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Verblüffende Fakten über die Vögel der Nacht Neueste Erkenntnisse zu den außergewöhnlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Eule: Vogelexpertin Jennifer Ackerman erzählt spannend und informativ von den symbolträchtigen Tieren. Ihre Fähigkeit, den Kopf auf den Rücken zu drehen, ihr forschender Blick, ihr lautloser Flug – Eulen ziehen uns Menschen seit alters derart in den Bann, dass sie als Symbol für Weisheit und Wissen gelten. Aber was weiß eine Eule wirklich? Die Vogelexpertin Jennifer Ackerman offenbart Erstaunliches: Eulen übermitteln mit ihren Rufen gezielt Informationen über sich selbst. Ihr Gehör ist so fein, dass sie ihre Beute, tief unter einer Schneedecke versteckt, allein aufgrund des Geräusches jagen können, manche Töne werden sogar im Sehzentrum des Gehirns verarbeitet, und ihr Beutezug folgt mathematischen Regeln. Eine lebhafte Naturkunde über einen mystischen Vogel, die voller Überraschungen steckt – faszinierend, fesselnd, informativ. - Faszination Eule: bewundert und gefürchtet, verehrt und verfolgt - Mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen von Ornithologen aus Europa und der Welt - Mit zahlreichen beeindruckenden S/W-Fotos und farbigem Bildteil - Wochenlang auf der Bestsellerliste der ›New York Times‹ »Ein Muss für alle Vogelliebhaber.« The Guardian »Ackerman ist so begeistert von ihrem Thema, dass wahrscheinlich selbst Vogelmuffel von ihren Begegnungen mit Eulen und den engagierten Menschen, die sie studieren, fasziniert sein werden.« The New York Times »Das vielleicht beste populäre und mit Fakten gefüllte Wissensbuch über Eulen, das es gibt.« Denver Holt, Owl Research Institute
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Seitenzahl: 666
Vor mehr als 30000 Jahren wurde sie erstmals in Form von Höhlenmalereien in Südfrankreich dokumentiert und bis heute ist sie ungebrochen: die Faszination der Menschen für Eulen. Worin gründet sie? Was haben diese Vögel an sich, dass wir sie für klug und weise halten? Was sind ihre besonderen Talente?
Jennifer Ackerman lässt die vielseitige Kulturgeschichte dieser Tiere lebendig werden und begibt sich auf eine spannende Reise rund um den Globus, um das Geheimnis dieser wundersamen Tiere zu lüften. Obwohl es mehr als 270 Arten gibt, die auf allen Kontinenten außer der Antarktis beheimatet sind, lassen sich Eulen weitaus schwerer studieren als andere Vögel. Denn sie sind nicht nur verblüffend gut getarnt, sondern meist erst nachts aktiv, wenn die Dunkelheit bei der Jagd zu ihrer Komplizin wird. Ackerman begleitet Eulenforscher und Eulenschützer bei ihren oft mühsamen Feldforschungen, stellt eigene Beobachtungen an und erzählt von spektakulären wissenschaftlichen Erkenntnissen, die man mithilfe modernster Technologien über das Können und Verhalten der Eulen gewinnen konnte.
Eine lebhafte Naturkunde über einen mystischen Vogel, die voller Überraschungen steckt – faszinierend, fesselnd, informativ.
Jennifer Ackerman
Der geheimnisvollste Vogel der Welt und seine Talente
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Widmung
Vorwort
1 Eulen verstehen
2 Wie es ist, eine Eule zu sein
Wölfe des Himmels
Ganz Ohr
Lautloser Flug
3 Eulenkunde
Eulenangeln
Kaninchenkäuzen auf den Grund gehen
4 Wenn sie schreien
5 Wie man eine Eule macht
Rufen, pfeifen, klatschen – alles wegen der Liebe
Wohnungssuche
Wie man kleine Eulen großzieht
6 Bleiben oder gehen?
Bleiben …
… oder gehen?
7 Eine Eule in der Hand
8 Halb Vogel, halb Geist
9 Was die Eulen sagen
Nachwort Schützt die Eulen
Bildteil
Dank
Literatur
Allgemein
1 Eulen verstehen
2 Wie es ist, eine Eule zu sein
3 Eulenkunde
4 Wenn sie schreien
5 Wie man eine Eule macht
6 Bleiben oder gehen?
7 Eine Eule in der Hand
8 Halb Vogel, halb Geist
9 Was die Eulen sagen
Nachwort: Schützt die Eulen
Bildnachweis
Innenteil:
Bildteil:
Sachregister
Für meine Schwester Nancy,
in Liebe und Dankbarkeit
Wer weiß …
Eine Waldohreule
Warum sind wir eigentlich von Eulen so fasziniert? Sie tauchen in den 30000 Jahre alten Malereien der Chauvet-Höhle in Frankreich ebenso auf wie in den Hieroglyphen der alten Ägypter, in der griechischen Mythologie und unter den Gottheiten des Ainu-Volkes in Japan, in Druckgrafiken und Radierungen von Picasso, aber auch als Boten in den Harry-Potter-Geschichten, wo sie zwischen den Domänen der nüchternen Muggels und der Magie hin und her wechseln. Sie sind in unserer Sprache zu Hause und kursieren in Sprichwörtern. So ist ein schrulliger oder halsstarriger Mensch ein »komischer Kauz«. Wer abends lange aufbleibt oder aktiv ist, wird eine »Nachteule« geheißen. Wenn wir alt und klug sind, nennt man uns »weise alte Eulen«.
Mancherorts konkurrieren die Eulen mit den Pinguinen um die größere Beliebtheit. An anderen Stellen werden sie als dämonische Geister geschmäht. Eulen haben eine Doppelnatur. Sie sind sanft und tödlich, niedlich und brutal, wild und lustig. Manchmal spielen sie den boshaften Clown und stehlen Kameraausrüstungen oder schnappen sich Hüte. In ihren runden Köpfen und den großen Augen erkennen wir etwas zutiefst Vertrautes, und gleichzeitig vermitteln sie uns eine Ahnung von einem ganz anderen Dasein, von der dunklen Seite unserer eigenen Existenz. Die meisten Eulen sind Geschöpfe der Nacht: Sie bewegen sich unsichtbar und offenbaren sich nur durch ihr eigenartiges nächtliches Heulen und Schreien. Ihr Flug ist von samtener Stille, und ihre Geschicklichkeit bei der Jagd, die oft in pechschwarzer Dunkelheit stattfindet, lässt uns staunen.
In vielen Kulturkreisen gelten Eulen halb als Vögel und halb als Geister, als eine Mischung aus Realität und Übersinnlichem. Einerseits sind sie Symbole für Wissen und Weisheit, andererseits die Überbringer von Unglück, Krankheit oder sogar Tod. Oft sieht man in ihnen Propheten oder Boten. Die alten Griechen glaubten, eine über ein Schlachtfeld fliegende Eule kündige den Sieg an. In der frühen Folklore Indiens tauchen Eulen als Symbole von Weisheit und Prophezeiung auf. Ebenso bei den Navajo. Deren Mythos vom Schöpfer Nayenezgani erinnert die Menschen daran, dass sie auf die Stimme der Propheteneule hören müssen, wenn sie etwas über ihre Zukunft erfahren wollen. Für die Azteken waren Eulen ein Symbol der Unterwelt, und für die Maya kamen sie als Botschafter von Xibalbá, dem »Ort der Furcht«. In Shakespeares Julius Caesar ist Casca entsetzt, als eine Eule am hellen Tag als Omen für den baldigen Tod erscheint: »Gestern saß der Vogel / Der Nacht sogar am Mittag auf dem Markte / Und kreischt’ und schrie …«
Eulen gibt es auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis, und in der Fantasie der Menschen existieren sie in allen Formen. Aber obwohl diese Vögel so allgegenwärtig sind und so viel Interesse wecken, hat man in der Wissenschaft erst vor Kurzem begonnen, sie eingehender zu studieren. Eulen sind schwerer zu finden und zu erforschen als andere Vögel. Sie leben versteckt, sind getarnt, scheu und zu einer Tageszeit aktiv, zu der man nur mit Mühe an jene Orte gelangt, an denen sie anzutreffen sind. Dennoch ist es Forschenden in jüngster Zeit mit einer Reihe von leistungsfähigen Methoden und Hilfsmitteln gelungen, sie zu studieren und ihre Geheimnisse zu lüften.
Das vorliegende Buch handelt von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über diese rätselhaften Vögel – über ihre bemerkenswerten anatomischen und biologischen Eigenschaften, ihr Verhalten, ihre geschickten Jagdmethoden, ihre Heimlichtuerei und Sinneseigenschaften, durch die sie sich von nahezu allen anderen Vögeln unterscheiden. Es beschreibt, wie Wissenschaftler den verhüllenden Vorhang zurückgezogen haben und so ans Licht brachten, wie Eulen kommunizieren, balzen und sich paaren, wie sie ihre Jungen großziehen, ob ihr Handeln mehr auf Instinkt oder auf Lernen beruht, warum sie sich von Ort zu Ort bewegen oder an nur einer Stelle den Jahreszeiten trotzen, und was sie uns über ihre Natur – und unsere eigene – zu sagen haben. Es berichtet von neuen Erkenntnissen über Eulen, ganz gleich, ob sie nun in freier Wildbahn lebten oder aber in Gefangenschaft, sodass wir sie »in der Hand hatten«, meist weil sie verletzt waren. Wenn Experten in enger, partnerschaftlicher Beziehung zu Eulen leben und arbeiten, lernen sie oft Dinge, die sie nur aus unmittelbarer Nähe und von Angesicht zu Angesicht mit ihrem Gegenüber erfahren können. Auf diese Weise bringen sie die Wissenschaft voran in der Frage, was es heißt, für diese Vögel zu sorgen – und die Eulen, die von ihnen geheilt werden, tragen im Gegenzug dazu bei, die Öffentlichkeit aufzuklären; sie offenbaren uns einige der tiefsten Geheimnisse rund um ihre Kommunikation, ihre Individualität und Persönlichkeit, ihre Gefühle und ihre Intelligenz.
Unter anderem haben Forschende das scheinbar »einfache« Kreischen und Rufen der Eulen analysiert und dabei herausgefunden, dass ihre Stimmäußerungen komplizierten Regeln folgen; die Vögel bringen damit nicht nur ihre Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck, sondern vermitteln auch ganz gezielt Informationen über ihre individuelle Identität, ihr Geschlecht, ihre Größe, ihr Gewicht und ihren psychischen Zustand. Manche Eulen singen im Duett. Andere duellieren sich mit ihren Stimmen. Eulen können einander allein an der Stimme erkennen. Auch ihre Gesichter sind ausdrucksvoll. Es mag vielleicht so aussehen, als trügen sie den gleichen leeren, meditativen Gesichtsausdruck, der so unerschütterlich ist wie der Mond, aber in Wirklichkeit kann ihr Aussehen sich mit ihren Gefühlen verändern – und liefert damit faszinierende Einblicke in ihre »Gedankengänge«, vorausgesetzt, man weiß sie zu lesen.
Manche Eulen wandern, aber nicht wie andere Zugvögel und nicht nach vorhersagbaren Mustern. Andere lagern oder horten ihre Beute in speziellen Vorratskammern. Und wieder andere schmücken ihre Nester aus. Kaninchenkäuze leben – manchmal zusammen mit Präriehunden – in unterirdischen Bauten, und wenn sie bedroht werden, zischen sie wie eine in die Enge getriebene Klapperschlange. Sie verzieren ihre Nester mit Maiskolben, Bisondung, Stofffetzen und sogar Kartoffelstücken. Waldohreulen sitzen in großen Kolonien zusammen, die wie die Kolonien mancher Schwalbenarten als Informationszentren dienen dürften. Bei der Erforschung von Schleiereulen hat man herausgefunden, dass die Eulenbabys wie Menschenbabys schlafen: Der Anteil des REM-Schlafes (in dem wir träumen) ist länger als bei ausgewachsenen Eulen. Warum ist das so? Können Eulen bei der Klärung der Frage helfen, welche Rolle der REM-Schlaf für die Gehirnentwicklung von Vögeln und Menschen spielt? Sprechen Eulen im Schlaf?
Die meisten Eulen sind sozial monogam: Sie bilden Paare und pflanzen sich fort. Neueren Forschungsergebnissen zufolge sind sie aber auch genetisch monogam: Sie kopulieren meist nicht außerhalb ihrer Paarbeziehung, was in der Vogelwelt höchst ungewöhnlich ist. Es mag so sein, aber sind sie deshalb gegenüber ihren Partnern und Partnerinnen wirklich so loyal, wie wir es uns vorstellen?
Eulen sind auch als »Wölfe des Himmels« bekannt. Für diese Charakterisierung gibt es heute mehr gute Gründe als je zuvor. Als wilde Jäger fangen sie alle möglichen Beutetiere, von Mäusen und Vögeln über Opossums und kleine Hirsche bis hin zu anderen Eulen. Gelegentlich fressen sie aber auch Aas, und zwar alles Mögliche von Stachelschweinen über Krokodile bis zu Grönlandwalen. Elfenkäuze ernähren sich von Skorpionen, denen sie zuvor den Giftstachel entfernt haben, und wie andere Eulen beziehen sie von ihrer Beute sogar den größten Teil des Wassers, das sie brauchen. Styxeulen, deren Beutetiere vor allem Vögel sind, haben gelernt, mit einem einzigen Beutegriff die Mahlzeit für eine ganze Nacht zu finden. Nach Angaben des brasilianischen Ornithologen José Carlos Motta-Junior orientieren sich die Eulen an den Geräuschen lebhafter, Gruppen bildender Vögel wie der Jacarinitangaren, stoßen auf sie herab und holen sich dann die ganze Versammlung einen nach dem anderen. »Ich habe Gewölle mit den Überresten von mindestens fünf Tangaren gefunden; mein Rekord war ein Kügelchen mit elf!«
Bahnbrechende Beobachtungen über die Sinneswahrnehmungen der Eulen werfen ein neues Licht auf die ungeheuren Fähigkeiten, mit denen diese Vögel nachts ihre Beute finden, auf die eigenartigen Aspekte ihres überragenden nächtlichen Seh- und Hörvermögens, ihre außerordentlich gute Fähigkeit, Geräusche zu lokalisieren, und ihren nahezu geräuschlosen Flug – Anpassungen, mit denen die Eulen nicht nur in der Nahrungskette, sondern auch in der ganzen Evolution einen Höhepunkt bilden. Bis zu einem gewissen Grad haben Eulen im Verlauf der Evolution vielleicht die Fähigkeit verloren, zwischen Farben zu unterscheiden, aber sie sprechen unglaublich empfindlich auf Licht und Bewegungen an. Auch ultraviolettes Licht sehen sie dank einer biologischen Ausstattung, die sie drastisch von den meisten anderen Vögeln unterscheidet. Neue Kenntnisse über die Ohren der Eulen, die als »Ferraris der Geräuschempfindlichkeit« bezeichnet wurden, haben unsere Vorstellungen von ihrem übermenschlichen Hörvermögen verändert und sogar zur Gestaltung von Hörtests für Babys beigetragen. Forschende haben herausgefunden, auf welch unerwartete Weise ein Bartkauz im Winter eine verblüffende Leistung erbringt: Er fängt tief unter dem Schnee versteckte Wühlmäuse allein aufgrund des Geräusches. Auch in der Frage, wie Eulen den Schall verarbeiten, gibt es Neuigkeiten: Manche Geräusche, die sie wahrnehmen, werden in den Sehzentren des Gehirns verarbeitet, sodass sie vom Schall eigentlich ein optisches Bild gewinnen – das Rascheln einer Maus blitzt im Dunkel des Waldes auf wie ein Leuchtfeuer. Bei einer weiteren Entdeckung kann es uns wirklich den Atem verschlagen: Das Gehirn einer Eule macht ihre Beute mit mathematischen Methoden ausfindig. Wer hätte das gedacht?
Für mich schmälern solche Erkenntnisse nicht das Staunen über die Eulen, sondern sie machen es nur größer.
Eine Eule ist eine Eule ist eine Eule.
Keineswegs. Zwischen Eulen gibt es krasse Unterschiede, sowohl von einer Spezies zur anderen als auch zwischen den Individuen derselben Art. Das ist einer der Gründe, warum ich über diese Ordnung der Vögel schreiben wollte – ich wollte wissen, welche Eigenarten die einzelnen Eulenarten haben und was wir über ihre Evolution, die Anpassung einzelner Arten und ihr individuelles Wesen wissen.
Viele allgemeine Kenntnisse, die wir über Eulen gewonnen haben, treffen nicht auf alle Arten zu. Nicht alle Eulen sind nachtaktiv. Nicht alle fliegen lautlos. Nicht alle haben asymmetrische Ohren. Nicht alle gehen lebenslange Paarbeziehungen ein. Und nicht alle rasten auf Waldbäumen. Manche Eulen, so die in der australischen Nullarbor-Ebene heimische Neuhollandeule, wohnen in Höhlen, andere auf dem Erdboden oder darunter wie der Kaninchenkauz. Meinen ersten Riesenkauz – einen gefräßigen Jäger, der als einziger australischer Vogel mehr als sein eigenes Körpergewicht an Beutetieren tragen kann – sah ich mitten in Sydney auf einem Stadtbaum sitzen. Manche Eulen wie der Brillenkauz lassen an den tiefsten Regenwald denken. Andere, so die Schnee-Eule und der Raufußkauz, beschwören das Bild eisiger Polarlandschaften herauf. Und warum sind Schnee-Eulen weiß? So einfach, wie es zu sein scheint, ist es nicht.
Eulen sind nicht nur zurückhaltend, wachsam und geheimnistuerisch, sondern auch Dissidenten und Bilderstürmer, die Regeln brechen. Oft stellen wir uns vor, sie seien Einzelgänger, aber manche sitzen auch gruppenweise zusammen – Waldohreulen bilden große Kolonien. In tropischen Gebieten formen Eulen manchmal Gemeinschaften, in denen bis zu sieben Arten zusammenleben. Der in Mittel- und Südamerika heimische Sprenkelkauz veranstaltet nachts bekanntermaßen Besprechungen mit mehreren Individuen – ein echtes Eulenparlament; die Gründe sind immer noch rätselhaft.
Eulen sind zwar für ihr nachtaktives Leben bekannt, in Wirklichkeit geht aber nur ein Drittel aller Eulenarten nachts auf die Jagd. Andere jagen in der Abenddämmerung. Bartkäuze sind vorwiegend nachtaktiv, jagen aber während der Paarungssaison, wenn sie ihre Jungen ernähren müssen, auch tagsüber. Andere Arten wiederum, so Sperbereulen und Kalifornienzwergkäuze, tun das rund ums Jahr bei Tageslicht. Wenn man Glück hat, sieht man im hohen Norden vielleicht eine Sperbereule, die auf Lichtungen der nördlichen Wälder auf Sicht jagt: Sie macht ihre Beute schon aus fast einem Kilometer Entfernung aus, stößt dann von ihrem Sitzbaum herab oder schwebt sogar wie ein Falke in der Luft, um sich einen kleinen Vogel oder eine Spitzmaus zu schnappen.
Kalifornienzwergkäuze sind auch in anderer Hinsicht Rebellen. Die meisten Eulen legen ihre Eier im Laufe mehrerer Tage ab, und die Jungen schlüpfen zu unterschiedlichen Zeiten. Der Kalifornienzwergkauz widersetzt sich dieser Konvention – seine Jungen schlüpfen alle gleichzeitig.
Eulen lassen mir vor lauter Fragen den Kopf schwirren. Warum nehmen sie in der Fantasie der Menschen so einen festen Platz ein? Sie stehen im Ruf, weise zu sein, aber sind sie wirklich schlau? Handeln sie allein aus Instinkt oder sind sie neugierig und erfinderisch? Haben sie Gefühle? Warum weisen die Augen der Eulen als einzige der Vogelwelt in die gleiche Richtung wie unsere, also nach vorn und nicht zur Seite? Warum überschritten die frühen Vorfahren der Eulen die Grenze zur Nacht? Und warum gehen manche Eulen tagsüber auf die Jagd? Eulen leben rund um den Erdball, aber es gibt Brennpunkte der Artenvielfalt: im Südosten von Arizona, im Westen Mexikos, in Südasien, im südöstlichen Brasilien. Was lockt so viele Arten in diese Regionen? Wie stellen sich Eulen auf Veränderungen ihrer Lebensräume und des Weltklimas ein?
In diesem Buch wird immer wieder von Entdeckungen die Rede sein, die solche Fragen beantworten und neue aufwerfen. Hier finden sich die Erkenntnisse und Beobachtungen von Tierärzten und Lehrerinnen, die mit dem Leben und den Gewohnheiten der Eulen aufs Innigste vertraut sind, von Fachleuten für Ethnoökologie, die sich mit der Tiefenwirkung dieser Vögel auf unsere Psyche beschäftigen, aber auch von Forschenden aus Biologie und Ökologie, die der Frage nachgehen, welche Bedeutung Eulen für die Natur haben und wie wir sie am besten schützen können. Außerdem finden sich hier Porträts von Menschen, die von Eulen fasziniert waren; manche davon sind berühmt – Florence Nightingale, Theodore »Teddy« Roosevelt, Pablo Picasso –, andere sind unbekannt wie die Bibliothekarin am Metropolitan Museum of Art, die Eulenbilder aus allen Epochen sammelt und ein besonders schönes auf ihrem Körper trägt. Wir werden Forschenden aus der Bürgerwissenschaft begegnen, die unsere Kenntnisse über Eulen vorangebracht haben, ganz normale Männer und Frauen, die keine wissenschaftliche Ausbildung haben und dennoch auf hervorragende Weise zu unseren Kenntnissen beitragen. Eine niederländische Musikerin nutzt ihr fein abgestimmtes musikalisches Gehör, um bei Uhus auf Individualität, Untreue und Ehescheidung zu lauschen. Ein Herzchirurg richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die intimen Gespräche zwischen Paaren von Kalifornienzwergkäuzen – ihr »sanftes Reden«, wie er es nennt – und will so verstehen, wie Balz und Paarung ablaufen. Eine Krankenschwester aus der Notaufnahme beringt nachts Sägekäuze und verschafft sich damit nicht nur Linderung für ihre berufsbedingten Traumata, sondern auch handfeste Daten über die Wanderungen dieser scheuen kleinen Eulen – früher hielt man sie für selten, aber heute wissen wir vor allem durch solche Freiwilligen, dass sie erstaunlich weit verbreitet sind.
Und natürlich werden wir die Forschenden kennenlernen, die ihr Leben der Aufgabe gewidmet haben, diese Vögel besser zu verstehen. David Johnson studiert Eulen seit mehr als vierzig Jahren und leitet das Global Owl Project; als ich ihn fragte, warum er die Eulen liebt, antwortete er: »Ich habe sie mir nicht ausgesucht. Sie haben sich mich ausgesucht.« Das haben sie gut gemacht. Johnson und sein Team von über 450 Forschenden aus der ganzen Welt arbeiten seit zwei Jahrzehnten gemeinsam daran, alle Eulenarten der Erde zu bewahren.
Aber die eigentlichen Helden dieses Buches sind die Eulen selbst. Seit Jahrtausenden sind sie für uns Boten und Zeichen. Was sagen sie uns heute?
»Und wenn irgendwer irgendwas über irgendwas weiß«, sagt Pu der Bär, »dann ist es Eule, die was über was weiß.« Eulen haben uns viel Wahres zu sagen, und das sowohl aus der Ferne – von ihren Sitzplätzen und Nestern tief in alten Wäldern, in Wüsten und der Arktis – als auch aus der Nähe in den Händen von Tierärzten, Naturschützerinnen, Forschenden und Lehrenden. Wir tun gut daran, ihnen zuzuhören.
Die Geheimnisse werden gelüftet
Eulen sind mit ihrem aufgerichteten Körper, dem großen runden Kopf und den riesigen, nach vorn weisenden Augen vermutlich die markanteste Vogelordnung der Welt – man kann sie kaum mit irgendeinem anderen Tier verwechseln. Selbst ein kleines Kind erkennt sie mühelos. Dem stehen andere Lebewesen in nichts nach, darunter Vögel wie Meisen, Raben und Krähen: Sie machen die Gestalt einer Eule sofort aus und identifizieren in ihr einen Feind. Aber sehen wir von dieser grundlegenden, charakteristischen Körperform einmal ab: Was macht eine Eule eigentlich zur Eule? Und wie wurden diese außergewöhnlichen Vögel zu dem, was sie sind?
Durch die Erforschung von Eulen aus Vergangenheit und Gegenwart will man diese Vögel bis zu ihren ersten Anfängen zurückverfolgen, ihre Evolution verstehen und ihren Stammbaum aufklären. Zum ersten Mal erschienen Eulen in der Epoche des Paläozäns vor rund 55 bis 65 Millionen Jahren auf der Bildfläche. Einige Zigmillionen Jahre später spalteten sie sich in zwei Familien auf: die Tytonidae oder Schleiereulen und die Strigidae oder Eigentlichen Eulen. Wie alle Vögel entwickelten sie sich ursprünglich aus einer Gruppe kleiner, vorwiegend räuberisch lebender, laufender Dinosaurier, die vor 66 Millionen Jahren neben den größeren Dinosauriern lebten. Aber dann änderte sich alles: Ein riesiger Asteroid schlug auf der Erde ein und löste ein Massensterben aus, bei dem die meisten an Land lebenden Dinosaurier von der Erde verschwanden. Einige Arten überlebten jedoch, darunter auch die Urahnen der heutigen Eulen und aller anderen Vogelarten.
Anfangs glaubte man, die Eulen seien mit den Falken verwandt, denn mit diesen Greifvögeln hatten sie die Lebensweise als Jäger gemeinsam. Später ordnete man sie wegen ihrer großen Augen und des Tarngefieders den nachtaktiven Vögeln wie den Nachtschwalben zu. Neuere Forschungsarbeiten zeigen jedoch, dass die Eulen weder mit den Falken noch mit den Nachtschwalben am engsten verwandt sind, sondern mit einer Gruppe tagaktiver Vögel, zu der Tukane, Trogone, Wiedehopfe, Hornvögel, Spechte, Eisvögel und Spinte gehören. Von dieser Schwestergruppe spalteten sich die Eulen vermutlich während des Paläozäns ab, nachdem die meisten Dinosaurier bereits ausgestorben waren und die Vielfalt der kleinen Säugetiere zunahm. Manche dieser kleinen Säugetiere zogen sich in nächtliche ökologische Nischen zurück, und die Eulen stellten sich darauf ein: Bei ihnen entwickelte sich eine Reihe von Merkmalen, mit denen sie die Nacht für ihre üppigen Mahlzeiten nutzen konnten. Heute ist den meisten Eulen eine Fülle bemerkenswerter Eigenschaften gemeinsam, durch die sie sich von anderen Vögeln unterscheiden und eine einzigartige Fähigkeit erlangt haben, nachts zu jagen; so besitzen sie eine Netzhaut mit vielen Zellen, die auch bei schwachem Licht eine gute Sehfähigkeit verleiht, ein herausragendes Gehör und weiche, getarnte Federn, die für einen geräuschlosen Flug maßgeschneidert sind. Von den rund 11000 heute lebenden Vogelarten besitzen nur drei Prozent solche Anpassungen, mit denen sie ihrer Beute im Dunkeln nachstellen können.
Seit sie zum ersten Mal auf der Erde auftauchten, sind rund 100 Eulenarten gekommen und gegangen; dabei haben sie fossile Spuren hinterlassen. Eine von ihnen war Primoptynx, eine eigenartige Eule, die vor 55 Millionen Jahren den Himmel von Wyoming durchstreifte und eher wie ein Falke als wie eine Eule jagte; eine andere war die Schleiereule Tyto pollens: Sie war einen vollen Meter groß und versetzte die Säugetiere des Pleistozäns in Angst und Schrecken. Eine andere ausgestorbene Eule, die erst vor relativ kurzer Zeit, nämlich im 18. Jahrhundert, von der Insel Rodrigues im Indischen Ozean verschwand, hatte ein kleineres Gehirn als die meisten heutigen Vertreter ihrer Gruppe, aber einen gut entwickelten Geruchssinn; man kann also vermuten, dass sie ihre Nase stärker zum Jagen und vielleicht sogar zum Aasfressen einsetzte.
Heute kennt man rund 260 Eulenarten, und die Zahl wächst. Sie sind in allen möglichen Lebensräumen und auf nahezu allen Kontinenten zu Hause, in Wüsten und Graslandschaften, tropischen Wäldern, Gebirgen und der schneebedeckten arktischen Tundra; auch in Größe, Aussehen und Verhalten repräsentieren sie ein breites Spektrum, von dem winzigen Elfenkauz, einem kleinen Knäuel von einem Vogel, der an einen Troll erinnert, ungefähr so groß wie ein kleiner Kiefernzapfen ist und rund 25 Gramm wiegt, bis zu dem riesigen Uhu, der einen jungen Hirsch fangen kann; von dem zarten Sägekauz, der nach den Worten von Mary Oliver »wie ein großer weicher Schmetterling fliegt«, bis zu dem komischen Kaninchenkauz mit seinen dünnen Beinen und seinem wippenden Gruß. Es gibt den Schokoladenkauz und die Kubaeule, den Riesenkauz und die Salomoneneule, deren menschenähnlicher, alle zehn Sekunden wiederholter Schrei einem das Blut gerinnen lässt, den Kleinen Brillenkauz, die Bänderkreischeule und den Blassuhu, die größte Eulenart Afrikas mit ihren auffälligen rosa Augenlidern. Manche Eulen, darunter die allgegenwärtigen Schleiereulen, die in zahlreichen Formen auf der ganzen Welt vorkommen, tragen mehrere umgangssprachliche Namen, in denen sich ihre mythische Kraft widerspiegelt: Dämoneneulen, Geistereulen, Todeseulen, Nachteulen, Kircheneulen, Höhleneulen, Steineulen, Koboldeulen, Affengesichtige Eulen, Silber- oder Goldeulen.
Auch heute tauchen – oftmals zur Verblüffung der Forschenden – immer noch neue Eulenarten auf, darunter eine, über die man in Fachkreisen besonders staunte, als sie im Hochgebirge der Anden im Norden Perus entdeckt wurde. Der Perukauz ist eine winzige, bizarre Eule und einer der seltensten Vögel der Welt; mit seinen langen, zarten Tasthaaren im Gesicht und den Stummelflügeln unterscheidet er sich so stark von anderen Eulen, dass die Fachleute ihn in eine eigene Gattung namens Xenoglaux einordneten, was auf Griechisch »seltsame Eule« heißt. Der Perukauz singt ein schnelles Lied, das als »leises, abweisendes, gedämpftes wuuu oder harr« beschrieben wurde, und kommt nur im Hochwald zwischen zwei Flüssen in den Anden vor. Im Jahr 2022 entdeckten Forschende auf der Insel Príncipe vor der Westküste Afrikas eine neue Spezies von Zwergohreulen und tauften sie auf den Namen Otus bikegila nach dem Nationalparkranger, der entscheidend dazu beigetragen hatte, sie ans Licht zu bringen. Da manche Eulen in solchen abgelegenen Regionen, in tropischen Regenwäldern oder in Gebirgen und auf Inseln leben, wo die Populationen geografisch getrennt sind und sich genetisch auseinanderentwickeln können, dürfte die Zahl der Arten noch weiter steigen.
Der Perukauz
Auch umfassendere Kenntnisse über die bereits bekannten Eulenarten treiben die Artenzahl nach oben und verändern ihren Stammbaum. Als Forschende den Körperbau, die Stimmäußerungen und die DNA bekannter Eulenarten untersuchten, fanden sie zwischen den Populationen so viele Unterschiede, dass man sie in zwei oder mehr Arten aufteilen konnte.
Ein Beispiel sind die Schleiereulen, die älteste Abstammungslinie der Eulen. Sie entstand vermutlich ursprünglich in Australien oder Afrika und verbreitete sich über die gesamte Alte Welt; heute leben Schleiereulen auf nahezu allen Kontinenten. Da sie in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet gleich aussehen, hielt man sie früher für eine einzige Spezies. Aber die Eulen zeigen uns, dass das Aussehen täuschen kann. Durch DNA-Analysen stellte sich heraus, dass die Tytonidae – so der wissenschaftliche Name der Schleiereulen – in Wirklichkeit ein reichhaltiger Komplex aus mindestens drei Arten mit insgesamt rund 29 Unterarten sind. In abgelegenen Regionen dürfte es noch weitere geben, die man bisher nicht kennt. Ebenso konnten Forschende mit genetischen Untersuchungen zwei neue Arten von Kreischeulen aus Brasilien unterscheiden, die man zuvor mit anderen südamerikanischen Arten zusammengefasst hatte: die Alagoas-Kreischeule aus dem Regenwald am Atlantik und die Xingu-Kreischeule, die im Amazonasgebiet zu Hause ist. Beide sind durch die Abholzung gefährdet und vom Aussterben bedroht.
Neben neuen Arten kommt aus Labors und Freilanduntersuchungen auf der ganzen Welt seit ungefähr zehn Jahren eine Fülle neuer Erkenntnisse über das Wesen der Eulen und wirft ein neues Licht auf viele alte Rätsel dieser Vogelgruppe. Warum macht man diese Entdeckungen gerade jetzt? Wie finden Forschende neue Erklärungen für das verborgene Leben und die Gewohnheiten dieser unergründlichen Vögel?
Zunächst einmal stehen heute neue Hilfsmittel zur Verfügung, mit denen man die Evolution, Anatomie und Biologie der Eulen studieren und sie in freier Wildbahn aufspüren kann, um dann ihren Bewegungsmustern zu folgen und ihr Verhalten zu überwachen. Neuartige Bildgebungsverfahren wie die Röntgen-Computertomografie (CT) schaffen die Möglichkeit, in den Körper lebender Eulen hineinzublicken und die anatomischen Strukturen sichtbar zu machen, die unmittelbar mit ihrem Verhalten zu tun haben; ebenso kann man Gestein durchleuchten und darin die Fossilien erkennen. DNA-Analysen legen Verwandtschaftsbeziehungen im Stammbaum der Eulen offen und stellen damit alte Vorstellungen davon, wer mit wem verwandt ist und wie eng, infrage. Neue »Augen« in freier Wildbahn – Infrarotkameras und andere Nachtsichtgeräte, Funksender und Drohnen über abgelegenen Regionen wie den schneebedeckten Landschaften Sibiriens – ermöglichen neue Erkenntnisse über das Verhalten der Eulen oder bestätigen ältere Beobachtungen, die durch Beringen und andere Feldforschungsmethoden seit Jahrzehnten gewonnen wurden. Satelliten-Telemetrie bringt Licht in die Wanderungsbewegungen von Eulen über kurze und lange Entfernungen. Unter anderem konnte man mit winzigen Satellitensendern, die Schnee-Eulen auf den Rücken gebunden wurden, großartige neue Erkenntnisse über die rätselhaften Wanderungsbewegungen dieser Vögel gewinnen, so über die erstaunlichen Reisen nach Norden, die manche dieser sagenumwobenen Vögel im tiefsten Winter auf sich nehmen.
Nestkameras bieten einen Blick auf den intimen Umgang der Eulen im Nest, den man sonst unmöglich beobachten könnte. Unter anderem sieht man die Fütterung von Partnern und Jungen, aber auch die Streitigkeiten unter Geschwistern. »Nestkameras erzählen uns alles«, sagt der Ornithologe Rob Bierregaard, der Streifenkäuze studiert. »Sie zeigen am besten, was auf dem Speiseplan steht – Flughörnchen, Kardinäle, Salamander, Fische, Krebse, große Insekten – und wie die Fütterung abläuft. Man sieht, wie das Männchen dem Weibchen das Futter übergibt, damit sie damit die Jungen versorgt. Ich habe gesehen, wie Männchen auf Zweigen den Mäusen nachstellen und sogar ein Opossum Stück für Stück abliefern.« Nestkameras legen selbst die manchmal boshafte, manchmal aber auch freundliche Dynamik zwischen Geschwistern offen. Die Jungen aus einem Gelege sind oftmals egoistisch und auf Konkurrenz bedacht; das kann bis zum Geschwistermord gehen. Manche jungen Eulen zeigen aber auch eine bemerkenswerte Form des Altruismus, wie er im Tierreich selten ist. Kürzlich geschlüpfte Schleiereulen zum Beispiel geben bekanntermaßen in jeder Nacht durchschnittlich zweimal Futter an ihre jüngeren Geschwister weiter.
Der Biologe Dave Oleyar, der Ende der 1990er-Jahre im Rahmen seiner Masterarbeit forschte, hätte sich glücklich geschätzt, wenn ihm damals schon die heutigen technischen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. »Was wir heute können, ist schon erstaunlich«, sagt er. »Wir lassen die Nestkameras rund um die Uhr laufen und dokumentieren, wie Beute zum Nest geliefert wird, was die Eltern bringen und wie oft sie es tun; damit sammeln wir eine ungeheure Menge von Daten über die Prinzipien der Nahrungssuche. Bevor wir in der Feldarbeit diese ›Augen‹ hatten, war die Erforschung von Wachstum, Entwicklung und Interaktionen der Jungvögel mit übermächtigen logistischen Schwierigkeiten verbunden.«
Auch dass man den Eulen heute mit hoch entwickelten neuen Tonaufzeichnungsgeräten aus der Ferne zuhören kann, war für die Eulenforschung ein Segen. Jetzt konnte man das Wechselspiel zwischen verschiedenen Eulenarten besser verstehen, ohne die Vögel zu stören. So analysierten Forschende beispielsweise mit akustischer Überwachung in der Sierra Nevada die Dynamik zwischen den Streifenkäuzen und den gefährdeten Kalifornienfleckenkäuzen. Sie brachten Tonaufnahmegeräte in einem gebirgigen Gelände an nahezu 1000 Orten auf fast 6000 Quadratkilometern an und sammelten damit die Rufe der Eulen; dabei entdeckten sie vollkommen unerwartete Wechselbeziehungen zwischen den aggressiven Streifenkäuzen auf der einen Seite und den kleineren, aber überraschend streitsüchtigen Fleckenkäuzen auf der anderen – woraus sich für den Naturschutz bedeutende Folgerungen ergeben.
Eine weitere ungewöhnliche Methode, um Eulen zu verfolgen und zu überwachen, ist deutlich weniger technik- und dafür mehr nasenlastig; Forschende nutzen die olfaktorischen Fähigkeiten von Hunden und machen damit schwer fassbare Eulenarten an abgelegenen Orten ausfindig, so unter anderem in Tasmanien und an der Nordwestküste Nordamerikas. Besonders ausgebildete Hunde schnuppern an dem Gewölle, das die Eulen unter ihren Sitzplätzen und Nestern auf den Boden fallen lassen, zigarrenförmigen Gebilden aus übrig gebliebenem, unverdaulichem Fell und Knochen. Die Brocken zu finden, ist schwierig, aber sie geben Gerüche ab, sodass die Hunde sie schnuppern können und die Forschenden geradewegs zu den Stellen führen, an denen sich die Eulen herumtreiben.
Viele bahnbrechende Erkenntnisse über Eulen wurden auch mit eher traditionellen Methoden gewonnen, so mit Fallen, Messungen, Beringung und langfristiger Überwachung. Die Langzeituntersuchung von Eulen in freier Wildbahn ist eine langwierige, harte Arbeit bei jedem Wetter, zu allen Jahreszeiten und Jahr für Jahr, aber sie liefert wichtige neue Einblicke in das Paarungsverhalten und die Populationsentwicklung. Aus jahrzehntelangen Studien an Waldohreulen, Kaninchenkäuzen, Schnee-Eulen und Waldkäuzen wissen wir, wie Eulen auf Lebensraumzerstörung und Klimawandel reagieren, und damit weisen uns solche Forschungsarbeiten den Weg nicht nur zum Schutz der Eulen, sondern auch zur Bewahrung ganzer Ökosysteme.
Wer Eulen verstehen will, muss sie in ihrem natürlichen Lebensraum in freier Wildbahn beobachten. Aber auch wenn Eulen leicht zu erkennen sind, ist es selbst für Experten nicht einfach, sie zu Gesicht zu bekommen. Tagsüber verstecken sie sich oft unmittelbar vor unserer Nase, indem sie sich vor der Baumrinde tarnen oder in Bodensenken verschwinden; nachts segeln sie unbeobachtet durch die Dunkelheit. »Eulen zu finden, ist schwierig«, sagt der Naturforscher, Fotograf und erfahrene Vogelkenner David Lindo. Er ist auch als »Urban Birder« bekannt, weil er ständig Ausschau nach Vögeln hält. »Oft ist es eine Frage der Sorgfalt. Man muss sich dafür engagieren. Man muss es immer wieder versuchen, herausfinden, wo sie sind, und dann mit religiösem Eifer die Bäume absuchen und Ausschau nach Gewölle halten (den Exkrementen der Eulen).«
Eine getarnte Ostkreischeule
Deshalb sind die raffinierten neuen Hilfsmittel, mit denen man Eulen aufspüren und überwachen kann, so wichtig. Aber Eulen in freier Wildbahn ausfindig zu machen, ist selbst mit leistungsfähiger Technik oft eine nervtötende, trügerische Schatzsuche. Der Ornithologe Sergio Córdoba-Córdoba, der die Eulen Amerikas studiert, sagte mir: »Manchmal ist es wirklich frustrierend. Die Technik mit Infrarotkameras und Telemetrie ist eine große Hilfe, aber oft orientieren wir uns immer noch an Geräuschen. Wenn man eine Eule finden will, deren Gesang man gehört hat, fühlt man sich wie ein Entdecker aus alter Zeit. Du folgst dem Geräusch, gehst oder kriechst, um ohne jedes Geräusch näher heranzukommen (was bei trockenem Laub auf dem Waldboden fast unmöglich ist), und wenn du glaubst, du bist nahe genug, schaltest du die Taschenlampe ein und siehst nach, wer da singt. Aber in den meisten Fällen scheuche ich den Sänger auf und finde nie heraus, wer es ist!«
Forschende und Vogelfreunde locken Eulen häufig mit »Playback« an, das heißt mit Aufnahmen der Revier- oder Paarungsrufe ihrer Artgenossen. »Ein Wanderführer spielt vielleicht den Ruf einer bestimmten Spezies ab, zum Beispiel einer Kreischeule«, erklärt Lindo, »und fünf Minuten später erscheint eine auf einem Baum, du schaltest die Taschenlampe ein, machst ein Bild, und schon ist sie wieder weg.« Im Südosten Brasiliens hatte ich das spannende Vergnügen, mit dieser Methode eine Familie von Schreieulen und zwei Arten tropischer Kreischeulen zu Gesicht zu bekommen. Sie ist für Forschende ein wichtiges Hilfsmittel. Aber für Menschen, die nur gelegentlich Vögel beobachten, ist es nach Lindos Worten »ein gewisser Betrug«.
Nichts geht über eine Zufallsbegegnung, bei der einem eine Eule in freier Wildbahn plötzlich über den Weg fliegt. Menschen, die das Privileg der Stille kennen und sich einfach hinsetzen, Ausschau halten und lauschen wie die Eulen selbst, wird dieses Glück manchmal zuteil. Ganz ähnlich lief auch für Lindo eine der denkwürdigsten Begegnungen mit Eulen ab. Vor einigen Jahren leitete er in der finnischen Hauptstadt Helsinki eine Vogelbeobachtungsreise. Einen Tag hatte er für sich, und so mietete er sich im Hotel ein Fahrrad. »Mir fiel auf, dass es ganz in der Nähe auf einer Insel ein grünes Waldgebiet gab«, erzählte er mir. »Also bin ich mit dem Fahrrad über eine Brücke zu der Insel gefahren. Ich weiß noch, wie ich das Rad abgelegt und mich einfach in den Wald gesetzt habe. Als ich dort saß, kam eine Meise ganz in meine Nähe. Sie landete auf meiner Mütze und schoss dann wieder hinauf in den Baum. Das tat sie mehrere Male, was für mich rätselhaft war. Dann bemerkte ich, wie etwas vor mir über die Lichtung fegte. Es war eine junge Waldohreule. Sie war auf der Jagd und nahm mich überhaupt nicht zur Kenntnis. Ich saß einfach da und sah ihr vielleicht 40 Minuten lang zu, wie sie herumflog und manchmal ganz in meiner Nähe verharrte. Ich blieb stocksteif, war durch die Bäume getarnt, und sie hat mich überhaupt nicht bemerkt. Es war ein atemberaubender Augenblick.«
Etwas Ähnliches berichtet Jennifer Hartman, die sich jahrelang mit den Nördlichen Fleckenkäuzen beschäftigt hat: Sie saß still da und beobachtete die bedrohten Vögel bis zu 18 Stunden hintereinander aus nächster Nähe. »Ich hatte nicht geglaubt, dass ein Mensch so lange mit einer wilden Eule zusammen sein kann, ohne dass sie gestresst ist oder wegfliegt«, sagt sie. »Aber sie sind manchmal eingeschlafen, während ich dort war. Ich habe zugesehen, wie Eulen sich auf den Waldboden fallen ließen und Wasser aus einer Pfütze tranken. Ich habe beobachtet, wie sie nach einem Nickerchen aufgewacht sind und auf den Waldboden hinuntergeflattert sind und die Flügel an einer sonnenbeschienenen Stelle ausgebreitet haben – vielleicht damit die Milben aus dem Gefieder fielen oder damit Ameisen auf die Flügel klettern und die Milben fressen konnten. Einmal habe ich gesehen, wie ein Kolibri im Sturzflug auf ein schlafendes Eulenweibchen herabgestoßen ist. Sie ist aufgewacht und hat sich wohl gedacht: ›Was ist denn jetzt los? Ich habe doch überhaupt nichts getan!‹«
»Und sie haben auch ungewöhnliche Geräusche gemacht«, berichtet sie. »Das Männchen hat einen tiefen Ruf ausgestoßen, den ich zuvor noch nie gehört hatte, und damit das Weibchen gewarnt: ›Bleib sitzen, kauere dich zusammen, bewege dich nicht.‹ Ich habe über sie so viele verschiedene Dinge erfahren, die ich aus keinem Buch hätte lernen können. Es war einfach eine intime, ganz stille, fast jenseitige Erfahrung, und die hat mein Leben verändert.«
Eulen verändern Leben, und unsere Bestrebungen, sie zu verstehen, prägen auch unsere Erfahrung mit der Welt und lassen uns mehr denn je staunen. Sehr deutlich erkannte ich das an einem Frühlingstag im Westen von Montana in einem Straßengraben, der dicht mit Weißdorn und Traubenkirschenbäumen bewachsen war. Ich hielt eine in freier Wildbahn gefangene weibliche Waldohreule in der Hand: Meine Handfläche hatte ich um ihre Füße gelegt, die Klauen verbargen sich zwischen meinen Fingern. Neben mir stand Denver Holt, ein Eulenexperte, der ihre Freilassung beaufsichtigen sollte. »Sieh genau hin, wenn sie wegfliegt«, flüsterte er. Den ganzen Morgen und einen beträchtlichen Teil des Nachmittags hatten wir gebraucht, um sie mit den Japannetzen einzufangen. Es war ein großer Vogel, ausgewachsen, misstrauisch, nicht leicht zu fangen, mit kräftigen Beinen und einem Gefieder, so weich wie Kaninchenfell.
Zuvor hatte ich sie schon mit dem Fernglas entdeckt, als sie rastete und sich ausgestreckt hatte, wie Eulen es tagsüber häufig tun. Anfangs begriff ich nicht, was ich da sah: eine dünne, dunkle Masse im Astgewirr eines Weißdornstrauches, die jedes Mal zu verschwinden schien, wenn ich den Blick abwandte und erneut hinsah. Sie war da und doch nicht da. Ich glaubte, meine Augen würden mir einen Streich spielen. Sie sah weniger wie eine Eule und mehr wie ein abgebrochener Zweig aus: völlig still, aufrecht und steif, senkrecht ausgestreckt mit einer zusammengezogenen Körpermitte wie ein sehr dünner, sehr langer Zylinder. Die langen Federbüschel auf den Ohren, die ihr ihren Namen gaben, waren dicht nebeneinander parallel ausgestreckt und zerstörten die charakteristische Silhouette der Eule, sodass sie sich nahtlos in die Zweige um ihren Sitzplatz einfügte. Sie war warm-graubraun mit einer buntscheckigen Mischung aus horizontalen und vertikalen Streifen, die genau wie Baumrinde aussahen. Wären da nicht ihre leuchtend gelben Augen gewesen, ich hätte den meinen nicht getraut.
Sie einzufangen, war harte Arbeit: Wir mussten uns mehrmals aus verschiedenen Winkeln nähern, um sie in das Netz zu treiben. Als es uns schließlich gelungen war und ich sie in der Hand hielt, hielt sie mich wie eine starrende Katze mit den Blicken fest. Jetzt wurde sie vermessen und gewogen, beringt und für die Freilassung vorbereitet. Ich kroch gebückt in den Tunnel aus Erlen und zeigte ihr eine schmale Öffnung zwischen den dichten, gewundenen Zweigen, winkelte das Handgelenk ein wenig an und öffnete meine Finger. Sie hob ohne das geringste Geräusch ab, breitete die Flügel aus, navigierte mit langsamen, gleichmäßigen Flügelschlägen durch die schmale Öffnung, ohne dass mehr als ein Rauschen zu hören gewesen wäre, und verschwand in dem dunklen Dickicht.
Holt hatte schon Tausende solche Augenblicke mit Eulen erlebt. Für mich war es ein Abenteuer – eindringlich, intensiv, zutiefst berührend. Die Eule schien mir ein Botschafter aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort zu sein, wie Sternenlicht. In ihrer Nähe fühlte ich mich irgendwie kleiner im Körper und größer in der Seele.
Ich fragte Holt, warum er einen großen Teil seines Lebens der Aufgabe gewidmet hat, diese schwer fassbaren Tiere zu studieren. »Deshalb«, sagte er, und machte eine Handbewegung in Richtung des Weges, auf dem sie verschwunden war. Weil sie so wunderschön an ihre Welt angepasst sind, so still, unsichtbar und geheimnisvoll nicht nur in ihrer Färbung, sondern auch im Geräusch, geschickt im Dunkeln, überragende Jäger – Eigenschaften, die sich in Millionen Jahren der Evolution herausgebildet haben. »Und«, so sagte er, »weil sie immer noch voller Überraschungen stecken.«
Geniale Anpassungen
Sanft geht das Dämmerlicht in der Buschlandschaft südlich von Sydney in Dunkelheit über. Über dem australischen Frühling wölbt sich der stille Nachthimmel. Auf den Zweigen eines Feigenbaumes trottet ein Kusu, bleibt stehen, macht sich eifrig an einer reifen Feige zu schaffen, die er fest zwischen seinen kleinen, handähnlichen Pfoten hält. Der Kusu ist ein Beuteltier, ungefähr so groß wie eine Katze, mit spitzer Schnauze, ausgeprägter Nase, großen Ohren und einem buschigen schwarzen Schwanz. Die Frucht ist reif und köstlich; es lohnt sich, in der nahezu vollständigen Dunkelheit innezuhalten und sie zu verzehren. Dann plötzlich, scheinbar aus dem Nichts, ein Flattern von Flügeln, spitze Klauen, ein stahlharter Griff. Ein lautes Quieken, ein wildes Umsichschlagen, ein tödlicher Biss ins Genick. Für den Kusu war es das. Das Tier wird, der Kopf zuerst, an Ort und Stelle verschlungen.
Es war die saubere Arbeit eines Riesenkauzes.
Ein Riesenkauz mit einem Kusu
Die größte Eule Australiens ist ein meisterhafter Greifvogel. »Das Wort ›Raubtier‹ ist ausgeleiert vor missbräuchlicher Verwendung«, schreibt der Autor J.A. Baker. »Alle Vögel fressen irgendwann in ihrem Leben lebendiges Fleisch. Man denke an die kaltäugige Drossel, diesen drollig hüpfenden Fleischfresser aus dem Vorgarten, der Würmer aufspießt und Schnecken totschlägt.«[1]Baker hat natürlich recht. Aber Eulen sind anders, Jäger in Reinkultur, erbarmungslos und in ihren Fressgewohnheiten oftmals grausam. Der Riesenkauz, den ich gesehen hatte, saß im botanischen Garten mitten in Sydney hoch oben in einem Eukalyptusbaum. Unter dem Baum lagen cremige Spritzer aus weißer Flüssigkeit und ein großes, graues, längliches Gewölle mit Fellen und Knochen – mehr war von einem Kusu oder einem Flughund nicht übrig geblieben. Eine solche Eule verzehrt im Jahr erstaunliche 250 bis 350 Kusus – fast jeden Tag einen.
Auch ihr Umgang mit der Nahrung ist ein einziges Wunder. Ein Kusu wird oftmals in weniger als 20 Sekunden ausgenommen, und dann wird der Rest der Mahlzeit in großen Stücken verschlungen. Kusus sind Pflanzenfresser; die Eule hat für deren grüne Nahrung keine Verwendung und kann sie vermutlich nicht einmal verdauen. Kleinere Beutetiere verschlingt sie im Ganzen. Unverdauliche Teile – Fell, Knochen, Federn, Klauen – werden wie bei allen Eulen im Magen gesammelt und zu einem Gewölle zusammengepresst. Dieses bleibt dort stundenlang liegen, aber dann würgt die Eule es wieder hoch – sie drückt es durch die Speiseröhre nach oben und wirft es über den Mund aus.
Ein Kaninchenkauz spuckt ein Gewölle aus
Diese bemerkenswerte Fähigkeit, unverdauliche Nahrungsbestandteile gegen die übliche Verdauungsrichtung aufwärts und nach draußen zu befördern, wird als Antiperistaltik bezeichnet. Auch die Pterosaurier, die fliegenden Beutegreifer der Dinosaurierzeit, waren dazu in der Lage. Es ist manchmal eine recht anstrengende Tätigkeit, und deshalb sehen Eulen unter Umständen aus, als würden sie sich winden, wenn sie ein Gewölle hochwürgen. Es ist für sie aber ein lebenswichtiger Teil des Verdauungsprozesses: Das Gewölle blockiert einen Teil des Verdauungstraktes, und deshalb kann die Eule in der Regel erst dann wieder fressen, wenn sie es ausgestoßen hat.
Eulen gehen auf die Jagd und fressen alle möglichen Tiere. Manche Arten sind spezialisiert: Fischuhus zum Beispiel ernähren sich fast ausschließlich von Fischen, und Ponderosaeulen verzehren vorwiegend Insekten. Manche, darunter die Sumpfohreulen und die Schleiereulen, bevorzugen Mäuse und andere kleine Nagetiere. Aber viele Eulen sind Generalisten und jagen alles – von Spinnen, Fröschen, Salamandern und Mäusen bis hin zu Vögeln und gelegentlich Fledermäusen. Manche Arten, so der Brasilzwergkauz, sind blitzschnelle Beutegreifer: Sie sind so wendig und schnell, dass sie einen schwirrenden Kolibri fangen können, der sich gerade an einer Blüte gütlich tut. Die Sperbereule sitzt still und schlägt dann zu. Sumpfohreulen streifen über einem offenen Feld oder einer Wiese hin und her, wobei sie systematisch den Erdboden mustern und so Mäuse und andere kleine Säugetiere aufspüren. Virginiauhus lassen sich auch von großen Beutetieren nicht abschrecken: Sie fangen bekanntermaßen Waldmurmeltiere, Kaninchen und sogar Hauskatzen, und selbst bei Stinktieren rümpfen sie die Nase nicht. Was Vögel angeht, picken sie Enten nachts vom Wasser, und auch keine Gans ist so groß, dass sie vor einem Angriff sicher wäre. Auch andere Eulen sind für sie leichte Beute, darunter Waldohreulen, Streifenkäuze und all die kleinen Eulenarten aus dem Wald; damit ist der Virginiauhu ein Spitzenprädator, ein Beutegreifer, der andere Beutegreifer frisst.
Selbst die Schnee-Eulen, die in dem Ruf stehen, sich auf die kleinen, als Lemminge bezeichneten arktischen Nagetiere zu konzentrieren, sind in ihrem Appetit durchaus nicht wählerisch. Vieles darüber, was ein Greifvogel frisst, kann man an seinen Füßen ablesen. »Man braucht sich nur die Füße eines Raufußbussards oder eines anderen Spezialisten für kleine Säugetiere anzusehen, diese winzigen, zarten Füße«, sagt der Ornithologe Scott Weidensaul. »Und dann sieht man sich die Schnee-Eule mit ihren mächtigen, kräftigen Füßen an. Die ist kein Spezialist für Lemminge. Die ist ein Spezialist für einfach ›alles, was ich in den Hals kriegen kann‹.« Und dazu gehört auch eine ansehnliche Eiderente oder sogar ein verwesender Delfin.
In der Wissenschaft war man lange überzeugt, Eulen würden kein Aas fressen – und wenn sie es taten, sei es eine Ausnahme. In jüngerer Zeit hat man mit Kamerafallen jedoch festgehalten, wie Eulen sich nach Art von Geiern an Aas aller Arten gütlich tun – Uhus fressen tote Hirsche und Schafe, Bartkäuze suchen sich ihre Mahlzeit an einem von Wölfen erlegten Huftier, eine Waldohreule bedient sich in Italien an vier toten Stachelschweinen, eine Schnee-Eule schlingt in der Arktis Stücke eines Grönlandwalkadavers hinunter, und für einen Fischuhu ist der Kadaver eines Krokodils ein Festmahl.
Den Löwenanteil ihrer Beute holen sich die Eulen aber in lebendiger Form, und das ist nicht einfach. Die meisten Beutegreifer scheitern bei der Jagd häufiger, als dass sie Erfolg haben. Kusus, Lemminge und Mäuse sitzen nicht einfach auf einem Zweig und warten darauf, gefressen zu werden. Sie verstecken sich, versuchen zu entkommen oder leisten sogar Gegenwehr. Ein Kusu stellt sich dazu auf die Hinterbeine, legt die vorderen Pfoten an die Brust, brüllt und greift dann an. Vögel wehren sich manchmal im Verbund: Ein Schwarm ärgert und belästigt die Eulen so lange, bis diese ihren Sitzplatz verlassen.
Von der Geschicklichkeit der Eulen bei der Jagd zeugt auch die Tatsache, dass sie überschüssige Beute aufbewahren. Sie lagern oder verstecken Nahrungsüberschüsse regelmäßig in einem Nest, einem Loch im Baum oder einer Astgabel, um das Überangebot später zu verzehren. Besonders häufig geschieht dies, wenn das Weibchen oder die Jungen satt sind – dann versteckt das Männchen die Reste. Manchmal, wenn Beute leicht verfügbar ist – beispielsweise in Form einer Gruppe schlafender Jacarinitangare –, töten Eulen mehr, als sie sofort fressen können. Steinkäuze kehren immer wieder zu einem Singvogelnest zurück, bis sie alle Jungen mitgenommen haben. Sägekäuze enthaupten manchmal ihre Beutetiere – meist Mäuse und kleine Vögel – und bewahren den Körper zum späteren Verzehr auf. In Norwegen lagerten Zwergkäuze bekanntermaßen bis zu 100 Objekte (vorwiegend kleine Säugetiere) in einer einzigen »Speisekammer«, um den harten Winter zu überstehen.
Eulen jagen in vielerlei Hinsicht wie andere Greifvögel: Sie stellen ihrer Beute mit starken Krallen und einem scharfen Schnabel nach. Sie besitzen kräftige Bein- und Fußmuskeln sowie große Krallen, die sich gut dazu eignen, Beutetiere zu ergreifen und zu töten. Uns kommen Eulen kurzbeinig vor, weil sie die Beine sowohl beim Sitzen als auch im Flug anziehen. Die meisten Arten haben aber lange, mit großen Muskeln ausgestattete Beine, die manchmal halb so lang sind wie der Körper; auch die Knochen sind insbesondere in den Füßen kräftig. Unmittelbar bevor die Eule ihre Beute berührt, streckt sie die kräftigen Füße zum Angriff nach vorn, sodass sie die Beute durch die Kraft des Aufpralls und mit den scharfen Krallen töten kann. Wie sich in einer neueren Studie gezeigt hat, kann eine Eule, die noch nicht einmal ein halbes Kilo wiegt, auf eine Maus mit einer Kraft herabstoßen, die dem 150-Fachen des Gewichts der Beute entspricht. Größere Beutetiere werden manchmal auch getötet, indem die Eule sie mit dem scharfen Schnabel ins Genick beißt, oder sie übt mit den Füßen so lange Druck aus, bis die Beute erstickt. Dass Eulen ihre Beute mit größtmöglicher Kraft festhalten können, verdanken sie zwei genialen Anpassungen an den Füßen. Sie haben vier Zehen, von denen drei im Flug und manchmal auf dem Sitzplatz nach vorn weisen. Wenn die Eule jedoch ihre Beute greifen muss, kann sie einen hinteren Zeh mit einem besonderen, flexiblen Gelenk nach vorn drehen, sodass die Zehen ein X bilden und kraftvoll zugreifen können. Dass sie diesen Griff aufrechterhalten können, ohne zu ermüden, verdanken sie einem System von Sehnen, mit denen die Zehen sich um die Beute schließen, ohne dass die Muskeln sich anstrengen müssen – die Eule muss also zum Festhalten keine Energie aufwenden. Das nützt auch Arten, die ihre Beute »blind« im Schnee, unter Laub oder in völliger Dunkelheit fangen: Sie können sich selbst dann in ihr Ziel verkrallen, wenn sie seine genaue Form oder Größe nicht kennen.
Die Jagd ist für jeden Beutegreifer eine Herausforderung. Aber jagen in der Nacht? Eulen verfügen über eine einzigartige Fähigkeit, Beute im Dunkeln aufzuspüren und zu fangen.
Einmal hatte ich die Gelegenheit, einen Bartkauz aus nächster Nähe kennenzulernen. Percy war der männliche Teil eines Bartkauzpaares, das im Freilichtmuseum Skansen im schwedischen Stockholm lebte. Der Zoowärter führte mich in das geräumige, mit Bäumen und Felsblöcken ausgestattete Vogelgehege und sagte mir, ich solle ruhig an einem Geländer stehen bleiben. Anfangs blieb der große Vogel in der hintersten Ecke der Einfriedung. Ich konnte ihn vor der Baumrinde kaum erkennen, und seine Partnerin war sogar in dem geschlossenen Raum unsichtbar. Als aber der Zoowärter mit einer Schüssel voller gefrorener Mäuse kam, hob Percy ab, flog mit langsamen, leisen Flügelschlägen zu dem Geländer hinüber und landete geräuschlos nur einen knappen Meter von mir entfernt. Er wirkte riesengroß, und der gewaltige Kopf wandte sich zu mir, bis mich die ganze runde Scheibe seines menschenähnlichen Gesichts anstarrte. Er war so nahe, dass ich seine Pupillen sehen konnte, die dunklen Löcher in der Mitte seiner Augen – Ringelblumen im dunklen Grau seiner Gesichtsscheibe. Als der Zoowärter die Hand in die Schüssel steckte, schienen die Augen sich zu erweitern, und der Kopf drehte sich wieder in Richtung des Gefäßes. Der Zoowärter gab ihm eine gefrorene Maus, und er schlang sie sofort hinunter. Dann eine zweite und dritte; immer schluckte er sie im Ganzen.
Normalerweise bekommen Bartkäuze ihre Mahlzeiten nicht auf diese Weise am helllichten Tag serviert. Sie müssen auf ihre Fähigkeiten als listige nächtliche Jäger zurückgreifen. Einige andere Vogelarten, darunter Nachtschwalben, Tagschläfer und Eulenschwalme, jagen am Nachthimmel große Fluginsekten. Aber kein anderer Vogel macht nach Art der Eulen nachts Jagd auf Säugetiere.
Als zwei Freilandforscher in Kanada vor einigen Jahren beobachteten, wie Bartkäuze in dunklen Winternächten auf die Jagd gingen, fiel ihnen auf, wie die Vögel sich von einem Sitzplatz zum anderen bewegten, bis sie an eine Stelle kamen, wo sie offensichtlich unter dem Schnee etwas wahrnahmen.
»Dann stellte der Vogel die Suche ein und starrte in spitzem Winkel nach unten«, schrieben die Naturforscher. »Es war, als wäre er von der Stelle unter ihm nahezu hypnotisiert, und ihn abzulenken war schwierig … Oft beobachteten wir ihn aus drei bis sechs Metern Entfernung, aber wir sahen nur sehr selten etwas – die Eulen dagegen fingen fast immer ein Beutetier, nachdem sie auf das hinabgestoßen waren, was für uns nur wie nackter Schnee aussah.«
Sie machen unsichtbare Beute ausfindig? Was für eine magische Fähigkeit ist das?
Als Erster konnte Roger Payne nachweisen, dass Schleiereulen ihre Beute auch in völliger Dunkelheit ausschließlich auf akustischem Wege jagen können. Payne ist vor allem bekannt, weil er die Gesänge der Buckelwale entdeckte. Aber bevor er sich mit Walen beschäftigte, leitete er eine Reihe ausgezeichneter Studien über Schleiereulen, in denen er der Frage nachging, wie sie so präzise zuschlagen können und welche Sinneseindrücke sie im Einzelnen nutzen, um ihre Beute ausfindig zu machen. In einem Experiment dunkelte er einen Raum vollkommen ab, sodass es darin pechschwarz war, und setzte eine Eule auf einen Sitzplatz in einer Ecke. Auf dem Fußboden verstreute er Blätter, und dann zog er einen Klumpen aus zerknülltem Papier, der so groß war wie eine Maus, durch das Laub. Die Eule versuchte, das raschelnde Papier zu fangen. Um seine Beute zu lokalisieren, nutzte der Vogel weder den Anblick noch den Geruch oder die Körperwärme. »Der Papierklumpen und die Blätter, durch die er gezogen wurde, hatten die gleiche Temperatur«, schrieb Payne. »Die Eule konnte ihn also nicht anhand des Infrarotkontrastes zu seiner Umgebung ausfindig gemacht haben. Der Papierklumpen verströmte auch keinen Mausgeruch, eine Zielführung aufgrund des Geruchs wäre also nutzlos gewesen. Da das Licht ausgeschaltet war, konnte die Eule den Klumpen auch nicht sehen … Aus meiner Sicht blieb nur eine Möglichkeit: Die Eule orientierte sich akustisch an den Geräuschen.«
Um sicherzugehen, verstopfte Payne die Ohren der Eule mit kleinen Wattebäuschen – zuerst das eine, dann das andere. Dann ließ er eine Maus frei, die zwischen den Blättern herumhuschte. »In beiden Fällen flog die Eule im Dunkeln unmittelbar auf die Maus zu, landete aber einen knappen halben Meter vor ihr«, schrieb Payne. »Nach jedem Versuch wurde die Watte entfernt, und die Eule durfte in voller Dunkelheit noch einmal versuchen, die Maus zu fangen, die sie gerade verfehlt hatte. In beiden Fällen konnte sie nun erfolgreich zuschlagen.«
Ebenso filmte Payne, wie Eulen in völliger Dunkelheit auf ihre Beute zuflogen. Dabei gelangte er zu unglaublichen Befunden. Wenn eine Maus die Richtung wechselte, drehte die Eule ihr den Kopf zu und änderte mitten im Flug die Angriffsrichtung.
Wie um alles in der Welt schafft der Vogel das?
Mit einem Kopf, der wie der von Percy für das Hören gemacht ist. Die flache graue Gesichtsscheibe eines Bartkauzes gleicht einer großen Ohrmuschel, einer gefiederten Satellitenschüssel zum Auffangen von Geräuschen. Nicht alle Eulen besitzen eine so große, ausgeprägte Gesichtsscheibe wie Bartkäuze, Raufußkäuze und Schleiereulen. Bei Arten, die sich wie Virginiauhus, Steinkäuze und Zwergkäuze bei der Jagd weniger stark an Geräuschen orientieren, ist sie kleiner. Und bei manchen, so bei den Fischuhus, ist sie stark zurückgebildet. Das ist auch sinnvoll. Bachläufe machen Geräusche, Wasser macht Geräusche, und die Grenzfläche von Wasser und Luft wirft Geräusche zurück. Eine Eule, die auf die Jagd geht, kann also vermutlich die Fische nicht hören. Aber nach Ansicht des Fischuhu-Experten Jonathan Slaght nutzen die Vögel den Schall trotzdem stärker, als wir glauben. Er zeigte mir ein Foto von einem Riesenfischuhu an einem Flussufer. Darauf »sieht der Vogel wirklich aus, als würde er seine Gesichtsscheibe nutzen«, sagt er. »Deshalb glaube ich, dass diese ›Eulen-Gesichter‹ zwar zurückgebildet, aber nicht völlig verschwunden sind.«
Bei Eulen, die sich bei der Jagd vorwiegend an Geräuschen orientieren, ist die Gesichtsscheibe von einem Saum aus steifen, ineinandergreifenden Federn umgeben, die Schallwellen einfangen und in Richtung der Ohren lenken wie bei einem Menschen, der die Hände hinter die Ohrmuscheln legt.
Die Gesichtsscheibe eines Bartkauzes
Federn im hinteren Teil der Scheibe leiten hochfrequente Geräusche zu den Ohren, sodass die Eule weniger Umgebungsgeräusche hört und sich auf die Beute konzentrieren kann. »In der Gesichtsscheibe eines Bartkauzes gibt es eine geradezu phänomenale Vielfalt verschiedener Federn«, sagt Jim Duncan, ein Experte für die Spezies. »Es sind sieben oder acht verschiedene Typen. Diejenigen, die man sieht, sind sehr locker und fadenförmig, sodass der Schall sie leicht durchdringt. Dann gibt es diese gebogenen, festen Federn, die den hinteren Teil der Gesichtsscheibe bilden und wie ein Parabolspiegel wirken. Die Wölbung sorgt wahrscheinlich dafür, dass Schallwellen im optimalen Winkel auf die Scheibe treffen und dann in die Gehörgänge geleitet werden.« Percy kann mit Muskeln, die am unteren Ende der Federn ansetzen, die Form der Scheibe verändern: Dann geht sie von einem Ruhezustand in die Aufmerksamkeit bei der aktiven Jagd über. Einer Eule dabei zuzusehen, ist bemerkenswert: Sobald sie etwas Interessantes hört, stellt sich ihre Gesichtsscheibe darauf ein. Es ist, als wäre die Scheibe selbst eine Art Öffnung, ein »Auge«, das sich weit öffnet, sodass mehr Schall eintreten und in Richtung der Ohren abgelenkt werden kann.
Dass das Wort »Ohr« in den Trivialnamen mancher Eulen vorkommt, ist verwirrend. Wald- und Sumpfohreulen tragen Federbüschel oben auf dem Kopf, die als »Federohren« bezeichnet werden und ganz ähnlich aussehen wie die Ohren von Säugetieren. Sie haben nichts mit dem Hören zu tun, dafür aber umso mehr mit Tarnung und manchmal mit Imponiergehabe.
Die wirklichen Ohren sind bei einer Eule einfache Öffnungen, die seitlich im Kopf liegen und von besonderen, schalldurchlässigen Federn bedeckt sind. Ihre Größe ist je nach der Spezies unterschiedlich und hängt nicht nur davon ab, ob die Vögel tagsüber oder im Dunkeln jagen, sondern auch ob ihre Beute ganz allgemein unsichtbar ist. Die Waldohreule, die nachts auf die Jagd geht und sich vorwiegend von kleinen Nagetieren ernährt, hat tatsächlich neben den langen Federbüscheln auch lange Ohren, Schlitze, die sich von der Oberseite des Kopfes bis hinunter zum Kieferknochen ziehen. Auch Streifen- und Raufußkäuze, die meist nachtaktiv sind, haben große Ohröffnungen. Das Gleiche gilt aber auch für die Zwergkäuze, die oft tagsüber ihre Beute fangen, denn die kleinen Nagetiere, auf die sie es abgesehen haben, verstecken sich im dichten Gras und müssen ebenfalls aufgrund ihrer Geräusche aufgespürt werden.
Und Percys Beute? Sie ist in freier Wildbahn häufig tief im Schnee versteckt, der alles nicht nur unsichtbar macht, sondern auch eine »akustische Fata Morgana« erzeugt, wie man es nennt: Sie verzerrt den Ausgangspunkt von Geräuschen unter dem Schnee, sodass ein Vogel seine Beute nicht so leicht lokalisieren kann. Wie wir noch genauer erfahren werden, haben Bartkäuze eine Reihe spektakulärer Strategien entwickelt, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.
In den Ohren aller Tiere sorgt ein winziges Gebilde, die Hörschnecke oder Cochlea, in Zusammenarbeit mit dem Gehirn für das Hören. Die Hörschnecke enthält Haarzellen, die auf die Schwingungen der Schallwellen ansprechen, und ihre Länge ist bei Tieren ein recht gutes Maß für die Hörfähigkeit. Bei den meisten Eulen ist die Cochlea im Verhältnis zur Körpergröße riesengroß und enthält im Vergleich zu anderen Vögeln eine gewaltige Zahl von Haarzellen. Die Hörschnecke einer Schleiereule hat beispielsweise mächtige Ausmaße. »Das ist im Innenohr der Vögel die Entsprechung zu einem Rennwagen«, sagt Christine Köppl, die an der Universität Oldenburg die Schleiereulen studiert. In ihren Vorträgen präsentiert Köppl gern ein Bild, das die Hörschnecke einer Schleiereule im Vergleich zu den Organen einer Reihe anderer Vogelarten zeigt – Stärlinge, Krähen, Bussarde, Falken. Die Cochlea der Eule ist drei- bis viermal so lang wie die anderer Vögel und verschafft dem Vogel ein außerordentlich scharfes Gehör.
Darüber hinaus hat das Gehör der Eulen mit dem anderer Vögel eine weitere überlegene Fähigkeit gemeinsam, die wir Säugetiere nicht besitzen: Es altert nicht. Um herauszufinden, ob das Gehör von Schleiereulen sich im Laufe der Zeit verändert, tat Köppl sich mit Ulrike Langemann und Georg Klump zusammen. Die Forschenden trainierten sieben Eulen unterschiedlichen Alters darauf, auf ein akustisches Signal hin von einem Sitzplatz zum anderen zu fliegen, wo sie dann eine Belohnung erhielten. Anschließend teilten sie die Vögel in »junge« und »alte« Gruppen ein und testeten das Gehör, indem sie die Frequenz des Signaltons steigerten oder senkten. Dabei fand die Arbeitsgruppe im Vergleich zwischen jungen und älteren Schleiereulen keinerlei altersbedingten Gehörverlust. Der Star der Studie, ein 23 Jahre alter Methusalem von einem Vogel, der den Namen Weiss trug, hörte das gesamte Tonhöhenspektrum ebenso gut wie die zwei Jahre alten Vögel. Man kann also annehmen, dass Eulen wie andere Vögel in der Lage sind, ihre Haarzellen zu regenerieren und damit während ihres gesamten Lebens ein scharfes Gehör zu behalten.
Dieses Glück haben wir Säugetiere nicht. Wenn Menschen, Mäuse oder Chinchillas älter werden, stellt sich ein altersbedingter Gehörverlust insbesondere im hohen Frequenzbereich ein. Anders als bei Vögeln werden die geschädigten Haarzellen in unseren Ohren nicht ersetzt – wir können die Eulen um die Regenerationsfähigkeit ihrer Ohren nur beneiden.
Ein Bartkauzlauscht ständig. Sein Kopf dreht sich und ermittelt die Herkunft von Geräuschen. Die Ohren sind so fein abgestimmt, dass er die leisen Schritte einer Spitzmaus im Wald ebenso heraushören kann wie den Flügelschlag eines Meisenhähers oder das dumpfe Rascheln einer Maus, die tief unter dem Schnee ihre Gänge gräbt. Er fliegt zu der Stelle, schwebt darüber, den Kopf nach unten in Richtung des Geräusches gerichtet, streckt unmittelbar vor dem Auftreffen die Beine nach vorn und stößt durch eine Schneedecke von einem halben Meter, um seine Beute zu ergreifen.
Um allein anhand von Geräuschen jagen zu können, brauchen Eulen nicht nur ungeheuer empfindliche Ohren, sondern sie müssen auch die Herkunft leiser Geräusche im dreidimensionalen Raum ausmachen können – und das manchmal aus der Entfernung oder durch eine dicke Schicht aus Schnee, Boden oder Laub. Mit der Frage, wie eine Eule das schafft, beschäftigte sich der mittlerweile verstorbene Masakazu (Mark) Konishi.
Konishi starb 2020. Ein Jahr später, zum Jahrestag seines Geburtstages, versammelte sich eine große Gruppe von Forschenden – Kolleginnen ebenso wie fortgeschrittene Studierende – zu einer virtuellen Feier; sie wollten den Wissenschaftler und den Menschen ehren, gleichzeitig aber auch neue, durch seine Arbeiten angeregte Forschungsergebnisse präsentieren. In den Titeln der Vorträge spiegelte sich das Staunen wider, das sie mit Konishi gemeinsam hatten: »Die verblüffende Cochlea der Schleiereulen«, »Das verblüffende Mittelhirn der Eulen«, »Der verblüffende Nucleus Laminaris«.
Als Konishi von Roger Payne erfuhr, dass eine Schleiereule allein aufgrund des Geräusches eine Maus fangen kann, wollte er genau wissen, wie der Vogel das macht. Wie kann eine Eule ihre Beute in völliger Dunkelheit verfolgen? Wie findet sie genau heraus, woher ein Geräusch kommt? Was für Schaltkreise im Gehirn machen so etwas möglich? Konishi wusste, dass die Gesichtsscheibe wie auch die Asymmetrie der Ohren dafür hilfreich ist – zumindest bei manchen Eulenarten.
Die Ohren mancher Eulen, darunter der Virginiauhu und die Ostkreischeule, liegen wie bei den meisten anderen Tieren beiderseits des Kopfes auf der gleichen Höhe. Bei anderen, so bei Schleiereulen, Säge- und Bartkäuzen, die sich bei der Jagd stark auf ihr Gehör verlassen, liegt die Ohröffnung jedoch auf einer Kopfseite höher als auf der anderen. Bei Percy ist diese Asymmetrie sehr auffällig. Unter der Masse aus weichen Federn liegt das linke Ohr knapp unterhalb der Augenhöhe, das rechte leicht darüber. Um Beute genau zu lokalisieren, vergleicht Percy die Geräusche, die an den beiden Ohren