Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 597 - Ursula Fischer - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 597 E-Book

Ursula Fischer

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Beschreibung

Was soll ich nur tun?", fragt Barbara ihre Schwester und ihren Schwager verzweifelt. Der gütige alte Herr, bei dem sie seit Kurzem als Gesellschafterin arbeitet, hat sie wie eine Tochter ins Herz geschlossen und ihr nun "eine Ehe auf dem Papier" angetragen, um sie als Alleinerbin einsetzen zu können. Der verwitwete und herzkranke Franz Wagner hat keine Kinder, aber viele Verwandte, habgierige Erbschleicher, die alle ungeduldig auf seinen Tod warten. Er möchte ihnen ein Schnippchen schlagen und ihnen keinen einzigen Pfennig hinterlassen.
"Da überlegst du noch?", fragt ihr Schwager begriffsstutzig. "Du kannst doch die Millionen nicht ablehnen."
Vielleicht hat er recht. Und so willigt Barbara ein, den letzten Herzenswunsch des väterlichen Freundes zu erfüllen. Doch bald bereut sie ihre Zusage zutiefst ...


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Inhalt

Cover

Nicht weinen, Barbara!

Vorschau

Impressum

Nicht weinen, Barbara!

Eine junge Frau opfert ihr Lebensglück

Was soll ich nur tun?«, fragt Barbara ihre Schwester und ihren Schwager verzweifelt. Der gütige alte Herr, bei dem sie seit Kurzem als Gesellschafterin arbeitet, hat sie wie eine Tochter ins Herz geschlossen und ihr nun »eine Ehe auf dem Papier« angetragen, um sie als Alleinerbin einsetzen zu können. Der verwitwete und herzkranke Franz Wagner hat keine Kinder, aber viele Verwandte, habgierige Erbschleicher, die alle ungeduldig auf seinen Tod warten. Er möchte ihnen ein Schnippchen schlagen und ihnen keinen einzigen Pfennig hinterlassen.

»Da überlegst du noch?«, fragt ihr Schwager begriffsstutzig. »Du kannst doch die Millionen nicht ablehnen.«

Vielleicht hat er recht. Und so willigt Barbara ein, den letzten Herzenswunsch des väterlichen Freundes zu erfüllen. Doch bald bereut sie ihre Zusage zutiefst ...

Barbara trat von der Straße auf den gepflegten Weg, der zu dem im Hintergrund des Parks liegenden Hause führte.

Ihr Herz schlug schneller als sonst, denn es war ihre erste Stellung, die sie antreten würde, falls sie genommen wurde. Vor einer Woche hatte die Anzeige in der Zeitung gestanden. Ein alter Herr suchte »ein Mädchen für alles«, das gebildet war und imstande sein sollte, einen Villenhaushalt zu leiten.

Barbara hatte sich beworben und gestern Bescheid bekommen, dass sie sich vorstellen dürfe. Je näher sie der Villa kam, desto unsicherer wurde sie. Sie konnte keine Zeugnisse vorweisen und war noch recht jung für einen verantwortungsvollen Posten.

Auf einem Schild an der Haustür stand: Franz Wagner. Eine Klingel befand sich nicht dort. Barbara drückte die Klinke nieder und trat ein. Eine riesige Diele lag vor ihr; an der Wand hing ein Tigerfell. Ein großer Kamin befand sich dem Eingang gegenüber, Holzscheite waren sorgfältig an beiden Seiten aufgeschichtet, und über dem Kamin hing das Bild einer schönen Frau.

»Hallo?«, rief sie in die Stille hinein.

Keine Antwort. Sie war auf jeden Fall pünktlich. Es war genau elf Uhr.

Barbara ging zaghaft ein paar Schritte weiter und klopfte schüchtern an eine der vier Türen, die von der Diele abgingen. Wieder keine Reaktion.

»Hallo!«, rief Barbara noch einmal und ging wieder ein paar Schritte in die Diele zurück. Sie hielt den Brief in der Hand und wartete.

Plötzlich trat eine weißhaarige Frau mit scharfen, hageren Zügen aus einer Tür und blickte Barbara Gräfenstein streng an.

»Wie kommen Sie denn hierher?«, rief sie mit heiserer Stimme. »Wir kaufen nichts! Haben Sie nicht draußen gelesen, dass Betteln und Hausieren hier verboten ist?«

»Ich bin bestellt«, stieß Barbara eingeschüchtert hervor. Sie wies den Brief in ihrer Hand vor.

Die Frau entriss ihn ihr und hielt ihn nahe vor die Augen.

»Der Alte hat Ihnen geschrieben«, murmelte sie für sich. »Was will er von Ihnen?«

»Herr Wagner hat mich hergebeten, um mich vorzustellen.«

»Als was?«

»Das werde ich dir später erzählen«, sagte eine männliche Stimme hinter ihrem Rücken.

Die alte Dame schnellte herum.

»Ich dachte, du wärest noch in deinem Zimmer, Franz«, stieß sie hervor. »Du solltest doch noch ruhen, mein Lieber.«

Der Mann – er mochte etwa siebzig Jahre alt sein – ging auf Barbara Gräfenstein zu.

Seine Augen waren tiefblau, jung geblieben in dem alten, zerknitterten Gesicht. Humorvolle Fältchen hatten sich an den Augenrändern eingegraben, ein Zeichen, dass er gern lachte.

Barbara hatte auf den ersten Blick Vertrauen zu ihm.

»Mein Name ist Barbara Gräfenstein«, stellte sie sich vor. »Sie haben ...«

»Ich weiß, Kind. Kommen Sie in mein Arbeitszimmer.« Der alte Herr drückte ihr kräftig die Hand, wandte sich dann um und ging Barbara voran.

Amalie Wagner, seine Schwägerin, schaute ihnen mit bitterböser Miene hinterher.

»Setzen Sie sich«, forderte der Hausherr Barbara in seinem Arbeitszimmer auf.

Das Mädchen setzte sich auf die äußerste Kante des Sessels und schaute ihn mit bangen Augen erwartungsvoll an.

Der alte Herr schmunzelte. Er sah, wie schüchtern sie war, und erinnerte sich, dass sie in ihrem Bewerbungsschreiben mitgeteilt hatte, dass es ihre erste Stellung sei.

Er war ein guter Menschenkenner, und auf den ersten Blick gefiel Barbara Gräfenstein ihm ungemein gut. Sie war nicht die Erste, die sich bei ihm vorstellte, aber bisher hatten ihm die Mädchen, die sich um den Posten bewarben, nicht gefallen.

»Worum es sich bei der ausgeschriebenen Stelle handelt, wissen Sie im Großen und Ganzen. Ich bin ein alter Mann, meine Schwägerin führt den Haushalt, aber auch sie ist nicht mehr die Jüngste und braucht eine Entlastung. Und außerdem möchte ich gern junges Blut um mich haben. Trauen Sie sich zu, den Posten auszufüllen? Es wird nicht ganz leicht sein für einen so jungen Menschen wie Sie, sich in meinem Hause durchzusetzen. Ich habe selbst keine Kinder, aber viele Verwandte.«

»Ich würde mir Mühe geben, Ihren Ansprüchen zu genügen, Herr Wagner«, versicherte Barbara.

»Erzählen Sie mir etwas von sich, Fräulein Gräfenstein«, forderte der alte Herr sie auf.

Sie sei Waise, sagte sie, ihre Eltern seit einem halben Jahr tot. Sie habe bisher bei ihrer Schwester gewohnt, aber nun erwarte diese ein Kind, und die Wohnung sei zu eng.

»Ich möchte auch endlich auf eigenen Füßen stehen, Herr Wagner. Leider habe ich keinen Beruf erlernt. Vom Haushalt verstehe ich etwas. Meine Mutter hat mir alles gezeigt, was man wissen muss. Sie meinte immer, ein Mädchen müsse sich im Haushalt auskennen, das sei wichtiger als das meiste andere.«

»Eine sehr vernünftige Dame, Ihre Frau Mutter.« Franz Wagner nickte ihr zu.

»Bisher lag ich meiner Schwester und meinem Schwager auf der Tasche. Wie Sie wissen, bin ich dreiundzwanzig Jahre alt. Ich möchte so gern eine Stellung haben.«

»Dann könnten Sie ja auch hier im Hause wohnen, nicht wahr?«, fragte Franz Wagner. »Es wäre schön. Also, wenn Sie Lust haben, Fräulein Gräfenstein, bekommen Sie den Posten.«

»Wirklich?« Barbara sprang glückstrahlend auf und umfasste seine Rechte. »Sie können sich nicht vorstellen, was Ihre Zusage für mich bedeutet, Herr Wagner.«

Wie jung sie noch ist, dachte der alte Herr, dem es bei ihrer Freude warm ums Herz wurde.

»Ich werde Ihnen gleich Ihr Zimmer zeigen, Fräulein Gräfenstein. Betty, unser Mädchen, kann es in Ordnung bringen.«

Der Raum, den er später aufschloss, lag in der ersten Etage. Es war ein wunderschön eingerichtetes Zimmer mit einem großen Fenster und einem hübschen Balkon.

Es war wie ein Traum, sogar ein kleines Bad befand sich nebenan.

»Herr Wagner, wenn Sie wüssten, wie glücklich ich bin!«, stieß Barbara freudestrahlend hervor. Ein paar Freudentränen traten ihr in die Augen.

Das Leben im Hause ihrer Schwester war schwer gewesen. Zwar verstand sie sich gut mit Ute, aber ihr Schwager hatte es als Last empfunden, seine Schwägerin mit durchfüttern zu müssen. Denn so viel verdiente er als Abteilungsleiter in einem Warenhaus auch nicht.

Franz Wagner war seit Jahren nicht mehr so zufrieden gewesen wie an diesem Vormittag. Barbaras Freude wirkte ansteckend.

»Und wann können Sie Ihren Dienst antreten?«

»Wann Sie wollen, Herr Wagner.«

»Dann möglichst heute noch. Packen Sie Ihre Sachen, ich werde Ihnen meinen Wagen schicken. Vielleicht können Sie dann heute Abend schon in diesem Zimmer schlafen.«

Der Hausherr geleitete Barbara zurück in die Diele.

»Ich schicke Ihnen meinen Wagen, sagen wir, um sechzehn Uhr«, setzte Franz Wagner noch hinzu, ehe sie sich an der Tür verabschiedeten.

Als er mit Barbara den breiten Flur hinuntergegangen war, hatte er gesehen, dass eine Tür nur angelehnt gewesen war. Er war sicher, dass Amalie ihr Gespräch belauscht hatte.

Amalie, dachte Franz bitter. Sie war seine Schwägerin, Witwe, ein Jahr nach dem Tode seiner Frau in die Villa gezogen, und hatte die Leitung des Haushaltes an sich gerissen. Sie glaubte wohl, dass er schon zu alt oder zu dumm war, um zu bemerken, was hier gespielt wurde.

Noch werde ich nicht sterben, dachte der alte Herr. Aber es war für ihn bitter zu wissen, dass so viele auf seinen Tod warteten.

Pack, dachte Franz.

Und wie immer, wenn er an seine Verwandtschaft dachte, stieg das Gesicht eines jungen Mannes vor ihm empor. Er hatte seinen Neffen wie sein eigenes Kind aufgezogen, Kay sollte ihn einmal beerben, und es schien, als habe ihm das Schicksal in ihm einen Ersatz für die eigenen Kinder gegeben.

Kays Eltern waren bei einem Autounfall zu Tode gekommen, mit drei Jahren war der Kleine zu ihm ins Haus gekommen, er hatte Vater zu ihm gesagt und zu seiner toten Frau, Mutter.

Zwanzig Jahre lang war Kay in seinem Hause wie ein Sohn gewesen. Und dann hatte Franz ihn hinauswerfen müssen.

»Ich will dich niemals wiedersehen, Kay«, hatte er gesagt. »Ein Mensch wie du hat in diesem Hause nichts mehr zu suchen!«

Niemandem hatten seine Worte so wehgetan wie ihm selbst. Hoch aufgerichtet hatte Kay Wagner vor ihm gestanden, ein Mann mit schmalem, rassigem Gesicht und mit hoher Stirn.

Er wird sich entschuldigen, er wird mich bitten, bleiben zu dürfen, Besserung geloben, hatte Franz gehofft – aber vergeblich.

»Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, Vater. Ich werde es niemals vergessen«, hatte Kay mit gebrochener Stimme gesagt.

Dann hatte er sich umgedreht und war gegangen.

Es war ein trüber Tag gewesen, als er Kay das Haus verbieten musste, und sein Neffe hatte nie wieder etwas von sich hören lassen.

Das war vor zwei Jahren gewesen.

Die Schwägerin stand auf dem Flur, als er sich langsam herumdrehte, um wieder in seine Bibliothek zu gehen.

»Was wollte diese Person, Franz?«, schrillte ihre hohe Stimme.

»Ich habe sie zu deiner Entlastung eingestellt, Amalie. Du hast mir oft genug gesagt, dass der Haushalt so viel Arbeit mache. Sie wird dir helfen und mir Gesellschaft leisten.«

»Aber ich werde gut mit dem Haushalt fertig! Du brauchst sie nicht einzustellen. Du weißt doch, wie gern ich hier Tag und Nacht arbeite.«

Franz Wagner schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Auch eine, die mich nur beerben will, dachte er.

Durch sein vieles Geld war der alte Herr nicht glücklicher geworden. Er hätte gern mit jedem getauscht, der ein kleines, gesichertes Einkommen, eine befriedigende Arbeit und Kinder hatte.

Kay, dachte er wieder. Sein Blick ruhte selbstvergessen auf einem helleren Fleck der Tapete. Dort hatte das Bild von Kay gehangen, das er vor zwei Jahren entfernt und in seinen Schreibtisch gelegt hatte. Nur der helle Fleck an der Wand erinnerte daran.

♥♥♥

Ute schüttelte nur den Kopf, als Barbara in das Zimmer hineinwirbelte, ihr um den Hals fiel und sie abküsste.

»Wenn du wüsstest, wie froh ich bin, Ute!«, jauchzte sie übermütig.

Die junge Frau in der Kittelschürze schob die Schwester eine Armlänge von sich und betrachtete prüfend ihr vor Freude gerötetes Gesicht.

»Hast du das große Los gewonnen?«, fragte sie lächelnd.

»Ute, ich habe eine Stellung, Haushälterin bei einem alten Herrn, ich kann dort wohnen, und er bezahlt gut.« Barbaras Worte sprudelten nur so aus ihr hervor.

»So, Haushälterin bei einem alten Herrn«, wiederholte Ute langsam.

»Ist es dir etwa nicht recht, Ute?«, fragte Barbara beklommen.

»Natürlich freue ich mich für dich«, erwiderte Ute. »Es ist nur ... Sieh einmal, Kleines, du bist zwar dreiundzwanzig Jahre alt, aber trotzdem noch in mancher Beziehung ein Kind. Was für ein Mann ist es, dessen Haushalt du führen sollst?«

Barbara begriff plötzlich die Sorgen ihrer Schwester, und vor ihr stand das gütige Gesicht mit den fröhlich funkelnden Augen.

»Herr Wagner ist ein sehr netter alter Herr«, berichtete sie, »und seine Schwägerin wohnt auch im Haus.«

»Wenn es dir dort aber nicht mehr gefallen sollte, Barbara, oder wenn der alte Mann ... nun, du verstehst schon, was ich meine, dann kannst du jederzeit wieder zu uns zurückkommen. Versprich mir, dass du keine Dummheiten machst!«

»Du kannst ganz unbesorgt sein, Ute. Ich bin dir so dankbar für alles, was ihr beide, du und Albert, für mich getan habt.«

Am frühen Nachmittag klingelte Franz Wagners Chauffeur. Er nahm höflich die Mütze ab, als er eintrat, legte die beiden Koffer in den Gepäckraum und öffnete Barbara zuvorkommend die Wagentür.

Er respektierte in ihr die Dame, denn sein alter Herr hatte ihm klargemacht, dass Barbara mehr sei als nur eine Angestellte.

Franz Wagner wartete in der Diele auf seine neue Hausgenossin. Er begrüßte sie herzlich und führte sie in ihr Zimmer.

Walter Brockmann, der die beiden Koffer trug, beobachtete seinen Chef genau und sah, dass der alte Herr dieses junge Mädchen offenbar ins Herz geschlossen hatte.

»Räumen Sie in Ruhe Ihre Sachen ein, Kind, ich erwarte Sie dann zum Abendessen unten. Betty kann Ihnen helfen und Ihnen das Haus zeigen.«

Franz Wagner nickte ihr zu und verließ sie dann.

Barbara war allein, und das Zimmer war schön und geschmackvoll. Ein richtiges Heim.

Wenige Minuten später klopfte Betty an die Tür, trat ein und stellte sich vor.

Sie war ein derbes, grobknochiges Mädchen, das offensichtlich vom Lande stammte.

»Guten Tag, Betty«, sagte Barbara und reichte ihr die Hand. »Ich freue mich, dass Sie mir helfen wollen. Ich heiße Barbara Gräfenstein.«

Das rotwangige Mädchen schaute verzückt auf die schmale, zierliche Barbara, die in ihren Augen eine richtige Dame war.

»Ich freue mich, dass Sie da sind, Fräulein Gräfenstein«, stieß sie hervor. »Herr Wagner hat ja viele Verwandte, aber ...«

Sie brach ab und begann dann hastig den Koffer zu öffnen, denn Barbara hatte ein abweisendes Gesicht aufgesetzt, das bewies, dass sie nicht den Dienstbotenklatsch anhören wollte.

»Soll ich Ihnen das Haus zeigen, gnädiges Fräulein?«, fragte Betty, als sie fertig war.

»Sagen Sie Fräulein Gräfenstein zu mir«, bat Barbara mit einem netten Lächeln. »Ja, ich würde mich freuen, wenn Sie mich ein wenig herumführen würden.«

Das Haus war sehr schön, große Räume, viele Gastzimmer, und überall zeigte es den hervorragenden Geschmack eines kunstverständigen Menschen.

»Dieses Zimmer ist immer abgeschlossen.« Betty zog einen Schlüssel aus ihrer Tasche und öffnete die Tür.

Die Vorhänge waren zugezogen, aber das Licht trotzdem ausreichend, um ein entzückend eingerichtetes Damenzimmer erkennen zu lassen.

Es war sehr sauber, und Barbaras Blick blieb an Blumen haften, die offensichtlich erst vor Kurzem auf den Tisch gestellt worden waren.

»Dies ist das Zimmer der toten gnädigen Frau. Ich habe sie ja nicht mehr selbst gekannt, aber sie muss sehr nett gewesen sein. Der Herr scheint sehr an ihr gehangen zu haben. Jede Woche stellte er neue Blumen ins Zimmer.«

Barbara ging ein paar Schritte weiter hinein. An der Wand hing ein Gemälde. Es stellte die gleiche Frau dar, deren Bild ihr schon in der Diele aufgefallen war.

Das also ist Liebe, dachte Barbara erschüttert. Eine Liebe über das Grab hinaus.

»Diesen Raum mache ich immer selbst sauber«, erzählte Betty. »Ich habe den gnädigen Herrn eigentlich nur ein einziges Mal richtig wütend gesehen. Das war, als seine Schwägerin hier drinnen war und die Möbel umgestellt hat.«

Betty krauste in der Erinnerung die Stirn.

»Der gnädige Herr weiß genau, was er von ihr zu halten hat. Sie wartet nur darauf, dass er stirbt. Alle tun es, und dabei ist er doch solch ein lieber und netter Mensch.«

»Betty, Sie reden zu viel!«

Das Mädchen schnellte herum und wurde blutrot vor Verlegenheit, denn Frau Amalie war auf leisen Sohlen hereingekommen und hatte die letzten Worte gehört.

»Sie sollten Ihre Zunge besser hüten! Es würde mir leidtun, wenn ich Sie hinauswerfen müsste.«

Frau Amalie presste die Lippen zusammen, ihr Gesicht wirkte dadurch noch vogelartiger als sonst. Ihr kalter Blick wanderte zu Barbara.

»Und Ihnen, meine Liebe, würde ich raten, sich solch Dienstbotengeschwätz nicht anzuhören.«

Barbara hielt ihrem Blick furchtlos stand. Schließlich drehte Frau Amalie sich um und verließ das Zimmer.

»Schleicherin!«, zischte Betty hinter ihr her.

♥♥♥

Betty deckte den Tisch im Esszimmer. Franz Wagner saß in der Nähe des Ofens und las, während Frau Amalie mit ihrem Strickzeug in der Hand Bettys Bewegungen beobachtete.

»Drei Gedecke?«, fragte sie ihren Schwager. »Erwarten wir denn heute Besuch?«

»Wir erwarten keinen Besuch, Amalie«, erklärte der alte Herr gelassen.

»Du mutest mir doch nicht zu, mit dieser jungen Person an einem Tisch zu essen, Franz?«, gab Amalie erregt zurück.

»Selbstverständlich wird Fräulein Gräfenstein mit uns zusammen essen. Wenn du natürlich meinst, dass es für dich unmöglich ist, mit ihr zusammen an einem Tisch zu sitzen, werde ich Betty bitten, für dich im Salon zu servieren!«

»Empörend!«, kreischte Frau Amalie. »Habe ich nicht alles für dich getan und immer gut für dich gesorgt? Und jetzt, wo so ein junges Ding im Hause ist, jetzt auf einmal bin ich überflüssig! Die schönsten Jahre meines Lebens habe ich dir geschenkt, und jetzt ...«

»Und jetzt habe ich ein junges Mädchen eingestellt, das dich entlastet, Amalie. Ich weiß, was du für mich getan hast«, erklärte er doppelsinnig, denn er wusste es wirklich sehr gut.

Amalie verfügte von Haus aus über kein Vermögen, sie hatte bei ihm Wohnung und Essen frei, und er wusste, dass sie sich von dem reichlich bemessenen Haushaltsgeld allerhand still beiseitenahm.

»Soll ich für Sie im Salon decken, oder essen Sie hier mit?«, fragte Betty lächelnd.

»Ich esse hier!«, keuchte Amalie.

Als Barbara Gräfenstein eintrat, erhob Franz Wagner sich. Er lächelte herzlich und begrüßte sie mit einem Handschlag.

»Ich freue mich, dass Sie unsere neue Hausgenossin sind.«

Frau Amalie presste die Lippen zusammen und schwieg.