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Die unfreiwilligsten Welt-Retter der Fantasy bestreiten ihr 6. Abenteuer: So anstrengend hatten Balbok und Rammar sich ihr Leben als Könige der Fernen Gestade nicht vorgestellt: Ein unnatürlich heftiger Sturm, gefolgt von einem mächtigen Beben, erschüttert die gesamte Insel, und es geht das Gerücht, dass »Kuruls Keule« vom Himmel gefallen sei. Als die Orks der Sache nachgehen, entdecken sie einen riesigen Krater nebst etlicher grässlich entstellter Leichen, die sich beim besten Willen keiner Erdwelt-Rasse mehr zuordnen lassen – und einen kleinen Orkling, der den Absturz von Was-auch-immer wie durch ein Wunder überlebt hat. Balbok würde diesem verflixten Rätsel ja gerne auf den Grund gehen, aber Rammar bekommt mal wieder den asar nicht hoch. Allerdings kann auch er nicht verhindern, dass der Orkling sich klammheimlich in sein dunkles Herz schleicht. Nur warum scheint der Kleine von keinem der bekannten Clans abzustammen? Und was hat es mit seiner seltsamen Anziehungskraft auf Krähen auf sich? Mit jeder Menge Action und einer großen Portion Humor kehrt Michael Peinkofer auf die Erdwelt zurück. Das 6. Abenteuer der Ork-Brüder ist auch als Einstieg in die High-Fantasy-Saga geeignet. Mit »Die Welt der Orks« setzt Bestseller-Autor Michael Peinkofer seine humorvolle High-Fantasy-Saga um die Ork-Brüder Balbok und Rammar fort. Die humorvolle High-Fantasy-Saga um die Orks ist in folgender Reihenfolge erschienen: - Die Rückkehr der Orks - Der Schwur der Orks - Das Gesetz der Orks - Die Herrschaft der Orks - Die Ehre der Orks - Die Welt der Orks
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Seitenzahl: 580
Michael Peinkofer
Roman
Knaur eBooks
Ein unnatürlich heftiger Sturm wirbelt das faule Leben der Ork-Brüder Balbok und Rammar gehörig durcheinander: Die Fernen Gestade werden von einem gewaltigen Beben erschüttert, und es geht das Gerücht, dass »Kuruls Keule« vom Himmel gefallen sei. Als Könige der Insel müssen sich die Orks der Sache wohl oder übel annehmen und entdecken einen riesigen Krater nebst etlicher grässlich entstellter Leichen – und einen kleinen Orkling, der den Absturz von Was-auch-immer wie durch ein Wunder überlebt hat. Balbok würde diesem verflixten Rätsel ja gerne auf den Grund gehen, aber Rammar bekommt mal wieder den asar nicht hoch …
Handelnde Personen
Prolog
UR’KURUL-KROBUL
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
UR’KURUL-SLOK
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
UR’KURUL-LASHAR
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
Epilog
Anhang
Balbok, König der Orks
Rammar, sein Bruder, ebenfalls König
Askanor, König des Elfenreiches
Beeka, eine junge Dorfvorsteherin
Chulain, ihr Bruder
Cygo, ein Schattenwandler
Dufanor, General der Elfenarmee
Durwain, Oberhaupt des Widerstands
Drel, eine Baumkreatur
Enok, ein Findelkind
Evan, ein Wildwuchs mit dunklem Geheimnis
Finras, Unterführer des Widerstands
Glesa, Schankwirtin in Taras Caron
Gullwyn, ein Fischmann
Kilif Rattenzahn, Kämpfer beim Widerstand
Logras Narbengesicht, Kämpfer beim Widerstand
Mavuro, ein Schwarzhändler
Mirra, Kämpferin beim Widerstand
Oisal Ork, oberster Hofdiener
Qoray, Zauberer in Shakara
Ultach, Dorfältester
sowie
Aderyn, Bormon, Gulucin, Hirulon, Kelon, Korukan, Narkon,
Mitglieder im Rat der Ewigen
Die Bühne war bereitet.
Lange hatte er darauf hingearbeitet und ein Dasein voller Lügen gefristet. Es war der Preis dafür gewesen, den Schein zu wahren, während er gleichzeitig an seinem wirklichen Ziel gearbeitet, an seinem wahren Plan geschmiedet hatte.
Hier, an diesem entlegenen Ort.
Verborgen vor den Augen der Welt.
Sollten sie reden, die Schwätzer von Shakara und der Narr auf dem Königsthron. Keiner von ihnen, weder der ehrwürdige Rat der Zauberer noch der gute König Askanor, hatte eine Ahnung davon, was wahre Macht bedeutete – und selbst wenn, wären sie weder willens noch in der Lage gewesen, sie zu nutzen. Viel lieber zogen sie es vor, sich hinter leeren Regeln und überkommenen Gesetzen zu verstecken. Regeln, die er längst gebrochen hatte, und Gesetze, die für ihn nicht mehr galten.
Letztlich, das hatte er in einem langen und leidvollen Prozess erfahren, waren sie nichts als Ausreden. Laue Rechtfertigungen dafür, dass keiner mehr den Mut, die Entschlossenheit und das Wissen hatte, jene uralten Kräfte zu entfesseln, die den crysalona innewohnten, den magischen Kristallen, die sich im Besitz des Elfengeschlechts befanden. Auch wenn es bedeutete, die Natur selbst herauszufordern.
Er, Qoray, hatte nie davor zurückgeschreckt.
Schon als junger Novize im Orden hatte er sich für jene Bereiche der Magie interessiert, die verboten waren, denn tief in seinem Inneren hatte vom ersten Tag an eine Frage gebrannt, auf die er nie eine Antwort bekommen hatte.
Warum?
Warum wurden den Zauberern von Shakara Beschränkungen auferlegt, ihr Wissen zu vervollkommnen? Warum bedienten sie sich nicht der ganzen Macht, die die Magie offenbarte? Warum begnügten sie sich damit, mit Kieseln zu spielen, wenn sie Berge versetzen konnten?
Keine der Antworten, die die Ältesten ihm auf diese Fragen gegeben hatten, hatte ihn zufriedengestellt. Sie alle waren Kleingeister, mit einer selbst auferlegten Blindheit geschlagen, die sie davon abhielt zu sehen, was doch offensichtlich war: dass die Macht der Kristalle den Weg ebnete zu größerem Ansehen, zu größerem Einfluss, zu Frieden und Wohlstand für das ganze Reich. Also hatte er irgendwann damit begonnen, auf eigene Faust die Kraft der Kristalle zu erforschen und sie sich dienstbar zu machen.
Voller Argwohn hatte man ihm dabei zugesehen, hatte im Rat gegen ihn intrigiert, ihn als Außenseiter gebrandmarkt und ihn gemieden – doch dann hatte das Schicksal seinen Lauf genommen. Als königlicher Berater war Qoray nach Dinas Lan gegangen, in die Hauptstadt des Reiches, und hatte nicht nur das Vertrauen des Königs gewonnen, sondern auch dessen Herrschaft gerettet, indem er die Elfenkristalle dazu benutzte, den serentir zu erschaffen, den Dreistern.
Mithilfe des Dreisterns war es möglich, im Bruchteil eines Augenblicks von einer Metropole der Königslande in eine andere zu gelangen. Die größte Gefahr, die dem Reich gedroht hatte – dass es im Inneren auseinanderfiel, während Feinde die äußeren Grenzen bestürmten –, war damit gebannt, die Legionen konnten nun immer dort zur Stelle sein, wo sie gebraucht wurden, und dem Zorn der Trolle Einhalt gebieten. Auch wenn Qoray nicht aus Selbstlosigkeit gehandelt und von Anfang an den Plan verfolgt hatte, den Dreistern dereinst zu seinen eigenen Zwecken einzusetzen, hatte er es sich gerne gefallen lassen, dass er zu hohen Ehren aufgestiegen war.
Seine Kritiker im Rat waren verstummt, und mancher, der ihn zuvor geschmäht hatte, suchte nun seine Nähe. Qoray war daran nicht interessiert, verachtete sie nach wie vor. Doch er nutzte die Gunst der Stunde, um seine Forschungen weiterzuführen, über dreißig lange Winter hinweg, auf einer entlegenen Festung in der unwirtlichen Westmark, inmitten von totem Land und alles verschlingenden Sümpfen. Und diesmal beschäftigte er sich mit dem, was der Urgrund allen Seins in Erdwelt und an jedem anderen Ort des Kosmos ist, nämlich dem Geheimnis des Lebens selbst …
Als bekannt wurde, was er dort tat, war das Entsetzen groß, und sogar der König empörte sich gegen ihn. Qorays Argumente, dass es nicht nur die Trolle seien, die das Reich bedrohten; dass die Drachen noch nicht endgültig bezwungen seien und dass auch die in Fell gehüllten Primitiven, die in den Ausläufern der Gebirge vegetierten und die man gywara nannte, irgendwann zur Bedrohung werden könnten; dass man deshalb eine neue Rasse brauche, eine Dynastie von Kriegern, die jedem Befehl bedingungslos folgen und jedweden Gegner gnadenlos bekämpfen würden … all das verhallte ungehört, ging unter in den Tiraden, die nun wieder von jenen kamen, die sich dem Fortschritt ohnehin stets verschlossen hatten. Nun hatten wieder die Furchtsamen das Sagen, die Bedenkenträger und Zauderer, und wie zuvor versteckten sie sich hinter ihren steinernen Regeln und eisernen Gesetzen.
Man ließ Qoray keine andere Wahl, als aus dem Orden auszutreten, zwang ihn, seinen Zaubernamen und sein Amt im Rat niederzulegen, erniedrigte ihn vor aller Augen und verbannte ihn aus Shakara. Doch niemand konnte ihn davon abhalten, sich einen neuen Namen zu wählen und sein Wissen an einem anderen Ort zur Anwendung zu bringen …
Auf dem Erker stehend, der aus der Felswand des Berges ragte, ließ der dunkle Zauberer seinen Blick über das Grün des Dschungels schweifen, das sich scheinbar endlos erstreckte, unter einem blutroten, Unheil verheißenden Himmel.
Der Wald von Arun, so hatte es einst geheißen, schützte Nurmorod wie tausend Mauern. Wer es nicht wusste, der wäre niemals darauf gekommen, dass das Innere des Berges, der sich wie ein einsamer Wächter aus dem grünen Meer erhob, einst eine Drachenfestung gewesen war, die mächtigste im Süden.
Qoray jedoch hatte davon erfahren. In verbotenen Aufzeichnungen hatte er darüber gelesen. Er hatte die Festung inmitten des Dschungels ausfindig gemacht und die alten Stollen, Horte und Kavernen, einst von Drachenfeuer in den Berg gebrannt, einer neuen Verwendung zugeführt.
Fern von Shakara und den Augen der Welt hatte er hier seine Arbeit fortgesetzt, danach gestrebt, das Rätsel der Schöpfung zu entwirren und die Natur seinem Willen zu unterwerfen. Und nun, nach weiteren siebzig Wintern, die er allein und in völliger Abgeschiedenheit verbracht hatte, war ihm der Durchbruch gelungen.
Die Zeit war reif, ein neues Volk ins Leben zu rufen, eine neue Art, die ihm allein dienen würde. Eine Rasse von Kriegern, unerschrocken, ausdauernd und tödlich und nur von dem einen Wunsch beseelt, seine Befehle auszuführen.
Diese neue Brut würde wachsen und gedeihen, während sie die Welt mit Tod und Krieg überzog, und vielleicht würde sie dereinst sogar eigene Reiche und Könige hervorbringen. In diesem Augenblick, zu dieser Stunde, schien alles möglich.
Der Zauberer Qoray existierte nicht länger.
Der Dunkelelf war an seine Stelle getreten und hatte der Welt Vergeltung geschworen. Der Tag würde kommen, da er ganz Erdwelt seinem Willen und seiner Macht unterworfen haben würde und auch die Hochmütigsten seine Gnade erflehen würden. Und der neue Name, den er sich gewählt hatte, würde selbst noch in Tausenden von Zyklen nicht vergessen sein.
Margok.
Buch I:
(Kuruls Keule)
»Shnorsh.«
Balbok sagte das Wort nicht einfach so, sondern zog es beim Aussprechen in die Länge – unnötig, wie Rammar fand – und seufzte noch dabei.
Und das bedeutete selten etwas Gutes.
»Ich habe nachgedacht, Rammar«, fügte Balbok hinzu, was die Befürchtungen seines Bruders noch verstärkte.
Rammar tat so, als hätte er es gar nicht gehört.
Aber wenn ihn die Zeit, die er nun schon an der Seite seines ranken, schlanken und unfassbar dämlichen Bruders lebte, eins gelehrt hatte, dann, dass dies überhaupt nichts nützte. Dummheit fand immer einen Weg, sich Gehör zu verschaffen, auf die eine oder andere Weise …
»Möchtest du wissen, was ich mir überlegt habe?«
Balbok wandte den Kopf und blickte fragend auf Rammar herab, und sein langes, ohnehin schon ziemlich einfältiges Gesicht verzerrte sich dabei zu einem Grinsen, so unschuldig dämlich, wie ein Ork – und noch dazu ein Blutsverwandter Rammars des schrecklich Rasenden – eigentlich gar nicht dreinschauen konnte. Aber Balbok war jederzeit in der Lage, die Naturgesetze außer Kraft zu setzen, auch das hatte Rammar im Lauf der Zeit gelernt. Sich der Dummheit seines Bruders entgegenzustellen war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Man versuchte ja auch nicht, den Regen abzustellen.
Oder die Nacht am Dunkelwerden zu hindern …
»Douk«, knurrte Rammar also, wobei er sich mit der rechten Klaue die fette Nasenwurzel massierte und sich mit aller Macht zur Ruhe zwang – die Linke hatte er nicht mehr, seit er sie bei einem ihrer Abenteuer eingebüßt hatte. »Ich möchte eigentlich nicht wissen, was sich ein umbal wie du in seinem bisschen Trollhirn zusammengesponnen hat. Aber du wirst es mir trotzdem nicht ersparen, oder?«
»Korr«, bestätigte Balbok strahlend. »Weil du mein Bruder bist, sollst du es als Erster erfahren.«
Rammar sah ihn müde aus seinen runden, eitrig gelben Augen an. »Wie freundlich von dir«, sagte er, während er sich überlegte, ob er zum saparak greifen und Balbok ohne Federlesens erschlagen sollte oder ihn einfach in den Abgrund stoßen, der vor ihnen klaffte. Wie oft hatte er sich das schon überlegt, es allerdings nie getan – warum, konnte er sich im Augenblick auch nicht erklären.
»Nicht wahr?« Balbok grinste weiter und nickte. »Also hör mir gut zu: Du wirst sterben, Rammar.«
»Hä?« Rammar sah seinen Bruder argwöhnisch von der Seite an. Sollte er Balbok etwa unterschätzt haben? Plante dieses lange Elend womöglich, ihn zu beseitigen und sich zum Alleinherrscher über die Insel auszurufen? Hatte er ihn nur aus diesem Grund auf diesen Berggipfel geschleppt?
Um ihn mit dem saparak zu erschlagen? Oder ihn gar in den Abgrund zu stürzen, der vor ihnen klaffte?
Alles in Rammar wappnete sich für einen kurzen, heftigen Kampf.
»Du und ich, wir werden nicht ewig leben«, bestätigte Balbok mit eifrigem Nicken, wobei er versonnen den Blick über das in Dämmerung versinkende Tal zu ihren Füßen schweifen ließ. »Irgendwann werden wir beide in Kuruls dunkle Grube sinken – wer soll dann unser Königreich regieren?«
»Ach so.« Rammars Lungen pfiffen vor Erleichterung wie ein kaputter Blasebalg. Die hasserfüllte Bewunderung, die er für einen Moment für seinen Bruder empfunden hatte, schlug in die alte Verachtung um. »Du meinst das nur so im Allgemeinen.«
»Douk, auch im Besonderen«, widersprach Balbok und hob belehrend einen Klauenfinger. »Wenn man tot ist, ist man nicht nur allgemein tot, sondern auch insbesondere. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Bist du das?«
»Korr.« Balbok nickte wieder. »Und weil das so ist, habe ich mir überlegt, dass es für uns an der Zeit wäre, sich nach einem Thronfolger umzusehen.«
Rammar sah zweifelnd an ihm empor. »Du meinst, nach jemandem, der die Krone trägt? Der seinen asar auf unse… auf meinen Thron setzt?«
»Das ist es, was Thronfolger tun«, bestätigte Balbok in offenkundiger Begeisterung darüber, dass sein Bruder den Plan sofort erfasst hatte. »Bei den Menschen haben wir es oft gesehen: Da war zunächst König Corwyn, und dann kam …«
»Erinnere mich nicht daran«, knurrte Rammar und machte eine fahrige Bewegung mit der hölzernen Klaue, die er am linken Arm trug. »Was die Milchgesichter treiben, hat mich noch nie interessiert, warum sollte ich gerade jetzt eine Ausnahme machen?«
»Weil es vernünftig ist«, erklärte Balbok.
»Seit wann wissen Orks, was vernünftig ist? Unsere Sprache kennt eigentlich nicht mal ein Wort dafür, das hast du aus der Sprache der Milchgesichter!«
»Überleg doch mal, Rammar«, entgegnete Balbok und hob die Finger, als wollte er etwas vorrechnen – dass er zählen und an guten Tagen sogar rechnen konnte, hatte er schon wiederholt bewiesen. Rammar hingegen stand – wie jeder halbwegs unanständige Ork – mit Zahlen nicht weniger auf Kriegsfuß als mit Gnomen und Trollen. Zum Glück beließ es Balbok dann doch bei einfacher Mathematik. »Wir werden beide nicht jünger«, erklärte er kategorisch.
»Aber wir altern sehr viel langsamer als der Rest der Welt«, konterte Rammar trotzig. »Schließlich ist dieses einsame Eiland von irgendeinem faulen Elfenzauber durchdrungen, der dafür sorgt, dass die Zeit hier langsamer verstreicht als anderswo – oder hat dein eingeschrumpeltes Trollhirn das schon wieder vergessen? Wir werden noch fröhlich Blutbier saufen, wenn alle, die wir jemals kannten, längst Geschichte sind.«
»Aber irgendwann«, widersprach Balbok mit der ihm eigenen Beharrlichkeit, »wird es so weit sein. Denk doch nur mal, wie lange du gebraucht hast, um auf diesen Berg zu kommen.«
»Was soll das nun wieder heißen?«
»Du bist fett geworden.«
»Unfug«, fauchte Rammar, »fett war ich schon immer. Ich bin allenfalls ein wenig stärker geworden.«
»Kurul sieht dir schon über die Schulter«, war Balbok überzeugt.
»So ein Schmarren.« Rammar schlang die kurzen, aber starken Arme um seinen ungeheuren Bauch. »Dieser Körper«, erklärte er, »ist kein Anzeichen des nahen Todes, sondern blühenden Lebens! Jedes einzelne Pfund davon habe ich mir im Schweiße meines grünen Angesichts erarbeitet, mit Bottichen von bru-mill und Fässern von Blutbier! Soll ich etwa zum lus-irk werden?«
»Douk, natürlich nicht!« Voller Entsetzen schüttelte Balbok den Kopf – die Vorstellung einer fleischlosen Ernährung jagte auch ihm eisige Schauder über den schmalen Rücken. »Aber wir sollten Vorkehrungen treffen für den Tag, an dem der letzte Krug Blutbier getrunken und der letzte Löffel bru-mill gefuttert ist«, erklärte er und konnte nicht verhindern, dass ihm beim Gedanken an den traditionellen orkischen Eintopf das Wasser im Mund zusammenlief.
»Hm«, machte Rammar nur.
Natürlich redete sein Bruder ausgemachten Blödsinn. Aber wie so oft, wenn er solchen Unfug von sich gab, blieb etwas davon in Rammars messerscharfem Verstand hängen und setzte sich fest. Wie ein winziger Zwerg, der sinnlos, aber beharrlich auf einen ebenso winzigen Amboss hämmerte und einem damit Kopfschmerzen verursachte, die man nicht mehr loswurde. Bis man sich endlich darauf einließ, ernsthaft über den Blödsinn nachzudenken.
»Hast du mich deshalb gezwungen, diesen elenden Gipfel zu erklimmen?«, wollte Rammar wissen. »Um mir das zu sagen?«
»Was meinst du mit ›erklimmen‹?« Balbok sah sich nach den Trägern um, die in einiger Entfernung im Gras lagen, von Erschöpfung niedergestreckt. Streng genommen hatte nur er den Berggipfel selbst bestiegen – Rammar hatte sich in seiner Sänfte tragen lassen, zum Leidwesen ihrer Diener. »Außerdem war es Zeit für unseren Zug durch das Königreich«, fügte er hinzu.
»Umbal«, fuhr Rammar ihn an, »den machen wir doch nur einmal im Jahr, wie jeder weiß!«
»Korr.« Balbok nickte.
Halb überrascht, halb erschrocken sah Rammar ihn an. »Soll das etwa heißen, dass schon wieder ein Jahr vorbei ist?«
»Korr.«
Rammar stieß eine Verwünschung aus – die Zeit verging tatsächlich wie im Flug, Mond für Mond, Jahr für Jahr, man merkte kaum, wie man alterte. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der so unangenehm war, dass sich seine Nackenborsten sträubten: War es im Bereich des Möglichen – und wäre es noch so unwahrscheinlich –, dass sein dämlicher Bruder ausnahmsweise einmal recht hatte mit dem, was er sagte?
»Nehmen wir nur mal an, ich würde auf deinen geistigen Dünnpfiff hören und wir würden tatsächlich einen Thronfolger suchen – wie sollten wir das denn anstellen, bei all den bescheuerten umbal’hai, von denen wir hier auf unserer Insel umgeben sind?«
»Sie heißen Untertanen«, verbesserte Balbok.
»Komm mir nicht mit Haarspaltereien. Wie sollen wir es anstellen? Hast du darüber auch schon nachgedacht?«
»Und ob.« Balbok nickte.
»Das habe ich befürchtet.« Rammar rollte mit den gelben Augen. »Und?«
»Wir könnten einen Wettkampf veranstalten«, schlug Balbok vor und breitete die langen Arme aus, als wäre es die naheliegendste Idee der Welt. »Wer es schafft, gegen uns beide zu bestehen, der soll unser Nachfolger sein!«
Rammar knurrte. Schon wieder ein Vorschlag, der durchaus brauchbar war – wenn das mal nicht zur Gewohnheit wurde. Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass unter all den grünhäutigen, spitzohrigen Idioten auf der Insel auch nur ein einziger dabei war, dessen asar breit genug sein würde, um auf seinen Thron zu passen. Oder vielleicht wollte er auch nur nicht davon lassen …
»Kriok, das reicht«, erklärte er schnaubend. »Ich habe mir deinen Mist jetzt lange genug angehört. Die Könige über diese Insel sind wir und niemand sonst, und dabei bleibt es auch.«
»Aber Rammar …«
»Rammar der schrecklich Rasende hat gesprochen!«, untermauerte Rammar seine Worte. »Wenn Kurul wollte, dass wir uns um unsere Nachfolge kümmern, hätte er uns sicher ein Zeichen geschickt und seine Keule fallen lassen oder …«
In diesem Moment erklang ein krachendes Geräusch – Donner, der so laut und heftig war, dass es Rammar beinahe von den kurzen Beinen riss. Gleichzeitig erhellte ein blitzartiges Leuchten die düster zusammengeballten Wolken über der Insel. Und im nächsten Augenblick stürzte etwas daraus hervor.
Es war länglich und fiel beinahe senkrecht zu Boden, wobei es einen langen Glutschweif hinter sich herzog.
»Kuruls Keule«, meinte Balbok. »Frisch aus der Esse.«
Gebannt beobachteten sie, wie das Ding niederging – und wie eine gewaltige Faust in das Tal zu ihren Füßen einschlug.
Die Erschütterung war deutlich zu spüren, Asche, Staub und Rauch stiegen auf – und im nächsten Moment brach ein wahrer Sturm los, ein heißer Wind, der den beiden Orks entgegenblies, an ihren Rüstungen zerrte und Rammars faltash auf seinem klobigen Schädel wie ein Banner flattern ließ.
Die Brüder standen wie angewurzelt, während eine Wand aus Ruß und Schwärze auf sie zuraste und sie im nächsten Moment einhüllte, sodass es schlagartig stockdunkel wurde.
»Shnorsh«, sagte Rammar in die Finsternis.
Der Elfenpalast von Crysalion hatte schon sehr viel bessere Zeiten gesehen. Das heißt, eigentlich gab es gar keinen Elfenpalast mehr: Der korzoul, von dem aus Balbok der ungemein Brutale und Rammar der schrecklich Rasende ihre Insel regierten, war auf den geborstenen, verkohlten, zerstampften und auf jede sonst noch denkbare Weise zerstörten Überresten des alten Kristallpalasts errichtet worden. Inmitten eines gewaltigen Kraters, der von Höhlen und unterirdischen Gewölben durchzogen war – hier hielten die beiden Ork-Könige Hof.
Die aus Kristalltrümmern und Gesteinsbrocken bestehende Mauer, die man darum gezogen hatte, hatte ursprünglich nur als Provisorium dienen sollen. Aber da sich schon dieser Bau als überaus anstrengend herausgestellt hatte und Orks nicht zu den fleißigsten und strebsamsten Geschöpfen von Erdwelt zählten, hatte man davon abgesehen, sie weiter auszubauen. Von der Errichtung zweier Wachtürme abgesehen, von denen aus man zur einen Seite hin das Meer und zur anderen die Insel weit überblicken konnte – war sie weitgehend unverändert geblieben. Solange keine Gefahr drohte, war dagegen auch gar nichts einzuwenden, doch seit jenes fremde Ding auf der Insel eingeschlagen hatte, hätte Rammar es lieber gesehen, wenn die Mauer doppelt so breit und mindestens dreimal so hoch gewesen wäre.
Fünf Tage waren seither vergangen.
»Was es wohl gewesen sein mag, das runtergefallen ist?«, fragte Balbok. Der Fackelschein, der das Throngewölbe beleuchtete, spiegelte sich in seinen kleinen Augen, die wie immer glänzten, wenn er Blutbier trank. Und genauso regelmäßig wurde er dann nachdenklich und begann zu philosophieren, zum Leidwesen seines Bruders.
»Woher, zum Stinkfisch, soll ich das wissen?«, schnauzte Rammar von seinem Thron herüber, auf dem er nicht fläzte wie sonst, sondern seltsam aufrecht saß, so als wären Sitzfläche und Lehne mit eisernen Stacheln versehen. »Vielleicht war’s ja auch nur ein Stern, der lose war. Soll vorkommen.«
»Douk.« Balbok schüttelte den Kopf, während er in seinen halb leeren Bierkrug starrte, die Zunge schwer vom Alkohol wie von trüben Gedanken. »Es war Kuruls Keule, da bin ich ganz sicher.«
»So wie damals, als du glaubtest, Kuruls Blutgaleere würde auf unserer Insel landen?«
»Du hast das auch gedacht«, erwiderte Balbok und zeigte mit einem Klauenfinger auf seinen Bruder.
»Schmarren!« Rammar schüttelte so unwirsch das Haupt, dass grüner Schnodder flog und auf den Fratzen der Wachen kleben blieb, die zu beiden Seiten des Thronpodests postiert waren. Keiner der faihok’hai verzog eine Miene, weil sich schon bei anderen Gelegenheiten gezeigt hatte, dass König Rammar auf mangelnde Disziplin äußerst empfindlich reagierte. Sein Schnodder, so wurde er niemals müde zu betonen, war schließlich nicht irgendwelcher Schnodder, sondern königlich.
»Und was ist es dann?«, fragte Balbok lallend.
»Umbal, woher soll ich das wissen?«
»Vielleicht«, begann der hagere Ork, »hat Kurul uns ja eine Antwort geschickt.«
»Ach ja?« Rammar schickte ihm einen genervten Blick. »Und was, bitte, ist die Frage gewesen?«
Balbok stierte in seinen Krug, als könnte er sie darin finden. Dann, in einem jähen Entschluss, stürzte er auch noch den Rest hinab.
»Erlauchte Herrscher!«, ließ sich in diesem Moment Oisal vernehmen, ihr oberster Hofdiener. Der rostige Helm, den der kräftige Ork auf seinem hässlichen Schädel trug, war ziemlich verbeult – Rammar hatte sich angewöhnt, ihm immer dann, wenn er unerwünschten Besuch ankündigte, seinen Kastellanstab auf den klogionn zu dreschen. Geholfen hatte es allerdings wenig …
»Was ist los?«, erteilte Rammar ihm verdrießlich das Wort.
»Der Spähtrupp ist zurück!«, erstattete Oisal Bericht – und zog dabei unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern.
»Schon?« Balbok merkte auf und wirkte gleich ein wenig nüchterner. »Und?«
»Ihr – äh – solltet selbst sehen, erlauchte Herrscher …«
Gesenkten Hauptes zog sich Oisal zurück, um nur Augenblicke später mit dem Hauptmann zurückzukehren, der den Erkundungstrupp befehligt hatte. Der Bursche war schlank, geradezu schmächtig für einen Ork, wie Rammar fand. Sein Name war Smok, weil er fortwährend irgendwelches Zeug rauchte, das er sich in eine aus Knochen geschnitzte Pfeife stopfte, so wie die Hutzelbärte es in der Alten Welt zu tun pflegten.
»Und?«, blaffte Rammar ihm entgegen. »Was hast du uns zu berichten, Smok?«
Der triefäugige Blick des Hauptmanns ging von einem der beiden Könige zum anderen. Dann fuhr ihm ein Kichern aus der Kehle. »König Balbok ist dämlich«, stellte er feixend fest. »So dämlich, wie die Nacht dunkel ist …«
»Verdammt«, meinte Balbok. »Er hat auch den Verstand verloren. Genau wie alle anderen, die wir losgeschickt haben!«
»Wieso denn?«, fragte Rammar. »Noch hat er nichts Verrücktes gesagt. Berichte weiter, Späher!«
»… und du bist so fett wie Gonz der Fresssack«, fuhr Hauptmann Smok ungeniert fort.
»Was fällt dir ein? Hast du zu viel geraucht?«
»Fettfettfett!«, betätigte sich Smok als sein eigenes Echo und begann, sich auf seinen kurzen gepanzerten Beinen im Kreis zu drehen, wobei er wie von Sinnen lachte. Schließlich verlor er das Gleichgewicht und schlug zu Boden, sodass es laut schepperte. Auf Oisals Zeichen hin traten zwei der faihok’hai vor und schleppten ihn an den Armen hinaus, wobei er weiter kicherte und lachte.
»Korr, ich gebe es zu«, gestand Rammar widerwillig ein. »Er hat auch den Verstand verloren. Genau wie die anderen, die wir dahin geschickt haben, wo das verdammte Ding vom Himmel gefallen ist.«
»Und was machen wir jetzt?«, wollte Balbok wissen.
»Dämliche Frage – wir schicken einen neuen Spähtrupp los, ist doch klar.«
»Das wäre dann der fünfte«, erwiderte Balbok und hob demonstrativ eine Klauenhand, wobei er die Finger abspreizte. »Und jeder Spähtrupp besteht aus fünf Kriegern, das macht dann … ziemlich viele.«
»Wie klug du bist.« Rammar schnitt eine Grimasse. Er mochte es nicht, wenn sein Bruder damit angab, dass er rechnen konnte. »Hast du vielleicht eine bessere Idee?«
»Korr, ich denke schon.« Balboks langes Haupt pendelte nachdenklich nickend auf und ab. »Wir sollten selbst gehen und nach dem Rechten sehen.«
Rammar sah ihn ungläubig an. »Du meinst dich – und am Ende auch noch mich?«
»Korr.« Das Nicken wurde heftiger, und es gesellte sich ein Grinsen dazu, das wohl verwegen wirken sollte, auf Rammar jedoch nur dämlich wirkte.
»Du Nichtsnutz von einem umbal! Hast du jetzt völlig den Verstand verloren? Das letzte bisschen, das dir noch geblieben war? Ist es so weit mit dir gekommen?«
»Douk, noch alles da«, versicherte Balbok, auf sein Oberstübchen deutend. »Und deshalb denke ich, dass wir selbst hingehen und nachsehen sollten, was dort los ist.«
»Und ich habe dir schon unzählige Male gesagt, dass du das Denken gefälligst mir überlassen sollst«, schnauzte Rammar zurück. Er griff nach dem Blutbierkrug auf der Armlehne seines Throns und wollte ihn leeren, musste jedoch feststellen, dass er ihn bereits ausgetrunken hatte. In einem spontanen Wutanfall warf er das Ding von sich, es traf Oisal am behelmten Kopf, der wie eine Glocke dröhnte. »Wir bleiben hier, und damit Schluss.«
»Aber Rammar.« Balbok sah ihn aus großen Augen an. »Das ist nicht der Bruder, den ich kenne.«
»Ach nein?« In Rammars Schweinsäuglein blitzte es. »Was für einen Bruder kennst du denn?«
Balbok antwortete nicht sofort. Stattdessen straffte er sich und richtete sich auf dem Thron auf. »Der Bruder, den ich kenne«, begann er dann feierlich und brachte es fertig, dabei kaum noch zu lallen, »ist Rammar der schrecklich Rasende, der mutigste und größte König, den unser Volk jemals hatte, von mir vielleicht einmal abge…«
»Na los, red schon weiter«, fiel Rammar ihm ins Wort. »Worauf willst du hinaus?«
Balbok atmete tief ein und aus, dabei setzte er eine gravitätische Miene auf, wie Barden es taten, wenn sie von einer großen Saga sangen: »Rammar der schrecklich Rasende und Balbok der ungemein Brutale haben gemeinsam die Modersee befahren; sie haben Rurak den Zauberer bezwungen, den untoten Draghnad und den Dunkelelfen Margok, in welcher Gestalt er sich auch zeigte. Unsere saparak’hai haben Trolle halbiert und Gnomen gefällt – oder ist es umgekehrt gewesen?« Er überlegte kurz. »Und wir haben verräterische Schmalaugen, Milchgesichter und Hutzelbärte in Kuruls dunkle Grube befördert.«
»Korr, und nicht wenige«, pflichtete Rammar bei, von der Begeisterung des Augenblicks getragen.
»Und jetzt sollen wir uns hier in unserem Thronsaal verkriechen, während unserem Reich Gefahr droht? Das kann nicht dein Ernst sein, Rammar! Wir beide, du und ich, sind die Könige dieser Insel! Wir müssen tun, was unsere Pflicht ist!«
»Pflicht.« Rammar spuckte das Wort aus wie ausgelutschten Schlammlakritz. »Du hast wohl zu viel Zeit mit den Milchgesichtern verbracht, was? Wir sind Orks, Hirnfurz! Wir tun das, was uns gefällt, so was wie Pflicht kennen wir nicht!«
»Aber wir suchen nach Ruhm und Ehre – und da draußen werden wir sie finden, das weiß ich«, versicherte Balbok mit jetzt leuchtenden Augen. Er hatte sich in seinen Vortrag ziemlich hineingesteigert, und seine Begeisterung wirkte ansteckend …
»Ein Hoch auf unsere erlauchten Herrscher!«, rief Oisal und rammte seinen Kastellanstab mehrfach auf den Boden. »Die ihr eigenes Leben einzusetzen wagen, um das ihrer Untertanen zu schützen!«
»Wirst du wohl mit deinem Geschwätz aufhören, du dämlicher umbal?«, zischte Rammar zu Balbok hinüber. »Halt bloß die Schnauze, ehe wir nicht mehr zurückkönnen …«
Doch es war bereits zu spät.
Die faihok’hai kamen der Aufforderung Oisals nach und ließen die Könige ebenfalls hochleben, bejubelten sie dafür, dass sie die Sicherheit ihres Thronsaals verlassen und sich selbst hinaus in die Fremde begeben würden, um Kuruls Keule – oder was immer es sonst sein mochte, das vor nunmehr fünf Tagen vom Himmel gefallen war – genauer in Augenschein zu nehmen.
»Bal-bok! Bal-bok! Bal-bok!«, schrien die Leibwächter auf der einen Seite des Thronpodests.
»Ram-mar! Ram-mar! Ram-mar!«, brüllten die auf der anderen. Ihre gelben Augen glühten, und ihre heiseren Stimmen überschlugen sich dabei.
Genau das war eingetreten, was Rammar hatte vermeiden wollen – er konnte nicht mehr zurück, ohne sein rundes Gesicht zu verlieren. Und kein anderer als sein geistig minderbemittelter Bruder hatte ihm diesen bru-mill eingebrockt.
Einen ganzen Schwall an orkischen Verwünschungen ausstoßend, schob Rammar seinen asar vom Thron und watschelte aus dem Saal, begleitet vom begeisterten Gebrüll der faihok’hai. »Huldigt ihm!«, schrie Oisal dazu. »Erweist eurem König Respekt angesichts der Heldentaten, die zu erwarten sind, wenn sich ein Herrscher wie Rammar der schrecklich Rasende vom Thron erhebt und seine Höhle verlässt! Was ist es, mein Gebieter? Welche Großtat wollt Ihr als Erstes vollbringen?«
»Was wohl?«, rief Rammar über die Schulter zurück. »Ich geh erst mal pissen.«
Vom spärlichen Mondlicht abgesehen, das durch einen Felsspalt in der hohen Decke fiel, waren orangerote Funken die einzige Lichtquelle, die die Waffenkammer erhellte.
In hohem Bogen flogen sie und beleuchteten Rammars verkniffene Miene, während er den gebogenen Stahl über den Schleifstein zog. Das Geräusch, das dabei entstand, war so grässlich, dass selbst die Ratten in dem Gewölbe quiekend die Flucht ergriffen. In orkischen Ohren hörte es sich gewöhnlich wie Musik an – doch in dieser Nacht vermochte es Rammar nicht zu trösten. Zu schlecht war die Stimmung, in die er verfallen war, zu düster seine Gedanken.
»Ach, da bist du!«
Rammar verdrehte die Augen, als er die Stimme seines Bruders hörte. Er drehte sich nicht nach ihm um. »Korr«, bestätigte er nur und hob den Stahl vom Wetzstein, um ihn im einfallenden Mondlicht zu betrachten.
»Und was machst du gerade?«, fragte Balbok neugierig und trat ein.
»Wonach sieht es denn aus, umbal? Ich schärfe den saparak, was sonst?« Wieder zog er die gebogene Schneide über den Stein, dass es quietschte und schrillte, und erneut flogen Funken. Der saparak war die bevorzugte Waffe des Orks – eine mächtige Klinge, die sich wahlweise zum Schneiden, Schlagen oder Werfen einsetzen ließ und die bei ordentlicher Pflege und sachgemäßer Handhabung in der Lage war, einen Gegner vom Scheitel bis zur Sohle zu spalten … Zugegeben, auf dem Kontinent mochten inzwischen andere Waffen im Gebrauch sein, die grässlichen Radau machten und in der Lage waren, einen Gegner über eine weite Entfernung hinweg in Kuruls Grube zu befördern. Aber Balbok und Rammar entstammten noch einer anderen Zeit. Und als Abkömmlinge dieser Zeit hielten sie an ihren Traditionen fest.
»Also bist du mir nicht böse?«, fragte Balbok leise.
»Warum sollte ich dir böse sein?« Rammar nahm den saparak in der Mitte und prüfte seine Balance – er war klobig und kopflastig, wie es sich für einen vernünftigen Totschläger gehörte. Und als Rammar mit ihm durch die Luft hieb, ließ er ein feindseliges Pfeifen vernehmen. »Weil du wieder mal dein großes Maul nicht halten konntest? Weil du uns in diese Geschichte reingequatscht hast? Weil ich wieder mal den bru-mill auslöffeln darf, den du uns eingebrockt hast?«
»Aber Rammar, ich hab doch nur …«
»Kein Wort mehr.« Erst jetzt drehte sich Rammar zu seinem Bruder um. Der Blick, den er ihm aus seinen kleinen Schweinsäuglein schickte, war vernichtend. »Erzähl mir jetzt nicht, du hättest das nicht gewollt. Du willst, dass wir da rausgehen und unsere asar’hai aufs Spiel setzen. Du willst, dass wir uns in Gefahr bringen und womöglich noch darin umkommen. Wahrscheinlich kreisen in deinem Faulhirn irgendwelche Heldenträume herum.«
»Douk«, wehrte Balbok ab, »das ist es nicht. Ich …«
»Was gefällt dir nicht an unserem Leben? Hast du ein Problem damit, immer eine gut gefüllte Schüssel bru-mill zur Klaue zu haben? Immer einen Krug mit altgelagertem Blutbier?«
»Douk, das ist es auch nicht. Ich …«
»Sehnst du dich so sehr danach, in Kuruls dunkle Grube zu springen, dass du es gar nicht mehr abwarten kannst? Dieses ganze Gerede darüber, dass unsere Zeit begrenzt ist und wir sterben müssen! Ist dir das Hirn nun endgültig eingesülzt?«
»Doch es ist wahr, Rammar«, wandte Balbok ein. »Wir werden nicht ewig auf dieser Welt sein …«
»… aber das bedeutet auch nicht, dass wir es noch unnötig beschleunigen müssen, Trollhirn!«, fuhr Rammar ihn an. »Warum ist es so schwer für dich, einfach mal das Maul zu halten und Ruhe zu geben?«
»Aber Rammar! Wir sind Krieger! Orks aus echtem Tod und Horn! Wir müssen uns bewähren!«
»Einen shnorsh müssen wir!«, unterbrach Rammar ihn barsch. »Wir sind schon Könige, hast du das schon vergessen? Wir brauchen gar nichts mehr zu tun außer fressen und saufen und dem Gegenteil davon, so wie Herrscher das eben machen.«
»Du hast Angst«, stellte Balbok fest.
»Was?«
»Du fürchtest dich vor dem, was da draußen sein könnte«, erwiderte Balbok leise.
»Das wirst du zurücknehmen, auf der Stelle!«, verlangte Rammar, und wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hob er den saparak.
»Aber Rammar …«
»Nimm es sofort zurück, oder ich schlitz dich auf und nehm dich aus wie Borsh den Stinkfisch!«
Balbok wich zurück, im ersten Moment erschrocken. Doch bei allem Erschrecken über die heftige Reaktion seines Bruders erwachte im nächsten Moment eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften – seine Sturheit.
»Douk«, erwiderte er, »das werde ich nicht, weil ich nämlich recht habe.« Und im nächsten Moment hielt auch er einen saparak in den Klauen, den er kurzerhand aus einer der Halterungen an der Wand pflückte.
»Das willst du nicht wirklich«, stieß Rammar zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Douk«, gab Balbok kopfschüttelnd zu. »Aber wenn du Streit anfängst …«
Statt zu antworten, hieb Rammar einfach zu. Sie hatten genug geredet, fand er. Konflikte mit Worten zu lösen war ohnehin eher eine Domäne der Menschen und seiner Ansicht nach überbewertet. Der saparak, den er in einer engen Kurve führte, pfiff durch die Luft und prallte auf Balboks Klinge.
Es klirrte, dass es von der Höhlendecke widerhallte, und wieder flogen Funken, die die Gesichter der Kämpfenden orangerot beleuchteten. Mit einem Keuchen hob Rammar seine Waffe und schlug abermals zu, schneller und geschickter, als man es ihm aufgrund seiner Leibesfülle zugetraut hätte. Doch nach all der Zeit, die er faul auf seinem Thron gesessen hatte, hatte Rammar der schrecklich Rasende fast vergessen, wie anstrengend so ein Zweikampf war. Sein Herz hämmerte in der Brust, das Blut rauschte in seinen Ohren, sodass er beschloss, es zu beenden. In einem überraschenden Ausfall sprang er vor und brachte einen waagrechten Hieb an, heftig genug, um seinen Bruder in der Körpermitte zu teilen – Balbok jedoch reagierte blitzschnell und ließ seinen hageren Oberkörper kurzerhand zurückpendeln, sodass die Klinge ins Leere schnitt.
Darauf war Rammar nicht gefasst. Außer Atem, wie er war, fehlte ihm die Kraft, die Wucht des Hiebes abzufangen, und so drehte er sich weiter, wirbelte wie ein Kreisel davon und krachte gegen eines der Waffenregale an der Höhlenwand.
Mit einem dumpfen Geräusch prallte er ab, taumelte ein, zwei Schritte zurück und fiel dann auf den Rücken. Wie ein riesiger Käfer blieb er liegen und versuchte strampelnd, wieder auf die Beine zu kommen, was ihm aber nicht gelang.
»Na los, worauf wartest du?«, fuhr er Balbok an. »Bring es zu Ende, du langes Elend, darauf wartest du doch schon die ganze Zeit! Schick den alten Rammar in Kuruls Grube!«
Balbok, der das Benehmen seines Bruders höchst seltsam fand, kratzte sich nachdenklich am spärlich behaarten Hinterkopf. Dann ging er zu ihm, packte ihn am Kragen seiner ledernen, nach Orkschweiß riechenden und mit unzähligen bru-mill-Flecken übersäten Rüstung und zog ihn auf die kurzen Beine.
»Das … ist anständig von dir«, gab Rammar widerstrebend zu, während er erneut den saparak hob. »Ich werde daran denken, wenn ich dir den kro-buchg versetze. Ich sorge auch dafür, dass es schnell geht und keine allzu große Sauerei macht.«
»Rammar«, meinte Balbok, »wollen wir nicht lieber damit aufhören?«
»Du gibst auf?«
Balbok starrte ihn ungläubig an.
»Was?«, fragte Rammar nur.
»Korr«, willigte Balbok ein und ließ seine Waffe sinken, »ich gebe auf.«
»Und nimm auch alles zurück, was du gesagt hast.«
»Korr, auch das«, gestand Balbok zu und zuckte mit den knochigen Schultern. »Wenn du nur Ruhe gibst.«
»Korr.« Rammar ließ sich dort, wo er stand, erschöpft zu Boden fallen. »Tut gut, so ein Sieg«, meinte er dann. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich ein bisschen eingerostet bin.«
»Ich auch«, erwiderte Balbok seufzend. »Wir sind nicht mehr die, die wir mal waren.«
»Aber noch längst kein altes Eisen«, wandte Rammar ein.
»Douk.«
Eine Weile lang saßen sie in der schummrigen Dunkelheit und sagten nichts, lauschten nur Rammars rasselndem Atem.
»Rammar?«, fragte Balbok dann.
»Was?«
»Ich habe Angst.«
»Ich weiß.« Rammar nickte. »Das ist typisch für dich.«
»Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben. Sondern sie nicht zu zeigen«, erwiderte Balbok.
»Wo hast du den Schmarren denn her?«
»Von den Menschen.«
»Und ausgerechnet das hast du dir gemerkt?« Rammar sah ihn zweifelnd an. »Lass die Milchgesichter denken, was sie wollen, ein Ork aus echtem Tod und Horn kennt keine Angst, merk dir das.«
»Ja, Rammar.«
»Und lass das ständige Gerede vom Tod. Davon krieg ich Blähungen.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, ließ der feiste Ork ein knatterndes Darmgeräusch folgen.
»Ja, Rammar.«
»Dieses Ding ist da draußen – und was immer es ist, es hat auf unserer Insel nichts zu suchen. Wir werden hingehen, es in den asar treten und davonjagen.«
»Korr«, stimmte Balbok zu.
»Eins würde ich nur gerne wissen«, fügte Rammar verdrießlich hinzu, während er seinen Blick im Halbdunkel der Waffenkammer umherschweifen ließ. »Warum habe ich das dämliche Gefühl, dass ich das alles hier nie wiedersehe?«
In den Tagen vor dem Aufbruch waren die Gänge und Hallen im Königspalast von Dinas Lan von Unruhe erfüllt.
Es war die erste Expedition dieser Art, die König Askanor angeordnet hatte, und die Tatsache, dass einer seiner beiden Söhne sie anführen würde, ließ erkennen, welch hohe Bedeutung er dieser Unternehmung beimaß.
Askanor war nie ein Mann der Tat gewesen.
Von seinem Vater Iliador, dem schon zu seinen Lebzeiten der Beiname breuthyr – der Träumer – verliehen worden war, hatte er ein innerlich gefestigtes und an den Grenzen gesichertes Reich geerbt, und über viele Winter hatte es keiner besonderen Maßnahmen bedurft, um es zu schützen und vor Schaden zu bewahren. Der serentir, den der Zauberer Qoray mit der Macht uralter Elfenkristalle erschaffen hatte, hatte es Askanor ermöglicht, seine Truppen im Bruchteil eines Augenblicks von einem Zentrum des Reiches in ein anderes zu verlegen. Die Gefahr einer Überdehnung des elfischen Machtbereichs hatte sich danach nicht mehr gestellt, die Krisen an den Grenzen waren allesamt überwunden. Seit beinahe einhundert Jahren war es ruhig. Doch jetzt gab es Gerüchte, dass sich im fernen Land Arun, das einst Drachenland gewesen war, etwas zusammenbraute.
Eine neue, unbestimmte Bedrohung, der man auf den Grund gehen musste, ehe daraus eine Gefahr für das Reich erwachsen konnte …
Liatha war von Sorge erfüllt.
Vom Balkon ihres Gemachs aus blickte sie in den Innenhof, wo sich ein Teil der Legionäre auf den langen und gefahrvollen Marsch nach Süden vorbereitete.
Unwillkürlich fragte sie sich, wie viele der jungen Männer und Frauen man in Dinas Lan wohl niemals wiedersehen würde; wie viele von ihnen nicht zurückkehren würden, weil sie irgendwo in der feindseligen Fremde, die jenseits der Grenzen des Elfenreiches herrschte, in den Wassern reißender Flüsse ertrunken waren oder in den dampfenden Dschungeln Aruns ein grässliches Ende fanden …
Liatha fühlte Tränen in ihren Augen brennen. Eine unbestimmte Trauer erfüllte sie schon jetzt, da die Stunde des Abschieds nahte. Wobei ein Abschied ihr ganz besonders schwerfallen würde …
»Woran denkst du?«
Sie schloss die Augen, ein Schauer durchrieselte sie. Wie lange, so fragte sie sich, würde sie diese so vertraute und lieb gewonnene Stimme wohl nicht mehr hören? Würde sie sie jemals wieder vernehmen können, wenn die Expedition erst aufgebrochen war?
Liatha wandte sich um.
Curran stand unter dem schmalen Bogen des Eingangs. Er trug bereits seine Rüstung, der silberne Harnisch glänzte im einfallenden Tageslicht. Liatha weidete sich an seiner stattlichen Erscheinung, an der Ebenmäßigkeit seiner von langem blondem Haar umrahmten Züge, am Blick seiner tiefblauen Augen, der ihr zu sagen schien, dass alles gut werden würde.
»Shumai, Geliebter«, sagte sie. Es klang leiser und zaghafter, als sie beabsichtigt hatte.
»Nenne mich nicht so«, bat er. »Ich habe dir meinen geheimen Namen genannt.«
»Dracalón«, flüsterte sie. Der essamuin war ein Geheimnis, das Elfenmänner oft ihr Leben lang hüteten. Es jemandem anzuvertrauen, war der größte aller Vertrauensbeweise. Es bedeutete, jemandem sein wahres Wesen zu offenbaren und einander auf ewig verbunden zu sein, verwandte Seelen …
Ein Lächeln erschien daraufhin auf Currans Gesicht. »Plynfala«, sprach er den Namen aus, den er ihr gegeben hatte, da Elfinnen keinen essamuin besaßen. Er hatte ihn ausgewählt, weil ihre zerbrechlich wirkende Gestalt und ihr leichtes Gemüt ihn stets an eine Feder erinnerten. Die Bedeutung seines geheimen Namens zu deuten – Drachenherz – war ungleich schwieriger; was der essamuin tatsächlich bedeutete, erschloss sich oft erst spät in dem überaus langen Leben, das die Söhne Sigwyns fristeten.
Er trat über die Schwelle, und sie eilte ihm entgegen, umweht von ihrem weißen Seidenkleid, das sie als Zeichen ihres Standes trug. Wie Curran war auch sie von hoher Geburt, und ihre Verbindung hatte stets unter einem guten Stern gestanden – doch nun sollte die Vertrautheit, die sie miteinander hegten und die über einen langen Zeitraum hinweg gewachsen war, einer schrecklichen Bewährungsprobe unterzogen werden.
Sie lief in seine Arme, und er drückte sie fest an sich, doch spürte sie bereits nicht mehr die Wärme seines Körpers und den beruhigenden Schlag seines Herzens, sondern nur das kalte Metall des Harnischs. Seine Rüstung war von den besten Schmieden gefertigt und würde ihn so gut schützen, wie elfischer Stahl es nur vermochte. Doch konnte auch sie ihn nicht unverwundbar machen …
»Du siehst bedrückt aus«, stellte er fest.
»Sollte ich nicht bedrückt sein, wenn der Mann, den ich liebe, in den Krieg zieht?«
»Es ist kein Krieg«, verbesserte er, »nur eine Expedition. Wir wissen nicht, was in den Südlanden vor sich geht.«
»Und das beunruhigt mich.« Sie löste sich ein wenig aus seiner Umarmung und sah an ihm empor. Der silberne Reif, der ihn als Spross des Königshauses auswies, zierte seine Stirn – der purpurne Amethyst des Thronfolgers allerdings fehlte darin.
»Du musst dir keine Sorgen machen, Federchen.« Curran lächelte wieder, strich sanft über ihr schwarzes Haar, das ihr fast bis zu den Hüften reichte. »Im Auftrag meines Vaters werde ich gen Süden ziehen und dort nach dem Rechten sehen, Vermutlich ist alles in Ordnung, sodass ich schon bald wieder zurück sein werde. Schließlich haben wir bislang nichts vernommen außer den Gerüchten, die die Dryaden in die Welt gesetzt haben, und du weißt, wie diese Baumwesen sind.«
»Aber möglicherweise verbirgt sich auch mehr dahinter«, beharrte Liatha. »Das Böse verbarg sich einst im Dschungel von Arun, und womöglich ist es noch immer da. Es heißt, dass dort noch immer Drachen hausen und anderes Echsengezücht.«
»Ich weiß auf mich zu achten«, suchte Curran sie zu beruhigen. »Und falls ich einmal nicht auf der Hut sein sollte, habe ich immer noch meine Kameraden zur Seite – den tapferen Dufanor, den wackeren Hirulon, den starken Narkon und all die anderen, die mit mir reiten.«
»Und dafür bin ich ihnen von Herzen dankbar«, versicherte Liatha, »aber sie alle sind nicht vom selben Blut wie wir, sondern von niedrigem Stand und deiner nicht würdig.«
»Dennoch würde ich ihnen jederzeit mein Leben anvertrauen«, versicherte Curran. »Sie sind wie Geschwister für mich.«
»Du hast bereits einen Bruder …«
»Allerdings.« Er nickte.
»Warum geht Cullan nicht an deiner Stelle? Schließlich wird er es sein, der einst den Thron eures Vaters besteigen und über das Reich herrschen wird – wäre es da nicht seine Aufgabe, für die Sicherheit des Reiches zu sorgen? Schickt er womöglich dich, weil sein Mut nicht dazu ausreicht?«
Currans blaue Augen sahen sie prüfend an. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass er etwas sagen, sie womöglich sogar zurechtweisen würde. War sie zu weit gegangen?
»Mein Bruder«, entgegnete Curran dann jedoch ruhig, »hat sich als zukünftiger König vielen Herausforderungen zu stellen. Dies jedoch ist meine Aufgabe, meine Chance zur Bewährung. Mein Vater hat mich oft spüren lassen, dass er mich für den geringeren seiner Söhne hält, nun kann ich ihm beweisen, dass ich Cullan ebenbürtig bin. Ich tue es für seinen Ruhm nicht mehr als für den meinen, für das Reich nicht mehr als für uns beide und für die Zukunft, die wir zusammen haben werden, wenn wir …« Er brach plötzlich ab, und sie hatte das Gefühl, dass er noch etwas sagen wollte, es sich aber selbst verbot.
»Ich tue es für dich, Plynfala«, sagte er schließlich. »Um deiner, deiner Schönheit und unsterblichen Seele würdig zu sein.«
»Du bist es längst«, versicherte sie. »Dein Vater jedoch, unser König, ist bei all seiner Macht und Weisheit mit Blindheit geschlagen. Wäre es anders, so würde er sehen, was für mich längst offensichtlich ist, und dir und nicht deinem Bruder die Krone des Reiches anvertrauen.«
»Sprich nicht so, ich bitte dich. Cullan ist schon immer derjenige von uns gewesen, den das Schicksal begünstigt. Die Herzen fliegen ihm nun einmal zu, das meines Vaters ebenso wie die unserer Untertanen. Es war von jeher seine Bestimmung, dereinst König des Elfenreiches zu werden.«
»Er wird auf dem Thron eine gute Figur machen, das steht außer Frage«, räumte Liatha ein. »Der wahre Herrscher jedoch wirst von euch beiden immer du sein, Geliebter. Und ich bin überzeugt, dass die Untertanen auch dir ihre Herzen schenken würden, nicht weniger, als sie es bei Cullan tun.«
»Mir genügt es, wenn mir eine davon ihr Herz schenkt«, erwiderte er lächelnd.
»Das hat sie bereits – vergiss das niemals, Dracalón.«
Damit beugte er sich zu ihr hinab, ihre Lippen begegneten sich in einem innigen Kuss, und ihre Seelen berührten einander. Es war ein Augenblick vollkommenen Glücks, und Liatha flehte das Schicksal an, die Zeit möge verharren und dieser Moment niemals enden.
Doch ihr Wunsch wurde nicht erhört.
Im Morgengrauen hatten sie die Königsfestung verlassen.
Mit nur zwei Wachtürmen und seiner aus Trümmern zusammengesetzten Mauer mochte der korzoul nicht so viel hermachen wie andere Festungen, die Balbok und Rammar im Lauf ihrer Abenteuer gesehen hatten, doch es war immer noch sehr viel mehr als der bolboug, in dem sie einst ihre Jugend verbracht hatten. Und außerdem war es ihre Festung und damit die größte und trutzigste der Welt.
Vielleicht war das der Grund, weshalb Rammar eine seltsame Wehmut befiel, als er sich auf dem Hügelkamm noch einmal umwandte. Es mochte aber auch daran liegen, dass ihn erneut jene hässliche Vorahnung überkam, die ihn immer wieder ereilte, seit jenes fremde Ding niedergegangen war und eine Säule aus Staub und Rauch hinterlassen hatte, die in der Ferne noch immer zu sehen war und als Wegweiser diente.
War es womöglich tatsächlich Kuruls Keule, die auf ihrer Insel eingeschlagen hatte? Hatte das Ende aller Zeiten begonnen? War der Weltenfresser bereits unterwegs, um alles zu verschlingen?
Rammar hätte sich lieber eigenhändig die Zunge herausgerissen, als es offen zuzugeben, aber die bloße Vorstellung ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Dass Balbok es trotzdem noch fertigbrachte, mutig zu tun, lag nach Rammars Dafürhalten nur daran, dass er zu dämlich war, die drohende Gefahr zur Gänze zu begreifen. Aufrecht saß er auf seinem Gaul und ritt dem Kriegstrupp voraus – während Rammar in seiner Sänfte hinterhergetragen wurde.
Zuerst hatte er es ebenfalls mit Reiten versucht, aber das Pferd war kläglich wiehernd unter ihm zusammengebrochen. Und da Rammar nur wenige Dinge so verabscheute wie das Gehen zu Fuß, hatte er beschlossen, die Strecke in seiner gewaltigen, holzgezimmerten Sänfte zu bewältigen, die acht faihok’hai gleichzeitig schleppten. Es war eine wackelige, unentwegt schaukelnde Angelegenheit, und Rammar musste aufpassen, dass ihm dabei nicht übel wurde. Aber es war immer noch besser und außerdem sehr viel würdevoller, als sich zu Fuß fortzubewegen.
Von der zerklüfteten Nordküste aus führte der Weg nach Südosten, vorbei an einigen bolboug’hai, deren Bewohner zunächst nur ungläubig glotzten, ihren Königen dann aber freudig zujubelten, nachdem Rammar es unter Androhung von Todespein befohlen hatte. Davon, dass einst Schmalaugen die Insel bevölkert hatten, war kaum noch etwas zu bemerken, nur ein paar verstreute Ruinen kündeten von ihrer früheren Anwesenheit, und auch sie würden bald unter den Schlingpflanzen des Urwalds verschwunden sein, der den größten Teil der Insel überwucherte. Die Natur hatte sich das Eiland, das die Elfen einst als die »Fernen Gestade« bezeichnet hatten, längst wieder zurückerobert. Es gab wieder Gnomen und anderes Gesocks, und abgesehen von den Scharmützeln, die immer wieder mal aufflammten, trugen die Orks nichts dazu bei, dies zu ändern. Denn Orks waren Krieger und bestenfalls Jäger – alles andere war ihnen zu anstrengend oder zu langweilig.
Oder beides.
Gegen Mittag rasteten sie, aber auch der salzige Geschmack der gepökelten Trollhaxe, die sie aus der Speisekammer mitgenommen hatten, vermochte Rammars düstere Gedanken nicht zu vertreiben. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht, als sie den Marsch fortsetzten, karge Hügel hinauf, über deren fast kahle Kuppen ein eisiger Wind strich. Dazu zogen von Westen her dunkle Wolken auf, die sich drohend am Himmel ballten und mit der grauen Rauchsäule mischten.
Rammar befahl den faihok’hai, ein Kriegslied anzustimmen, einen heiteren Gesang von gebrochenen Knochen und gespaltenen Schädeln. Doch viel mehr als ein heiseres Krächzen, das der Wind sogleich wieder davontrug, brachten die Krieger nicht zustande. Beklemmung lag in der Luft, Rammar konnte es spüren, und er hätte sein Gewicht in Gold darauf verwettet, dass es an dem verdammten Ding lag.
Alles in ihm verkrampfte sich, er hatte nicht einmal mehr Appetit. Und obwohl es ihm am liebsten gewesen wäre, sie hätten das Ziel ihres Marsches nie erreicht, verspürte er doch eine seltsame Erleichterung, als sie endlich dort anlangten. So wie man erleichtert war, wenn die Anspannung vor einer Schlacht endete und sich in einem grausamen, wilden Blutbad entlud …
»Wir sind da«, erklärte Balbok überflüssigerweise. Er hatte sein Pferd neben Rammars Sänfte gelenkt und saß nach wie vor aufrecht im Sattel, die langen Arme auf den Knauf gestützt.
»Was du nicht sagst, Faulhirn.« Rammar hatte sich in der Sänfte aufgerichtet, um einen Blick in die vor ihnen liegende Senke zu werfen.
Es war ein von einem Geröllwulst umgebener Krater, in Form und Größe nicht unähnlich dem, über dem ihre Königsburg errichtet war – nur dass dieser hier erst wenige Tage alt war.
Was immer aus dem Himmel gestürzt und hier niedergegangen war, hatte eine schwärende Wunde in Fels und Erdreich hinterlassen, so tief, dass man den Grund vom Kraterrand aus nicht erkennen konnte. Die graue Säule, die über dem Krater lag, wirkte aus der Nähe betrachtet eher wie ein zäher Nebel, der den Grund des Kraters einhüllte und wie Dampfschwaden aus dem Kessel eines Zauberers daraus emporstieg. Von dem Ding selbst war nichts zu sehen.
»Hm«, grunzte Rammar. »Sieht harmlos aus.«
»Spürst du es nicht?«, fragte sein Bruder.
»Was meinst du?«
»Da ist etwas«, entgegnete Balbok beinahe flüsternd. »Irgendwo da unten. Es ruft nach uns …«
»Schmarren«, blaffte Rammar zurück, »das bildest du dir nur ein.«
»Wenn du meinst.« Balbok stieg aus dem Sattel, den saparak trug er auf dem Rücken.
»Was hast du vor, Schmalhirn?«
»Ich werde runtergehen und mir die Sache aus der Nähe ansehen«, kündigte Balbok an. »Vielleicht wissen wir dann bereits mehr.«
»Wenn du es dir ansiehst, bestimmt nicht.« Ächzend richtete sich Rammar vollends auf und schickte sich an, sich von der Sänfte zu rollen. Zwei Krieger kamen ihm dabei zur Hilfe und gingen unter seinem Gewicht nieder. Rammar selbst landete wackelig auf den dicken Beinen.
»Ich werde mitkommen«, erklärte er feierlich und zur sichtlichen Erleichterung der faihok’hai. »Wir alle werden mitkommen«, verbesserte er sich deshalb schnell.
Die Leibwächter waren nicht begeistert, wussten aber aus Erfahrung, dass es der Gesundheit nicht zuträglich war zu widersprechen. Also griffen sie nach ihren Speeren, Bogen und saparak’hai und bereiteten sich auf den Kampf vor – auch wenn weit und breit kein Gegner zu sehen war. Nur jener undurchdringlich graue Nebel, der dort in der Tiefe waberte.
»Korr«, stieß Rammar zwischen verwegen gefletschten Zähnen hervor. »Los, Balbok!«
»Wieso ich?«
»Weil du der König bist, deshalb.«
»Das bin ich«, bestätigte Balbok grimmig und wollte bereits über den Kraterrand steigen – als er sich noch einmal umwandte. »Und wenn ich auch den Verstand verliere wie die anderen, die wir geschickt haben?«
»Da kannst du ganz beruhigt sein«, beschwichtigte Rammar ihn. »Was man nicht hat, das kann man auch nicht verlieren.«
»Korr«, bestätigte Balbok – das leuchtete ihm ein. Mit einer beherzten Geste zückte er seinen saparak und setzte über den Rand des Kraters.
Es klirrte leise, als er im abschüssigen Geröll landete, das aus schwarzer, glasig schimmernder Schlacke zu bestehen schien. Sonst geschah nichts.
»Alles in Ordnung?«, fragte Rammar misstrauisch.
»Korr.« Balbok nickte. »Ich kann noch denken.«
Rammar ersparte sich eine Erwiderung und schickte sich ebenfalls an, den Kraterrand zu überwinden. Es sah weniger elegant aus als bei Balbok, auch deshalb, weil er mit einem Fuß hängen blieb und ins Taumeln kam. Mit den kurzen Armen rudernd, versuchte er noch, sich auf den Beinen zu halten, aber es war zu spät – mit dem Gesicht voraus stürzte er zu Boden und überschlug sich. Auf dem asar sitzend fand er sich wieder, zur Heiterkeit der faihok’hai.
»Was gibt es da zu lachen, ihr dämlichen Hunde?«, donnerte er zum Kraterrand hinauf, während er sich mühsam wieder auf die Beine raffte. »Seht gefälligst zu, dass ihr zu uns aufschließt. Oder muss ich nachhelfen?«
Das wollte keiner der königlichen Leibwächter – alles in allem fünfzehn grimmige, bis unters kantige Kinn bewaffnete Krieger, die den Wulst nun ebenfalls überwanden und sich auf Rammars Geheiß schützend um ihn scharten. So zogen sie weiter, den von Schutt und Scherben übersäten Hang hinab zum Grund des Kraters. Balbok, der wiederum vorausging, schnüffelte.
»Riechst du das auch, Rammar?«
»Und ob – es stinkt zum Davonlaufen!« Auch Rammar hielt seine Schnauze in den Wind und schnüffelte. »Irgendwo hab ich das schon mal gerochen.«
»Ich auch«, war Balbok überzeugt.
Je näher sie dem Grund des Kraters kamen, desto stärker wurde der Geruch. Rammar war sicher, ihn schon mal in der Nase gehabt zu haben, aber nicht in letzter Zeit. Es musste Jahrzehnte, wenn nicht ein ganzes Zeitalter her sein, was gut möglich war, da die Zeit auf ihrer Insel ja anderen Gesetzen gehorchte als auf dem Kontinent. Elfenmagie hatte einst dafür gesorgt … und plötzlich dämmerte Rammar, woher er diesen erbärmlichen Gestank kannte! Es roch nach dhruurza!
Nach Zauberei!
»Halt«, zischte er, »keinen Schritt weiter! Wir …«
Doch seine Warnung kam zu spät.
In diesem Moment – der Spähtrupp erreichte soeben die Ausläufer des grauen Nebels – war es, als würden die Krieger gegen ein unsichtbares Hindernis laufen. Oder von Fäusten getroffen würden, die niemand sehen konnte.
Sie zuckten zusammen und wankten, einige schrien auf, so als hätte sie ein unsichtbarer Pfeil durchbohrt. Und im nächsten Moment brachen sie zusammen.
Rammar fuhr herum, so alarmiert wie verständnislos. »Was hat das zu bedeuten?«
Die Krieger antworteten nicht, lagen in teils grotesker Verrenkung am Boden.
»Schluss mit dem Theater!«, wetterte Rammar und stampfte mit dem Fuß auf, während er drohend den saparak schwenkte. »Aufstehen, aber sofort! Ich befehle es euch!«
Der Blick seiner blutunterlaufenen Augen traf bald diesen und bald jenen faihok, aber keiner von ihnen machte Anstalten, dem Befehl Folge zu leisten und sich wieder zu erheben.
»Du, Rammar«, meldete Balbok sich zu Wort, »ich glaube, die können nicht!«
»Was soll das heißen, ›die können nicht‹? Als ich so alt war wie diese nutzlosen Kleiderständer, gab es so gut wie nichts, was mich umhauen konnte!«
Irgendjemand hinter ihm blies geräuschvoll durch den Rüssel. Rammar fuhr herum.
»Was gibt es da schon wieder zu lachen?«
Das Geräusch wiederholte sich, und einer der königlichen Leibwächter raffte sich auf die Beine. Der Helm saß schief auf seinem Kopf, auf seiner Orkfratze lag ein idiotisches Grinsen. Und im nächsten Moment brach er in schallendes Gelächter aus, das weithin durch den Krater hallte.
»Was fällt dir ein?«, tobte Rammar. »Still, oder ich …«
Da prustete der zweite faihok los, und dann noch ein dritter. Einer nach dem anderen erwachte aus der Ohnmacht, in die sie so schlagartig gefallen waren, und alle, vom einfachen Krieger bis zum Hauptmann, hatten jenen Glanz in den Augen, den Balbok und Rammar schon in den Augen der anderen Späher gesehen hatten. Den kalten Glanz des Irrsinns …
»Es ist wieder passiert«, stellte Balbok atemlos fest. »Sie haben alle den Verstand verloren!«
Entsetzt sah Rammar von einem zum anderen – die faihok’hai, ihre gefürchteten Leibwächter, gebärdeten sich wie von Sinnen. Einige lachten, andere schrien hysterisch. Ein paar hatten bereits die Flucht ergriffen und rannten davon, andere schlugen mit ihren Waffen aufeinander ein. Und wieder ein anderer erleichterte sich in hohem Bogen.
»Wie ist das passiert?«, fragte Rammar verwirrt. »Eben waren sie doch noch ganz normal?«
»Ich weiß auch nicht.« Balbok zuckte mit den Schultern. »Vielleicht liegt es ja an diesem Nebel?«
»Schmarren, was soll denn der Nebel damit zu tun haben?«, quäkte Rammar – und dann kam ihm ein anderer, noch viel entsetzlicherer Gedanke. »Hat es uns auch erwischt?«, fragte er und griff sich an den Kopf, wie um zu prüfen, ob noch alles so war, wie es sein sollte.
»Douk.« Balbok winkte kopfschüttelnd ab. »Du weißt doch, was man nicht hat …«
»Du unverschämter Hirnfurz, sprich nur für dich!«, blaffte Rammar, der jetzt echte Panik bekam. Sein messerscharfer Verstand war etwas, worauf er sich schon immer viel eingebildet hatte – was sollte er nur ohne ihn anfangen?
Die faihok’hai waren inzwischen fort.
Fünf von ihnen lagen erschlagen in ihrem Blut, der Rest war schreiend davongerannt. Rammar war überzeugt, dass sie keinem von ihnen wiederbegegnen würden – und bedeutete das nicht, dass er noch klar denken konnte? Dass zumindest er nach wie vor Herr seines Verstandes war?
»Was auch immer es gewesen ist, wir sind davon offenbar nicht betroffen«, folgerte er, auf seinen klobigen Schädel deutend. »Ich jedenfalls habe meinen Verstand nicht verloren.«
»Ich auch nicht«, pflichtete Balbok bei. »Oder aber«, fügte er leiser hinzu, »wir merken nur einfach keinen Unterschied.«
Sie drangen in den Nebel vor.
Zäh wie Trollschleim waberte er um ihre Füße, kroch immer weiter an ihnen empor, je tiefer sie hinabstiegen.
»Wie lange soll das noch so weitergehen?«, maulte Rammar. »Ich kann die Klaue schon kaum mehr vor Augen sehen.«
»Ich glaube, es ist nicht mehr weit«, erwiderte Balbok, der wie immer vorausging, den saparak beidhändig erhoben. »Ich glaube, wir …«
Plötzlich verstummte er. Und im grauen Nebel war er schlagartig auch nicht mehr zu sehen!
»Langsam, umbal«, mahnte Rammar, der keuchend hinter ihm dreinwatschelte. Wie ein Schiff pflügte er durch die Schwaden, die sich um seine füllige Gestalt kräuselten. »Wo steckst du, verdammt noch mal?«
Von Balbok kam keine Antwort.
Rammar blieb stehen und sah sich im Nebel um.
Wohin er auch blickte, nur graue Schwaden. Kein Laut war zu hören. Alles, was Rammar wahrnahm, war klamme Kälte, die unter seine Rüstung kroch und ihn frösteln ließ.
»Ba-Balbok?«, stammelte er in die Stille.
»Hier drüben«, kam es zurück.
Rammar grunzte erleichtert. »Wo, verdammt noch mal?«
»Na hier!« Durch das trübe Grau glaubte Rammar jetzt einen Schemen auszumachen, der mit langen Armen winkte.
»Dämlicher Hund«, wetterte er drauflos, während er sich in Richtung der Gestalt in Bewegung setzte, »kannst du nicht besser aufpassen? Wenn du dich in dieser Suppe verläufst, bist du verlo…«
Rammar verstummte, als er im dichten Nebel gegen ein massives Hindernis stieß. Und weil er den saparak in der Rechten hielt und die Linke nicht wirklich gebrauchen konnte, schlug er abermals hin, dass Helm und Rüstung nur so schepperten.