Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Satire wider bequeme Unwahrheiten. Wenn es am schlimmsten um die Welt steht, setzt sie ihr breitestes Lächeln auf. Maik Martschinkowsky erwidert dieses Lächeln – in Geschichten, spitzfindigen Betrachtungen und pointierten Dialogen. Sein neues Buch ist eine Reise durch die Spitzen und Untiefen zwischenmenschlicher Kommunikation. Es heißt immer, reden hilft. Aber oft entstehen Missverständnisse ja gerade, weil man miteinander spricht. Niemand weiß das besser als Maik Martschinkowsky: Immer wieder verwickelt ihn die Welt in unentrinnbare Mono- und Dialoge, in peinliches Nicht-schweigen-Können oder intensives Gegeneinander-vorbei-Reden – und viel zu oft sind alle Beteiligten gnadenlos darum bemüht, den Konflikt aufzulösen. Nicht dabei sein ist hier alles. Maik Martschinkowsky war aber immer dabei. Zu seinem Leidwesen, zu unserem Glück, denn so dürfen wir davon lesen. Ein Plädoyer wider gelangweilte Lebensfreude, bequeme Unwahrheiten und dumpfe Euphorie, den goldenen Durchschnitt und das Behagen in der Unkultur. Und wer sich fragt, was den Autor sonst noch um-, an- oder wegtreibt, bekommt auch darauf eine Antwort. Wer sich das nicht fragt, bekommt sie trotzdem.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 157
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Maik Martschinkowsky
ist Autor, Kabarettist und Poetry-Slammer. Er ist festes Mitglied der Lesebühne Lesedüne (u. a. mit Julius Fischer, Sebastian Lehmann und Marc-Uwe Kling), die zweimal monatlich im SO36 in Berlin-Kreuzberg stattfindet. Die gemeinsame Show wurde 2016 unter dem Titel Bühne 36 fürs Fernsehen adaptiert.
2014 veröffentlichte er sein erstes Buch »Von nichts kommt was« bei Voland & Quist und war anschließend mit einem gleichnamigen Soloprogramm unterwegs. Im Oktober 2018 hatte sein zweites Solo »Ohne Oben« Premiere.
Der Autor überlebt in Berlin.
www.mkowsky.de
E-Book-Ausgabe März 2019
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2019
www.satyr-verlag.de
Cover: Maren Kaschner, Hamburg
Korrektorat: Jan Freunscht
Audioaufnahmen: Kevin Castens (www.kc-audio.de)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
E-Book-ISBN: 978-3-947106-27-1
In einiger Sache
Diskursüberfall
Fairbrechen.org
DieNorm
Ein Bürger
Dabeisein ist alle
Verbraucherinformation: Leben
Die dunkle Seite der Hoffnung
Umgefragt
… und nun zum Wetter
Ein Bürgerlein
Gönnerflucht
Wie’s damals war
Über die Faulheit
Talk mit System
Tag der Arbeit
Epic Fail
In stiller Trauer
Ninja-Liebes-Haiku
Black Wedding
Dungeonkeeper
Das Behagen in der Unkultur
Die dritte Seite
Bürgerschreck
Die Abenteuer des Vegana Jones
Rettich
Methusalemchen
Luthehrlich
An die christlichen Kirchen
Sehr guter Text
Der Anstand
Bürgerinformation
Hitler war ja auch Vegetarier
Frau Sm…üllers Einöde
Bitte recht feindlich
Null zu null
Juten Tach
Verwünscht
Danksagung
Erstveröffentlichungsnachweise
Audiolinks
Als Kind war ich manchmal sehr traurig. Nicht dass meine Kindheit traurig gewesen wäre, im Gegenteil, ich hatte alles, was man sich wünschen konnte: eine liebevolle und nicht allzu durchgeknallte Familie, viele Freunde, viel Spielzeug, ein tolles Fahrrad und eine angemessene Menge kleiner Unfälle. Gemangelt hat es mir also eigentlich an nichts, außer … ja, außer gelegentlich an ein bisschen Fröhlichkeit. Einfach so. Dann hatte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kind in dieser 80er-Jahre-Werbung für ein bekanntes Multivitaminpräparat: ein Junge, der phlegmatisch aus dem Schulgebäude getrottet kommt und sich niedergeschlagen auf die Stufen setzt, während alle anderen Kinder laut schreiend und durch die Aussicht auf einen Nachmittag ohne Schule offenbar völlig aus dem Häuschen an ihm vorbei euphorisieren. Um wild in Pfützen herumzuhüpfen. Was man halt so macht, wenn man viel Energie und wenig andere Sorgen hat. Und mit einem Jungen, der das nicht macht, kann irgendetwas nicht stimmen. Also bekommt er in der nächsten Szene einen Löffel des beworbenen Wundermittelchens, und schon kurze Zeit später sieht man ihn ebenfalls wie wahnsinnig in den Pfützen herumspringen.
Nachdem meine Eltern die Werbung für dieses offenbar kindgerechte Ecstasy-Derivat zum ersten Mal gesehen hatten, kippten sie es hoffnungsfroh literweise in mich hinein. So als müsse einfach nur der Tank ausreichend aufgefüllt werden, damit der Motor wieder anspringt. Zunächst tat diese Medikation auch tatsächlich Wunder: Schon nach kurzer Zeit strahlte ich zumindest immer dann, wenn es wieder Zeit für meine Dosis war. Ich fand diesen mit künstlichen Vitaminen versetzten Zuckersirup wirklich sehr lecker. Und kurz nach der Einnahme hatte ich auch immer einen derartigen Energieschub, dass ich mindestens (mindestens!) dreimal auf und ab gesprungen bin, bevor ich mich wieder in meine Ecke verzog und weiter an schwarzen Lego-Burgen baute, die weder Ein- noch Ausgänge hatten.
Bald schon bekam die Einnahme dieses Zeugs den Charakter einer Belohnung fürs Traurigsein, und ich entwickelte eine Angst davor, dass es wieder abgesetzt werden könnte, wenn es mir besser ginge. Also bemühte ich mich häufiger selbst um eine möglichst niedergeschlagene Stimmung, in der Hoffnung, so den gefürchteten Entzug abwenden zu können. Spätestens seitdem war mir Tristesse auf die Seele tätowiert, und ich wusste: »Es ist nicht dein Lächeln, dass die Welt verändert. Es ist die Welt, die dein Lächeln verändert.«
Meine Eltern aber gaben den Versuch, meine fehlende Fröhlichkeit durch die Unterstützung von Aufputschmitteln zu bekämpfen, dennoch auf. Trotzdem entwickelte ich mich zu einem mehr oder weniger normalen, wenn auch immer etwas dunkel gekleideten Jugendlichen. Ich ging beflissen den üblichen Pflichten als Jugendlicher nach, verärgerte Lehrer oder Chefs von Aushilfsjobs, traf mich zum Austausch von Gedanken und Körperflüssigkeiten mit anderen Jugendlichen und verschwendete gemeinsam mit Freunden möglichst viel Zeit mit Dingen, an die man sich bis zu seinem Tod noch gern erinnert.
Mein späteres langes genaues Studium der Philosophie machte mich dann endgültig von einem grundlos traurigen Kind zu einem aus guten Gründen deprimierten Erwachsenen.
Hin und wieder kann es jedoch passieren, dass mich auch die alte, unkontrollierte Schwermut längst vergangener Zeit wieder heimsucht. Dann verwandle ich mich gleichsam zurück in das vitaminsaftabhängige Kind, setze mich niedergeschlagen auf irgendwelche Treppenstufen und mache mir dunkle Gedanken ohne Ein- und Ausgänge oder suche nach der Pfütze, in der ich beim Herumspringen einst meine Unbeschwertheit verloren habe.
Meist sind das glücklicherweise nur einzelne Momente oder kurze Phasen. Da sich dann jedoch alle Traurigkeit in in einem einzigen Augenblick sammelt, ist die Dichte dieser Schwermut so hoch, dass sie verheerende Auswirkungen auf meine Umwelt haben kann. Wenn ich in so einer Stimmung durch die Stadt streife, hören die Menschen, denen ich begegne, schlagartig auf zu lächeln und finden dieses Lächeln oft wochenlang nicht wieder. Die Vögel in meiner Umgebung verstummen und fliegen umgehend zurück in den Süden, Blumen verwelken, und mitten im Frühling fallen die ersten Blätter von den Bäumen. Frisch verliebte Pärchen, an denen ich vorbeitrotte, trennen sich, und Eltern entschuldigen sich unter Tränen bei ihren Kindern, ihnen das Leid der Existenz aufgebürdet zu haben. Wie ein Basilisk der Traurigkeit wälze ich in diesen Momenten durch die Straßen und verbreite emotionalen Verfall. Wen mein Blick trifft, dem versteinert das Herz.
Die Einzigen, die gegen diese schädlichen Auswirkungen immun zu sein scheinen, sind depressive Menschen, von denen schon so mancher nach meinem Anblick in guter Laune davongetanzt ist, weil in ihm plötzlich wieder ein Gefühl von Hoffnung keimte. Immerhin. Für die restliche Welt jedoch wäre mein Zustand auf Dauer der Untergang. Ich bin davon überzeugt, dass überall dort, wo sich im Weltall schwarze Löcher befinden, einst blühende Welten waren, in denen jedoch jemand einer derartigen Schwermut anheimfiel, dass diese Welten unter der Last zusammengebrochen sind und nur noch unendlich schwere Schwärze übrig blieb.
Nun, ich bin kein Freund pathetischer Abschweifungen, daher möchte ich direkt auf mein Anliegen zu sprechen kommen: Wie sich herausgestellt hat, sind diese schwermütigen Phasen eine Art Allergie. Und um eine unnötige Gefährdung der Menschheit, der Welt sowie der Galaxie abzuwenden, ist es enorm wichtig, dass ich alles, was solche traurigen Phasen bei mir auslösen könnte, meide. Dazu zählen ganz alltägliche Dinge: Ungerechtigkeit, Krieg, Ausbeutung, Grausamkeit, Nationalismus, Lügen, Dummheit und bisweilen auch Bürokratie. Daher würde ich darum bitten, auf diese Dinge in Zukunft weitestgehend, nicht nur in meiner Gegenwart, sondern ganz im Allgemeinen, zu verzichten.
Vielen Dank.
Ich laufe in der frühen Nacht allein durch eine verlassene, dunkle Straße in Neukölln. Immer eine gute Idee. An einer sehr dunklen Ecke springt dann auch ein Typ aus dem Schatten und baut sich vor mir auf. Er ist zwei Köpfe kleiner als ich. Und spindeldürr.
»Hi«, sagt er in einem fast entschuldigenden Tonfall. »Überfall … Geld und Handy und so, weißt schon. Sorry.«
»Äh …«, sage ich, schaue mich um und mustere noch mal die kleine, zerbrechlich wirkende Gestalt vor mir. »Also, nimm mir das jetzt bitte nicht übel, aber … so ganz überzeugt bin ich noch nicht.«
Der Typ zieht die Stirn in Falten. »Wieso? Hast du was gegen kleine, dünne Menschen?«
»Nee, nein, nein. – Nur … also … hast du nicht vielleicht ein Messer oder so was? Das würde sich irgendwie authentischer anfühlen.«
Der Typ seufzt und stemmt die Hände in die Seiten. »Warum fragen eigentlich immer alle nach ’nem bekackten Messer? Ich mein, hey, es ist ’ne dunkle, verlassene Straße in Süd-Neukölln. Da hast du doch im Grunde damit gerechnet, dass du abgezogen werden könntest. Der Fall ist jetzt eben eingetreten, find dich halt damit ab, und gib mir einfach deine Wertsachen, statt hier jetzt noch rumzunölen.«
»Na ja«, sage ich und zucke mit den Schultern. »Sieh es doch mal aus meiner Sicht: Ich finde, zu einem richtigen Überfall gehört auch so ein gewisser Hauch von … Gefahr. Und deshalb fühle ich mich gerade einfach nicht wirklich überfallen.«
»Wie? Dunkle, verlassene Straße und Typ, der plötzlich aus dem Schatten kommt, reicht dir nicht, oder was?«, fragt der Typ leicht pikiert.
»Wenn ich ehrlich bin, nicht, nee.«
»Das ist ganz schön arrogant, mein Freund«, meckert er.
»Na, dass du denkst, es reicht, wenn du dich vor einem aufbaust und einfach nur sagst: ›Das ist ein Überfall, gib mir doch mal deine Wertsachen!‹, zeugt auch nicht grad von Bescheidenheit«, gebe ich zurück. »Und genau genommen, ist es … also, ehrlich gesagt, ist es auch ein bisschen faul.«
Der Typ verzieht das Gesicht und macht eine hinwerfende Geste: »Pfff, faul, Alder! Nur weil ich dir nicht gleich ’nen Knüppel über die Birne ziehe oder dir ein Messer unter die Nase halte oder was?«
»Ja. Oder ’ne Pistole.«
»Ha, noch besser, ’ne Knarre! Mann! Ich bin doch nicht hier, um dir das Gefühl zu geben, du wärst in ’ner Gangsterserie! Ich hab dich überfallen, du gibst mir deine Wertsachen, und dann gehen wir friedlich auseinander, was ist denn daran so schwer? Wir sind doch zivilisierte Menschen!«
»Ich find das halt einfach nicht überzeugend. Was passiert denn, wenn ich dir meine Wertsachen nicht gebe, hm? Da schon mal drüber nachgedacht?«
Der Typ blickt sich überlegend um und schürzt die Lippen. Dann seufzt er und schaut mich wieder an: »Okay. Pass auf, was hältst du davon: Du gibst mir nur die Hälfte deiner Wertsachen, dafür lassen wir das Messer weg?«
»Hä? Und was hab ich davon?«
»Na, dass wir das Messer weglassen.«
Ich schüttle irritiert den Kopf. »Woher soll ich denn wissen, ob du überhaupt ein Messer hast?«
Der Typ breitet die Arme aus. »Woher soll ich wissen, ob du überhaupt Wertsachen hast!«
»Mann, jeder hat doch heutzutage irgendwelche Wertsachen!«
»Laut Bild-Zeitung läuft auch jeder in Berlin mit ’nem Messer rum! Aber darum geht es doch gar nicht. Ich hab dir grad ’n echt gutes Angebot gemacht. Ich mein: Wann wird man schon mal nur zur Hälfte überfallen? Das solltest du dir wirklich nicht entgehen lassen! Also: Deal?«
Ich schüttle den Kopf. »Nee. Darauf lass ich mich nicht ein!«
Der Typ wirft den Kopf nach hinten. »Oha, ey, okay, mein letztes Angebot: Ein Drittel deiner Wertsachen, keine Waffen, aber dafür lässt du danach die Polizei aus dem Spiel.«
»Mein Handy lass ich mir auf gar keinen Fall klauen!«
»Okay«, ruft der Typ genervt. »Dann sagen wir: alles außer deinem Handy, keine Waffen, keine Polizei und … pass auf …« Er wühlt in seiner Hosentasche und holt ein kleines, zerknittertes Tütchen heraus. »Du bekommst zusätzlich noch meinen Rest Koks, damit du auch was davon hast, nicht die Bullen einzuschalten. Okay? Das ist wirklich mein letztes Angebot! Damit treib ich mich quasi selbst in den Ruin.«
»Pfff … Weißt du, was das für ein Aufwand ist, ’nen Perso neu zu beantragen?«, frage ich.
»Deinen bekackten Perso kannst du meinetwegen auch behalten. Also, was sagst du?« Er streckt mir die Hand entgegen.
Ich kaue nachdenklich auf der Unterlippe. Jetzt habe ich ihn schon so weit runtergehandelt, da wäre es doch dumm, nicht zuzugreifen.
»Okay, Deal«, sage ich und schlage ein. Dann hole ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche, ziehe meinen Perso heraus, reiche es ihm und zucke mit den Schultern: »Mehr ist es leider nicht.«
»Ach, schon okay«, sagt der Typ. »Is’ Bargeld drin?«
»Dreißig Euro oder so.«
»Ja, is’ doch super!« Er winkt ab und reicht mir das Koks. »Is’ auch nicht mehr viel, aber für einen gelassenen Heimweg reicht’s.«
»Okay«, sage ich und nehme das Tütchen. »Na, dann.«
Wir reichen uns noch mal die Hände.
»War mir ’ne Freude, dich überfallen zu haben!«, sagt der Typ und wendet sich zum Gehen.
»Danke. Aber mal Hand aufs Herz: Hattest du ein Messer?«
Der Typ lächelt. »So was brauch ich nicht. Meine Zunge ist scharf genug.« Dann zwinkert er mir zu, winkt mit meinem Portemonnaie und verschwindet in den Schatten. Wenn es eine Bewertungsplattform für Kriminelle gäbe, ich würd’ ihm für diese Performance fünf Sterne geben.
Drei, zwei, eins – seins! Einmal nicht aufgepasst, und der Abend ist schneller gelaufen als der Dieb mit deinen Wertsachen? Der Sonntag ist im Arsch, weil dein Dealer auch einer ist? In deine Wohnung wurde nicht nur ein-, sondern auch noch ausgebrochen? Du wolltest nett sein, aber der Typ, der dich gefragt hat, ob er mal kurz mit deinem Handy telefonieren darf, nicht? Du hast der freundlichen Frau geglaubt, die dir günstige Eintrittskarten für das Tempelhofer Feld verkaufen wollte?
Wen wundert es bei solchen Geschichten, dass das Verbrechen einen schlechten Ruf hat?
Auf fairbrechen.org hast du nun endlich die Möglichkeit zurückzuschlagen: Teile deine Erfahrungen mit anderen Opfern (Vict-ins), lade ein Foto und/oder eine Beschreibung des Täters hoch, und bewerte deine Erfahrung nach verschiedenen Parametern: Höhe des Verlusts, Umgang und Manieren des Täters, Einfallsreichtum und vieles mehr!
Warne andere Vict-ins vor hinterhältigen Drogen oder langweiligen Scams. Zeige dem netten Dieb, der sich die ganze Zeit entschuldigt hat, dass du seine Situation verstehst und er beim nächsten Mal einfach fragen soll. Lasse die Möchtegern-Gangster in deiner Straße wissen, wie albern du sie in Wirklichkeit findest, ohne dabei dein Leben zu riskieren. – Alles 100 Prozent anonym. Werde Teil der Vict-in-Community, und setze Standards für sozialverträgliche Überfälle und unterhaltsamere Betrügereien! Unser Garantieversprechen: Wenn ein Täter unter zwei Sterne fällt, lassen wir ihn verhaften!
Du findest, das klingt unglaubwürdig? – Experten bestätigen, dass Mangel die Grundlage unserer Wirtschaft darstellt und jeder Verlust für den Einzelnen ein Gewinn für den Markt ist. Kriminelle leisten einen wichtigen Beitrag zu dieser Dynamik. Zudem hängen viele Arbeitsplätze an einer gut funktionierenden Unterwelt: Polizei, Richter, Anwälte, Gefängnisbetreiber, Sicherheitsdienstleister, Hersteller von Alarmanlagen und Schlössern und noch viele andere Berufsgruppen sind zu 100 Prozent abhängig von einer florierenden Kriminalität. Daher sagen wir: Ausgeraubt wird sowieso, aber bitte mit Niveau! Wenn schon weg, dann mit Zweck!
Werde noch heute Vict-in, und gib deinem Verlust einen Wert. Am besten gleich beim Vict-in-of-Prime-Programm mitmachen und von zahlreichen Vorteilen profitieren: zum Beispiel Push-Benachrichtigungen aufs Smartphone, wenn du dich in ein nicht von Fairbrechen.org gemaptes Stadtgebiet begibst, Rückerstattung aller persönlichen Gegenstände bei Überfall durch einen registrierten Täter, Zugang zu unserer Partnerseite »Rip-Advisor.com – bring Licht in den Schwarzmarkt« und vieles mehr. Melde dich noch heute Nacht an, und erhalte exklusiv einen Steal-Deal-Gutschein: einfach beim nächsten Überfall durch einen registrierten Täter zeigen und unbehelligt bleiben (nur einmalig einsetzbar).
Fairbrechen.org – die überfällige gute Seite für charmantere Schurken. Denn wie sagte bereits Robin Hood: »Den guten Dieb haben alle lieb.«
Ich stehe im Eingangsbereich einer U-Bahn-Station vor einem Passfotoautomaten. In einer solchen Kabine ein quasi amtlich anerkanntes Selfie zu machen, fühlt sich immer ein bisschen an wie ein Klogang auf einer öffentlichen Toilette, bei der die untere Hälfte der Tür fehlt. Vor allem wenn man es allein, tagsüber, so gut wie nüchtern und auch noch in der Nähe der eigenen Wohnung machen muss.
Ich atme noch einmal durch, schaue mich um, straffe mich und versuche, möglichst würdevoll in die Kabine zu schreiten. Es folgt eine Slapstickeinlage, als ich darum kämpfe, den schmierigen Fetzen, der ein Vorhang sein soll, zumindest so weit vor den Eingang zu ziehen, dass ich das Gefühl bekomme, einem unaufmerksamen Passanten könnte meine Anwesenheit hier entgehen. Anschließend verbringe ich dreißig Sekunden damit, den Stuhl auf meine Höhe zu drehen. Und weitere dreißig Sekunden damit herauszufinden, was überhaupt meine Höhe ist. Nachdem ich es dann auch endlich irgendwie geschafft habe, meine Jacke auszuziehen, schaue ich in den Black Mirror vor mir und sehe mein vor Anstrengung rotes, verschwitztes Gesicht.
Noch nie in meinem Leben habe ich ein Passfoto hinbekommen, auf dem ich nicht entweder völlig fertig oder seltsam speckig-glänzend aussehe. Aber diesmal bin ich schlauer. Ich warte eine Minute, tupfe mir das Gesicht mit dem unteren Teil meines T-Shirts ab und drücke erst dann auf den Startknopf. Eine Schrift erscheint: »Bitte werfen Sie eine Münze ein. Betrag: 4 Euro.« Ein kurzer Check offenbart: Der Schlitz befindet sich außerhalb des Automaten. Also schiebe ich langsam meine Hand durch den Vorhang und taste an der Außenwand herum. Von irgendwo draußen ertönt ein erschrecktes Schreien, und jemand rennt weg. Nachdem ich mich anschließend über beziehungsweise durch drei verschiedene undefinierbare Substanzen (klebrig, schmierig, zähflüssig) getastet habe, bekomme ich endlich den Schlitz zu fassen. Vorsichtig werfe ich eine Vier-Euro-Münze ein.
Schlagartig leuchtet der Bildschirm auf, und eine enthusiastische Männerstimme verkündet: »Guten Tag! Herzlich willkommen bei Super-Foto 24 – Ihr 24-Stunden-Fotoservice, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Immer super. Bitte wählen Sie das gewünschte Format!«
Auf dem Bildschirm erscheinen drei Optionen: Passfoto, Porträtfoto und Poster. Ich frage mich, ob es wohl wirklich Menschen geben könnte, die das Poster eines Passfotos von sich in ihre Wohnung hängen. Oder verschenken: »Hier, ich habe dir zum Geburtstag ein Passfoto von mir in Postergröße mitgebracht! Toll, oder?« Kurz schaudert es mich bei dem Gedanken, dass ich solche Leute kennen könnte. Ich drücke schnell auf »Passfoto«.
»Sie haben sich für das Format ›Passfoto‹ entschieden! Super! Bitte bringen Sie Ihr Gesicht in die richtige Position!«
Ich muss mich völlig verrenken, um mein Gesicht so in das auf dem Bildschirm erscheinende Oval zu schieben, dass das mittige Fadenkreuz auf meine Nasenspitze zeigt. Unter größter Kraftanstrengung schiebe ich zitternd meine Hand nach vorne und drücke den Auslöserknopf. Es macht »Phupp!«, und ein Bild von mir erscheint auf dem Bildschirm. Darauf habe ich die Augenlider halb geschlossen nach unten auf den Knopf gerichtet, während meine Zungenspitze konzentriert Richtung Nasenspitze zeigt.
Die Stimme sagt: »Dieses Foto entspricht nicht der Norm. Bitte wiederholen Sie den Vorgang. Möchten Sie einen Countdown bis zum Auslöser?«
Ich drücke »Ja«. Dann drücke ich »Start« und setze mich passend hin. Plötzlich dröhnt die Stimme unfassbar laut: »ACHTUNG! ES GEHT LOS! DREI, ZWEI, EINS!« Phupp!
Auf dem Bildschirm erscheint ein Bild von mir, wie ich zusammenzuckend mit weit aufgerissenen Augen vollkommen entsetzt nach oben schiele.
»Dieses Foto entspricht nicht der Norm«, sagt die Stimme. »Bitte wiederholen Sie den Vorgang.«
Ich schließe kurz die Augen, atme tief durch, setze mich wieder ordentlich hin und drücke dann den Knopf.
»ACHTUNG! ES GEHT LOS! DREI, ZWEI, EINS!« Phupp!
Auf dem Bild, das angezeigt wird, sehe ich gar nicht so schlecht aus, und man sieht mir auch nicht an, wie genervt ich bin. Ich lächle sogar.
»Dieses Foto entspricht nicht der Norm«, sagt die Stimme. »Bitte lächeln Sie nicht! Bitte wiederholen Sie den …«
»Fuck You!« Ich drücke noch einmal den Knopf. »ACHTUNG! ES GEHT LOS! DREI, ZWEI, … EINS!« Phupp!
»Ohhhh!«
Ein weiteres Mal erscheint ein Bild auf dem Bildschirm. Ich sehe darauf zwar aus, als ob ich auf irgendetwas warten würde, aber ansonsten entspricht es immerhin in etwa dem, was man von Passfotos so kennt. Und ich lächle auch nicht. So gar nicht.
»Dieses Foto entspricht nicht der Norm«