Lore-Roman 188 - Ursula Fischer - E-Book

Lore-Roman 188 E-Book

Ursula Fischer

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Beschreibung

Stark - ja das muss sie sein, stark, unnahbar und sehr selbstbeherrscht, die junge Chirurgin Dr. Judith Kolbe. Denn sie trägt einen berühmten Namen und damit große Verantwortung: Ihr Onkel, der in Fachkreisen hoch geschätzte Chirurg Professor Kolbe, hat seiner einzigen noch lebenden Verwandten, der er trotz einiger Differenzen Großes zutraut, seine Privatklinik und damit auch den Posten der Chefärztin vererbt. Judith weiß, was sie kann, sie ist eine gute Chirurgin, und doch ist es schwer, sich in der männerdominierten Ärztewelt durchzusetzen - erst recht, wenn man als junge Chefin älteren Kollegen vor die Nase gesetzt wird. Besonders mit dem erfahrenen Oberarzt Dr. Michael Harder, von ihrem Onkel als dessen rechte Hand aufgebaut, gerät Judith immer wieder aneinander - bis ein gemeinsam besuchter Ärztekongress alles auf dramatische Weise ändert ...

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Inhalt

Cover

Dr. Judiths erzwungene Ehe

Vorschau

Impressum

Dr. Judiths erzwungene Ehe

Roman um das Schicksal einer jungen Chefärztin

Von Ursula Fischer

Stark – ja das muss sie sein, stark, unnahbar und sehr selbstbeherrscht, die junge Chirurgin Dr. Judith Kolbe. Denn sie trägt einen berühmten Namen und damit große Verantwortung: Ihr Onkel, der in Fachkreisen hoch geschätzte Chirurg Professor Kolbe, hat seiner einzigen noch lebenden Verwandten, der er trotz einiger Differenzen Großes zutraut, seine Privatklinik und damit auch den Posten der Chefärztin vererbt. Judith weiß, was sie kann, sie ist eine gute Chirurgin, und doch ist es schwer, sich in der männerdominierten Ärztewelt durchzusetzen – erst recht, wenn man als junge Chefin älteren Kollegen vor die Nase gesetzt wird. Besonders mit dem erfahrenen Oberarzt Dr. Michael Harder, von ihrem Onkel als dessen rechte Hand aufgebaut, gerät Judith immer wieder aneinander – bis ein gemeinsam besuchter Ärztekongress alles auf dramatische Weise ändert ...

Dr. Michael Harder drückte die Türklinke herunter und betrat das dämmerige, stille Krankenzimmer. Kurz blieb der Arzt lauschend stehen.

Mein Gott, ist es schon mit ihm zu Ende gegangen?, fragte er sich betroffen und ging auf Zehenspitzen an das Bett des Patienten.

Professor Ludwig Kolbe schlug die Augen auf und verzog die welken Lippen zur Andeutung eines Lächelns.

»Sie sind es, Harder«, brachte er mit schwacher Stimme hervor.

»Wie geht es Ihnen, Herr Professor?«, fragte Michael.

Der Chefarzt und Besitzer der großen Privatklinik zuckte die Schultern.

»Ich habe nicht mehr lange zu leben, lieber Freund, wir wollen uns da nichts vormachen. Hat Judith noch nichts von sich hören lassen?«

»Nein. Sie muss das Telegramm längst erhalten haben. Wir haben sie gestern früh benachrichtigt.«

»Vielleicht denkt sie, es handele sich um blinden Alarm«, meinte der Professor mit feinem Lächeln. »Meine Nichte und ich, wir sind einmal recht hart aneinandergeraten. Sie hat schon immer ihren eigenen Kopf gehabt, und damals, als sie frisch von der Universität kam, glaubte sie natürlich, alles besser zu wissen als ein alter Praktiker wie ich.«

»Solch einen unwichtigen Streit wird die Dame längst vergessen haben«, versicherte Michael.

»Judith nicht. Sie vergisst nicht so schnell. Und außerdem ...« Ein schwaches Lächeln legte sich über das verwitterte Gesicht des alten Mannes. »Und außerdem bin ich damals wohl sehr grob gewesen.«

Michael Harder konnte sich vorstellen, wie es da zugegangen sein musste. Wenn Professor Kolbe in Rage geriet, dann brüllte er, dass die Fensterscheiben im Kitt klirrten.

»Judith ... wird mich einmal beerben. Sie ist die Einzige aus unserer Familie, die übrig geblieben ist. Ich mache Sorgen um die Klinik, Harder.«

»Aber Ihr Fräulein Nichte ist doch Ärztin«, erinnerte Michael ihn verwundert.

»Eben darum ja. Sie wird meine Nachfolgerin werden, und sie ist doch noch so jung. Ich weiß nicht, ob sie euch gegenüber immer den richtigen Ton finden wird. Dabei kann sie sehr nett sein, wirklich, aber das Studium hat sie ein wenig verdorben. Sie ist zu selbstsicher.«

»Sie hat eben noch niemals Pech gehabt wie wir anderen alle«, mutmaßte Michael Harder.

»Stimmt genau. Ihr scheint bisher alles gelungen zu sein. Das ist sehr gefährlich für einen Menschen. Er überschätzt sich dann maßlos.«

Michael nickte. Er hatte schon von dieser Judith Kolbe gehört, kannte sie aber persönlich nicht. Er trug auch kein Verlangen danach, denn Ärztinnen gehörten seiner Meinung nach nicht in die Chirurgie. Sie sollten Kinderärztinnen werden oder praktische Ärztinnen, das mochte noch angehen, aber vom Messer sollten sie die Finger lassen.

»Ich habe eine große Bitte«, drang die Stimme des todkranken Mannes an sein Ohr. »Wir arbeiten schon Jahre zusammen, und in der Zeit sind Sie mir ans Herz gewachsen wie ein Sohn.«

Michael hatte Mühe, seine Verwunderung nicht zu zeigen. Auch zu ihm hatte Professor Kolbe nämlich stets in dem barschen Ton gesprochen, den er auch allen anderen gegenüber anwandte.

»Sie staunen. Aber ich weiß, was ich von Ihnen zu halten habe. Ich hätte Sie gern als Nachfolger gesehen, aber es geht nicht. Judith hat größere Rechte. Und nun meine Bitte: Bleiben Sie hier in meiner Klinik, stehen Sie ihr beratend und helfend zur Seite. Wenn ich weiß, dass mein Haus weiterhin in guten Händen ist, kann ich beruhigt sterben.«

»Sie dürfen sich vollkommen auf mich verlassen«, äußerte Dr. Michael Harder knapp.

Professor Kolbe lächelte versonnen.

»Ich habe gewusst, dass Sie so sprechen würden. Und deshalb ... gestern war der Notar bei mir. Ich habe einen neuen Anstellungsvertrag für Sie aufsetzen lassen. Wenn Sie ihn unterschreiben, dann haben Sie hier als Oberarzt eine unkündbare Stellung auf Lebenszeit. Auch Judith kann Sie dann nicht fortschicken.«

Michael war überrascht. Unwillkürlich straffte er seine schlanke, in den Schultern breite und den Hüften schmale Gestalt.

»Ich bin überwältigt«, stieß er hervor.

Ludwig Kolbe machte eine matte Handbewegung.

»Es ist purer Egoismus, wenn ich Ihnen solch einen Vertrag biete. Solange ich lebte, brauchten Sie sowieso nicht um Ihren Posten zu bangen. Ich wusste ja, was ich an Ihnen hatte. Übrigens habe ich in dem Vertrag Ihr Gehalt verdoppelt. Für Judith bleibt dann immer noch genügend übrig.«

Eine dunkle Röte schoss in Michaels Gesicht.

»Geld spielt im Leben eine nicht ganz unwichtige Rolle«, bemerkte Professor Kolbe. »Hoffentlich verstehen Sie sich mit Judith. Ich habe meine Nichte seit dem Krach damals nicht gesehen. Das ist drei Jahre her. Wenn sie doch nur bald käme. Bevor ich die Augen für immer schließe, möchte ich sie gerne noch einmal sehen.«

Das klingt ja fast so, als hätte der Alte Angst vor diesem Frauenzimmer, dachte Michael Harder. Wahrscheinlich ist sie ein Blaustrumpf, hässlich wie die Nacht und unendlich von ihrer eigenen Tüchtigkeit und Unfehlbarkeit überzeugt.

»Sie ist hübsch«, warf Ludwig Kolbe ein. »Ich weiß, was Sie eben gedacht haben. Und deshalb ist sie ja auch so gefährlich, die kleine Judith. Sie verdreht den Männern den Kopf. Alle haben ihr den Hof gemacht, und sie nimmt die Huldigungen hin wie eine Königin. Ihr Examen hat sie mit Auszeichnung bestanden. Michael, versprechen Sie mir, ihr gegenüber nicht die Geduld zu verlieren. Versprechen Sie es mir.«

Er streckte die Rechte aus, und ohne eine Sekunde zu zögern, umschloss Dr. Harder sie.

»Sie können sich auf mich verlassen, Herr Professor. Ich verdanke Ihnen ja so viel.«

Das Sprechen schien Professor Kolbe sehr ermüdet zu haben. Die Schatten auf seinem Gesicht hatten sich vertieft, sein Atem ging schwer.

»Es ist schön, das am Ende seines Lebens zu hören. Sie waren mein begabtester Schüler, Sie werden es noch weit bringen, Michael. Ich möchte jetzt schlafen. Wenn Judith kommt, führen Sie sie gleich zu mir! Es spielt keine Rolle, falls ich schlafen sollte. Ich werde später noch genügend Zeit zum Schlafen haben.«

Mit einer matten Handbewegung schickte er seinen jungen Oberarzt hinaus.

***

Schwester Annemaries Herz klopfte heftig wie immer, wenn sie zu Michael Harder hinein musste. Es genügte schon, dass er sie anschaute, um sie verlegen zu machen.

»Was gibt's?«, fragte Michael kurz angebunden.

»Sie ist da!«, platzte Schwester Annemarie heraus. »Fräulein Dr. Kolbe ist da.«

»Ach so.« Schwerfällig stemmte sich Michael hoch. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Führen Sie die Dame zu mir.«

Schwester Annemarie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben.

»Haben Sie mich nicht verstanden?«, fragte der Mann etwas unwirsch.

»Doch natürlich, nur ... sie hat gesagt, Sie möchten ins Chefzimmer kommen. Dort erwartet sie Sie nämlich.«

»Ach so.« Michael zog die Unterlippe zwischen die Zähne und nickte. »Schönen Dank«, warf er ihr hin und ging dann gelassen hinaus.

Er klopfte kurz an die weiß lackierte Tür des Chefzimmers und trat ein, ohne noch eine Aufforderung abzuwarten.

Die Erbin der Kolbe-Klinik saß im Sessel für Besucher, das rechte Bein über das linke geschlagen, sehr selbstsicher, und schaute ihm kühl entgegen.

Michael Harder verneigte sich und nannte seinen Namen.

»Sie sind der Oberarzt, nicht wahr?«, fragte Dr. Judith Kolbe geschäftsmäßig.

Michael nickte zustimmend.

»Wie geht es meinem Onkel? Ich bitte Sie um einen genauen Bericht. Nehmen Sie Platz.«

Ihre schlanke Hand wies auf den zweiten Sessel im Zimmer.

Michael folgte der Aufforderung, ließ sich dabei aber Zeit. Er brauchte nämlich einen Moment, um mit seiner Überraschung fertigzuwerden. Der hässliche Blaustrumpf seiner Vorstellung war in Wirklichkeit eine äußerst bezaubernde junge Dame.

Während er sich setzte, musterte er sie – wie er meinte – unauffällig. Er begann bei ihrem bernsteingoldenen Haar, stellte fest, dass sie einen wundervollen Teint besaß und graublaue Augen, die ihn, so schien es jedenfalls, eine Spur amüsiert anblickten. Ein gut geschnittenes modisches Kostüm betonte ihre Figur vorteilhaft.

»Fertig mit der Musterung, Herr Kollege?«, fragte Judith, der seine Blicke nicht entgangen waren, spöttisch. »Hoffentlich haben Sie nicht zu viel an mir auszusetzen, ich wäre bestimmt untröstlich. Falls es Ihnen nicht allzu viel ausmacht, bitte ich Sie nun, mir vom Befinden meines Onkels zu berichten. Aber wirklich nur, wenn es Ihnen gerade passt.«

Ihr Spott traf Michael nicht. Im Gegenteil, ihre unangebrachte Ironie gab ihm seine Selbstsicherheit wieder voll zurück.

»Professor Kolbe geht es sehr schlecht. Ich fürchte, dass er diese Nacht nicht überleben wird, Fräulein Kollegin. Ihr Onkel hat angeordnet, dass Sie sofort zu ihm kommen möchten, wenn Sie eingetroffen sind. Einzelheiten über den Verlauf seiner Krankheit teile ich Ihnen besser später mit.«

»So schlimm steht es mit ihm. Tut mir leid, ich habe ihn in seiner Art immer gern gemocht. Würden Sie mich bitte zu ihm führen.«

Judith erhob sich, und Michael folgte ihrem Beispiel. Als sie stand, sah er, dass sie nur einen halben Kopf kleiner war als er.

»Bitte sehr.« Er öffnete ihr höflich die Tür und ging dann an ihrer Seite über den Korridor. »Hier hinein.«

Judith Kolbe nickte ihm dankend zu, bevor sie über die Schwelle des Krankenzimmers trat. Ihr Blick hatte als Erstes das Gesicht des Onkels gesucht. Sie erkannte ihn kaum wieder, so hatte die Krankheit ihn gezeichnet.

Er schlief, bewegte im Schlaf aber unruhig die Hände. Es schien fast, als habe er unbewusst ihre Nähe gespürt.

Judith ging auf Zehenspitzen auf das Bett zu, und da schlug der alte Mann die Augen auf. Ein Lächeln war in seinem Blick, als er zu ihr emporschaute.

»Hübsch wie immer, die kleine Judith«, begrüßte er sie. »Nett, dass du noch rechtzeitig gekommen bist. Setz dich.« Während Judith sich einen Stuhl an die Seite des Bettes heranzog, fuhr er fort: »Mit mir geht es zu Ende. Du wirst einmal die Klinik erben. Hast du Lust, hier zu arbeiten?«

Unwillkürlich leuchtete es in Judith Kolbes Augen auf.

»Was für eine Frage«, erwiderte sie eifrig. »Von solch einer Klinik träumen wir doch alle. Du willst mich tatsächlich als Erbin einsetzen? Wir haben doch damals diesen schrecklichen Krach gehabt.«

»Längst vergessen. Du bist ein Dickkopf.«

»Aber du auch!«, fuhr Judith hoch.

»Nicht jetzt«, fiel Professor Kolbe ihr ins Wort. »Ich weiß ja, dass du recht hattest. Aber du warst sehr heftig. Man muss auch einmal verzeihen können. Und man muss sogar imstande sein, einem alten Tyrannen nicht zu widersprechen, auch wenn er unrecht haben sollte. Du wirst eine große Verantwortung tragen, Judith.«

»Ich werde es schaffen, mach dir darum keine Sorgen.«

»Wie selbstbewusst du sprichst.« Der alte Mann schloss die Augen. »Judith, ich habe Angst um dich. Versprich mir, vorsichtig zu sein. Und ... vertrag dich mit Harder, meinem Oberarzt. Er ist sehr tüchtig. Überlass ihm die schwierigen Fälle.«

In den Zügen der jungen Damen arbeitete es.

»Dass ihr alle so voller Vorurteile steckt«, knirschte sie. »Nur weil ich eine Frau bin, verstehe ich nicht viel. Jeder Mann, und mag er noch so dumm sein, kann mehr als eine Frau. Ich brauche mich vor keinem Mann zu verstecken, auch nicht vor deinem tüchtigen Oberarzt.«

»Braus doch nicht so auf«, seufzte der Sterbende. »Du fühlst dich immer sofort angegriffen. Ich meine es doch nur gut mit dir.«

Judith presste die Lippen abwehrend zusammen. Onkel Ludwig hatte ja keine Ahnung, wie schwer die Ärzte es einer Frau machten, sich in ihrer Welt zu behaupten. Wehe, wenn ihr einmal ein Fehler unterlief – alle zeigten mit dem Finger darauf und triumphierten. Bei einem Kollegen pflegte man Kleinigkeiten zu übersehen. Männer hielten unter sich zusammen, das hatte Fräulein Dr. Judith Kolbe inzwischen herausbekommen.

»Michael Harder ist ein feiner Kerl. Man kann sich auf ihn verlassen. Mach ihm das Leben nicht schwer, Judith. Es ist nicht angenehm für ihn, unter einer Chefin arbeiten zu müssen. Nimm darauf Rücksicht.«

Und welcher Mann hat jemals auf mich Rücksicht genommen?, fragte sich Judith. Keiner. Ja, ausgehen wollten sie mit mir, tanzen und herumschmusen, für voll genommen hat mich niemand.

»Soll ich vor ihm kriechen, vor diesem tüchtigen Herrn Oberarzt?«, fragte sie bitter. »Stellst du es dir so vor, Onkel Ludwig? Ich habe eine gute Anstellung, ich verdiene nicht schlecht, ich brauche deine Erbschaft nicht.«

Der alte Mann verkrampfte seine Rechte in die Decke. Judiths heftige Worte trafen ihn tief.

»Wie leicht braust du noch auf. Du musst noch viel ruhiger werden, Kind. Niemand greift dich doch an.«

»Verzeih.« Impulsiv beugte sich Judith über ihren Onkel. »Ich weiß ja, dass du mich immer ganz gern gemocht hast. Ich glaube, wir beide sind uns zu ähnlich, deshalb geraten wir immer so aneinander. Was fehlt dir? Vielleicht bist du bald wieder ganz gesund und lachst nachher über deine Sorgen.«

»Ich werde nicht wieder gesund. Du wirst in meinem Hause wohnen und ... bitte, entlass Olga und Erich nicht. Sie sind seit über dreißig Jahren bei mir. Das Haus ist ihre Heimat. Ich habe ihnen im Testament zwar ein Legat ausgesetzt, aber sie möchten bestimmt gern ihren Lebensabend in dem Haus beschließen.«

»Du hältst mich anscheinend für ein gefährliches Raubtier«, stellte Judith fest. »Für eine Frau, die mit keinem Menschen in Frieden leben kann. Aber so bin ich doch gar nicht. Man kann schon mit mir auskommen. Mach dir keine Sorgen, Onkel Ludwig. Versuch zu schlafen, das ist für einen Kranken immer das Beste.«

Der Alte schloss die Augen.

»Ich hab dich immer sehr gern gehabt«, sagte er eine ganze Weile später, und es war Judith, als käme seine Stimme von ganz weit her. »Es ist schade, dass wir keine Zeit mehr haben, uns richtig kennenzulernen. Du hättest mich ruhig einmal besuchen können.«

»Nach dem schrecklichen Krach damals?«

»Ja, auch danach. Ich bin immerhin dein alter Onkel. Oder sollte ich zuerst kommen und um gut Wetter bitten?« Ein schattenhaftes Lächeln huschte um seinen Mund. »Es verdirbt den Charakter, wenn man Chefarzt ist, Judith. Man hat immer recht und braucht niemals nachzugeben. Ich konnte einfach nicht den Anfang machen. Aber jetzt tut es mir sehr leid.«

»Onkel Ludwig«, stieß Judith hervor.

»Ja, sehr leid. Ich habe so viel versäumt. Du solltest daraus die Lehre ziehen, niemals mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Es schadet keinem Menschen, wenn er einmal nachgibt. Härte und Starrsinn fallen am Ende nur auf uns selbst zurück. Vergiss das nie, Judith!«

»Ich werde daran denken«, versprach die junge Dame.

»Erfahrungen muss man selbst sammeln. Es tut nur so weh, denn man sammelt sie unter Schmerzen. Judith, ich habe Angst um dich. Ich bin jetzt so müde, schrecklich müde ...«

Die letzten Worte waren nur noch ein Hauch, Judith las sie ihm mehr von den Lippen ab, als dass sie sie hörte.

»Onkel Ludwig«, flüsterte sie. Sie hatte ihm noch so viel zu sagen, denn er musste jetzt wissen, wie sie zu ihm emporgesehen hatte. »Onkel Ludwig, ich war immer stolz auf dich. Wie gern habe ich meinen Kollegen von dir erzählt. Und wie stolz war ich, wenn sie mich fragten, ob ich mit dem berühmten Professor Kolbe verwandt sei. Onkel Ludwig, du musst gesund werden. Wir beide werden uns verstehen.«

Die Augen des alten Mannes waren geschlossen. Eine abgeklärte Ruhe lag auf seinem zerfurchten Gesicht. Ganz still ruhten seine Hände auf der Decke.

Judiths Augen wurden groß. Sie hatte als Medizinerin schon viele Tote gesehen. Ihr Onkel Ludwig war still eingeschlummert, ihre Worte konnten ihn nicht mehr erreichen.

Scheu legte sie ihre Rechte auf die erkaltende Hand des Toten.

»Ich will in deinem Sinne weiterarbeiten, Onkel Ludwig«, sagte sie fest. »Ich will deinen Namen in Ehren halten.«

***

Aus dem Fenster des Chefzimmers sah Judith die Villa ihres verstorbenen Onkels liegen. Es war ein etwas altmodisches Haus, an dem sie sehr hing. Als Kind hatte sie die Ferien bei Onkel Ludwig verbringen dürfen, und sie erinnerte sich gern daran.

Dieses Haus, diese Klinik sollen nun mir gehören?, fragte sie sich. Es war einfach unvorstellbar, plötzlich so reich zu werden.

Sie senkte den Kopf und dachte beschämt: Könnte ich dir doch danken, Onkel Ludwig. Weshalb bin ich damals nicht über meinen Schatten gesprungen und habe mich mit dir versöhnt? Wie töricht war ich!

Es war zu spät. Judith straffte den Körper, verließ die Klinik und ging durch den nachtdunklen Park auf die Villa zu. Langsam schritt sie die Stufen zur Eingangstür empor.

Sie knipste das Licht in der Diele an. Hier hatte sich nichts verändert, alles stand noch genauso wie vor vielen Jahren. Eine Tür im Hintergrund der Diele wurde geöffnet.

»Das Fräulein Judith!« Olga, die alte Dienerin, schlug die Hände verwundert zusammen und strahlte dann über das ganze Gesicht. »Warum haben Sie nicht geschrieben, dass Sie kommen? Ich habe gar nichts vorbereitet. Wie wird der Herr Professor sich freuen, wenn er hört, dass Sie da sind.«

Judith reichte ihr freundlich die Rechte. Auch an Olga banden sie schöne Erinnerungen.

»Erich kann gleich Ihr Gepäck hineintragen, Fräulein Judith. Ach, Verzeihung, ich muss ja jetzt Fräulein Doktor sagen. Ja, nun, ja. Der Herr Professor hat oft von Ihnen gesprochen, Fräulein Ju... Doktor. Er hat immer gehofft, dass Sie mal kommen würden. Aber nun sind Sie ja da. Er liegt in der Klinik drüben, der Doktor Harder kümmert sich um ihn. Das ist ein netter Mann, kann ich Ihnen sagen. Und der Herr Professor hält große Stücke auf ihn. Na, Sie werden ihn ja bald kennenlernen ...«

Anscheinend ist es mein Schicksal, immer auf diesen Harder zu stoßen, dachte Judith. Allmählich hing ihr dieser Mensch zum Halse heraus. Alle taten so, als sei er eine Art Wundertier.

»Mein Onkel ist tot«, sagte sie trocken.

Olga schreckte zurück und lehnte sich blass mit dem Rücken gegen die Wand.

»Was sagen Sie da? Fräulein Judith, das glaube ich nicht. Heute Mittag war ich noch bei ihm, und da ging es ihm noch ganz gut. Ich habe ihm nämlich Kartoffelpuffer rübergebracht, die isst er so gern, und meine schmecken ihm am besten. Und woher wollen Sie überhaupt wissen, dass der Herr Professor ...«