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Barbara Wienhorst steigt aus dem Zug, als ein Mann auf sie zutritt. Alexander von Russloh ist felsenfest überzeugt, sie sei seine aus dem Sanatorium entlassene Ehefrau Yvonne. Aller Widerspruch nutzt nichts, alle Versuche, die Verwechslung aufzuklären, verlaufen im Sand. Etwas ratlos fährt Barbara schließlich mit ihm mit, und beim Anblick des prächtigen Herrenhauses erwacht ihre Neugier.
Als sie das Haus betritt, begreift sie plötzlich: Von einem lebensgroßen Gemälde lacht ihr das eigene Gesicht entgegen. Es ist ihr, als schaue sie in einen Spiegel. Die Ähnlichkeit ist frappant. Man muss sie einfach mit Yvonne Russloh verwechseln! Sogar die zwei reizenden Kinder halten sie für Yvonne, und der so warme und zärtliche Blick des Hausherrn lässt sie erschaudern. Denn Alexander von Russloh ist ein schöner Mann, einer der ihr gefährlich werden kann. Ihr erster Gedanke ist, so schnell wie möglich zu verschwinden und allen künftigen Komplikationen damit zu entfliehen. Noch ist es nicht zu spät. Aber wenn sie erst einmal länger hier sein wird - wer weiß, was dann geschehen wird?
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Seitenzahl: 148
Cover
Impressum
Die sich mit Schuld beladen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Kateryna Upit / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9696-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die sich mit Schuld beladen
Ein Schicksalsroman voller Dramatik
Von Ursula Fischer
Barbara Wienhorst steigt aus dem Zug, als ein Mann auf sie zutritt. Alexander von Russloh ist felsenfest überzeugt, sie sei seine aus dem Sanatorium entlassene Ehefrau Yvonne. Aller Widerspruch nutzt nichts, alle Versuche, die Verwechslung aufzuklären, verlaufen im Sand. Etwas ratlos fährt Barbara schließlich mit ihm mit, und beim Anblick des prächtigen Herrenhauses erwacht ihre Neugier.
Als sie das Haus betritt, begreift sie plötzlich: Von einem lebensgroßen Gemälde lacht ihr das eigene Gesicht entgegen. Es ist ihr, als schaue sie in einen Spiegel. Die Ähnlichkeit ist frappant. Man muss sie einfach mit Yvonne Russloh verwechseln! Sogar die zwei reizenden Kinder halten sie für Yvonne, und der so warme und zärtliche Blick des Hausherrn lässt sie erschauern. Denn Alexander von Russloh ist ein schöner Mann, einer der ihr gefährlich werden kann. Ihr erster Gedanke ist, so schnell wie möglich zu verschwinden und allen künftigen Komplikationen damit zu entfliehen. Noch ist es nicht zu spät. Aber wenn sie erst einmal länger hier sein wird – wer weiß, was dann geschehen wird?
Rasselnd fuhr der Zug in die Bahnhofshalle ein und spie ein unübersichtliches Gewirr von Menschen aus. Neue Züge ratterten heran. Lokomotiven pfiffen, Elektrokarren surrten über die Bahnsteige, und die Menschen strebten eilig den Ausgängen zu. Eine Stimme aus dem Lautsprecher versuchte, das Stimmengeschwirr zu übertönen.
Alle schienen beschäftigt. Jeder hatte ein Ziel. Nur Barbara Wienhorst nicht.
Mit müdem, abwesendem Gesichtsausdruck und windzerzaustem Blondhaar ließ sie sich von der Menge treiben.
Willenlos, die Finger fest um den Griff des hellen Lederköfferchens und die Handtasche geklammert, ließ sich Barbara dem Ausgang zutreiben. Ihr war gleichgültig, wo sie landete. Nur Vergessen musste sie finden.
Eine Weile stand sie vor dem großen Bahnhof. Die Mitreisenden hatten sich nun längst zerstreut. Es war etwas ruhiger geworden. Die müden braunen Augen blickten teilnahmslos in die Runde. Was nun?
Da fuhr eine schwarze Limousine dicht an Barbara vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich die Augen des Mädchens mit denen des Fahrers. Sie schaute sich prüfend um und überquerte dann die belebte Straße. Sie beschloss, ein Hotelzimmer zu suchen.
Barbara war noch nicht weit gegangen, als sie plötzlich eine aufgeregt rufende Männerstimme hinter sich vernahm.
„Yvonne!“ Der Ruf erklang immer wieder.
Barbara blickte sich ärgerlich um. Sie fand, der Mann sollte lieber seine Beine gebrauchen, statt so rücksichtslos zu schreien. Dann würde er seine Yvonne gewiss schneller einholen. Sie beschleunigte ihre Schritte.
Da hörte sie eilige Schritte hinter sich und spürte ein hastiges Atmen im Nacken. Gleichzeitig fühlte sie sich herumgewirbelt und blickte verständnislos und unangenehm berührt in ein erhitztes Männergesicht mit vor Freude funkelnden Augen.
„Yvonne! Warum bleibst du denn nicht stehen? Warum läufst du vor mir davon? Du musst mein Rufen doch gehört haben! Gott, wie bin ich froh, dass du wieder da bist!“
Barbara blickte mit einem Gefühl von Verwunderung und Abwehr in das schöne, markante Männergesicht.
„Liebste!“, flüsterte der Mann jetzt leise und beugte sich zu ihr herab, „du ahnst ja nicht, was in mir vorging, als ich dich vor dem Bahnhof stehen sah. Ich dachte, es narrte mich ein Spuk. Am liebsten wäre ich gleich aus dem Wagen gesprungen und zu dir gelaufen – aber ich musste ja erst einen Parkplatz finden.“
Jetzt erinnerte sich Barbara schlagartig des Fahrers der schwarzen Limousine.
Bevor sie den Irrtum aufklären konnte, fühlte sie zwei heiße Lippen auf den ihren, und verwundert stellte sie fest, dass ihr der Kuss gar nicht unangenehm war. Doch das dauerte nur einen Herzschlag lang. Dann riss sie sich ärgerlich los und schaute den Mann mit zornfunkelnden Augen an.
„Lassen Sie mich doch endlich zu Wort kommen“, fauchte sie wütend. „Ich bin nicht Ihre Yvonne!“ Sie wollte weitergehen.
Aber der Fremde hielt sie fest. Er nahm ihr einfach den Koffer ab, hakte sie wie selbstverständlich unter und zog sie in entgegengesetzter Richtung mit sich fort.
„Yvonne! Lass doch dieses Theater! Wir erregen schon Aufsehen. Komm und sei vernünftig!“, redete er beschwörend auf sie ein.
Jetzt wurde es Barbara aber doch zu bunt. Mit einem Ruck blieb sie stehen.
„Ich heiße nicht Yvonne, sondern Barbara Wienhorst und möchte jetzt endlich in Ruhe gelassen werden!“, rief sie ärgerlich, ohne sich um die neugierig starrenden Leute zu kümmern.
Das Gesicht des Manns wurde traurig. Außerdem glaubte Barbara noch etwas wie Mitleid in den dunklen Augen zu lesen.
„Yvonne, bitte! Muss ich dir erst sagen, wie sehr ich dich noch immer liebe? Wie sehr wir alle dich vermisst haben – ich, die Kinder und auch Claudia? Es macht nichts, wenn du noch nicht ganz gesund bist. Du wirst daheim genesen. Denk doch an unsere Kinder!“
Barbara wehrte sich mit aller Kraft, aber der Mann war stärker und zog sie einfach weiter.
„Zum Donnerwetter, ich kenne weder Sie noch meine angeblichen Kinder! Lassen Sie mich jetzt endlich los, sonst rufe ich die Polizei!“, rief Barbara.
Aber der Mann störte sich nicht im Geringsten an ihrem Protest. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er sie zu seinem Wagen.
Sie blickte verzweifelt um sich. War denn niemand da, der die Situation erkannte und ihr zu Hilfe kam?
Der Mann blickte jetzt mit einem unsagbar traurigen Ausdruck auf sie hinunter.
„Hat man dir auch dort nicht helfen können?“, murmelte er leise, bevor er sie in den Wagen schob, rasch selbst einstieg und startete, als fürchte er, sie könne ihm noch davonlaufen.
Barbara sank mutlos in die Polster. Sie fühlte sich überrumpelt und verlassen. Was sollte sie tun?
Ich muss jetzt ganz klar denken und überlegen, wie ich diesem Verrückten klarmache, dass ich Barbara Wienhorst bin, hämmerte sie sich ein. Wer mochte der Mann sein? Sie sah, dass er einen Ring an der rechten Hand trug. Also musste er verheiratet sein und zwar mit einer Yvonne. Und Kinder hatten sie auch. Außerdem verrieten Kleidung und Wagen des Fremden, dass sie es mit einem wohlhabenden Mann zu tun hatte.
Entsetzt sah Barbara, dass sie bereits die Stadt verlassen hatten und sich auf einsamer Landstraße befanden. Was hatte der Mensch im Sinn? Wollte er ihr Gewalt antun?
Barbara war plötzlich von panischer Angst ergriffen. Sie kramte mit zitternden Händen in ihrer Handtasche und suchte ihren Ausweis hervor. Wenn sie ihm den zeigte, musste er doch seinen Irrtum erkennen!
Sie hielt dem Mann den Ausweis vor die Nase und schrie verzweifelt: „Halten Sie doch endlich an und sehen Sie meinen Ausweis an, damit Sie mir endlich glauben!“
Der Fremde schaute sie mit einem eigentümlichen Blick an und fuhr langsam rechts an den Bordstein. Als der Wagen endlich stand, hielt sie dem Mann mit Tränen der Verzweiflung in den Augen den Ausweis hin.
Doch der Mann gönnte dem Papier keinen einzigen Blick. Er legte den Arm um sie.
„So schlimm steht es mit dir?“, flüsterte er erschüttert – aber mehr zu sich selbst als zu Barbara. „Liebste“, fuhr er mitleidig fort, „ich weiß, warum du dies Theater machst. Du fürchtest dich vor Claudia. Aber glaube mir, sie meint es gut mit dir. Sie ist doch schließlich deine Schwester. Sie hat nur dein Bestes gewollt, als sie dich fortschickte. Sie konnte ja nicht ahnen, dass es noch viel schlimmer werden würde. Aber nun wird alles gut. Nun bleibst du daheim und wirst genesen. Hätte ich gewusst, dass der Aufenthalt im Sanatorium nichts nützen würde, nie hätte ich meine Einwilligung zu Claudias Vorschlag gegeben. Bitte, Yvonne, lass uns einen neuen Anfang machen!“
So flehentlich klang die Stimme des Mannes jetzt, dass Barbara unwillkürlich Mitleid überkam. Er musste diese kranke Yvonne doch wohl sehr lieben. An welcher Krankheit mochte sie leiden?
Offenbar empfand der Mann die Beteuerungen, sie sei Barbara Wienhorst, nicht als sonderbar, sonst hätte er doch bestimmt hellhörig werden müssen. Jeder normale Mensch hätte völlig anders reagiert als dieser Mann – es sei denn, seine kranke Frau litt unter Bewusstseinsspaltungen, und er war an solche Auftritte gewöhnt.
Als der Mann jetzt wieder auf sie einsprach, begriff Barbara, dass sie sich in einer ausweglosen Situation befand.
„Yvonne“, er tätschelte ihr die Wange wie einem kleinen Kind, „daheim wirst du genesen. Wenn du erst in der alten Umgebung bist, wirst du dein wahres Ich wiederfinden. Ich glaube ganz fest daran, Liebste. Du musst nur selbst daran glauben. Doktor Steven ist auch davon überzeugt, dass du gesund werden kannst, wenn du nur willst. Und wir alle werden dir helfen.“
Barbara seufzte, und dann quollen unaufhaltsam Tränen aus ihren Augen. Was sich in der letzten Stunde ereignet hatte, war einfach zu viel für sie. Sie fühlte sich plötzlich grenzenlos müde und erschöpft. Vielleicht würde sie morgen mit frischen Kräften alles aufklären können. Im Augenblick war sie zu weiteren Kämpfen einfach nicht fähig. Willenlos ließ sie alles mit sich geschehen.
Der Mann küsste sie noch einmal, dann gab er sie frei und fuhr an.
Es war eine lange Fahrt, die größtenteils schweigend verlief.
Nur einmal sagte der Mann nach einem prüfenden Seitenblick: „Du hast dich verändert, Yvonne, doch kann ich nicht sagen, wieso. Du benutzt ein anderes Parfüm – und als ich dich zuerst sah, glaubte ich, du seist wieder nur …“, er biss sich auf die Lippen und verbesserte, „gesund!“
„Kein Wunder“, entgegnete Barbara nun kraftlos, „da ich doch gar nicht Yvonne bin, sondern ein völlig fremder Mensch.“
„Das glaubst du nur jetzt – aber gleich wirst du wissen, dass du Yvonne bist. Erkennst du nicht die Gegend?“ Er schaute sie mit banger Erwartung an.
„Ich erkenne weder Sie noch die Gegend“, entgegnete Barbara müde. „Aber wollen Sie mir nicht wenigstens Ihren Namen verraten, wenn Sie mich schon zwingen, dieses Spiel mitzumachen?“
Jetzt schien der Mann doch tief erschrocken. Er war bei ihren Worten erblasst.
„Auch das hast du vergessen?“, kam es erschüttert von seinen schmalen Lippen. „Ich bin doch Alexander von Russloh, dein Mann. Und sag doch, bitte, nicht immer Sie zu mir – es tut weh, so etwas aus deinem geliebten, vertrauten Mund zu hören“, bat er leise.
Barbara schwieg. Was sollte sie auch sagen, es hatte ja doch keinen Zweck.
Sie bogen jetzt in einen breiten, mit Mosaik gepflasterten Weg ein, und gleichzeitig gaben die Bäume zu beiden Seiten des Weges den Blick auf ein schlichtes, aber stilvolles Herrenhaus frei, das von einem großen, gepflegten Park umgeben war. An der Auffahrt säumten Blumenrabatten den Weg. Es war ein friedlicher, idyllischer Anblick.
Barbara stieß einen kleinen, entzückten Ruf aus. Beim Anblick des schönen Herrenhauses erwachte Neugier in Barbara Wienhorst Vielleicht war es ganz reizvoll, für kurze Zeit das Leben einer anderen zu führen?
Wenn auch die anderen Menschen, die hier lebten, sie für Yvonne von Russloh hielten, konnte man das Abenteuer eigentlich wagen. Barbara hatte schon immer eine Schwäche für abenteuerliche Situationen gehabt. Sie besaß eine blühende Phantasie und hatte sich in ihren Mädchenträumen oft aufregende Erlebnisse ausgemalt.
Und später, wenn ihr Urlaub herum war und sie vergessen hatte, würde sie alles aufklären und wieder verschwinden. Eigentlich war die Situation sogar komisch, fand Barbara. Warum hatte sie sie nicht gleich von dieser Seite betrachtet?
Jetzt hielt der Wagen vor der Auffahrt. Barbara ließ sich von dem Mann beim Aussteigen helfen und schaute sich erst einmal um.
Von fern drang Hundegebell an ihre Ohren, und aus einem geöffneten Fenster des Seitenflügels drang eine sonore Männerstimme, die anscheinend etwas vorlas, dann abbrach und den Text wiederholte. Beim näheren Hinhören erkannte Barbara, dass die Stimme offenbar einen Text diktierte.
„Der Unterricht wird gleich zu Ende sein, dann werden dich die Kinder begrüßen“, erklärte Alexander lächelnd.
Barbara antwortete nicht, sondern folgte dem Mann mit klopfendem Herzen ins Haus.
***
Sie traten in eine geräumige Halle mit hohen, seidenbespannten Wänden. Der Marmorfußboden war mit kostbaren, dicken roten Teppichen bedeckt. An der Stirnwand hing ein überlebensgroßes Gemälde. Als Barbaras Blick auf das Porträt fiel, erschrak sie. Es war ihr, als schaue sie in einen Spiegel.
Ihr eigenes Gesicht lachte ihr entgegen. Die schöne Frau schaute mit Barbaras samtenen Augen in die Welt. Sie hatte das gleiche blonde Haar. Nur trug sie es nicht aufgesteckt wie Barbara, sondern es fiel lose auf die zarten weißen Schultern herab. Die Ähnlichkeit war frappant, und erst jetzt begann sie, Alexander von Russloh zu begreifen. Man musste sie einfach mit Yvonne verwechseln.
„Geh nur schon vor, Yvonne“, sagte der Mann in diesem Augenblick. „Ich will nur eben schauen, wo Claudia steckt – und dann die Kinder holen.“
Er ergriff ihren Koffer und stieg die breite, läuferbelegte Treppe hinauf.
Barbara rührte sich nicht vom Fleck. Wohin sollte sie vorangehen? Sie kannte sich überhaupt nicht aus in diesem fremden Haus. Mit leichten Schritten ging sie in der Halle umher und betrachtete die Jagdmotive an den Wänden. Tastend glitten ihre Hände über die sparsam aufgestellten Stilmöbel.
Da hörte sie seine Stimme in den oberen Räumen ungeduldig rufen.
„Claudia! Wo steckst du denn? Komm herunter und schau dir an, wen ich mitgebracht habe!“
Da öffnete sich eine der zahlreichen Türen, die auf die Halle mündeten. Eine rundliche Frau in tadellos weißer Schürze erschien auf der Schwelle. Fassungslos starrte sie Barbara an, während sich ihr Gesicht langsam rötete und ihre blauen Augen zu leuchten begannen.
„Jesses! Die gnädige Frau!“, kam es überrascht von ihren Lippen, dann lief sie mit wehenden Röcken auf Barbara zu.
Barbara lächelte hilflos und unsicher. Was sollte sie jetzt tun? Was erwartete man von ihr?
Jetzt war die rundliche Frau bei ihr und küsste ehrerbietig ihre Hand. Barbara kam sich leicht komisch vor bei dieser Begrüßung, aber sie ließ es sich nicht anmerken.
„Das ist aber eine Überraschung“, kam es überwältigt von den Lippen der Köchin. Dann betrachtete sie Barbara kritisch. „Voller sind Sie geworden, gnädige Frau“, stellte sie sachlich fest. „So ist es Ihnen gut gegangen? Sie haben sich gut erholt und sind ganz genesen? Aber o je! Jetzt haben wir gar keinen Kuchen im Haus. Sie hätten uns kurz benachrichtigen sollen. Sie wissen doch: Mamsell Tilde kann schweigen und Überraschungen geheim halten. Aber ich hätte dann wenigstens Ihren geliebten Königkuchen backen können!“
„Es kam für mich selbst alles überraschend“, rechtfertigte sich Barbara lächelnd.
Sie war irgendwie gerührt über den freundlichen Empfang, der ihr gar nicht gebührte. Aber eines war gut, sie wusste jetzt wenigstens, wen sie vor sich hatte. Mamsell Tilde war das also. Und dann musste Barbara lächeln. Königskuchen war also Yvonnes Lieblingsgebäck. Und hier schien die erste Verschiedenheit zu stecken. Barbara machte sich überhaupt nichts aus Kuchen.
Bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, öffnete sich eine zweite Tür, und eine hohe Frauengestalt trat ein. Sie hatte das blonde Haar streng gescheitelt, und ihre braunen Augen blickten Barbara erschrocken und feindlich entgegen. Niemand musste Barbara sagen, dass diese Frau Yvonnes Schwester war. Man erkannte die Ähnlichkeit auf den ersten Blick. Nur besaß diese Frau nicht den Liebreiz, den Yvonne ausstrahlen musste. Ihre Augen waren zu hart und kalt, um Sympathie zu erwecken. Barbara fröstelte unwillkürlich, als sie den bohrenden, feindlichen Blick auf sich ruhen fühlte.
„Du bist zurückgekommen? – Gesund?“, ertönte jetzt eine spröde, frostige Stimme.
Die Frau trat keinen einzigen Schritt auf Barbara zu, um sie zu begrüßen.
„Ja, ich bin hier“, entgegnete Barbara kühl, „und ich bin gesund!“
Die Augen ihrer Gegnerin zogen sich zusammen und musterten sie noch stechender. Barbara bekam Herzklopfen gegenüber dieser offenen Feindschaft. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Was war zwischen den Schwestern vorgefallen? Was hatte Yvonne ihrer Schwester angetan, dass diese sie so hasste?
Gottlob, jetzt wurden im oberen Stockwerk Schritte laut. Und dann kam Alexander die Treppe herab.
Barbara lächelte Alexander von Russloh dankbar und erleichtert entgegen. Er kam ihr vor wie ein Verbündeter.
Unbemerkt war die Mamsell verschwunden. Weder Barbara noch Claudia hatten sie beachtet.
Der hochgewachsene Mann lächelte seine vermeintliche Frau an, als er auf sie zutrat und zärtlich den Arm um sie legte. Claudia wandte sich bei diesem Anblick mit unmutig gekrauster Stirn ab. Sie ging voran in das Zimmer, aus dem sie eben gekommen war.
Als sie den beiden Menschen hinter sich den Rücken zukehrte, drückte Alexander rasch einen Kuss auf Barbaras Stirn.
„Ihr werdet euch schon vertragen, Liebes, nur keine Angst haben!“, flüsterte er ihr ermutigend zu.
Barbara schaute nachdenklich vor sich hin. Sie war dankbar für seine kurzen, aufmunternden Worte. Dann dachte sie zuversichtlich, dass sie schon mit Claudia fertigwerden würde, wenn Alexander nur hinter ihr stand. Mit Zuversicht im Herzen trat sie jetzt in den gemütlich eingerichteten Salon.
Claudia hatte sich schon in einen der Seidensessel gesetzt und schaute den Eintretenden mit undefinierbarem Blick entgegen. Nur als ihre Augen einen Augenblick auf Alexander ruhten, wurde ihr Mienenspiel weich, beinahe zärtlich. Obwohl Barbara damit beschäftigt war, sich unauffällig im Zimmer umzusehen, hatte sie doch diesen flüchtigen Blick erhascht. Sie wurde stutzig und anschließend sehr nachdenklich. Was wird hier gespielt, fragte sie sich und ließ ihren Blick forschend über das Gesicht des Mannes gleiten. Empfand auch er mehr als nur Sympathie für seine Schwägerin?
Aber sie konnte nichts entdecken, das ihre Annahme bestätigte.
Auch Barbara setzte sich schweigend.
„Was sagst du dazu, Claudia, dass ich Yvonne mitgebracht habe?“, eröffnete der Mann das Gespräch.
Wieder ruhten seine Augen zärtlich auf Barbara.
„So“, erwiderte Claudia über Barbaras Kopf hinweg. „Ist sie denn geheilt?“
Das Gesicht des Mannes verschattete sich. Er zuckte hinter Barbaras Rücken die Schultern. Seine Schwägerin schüttelte sorgenvoll den Kopf.
„Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen, Yvonne. Du siehst abgespannt aus“, schlug sie in beinahe liebenswürdigem Ton vor.
„Das möchte ich wohl gern“, gestand Barbara schüchtern und blickte den Mann fragend an. Sie musste unbedingt allein sein, um in Ruhe nachdenken zu können.