänzenden Locken bestens.

Pater Baldwin mit seiner viel zu weit fallenden grauen Kutte und der sorgsam geschorenen Tonsur im früh ergrauten schwarzen Haar kannte der Wirt schon.

Doch an Hardo blieb Peters Blick hängen. Fast konnte Alheit seine Gedanken an der gerunzelten Stirn ablesen: ein schlanker, gewandter Jüngling mit weichem braunem Haar und dunklen Augen, die wohl schon einigen Mädchen zum Verhängnis geworden waren. Das verhieß Ärger mit den Nachbarn.

»Peter, wir sind nicht weniger ehrlich, nur weil wir jetzt zu fünft sind«, sagte Alheit. »Du weißt, dass Franz und ich uns nicht mit Gesindel abgeben. Gretel hier ist ein armes Waisenkind, das wir unter unsere Fittiche genommen haben. Hardo der Franke ist ein weit gereister Märchenerzähler. Jetzt sag nicht, du hättest kein Plätzchen für uns.«

Der Wirt zuckte die Schultern. »Eigentlich ist alles voll, aber weil ihr es seid ... Kommt mit.« Er führte Alheit und die anderen in einen kleinen Anbau. »Soll ein Ziegenstall sein, aber die Ziege ist nicht mehr. Der Platz reicht euch hoffentlich.«

Alheit wirbelte mit dem Fuß das saubere Stroh auf. »Das ist ja ein hochherrschaftliches Quartier, Peter. Vielen Dank, ich wusste doch, dass wir uns auf dich verlassen können.«

Der Wirt ließ sie allein, und sie schlugen im Stroh ihr Lager auf.

»Wir haben es wieder gut getroffen«, sagte Baldwin und streckte sich lang aus.

Alheit kniff die Augen zusammen. »Es ist noch lange nicht Schlafenszeit. Lasst uns sehen, was Peter Gutes zu essen für uns hat, dann geht es auf die Straße.«

»Da kommen wir doch gerade her«, murrte Hardo. Er saß im Stroh und zog seine Stiefel aus. Dennoch rappelte er sich wieder auf und kehrte mit den anderen in die Gaststube zurück.

Sie setzten sich an einen der runden Tische und streckten die Beine aus. Nur zwei weitere, besser gekleidete Gäste saßen am Fenster und unterhielten sich sehr leise beim Essen.

Peter brachte den Spielleuten dunkles Bier, um die Hitze des Tages und den Straßenstaub hinunterzuspülen. Wenig später trug er einen Eintopf aus dicken Bohnen auf. Dazu gab es frisches, lockeres Brot.

Hardo griff sofort nach dem Löffel und wollte ihn in die Schüssel tauchen. Alheit warf ihm einen scharfen Blick zu. Inzwischen musste er doch wissen, wie man sich benahm. Tatsächlich legte er den Löffel wieder beiseite.

Baldwin schlug das Kreuz. »Es segne uns Jesus Christus.«

Alheit ließ sich das Essen schmecken, das ihr ganz ohne eigenes Zutun vorgesetzt wurde. Niemand hatte Brennholz suchen, bei ungnädigem Wetter das Feuer in Gang halten oder mit knurrendem Magen dem jämmerlich kleinen Braten beim Garen zuschauen müssen.

»Was ist denn so an edlen Herrschaften in der Stadt?«, fragte Alheit den Wirt. »Du weißt doch bestimmt Bescheid.«

»Willst du uns wieder irgendwo in Dienst bringen?«, fragte Franz leise.

Alheit schüttelte den Kopf. »Wegen Gretel.«

Der Wirt schaute nachdenklich zur Decke. »Hm, beim Herrn Vogt auf der Burg ist ein Gast eingetroffen, ein Ritter Konrad von Winstein. Aber er soll von sehr weit her kommen, aus Polen oder Preußen oder so. Ja, und der Erbacher drüben in der Freiheit hat Gäste, einen geistlichen Herrn aus dem Würzburgischen mit Gefolge. Aber die da draußen machen sowieso, was sie wollen. Beim Herrn Lothar von Mosbach wohnt sein Vetter, Herr Ludwig, der vom Neckar heraufgekommen ist. – Hab ich jemanden vergessen? – Na ja, der Rodensteiner, zu dem kommt sowieso niemand. Und die Creitze hier gerade gegenüber ...« Er legte eine Pause ein. »Die nehmen ja allerhand Gäste auf, als ob ich gar nicht da wäre. Seit Michaelis wohnt ein junger Kerl drüben auf dem Hof, der Wundarzt für die Burgleute. Dem Herrn Vogt war unser Bader draußen in der Wassergasse wohl nicht mehr gut genug. Der Neue soll ein Studierter sein, vielleicht sogar ein Doktor.« Er wandte sich wieder seinen Gästen zu. »Aber unsereiner hat ja nichts davon, wenn all die Herrschaften in die Stadt kommen. Die wohnen auf der Burg oder bei ihren Verwandten. Nur ihre Knechte, die kommen zu uns und fangen Schlägereien an.« Peter seufzte. »So, wie ich dich kenne, Alheit, bist du spätestens übermorgen mit allen per Du, die hier irgendetwas zu sagen haben.«

»Schön wärs«, erwiderte Alheit. »Solange ich den Herrn Vogt nicht überreden kann ... Wer hat denn hier in der Stadt das Sagen? Doch nicht die Burgmannen, oder?«

Peter zuckte die Schultern. »Doch, doch. Der alte Henne Krämer, der hat sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, aber der ist nicht mehr, und der junge ... na ja. Mit Diether dem Schmied würde ich mich aber nicht anlegen. Wenn es in den nächsten Jahren auf einen Rat hinausläuft, ist er bestimmt dabei.«

Alheit nickte. »Dann wissen wir ja, vor wem wir uns in Acht nehmen müssen.« Sie stand auf und winkte ihren Reisegefährten, sich zu beeilen.

»Wo seid ihr denn hereingekommen? Am Haupttor oder am Fürther Tor?«, setzte der Wirt nach.

»Da unter dem Marktplatz, von Ellenbach her. Das ist das Fürther Tor, nicht?«

»Dann habt ihr Diether ja schon getroffen, der kassiert dort den Marktzoll.«

Alheit kniff die Augen zusammen. »Ach, er ist das.« Dann wandte sie sich wieder zur Tür. »Kommt, wir wollen sehen, was es hier für uns zu holen gibt.«

Peters misstrauischer Blick folgte ihnen, als sie die Gaststube verließen.

Im Ziegenstall zog Alheit sich um. Bei ihrem zweiten Kleid war die rote Farbe noch frischer, die Ärmel fielen von den Ellenbogen lang herab. Darunter waren ein paar schmale, blassgrüne Unterärmel angenestelt, die ein farbiges Unterkleid nur vortäuschten. Auch am Saum hatte sie einen Streifen aus demselben verblichenen alten Kleid angeheftet.

Für Franz legte sie eine bunte Cotte bereit, in der er auf der Straße besser auffallen würde. Doch er beachtete das frische Gewand gar nicht, sondern trug die Kiepe mit den Instrumenten vor die Stalltür.

»Nicht so eilig«, sagte er, als Alheit ihm nachlief. »Bevor wir spielen können, gibt es noch eine Menge zu tun.« Er setzte sich im Hof an der Stallwand nieder – dort hatte er mehr Licht als drinnen – und nahm seine Drehleier aus der Kiepe.

Er begann damit, die Saiten zu überprüfen. Dann würde er die zahlreichen Fähnchen neu ausrichten, die die Saiten verkürzten und so den richtigen Ton trafen. Alheit kannte diese Prozedur und seufzte. So schön dieses Instrument klang, es musste ständig gewartet und mit allerlei Kniffen dazu bewegt werden, weiterhin sauber und zuverlässig zu spielen. Und Franz war in dieser Beziehung sehr gewissenhaft. Er würde eine ganze Weile hier beschäftigt sein.

»Lass mich wenigstens die Schalmei mitnehmen«, bat Alheit. »Wir sehen uns schon einmal auf dem Markt uni und zeigen, dass wir da sind.«

Franz schüttelte den Kopf. »Erst schaue ich mir das Rohrblatt an. Wie lange spielst du es schon?«

Sie wusste es nicht mehr. Auf solche Dinge achtete sie kaum.

»Nimm die Einhandflöte und die Trommel, wenn du unbedingt Lärm machen willst«, riet Franz und reichte ihr die Instrumente.

Alheit verzog das Gesicht. Ja, die hohen Flötentöne erregten Aufmerksamkeit. Aber sie konnte mit nur drei Fingern keine Melodie spielen, es reichte meist nur zu einem schrillen Quietschen. Dann musste das eben genügen.

Zu viert zogen sie in die Stadt hinein zum Marktplatz.

Gretel konnte sich an allem, was hier geboten wurde, offenbar nicht sattsehen. Sie reckte den Hals, lief hierhin und dorthin, beobachtete alles sehr aufmerksam: das Tor, die Zugbrücke über den Graben hinaus in die Vorstadt, die beiden Wächter und den Zolleinnehmer, der etwas abseits stand und die Bewaffneten gewähren ließ; die Händler und Höker mit ihren einfachen Handwerkswaren, die noch immer die Gasse hinein zum Marktplatz zogen; das Haus gegenüber der Herberge, das mit seinem Türmchen fast wie eine eigenständige Burg wirkte; und erst recht die Burg selbst, die auf ihrem Hügel über der Stadt thronte wie eine Krone aus Granit, überragt vom schiefergedeckten Bergfried. Gretel rannte ein Stück darauf zu, als wollte sie am liebsten sofort hinauf.

Alheit wunderte sich ein wenig. Sie hatten das Kind in Speyer aufgelesen, einer Domstadt, wo Tausende von Menschen lebten. Was mochte es an diesem Nest hier so beeindruckend finden?

Rund um die Linde und den aus Sandstein gehauenen Marktbrunnen wurden Stände und Zelte aller Formen und Größen aufgebaut. Hier fanden sich die von weiter her angereisten Händler. Doch sie ließen ihre kostbaren Waren noch nicht sehen. Auch die bereits fertigen Stände waren zumeist noch geschlossen. Erst morgen nach der Messe würden sie öffnen.

»Da drüben, kennst du den?« Baldwin deutete auf einen Stand gleich neben dem Brunnen, aus gehobelten Balken und Leinwand, der offenbar schon viele Märkte hinter sich hatte.

»Ist das nicht Nikolaus? Man trifft sich doch immer wieder.«

Bürger spazierten über den Marktplatz, um zu erraten, wie das Angebot ausfallen würde. Einige folgten den Spielleuten und warteten auf den Beginn einer Vorstellung.

Beim Marktbrunnen zog Alheit die Flöte aus dem Gürtel und schlug die Trommel an ihrem Handgelenk. Hardo begrüßte mit lauter Stimme die Zuschauer. Dann spielte Alheit eine flotte Tanzmelodie, zu der Hardo in einer wirbelnden Staubwolke seine akrobatischen Sprünge vollführte.

Nun übernahm Baldwin die Führung. Im Wechsel mit Gretel sang er das Lied vom armen Pilger, vor dem eine geizige Frau ihr Brot versteckt. Doch der Pilger erweist sich als der heilige Jakobus selbst und verwandelt das versteckte Brot in Stein.

Einige junge Männer im Publikum riefen anzügliche Bemerkungen, aber die Sängerin schien sie nicht zu bemerken. Alheit dagegen hörte sie wohl und warf giftige Blicke in die Richtung der Jungen.

Rad schlagend kam Hardo auf den Platz. Er jonglierte mit Bällen und Messern und allem, was Baldwin ihm zuwarf.

Bis dieser einen Pferdeapfel nahm. Da hatte Hardo schnell zwei seiner wirbelnden Messer in den Händen und ging auf Baldwin los. Der schlug ihm mit seinem Pilgerstab leicht die Waffen aus der Hand. Doch Hardo tauchte unter dem Stab hindurch und rammte seinem Gegner den Kopf in den Bauch. Baldwin hielt Stand und sah erstaunt auf den Angreifer hinunter. Hardo setzte Arme, Beine und den ganzen Körper ein, um Baldwin niederzuringen. Doch der blieb ruhig stehen, wirbelte spielerisch seinen Stab von einer Hand in die andere und schien Hardos Bemühungen gar nicht wahrzunehmen. Schließlich fiel der Gaukler laut keuchend zu Boden.

»Schwächling!« Baldwin schüttelte den Kopf, schöpfte Wasser aus dem Brunnen und spritzte Hardo damit an.

»Verfluchter Pfaffe!« Zum Gelächter des Publikums rappelte sich Hardo wieder auf und sprang mit einem Satz auf die Brunneneinfassung.

Hinter ihm schlug Franz ein paar Töne auf der Laute an. Er trug noch seine alte braune Cotte.

»Lasst euch von mir erzählen, was sich zugetragen hat, als der edle Herr Lanzelot einst mit dem hinterlistigen Ritter Meleagant kämpfte.«

Hardo machte eine bedeutungsvolle Pause. »Einst kam mit großem Gefolge ein fremder Ritter nach Camelot. Er verlangte, auf der Stelle zum König vorgelassen zu werden. Als die Wächter ihm nicht gleich den Willen taten, erhob er großes Geschrei, sodass Herr Kai, der treue Seneschall, hinaus zum Tor ging.«

Mit verstellter Stimme trug Hardo das Streitgespräch vor.

»Was soll der Lärm, Herr Ritter? Nennt einfach Euren Namen, und Ihr werdet gastfrei aufgenommen.«

»Meleagant bin ich, der Sohn des Königs Bademagus von Gorre. Ich suche einen Ritter, den man Lanzelot nennt.«

»Du bist ja doch schon da«, murmelte Alheit Franz ins Ohr.

»Ihr könnt ja nicht warten«, erwiderte er leicht außer Atem. »Muss ich die Rohrblätter eben später fertig machen.«

»Immerhin hast du die Kiepe mitgebracht.« Alheit nahm eine Decke heraus und reichte sie Gretel. Solange sie nur zuhören mussten, sollte das Kind sich warm einpacken. Jetzt, wo die Sonne hinter dem Burgberg verschwand, wurde es kühl.

Sie ließ den Blick über die Zuschauer schweifen. Alle Stände waren vertreten, Bauern, Handwerker, Händler, auch einige Ritter und Waffenknechte. Das sah vielversprechend aus.

Ihr Blick wanderte weiter, am Burgberg vorbei ins Tal. Bis nach Weinheim konnte man schauen ...

»Da antwortete die edle Königin ...« Hardos Erzählung riss ab, und Alheit kehrte wieder in die Gegenwart zurück.

Mit belegter Stimme setzte Hardo von Neuem ein. »Da antwortete die edle Königin: ›Ich vertraue auf Herrn Kais Tapferkeit. Er wird diesen Kampf bestehen und mich und die anderen Gefangenen erlösen‹.« Jetzt nahm die Geschichte wieder Fahrt auf. Was mochte den Erzähler aus dem Fluss gerissen haben?

Franz machte Alheit auf ein junges Mädchen im Publikum aufmerksam. Sie trug ein einfaches graues Kleid und hatte das blonde Haar zu zwei starken Zöpfen geflochten. Und sie stand vor Hardo, als hätte sie nie etwas Faszinierenderes gehört als diese alte Artus-Geschichte.

Alheit betrachtete die Zuschauer genauer. Die Blonde im grauen Kleid war nicht die Einzige. Hardo hatte an diesem Abend mindestens drei neue Verehrerinnen gewonnen.

Aber gerade dieses Mädchen schien es ihm angetan zu haben. Er beschrieb die wunderschöne, erhabene Königin Guinevere so, dass sich die unscheinbare Bürgertochter darin wiedererkennen konnte. An den besonders gefühlvollen Stellen schaute er nur ihr in die Augen. Schließlich zauberte er ein Tüchlein zum Vorschein, das Lanzelot seiner Herrin zum Abschied verehren sollte.

Da drängte sich jemand durch die Menge zu dem Mädchen, jemand mit einer kunstvoll aufgesteckten weißen Haube. Alheit brauchte nicht zu hören, was die Frau sagte. Es blieb sich gleich, ob sie nun die Mutter, die Tante, die ältere Schwester war. Der Sinn ihrer Rede war überall derselbe.

»Was stehst du hier herum und hältst Maulaffen feil? Zu Hause gibt es genug Arbeit für dich. Der Kerl gefällt dir wohl? Und schöne Augen macht er dir? Nichts da, schlag dir das gleich aus dem Kopf. Liederliches Pack. Macht sich an ehrbare Mädchen heran, und dann ... Du wirst mir noch dankbar sein, glaub mir, schon in drei Tagen, wenn diese Lumpen wieder weitergezogen sind. Siehst du, da drüben steht doch sein Liebchen. Wie kommst du nur auf den Gedanken, dass er es ernst mit dir meint?«

Die Frau nahm das Mädchen am Arm und zog sie davon.

Hardo, der gerade vom Brunnen herabgesprungen war und sich vor dem Mädchen auf die Knie werfen wollte, änderte im letzten Augenblick die Richtung. Mit großer Geste bot er das Tüchlein einer jungen Frau in einem modisch eng geschnürten Kleid an. Sie reckte die Nase in die Luft und wandte sich von ihm ab.

Franz griff in die Saiten und spielte ein Lied von Liebenden, die Abschied nehmen müssen. Hardo schlich mit hängenden Schultern zurück zum Marktbrunnen.

Alheit, Franz und Gretel ließen noch ein paar fröhlichere Lieder folgen. Ihre Zuhörer fassten sich zum Reigen und umtanzten den Marktbrunnen.

Nur ein Mann und eine Frau mit Schürze standen missmutig bei diesem Treiben. Sie gehörten anscheinend zu einem der Stände in der Nähe des Brunnens und durften noch nicht öffnen, obwohl so viele Leute auf dem Platz waren.

»Wenn ihr mehr hören wollt«, rief Franz schließlich, »dann kommt heute Abend in Peters Herberge am Stadttor.«

Kleine Münzen fielen blinkend in den Staub. Baldwin sammelte sie ein.

»Hast du wieder ein Herz im Sturm erobert?«, neckte er Hardo, als das Publikum sich verlaufen hatte.

»Ach, es ist doch immer dasselbe«, seufzte Hardo. »Wie soll denn ein Spielmann überhaupt jemals zu einer Frau kommen, wenn diese Krämer alle hübschen Mädchen vor ihm verstecken? Wie hast du das denn gemacht, Franz?«

»Ich hab mir gleich die Richtige ausgesucht.« Er strich noch einmal über seine Laute. »Eine reiche Witfrau, der niemand mehr etwas zu sagen hat.«

Ruckartig drehte sich Hardo zu Alheit um. »Reich?«

»An Alter, Weisheit und Körperfülle«, sagte Franz zu einem neuen Akkord.

»Reich«, sagte Baldwin zufrieden. Er hatte die aufgesammelten Münzen gezählt. »Wenn das so weitergeht, müssen wir uns diesmal nicht für drei Wochen beim Wirt verdingen.«

Alheit nickte. »Dann legt euch morgen noch mal ins Zeug.« Sie räumte Instrumente und Gaukelwerkzeug in die Kiepe.

Da zupfte sie jemand am Ärmel.

»Ja, bitte?«

Neben ihr stand ein junges Mädchen, nicht viel älter als Gretel, in einem Kleid aus billigem rotem Stoff und einem ebenso lappigen blauen Surcot{iii}, der ein wenig schief zusammengenäht war. »Die Schmieds Else würde sich bestimmt freuen, wenn euer junger Mann ihr über das Fest Gesellschaft leistet«, sagte sie. Anscheinend unterdrückte sie mit Mühe ein Kichern.

»Das Mädchen mit den dicken blonden Zöpfen?«

Die andere nickte und rannte kichernd davon.

Alheit schaute ihr kopfschüttelnd nach. Dann wandte sie sich zu Hardo um. Sein Gesicht war deutlich gerötet. Offenbar hatte er mitgehört.

Sie sah ihn streng an. »Wenn ich irgendetwas höre, dass du dem Mädchen zu nahe gekommen bist ...«

»Ja, ist ja gut«, murmelte Hardo. »Ich kenn eure Sprüche inzwischen auswendig.«

»Dann tu halt auch, was wir dir sagen«, erwiderte Alheit. Sie setzte die Kiepe auf und ging forschen Schrittes in Richtung Herberge.

Warum wollte der Junge nicht einsehen, dass ihn eine Liebelei mit einer Bürgertochter seine gesunden Glieder kosten konnte? Immer wieder musste Alheit ihm den Weg aus den Schwierigkeiten bahnen, in die er sich gebracht hatte. Ging es Müttern mit ihren fast erwachsenen Söhnen genauso?

»Er ist nicht deiner«, sagte Franz. »Er ist erst vor ein paar Wochen zu uns gestoßen.«

»Soll ich ihn deswegen ins Unglück rennen lassen?«

»Nein, natürlich nicht. Aber er hat keinem von uns zu gehorchen.«

Gretel schloss zu ihnen auf und hängte sich an Alheits Arm. Baldwin hinter ihnen fluchte.

»Was ist los, Kind?«

»Nichts.«

Alheit seufzte. »Wenn du meinst. Aber ich bin froh, wenn wir alle fünf wieder in unserem Ziegenstall sind und die Tür zumachen können.«

In der Herberge brachten sie ihre Instrumente und anderes Gerät in den Stall.

Alheit sah sich um. »Und wer ist nicht da?«, fragte sie. »Hardo natürlich. Hat uns Peter nicht davor gewarnt, uns mit Diether dem Schmied anzulegen? Aber er muss natürlich gleich hingehen ...«

»Du weißt noch nicht, ob das derselbe Schmied ist«, erinnerte Franz.

Baldwin schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er zu Else geht. Er hat etwas von einem Bekannten gesagt, den er entdeckt hat. Mit dem will er einen trinken.«

Alheit machte eine wegwerfende Handbewegung. »Faule Ausrede.«

2

BALDWIN GING ZUR BURG HINAUF. Durch Gemüse- und Kräutergärten wand sich der Weg nach Süden um den Berg. Hinter dem unteren Burgtor reihten sich einige Werkstätten auf – eine Zimmerei, eine Sattlerei, eine Schmiede. Ob das wohl die Werkstatt des streitlustigen Diether war?

Erst am oberen Burgtor hielt ein Wachposten den Priester auf.

»Dominus tecum{iv}«, grüßte Baldwin.

Der Wächter schnaubte und deutete schräg am Bergfried vorbei. »Die Kaplanei ist da drüben.«

»Ich danke dir.« Baldwin betrat den Hof.

Die Burg wirkte noch viel enger und kleiner als die Stadt. Nur jetzt im Hochsommer schien die Sonne über die hohen Gebäude hinweg in den Hof. Rundum waren zwei- und dreistöckige Wohnbauten angelegt, überragt vom Bergfried in der Mitte. Auf dem wenigen freien Platz dazwischen liefen Menschen und Tiere durcheinander. Niemand nahm Notiz von Baldwin.

Er trat in die Kapelle, wo es noch düsterer und kälter war als draußen auf dem Hof. Aber am Altar brannte das Ewige Licht, die heilige Anna mit Maria und dem Jesuskind verhieß den Gläubigen freundliche Aufnahme. Vor dem heiligen Martin am Hauptaltar kniete Baldwin nieder und ließ das Bild des Heiligen auf sich wirken: Ein Ritter auf seinem prächtigen Pferd, der mit seinem Schwert einen Mantel aus vielen Ellen bestem Tuch zerschnitt und eine Hälfte dem Bettler schenkte. Was ihr einem dieser geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. So sprach Jesus.

Wie nahm sich dagegen der andere Heilige aus, der morgen hier gefeiert wurde? Ein Ritter auf einem prächtigen Pferd, der mit seinem Schwert die Köpfe dunkelhäutiger Feinde in zwei Hälften teilte. So stellte sich Baldwin die Schlacht von Clavijo{v} vor, von der er mit Begeisterung sang. Kämpfe den guten Kampf des Glaubens. Das schrieb der Apostel Paulus.

Beide waren Heilige, Freunde Gottes, die das Wort Christi auf Erden verbreiteten. Vorbilder für einfache Gläubige wie Baldwin. Für ihn war es keine Frage, wem er folgte. Er ging unter den Armen einher und teilte mit ihnen – das karge Brot, den dünnen Mantel, die Lagerstatt. Viele von ihnen erschienen keineswegs wie Ebenbilder Gottes, dennoch – sie bedurften der Hilfe, und er konnte sie geben.

Den Kampf gegen die Feinde Gottes überließ er anderen. Oder doch nicht? Wenn er seinen Pilgerstab schwang, schlug er damit keine Heiden nieder, aber zeigte er nicht anderen einfachen Menschen einen möglichen Weg zur Seligkeit? Oder den etwas Verständigeren den Kampf gegen Versuchung und Sünde, den jeder Christ täglich führen musste?

Die Versuchung nahm in diesen Schaukämpfen eine Gestalt an, die nur zu gut passte: ein junger Mann mit anziehendem Gesicht, der vor Lebenslust übersprudelte, der mit seinem flinken Verstand und seinem beweglichen Körper das Volk in Erstaunen versetzte und mit seinen dunklen Augen die Mädchen betörte.

Baldwin seufzte. Hardo verkörperte all das, was die Kirche an den Fahrenden verdammte. Mochte Gott seiner Seele gnädig sein.

Baldwin stand auf, verabschiedete sich und ging hinaus auf den Hof. Die Kaplanei musste das Gebäude gleich nebenan sein. Er klopfte an die Tür.

Lange Zeit tat sich nichts. Dann ging die Tür auf, und das runzlige, zahnlose Gesicht einer Frau zeigte sich in der Öffnung. »Ja, was ist?«

»Dominus tecum«, sagte Baldwin wieder.

»Ja, er kommt gleich.« Mühsam ging die Alte davon.

Einige Zeit später kam der Kaplan selbst an die Tür. Er war ein wenig besser auf den Beinen als seine Jungfer und blinzelte aus klarblauen Augen zu Baldwin hinauf. »Dominus tecum, frater.« Seine Stimme klang hoch und dünn. Ein alter Mann.

»Et cum spiritu tuo{vi}.«

»Komm herein, Bruder«, sagte der Kaplan. »Ich dachte schon, ich müsste über die Feiertage allein die Messe lesen. Wir haben zum ersten Mal Jahrmarkt hier, es wissen noch zu wenige davon.«

»Es soll ein geistlicher Herr aus dem Bistum Würzburg in der Stadt sein«, sagte Baldwin.

Doch der Kaplan schien ihn nicht zu hören. Er führte Baldwin in die Stube hinein, wo an einem Lesepult eine Kerze brannte.

Der Kaplan ließ sich auf einem hohen Stuhl neben dem kalten Kamin nieder. »Lina, bring uns Wein!«

»Du bist ein fahrender Schüler?«, fragte er dann.

»Ich bin geweihter Priester. Baldwin ist mein Name. Ich komme aus Erfurt.«

»Antonius«, murmelte der Kaplan. Lauter fuhr er fort: »Das ist nicht die schlechteste Schule, die du dort besucht hast. Aber was bringt dich hierher?«

Baldwin schluckte. Natürlich hatte er sich auf diese Frage längst eine Antwort überlegt, die mit der christlichen Demut vereinbar war, aber im ersten Augenblick schmerzte es dennoch.

»Ich bekam keine Pfründe in Erfurt, also zog ich weiter. Aber in Städten, wo mich keiner kannte, wollte mich erst recht niemand anstellen. Ich tat hier einen Altardienst, las dort eine Messe und half dem einen oder anderen Geistlichen aus. Auf diese Weise bin ich durch Thüringen und Franken in bayerische und pfälzische Lande gekommen.«

»Und? Nebenbei ein wenig Zauberei getrieben? Den Bauern die Zukunft gedeutet? Den Jungfern Liebestränke gebraut?«

Baldwin schüttelte den Kopf. »Auch nicht mit falschen Reliquien gehandelt. Ich predige die Lehre Christi in Worten und Taten.«

»In Taten? Wie sieht das aus?«

»Das wirst du morgen nach der Messe sehen.«

»Gut, gut. Aber jetzt kannst du zur Vesper läuten.«

Es schien, als hätte der alte Priester mit dem Abendgottesdienst gewartet, bis jemand kam, der für ihn läutete. Baldwin ließ sich von ihm in die Glockenstube führen und hängte sich an das Seil. Als er glaubte, genug geläutet zu haben, legte er sich die saubere Stola um, die er nur für diese Fälle immer dabeihatte, und feierte mit Pater Antonius die Vesper{vii}.

Während Antonius aus der Schrift las, betrachtete Baldwin die Leute, die vor ihm standen. Der Burgvogt mit Familie. Auch wenn er heute eine wadenlange, dunkelgrüne Cotte mit weiten, fast zum Boden reichenden Ärmeln trug, sah man seinem Körperbau und seinem Gesicht an, dass er seine jetzige Stellung durch Tapferkeit im Kampf erlangt hatte. Seine Frau war glanzvoll herausgeputzt, als wolle sie für alle Männer auf der Burg die verehrungswürdige Herrin darstellen. Doch war ihr nicht nur die vergangene Jugend anzusehen, sondern auch ein hartes Leben auf Reisen und unwirtlichen Burgen. Und sie hatte mit Sicherheit mehr Kinder geboren als nur das vielleicht zwölfjährige Mädchen, das neben ihr stand.

Bei der Familie des Vogts stand ein Ritter, der ein fremdes Wappen trug, darin ein silbernes Kreuz auf blauem Grund. Wie es schien, stammte er aus dem Bistum Speyer.

Ob das der Gast war, von dem Peter in der Herberge gesprochen hatte? Er war fast einen Kopf größer als der Vogt, breitschultrig und dunkelhaarig. Dicht hinter ihm hielt sich sein Knecht. Er trug das gleiche Wappen, und Baldwin hätte jeden Eid geschworen, dass er selbst im Gottesdienst eine Waffe bei sich trug.

Neben diesen beiden standen zwei noch recht junge Ritter, die den Löwen der Pfalzgrafen bei Rhein trugen. Sie gaben sich Mühe, selbstsicher aufzutreten, fielen aber gegen den Vogt und seine Gesellschaft deutlich ab. Begleitet wurden sie von zwei ebenso jungen Frauen, die offensichtlich beide ein Kind erwarteten. Sie ließen ihre Unsicherheit deutlicher erkennen als ihre Männer.

Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein Kirchenmann im kostbaren Ornat eines Domkapitulars, dahinter einige bescheidener ausgestattete Brüder. Der Prälat gab sich auffallend demütig. Baldwin hatte den Eindruck, es solle jeder seine Höflichkeit dem armseligen Burgkaplan und seinem Lotterpfaffen gegenüber bemerken. Daraufhin legte er umso mehr Gefühl in die lateinischen Gesänge. Er verstand, was er da sang, und das durfte der Prälat ruhig hören.

Weiter hinten, gleich bei der Tür, wie zur Flucht bereit, glaubte Baldwin, Hardo zu erkennen. Er stand verdächtig nah bei einem Mädchen und erweckte den Anschein, dem Gottesdienst aufmerksam zu folgen. Baldwin kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass es nicht so war.

Hardos Platz war beim einfachen Volk, weit weg von den Herrschaften in ihren Seidengewändern. Hier konnte er Ausschau nach den Menschen halten, die er suchte.

Drei Mädchen in einfachen grauen Kleidern stachen ihm ins Auge. Sie tuschelten miteinander und kicherten. Mit unauffälligen Gesten machte eine die anderen auf einzelne Gottesdienstbesucher aufmerksam. Auf den fetten Prälaten ganz vorn, die zwei aufgeblasenen jungen Ritter und den stattlichen Speyerer Lehnsmann. Der hatte es ihnen offenbar besonders angetan.

Hardo schob sich näher an die drei heran. Die Wortführerin war klein und sommersprossig. Sie ließ sich in ihren Erklärungen auch von Baldwins mächtigem Einsatz zum nächsten Psalm nicht stören. Mit einer flinken Handbewegung brachte Hardo einen Apfel zum Vorschein, ließ ihn dicht an der Nase des Mädchens vorbei in die andere Hand sausen und wieder verschwinden.

Die drei wandten sich ihm zu.

Er lächelte die Kleine an. Dann faltete er in einer übertriebenen Bewegung die Hände und zog ein andächtiges Gesicht. Die Mädchen kicherten wieder.

Endlich setzten Baldwin und der uralte Priester zum letzten, lang gezogenen ›Amen‹ an. Hardo verließ die Kapelle als einer der Ersten und wirbelte Rad schlagend einmal um den Burghof.

Leicht außer Atem kam er vor dem sommersprossigen Mädchen zum Stehen und präsentierte ihr den Apfel.

»Hardo der Franke zu deinen Diensten, schöne Jungfer.«

Das Mädchen verneigte sich etwas ungeschickt. »Vielen Dank«, sagte sie und nahm den Apfel. »Bist du mit Obst und Gemüse immer so geschickt?«

Hardo ahnte, was jetzt kommen würde, dennoch sagte er: »Soll ich es dir zeigen?«

»Aber gerne.« Das Mädchen strich an ihm vorbei. »Komm mit in die Küche und hilf mir, das Essen für den Herrn Vogt und seine Gäste vorzubereiten. Sie waren heute in Weinheim, darum wird es jetzt so spät.«

Hardo folgte ihr zum Palas{viii} hinüber. Ihm waren Essenszeiten völlig gleich, wenn es nur etwas zu essen gab.

Die Burgküche war ein großer, finsterer Raum voller Dampf und Rauch. Am offenen Feuer rührte ein kleiner Junge in einem Kessel, der fast so groß war wie er.

»Du sollst doch keine Liebhaber mit in die Küche bringen, Anna«, sagte er statt einer Begrüßung.

»Sei still. Hardo ist kein Liebhaber, sondern ein Meister der Gemüseschneider-Zunft, der uns seine Kunst zeigen will.« Damit packte sie einige Kohlköpfe, Kohlrabi, Lauch und Möhren auf den großen Küchentisch und drückte Hardo ein langes Messer in die Hand. Sie selbst band eine Schürze um und befasste sich mit dem Inhalt eines Wasserbeckens neben der Küchentür.

»Das nenne ich Fasten«, sagte Hardo. »Forelle statt Huhn. Bei unserem Wirt gibt es gar nichts statt einem Bissen Gesalzenes.«

»Das ist nur, weil der fremde Ritter da ist«, sagte Anna. »Sonst ist Freitag auch auf der Burg Breitag.«

Achselzuckend kehrte Hardo zu seinen Kohlköpfen zurück. »Der Vogt hat also Besuch?«

Anna nickte. »Nur ein fahrender Ritter, kein großer Herr, aber er kommt von weit her, aus Preußen.« Mit sicherem Griff fing sie einen Fisch aus dem Becken und warf ihn auf den Tisch.

»Oh, hat er gegen die Heiden gekämpft? War er dabei, als Tilman Zumpach mit einer feurigen Lanze die Fahne der Litauer in Brand setzte?«

»Eine feurige Lanze?« Anna schaute auf. »Nein, davon hat er nichts erzählt. Aber der Bernsteinschmuck, den er dabeihat, den müsstest du einmal sehen.« Mit glänzenden Augen blickte sie in die Ferne.

Hardo unterdrückte einen Fluch. Machte sich Anna, die Küchenmagd, wirklich Hoffnungen auf einen Ritter und eine Bernsteinfibel? Schaute sie Hardo deshalb kaum an?

»Schmuck kann ich dir besorgen«, sagte er leichthin.

Anna bekreuzigte sich. »Um Himmels willen, nein. Du sollst nicht stehlen.«

»Das habe ich auch nicht vor.«

»Aber der Schmuck ...«

»Den lass nur meine Sorge sein.« Hardo warf drei Kohlrabi in die Luft, ließ sie ein paarmal um seinen Kopf wirbeln und spießte dann alle drei zielsicher auf das lange Messer.

3

»KOMMT, WIR GEHEN ins Badehaus«, sagte Alheit, als Baldwin sich zur Burg aufgemacht hatte.

Franz fiepte zur Antwort auf dem neuen Doppelrohrblatt, das er in die Schalmei einsetzen wollte. Er sorgte dafür, dass er immer mehrere dabeihatte, weil sie sich unterwegs nur schwer herstellen ließen. Noch lag in seiner Vorratsschachtel eins aus dem haltbaren italienischen Schilf. Dieses probierte er jetzt aus. Es klang genau richtig, ein wenig höher als der höchste Ton des Instruments. Heute Abend würde es gut eingespielt, morgen, wenn es darauf ankam, konnte es sein Bestes geben.

Alheit zeigte wenig Verständnis dafür, auch wenn es um ihr Instrument ging. »Es wird allerhöchste Zeit«, fügte sie hinzu.

»Gehen wir nicht zur Vesper?«, fragte Gretel. Sie wollte doch hinauf zur Burg und die edlen Herrschaften sehen, die in Lindenfels zu Gast waren.

Alheit schüttelte den Kopf. »Wir gehen morgen zur Messe, vielleicht sogar zweimal, und zur Vesper, und übermorgen wieder. Aber sauber gewaschen, wie es sich am Feiertag gehört.«

Es waren doch gottlose Menschen, mit denen sie unterwegs war, auch wenn Baldwin seine Tonsur immer in Ordnung hielt und Alheit sich lautstark über Hardos Liederlichkeit empörte. Gretel musste sehen, dass sie wieder in bessere Gesellschaft kam. Und die Gelegenheit war günstig.

Aber sie schlug brav die Augen nieder und folgte Alheit und Franz zum Badehaus. Es konnte ihr nur nützen, wenn sie ihren Plan nach Rosen duftend und mit frisch gewaschenem Haar ausführte.

Unwillkürlich griff sie nach dem geflochtenen Lederriemen, den sie als Kranz trug. Einen silbernen Reif mit Türkisen und Rosenquarzen hatte sie in Speyer beim Juden gelassen, damit sie nicht ganz ohne einen Pfennig dastand.

Den Gürtel und eine handtellergroße Brosche verwahrte Alheit für sie – ha, ob sie die Sachen je wiedersehen würde? Vermutlich hatte Alheit sie längst verkauft. Umsonst war die Gastung, wie sie sie in den Städten fanden, nicht zu haben. Ob sie Alheits Bündel durchsuchen sollte? Wenn sich die Gelegenheit ergab ...

Ihre gute Cotte und den elegant ausgeschnittenen Surcot mit Pelzbesatz hatte Gretel selbst im Beutel, auch ein sauberes Hemd. Die konnte sie nach dem Bad anziehen. Der feine Mantel hatte das Nachtlager auf der Straße nicht lange ausgehalten. Was jetzt zusammengerollt auf dem Wagen lag, glich eher einer Pferdedecke, auch dem Geruch nach. Aber heute Abend brauchte sie keinen Mantel.

Sie verließen die Stadt durch das Haupttor und über die Zugbrücke. Die Gasse führte schnurgerade weiter, zwischen kleinen Häusern und Werkstätten hindurch. Das Badehaus, ein breites, zweistöckiges Fachwerkhaus, lag an einem dreieckigen Platz mit Brunnen am unteren Ende der Wassergasse. Daneben standen ein ausladendes Stallgebäude und ein Gasthaus.

Drinnen schien noch alles ruhig. Vom Flur aus hörte man ein Feuer prasseln, auf dem wohl das Badewasser erhitzt wurde. Gelegentlich erklang ein Rauschen, wenn eine Kanne in einen Zuber entleert wurde.

Alheit pochte vernehmlich an eine Tür.

Eine Dampfwolke schlug ihnen entgegen, als geöffnet wurde. Ein Mann trat heraus und schloss die Tür sofort wieder. Sein dunkles Haar und sein Hemd waren feucht und klebten am Körper.

»Seid willkommen in meinem Haus«, grüßte er.

»Gott segne dich, Rudolf. Hast du einen Zuber mit sauberem Wasser für uns?«, fragte Alheit den Bader.

»Wie viele seid ihr? Drei? Dann hab ich was für euch. Und sauber ist das Wasser bei mir sowieso.« Der Bader führte sie in den Raum, aus dem er eben gekommen war.

Dort standen vier große Zuber, von denen drei mit Filzdecken verhängt waren. Dahinter erklang leises Stimmengemurmel. In den vierten goss eine leicht bekleidete junge Frau dampfendes Wasser aus einem Kessel. Die Sicht war schlecht wie bei Nebel. Im Hintergrund schienen zwei Türen in Nebenräume zu führen.

»Wollt ihr auch einen Vorhang?«, fragte Rudolf.

»Ja, bitte«, sagte Alheit. Sie versuchte, durch den Dunst die anderen Badegäste auszumachen. War das nicht ihr Freund Nikolaus, den sie da hörte? Er schien sich gut zu amüsieren.

Der Bader holte ein Gestell aus gebogenen Weidenruten aus einer Ecke des Raums und baute es rund um den Zuber auf. Darüber warf er eine schwere grüne Filzdecke. »Steigt ein«, sagte er, »bevor alles verdampft.«

Die Bademagd eilte davon und kam kurz darauf mit einer Kanne wieder. Sie goss einen dunklen Sud in den Zuber, der besonders stark nach Rosmarin roch. Dann streute sie einige Rosenblätter auf das Wasser. Gretel rümpfte die Nase. Guter Duft war von diesen jämmerlichen Blättchen, die am Rand schon braun wurden, nicht zu erwarten.

Und nun kam der Augenblick der Wahrheit. Alheit hatte ihr rotes Kleid mit dem vorgetäuschten Unterkleid und das Hemd schon sauber zusammengelegt und der Magd übergeben. Nur die Haube trug sie noch und ein fingerlanges Kreuz aus dunklem Holz um den Hals. Franz schälte sich aus seiner Cotte.

Gretel wandte sich von ihnen ab und zog umständlich Kleid und Hemd aus. Erst als sie einen nach dem anderen ins Wasser steigen hörte, drehte sie sich wieder um, bereit, selbst in den Zuber zu steigen. Hinter ihr zog Alheit den Vorhang zu.

In der feuchtwarmen Dunkelheit war es schwer, wach zu bleiben. Franz summte leise »Ei Ultreia{ix}«, doch es klang eher besinnlich als anfeuernd. Alheit saß dagegen kerzengerade im Wasser. Wahrscheinlich versuchte sie, durch die Filzdecke hindurch zu hören, was draußen vor sich ging.

Gretel dämmerte ins Reich der Träume hinüber. Sie dachte an ihr Zuhause, als dort noch alles gut gewesen war, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Sie hatte alleine gebadet, in herrlich duftendem Wasser, die Tücher zum Abtrocknen waren dick und weich gewesen. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, nach dem Bad die getragenen Kleider noch einmal anzulegen. Aber Gretel wollte sich nicht aufregen, sie wollte sich in die Wärme sinken lassen und sie genießen, so lange es ging.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie nackt auf einem Ruhebett. Alheit saß im Hemd neben ihr und schwenkte scharf riechendes Zeug unter ihrer Nase. Sie versuchte, sich aufzusetzen, konnte aber kein Glied rühren.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

»Du bist ohnmächtig geworden im Bad.«

Von der anderen Seite hörte sie ein leises Keuchen. Sie drehte den Kopf und hatte wieder das Gefühl, in einen Strudel zu sinken.

Ein Mann fragte zornig: »Was machst du da?«

›Suppe kochen.‹ Das war die schrille Stimme ihrer Stiefmutter.

Gretel ließ sich in die Dunkelheit fallen.

Alheit wollte schon aufstehen und den Vorhang beiseite schieben, der sie vom nächsten Ruhebett trennte, um zu sehen, welchen Übeltäter Nikolaus wohl erwischt hatte. Da sah sie, dass Gretel wieder die Augen verdrehte, und hielt ihr schnell die Schale mit Pulegium{x} und Essig hin.

»Bist du der Bader?«, fragte da eine fremde Stimme hinter dem Vorhang. »Kannst du die Alte nicht fortschicken? Ich will mit der Kleinen allein sein.«

Wenn der Kerl Gretel meinte ... Alheit schaute sich nach etwas Hartem um, das sie werfen konnte.

»Das hier ist ein Badehaus. Wenn du eine Frau willst, musst du dir eine mitbringen«, erwiderte Nikolaus mit seinem schwäbischen Akzent.

»Wie viel willst du?«, fragte der andere.

»Verschwinde.«

Alheit tupfte Gretel etwas von der Paste unter die Nase. Vielleicht half das ja.

»Ich leg noch drei Heller drauf.«

»Raus!«

»Sechs.«

Der Vorhang geriet in Bewegung. Alheit holte mit dem Salbentiegel aus. Doch offenbar hatte Nikolaus den anderen gepackt. »Komm jetzt.«

»He, lass los!«

Endlich quietschte drüben eine Tür und der Bader mischte sich ein. »Auseinander!«

Nikolaus, Rudolf und der Fremde beschimpften einander lautstark. Nach einem besonders lästerlichen Fluch des Fremden schlug Gretel die Augen auf. »Nein, nicht«, wimmerte sie.

Alheit nahm ihre Hand. »Keine Angst, Kind, niemand tut dir etwas. Aber wir müssen bald gehen.«

»Mutter? Wo ist Mutter?«

Alheit kniff kurz die Lippen zusammen. »Ich bins, Kind, Alheit.«

Gretel seufzte enttäuscht.

Schritte erklangen nebenan, das Gezeter entfernte sich. »Ich werde meinem Herrn von euch berichten«, rief der Fremde drohend. Dann klappte die Tür, Alheit hörte nichts mehr.

Sie half Gretel beim Ankleiden, dann verließen sie das Badehaus. Von den Streithähnen war nichts mehr zu hören. Nikolaus saß vor der Tür in der Sonne, einen leeren Becher in der Hand, als ob nichts gewesen wäre.

»Danke, Nikolaus«, sagte Franz. »Wie dein Namenspatron bewahrst du Jungfrauen vor der Schande.«

Der Leinenhändler verzog das Gesicht. »Nur, wenn sie so eine rabiate Mutter haben wie diese.«

Alheit lachte. »Komm, trink noch einen Wein mit uns.«

Die drei setzten sich zu ihm und ließen sich von der Magd einen Krug Wein bringen, gut gewürzt mit Honig und Minze.

»Wer war der Kerl überhaupt, mit seiner unziemlichen Neugier?«, fragte Alheit.

»Bruno nannte er sich«, sagte Nikolaus. »Waffenknecht bei irgendeinem Ritter oder Burgmann. Wenn aus der Stadt etwas werden soll, müssen sie diesen Kerlen beizeiten die Flügel stutzen.«

4

NACH DER KOMPLET{xi} kehrte Baldwin zu seinen Gefährten zurück. Es wurde Zeit, Peter und einen Gästen die gewünschte Unterhaltung zu bieten. Die Gaststube war gut besetzt, an der langen Tafel und den einzelnen runden Tischen wurden Abenteuer erzählt, große Reden geschwungen, die Würfel gerollt. Alheit und Franz sangen und spielten ohne Unterlass. Gretel fragte sich, wie die beiden das fertigbrachten. Es war ihnen völlig gleich, wer ihnen zuhörte, sie hatten nach drei Liedern noch Luft für ein viertes, sie kannten unendlich viele Lieder über alles, was zum Leben gehörte. Obwohl – Gretel war sicher, dass sie manche Stücke schon mehrmals mit unterschiedlichem Text gehört hatte.

Aber wichtig war jetzt nur, dass niemand auf sie achtete. Eben stand Baldwin auf.

»Ein Lied zu Ehren des Apostels, dessen Fest wir morgen feiern, und für die tapferen Ritter hier und anderswo, die gegen die Feinde der Christenheit kämpfen.«

Clavijo. Gretel verstand zwar kein Wort davon, aber allein der Name Clavijo, die mitreißende Melodie, Baldwins raumfüllende Stimme – sie fühlte sich wie ein Ritter, der mutig gegen die Heiden anritt. Wie getrieben von diesem Kampfwillen, verließ sie die Schänke.